John Sinclair 2306 - Daniel Stulgies - E-Book

John Sinclair 2306 E-Book

Daniel Stulgies

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Beschreibung

Ellie betrat das karg eingerichtete Zimmer und sah sich mit einer unnatürlich dünnen Frau konfrontiert, die weniger an einen Menschen als an ein Wesen aus einem finsteren Märchen erinnerte. Die Gestalt kauerte auf dem Bett und starrte sie aus großen, tief in den Höhlen liegenden Augen an.
Ellie erschrak furchtbar. Seit ihrem letzten Besuch hatte ihre Mutter stark abgebaut und war kaum wiederzuerkennen. Ihr Kopf war von kahlen, teils blutverkrusteten Stellen übersät. Das Gesicht eingefallen.
"Mom?" Ellies Stimme zitterte. "Mom, was ist mit dir?"


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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Toten kriegen dich

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Die Toten kriegen dich

von Daniel Stulgies

Ellie betrat das karg eingerichtete Zimmer und sah sich mit einer unnatürlich dünnen Frau konfrontiert, die weniger an einen Menschen als an ein Wesen aus einem finsteren Märchen erinnerte. Die Gestalt kauerte auf dem Bett und starrte sie aus großen, tief in den Höhlen liegenden Augen an.

Ellie erschrak furchtbar. Seit ihrem letzten Besuch hatte ihre Mutter stark abgebaut und war kaum wiederzuerkennen. Ihr Kopf war von kahlen, teils blutverkrusteten Stellen übersät. Das Gesicht eingefallen.

»Mom?« Ellies Stimme zitterte. »Mom, was ist mit dir?«

Die Frau schien durch Ellie hindurchzusehen. Dann fokussierten die Augen sich, und Überraschung blitzte in ihnen auf. »Was tust du hier?« Leise krächzende Worte, als hätte die Frau das Sprechen verlernt.

»Ich musste dich sehen.« Sie hielt ihre Tränen nur mit Mühe zurück. »Was ist passiert?«

Als Ellie einen Schritt auf ihre Mutter zumachte, wich diese zurück.

»Du musst gehen«, fauchte die abgemagerte Frau. »Hörst du? Sofort!« Sie faltete die knochigen Hände so fest zusammen, dass die Adern unter der Haut dick hervortraten.

»Mom, bitte, ich ...«

»Verschwinde!«

Ellie zuckte erschrocken zusammen. Sie fühlte sich wie betäubt, als hätte sich sämtliche Hoffnung, die sie mit diesem Besuch verknüpft hatte, in Luft aufgelöst. Die sie liebende Mutter war nur noch ein Hirngespinst, das nun durch einen Albtraum ersetzt worden war. Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen.

Die Frau stieß einen tiefen Seufzer aus. »Es tut mir leid, mein Engel, aber ich will dich nur beschützen.«

»Beschützen?«, hakte Ellie nach. »Wovor beschützen?«

»Tot und doch lebendig ...« Sie schien noch etwas sagen zu wollen, aber statt Worten folgte nur ein langgezogenes Röcheln.

»Mom!« Ellie wollte zu ihr, aber ihre Mutter stieß sie weg und krümmte sich wie unter entsetzlichen Schmerzen zusammen. Sie verrenkte ihre Gliedmaßen in unnatürlicher Weise. Ellie war sich sicher, das Reißen von Muskeln und Sehnen zu hören. Als die Augen ihrer Mutter sich ins Weiße kehrten, rannte sie auf den Flur und schrie aus voller Kehle nach den Ärzten: »Hilfe! Bitte, Sie müssen uns helfen!«

»Die Toten ...«, hörte sie ihre Mutter plötzlich sagen. Ganz klar, als wäre sie wieder völlig normal.

Ellie kehrte ins Zimmer zurück, den Bruchteil einer Sekunde darauf hoffend, dass jetzt doch noch alles gut werden würde.

Ihre Mutter stand mitten im Zimmer, sie hatte sich die dünnen Lippen blutig gebissen und starrte auf die Blutlache zu ihren Füßen. »Ich dachte, ich hätte endlich die Kontrolle, würde selbst bestimmen können, aber das war ein Fehler. Du warst ein Fehler. Und es tut mir leid, so unendlich leid ...«

Ellie fühlte, wie sich eine entsetzliche Kälte in ihrem Inneren ausbreitete.

»Die Toten werden nach dir suchen«, fuhr ihre Mutter fort. »Sie haben mich gefunden, und eines Tages werden sie auch dich finden. Und wenn es erst so weit ist ...« Sie sah Ellie direkt an. »Dann musst du es beenden. Totes bleibt nicht tot, nicht dort, nicht an diesem Ort.« Sie hob ihre unnatürlich dünn wirkenden, fast fleischlosen Hände, betrachtete sie einen Moment lang und rammte sich die spitzen, langen Fingernägel in beide Augen.

Ellies Herz raste, als sie aufwachte. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie nur schlecht geträumt hatte. Zum wiederholten Mal. Sie blickte zu Andrew, der seelenruhig neben ihr schlief, und beschloss, ins Bad zu gehen. Wenn er sie in diesem Zustand sah, machte er sich nur unnötig Sorgen und würde sie den ganzen Tag wie ein rohes Ei behandeln.

Leise schlich sie ins Badezimmer. Als sie das Licht anknipste, erschrak sie über ihr eigenes Spiegelbild. Kreidebleich und so verschwitzt, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Sie hatte auch in der Vergangenheit manchmal schlecht geschlafen, aber das war anders gewesen. Die Träume, die sie seit einigen Wochen heimsuchten, waren wesentlich intensiver. Kleine Zeitreisen in eine Phase ihres Lebens, die sie eigentlich tief in ihrer Gedankenwelt verschlossen glaubte.

Und das war noch nicht mal das Schlimmste. Es waren ja längst nicht mehr nur die Albträume, die sie belasteten. Sowohl in der Nacht als auch am Tag beschlich sie immer öfter das Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Unsichtbare Augen, die sie verfolgten.

Wenn Andrew davon Wind bekam, würde er wieder davon anfangen, dass sie sich Hilfe suchen musste. Dass sie eine Therapie in Erwägung ziehen sollte. Der letzte Streit, den sie deswegen hatten, war der schlimmste ihrer Beziehung gewesen.

Sie betrachtete ihr blasses Spiegelbild, lächelte matt und ganz plötzlich war es wieder da. Das Gefühl, dass jemand sie beobachtete.

Ihre Atmung wurde automatisch flacher. So, als wollte sie instinktiv jedes Geräusch vermeiden. Ellie spürte, wie die feinen Härchen im Nacken sich aufrichteten und sich eine Gänsehaut über ihren ganzen Körper ausbreitete. Sie blickte sich im Raum um, sah sogar im Schrank unter dem Waschbecken nach. Nichts, keine böse funkelnden Augen, die sie aus dem Schatten heraus anstarrten.

Sie drehte den Wasserhahn auf und blinzelte verwundert, als nichts kam. Das fehlte gerade noch. Sie versuchte es erneut und wollte schon ernüchtert zurück ins Bett, als plötzlich ein Schwall Blut ins Waschbecken schoss!

Ellies Kehle schnürte sich zu, während das Waschbecken rasend schnell volllief und das Blut in langen, schleimigen Fäden auf den Boden tropfte.

»Sie werden dich finden«, hörte sie plötzlich eine Stimme in ihrem Kopf.

Gleichzeitig veränderte sich Ellies Spiegelbild. Sie sah nun nicht mehr in ihre eigenen Augen, sondern in die ausgekratzten, blutigen Augenhöhlen ihrer Mutter.

»Es wird alles gut«, flüsterte diese und setzte dabei ein wahnsinniges Lächeln auf. »Du musst nur den Toten vertrauen.«

Ellie schrie panisch auf. Sie riss die Tür auf und flüchtete ins Schlafzimmer, wo sie mit Andrew zusammenprallte. Bevor sie ihm jedoch mitteilen konnte, was los war, packte er sie so grob an den Schultern, dass sie vor Schmerzen zusammenzuckte. Erst jetzt sah sie sein Gesicht oder das, was davon übrig geblieben war. Eine zertrümmerte Masse aus Fleisch und Knochen, die weiter zerfiel, während Ellie sich die Seele aus dem Leib kreischte.

»Ellie?! Was ist mit dir? Großer Gott, was hast du?«

Andrews Stimme, dachte Ellie und brauchte einen langen Moment, um zu begreifen, dass das Monster verschwunden war. Da war nur noch Andrew, der sie tief besorgt ansah. Sie verstummte, fühlte, wie ihre Knie weich wurden, und brach zusammen.

Andrew fing sie behutsam auf und ging mit ihr zusammen in die Knie. Er drückte sie fest an sich, redete ihr ruhig zu und versuchte herauszufinden, was los war.

Ellie wollte zuerst lügen und legte sich bereits die Worte zurecht, aber was hätte das gebracht? Sie erzählte ihren Traum in allen Einzelheiten. »Ich verliere den Verstand«, sagte sie am Ende. »Wie meine Mutter. Genauso hat es auch bei ihr angefangen.«

Andrew erwiderte erst mal nichts darauf. Wahrscheinlich fragte er sich, ob es eine gute Idee war, eine Frau zu heiraten, die nicht mehr ganz sauber tickte und spätestens nach den Flitterwochen in eine Nervenheilanstalt überwiesen werden musste.

»Wir kriegen das hin«, sagte er schließlich. »Du stehst wahrscheinlich nur unter Stress. Die ganze Planung, die Hochzeit, da ist es doch kein Wunder, dass du am Rad drehst. Wir sollten die Besichtigung heute verschieben. Die Location läuft uns schon nicht weg.«

Ellie schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Ein wenig Normalität wird mir guttun.«

Er sah sie skeptisch an. Hinter seiner Stirn arbeitete es. Fast rechnete sie damit, dass er wieder von der Therapie anfangen würde, stattdessen half er ihr hoch. »Wir kriegen das hin«, erneuerte er sein Versprechen. »Glaub mir. Es gibt nichts, was wir gemeinsam nicht schaffen können.«

Ellie wünschte sich, er würde recht behalten, und schmiegte sich an ihn. Das Gefühl von Sicherheit hielt jedoch nur wenige Sekunden. Kaum hatten sie sich wieder voneinander gelöst, glaubte sie erneut, beobachtet zu werden. Als würde etwas im Schatten lauern. Den richtigen Moment abwartend, um zuzuschlagen.

Richard betrachtete die Waffe in seiner Hand und merkte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen. »Wir können die Sache immer noch abblasen ...«, sagte er unsicher.

Patrick, der hinter dem Lenkrad saß, lachte leise. »Damit kommst du jetzt? Wir blasen hier gar nichts ab.« Er sah Richard über den Rückspiegel an. »Wir müssen das machen«, sagte er eindringlich. »Oder möchtest du wie Dad enden?«

Colin auf dem Beifahrerplatz stimmte ihm zu. »Wir haben uns gemeinsam dazu entschieden. Und gemeinsam ziehen wir das jetzt auch durch.« Er drehte sich zu Richard um. »Wir schaffen das. Wirst schon sehen. Der Plan ist idiotensicher.«

Richard wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Gegen die geballte Front kam er nicht an. Und die Erwähnung ihres Dads machte es auch nicht besser.

»Es geht los«, lenkte Patrick die Aufmerksamkeit der anderen auf einen dicken Mann um die fünfzig, der gerade die Tür zum Wettbüro aufschloss.

Wie auf ein geheimes Zeichen hin zogen die drei die Masken über ihre Gesichter. Als Richard den Stoff auf seiner Haut spürte, wusste er, dass sie die Sache nun durchziehen würden. Ein Zurück gab es nicht mehr.

»Nehmt die Dinger auf keinen Fall ab«, mahnte Patrick.

Die drei sprangen aus dem Auto. Patrick war als Erster bei dem Mann und drückte ihm den Lauf seines Revolvers in den Rücken. »Kein Ton, sonst knall ich dich ab!«

Auch ohne Waffe hätte Patrick einschüchternd gewirkt. Er war ziemlich groß und muskulös. Colin war einen halben Kopf kleiner und eher drahtig, wohingegen Richard nicht nur der Jüngste, sondern auch der Kleinste von ihnen war. Nicht unbedingt schmächtig, aber im Vergleich zu Patrick eher unscheinbar normal.

Patrick stieß die bereits aufgeschlossene Tür auf und drängte den Mann ins Innere. Richard und Colin folgten.

Im Wettbüro stank es nach kaltem Rauch, was das Atmen unter der Maske erschwerte. Die Theke und die Glücksspielautomaten lagen im Halbschatten.

»Ihr macht einen großen Fehler«, sagte der dicke Mann.

»Und wenn schon.« Patrick stieß ihm den Lauf der Waffe erneut in den Rücken und dirigierte ihn ins Büro. Während Richard folgte, blieb Colin, wie besprochen, vorne im Eingangsbereich.

Das Büro war kleiner, als Richard erwartet hatte. Außer einem Schreibtisch gab es noch einen Aktenschrank und natürlich den Safe. Dass der Raum über keine Fenster verfügte, spielte ihnen natürlich in die Karten.

»Aufmachen!«, verlangte Patrick vom Dicken.

Als der Kerl nicht sofort reagierte, trat Patrick ihm in die Beine. »Wird's bald!«

Der Mann setzte sich endlich in Bewegung und ging vor dem Safe in die Knie. Richard störte sich daran, dass der Kerl so ruhig blieb. Er selbst hatte eine Scheißangst und wollte einfach nur hier raus. Und zwar so schnell wie möglich. Angespannt beobachtete er, wie der Mann das Kombinationsschloss drehte.

Die Zeit zog sich wie Kaugummi.

»Was dauert da so lange?«, herrschte Patrick den Inhaber des Ladens hat. »Mach das scheiß Teil endlich auf!«

»Der Safe ist schon älter«, entgegnete der Mann. »Manchmal klemmt er.«

»Willst du mich verarschen?! Entweder du schließt endlich auf, oder ich verpass dir eine Kugel. Ich meine es ernst!« Patricks Stimme zitterte, aber es ließ sich schwer sagen, ob vor Wut oder Nervosität.

Als endlich das Klicken zu hören war und die Tür des Safes sich öffnete, verspürte Richard ein wenig Erleichterung. Zumindest bis Patrick dem Ladeninhaber die Waffe über den Schädel zog. Der Mann kippte, ohne einen Laut von sich zu geben, zur Seite.

»Bist du irre?«, herrschte Richard seinen Bruder an. »Wir hatten doch gesagt, dass wir ihn fesseln!«

Patrick zuckte mit den Schultern. »So gings schneller. Je eher wir hier weg sind, desto besser. Jetzt hilf mir mit dem Geld.«

Richard vergewisserte sich, dass der reglos da liegende Inhaber noch atmete, und reichte Patrick die Sporttasche.

Nachdem sie das Geld aus dem Safe umgefüllt hatten, wollten sie gerade den Raum verlassen, als von vorne Schreie zu hören waren.

Die beide sahen sich an.

»Vielleicht hat der Typ irgendeinen stillen Alarm ausgelöst«, vermutete Richard.

Patrick schüttelte den Kopf. »Das hätten wir mitbekommen.«

»Jungs!« rief Colin.

Patrick checkte seinen Revolver, dann ging er voran. Richard war direkt hinter ihm. Sie hatten inzwischen Besuch von zwei Männern bekommen, die von Colin in Schach gehalten wurden. Typische Schlägertypen, die kurzen Prozess mit ihnen gemacht hätten, sobald sich ihnen eine Chance bot.

»Die sind einfach hier reinspaziert.« Colins Stimme überschlug sich, während er den Lauf seiner Pistole abwechselnd auf die Männer richtete.

Einer der Männer sagte etwas in einer fremden Sprache. Richard vermutete, dass es sich um Russisch handelte. Der andere erwiderte etwas und wandte sich dann an Patrick und Richard: »Sagt eurem Freund, er soll die Waffe runternehmen. Dann habt ihr noch eine Chance, hier lebend rauszukommen.«

Colin lachte ungläubig auf. »Klar doch. Damit ihr mich abknallen könnt! Ganz sicher nicht, ihr Arschlöcher!«

»Wir sperren sie ins Büro«, schlug Richard vor. »Zu dem anderen, dann machen wir uns aus dem Staub.«

»Ja ...« Patrick runzelte die Stirn, dann nickte er. »So machen wir es ...« Er sprach die Männer direkt an. »Ihr habt ihn gehört!« Als die Russen nicht reagierten, richtete Patrick seine Waffe ebenfalls gegen sie. »Darauf wollt ihr es nicht anlegen, oder? So blöd seid ihr nicht.«

Die Männer wechselten einen kurzen Blick, dann nickte der Kleinere der beiden. Richard fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Während die Russen sich auf das Büro zubewegten, versuchten er und Patrick, auf Abstand zu bleiben. Sie waren so sehr auf die beiden Typen fixiert, dass Richard den aus seiner Bewusstlosigkeit erwachten Inhaber erst registrierte, als dieser im Türrahmen des Büros auftauchte. Bleich wie eine Leiche brüllte er seinen Männern etwas in ihrer Landessprache zu.

Patrick schoss zuerst. Die Kugel traf einen der Schlägertypen direkt in die Stirn. Der andere ging in Deckung, zückte dabei einen schweren Revolver und erwiderte das Feuer. Richard verbarrikadierte sich hinter einem der Glücksspielautomaten. Und während er noch überlegte, wie er hier lebend rauskommen sollte, schrie Colin wie ein verwundetes Tier auf. Er war in die Knie gegangen, hielt sich die Seite und schaffte es irgendwie, weiter zu schießen. Der Lärm war ohrenbetäubend.

Dann war plötzlich nur noch das Klicken der leer geschossenen Waffen zu hören.

»Die Schweine sind tot«, bemerkte Patrick. Er kam als Erster hinter seiner Deckung hervor. Richard wartete kurz ab, ob das stimmte, dann kam auch er auf die Beine.

Das Wettbüro sah aus wie ein Schlachtfeld. Der Ladeninhaber und seine Männer lagen in ihren Blutlachen. Drei von Kugeln durchlöcherte, tote Körper. Colin lebte noch, war aber schwer angeschlagen.

In der Ferne glaubte Richard das Heulen von Sirenen zu hören. »Wenn die Bullen uns kriegen, dann fahren wir bis zum Ende unsere Tage ein ...« Richard kannte einen Typen, der mal gesessen hatte. Nach dem Knast war er nie mehr derselbe gewesen. Wie ein Abstecher in die Hölle, hatte er mal gemeint.

»Dann sorgen wir dafür, dass es gar nicht erst dazu kommt«, erwiderte Patrick. »Los, wir verschwinden.«

Die zwei schnappten sich Colin und begaben sich zum Auto. Nichtsahnend, dass ihnen die wahre Hölle noch bevorstand.

Ellie starrte durch das Seitenfenster und ordnete ihre Gedanken. Zumindest versuchte sie es. Das Trommeln der Regentropfen auf dem Autodach, die Musik aus dem Radio, Andrew, der ständig nachhakte, ob es ihr besser ginge, all das riss sie immer wieder zurück in das Hier und Jetzt. Es lenkte sie davon ab, sich auf die drängende Frage zu konzentrieren, ob sie tatsächlich auf dem besten Weg war, ihrer verstorbenen Mutter nachzueifern.

»Die würden sogar das Catering übernehmen.« Andrew warf ihr einen Seitenblick zu. »Nicht nur das Hauptmenü, sondern auch Desserts und was sonst noch dazu gehört.«

Ellie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er von der Hochzeit sprach. Ihr war jetzt nicht nach einer Unterhaltung, am liebsten hätte sie sich auf der Rückbank zusammengerollt und die Ohren zugehalten.

»Wäre doch super«, sagte Andrew weiter. »Dann haben wir weniger Stress, und keiner müsste verhungern.«

»Das wäre schön ... Wobei ich nicht glaube, dass wir deinen Onkel Earl jemals satt kriegen.«

»Denk daran, solange er isst, kommt er nicht zum Sprechen. Die Rede, die er beim Geburtstag meiner Mutter gehalten hat, steckt mir jetzt noch in den Knochen.«

»Die Stimmung war im Anschluss auf jeden Fall im Eimer«, stimmte Ellie ihm zu.

»Wenigstens musstest du ihn noch nie singen hören.« Andrew trommelte im Takt der Regentropfen. »Darum müssen wir uns auch noch kümmern.«

»Deinen Onkel vom Singen abzuhalten?«

Er lachte. »Nein, nein, die Band, also unsere Band, meine ich. Wir müssen uns noch entscheiden, welche wir nehmen.«

»Für mich hören die sich alle gleich an.«

»Es gibt schon Unter... Hey!« Er stoppte abrupt, weil zwei Teenager auf die Straße gelaufen waren. »Sind die bescheuert?«

Er drückte auf die Hupe, was die Mädchen zusammenzucken ließ. Eine zeigte ihm den Mittelfinger, dann verschwanden sie schnell in der Menschenmenge.

»Die laden wir schon mal nicht ein.«

»Wobei die sicher weniger essen als dein Onkel«, bemerkte Ellie spitz.

»Jetzt lass doch mal den armen Earl in Ruhe. Wenn er wüsste, wie du über ihn denkst, würde ihn das ganz schön kränken.«

»Du hast recht.« Sie lächelte. »Nicht, dass ihm das auf den Magen schlägt.«

Beide mussten lachen. Es hatte etwas Befreiendes an sich. Ellie wünschte, sie könnten diesen Zustand ewig beibehalten. Aber kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, legte sich wieder der Schatten des Zweifels über sie. Sie widerstand nur schwer dem Drang, sich im Wagen umzusehen, sich zu vergewissern, dass niemand auf der Rückbank saß. Das Gefühl, von unsichtbaren Augen belauert zu werden, klebte an ihr wie getrocknetes Blut.

Als sie das Flüstern vernahm, glaubte sie zuerst, Andrew hätte etwas gesagt, aber der war gerade auf die Straße vor sich konzentriert.

Sie rieb sich die Schläfe, aber das unheimliche Wispern ging weiter. Es handelte sich um keine verständlichen Worte, dafür war die Stimme zu schwach und dumpf. Es war anders als in ihrem Albtraum. Da hatte sie die Stimme ganz klar in ihrem Kopf widerhallen hören.

Ihr Blick fiel auf das Handschuhfach.

»Ellie? Alles okay?« Andrew sah sie besorgt an.

Sie ignorierte ihn und war ganz auf das Flüstern fixiert. Langsam löste sie die Verrieglung des Fachs. Dabei war sie sich der Absurdität des Ganzen bewusst.

Was glaubst du, darin zu finden?, fragte sie sich in Gedanken selbst, Moms Kopf?

Außer den Fahrzeugpapieren und einer Taschenlampe sah sie auf den ersten Blick nichts Auffälliges.

Noch während sie das Fach untersuchte, legten sich von hinten zwei knöcherne Hände auf ihre Schultern. Fast vollständig skelettiert mit abgebrochenen, teils nicht mehr vorhandenen Fingernägeln.

»Die Toten kriegen dich«, flüsterte das Monster von der Rückbank.

Ellie schrie auf und wollte sich losreißen. Als ihr das nicht gelang, schlug sie panisch um sich.

»Beruhige dich!«, rief Andrew besorgt. »Ellie, du muss dich beruhigen! Es ist alles...« Als er die rote Ampel bemerkte, befand der Wagen sich längst auf der Kreuzung. Bevor er reagieren konnte, krachte ein anderes Fahrzeug mit solcher Wucht in die Seite, dass ihr Wagen zurückgeschleudert wurde und gegen ein weiteres Auto prallte.

Ellies Airbag löste aus und schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Als sie wieder zu sich kam, sah sie alles wie durch einen Schleier. Es roch verbrannt. Ihr Kopf tat höllisch weh, und sie schmeckte Blut.

»Andrew?« Sie drehte den Kopf, was ein heftiges Stechen in ihrem Nacken verursachte. Ihre Sicht verschlechterte sich, und sie drohte erneut das Bewusstsein zu verlieren.

Andrew hing leblos in seinem Gurt. Der Airbag hatte nicht ausgelöst.

»Andrew?« Sie berührte ihn ängstlich, dann sah sie seine Verletzungen.

Der erste Aufprall hatte nicht nur die komplette Fahrerseite, sondern auch den Körper ihres Verlobten zertrümmert. Er war tot.

Die Erkenntnis traf sie hart und unbarmherzig.

Das Monster auf der Rückbank war indes verschwunden, oder es hielt sich versteckt. Aber warum warten, wenn es ihr jetzt den Rest geben konnte?

Draußen wurden Stimmen laut. Die Beifahrertür wurde aufgerissen, und eine aufgeregte Frau erklärte, dass Hilfe unterwegs sei. Sie sagte noch mehr, aber Ellie verlor erneut das Bewusstsein.