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Der zweite Roman der großen Seefahrersaga um den ungewöhnlichen Helden John Quentin.
Im Jahr 1800: John Quentin ist als Protegé von Admiral Nelson vom Fähnrich zum Commander in der Royal Navy aufgestiegen. In Nelsons Auftrag kämpft er gemeinsam mit den Maltesern gegen die französischen Besatzer. Doch statt Ruhm erntet er nur Undank. Sein Rivale Admiral Lord Keith spinnt eine Intrige, die in Quentins Entlassung aus der Navy gipfelt. Als seine Besatzung davon erfährt, meutert sie gegen den neuen Kommandanten - ein Vergehen, das mit dem Tod bestraft wird. Kann Quentin seine Ehre wiederherstellen und seine Männer vor dem Galgen retten?
Die spannende Seefahrerreihe um den jungen John Quentin für alle Fans von Frank Adam, Patrick O'Brian, C.S. Forester und Sean Thomas Russell.
Band 1: John Quentin - Im Auftrag des Admirals
Band 2: John Quentin - Kampf um Malta
Band 3: John Quentin - Im Auge des Sturms
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Seitenzahl: 442
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Handelnde Personen
1. Aktion in Ferrol
2. Kampf um Malta
3. Entehrt
4. Das Urteil
5. St. Petersburg
6. Vor dem Parlament
7. Angeltour
8. Kaperung
9. Lord St. Vincent
10. Korruption
11. Wieder »Swordfish«
Erklärung der seemännischen Begriffe
Über den Autor
Alle Titel des Autors
Impressum
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Frankreich, im Jahre 1801: Napoleon Bonaparte hat eine riesige Armee in Boulogne-sur-Mer zusammengezogen, mit der er nach England übersetzen will. Admiral Nelson gibt den Befehl, die französischen Landungsboote anzugreifen – obwohl John Quentin ihm dringend davon abrät. Die Folgen sind verheerend: Unter dem Kanonenfeuer der Franzosen explodieren ganze Schiffe, und englische Soldaten finden reihenweise den Tod. Doch John Quentin hat einen Plan, um die drohende Invasion zu verhindern – einen Plan, der ihn tief ins Feindesland führt …
Erwin Resch
John Quentin
Kampf um Malta
Historischer Abenteuerroman
Jean Francois Baptiste Comte de St. Quentin, genannt John Quentin.
Geboren 23.09.1782, Sohn von Pierre Charles, Marquis de Picardie und Julia Magdalena Condesa de Esquivel (Spanien)
Besatzung der Revolution
Carey, Stückmeister Revolution
Collins, Steuermann Swordfish, später 1. Leutnant
Cunningham, Sanitätsmaat
Doolittle, Lionel, Steuermann
Hackney, Segelmacher,
Hill, Bootsmann
Markham, Paul, Master
Sarson, Nathaniel, Bootssteuerer und Steward von Quentin
Smith, Matrose, Pfeilschütze
Tascoe, William, Fähnrich, 2. Leutnant
Willows, Toppsgast, Fiedler
Yardley, Toppsgast Swordfish, später Revolution
Briten und Zivilisten
Bishop, Übergangskommandant Revolution
Catherine, Jugendfreundin und Nachbarin Blamfords
Delange, Kapitän Schoner Atlantic
Dolores, span. Köchin, Blamford House
Domenica, span. erste Kammerzofe der Mutter von Q., Blamford House
Gutierez, José, Quentins Begleiter in Ferrol
Hepplewaith, Dr., Arzt in London
Katherine, 2. Zofe in Blamford House
Little, Rowland, Stallmeister in Blamford House
da Locarez, Maria Baptista, aus Bilbao, Quentins Tarnname
Mahmoud, Bürgermeister auf Gozo/Malta
Marquis de Picardie, Pierre Charles, Quentins Vater
Mathias, Bürgermeister Mellieha/Malta
Mc Pherson, Kontrolleur der Admiralität
North, Peter, Seilermeister in Gibraltar
Paul, Butler in Blamford House
Penningham, Simon, Proviantmeister Gibraltar
Peterson, Kapitän Hercules, Kommandant der Ferrol-Aktion
Mrs. Rutherford, Schneiderin in Dartford
De la Vallette, Gräfin Henriette, Zivilverwalterin Malta
Yvette + Matthew, Bristol, Tuchfabrikanten, Großtante von Quentin
Franzosen
Auriac, Maurice, Kapitän Handelsschiff Helene
Barroudin, Commodore vor Lorient
de Chateauroux, Pierre, 1800 Oberst auf Malta
Lazenby, Charles, übergelaufener Leutnant in franz. Marine wegen Lord Keith
Monteuill, Gaston, Leutnant auf Gozo
Poinconnet, General auf Malta
Andere
Fernandez, Enrico (Spanien), Capitán, Festungskommandant Ferrol
Kurakin, Alexander (Russland), Großfürst St. Petersburg
Laffitte (Russland), franz. Hauptmann in russischem Dienst
Lapuchin, Graf Iwan Wassilij (Russland), neuer russischer Gesandter in London
Repnis (Russland ), Großfürst, St. Petersburg
Quentins Schiffe
Toppsegelgaffelkutter »Swordfish«
7 Kanonen, nämlich 6 x 4-Pfünder-Kanonen, 1 x 24-Pfünder-Bugkarronade, 2 Swivels
Besatzung ca. 50 Leute
Glattdeckskorvette »Revolution«
16 Kanonen, nämlich 6 x 24-Pfünder-Karronaden, je 2 am Bug, 2 mittschiffs, 2 achtern
10 x 9-Pfünder-Langrohr-Kanonen, zusätzlich 4 Swivels
Besatzung ca. 100 Leute, 2 Leutnants, 2 Steuermänner, 1 Master, 1 Stück- und Pulvermeister
Historische Personen
Alexander I. (Romanow), 1777–1825
1801 Zar nach Ermordung seines Vaters Paul I.
1814 Hauptakteur beim Wiener Kongress zur Neuordnung Europas
Ball, Sir Alexander John, Commodore vor Malta, später dort erster Gouverneur
Eustache de Bruix, 1759–1805, französischer Admiral
1798–1803 in Brest
Cuthbert Lord Collingwood, 1748–1810 in Newcastle upon Tyne
1759 Eintritt in die Navy mit elf Jahren
1794 Admiral Howes Flaggkapitän in der Schlacht vor Finisterre (Glorious 1st of June).
1797 Schlacht St. Vincent (s. Nelson), 1799 Konteradmiral
1804 Vizeadmiral, 1805 2. Führungsschiff Trafalgar-Schlacht
1806 Oberkommando Mittelmeer, Nelsons Freund
Robert Lord Hawkesbury, vorher Jenkinson, 1770–1828
1801–1804 Außenminister, später andere Ministerien
Viscount Keith, vorher Sir George Elphinstone, 1746–1823
1793 Eroberung von Toulon, 1801 Oberkommando Mittelmeerflotte
1803 Oberkommando Nordseeflotte, 1812 Oberkommando Kanalflotte
Vizeadmiral der roten Flotte, Franzosenhasser
1817 heiratete seine Tochter den französischen Botschafter in London, einen früheren Adjutanten Napoleons, daraufhin enterbte er seine Tochter
Horatio Nelson, Viscount of Burnham Thorpe, * 29.09.1758 Burnham Thorpe, Norfolk
† 21.10.1805 Trafalgar, 1779 Kapitän
1794 Eroberung von Korsika (formal unter Adm. Lord Hood), dabei Verlust des r. Auges
1797 rettet er mit Capt. Collingwood die Schlacht am Kap St. Vincent durch eigenmächtiges Handeln
1797 Commodore, erfolgloser Versuch, Teneriffa zu erobern, dabei Verlust des r. Armes
1798 Konteradmiral, Schlacht am Nil, Zerstörung der franz. Flotte
1801 Vizeadmiral, Sieger Schlacht vor Kopenhagen
1805 Sieger Trafalgar. Alliierte span. und franz. Flotte besiegt. Dort Tod durch Gewehrkugel.
Sir Evan Nepean, 1753–1822
1795 erster Sekretär der Admiralität, 1812 Gouverneur von Indien
Sir Hyde Parker jun., Sohn von Admiral Sir Hyde Parker sen., 1739–1807
1776 Schlacht vor New York, 1801 Oberkommando Kopenhagen
Vizeadmiral der roten Flotte
William Pitt d. Jüngere, 1759–1806
1783–1801 und 1804–1806 Premierminister Tory-Regierung, sanierte Englands Finanzen und brachte mehrere Allianzen gegen Frankreich zusammen
James Saumarez, 1757–1836, 1st Baron of Saumarez, 1801 Konteradmiral d. Blauen Flotte
Höchster Rang: 1821 Vizeadmiral von Großbritannien
George John Spencer, II. Earl Spencer, Erster Lord der Admiralität 1794–1801 (Urahn von HRH Lady Diana, Princess of Wales †)
(Urahn von HRH Lady Diana †)
Earl of St. Vincent, vorher John Jervis, 1735–1823, geboren in Meaford
Schlacht am Kap St. Vincent 1797, zuletzt Admiral Of The Fleet
Erster Lord der Admiralität 1801–1804
Kurz nach dem Hellwerden betrat Quentin das Deck der Glattdeckskorvette »Revolution« und schaute auf die Gruppe Männer, die mit den letzten Vorbereitungen zum Auslaufen beschäftigt waren.
Die Sonne war noch nicht über dem Felsen von Gibraltar aufgegangen, und dennoch herrschte an diesem ersten Augusttag des Jahres 1800 schon eine solche Hitze, dass Quentin seine Uniformjacke auszog und über das Steuerrad hängte. Die Epaulette auf der linken Schulter glänzte leicht im Morgenlicht.
Er war mit Abstand der jüngste Commander, den die Navy je gehabt hatte. Erst in einigen Wochen würde er achtzehn Jahre alt werden. Nach seinem Abenteuer in Brest, wo er als Mädchen verkleidet die Absichten des französischen Admirals de Bruix ausspioniert und dann noch einen Brandsatz in ein Linienschiff geworfen hatte, sodass drei dicht beieinanderliegende Linienschiffe und ein Kutter abbrannten, konnten die Admiräle nicht umhin, ihn bereits nach einem halben Jahr als Fähnrich und somit weit vor dem regulären einundzwanzigsten Geburtstag zum Leutnant zu ernennen.
Dann hatte er den bewaffneten Kutter »Swordfish« übernommen und hatte an der französischen Mittelmeerküste eine Falle gelegt, in die er beinahe selbst hineingetappt wäre, denn statt der erwarteten Korvette waren nachts zwei gegnerische Fregatten aufgetaucht. Seine Flucht war jedoch offenbar so geschickt, dass die beiden Fregatten sich gegenseitig beschossen, danach auf Grund gerieten und kampflose Beute des Blockadegeschwaders wurden.
Kurze Zeit später wurde er direkt vor der Hafeneinfahrt von Toulon von der Korvette »Revolution« überrascht und hatte den Spieß umgedreht, indem er allen voran den Franzosen stürmte und als Prise nahm. In einer nächtlichen Aktion hatte er mit dem Kutter vor Tunis noch eine arabische Schebecke schwer beschädigt und zwei weitere versenkt, als sie Hilfslieferungen zu dem von den Franzosen besetzten und von den Engländern blockierten Malta bringen wollten.
Bei einem Besuch als Unterhändler auf der Insel war er verhaftet worden, weil man seine wahre Identität als emigrierter französischer Adliger erkannt hatte. Mit einem Linienschiff sollte er zu einem Prozess nach Frankreich gebracht werden, doch dieses Schiff war von dem Blockadegeschwader niedergekämpft und er selbst befreit worden.
Bei diesem Gefecht hatte sein Kutter schwere Beschädigungen davongetragen. Nach der Reparatur in der Werft von Dartford war er in dichtem Nebel mitten in die ausgebrochene Flotte vor Brest geraten. Er hatte die Flagge streichen müssen, später den Kutter zurückerobert, dabei aber einen Säbelstich erhalten, der ihm etliche Wochen Aufenthalt in dem Lazarett von Gibraltar bescherte.
In Gibraltar war er auch von den Admiralen Saumarez und Nelson zum Commander befördert worden, war aber wegen der Kapitulation nur durch Nelsons Eingreifen vom Kriegsgericht freigesprochen worden.
Wie üblich herrschte ein scheinbares Chaos an Bord, doch ihn störte das nicht, da er wusste, dass dies vor jedem Auslaufen der Fall war. Stolz blickte er hinauf in das System der Wanten, Stagen, Fallen, Brassen, Schoten und diverser anderer Leinen, die zur Bedienung dieses kleinen Dreimasters notwendig waren.
Die »Revolution« war jetzt sein Schiff. Sollte der französische Name bleiben? Er hatte sich lange Gedanken darüber gemacht. Doch da ihm kein Name eingefallen war, der ihm wirklich gefiel und in der Royal Navy noch nicht benutzt wurde, hatte er ihn so belassen. Außerdem konnte er so vielleicht in Zukunft ein Täuschungsmanöver mit französischer Flagge unternehmen, sollte dies notwendig sein.
Die Hälfte der etwa einhundert Männer an Bord war seine alte Kutterbesatzung, und er nickte etlichen vertrauten Gesichtern jetzt zu. Collins freute sich besonders. Er war Steuermann auf der »Swordfish« gewesen und durch Quentins Zuspruch zum Ersten und bisher einzigen Leutnant befördert worden.
Die andere Hälfte waren neue Freiwillige, die sich nach dem Presserummel um seine Person bei der Admiralität gemeldet hatten. Er war froh, dass seine Mannschaft nicht aus gepressten Leuten bestand. Manche Schiffe hatten viele Gefängnisinsassen als Besatzung, die das ohnehin schwere Leben an Bord durch Streitigkeiten noch schwieriger machten. Er hoffte, dass seine bewährten Männer die Neuen schnell einarbeiten würden.
Er blickte vom Achterdeck aus auf die schwarz glänzenden Kanonen. Als er das Schiff eroberte, hatte es sechzehn 6- und 9-Pfünder Kanonen. Er hatte bei Sir Nepean, dem Ersten Sekretär der Admiralität, zwei 24-Pfünder-Karronaden bestellt. Da die Werft in Deptford jedoch bestätigt hatte, dass die Sloop auch mehr tragen könnte, hatte man ihm sechs Stück geliefert. Dafür waren sechs 6-Pfünder entfernt worden, und auf nahe Entfernung konnte er so mit der Feuerkraft durchaus auch einer kleineren Fregatte gefährlich werden.
»Guten Morgen, Sir. In etwa einer Stunde können wir auslaufen. Ich fürchte allerdings, dass wir sie ganz unrevolutionär aus dem Hafen in die Seebrise schleppen müssen.«
Das war William Tascoe, der Zweite Leutnant der »Revolution«. Eigentlich war er noch Fähnrich und nur einige Monate älter als Quentin. Tascoe hatte ihn vor etwas über einem Jahr, als er völlig unerfahren als Fähnrich auf die Fregatte »Neptune« gekommen war, unter seine Fittiche genommen und ihm alles erklärt. Auf Quentins Wunsch hin war Tascoe von der Fregatte auf die Korvette gekommen und füllte dort die Position eines diensttuenden Leutnants aus. Sie waren in der Zeit auf der »Neptune« Freunde geworden, und Quentin hatte sich für seine Hilfe erkenntlich gezeigt, indem er ihm ein großes Darlehen gegeben hatte, um Tascoes Vater aus dem Schuldgefängnis auszulösen.
Bei Quentins Auftritten als Mädchen hatte sich William wohl in dieses zweite Ich seines jetzigen Kommandanten verliebt. Da Quentin nun sein Vorgesetzter war, schwenkte er sofort auf das förmliche Sir um, sobald sie Zuhörer hatten. Waren die beiden allein, so blieb es bei den vertrauten Vornamen.
»Danke, William. Sobald hier alles klariert ist, wollen wir die Boote zu Wasser lassen. Es ist zwar keine angenehme Temperatur, um mit den Booten sechshundert Tonnen zu schleppen, aber ich fürchte auch, dass es nicht anders geht.«
Nun trat Markham, der grauhaarige Master, zu Quentin. Er hatte das Verstauen des Proviants und der Wasserfässer beaufsichtigt.
»Guten Morgen, Sir. Wir werden auf See wahrscheinlich noch etwas umladen müssen. Ich kenne diese Korvette natürlich noch nicht, aber ich fürchte, dass sie so etwas zu buglastig ist. Dazu müssen wir erst ein paar Segelmanöver fahren, um zu sehen, wie sie sich verhält.«
Markham war entsetzt gewesen, als Quentin vor Brest seinerzeit den Kutter als Kommandant übernommen hatte, und er hatte befürchtet, dass dieser Halbwüchsige sie ins Verderben treiben würde. Zwischenzeitlich hatte er eine solch hohe Meinung von ihm bekommen, dass er Quentin mit Nelson gleichsetzte.
»Das werden wir sicher bei den ersten Wenden und Halsen feststellen. Wir sollten aber versuchen, mit der Munition und den Wasserfässern auszutrimmen. Mit je einer Karronade auf dem Vordeck, einer auf dem Mitteldeck und einer achtern ist die Kampfkraft am höchsten. Da möchte ich eigentlich nicht viel ändern. Aber lassen Sie uns abwarten, wie sie sich verhält.«
Der Master ging wieder nach vorne, um einigen der neuen Leute zu zeigen, wie Leinen richtig aufgeschossen wurden. Nun trat der Erste Offizier zu Quentin.
»Ich wollte gleich noch einen Matrosen mit der letzten Post zum Hafenamt schicken. Haben Sie noch Briefe, Sir? Ich hörte, dass übermorgen ein Postschoner nach England auslaufen soll.«
Collins bewährte sich in seiner Aufgabe ganz hervorragend, und Quentin war froh, dass ihm Collins Beförderung in den Offiziersrang gelungen war. Collins hatte nun schon einige Wochen Segelerfahrung auf diesem Schiff, und Quentin nahm sich vor, ihn in den nächsten Tagen noch zu mehreren Details zu befragen.
»Gut, dass Sie mich daran erinnern, Mr Collins. Ja, ich habe noch einige Briefe geschrieben. Ich hole sie sofort.«
Quentin nahm seine Jacke vom Steuerrad und ging in seine Kajüte. Er musste zwar den Kopf einziehen, aber im Vergleich zu der winzigen Kajüte auf der »Swordfish« erschien sie ihm wie ein Palast. In einer Ecke standen vier Kisten, die gut verschlossen waren. Darin befanden sich die Kleider von Elizabeth, seiner ersten Liebe, die so schnell durch den infamen Mord beendet wurde, dass sie eigentlich noch gar nicht begonnen hatte. Sofort tauchten in seinem Kopf wieder das liebe Gesicht und die unendlich blauen Augen der ermordeten Frau des Gouverneurs von Gibraltar auf, als er die Kisten betrachtete. Der Gouverneur hatte ihm diese Kisten mit Elizabeth’ Kleidern zukommen lassen, damit er bei eventuellen Auftritten als Spionin richtig gekleidet war.
Quentin warf einen kurzen Blick auf die Briefe. Der erste war an seinen Vater gerichtet. Der Marquis de Picardie war nach der französischen Revolution mit seiner Familie nach England emigriert, hatte dort Blamford House nahe Dartford gekauft und lebte seither auf seinen Gütern in der Karibik. Er hatte Quentin, der bis dahin als Mädchen aufgewachsen war, bei einem Englandbesuch zur Marine geschickt, um aus ihm, wie er es nannte, einen richtigen Mann zu machen. Den letzten Briefen seines Vaters hatte Quentin entnommen, dass er sich immer noch nicht recht damit abfinden konnte, dass sein Sohn offenbar halb männlich und halb weiblich war. Doch die Erfolge seines Sohnes machten ihn so stolz, dass er Ansätze von Toleranz zeigte.
In dem Brief an seine Mutter verschwieg Quentin, dass er so krank nach Gibraltar gekommen war, dass nur eine sofortige Notoperation sein Leben gerettet hatte. Die Gefangennahme und die Rückeroberung des Kutters hatte er in diesem Brief als ungefährliche Angelegenheit dargestellt.
Weiterhin hatte er einige Briefe an Freundinnen in Dartford und an Sir Nepean verfasst. Einen Brief wog er noch einmal in der Hand und überlegte, ob er ihn wirklich abschicken sollte. Er war an Dr. Shoobridge gerichtet, der ihn in Gibraltar behandelt hatte. Immer noch klopfte Quentins Herz, weil er sich offenbar in den Arzt etwas verliebt hatte. Das war erst wenige Wochen her. Shoobridge schien ihn zu mögen, weil er in Quentin wohl auch das hübsche Mädchen gesehen hatte. Doch der Arzt hatte ihm keinerlei Zeichen gegeben, dass Quentins aufwallende Gefühle erwidert wurden. So hatte Quentin ihm in dem Brief nur ganz allgemein gedankt.
Entschlossen nahm er den Packen Briefe und übergab sie an Deck dem Ersten Offizier.
Die Boote waren zu Wasser gelassen, und nachdem der Matrose aus dem Hafenamt zurückgekehrt war, kletterten die Rudermannschaften hinein.
Quentin nahm ein Fernrohr und suchte den spanischen Hafen Algeciras auf der anderen Seite der Bucht ab. Er sah, dass sich das Wasser in der Bucht kräuselte, also herrschte dort Wind, während der Hafen und die Reede vor Gibraltar im Lee des Felsens lagen. Sie mussten sich also beim Schleppen zur Südspitze der Halbinsel dicht unter Land im Schutz der Küstenbatterien halten. Es wäre fatal, wenn sich aus Algeciras ein schneller Kaperer oder ein Ruderkanonenboot mit Wind auf ihn stürzen würde, während die »Revolution« im Schlepp der Boote nahezu kampfunfähig war. Doch in dem Hitzeflimmern, das sich im Fernrohr noch verstärkte, konnte er keinerlei Aktivitäten der Spanier erkennen.
Er trat zu Markham.
»Wir wollen ablegen, Mr Markham.«
Sofort wurden nach Markhams Zuruf an die bereitstehenden Männer die Halteleinen losgeworfen, und die beiden Rudermannschaften legten sich ins Zeug. Unendlich langsam glitt nun der Bug der Korvette herum und zeigte schließlich genau nach Süden. Obwohl sich die Ruderer mächtig anstrengten, nahm die Korvette nur langsam Fahrt auf.
Der Rudergänger meldete Quentin fast keinen Steuerdruck. Sie brauchten fast eine Stunde, ehe sie die eine Meile bis zur Südspitze der Halbinsel zurückgelegt hatten, dann endlich spürten sie die nordöstliche Seebrise. Die Boote wurden wieder an Bord genommen und die Segel gesetzt. Aufmerksam hatte der Ausguck im Mast die ganze Zeit Ausschau nach feindlichen Schiffen gehalten.
»Wir gehen durch die Straße in den Atlantik, Mr Markham.«
Der Master schaute überrascht, genau wie die beiden Leutnants auf dem Achterdeck. Alle hatten erwartet, dass sie zu Lord Keith’ Blockadegeschwader vor Malta stoßen sollten.
Die gleiche Überraschung hatte Quentin gestern gespürt, als er seinen Befehl in der Hafenadmiralität erhalten hatte. Der Befehl war von Nelson ausgestellt, der vorgestern mit acht Linienschiffen ausgelaufen war, um die ausgebrochene französische Flotte zu suchen.
Quentin hatte nach der Rückeroberung des Kutters auf dem Weg nach Gibraltar Geschützfeuer vor La Coruña an der nordwestlichen Ecke Spaniens gehört. Die dortige kleine Blockadeflotte hatte, wie er zwischenzeitlich erfahren hatte, geringe Verluste erlitten, weil sie einem Gefecht gegen die Übermacht der Franzosen ausgewichen und danach zu Reparaturen nach England gefahren war. Doch wo waren die Franzosen?
Quentins Befehl lautete, nach Norden zu segeln und irgendwo vor der spanischen oder französischen Küste nach Nelson zu suchen und in seinem Geschwader als Aufklärer zu fungieren. Offenbar wollte Lord Keith ihn in seinem Geschwader nicht haben. Keith hatte alles darangesetzt, ihn durch das Kriegsgericht als Feigling zu brandmarken, weil er sich gegen zwei Fregatten und einem Linienschiff ergeben hatte, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Erst Nelson war es gelungen, die Kapitäne aus Keith’ Geschwader, die das Gericht bildeten, gegen ihren Chef umzustimmen und Quentin mit einem Lob für seine Entscheidung freizusprechen. Sicher würde Keith ihm diese Niederlage nachtragen.
Endlich gewannen sie freien Seeraum und konnten nun alle Segel setzen, um die mäßige Brise zu nutzen. Quentin schaute zu den afrikanischen Bergen, die im Dunst soeben erkennbar waren. Weit und breit war kein Segel zu erkennen, und so hielten sie sich dicht unter der spanischen Küste, um die Strömung vom Mittelmeer in den Atlantik zu nutzen. Schließlich nahmen sie einen nordwestlichen Kurs, der sie an Cádiz vorbei zum Kap St. Vincent führen würde. Nun hatten sie Seeraum und Gelegenheit, durch Segelmanöver das neue Schiff kennen zu lernen.
Es stellte sich schnell heraus, dass der alte Fuchs Markham mit seinem Verdacht der Buglastigkeit recht hatte, und so begann die Mannschaft, im Unterdeck Wasserfässer nach achtern zu räumen. Erneutes Wenden und Loggen ergab, dass sich das Schiff nun wesentlich angenehmer verhielt, besser durch den Wind ging und auch schneller wurde.
Nun setzte Quentin Geschützexerzieren an, um die neuen Leute möglichst schnell zu einer kampfkräftigen Einheit zusammenzuschweißen. Dazwischen gab er immer wieder Befehl, bestimmte Segel zu bergen und wieder zu setzen. Am Abend waren seine Leute zwar völlig erschöpft, aber die letzten Segelmanöver hatten schon viel besser geklappt als am Morgen.
In der folgenden Nacht ließ Quentin die Mannschaft noch einmal aufentern, alle Segel bergen und wieder setzen. Das ging noch sehr langsam, denn auch für die bewährte Mannschaft der »Swordfish« war die neue und wesentlich größere Takelage der Korvette noch ungewohnt. Deshalb hielt Quentin es für notwendig, die Leute so schnell wie möglich für alle Segelmanöver bei Tag und bei Nacht zu trainieren. Danach fand noch ein Geschützexerzieren bei Nacht statt. Dies war wichtig, da die meisten Gefechte mit dem Kutter nachts stattgefunden hatten.
Als die Männer danach müde die Kanonen wieder festzurrten, hielt er eine kurze Ansprache.
»Ich verspreche Ihnen, meine Herren, dass dies nicht der normale tägliche Drill wird, aber in Anbetracht der Möglichkeit, jederzeit auf einen starken Gegner zu stoßen, ist die Übung am Anfang für unser Überleben wichtig. Wir sind das kleinste voll getakelte Schiff in der Navy. Die meisten Feinde, auf die wir stoßen, sind größer und besser bewaffnet als wir. Wir können nur gewinnen, wenn wir schneller sind als der Gegner. Und dabei muss es egal sein, ob die Sonne scheint oder dunkle Nacht ist, ob Sie etwas sehen können oder blind im dichten Pulverdampf arbeiten müssen.«
Er blickte zwar bei den neuen Leuten in einige skeptische und übermüdete Gesichter, doch seine alte Mannschaft würde den Neuen schon erklären, dass Quentin kein Menschenschinder war.
»An Deck, zwei Segel Steuerbord voraus! Zwei Fregatten – scheinen englische zu sein!«, kam der Ruf aus dem Mastkorb. Das mussten die Aufklärungsfregatten des Blockadegeschwaders vor Cádiz sein. Kurz darauf stießen sie auf ein Linienschiff, auf dem sich der Commodore des kleinen Geschwaders befand.
Sie gingen bis auf Rufweite heran, doch der Befehlshaber konnte ihm keine neuen Informationen geben. So umrundeten sie das Kap St. Vincent und liefen mit Nordkurs an der portugiesischen Küste entlang.
Die Tage waren mit dauerndem Exerzieren angefüllt, und der Erfolg stellte sich bald ein. Vom ersten Trommeln des Befehls Klarschiff zum Gefecht! bis zur Bereitmeldung vergingen nur noch knapp zehn Minuten, und mit diesem Wert war Quentin zufrieden.
Nachdem die Männer den ganzen Tag in der Takelage und an den Kanonen gearbeitet hatten, veranstaltete er abends noch einen Tanzwettbewerb an Bord, und alle Männer sangen zum Klang der Fiedel eines Matrosen noch etliche Lieder. So fielen seine Leute zwar todmüde und erschöpft, aber auch zufrieden in ihre Hängematten. Auch zeigte sich, dass er die richtigen Leute zu Vorgesetzten gemacht hatte. Alle behandelten die Matrosen und Kanoniere mit der richtigen Mischung aus Härte und menschlicher Wärme, sodass das Strafbuch während dieser Tage leer blieb.
Nach einer Woche lief der Bordbetrieb weitgehend so, wie Quentin es erhofft hatte.
Wie jeden Morgen vor der Dämmerung in feindlichen Gewässern machte die Korvette gefechtsklar, um nicht durch feindliche Schiffe überrascht zu werden. Im ersten Licht wurde der Mann mit den besten Augen in den Mastkorb geschickt.
»An Deck! Mehrere Segel voraus! Scheint ein englisches Geschwader zu sein.«
Sie waren jetzt vor Ferrol in Galizien an der Nordwestecke Spaniens. Im Normalfall konnte es sich hierbei nur um Nelsons Flotte handeln. Dennoch vergegenwärtigte sich Quentin die Seekarte in seinem Kopf und überlegte sich einen Fluchtweg, falls es sich doch um feindliche Schiffe handeln sollte.
»An Deck! Es ist die englische Flotte! Das Flaggschiff setzt ein Signal!«
Sofort sprang Tascoe mit einem Fernrohr an das Schanzkleid und lief dann, um das Signalbuch zu holen.
»Es ist die ›Agamemnon‹, Kapitän Hardy und Vizeadmiral Nelson, Sir.«
»Setz unser Erkennungssignal, William«, sagte Quentin.
Kurz darauf zog ein Signalgast an einer Leine, ein Flaggenbündel stieg an der Rahnock hoch und entfaltete sich in dem stetigen Westwind.
»Flaggschiff bestätigt, Sir. Da kommt noch ein weiteres Signal.«
Der Leutnant hatte wieder das Fernrohr am Auge und blätterte dann wieder in dem Signalbuch.
»An uns, Sir. Eine Kabellänge in Lee des Flaggschiffs beidrehen.«
Markham und Collins gaben nun die notwendigen Befehle, um das Manöver vorzubereiten.
»Kommandant an Bord des Flaggschiffs kommen«, las Tascoe nun ein weiteres Signal vor.
Die »Revolution« passierte zwei Linienschiffe und drehte genau an der befohlenen Position in den Wind. Die Segel am Großmast wurden aufgegeit und die des Fockmastes backgebrasst. So hielten sich Vorschub und Bremswirkung die Waage, und die Korvette trieb wie alle anderen Schiffe des Geschwaders nur leicht nach Lee ab.
Schon vorher war die Gig klargemacht worden, und kaum kam das Schiff zum Stillstand, als auch schon das Boot abgefiert wurde. Die Rudermannschaft unter Führung des Stewards Sarson kletterte hinein, und durch ein Spalier von zwei Bootsmannsmaaten, die traditionell mit ihren Pfeifen ein Zwitscherkonzert anstimmten, trat Quentin durch die Fallreepspforte. Noch immer konnte er sich nicht daran gewöhnen, dass dieses Zeremoniell ihm als Kapitän galt.
Er nahm auf der Ducht der Gig Platz, und Sarson kommandierte: »An die Riemen. Pull!«
Die Gig schor weg von der Bordwand und nahm Kurs auf das Linienschiff. Dort wiederholte sich das Zeremoniell, nur dass hier mehr Maate standen und das Konzert noch durch zwei Trommeln verstärkt wurde.
Er wurde von Nelson in dessen Kajüte empfangen. Der Admiral hatte an seinem Schreibtisch gesessen und kam ihm entgegen. Freudig streckte Nelson ihm den linken Arm entgegen.
Quentin hatte ihn nun schon etliche Male getroffen, und trotzdem gab es ihm immer wieder einen Stich, wenn er den leeren rechten Ärmel des Geschwaderchefs sah. Einige handschriftliche Befehle von ihm waren nur schwer zu entziffern, da Nelson seit dem gescheiterten Versuch, Teneriffa zu erobern und der folgenden Amputation seines rechten Arms mit der ungewohnten linken Hand schrieb. Seine Schrift erinnerte Quentin an das Gekritzel eines jungen Schülers.
Eine leere Augenhöhle unter einer Augenklappe verborgen, strahlte ihn der Admiral mit dem verbliebenen Auge an.
Quentin schüttelte Nelsons Hand mit seiner linken.
»Guten Tag, Mylord!«
»Es freut mich, Quentin, dass Sie da sind. Möchten Sie einen Tee oder einen Kaffee? Ich weiß ja, dass Sie sich nichts aus Alkohol machen.«
»Danke, Mylord. Ein Tee wäre nicht schlecht.«
Nelsons Steward hatte seinen Satz mitgehört und verschwand sofort, um das gewünschte Getränk zu bereiten.
Zusammen mit dem Flaggleutnant und dem Kapitän standen sie in der geräumigen Kajüte. Nelson war gleich groß wie Quentin, und die beiden anderen Offiziere überragten sie um Haupteslänge. Hardy musterte die beiden, und ihm fiel auf, dass Quentin durch seine Verletzung und den wochenlangen Aufenthalt im Lazarett viel schmächtiger als sein Admiral war.
»Mr Quentin, ich habe mal wieder eine besondere Aufgabe für Sie. Sie können ablehnen, ohne dass ich Ihnen böse wäre. De Bruix hat nach dem Gefecht, das eigentlich gar nicht richtig stattgefunden hat, den Schwanz eingezogen und ist nach Brest zurückgelaufen. Er wollte die Spanier in Ferrol mitnehmen und ins Mittelmeer laufen. Doch anscheinend haben die Spanier sich geweigert, mit ihm zu segeln, und ihm wohl auch keine Hoffnung gemacht, dass sich die kleine Flotte in Cádiz anders entscheiden würde. So ist er unverrichteter Dinge wieder heimgesegelt. Vielleicht hatte er ja zu dem Zeitpunkt noch gehofft, dass der ganze Flottenverband zumindest einen Kutter erobert hätte, und mit diesem grandiosen Erfolg in der Tasche könnte er Boney unter die Augen treten.«
Die ganze Gruppe brach in Lachen aus.
»In Ferrol liegen sechs spanische Linienschiffe, die hier natürlich immer eine Gefahr für unsere Schiffe auf dem Weg nach Süden darstellen.«
Die Offiziere begaben sich nun zu dem großen Tisch, auf dem eine Karte ausgebreitet war. Nelson zeigte auf die Hafeneinfahrt von Ferrol.
»Dieser natürliche Hafen ist sehr gut befestigt. Wie ein Fjord ragt er tief ins Land hinein, und am Ende dieses Einschnitts liegt Ferrol mit Hafen und zwei Werften. Vorher, nämlich hier, verengt er sich auf etwa fünfhundert Yards, und auf beiden Seiten liegen befestigte Batterien. San Felipe auf der Nordseite und A Palma Castle gegenüber. Wir wissen, dass die Spanier nachts an beiden Seiten Feuer anzünden, und durch den Lichtschein ist kein Durchkommen möglich. Ein Bootsangriff oder ein direkter Angriff auf den Hafen scheiden also aus. Meine Überlegung ist nun, hier am Kap Priorino …«, Nelson zeigte auf das Ende der Landzunge auf der nördlichen Seite der Einfahrt in die Bucht, »… hier also eine größere Streitmacht zu landen. Die sollen dann etwa zwei Meilen auf San Felipe Castle vorrücken und danach das Fort nehmen. Von dort könnten wir dann auf drei Kabellängen Entfernung A Palma Castle auf der anderen Seite beschießen, bis es sich ergibt. Ist das erfolgt, können die Schiffe gefahrlos in den Hafen, und wir können die gegnerischen Schiffe entweder versenken, verbrennen oder kapern. Für die ganze Aktion stehen uns insgesamt wahrscheinlich nur ein oder zwei Tage zur Verfügung. Danach dürfte es den Spanien gelingen, genügend Soldaten aus Coruña oder der Umgebung heranzuholen. Bis die eintreffen, müssen wir wieder weg sein.«
Nelson schaute Quentin erwartungsvoll an.
»Das dürfte machbar sein, Mylord. Und welche Aufgabe hatten Sie für mich vorgesehen?«
Nelson zögerte.
»Wir kennen die Lage der beiden Befestigungen und haben eine ungefähre Vorstellung von der Größe des Forts San Felipe. Um es aber zu erobern, müssten ein paar Vorbereitungen getroffen werden. Wir wissen nicht, wie lang die Leitern sein müssen. Wir wissen nicht, wie die Forts innen aussehen. Und da dachte ich, nun, also – ich hatte mir vorgestellt, dass Sie vielleicht dieses Fort auskundschaften könnten.«
Das war es also. Er sollte sich wieder einmal mutterseelenallein im Feindesland aufhalten und seinen Kopf riskieren. Würde er erkannt, so würde er sofort durch eine Gewehrkugel sterben oder er würde an Frankreich ausgeliefert, wo die Guillotine auf ihn wartete.
»Mr Quentin, ich weiß, dass ich wieder einmal mehr erwarte, als ich verlangen darf. Sie kennen das schon, Sie haben eine halbe Stunde Bedenkzeit.«
Doch im Gegensatz zu damals in Gibraltar stand Quentins Entschluss sofort fest, und er beschäftigte sich schon mit den Einzelheiten.
»Die brauche ich nicht, Mylord. Ich werde mich nach Ferrol begeben. Aber ich möchte diesmal nicht alleine gehen. Gibt es in dem Geschwader jemanden, der gut Spanisch spricht, vielleicht sogar einen Galizier?«
Nelson schaute seinen Flaggleutnant fragend an, doch der zuckte nur ratlos mit den Schultern.
»Wir werden kurzfristig versuchen, das herauszufinden, Mr Quentin.«
»Ich bräuchte spanisches Geld, Mylord.«
»Das haben wir, Mr Quentin. Wenn sie nicht so viel wollen, dass Sie die Festungen kaufen könnten«, scherzte der Admiral.
»Für wann ist der Angriff geplant, Mylord?«
»In der Nacht zum 25. August ist Neumond und um Mitternacht auflaufende Flut, das wäre der ideale Termin.«
Also etwas mehr als zwei Wochen, dachte Quentin bei sich.
»Ich werde mich sofort an die Vorbereitung machen, Mylord. Bitte lassen sie mich wissen, wenn Sie jemanden gefunden haben, der Spanisch spricht.«
Quentin verließ das Flaggschiff und nahm kaum noch wahr, was um ihn herum passierte. Zu sehr gingen ihm schon Einzelheiten seiner Landung durch den Kopf, die er beachten musste.
An Bord holte er Markham, Collins und Tascoe in seine Kajüte und berichtete ihnen über den Auftrag, den er erhalten hatte. Alle machten bedenkliche Gesichter wegen der Gefahr, der er sich aussetzen wollte. Doch Einwände schnitt er mit den Worten ab, dass er Nelson bereits seine Zusage gegeben habe.
Am Nachmittag kam ein Matrose einer Begleitfregatte an Bord, meldete sich bei Quentin und stellte sich als José Gutierez vor. Der Mann war etwa fünfzig Jahre alt und stammte aus Vigo, der südlichsten Stadt Galiziens. Er erzählte Quentin, dass er vor etlichen Jahren auf einem spanischen Linienschiff gewesen war, als dieses von den Engländern gekapert wurde.
»Um einer langen Gefangenschaft zu entgehen, habe ich mich für die Royal Navy verpflichten lassen. Über den bevorstehenden Auftrag bin ich grob informiert. Wir sollen die beiden Forts vor El Ferrol erkunden. Der Kapitän hat mir zugesagt, dass ich danach aus der Navy nach Spanien entlassen werde. Darüber hinaus hat man mir auch noch Geld angeboten, wenn ich mich in die Gefahr begeben würde.«
Den Rest des Tages saßen beide in Quentins Kajüte zusammen und überlegten auf Spanisch, wie sie diesen Auftrag mit dem geringsten Risiko ausführen könnten.
Quentin ging kurz an Deck. Der Himmel war mit Wolken verdeckt, im Idealfall könnten sie also in dieser Nacht, obwohl fast Vollmond war, an Land. Es herrschte leichter Nordwind bei wenig Seegang. Quentin ging wieder in die Kajüte und holte Collins und Markham zu den weiteren Planungen dazu.
»Die Gig der ›Revolution‹ soll jede zweite Nacht ab eine Stunde nach Mitternacht am Kap Priorino für etwa zwei Stunden warten, um uns abzuholen oder Nachrichten zu empfangen. Falls jedoch am Ufer ein Feuer angezündet wird, soll sie in derselben Nacht kommen. Mr Collins, bitte setzen Sie zum Flaggschiff über, um spanisches Geld zu holen, und informieren Sie den Admiral, dass wir bereits in dieser Nacht an Land gehen. Und Mr Gutierez braucht einige Kleider aus unserem Vorrat, die ihn nicht sofort als Seemann verraten. Aus dem gleichen Grund müssen Sie, Mr Gutierez, Ihren Zopf opfern.«
Das rief zwar einigen Protest bei dem Spanier hervor, aber er sah ein, dass dies typische englische Marinemode war und er damit sofort auffallen würde. Danach begann Quentin, sich selbst herzurichten.
Für diese Aufgabe waren Elizabeth’ Kleider eigentlich viel zu elegant. Er suchte sich das schlichteste von allen, ein einfaches buntes Sommerkleid, heraus. Dann richtete er seine Haare her. Zusammen mit einem roten Hut und einer kleinen Tasche stellte er sich vor den Spiegel. Die Tasche war viel zu edel, stellte er fest.
Der Segelmacher erhielt die Aufgabe, ihm schnellstens einen einfachen Leinenbeutel herzustellen, eine einfache Weste und für beide einfache, rohe Segeltuchschuhe.
Als die Sachen fertig waren, war Quentin mit seinem Aussehen zufriedener. Nun entsprach er eher einem Bauernmädchen als einer eleganten Dame.
Sie rollten noch zwei Wolldecken zusammen, in die Quentins Pistole mit Pulver und Kugeln sowie zwei Dolche eingerollt wurden, und umwickelten sie so mit Bändern, dass sie die Decken auf dem Rücken tragen konnten. Aus der Bilge wurde noch ein Weidenkorb geholt.
Collins kam vom Flaggschiff zurück, übergab Quentin eine gute Summe spanisches Geld und wünschte von Nelson viel Glück.
Kurz vor Mitternacht nahmen sie Kurs auf die Küste. Gutierez und er hatten noch ein üppiges Abendessen eingenommen, und der Koch hatte ihnen etwas Speck und Brot eingepackt. Etwa eine Meile vor der Landzunge drehte die Korvette bei, und die Gig wurde zu Wasser gelassen.
Als Quentin von Bord gehen wollte, hatten sich die Bootsmänner für das Zeremoniell der Pfeifen aufgestellt, und Quentin konnte gerade noch verhindern, dass das Pfeifkonzert die Spanier warnen würde.
Sarson hatte den Bootskompass abgedunkelt und hob von Zeit zu Zeit die Abdeckung leicht an, um die Richtung zu erkennen. Wenige Yards vom steilen Ufer entfernt ruderten sie am Ufer entlang, bis sie einen Sandstrand fanden.
Quentin vereinbarte mit Sarson diese Stelle als Treffpunkt.
Sie kletterten aus dem Boot an Land, und sofort legte die Gig wieder ab. Nun waren sie auf sich selbst gestellt.
Quentin atmete tief durch, als er den Geruch eines Pinienwaldes roch. Sie stiegen das steile Ufer hinauf und fanden einen Weg, der am Ufer entlangführte und dahinter auf einem Plateau auf einen Pinienwald zu, den Quentin am Ufer gerochen hatte. Sofort hatte ein Schwarm Mücken sie gefunden, und immer wieder schlugen die beiden nach den unsichtbaren Quälgeistern.
Sie gingen einige Schritte in den Pinienwald hinein, bis Quentin glaubte, dass sie vom Weg aus nicht mehr gesehen werden konnten, falls am frühen Morgen jemand dort entlanggehen würde. Dann rollten sie die Decken aus. Quentin legte die Dolche und die schussbereite Pistole unter den Leinenbeutel. Sie vereinbarten, dass sie Stunde um Stunde abwechselnd schlafen wollten.
Quentin übernahm die erste Wache, und der Spanier schlief sofort ein. Er musste ihn aber mehrfach wecken, weil der Mann so laut zu schnarchen begann, dass Quentin fürchtete, dass man ihn meilenweit hören würde. Er wollte sich auch nicht darauf verlassen, dass Gutierez wirklich Wache halten würde, und so ließ er ihn einfach schlafen und wachte für den Rest der Nacht.
Endlich wurde es im Osten hell. Jetzt erst weckte er seinen Begleiter und gönnte sich selbst noch etwas Schlaf. Die Sonne stand schon gut über dem Horizont, und so musste es etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang sein, als sie aufstanden und ihre Sachen zusammenpackten.
Vorsichtig traten sie aus dem Wald heraus. Niemand war auf dem Weg, und so traten sie an den Rand des steilen Ufers, um sich die Stelle genau einzuprägen, damit sie den Strand später wiederfanden.
Quentin blickte auf die See hinaus, und weit entfernt erkannte er die Segel des Geschwaders. Die »Revolution« lag etwa drei Meilen entfernt beigedreht. Dort draußen war seine Sicherheit.
Auf was hatte er sich da nur wieder eingelassen? Er gab sich einen innerlichen Ruck weg von diesen Gedanken, und sie gingen zum Weg zurück. Quentin brach noch zwei Pinienzweige ab und legte sie als Markierung in das Gras neben dem Weg. Dann folgten sie dem Weg hin zum Kap. Davor machte der Weg einen Linksknick, und kurz darauf sahen sie die Ria de Ferrol, den schmalen Einschnitt und die beiden Forts zu beiden Seiten. Auf der Anhöhe des Kaps stand ein kleiner Wachtturm, doch nirgendwo waren Soldaten.
Quentin schätzte den Weg auf etwa zwei Meilen. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Sie kamen an einem kleinen Gehöft vorbei, das einen verlassenen Eindruck machte. Der Weg führte nun leicht talwärts, und Quentin vermutete, dass er an der Landseite des Forts San Felipe entlangführen würde.
Unterwegs übten sie, wie sie miteinander reden wollten. Gutierez sollte Quentins Vater spielen, und sie übten die Anrede Papa und Maria. Immer wieder kam der Drill der Royal Navy durch, und der Matrose musste sich zusammenreißen, seine Begleiterin nicht mit Capitán oder Sir anzureden.
Schließlich führte der Weg direkt am Ufer entlang, und sie näherten sich dem imposanten Festungsbauwerk.
San Felipe war etwa in Trapezform auf einer breiten Halbinsel erbaut. Quentin schätzte die Länge der Seemauer und der beiden Seitenmauern zum Wasser hin auf etwa jeweils 150 Yards. Auf allen Mauern zusammen standen sicherlich etwa zwanzig Kanonen. Wahrscheinlich handelte es sich um schwere Festungskanonen, die 44-Pfünder und mehr verschossen. Da die Ria de Ferrol hier nur etwa drei Kabellängen breit war, war ein Vorbeischießen praktisch unmöglich. Der Admiral hatte recht. Die beiden Festungen könnten jede einlaufende Flotte in Stücke schießen, ohne dass eine echte Gegenwehr möglich wäre.
Die Ufer vor den Seemauern stiegen etwa zehn Yards steil an, und ab da ragten Mauern etwa acht Yards hoch. Auf der Mauerkrone waren breite Schießscharten, und an den Ecken standen verspielt wirkende Türmchen.
Zum Land hin war die Festung offenbar weniger gut gesichert. Hier gab es nur eine kleine Mauer von etwa drei Yards Höhe. Dieses Fort war rein zur Verteidigung der Hafeneinfahrt gebaut, und Quentin erkannte beim Näherkommen, dass zur Landseite hin keine Kanonen zu sehen waren.
Nun gingen sie an der landseitigen Mauer entlang. An einem Mast über dem Eingangstor, das etwas höher gebaut war als die Mauer und mit einem schweren quadratischen Holztor von vielleicht fünf Yards Seitenlänge verschlossen werden konnte, wehte träge die spanische Flagge.
Sie blieben nur kurz stehen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und schauten in das Innere der Festung. Hinter dem Tor lagen einige Gebäude, und eine breite Gasse führte auf einen Innenhof zu. Nun gingen sie weiter, und nach einer halben Stunde erreichten sie die ersten Häuser der Stadt Ferrol.
Auf der Reede vor der Stadt sah Quentin nun sechs Linienschiffe und eine Fregatte vor Anker. Alle hatten die Segel untergeschlagen und schienen zum sofortigen Auslaufen bereit. Vor der Stadt waren mehr Menschen unterwegs als auf dem einsamen Weg hierher, überwiegend Bauern, die mit ihren Landprodukten zum Markt unterwegs waren.
Gutierez und Quentin fielen nicht auf, da sie genau wie die Bauern gekleidet waren. Sie folgten den Einheimischen und erreichten den Markt. Dort kauften sie diverse Früchte und Gemüse ein, steckten alles in den Weidenkorb und begaben sich wieder zurück zum Fort San Felipe. Vor dem offenen Tor standen zwei Wachsoldaten. Sie näherten sich ihnen fröhlich lachend. Die Soldaten verstellten ihnen den Weg in das Fort.
»Wunderschönes Gemüse und frische Früchte und heute besonders billig«, sagte Gutierez.
»Ich habe kein Geld«, sagte einer der Wachsoldaten.
»Wer seid Ihr? Ich kenne Euch nicht«, brummte der andere missmutig.
»Pedro Lopez, Bauer aus Confurco. Das ist meine Tochter Maria. Wir waren noch nie hier, aber wir hatten auch noch nie so tolle Früchte wie heute.«
»Sicher möchte doch der Kommandant ein paar von unseren wunderbaren Äpfeln. Das sind die süßesten aus der ganzen Gegend«, sagte Quentin und schaute den Soldaten mit einem verführerischen Augenaufschlag an.
»Wartet hier«, sagte der missmutige Soldat und ging in das Tor hinein. Durch eine seitliche Tür betrat er eine Wachstube.
Quentin flirtete durch Blicke derweil mit dem anderen Wachsoldaten und schaute sich das Tor von Nahem an. Es war ein einflügeliges Tor, das nun offen stand. Im Mauerwerk des Rahmens war eine Öffnung, offenbar wurde innen ein Querriegel vorgeschoben, wenn das Tor geschlossen war. Eine kleine Tür befand sich nicht in dem großen Holztor, es musste komplett geöffnet werden, um jemanden hereinzulassen. Aber es gab eine kleine Klappe, durch die sich der Wachtposten mit einem draußen Stehenden unterhalten konnte. Sie war jedoch zu klein, um hindurchkriechen zu können.
Nach wenigen Augenblicken kam der Soldat wieder aus der Wachstube heraus und brachte einen weiteren Wachsoldaten mit.
»Versucht Euer Glück mal in der Küche«, meinte er. »Dieser Soldat wird Euch begleiten.«
Nun traten sie durch das Tor und folgten dem Soldaten. Quentin drehte sich noch einmal um und lächelte den Soldaten an. Dabei stellte er fest, dass das Tor aus etwa fünf Zoll dicken Eichenbalken bestand. Direkt an die Mauer angebaut war eine Reihe Gebäude. Sollte man von außen mit Leitern die Mauern besteigen, so würde man auf die Dächer der Anbauten gelangen.
Quentin versuchte, sich alles einzuprägen.
Nun gingen sie durch eine Gasse zwischen Häusern, offenbar die Unterkünfte der Besatzung des Forts, und kamen schließlich zu dem großen Innenhof. An den drei Seeseiten führte jeweils eine Treppe hoch zu breiten Wehrgängen unterhalb der Mauerkrone, die mit stabilen Eichendächern gegen Beschuss und Wetter geschützt waren, und dort sah Quentin die riesigen Festungskanonen.
»Können die wirklich schießen?«, fragte er lachend den Soldaten und zeigte auf die Kanonen.
»Und wie! Du solltest das mal erleben. Der Kanonendonner ist bis nach Madrid zu hören.«
Das bezweifelte Quentin zwar, aber gegenüber dem Soldaten spielte er die Ahnungslose.
»Wirklich? Ich habe zu Hause in Confurco schon mal den Donner gehört, aber das ist ja auch nur eine Stunde Weg von hier. Zeigst du mir mal die Kanonen? Von da oben muss man doch einen tollen Blick auf die See haben.«
Der Soldat schaute sie skeptisch an und überlegte. Nun hatten sie den Eingang zur Küche erreicht, und der Soldat holte den Koch heraus. Als der kam, zeigte Gutierez ihm, was er alles in dem Korb hatte, und begann ein Feilschen um die Ware.
Quentin wiederholte seine Frage.
»Zeigst du mir mal die Aussicht von da oben? Bitte!«
Offenbar war das gegen die Vorschrift, doch die Aussicht, mit diesem Mädchen eine Zeit allein zu sein, ließ ihn weich werden. Nach kurzer Überlegung nahm er Quentins Hand und geleitete ihn die Treppe hinauf, die zur Seeseite des Wehrgangs führte.
In den Türmchen oberhalb der Mauerecken waren Wachsoldaten, und einer blickte mit einem Fernrohr auf die See hinaus.
Oben zeigte der Soldat Quentin die erste Kanone. Neben der Kanone waren Kugeln aufgestapelt, und Quentin schätzte das Geschossgewicht auf etwa sechzig Pfund. Zur Hofseite hin sah er neben der Treppe etwas, was er zuerst für einen Backofen gehalten hatte.
»Backt ihr Brot hier oben?«, fragte er den Soldaten. Der lachte laut los über diese Frage.
»Nein, Mädchen. Hier werden die Kugeln glühend gemacht.«
Das war es. Jetzt erkannte Quentin auch den Sinn der eisernen Wägelchen, die neben der Esse standen. Damit wurden offenbar die glühenden Kugeln von der Esse zu den Kanonen transportiert und dort unmittelbar vor dem Schuss mit Zangen in die Kanonen gehoben. Solche Kugeln zerbrachen beim Aufprall auf ein hölzernes Schiff in mehrere Teile, und sofort entstanden mehrere Feuer an Bord. Selbst intensives Löschen brachte dann wenig, und das Schiff war unrettbar verloren.
»Verbrennt man sich dabei nicht die Finger?«, wollte Quentin naiv wissen, brach aber sofort in Begeisterungsrufe aus, als er durch die Maueröffnung hinausblickte und die schmale Meerenge sah, die nach Ferrol hineinführte.
»Oh, ist das schön hier oben!«, rief er, bückte sich und beugte sich durch die Stückpforte vor. Er war sich nicht bewusst, welchen Anblick er damit dem Soldaten bot, und der reagierte schnell. Während Quentin aus der Stückpforte nach unten schaute, um die Höhe der Mauer zu schätzen, hob der Soldat sein Kleid an und fasste ihm an die Beine und den Po. Blitzschnell schlug Quentin seine Hand weg und stellte sich wieder neben den Soldaten.
»Nein, mein Lieber. So haben wir nicht gewettet. Die Aussicht sollte für mich sein und nicht für dich.«
Dabei lächelte er jedoch den Soldaten an, um ihm zu zeigen, dass er nicht sehr böse war. Er wollte nicht, dass sich die Situation verschärfte, und so gab er ihm nur einen freundschaftlichen Klaps auf seine Hand. Einige Soldaten, die an den Nachbarkanonen hantierten, um sie anzustreichen, lachten und feixten, und so bekam der Soldat nur einen leicht roten Kopf.
Plötzlich nahmen die Soldaten Haltung an.
»Achtung, da kommt Capitán Fernandez«, raunte einer der anderen Soldaten Quentins Begleiter zu. »Jetzt gibt es Ärger!«
Ein Offizier war die Treppe heraufgekommen. Auch Quentins Begleiter salutierte. Fernandez heißt er also, dachte Quentin bei sich, zwang sich zu einem unbekümmerten, fröhlichen Gesicht und sagte: »Guten Tag, Herr Offizier.«
Der kümmerte sich jedoch nicht um Quentin, sondern brüllte seine Soldaten an, was ihnen einfiele, ein Mädchen hier heraufzulassen.
Quentin wollte nicht abwarten, bis sich der Offizier richtig in Wut redete, sondern ging zu ihm hin, legte seinen Arm auf die Hand des Kommandanten und schaute ihn mit großen Augen an.
»Bitte, Señor. Seien Sie Ihren Leuten und mir nicht böse. Ich hatte nicht vor, diese Burg zu erobern, sondern mir nur einmal diese Kanonen aus der Nähe anzuschauen. Ich höre den Donner manchmal, und dieser liebe junge Soldat da war so nett, sie mir zu zeigen. Bei uns im Dorf erzählt man sich, dass der Kommandant ein sehr feiner Herr wäre, der nett zu seinen Leuten ist. Bitte, bitte, nicht böse sein.«
Damit war ihm der Wind aus den Segeln genommen, und der Offizier schaute ihn leicht lächelnd an. Er nahm Quentins Hand und hauchte einen Kuss darauf.
»Capitán Enrico Fernandez.«
»Maria Lopez aus Confurco. Danke, dass ich Sie einmal kennen lernen durfte, Capitán. Ich werde im Dorf erzählen, dass Sie wirklich ein feiner Herr sind.«
»Wenn wir so netten Besuch haben, ist es mir eine Ehre, Señorita Lopez«, sagte der Offizier verlegen. »Es tut mir leid, aber jetzt muss ich Sie bitten, diese Nichtnutze da nicht mehr bei der Arbeit zu stören.«
Er nahm Quentins Hand und geleitete ihn die Treppe hinab.
Quentin zog ihn zur Küchentür hin. Dort war Gutierez offenbar mit dem Koch handelseinig geworden.
»Capitán, das ist mein Vater.«
Der Offizier nickte Gutierez zu und der verbeugte sich vor ihm.
»Es ist mir eine Ehre, Señor«, sagte er leise. »Wir müssen nach Hause, das Vieh wartet. Und danke für Ihre Freundlichkeit.«
Wieder hauchte Fernandez einen Kuss auf Quentins Hand, und sie verließen das Fort. Die Tarnung hatte bestens geklappt. Ein Bauer, der Gemüse verkauft, und seine Tochter als Begleiterin schienen so harmlos, dass niemand Verdacht schöpfte. Und wenn das Mädchen noch gut aussah, dann öffneten sich wohl alle Türen.
Sie liefen den nun ansteigenden Weg an der Küste entlang, kamen zum Kap Priorino und folgten dem Weg, bis Quentin den Pinienzweig im Gras fand. Sie gingen an den Sandstrand hinunter und setzten sich in den Sand. Etwa zwei Meilen entfernt erkannte er die »Revolution« beigedreht vor der Küste.
Mit einem Holzstock malte Quentin einen Plan der Festung in den Sand, um sich alles noch einmal genau einzuprägen, während Gutierez den Speck und das Brot hervorholte.
»Hier, nimm etwas«, sagte er in einem Ton, wie es auch ein Vater seiner Tochter sagen würde. Er hatte sich offenbar so an die junge Dame und die Tarnung gewöhnt, dass er nicht mehr den Commander in Quentin sah. Der wollte die schauspielerischen Leistungen seines schweigsamen Gefährten nicht über Gebühr strapazieren und beließ es dabei.
Quentin schaute sich den einfachen Mann an. Gutierez ging – wie er selbst auch – ein ungeheures Risiko ein. Würde man sie fassen, so würden sie nicht als Kriegsgefangene behandelt, sondern als Spione erschossen oder würden in der Garotte sterben. Als Quentin ihn danach fragte, war der Spanier erst einmal sehr schweigsam, doch dann erzählte er.
»Der Hauptgrund ist für mich nicht das Geld, sondern dass ich meine Heimat Vigo und meine Familie wiedersehen kann. Ich habe meine Frau und meine Kinder nun schon viele Jahre nicht mehr gesehen. Die wissen nicht einmal, ob ich überhaupt noch lebe.«
Aus jedem seiner Worte hörte Quentin Heimweh und Liebe zu seiner Familie.
Als sie Pferdehufe auf dem Weg hörten, wischte Quentin schnell seine Sandzeichnung aus, und sie legten sich zwischen einige Büsche an der Böschung zum Weg hinauf. Das Geräusch der Hufe entfernte sich in Richtung zum Kap. Sie hatten den Speck und das Brot gegessen, doch Quentin hatte immer noch Hunger.
»Es wäre schön, wenn wir jetzt Fische fangen könnten«, seufzte er.
Gutierez langte in seine Tasche und holte eine Angelleine mit einem Haken hervor. Dabei grinste er über das ganze Gesicht. Sie suchten ein paar Würmer, und der Spanier kletterte auf einen Felsen im Wasser. Dort warf er die Leine aus.
Quentin stieg auf den Weg hinauf und suchte in dem Pinienwald, in dem sie geschlafen hatten, nach Holz. Mit einem riesigen Bündel kam er zurück.
Gutierez hatte zwei mittelgroße Fische gefangen. Sie bauten aus Holz ein kleines Gestell und steckten die Fische auf einen Stab. Nach kurzer Zeit brannte das Feuer, und sie rösteten die beiden Fische. Schmatzend aß sein Begleiter den Fisch; auch Quentin aß den Fisch, obwohl er nicht schmeckte.
Als er zur »Revolution« schaute, hatte sie ein Flaggensignal gesetzt. Gemeinsam versuchten sie zu erkennen, welche Flaggen da wehten, und kamen zu dem Ergebnis, dass dieses Signal nur einfach »Nacht« bedeuten müsste. Also hatte man ihn wahrscheinlich mit einem Fernrohr von Bord aus erkannt und signalisierte, dass die Gig der »Revolution« diese Nacht kommen würde.
Für alle Fälle wollten sie in der Nacht das Feuer brennen lassen, und so legte Quentin immer noch etwas Holz nach, um es in der Nacht nicht wieder entzünden zu müssen. Sie bauten einen Sandwall um das Feuer, damit es nur von See her zu sehen war, und deckten es nach oben hin mit einer Decke ab.
Die Stunden zogen sich anscheinend endlos hin, und es dunkelte, als sie wieder einen Reiter auf dem Weg hörten. Dieses Mal jedoch ritt er nicht vorbei. Das Hufgeräusch verstummte direkt oberhalb von ihnen auf dem Weg.
Quentin griff sich die Decke, in der seine Pistole und die Messer eingerollt waren, und versteckte sich seitlich in den Büschen.
Ein Unteroffizier erschien oben am Wegrand und betrachtete das Feuer und Gutierez, der am Feuer sitzen geblieben war.
»Was machen Sie da?«, rief er.
»Nichts, wie sie sehen, Sargento.«
Der Soldat kletterte die Böschung herab und zog seinen Säbel. Mit der Säbelspitze stieß er den Korb um, doch darin war nichts. Skeptisch blickte er auf den Sandwall um das Feuer und dann wieder auf Gutierez.
»Wer sind Sie, und was machen Sie hier?«
»Ich bin José Lopez aus Confurco und habe geangelt.«
»Warum ist hier der Sandhaufen um das Feuer?«
»Wegen des Windes. Ich will nachher noch einmal angeln und Fische braten.«
Der Soldat schaute immer noch skeptisch und entdeckte jetzt die Spuren im Sand, die zu dem Gebüsch führten. Er überlegte einen Moment, ob er in dem Gebüsch nachschauen sollte, und beschloss, lieber doch kein Risiko einzugehen. Er drückte die Säbelspitze auf Gutierez Brust und befahl: »Mitkommen!«
Quentins Begleiter stand auf.
»Los, vorwärts!«, kommandierte der Soldat und zeigte mit der freien Hand zum Weg hinauf.
Gutierez war keine zwei Schritte vorausgegangen, als Quentins Schuss fiel und der Sergeant zusammensackte.
Quentin sprang aus seiner Deckung, und gemeinsam untersuchten sie den Soldaten. Er röchelte und hielt sich den Bauch, wo ihn die Kugel getroffen hatte. Sie ließen ihn am Strand liegen und gingen auf den Weg. Das Pferd war bei dem Schuss weggelaufen, und sie sahen es etwa zweihundert Yards entfernt grasen. Gemeinsam fingen sie es ein und liefen mit ihm bis kurz vor das Kap, wo sie es in einem kleinen Wald festbanden. Sie nahmen zwei Sattelgurte und gingen zurück zu dem Verletzten. Es war nun vollständig dunkel.
Sie fesselten den Soldaten, steckten ihm einen Knebel in den Mund und zogen ihn seitlich zu den Büschen, wo Quentin sich vorhin versteckt hatte.
Quentin schätzte, dass es etwa zwei Stunden vor Mitternacht war. Also noch drei Stunden, bis die Gig der Korvette sie abholen würde.
Würde man den Soldaten vermissen? War er auf einer routinemäßigen Patrouille oder auf dem Heimweg gewesen, als er den Rauch des Feuers gesehen oder gerochen hatte? Quentin überlegte, ob er das Feuer löschen oder es als Landmarkierung für die Gig brennen lassen sollte. Er versuchte, mit der Wange die Windrichtung zu erkennen.
Der Wind war allmählich umgeschlagen, und es wehte eine leichte Landbrise. Also würde der Rauch des Feuers auf See hinausgetrieben.
Er entschloss sich, es brennen zu lassen, und legte noch etwas Holz nach. Sie rissen einige Büsche ab und legten sie auf die Decke, damit das Feuer von oben nicht direkt zu sehen war. Wieder dehnte sich die Zeit endlos.
Quentin lud seine Pistole nach und überprüfte im Schein des Feuers, ob genug Zündpulver auf dem Schloss war.
Es war kurz vor Mitternacht, als sie auf dem Weg Stimmen hörten. Offenbar kam dort eine größere Menge Männer entlang, und am Lichtschein sah er, dass sie Fackeln dabeihatten.