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Müde sah Ian den Pferden dabei zu, wie sie sich über das Heu hermachten. Es waren kränkliche Tiere, unter deren Fell sich die Knochen abzeichneten. Ihre Besitzer ließen sich im Gasthaus seines Vaters gerade volllaufen.
Als Ian merkte, wie seine Lider sich senkten, schüttelte er den Kopf, um wach zu bleiben. Anschließend griff er sich einen der herumstehenden Eimer und verließ mit schlurfenden Schritten den Stall in Richtung Brunnen.
Auf dem Weg dorthin warf er einen Blick zu den Fenstern des Gasthauses, ohne zu ahnen, welches Grauen sich dort anbahnte ...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Worte des Grauens
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/breakermaximus
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1630-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Worte des Grauens
von Daniel Stulgies
Mercia, 722 n. Chr
Müde sah Ian den Pferden dabei zu, wie sie sich über das Heu hermachten. Es waren kränkliche Tiere, unter deren Fell sich die Knochen abzeichneten. Ihre Besitzer ließen sich im Gasthaus seines Vaters gerade volllaufen.
Als Ian merkte, wie seine Lider sich senkten, schüttelte er den Kopf, um wach zu bleiben. Anschließend griff er sich einen der herumstehenden Eimer und verließ mit schlurfenden Schritten den Stall in Richtung Brunnen.
Auf dem Weg dorthin warf er einen Blick zu den Fenstern des Gasthauses, ohne zu ahnen, welches Grauen sich dort anbahnte …
Das Gelächter der Betrunkenen erfüllte die Nacht. Trotz der Kälte war Ian froh über seine Aufgabe. Lieber kümmerte er sich um die Pferde der Gäste als um die Gäste selbst.
Nachdem er den Brunnen erreicht hatte, befestigte er den Eimer am Seilzug und ließ ihn hinab. Seine Arme schmerzten, während er den vollen Eimer hochzog. Er fühlte sich bereits seit einigen Tagen schwach. Ein Umstand, den er auf die schlaflosen Nächte zurückführte. Mittlerweile schauderte es ihn bei dem Gedanken, zu ruhen.
Sein Vater und seine Geschwister verstanden das nicht. Für sie war Schlaf etwas Schönes. Eine Belohnung für die harte Arbeit, die sie jeden Tag verrichteten. Der einzige Mensch, dem Ian sich anvertrauen konnte, ohne mit Hohn und Spott überschüttet zu werden, war seine Mutter. Sie verstand ihn, wie es sonst keiner tat.
»Was treibst du hier draußen?«, wurde eine Stimme hinter ihm laut.
Ian fuhr vor Schreck zusammen. Das Seil rutschte ihm aus der Hand, und kurz darauf war ein lautes Platschen zu hören.
»Na toll …« Er drehte sich zu seinem Bruder um. Brian war zwei Jahre jünger, aber fast einen Kopf größer als er selbst. »Warum musst du dich auch so anschleichen?«
»Ich bin nicht geschlichen«, entgegnete Brian trotzig. »Ich kann doch nichts dafür, wenn du nicht aufpasst.«
»Sollst du nicht die Gäste bedienen?«
»Mutter meinte, ich soll mal nach dir sehen. Heute ist viel los. Vater kommt kaum mit dem einschenken nach. Die Leute sind spendabel.«
»Und je mehr sie trinken, desto spendabler werden sie.« Ian gähnte laut.
»Hast du wieder schlecht geschlafen?«
»Bei deinem lauten Schnarchen ist das kein Wunder. Geh wieder rein, und sag Mutter, dass ich gleich nachkommen werde.«
»Du hast wieder diese Träume gehabt«, vermutete Brian. Als Ian verärgert das Gesicht verzog, sah er sich in seinem Verdacht bestätigt und hakte nach. »Wovon hast du dieses Mal geträumt?«
»Das geht dich nichts an.«
»Wieder von der Riesenschlange?«
»Nein.«
»Dann von dem Würfel?«
Ian wandte sich wieder dem Seil zu und holte den Eimer hoch. Dabei versuchte er, nicht nur die Bilder des letzten, sondern auch aller übrigen Träume auszublenden. Er bereute es, seinem Bruder jemals davon erzählt zu haben. Für ihn war das alles nur ein Spiel. Der Dummkopf begriff einfach nicht, dass Ian jede Nacht aufs Neue Todesängste ausstehen musste.
»Geh lieber wieder rein, und hilf unseren Eltern«, riet er Brian.
Der dachte nicht daran, auf seinen älteren Bruder zu hören. Der Elfjährige war nicht nur größer, sondern auch kräftiger als Ian, der ihm bei Raufereien immer unterlag.
Mühselig schleppte Ian den bis zum Rand mit Wasser gefüllten Eimer in den Stall. Brian trottete neben ihm her und löcherte ihn weiter mit Fragen.
»Verrätst du es mir, wenn ich dir beim Tragen helfe?« Als Ian ihn ignorierte, griff er nach dem Henkel und hinderte seinen Bruder am Weitergehen. »So machen wir es, ja?«
»Nein! Und jetzt lass los!« Ian zerrte am Eimer. »Bist du taub?«
Brian ließ den Eimer so plötzlich los, dass Ian ins Straucheln geriet und den halben Inhalt verschüttete.
»Idiot!« Ian wollte ihm gerade das verbliebene Wasser ins Gesicht schütten, als er die Angst in den Augen seines Bruders bemerkte. »Was hast du?«
Ein Räuspern ließ ihn herumfahren.
Keinen Meter von ihm entfernt stand ein alter, abgemagerter Gaul. Die stumpfen Augen des Pferdes schienen durch ihn hindurch zu sehen. Als wäre es blind. Das Fell war von Räude gezeichnet und vernarbt.
Der auf dem Rücken des Tieres sitzende Mann betrachtete die beiden Jungen nachdenklich. Er war von hochgewachsener, schlaksiger Gestalt. Seine Augen strahlten in einem intensiven Blau. Sie pulsierten vor Leben, während der Rest von ihm einen ausgemergelten Eindruck machte. Die Wangen waren eingefallen, die Haut blass.
Seit er denken konnte, hatte Ian im Gasthaus ausgeholfen. Im Laufe der Jahre war er so einer Vielzahl von Menschen begegnet. Aber eine solche Augenfarbe war ihm noch nie untergekommen.
»Bitte entschuldigt.« Der Fremde stieg vom Pferd. »Ich wollte euch nicht erschrecken.«
Ian öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, aber Brian kam ihm zuvor: »Mich haben Sie nicht erschreckt. Meinen Bruder vielleicht schon, aber mich nicht.«
Ian ärgerte sich über die vorlaute Art seines Bruders. Er hätte ihn zurechtweisen können, ließ es aber bleiben, weil er fürchtete, Brian könnte ihn vor dem Fremden bloßstellen.
»Ob ich mich wohl drinnen etwas aufwärmen kann?« Der Mann zeigte mit seinen langen, dünnen Fingern zu der Gaststätte. »Eine kleine Mahlzeit würde mich sicher vor dem Hungertod bewahren. Zumindest vorübergehend.«
»Können Sie denn bezahlen?«, wollte Ian wissen.
Ihm war der zerschlissene Umhang des Mannes aufgefallen. Sein Vater hatte seinen Geschwistern und ihm eingebläut, dass es klüger war, einen Bettler fortzujagen als ihm ein Almosen zu geben. Ansonsten lief man nämlich Gefahr, dass sie immer wieder kamen.
»Ich werde natürlich für alles aufkommen.«
»Mit klingender Münze?«, hakte Ian nach.
Der Mann schüttelte den Kopf. »So etwas trage ich nicht bei mir.«
»Wie wollen Sie dann für alles aufkommen?«
»Indem ich meine Dienste anbiete.«
»Sind Sie Handwerker?«, schaltete Brian sich wieder in die Unterhaltung ein. »So sehen Sie eigentlich nicht aus«, fügte er stirnrunzelnd hinzu.
»Ich bin Geschichtenerzähler. Münzen gibt man irgendwann aus und erhält sie nie mehr zurück. Aber eine gute Geschichte …« Der Mann lächelte. »Die behält man sein Leben lang.«
Die Augen der Jungen leuchteten vor Begeisterung auf.
Brian stürmte ins Wirtshaus, um seinen Vater über das Anliegen des Geschichtenerzählers zu informieren.
Ian blieb zurück. »Soll ich ihr Pferd anbinden gehen?«, fragte er und wollte bereits die Zügel des Pferdes ergreifen, als er irritiert innehielt.
Das Tier zeigte keinerlei Regung. Es stand nur so da und starrte ins Leere. Es schien seine Umgebung überhaupt nicht wahrzunehmen, und das war noch nicht mal das Merkwürdigste …
Ian brauchte ein paar Sekunden, ehe er begriff. Als er endlich merkte, was mit dem Tier nicht stimmte, bescherte ihm nicht nur die Erkenntnis, sondern auch die Stimme des Geschichtenerzählers eine Gänsehaut.
»Ein treuer Gefährte ist in diesen Zeiten Gold wert.«
Wie auf ein geheimes Zeichen trottete das Pferd in Richtung Wald.
Ian sah ihm nach und sortierte dabei seine chaotischen Gedanken. Es atmet nicht, hörte er sich im Geiste immer wieder sagen. Das Fleisch und die Muskeln unter dem Fell waren so starr wie bei einem Kadaver.
Als Ian sich wieder umwandte verschwand der Geschichtenerzähler gerade durch die Tür ins Innere des Gasthauses. Ian war sich sicher, dass der Mann eine Sekunde zuvor noch bei ihm gestanden hatte. Der Junge fühlte sich unwohl. Er hätte genauso gut einen seiner Albträume haben können. Der Mann mit den Saphiraugen und sein untotes Reittier.
***
London, Gegenwart
Es war bereits nach Mitternacht, also weit nach Geschäftsschluss, als Roger Wyndham die Tür zu seinem Antiquitätengeschäft aufschloss. Der vertraute Geruch von Staub und altem Holz stieg ihm in die Nase. Er liebte diesen Laden. Auch wenn er längst nicht mehr so viele Kunden anlockte, wie noch vor einigen Jahren.
Zum Glück war er ein gerissener Mann, der mit der Zeit andere, ergiebigere Geldquellen aufgetan hatte. Leider war die größte dieser Quellen vor einigen Monaten versiegt. Ein tragisches Unglück, das seinen Finanzen einen ziemlichen Dämpfer verpasst hatte. Aus Angst, in den Sog eventueller Ermittlungen zu geraten, hatte er sich in der Zeit danach still verhalten. Mittlerweile war Gras über die Sache gewachsen, was bedeutete, dass er sich nach neuen Abnehmern umsehen konnte.
Gedankenverloren strich er über den vergoldeten Rahmen eines alten Spiegels, den er vor ein paar Jahren auf einer Auktion in Cornwall ersteigert hatte. Beim Anblick seines Gesichts verzog er die Mundwinkel zu einem gewinnenden Lächeln.
Trotz seines Alters war ihm sein Charme nicht abhanden gekommen. Er konnte gut mit Kunden umgehen. Sie mochten ihn, weil er es meisterhaft verstand, ihnen Honig ums Maul zu schmieren. Eine Taktik, die hoffentlich auch bei den neuen Kunden zum Erfolg führen würde.
Ihr letztes und bislang einziges Treffen war seiner Meinung nach gut verlaufen. Nachdem er ihnen den Mund wässrig gemacht hatte, war es ihm gelungen, das Ehepaar Gillian davon zu überzeugen, sich die von ihm angebotene Ware aus der Nähe anzusehen.
Bei dem Gedanken an die Obsession der beiden, musste er unwillkürlich lachen. Die zwei standen auf Satanismus. Teufelsbeschwörungen und den ganzen Kram. Freaks mit mehreren Millionen Pfund auf dem Konto.
Laut seinen Recherchen rührte ihr Reichtum von einer großzügigen Erbschaft her. Zwei Satanisten, die das große Los gezogen hatten und das hart erarbeitete Geld eines verstorbenen Familienmitglieds jetzt mit vollen Händen verprassten – keine idealen Kunden, weil er sich nie sicher sein konnte, ob er ihnen zu einhundert Prozent vertrauen konnte, aber in der Not fraß der Teufel ja bekanntlich Fliegen. Außerdem ging es in diesem Fall nicht allein ums Geld.
Wyndhams Blick schweifte zu einem Schrank aus massiver Eiche, der in der hintersten Ecke seines Ladens stand. Bei dem Gedanken an das, was sich in dessen Inneren befand, zog sich sein Magen zusammen. Er war schon viel zu lange im Besitz dieser Abscheulichkeit, die er am liebsten verbrannt oder in die Themse geschleudert hätte.
Leider konnte er sich ein solches Verlustgeschäft nicht leisten. Durch seinen letzten Job war ein hoher finanzieller Schaden entstanden. Das Schmiergeld, das er seinen Kontaktleuten hatte zahlen müssen, damit sie im richtigen Moment wegsahen, war beträchtlich gewesen. Unter normalen Umständen hätte sein Hauptkunde ihm das Geld innerhalb eines Tages zurückgezahlt. Da dieser jedoch nicht mehr unter den Lebenden weilte, war er bislang auf den Kosten sitzen geblieben.
Die Türglocke riss ihn aus seinen Gedanken. Als er sich umdrehte, sah er in die bleichen Gesichter von Dean und Ellen Gillian. Zwei gut aussehende Mittdreißiger. Er trug einen schwarzen Anzug, sie eine tief ausgeschnittene schwarze Bluse und einen knapp über die Knie reichenden Rock.
»Guten Abend Mister Wyndham«, sagte Dean und drückte die Hand des Antiquitätenhändlers. »Einen netten Laden haben Sie hier.«
Ellen stimmte ihrem Mann lachend zu. »Ich muss mich beherrschen, ihn nicht leer zu kaufen. Einfach traumhaft. All diese Schmuckstücke zusammenzutragen muss ja Jahrzehnte gedauert haben.«
»So ungefähr«, bemerkte Roger gut gelaunt. Er schloss hinter seinen Kunden ab. Da es kein Schaufenster gab, waren sie nun ganz unter sich. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Nicht nötig«, sagt Dean. »Um ehrlich zu sein, können Ellen und ich unsere Neugierde kaum noch zügeln, wenn Sie verstehen …«
»Natürlich.« Roger unterdrückte seine Freude. Die Gillians waren ein Geschenk des Himmels. Verrückt und gleichzeitig reich genug, um den von ihm angestrebten Preis zu zahlen.
In seiner Euphorie, überlegte er sogar, den Preis noch ein Stück höher anzusetzen. Ein Wagnis, das er gerne bereit war, einzugehen. Spätestens nach der Präsentation würden die Gillians jede Summe zahlen. Was er ihnen zu bieten hatte, gab es nirgendwo sonst.
Er schloss den Schrank auf. Die schweren Türen knarrten. In Augenhöhe war ein kleiner Safe eingebaut, den er mit einer fünfstelligen Zahlenkombination öffnete. Roger fühlte, wie sein Gaumen trocken wurde, als die auf einem Elfenbeinsockel ruhende schwarze Pyramide zum Vorschein kam. Er umfasste den Sockel mit beiden Händen und trug das Artefakt vorsichtig zu einem Tisch aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Die Gillians traten neugierig näher. Ellens Augen wurden groß. »Wunderschön«, schwärmte sie. Als sie Anstalten machte, das Artefakt zu berühren, hielt Roger sie zurück.
»Die Kanten sind messerscharf«, erklärte er. »Sie müssen vorsichtig sein.«
Dean schürzte skeptisch die Lippen. Er wirkte ein klein wenig enttäuscht. »Und wo ist jetzt das Besondere, das Sie uns versprochen haben? Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist wunderschön anzusehen, aber unsere Vitrinen zu Hause sind voll mit solchen Dingern.«
»Glauben Sie mir«, erwiderte Roger. »So etwas wie das hier haben Sie ganz bestimmt nicht in ihrer Sammlung.« Er fühlte das bereits bekannte Unwohlsein in sich aufsteigen. Seine Hand zitterte, als er seinen rechten Zeigefinger zu der Spitze der Pyramide führte. »Was ich Ihnen jetzt zeigen werde«, sagte er mit bemüht fester Stimme, »wird Ihr Leben von Grund auf verändern.«
Als sein Finger die Spitze der Pyramide berührte, bildete sich sofort eine Blutperle. Roger zog die Hand schnell zurück. Ein Tropfen war mehr als genug. Mit einiger Genugtuung registrierte er Dean und Ellens ungläubige Blicke. Gebannt starrte das Ehepaar auf die Blutperle. Statt an einer der drei Kanten herunterzulaufen, schwebte das Blut unmittelbar über der Pyramide.
»Das ist ein Trick …«, flüsterte Ellen.
Der hörbare Zweifel in ihrer Stimme, verdrängte Rogers Unwohlsein und Magenziehen etwas. »Ich versichere Ihnen, dass es echt ist. Wir haben es hier mit echter schwarzer Magie zu tun.« Er bekam eine Gänsehaut, als die Temperatur um den Tisch merklich abnahm.
Dean warf einen unsicheren Blick über die Schulter. »Sind wir wirklich allein?«
»Das Gefühl, beobachtet zu werden, ist völlig normal«, antwortete Roger ihm mit betont ruhiger Stimme. »Und im Grunde stimmt es ja auch.«
»Was soll das heißen?«
»Stellen Sie sich einfach vor, dass neben unserer Welt noch andere Welten existieren. Allerdings vollkommen losgelöst von den Gesetzen der Physik …«
Ellen schrie plötzlich auf und wich ängstlich zurück. Ihre Augen flackerten. »Ich habe etwas gesehen«, stammelte sie. »Aus den Augenwinkeln …«
Die Blutperle schrumpfte, bis sie ganz verschwunden war. Die Kälte und das Gefühl, dass sich noch weitere Personen im Raum befanden, ließen fast schlagartig nach.
»Ein Trick«, wiederholte Ellen ihren vorherigen Verdacht. Dieses Mal mit mehr Nachdruck, als müsste sie sich selbst etwas beweisen.
Dean rieb sich über die Stirn. »Woher haben Sie es?«, wollte er wissen.
»Aus einem Kloster in Tibet. Gott allein weiß, woher es ursprünglich stammte.«
»Und seine Funktion? Sie sagten etwas von anderen Welten.«
»Ich denke, dass die Pyramide die Trennlinien zwischen den Welten teilweise aufheben kann. Blut dient als … Treibstoff. Je mehr man gibt, desto länger hält der Effekt an.«
Dean runzelte die Stirn. »Haben Sie diese Info von den Mönchen?«
»Mönche?«, hakte Roger verwirrt nach.
»Die aus dem Kloster in Tibet. Ein Dutzend buddhistische Mönche, die während des von ihren Kontaktleuten begangenen Überfalls ihr Leben ließen.«
»Was reden Sie denn da? Ich habe dieses …« Roger klappte die Kinnlade runter, als Dean einen Dienstausweis der Londoner Polizei hervorholte.
»Mister Wyndham«, sagte Ellen. »Wir verhaften Sie wegen Anstiftung zum Mord, Hehlerei, Schmuggel und Bestechung.«
Die Erkenntnis, dass es sich bei den Gillians um verdeckte Ermittler handelte, ließ Wyndhams Magen auf die Größe einer Murmel schrumpfen.
Ellen kramte ein paar Handschellen aus ihrer Tasche. »Besser, Sie kooperieren.«
Roger dachte nicht daran, zu kooperieren. Wahrscheinlich hatte man ihn schon eine ganze Weile observiert und nur darauf gewartet, dass er sich aus der Deckung wagte.
»Das mit den Mönchen können Sie mir nicht anhängen«, protestierte er energisch. »Die Sache sollte ohne Blutvergießen über die Bühne gehen.«
Dean schnaubte verächtlich. »Was haben Sie geglaubt? Dass die Mönche eine ihrer heiligsten Reliquien einfach so aus der Hand geben? Einige der Leichen wiesen Spuren von Folter auf!«
»Damit habe ich nichts zu tun!« Bevor die verdeckten Ermittler ihn daran hindern konnten, griff er nach der Pyramide und umschloss sie mit beiden Händen. Die scharfen Kanten schnitten ihm tief ins Fleisch. Blut floss in Strömen.
»Ich gehe nicht ins Gefängnis!«, schrie er und hob die Pyramide aus ihrem Sockel.
Ihm wurde leicht schwummrig vor Augen. Schwarze Flecken tanzten in seinem Blickfeld herum, dann kam die Kälte und mit ihr die andere Seite.
Mitten im Raum begann die Luft zu flimmern und zu knistern. Hauchdünne violette Verästelungen entstanden im freien Raum. Ein Geräusch wie fernes Donnergrollen ertönte. Gleichzeitig wurde das Flimmern stärker.