John Sinclair 1970 - Daniel Stulgies - E-Book

John Sinclair 1970 E-Book

Daniel Stulgies

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Beschreibung

Aus der Dunkelheit beobachtete der Troll die Kinder. Alles hatte perfekt geklappt. Endlich würden die leeren Jahre ein Ende finden. In Gedanken kniete er bereits vor seinem Gebieter, um ihm die frohe Kunde zu überbringen.

Schwerfällig verschwand er in dem Tunnel, der auf direktem Weg ins Heiligtum führte. Dort angekommen, warf er sich vor seinem Meister in den Staub.

"Herr!", rief er laut. "Ein Pakt wurde geschlossen! Es ist besiegelt!"

Dann hielt er inne und erwartete sehnsüchtig die Reaktion seines Herrn ...

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Geschöpfe der Nacht

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Firstear

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2870-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Geschöpfe der Nacht

von Daniel Stulgies

Willard schlug die Augen auf, es war mitten in der Nacht. Ein unheimliches Wispern erfüllte den winzigen Raum, den er sich mit einem anderen Mann teilen musste. Er starrte auf den Lattenrost über seinem Kopf.

Der Spinner da oben war ihm von Anfang an komisch vorgekommen. Irgend so ein Junkie, der die meiste Zeit im Bett verbrachte und vor sich hin vegetierte.

Willard musste plötzlich daran denken, dass er den Typen noch nie eine Mahlzeit hatte einnehmen sehen. Es schien fast, als sei er mit dem Bett verwachsen. Einer von der ganz stillen Sorte, weshalb es Willard jetzt umso mehr wunderte, dass der Kerl ausgerechnet jetzt anfing, wirres Zeug von sich zu geben …

Willard spürte die Wut in sich hochkochen. Dieselbe Wut, die ihn sein ganzes Leben begleitet und von einem Schlamassel ins nächste geführt hatte.

Er ballte die Fäuste. In Gedanken sah er sich immer wieder auf den kleinen Mistkerl einprügeln. Allein der Gedanke, zurück in den Knast zu müssen, hielt ihn davon ab. Er war jetzt seit zwei Monaten draußen, und auch wenn die Dinge momentan nicht so liefen wie gewünscht, war er wenigstens nicht eingesperrt. Andererseits durfte er sich von dem Spinner auch nicht auf der Nase herumtanzen lassen.

»Jetzt halt endlich die Klappe!«

Als das Gemurmel weiterging, schlug Willard so fest gegen den Lattenrost, dass dieser splitterte. »Meine Fresse, hörst du nicht? Ich will schlafen!«

Er kletterte ungelenk aus dem Bett und richtete sich auf. Mit seinen Einsachtundachtzig war er ein ernst zu nehmender Gegner. Jemand, dem man besser mit Respekt begegnete.

Da er seinen Zimmernachbarn im Halbdunkel nicht richtig ausmachen konnte, schaltete er das Licht ein. Der Idiot hockte halbnackt im Schneidersitz da. Die Augen fest verschlossen, wippte er mit vor der Brust verschränkten Armen vor und zurück und murmelte dabei zusammenhangloses Zeug.

Wie in Trance, schoss es Willard durch den Kopf. Aber damit ist jetzt Schluss!

Er packte den Spinner an der Schulter und wollte ihm gerade mit der flachen Hand eine verpassen, als die Welt um ihn herum in Dunkelheit versank. Willard keuchte erschrocken auf. Plötzlich befand er sich nicht mehr in dem viel zu kleinen, abgehalfterten Zimmer, sondern in einer Höhle. Von irgendwoher sickerte ein wenig Licht ins Innere, was es ihm erlaubte die rätselhafte Umgebung genauer zu betrachten. Schroffer, grauer Fels, wohin er auch blickte.

Ein grässliches Kratzgeräusch ließ ihn herumfahren. Im Zwielicht, weniger als zwei Meter von ihm entfernt, richtete sich eine riesenhafte Gestalt auf. Ein Monstrum von grotesker Hässlichkeit.

Willards Gesichtszüge entglitten ihm. Er wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Im Vergleich zu diesem Ungeheuer wirkte er wie ein Kind. Starr vor Schreck musste er mit ansehen, wie es auf ihn zuschritt, es die Klauen nach ihm ausstreckte, um ihn zu packen, um ihn in Stücke zu reißen …

Doch bevor es dazu kam, fand er sich erneut an einem anderen Ort wieder. Dieses Mal in einem von rotem Licht gefluteten Raum. Unfähig, zu begreifen, was mit ihm passierte, taumelte er wie ein betrunkener vorwärts. Unsichtbare Hände tasteten nach ihm und versuchten, ihn festzuhalten. Sie klammerten sich an ihn, hinderten ihn daran, wegzukommen. Willard verstand, dass er eine Hölle nur gegen eine andere, sehr viel schlimmere, eingetauscht hatte. In seiner Verzweiflung schlug er um sich, schrie dabei wie am Spieß und setzte sich, so gut er konnte, gegen seine unsichtbaren Angreifer zur Wehr.

Der Wahnsinn endete abrupt. Plötzlich befand er sich wieder in dem Zimmer, wo der Höllentrip seinen Anfang genommen hatte. Seine schwielige Hand lag noch immer auf der Schulter des Junkies. Dieser war mittlerweile erwacht und starrte ihn ausdruckslos an.

»Was hast du mit mir gemacht?«, stammelte Willard und versuchte sich an den Namen des Mistkerls zu erinnern. Eine der Sozialarbeiterinnen hatte ihn mal erwähnt. »Jetzt sag schon!« Er wollte noch etwas hinzufügen, als die grauen Augen seines Gegenübers sich rot verfärbten. Sie schienen sich mit Blut zu füllen.

»Das passiert nicht wirklich …« Willard stolperte rückwärts, bis er den Fenstergriff im Rücken spürte. »Es ist nicht echt!«

»Es ist so echt wie deine Angst«, sagte der Rotäugige.

»Was soll das heißen?«

»Es soll heißen, dass ein paar ereignisreiche Tage bevorstehen …«

Als die Haut des Mannes an zahlreichen Stellen aufplatzte, verdrängte die Panik endgültig jegliche Vernunft aus Willards denken. Ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden, riss er das Fenster auf und stürzte sich aus dem zweiten Stock. Einen Lidschlag vor dem Aufprall fiel ihm der Name des Mitbewohners wieder ein.

***

Die Arme auf der Fensterbank ruhend, beobachtete Ian McCoy den Abtransport seines ehemaligen Mitbewohners. Der Mann hatte den Sturz überraschenderweise überlebt. Nur ein winziges Ärgernis in einer Reihe von weitaus schwerwiegenderen Problemen.

Bei einem davon handelte es sich um den verfluchten Yardbeamten und seinen chinesischen Freund. Die beiden waren ihm schon einmal in die Quere gekommen, und wenn er der letzten Vision vertraute, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass es dieses Mal ähnlich ablaufen könnte.

Nachdenklich strich er sich über die wiederhergestellte Illusion eines menschlichen Gesichts und blickte dem sich rasch entfernenden Krankenwagen hinterher.

Einen Fluch auf den Lippen, wandte Ian sich wieder nach drinnen und legte sich ins Bett. Eigentlich benötigte er keinen Schlaf, und nachdem er die letzten tausenddreihundert Jahre in einer eisernen Jungfrau hatte verbringen müssen, war ihm das auch ganz recht. Andererseits liebte er die Stille der Nacht. Sie half ihm dabei, seine Gedanken zu ordnen.

Die Ereignisse würden sich schon sehr bald überschlagen. Ihm blieben zwei Optionen. Entweder er hielt sich weiter im sicheren Schatten, oder er zog den Plan vor und riskierte aufgrund seines noch immer geschwächten Zustands seine Vernichtung.

Letztendlich fiel seine Wahl auf die zweite Option. Bislang war die Suche nach seinem Erzfeind, dem Geschichtenerzähler, ergebnislos geblieben. Es wäre töricht gewesen, jene Spur, die ihn nach London geführt hatte, zu ignorieren. Ian musste dem Geisterjägerduo nur zuvorkommen. Mit ein wenig Glück, überlegte er weiter, würden andere Kräfte ihm rechtzeitig in die Hände spielen und Sinclair lange genug ablenken.

***

Als Jenna den silbergrauen Mercedes, der neben ihr zum Halten kam, registrierte, verzogen sich ihre dunkelroten Lippen zu einem erwartungsvollen Lächeln. Sie stöckelte zur Beifahrerseite und wartete, bis der potentielle Kunde die Scheibe herunterkurbelte. Anschließend beugte sie sich vor. Dass ihr dabei beinahe die Brüste aus dem engen Top rutschten, war beabsichtigt. Die Männer sollten ruhig sehen, was sie an ihr hatten.

»Was kann ich denn Schönes für dich tun?«, fragte sie und musterte gleichzeitig ihr Gegenüber. Der Typ gehörte zum älteren Semester, was aber keine Seltenheit war. Rentner waren in der Regel unkompliziert.

»Ich bin mir nicht sicher …«, stotterte der Alte. »Wissen Sie … ich war noch nie bei einer …« Er suchte nach dem richtigen Wort.

»Professionellen?«

»Genau.« Er lächelte unbeholfen. »Wissen Sie, meine Frau ist vor einem Jahr verstorben und ich …« Er brach ab. »Ich glaube, das hier war eine dumme Idee. Vielleicht sollte ich einfach weiterfahren und die Sache ganz schnell wieder vergessen.«

»Aber nicht doch. Ich bin mir sicher, dass Ihre Frau dafür Verständnis aufbringen würde. Außerdem ist ein Jahr eine lange Zeit. Sie waren lange genug allein. Es wird Zeit, dass sie mal wieder auf andere Gedanken kommen.« Jenna lächelte ihm aufmunternd zu »Also?«

Der alte Mann erwiderte ihr Lächeln schüchtern und entriegelte die Beifahrertür. Beim Einsteigen rutschte Jennas knapper Rock hoch. Sie kicherte und strich sich dabei über die schneeweißen Beine. »Ich weiß ein nettes Plätzchen, wo wir ganz ungestört sind.«

»Sie wollen es hier im Auto tun?« Der alte Mann wirkte entsetzt.

»Klar, wo denn sonst?«

»Ich dachte nur …« Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Na ja, dass wir zu mir fahren. Ich denke nicht, dass es hier im Auto besonders bequem ist, und der Gelenkigste bin ich leider auch nicht mehr.«

Jenna unterdrückte ein Schnauben. So viel also zum Thema unkompliziert. »Wo wohnst du denn?«

Er nannte ihr eine Adresse, mit der sie nichts anfangen konnte. »Das ist in Chiswick«, fügte er auf ihren irritierten Blick hinzu.

Jennas Laune besserte sich schlagartig. Chiswick gehörte zu den exklusiveren Wohngegenden Londons. Wer sich dort was leisten konnte, musste verdammt gut betucht sein. Wenn sie es richtig anstellte, würde sie es später bestimmt nicht bereuen, dem Wunsch des Alten nachgekommen zu sein.

»Also schön …«, sagte sie, »aber du musst mir versprechen dich wie ein Gentleman zu benehmen.«

»Natürlich.« Der Alte fuhr sich durch das schlohweiße Haar und setzte ein nervöses Lächeln auf. »Alles, was Sie möchten.«

»Sag bitte Jenna zu mir.«

»Okay … »

Sie sah ihn auffordern an.

»Äh … Wesley … ich heiße Wesley.«

»Und wegen der Bezahlung …«

»Es soll besonders werden«, unterbrach er sie. »Geld spielt keine Rolle. Du wirst es nicht bereuen.«

Im Gegensatz zu dir, schoss es Jenna durch den Kopf. Der alte Narr würde in der Tat eine besondere Nacht erleben. Allerdings anders, als von ihm geplant.

***

Es war weit nach Dienstschluss. Ich saß an meinem Schreibtisch und verfasste gerade den Bericht zu unserem letzten Fall. Dass es abends mal länger wurde, war ich gewohnt. Dämonen kannten schließlich auch keinen Feierabend.

Während ich in die Tasten haute, blätterte Suko in einem alten Manuskript, dass bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt worden war. Dabei machte er sich immer wieder Notizen. Die vergilbten Seiten hatten sich im Besitz eines Sektenführers befunden, der gemeinsam mit seinen Jüngern Selbstmord hatte begehen wollen. Einundzwanzig Leben um ein Haar ausgelöscht, hätte die besorgte Schwester eines Jüngers nicht die Polizei informiert. Am Ende war nur eine Person gestorben. Nämlich der Sektenführer selbst, als er auf der Flucht vor der Polizei unter die Räder eines Autos geraten war.

Suko fluchte leise vor sich hin.

»Was gefunden?«, hakte ich nach.

»Nichts, was wir nicht schon wussten. Das Manuskript besteht aus alten, herausgerissenen Bibelseiten, von denen jede einzelne mit dutzenden und aberdutzenden Anmerkungen versehen wurde. Alles ziemlich konfus, wenn du mich fragst.«

»Denkst du, er paktierte wirklich mit irgendwelchen finsteren Mächten?«

Suko zuckte mit den Schultern. »Dem Gekritzel nach zu gehen, eher nicht, und dein Kreuz hat sich bei Kontakt mit den Seiten ja auch nicht geregt.«

»Also nur ein armer Irrer …« Ich wollte mich bereits wieder dem Bericht widmen, als Glenda an der Tür erschien.

Sie machte einen müden, leicht erschöpften Eindruck. Das miese Wetter und die anhaltenden Überstunden zerrten nicht nur an Sukos und meinen Nerven. »Besuch für euch, John.«

»Jetzt noch?«

»Scheint wichtig zu sein. Zumindest sagt er das.« Sie warf einen unsicheren Blick über ihre Schulter und flüsterte dann schnell: »Ehrlich gesagt ist er mir nicht ganz geheuer.«

Suko und ich tauschten einen schnellen Blick. Nachdem es Sarket vor nicht allzu langer Zeit gelungen war, in die Archive des Yards einzudringen, waren wir besonders auf der Hut. Der Feind schien neuerdings größere Risiken einzugehen.

»Du kannst ihn ruhig reinschicken«, sagte ich zu Glenda. Ich lächelte ihr aufmunternd zu. »Und mach dann bitte Feierabend.« Mir war es lieber, sie war aus der Schusslinie, auch wenn sie das ihrem Blick nach zu urteilen anders sah.

Als unser abendlicher Gast kurz darauf durch die Tür trat, konnte ich Glendas Misstrauen gut nachvollziehen. Blutunterlaufene Augen, ein struppiger ungepflegter Bart, eine hässliche Narbe die quer über sein Gesicht verlief, sowie der Geruch von Rauch und Alkohol, den er mit sich brachte, weckten wenig Sympathien. Der Mann schien geradewegs einem billigen Kriminalroman entsprungen zu sein. Er blickte zwischen Suko und mir hin und her.

»Man hat Sie mir empfohlen«, sagte er an uns beide gerichtet. »Soll heißen, ihre feinen Kollegen wollten sich nicht mit mir abgeben und haben mich schnurstracks zu Ihnen geschickt.«

»Worum geht es denn?«, hakte ich nach.

»Ich zeig es Ihnen …« Er zog eine zerfledderte Mappe hervor. »Sie würden mir einen Riesengefallen tun, wenn sie hier mal einen Blick hineinwerfen. Ehrlich, ich würde drei Kreuze machen und eine Kerze für sie anzünden. Beten würde ich natürlich auch.« Er drückte mir die Mappe in die Hand und wartete, dass ich sie öffnete.

Suko stand mittlerweile neben seinem Schreibtisch und ließ unseren Gast nicht aus den Augen. »Wie heißen Sie überhaupt?«

»Hab ich glatt vergessen … Ziemlich unhöflich, ich weiß, aber irgendwann bleiben die guten Manieren einfach auf der Strecke.« Er lächelte schief. »Nennen Sie mich Pater Franklin.«

»Pater?«

»In Liverpool hatte ich eine kleine Gemeinde. Ist schon was her …«

Ich schlug die Mappe auf. Der Inhalt setzte sich aus Statistiken und Namenslisten zusammen. Auf den ersten Blick nichts Spektakuläres.

»Lassen sie sich ruhig Zeit«, bemerkte Franklin.

Das tat ich. Beim Durchgehen der einzelnen Seiten fiel mir auf, dass sie nach Städten, bestimmten Stadtteilen und Jahreszahlen geordnet waren. Liverpool, dann zwei Orte die mir nichts sagten, dann Birmingham und schließlich London. Alles in allem umfassten die Aufzeichnungen einen Zeitraum von vier Jahren. Die Namen irritierten mich etwas, weil oftmals die Nachnamen fehlten oder nur Abkürzungen verwendet worden waren. Hinter jedem Namen stand ein anderes Datum.

»Diese Menschen …«

»Siebenundachtzig, wenn Sie es genau wissen wollen«, fügte er trocken hinzu. »Ermordet von einem Monster. Und keine Sau interessiert sich dafür. Und es sind vermutlich mehr. Viel mehr …«

***

Das Haus war das letzte am Ende der Straße. Ein zweistöckiger Altbau inmitten eines verwilderten Gartens. Wesley parkte den Wagen in der Garage. Er wartete, bis sich das automatische Tor hinter ihnen geschlossen hatte, und führte Jenna anschließend in das imposante Wohnzimmer. Von der Decke hing eine ausladende, goldene Hängeleuchte, die alles in ein warmes Licht tauchte. Die antiken Möbel mussten ein Vermögen gekostet haben.

»Gefällt es dir?«, fragte Wesley unsicher.

»Ich finde es traumhaft.« Jenna gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mich kurz im Bad frisch machen gehe?«

Nachdem er sie ins nicht minder beeindruckende Bad geführt hatte, schloss sie hinter sich ab, kramte ihr Handy aus der Handtasche und rief Brendan an. Das Gespräch dauerte nur wenige Sekunden. Um keinen Verdacht zu erregen, betätigte sie im Anschluss die Toilettenspülung. Während das Wasser zurück in den Spülkasten rauschte, holte sie ein Brillenetui aus ihrer Handtasche. Sie klappte es auf und holte eine mit einer bläulichen Flüssigkeit gefüllte Spritze hervor. Nach einem prüfenden Blick, verstaute sie die Spritze in einem der äußeren Fächer ihrer Handtasche.

»Ich hoffe, er beeilt sich«, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu.

Die Blondine zog ihren Lippenstift nach, kontrollierte ihre Frisur und probte ein letztes Mal ihr süßestes Lächeln.

Als sie jedoch die Tür öffnete, erstarb dieses Lächeln. Im Flur war es plötzlich stockfinster geworden. Gleiches galt für das Badezimmer. Während sie nach dem Lichtschalter tastete, verspürte sie ein nervöses Kribbeln im Nacken, das sich verstärkte, als klar wurde, dass offensichtlich der Strom ausgefallen war.

»Wesley?« Das Bad lag in der Mitte eines langen Flures. Jenna wandte sich nach links, weil dort das Wohnzimmer lag. »Wesley? Siehst du mal bitte nach dem Sicherungskasten?«

Als Jenna keine Antwort erhielt, biss sie sich auf die Unterlippe. Sie holte ihr Handy hervor und knipste die Taschenlampe ein. Als sie kurz darauf das Wohnzimmer betrat, war von Wesley nichts zu sehen. Allmählich bekam sie es mit der Angst zu tun. Was, wenn der Stromausfall gewollt war?

»Wesley?« Unsicher stöckelte sie in die Küche. »Was soll der Scheiß?« Egal, welchen Lichtschalter sie drückte, es blieb dunkel. »Hör mal, so war das nicht abgemacht! Wenn du auf so einen kranken Mist stehst, dann bitte schön, aber ohne mich, okay?«

Normalerweise war Jenna nicht leicht aus der Fassung zu bringen, aber was auch immer hier vor sich ging, es gefiel ihr ganz und gar nicht.

Das ist es nicht wert, dachte sie und entschied sich, zu verschwinden. Dieser Spinner konnte sie mal kreuzweise!

Jenna wollte gerade zur Haustür, als sie von hinten gepackt und mit solcher Wucht gegen den Kühlschrank geschleudert wurde, dass ihr für eine Sekunde schwarz vor Augen wurde.

»Verdammtes Schwein …«, fauchte sie benommen.

Das Handy war heruntergefallen. Einen weiteren Angriff erwartend hob sie schützend die Hände vor Gesicht und Bauch. »Wenn du mich jetzt gehen lässt, verspreche ich dir, niemandem was zu sagen, einverstanden?« Sie blickte sich gehetzt nach allen Seiten hin um, konnte in der Finsternis aber nichts ausmachen. »Ehrlich! Ich verspreche es!« Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte sie Richtung Wohnzimmer. Von dort aus wollte sie zur Haustür.

Bereits nach wenigen Schritten, wurde sie an den Haaren herumgerissen und erneut gegen den Kühlschrank geschleudert.

»Ich werde niemandem was verraten!«

»Natürlich wirst du das nicht«, flüsterte Wesley im Dunkel.

Gleichzeitig öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Tür. Durch den Spalt sickerte rötliches Licht in die Küche.

»Ich schwöre, ich werde nichts sagen!« Jenna nestelte panisch an ihrer Handtasche. Als ihre zitternden Finger sich um die Spritze schlossen, riss sie diese in einer schnellen Bewegung hervor und stach kreischend nach ihrem Peiniger. Zu ihrem Leidwesen zerschnitt sie dabei aber nur Luft. »Du verdammtes Drecksschwein! Wo bist du?«

In ihrer Verzweiflung stieß die Spritze immer wieder vor und zurück. Sie hoffte auf einen Glückstreffer. Als dieser ausblieb, trieb ihr die Enttäuschung Tränen in die Augen.

Am Ende entriss Wesley ihr die Spritze mit solcher Leichtigkeit, dass sie es erst merkte, als er ihr die Nadel gegen die pochende Kehle drückte.