John Sinclair 2000 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair 2000 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Der große Jubiläumsband mit 160 Seiten inklusive Bildband!

Ich hatte schon so viele Dämonen vernichtet, dass ich sie gar nicht mehr zählen konnte. Viele Rückschläge hatte ich im Laufe der Jahre einstecken müssen, viele Gefährten verloren - doch letztendlich hatte das Gute immer gesiegt.

Jetzt allerdings musste ich mich meinem härtesten Gegner stellen, und er besaß eine Waffe, die alles andere zuvor in den Schatten stellte: Das Höllenkreuz!

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Seitenzahl: 252

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Höllenkreuz

Leserseite

Grußwort der Redaktion

Vorschau

Die Serie in 30 Bildern

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: © Timo Wuerz

eBook-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-3815-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Höllenkreuz

(1. Teil)

Der Abend fing harmlos an. Ich wollte mich einfach mal vor die Glotze setzen und mich berieseln lassen. Aber ich kam nicht dazu, denn das Telefon klingelte.

Ich ahnte nichts Gutes, als ich den Hörer abnahm.

»Mister Sinclair?«, fragte eine Männerstimme. »Mein Name ist Mark Hampton. Ich wohne in dem Haus gegenüber. Ich kann von meinem Fenster auf das Dach Ihres Hauses blicken. Dort steht ein Mann, der Sie beobachtet, und auf seinem Rücken wachsen Flügel – schwarze Flügel …«

Ich war sprachlos.

»Haben Sie aufgelegt?«, wollte Mark Hampton wissen.

»Nein, nein, Mister Hampton. Es ist nur …«

»Ihr Ruf hat sich herumgesprochen«, unterbrach er mich. »Sie sind der Mann, der sich um die besonderen Fälle beim Yard kümmert. Was ich durch mein Fernglas gesehen habe, ist keine Halluzination. Die Gestalt war da, und sie hatte Ähnlichkeit mit einem Engel. Aber Engel habe keine schwarzen Flügel …«

»Ich glaube Ihnen, Mister Hampton«, versicherte ich ihm. »Und deshalb werde ich aufs Dach steigen und nachsehen.«

»Gut. Ich werde das Dach natürlich weiterhin beobachten.«

»Ja, tun Sie das.«

Ich beendete das Gespräch und legte den Hörer langsam auf die Station zurück. Ein Mensch mit Flügeln auf dem Dach meines Hauses? Was steckte dahinter? Vielleicht wollte man mich reinlegen. Mich einfach aufs Dach und in einen Hinterhalt locken.

Aber es half alles nichts, ich musste wissen, was da vor sich ging. Also steckte ich meine Beretta ein, verließ meine Wohnung und steuerte den Lift an, der mich bis unter das Dach bringen sollte. Von der letzten Station musste ich dann noch eine Metalltreppe hoch, um an deren Ende auf das Dach zu gelangen.

Die Tür nach draußen war immer offen. Um mich herum herrschte Stille, und es war stickig. Hier oben sammelte sich die Wärme.

Ich zog die schwere Tür so weit auf, dass ich durch den Spalt nach draußen schlüpfen konnte.

Der Wind war hier oben recht kräftig. Aber wenigstens regnete es nicht. Freie Sicht hatte ich trotzdem nicht. Das Dach war zwar flach, aber nicht unbebaut. Es gab einige aus Metall gefertigte Kamine, über die schwache Rauchwolken schwebten, und auch ein kleines Gebäude.

Es war inzwischen dunkel geworden, aber nicht so finster, als dass ich nichts hätte sehen können. Schwache Umrisse waren zu erkennen.

Langsam ging ich weiter. Schritt für Schritt bewegte ich mich voran, steuerte auf die Mitte des Dachs zu. Nichts passierte. Es gab keinen Angriff, und ich sah auch niemanden.

Als ich die Dachmitte erreicht hatte, blieb ich stehen, suchte die geflügelte Gestalt, fand sie aber nicht. Entweder war sie verschwunden, oder sie hatte hier auf dem Dach ein Versteck gefunden.

Ich wartete. Nicht weit von mir entfernt lag der kastige Dachaufbau. Darin versteckte sich die Technik der Lifte. Ich beschloss, einen Blick dort hinein zu werfen.

Doch dazu kam ich nicht mehr. Auf dem kleinen Gebäude bewegte sich etwas! Die geflügelte Gestalt hatte dort oben gelauert! Jetzt richtete sie sich auf. Es war ein Mann mit nacktem Oberkörper.

***

Mein Gegner sah auf mich herab. Sein Körper war heller als die Umgebung. Er trug eine enge Hose. Sein Gesicht erkannte ich nicht. Ich sah jedoch, dass er schwarzes Haar hatte.

Und dann erblickte ich sie! Flügel von einem Engel waren das nicht. Sie glichen mehr den Schwingen von Fledermäusen. Ich war davon überzeugt, dass sie echt waren.

Der andere stand ganz still da, hielt den Kopf weiterhin gesenkt und starrte mich an. Ich hatte das Gefühl, dass er mich mit seinen Blicken analysierte.

Ich sprach ihn an: »Wer bist du? Und was willst du hier?«

Er reagierte nicht, blieb einfach still stehen.

»Bist du taub?«

Jetzt richtete er sich zu seiner vollen Größe auf, ging ein paar Schritte zurück und schraubte sich in die Höhe! Dort drehte er seine Kreise. Er blieb in meiner Nähe und über meinem Kopf. Mir kam es so vor, als wollte er sich für etwas Besonderes sammeln.

Dann holte eine Eisenkette hervor. Er hatte sie von seinem Körper gelöst und um sein rechtes Handgelenk gedreht. Er würde sie als Waffe einsetzen. Und ich war sein Ziel.

Er stürzte auf mich herab und holte zum Schlag aus.

***

Mark Hampton zitterte. Er stand am offenen Fenster und spürte den Wind und die Kühle nicht. Er sollte nur zusehen. Er wurde dazu gezwungen, und derjenige, der ihm alles befohlen hatte, saß hinter ihm in einem Sessel.

Er war in seine Wohnung eingedrungen und hatte die Bedingungen gestellt. Hampton war gesagt worden, was er zu tun hatte, was er zu Sinclair sagen sollte, und wäre er davon abgewichen, dann hätte ihn der Besucher getötet.

Mark Hampton kannte ihn nicht. Der Mann war noch recht jung, doch von ihm ging eine Kälte aus, wie sie Hampton nie zuvor erlebt hatte. Er fürchtete um sein Leben.

Das Telefongespräch hatte er durchziehen können. Der Name Sinclair war ihm nicht mal bekannt gewesen. Man hatte ihm alles vorgesagt, und genau dieser Plan schien aufzugehen, denn John Sinclair hatte nicht abweisend reagiert.

Und jetzt war er oben auf dem Dach und kämpfte um sein Leben!

Nun meldete sich Hamptons Bewacher. Erst lachte er, dann sprach er seine Gedanken aus.

»Er hat es geschafft. Er ist dir auf den Leim gegangen. Besser hätte es nicht laufen können.«

Hampton wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er zuckte nur mit den Schultern. Innerlich hoffte er, dass sein unheimlicher Besucher verschwand.

Das tat dieser nicht. Er kam näher und blieb dicht neben dem Mann stehen.

Hampton hielt für einen Moment die Luft an. Da war dieses noch junge Gesicht, aber auch die eiskalten Augen, deren Pupillen eine blaue und sehr intensive Farbe aufwiesen. Der Blick war einfach nur durchdringend. Als könnte er sogar die Seele eines Menschen erforschen.

Der Mann wandte sich schnell ab. Keine Sekunde länger wollte er in die Augen sehen, dafür hob er sein Fernglas wieder an. Er erkannte den geflügelten Mann, der sich auf einem Aufbau des Daches auf die Lauer legte. Der Platz bot ihm einen perfekten Überblick. Er wartete auf Sinclair.

Hamptons Herz schlug schneller. Schweiß klebte an seinen Händen. Er konnte sein Fernglas kaum noch halten. Er zitterte vor Aufregung.

Sein Besucher, der sich namentlich nicht vorgestellt hatte, legte ihm eine Hand auf die Schulter. Den folgenden Satz sagte er mit seiner weichen Stimme: »Du musst keine Angst haben, mein Freund, ich werde dich nicht töten, das verspreche ich.«

»Wieso töten? Warum sollten Sie mich töten? Ich habe alles für Sie getan. Sie haben bei mir keinen Widerstand gespürt.«

»Das werde ich dir auch anrechnen.«

»Danke …« Hampton nahm sein Fernglas wieder hoch, das er hatte sinken lassen.

Er blickte nach vorn – und hielt plötzlich den Atem an, denn jetzt war es passiert. Sinclair näherte sich dem Geflügelten, ohne ihn zu sehen.

Das hatte auch Hamptons Bewacher bemerkt. Ein Kichern drang über seine Lippen. Er schüttelte den Kopf und rieb in großer Vorfreude seine Hände. »Jetzt bin ich mal gespannt, Geisterjäger, ob du es wirklich schaffst, zu gewinnen.«

***

Meine Beretta steckte noch im Halfter an meiner linken Gürtelseite. Aber mein Gegner war einfach zu schnell. Ein Treffer an der richtigen Stelle konnte sogar zum Tod führen.

Und er drosch hart zu. Doch im letzten Moment glitt ich zur Seite. So klatschte die Kette auf den Boden und rutschte noch auf mich zu.

Meine rechte Hand fasste nach der Waffe und zerrte sie aus dem Halfter hervor.

Da wurde die Kette schon wieder in die Höhe gerissen. Bevor ich einen Schuss abgeben konnte, musste ich der verdammten Kette ausweichen, was mir nicht ganz gelang, denn ich wurde an der Schulter und der Hüfte gestreift.

Ich wich zurück, lief schnell über das Dach, um aus der Reichweite der Kette zu kommen. Ich schlug Haken wie ein Hase und hörte dann, dass die Kette aufschlug, mich aber nicht traf.

Ich rannte weiter. Ich musste einen Vorsprung bekommen und dachte auch daran, dass es hier keine Deckung mehr gab, abgesehen von diesem Aufbau, der meinem Verfolger als Sprungbrett gedient hatte.

Ich lief immer im Zickzack, auf den Aufbau zu. Ich hätte die Tür öffnen und hineingehen können. Das aber wollte ich nicht riskieren. Es gab dort keine Treppe und auch keinen Lift, der mich nach unten geschafft hätte. Also blieb ich draußen, um dort den Kampf weiterzuführen. Ich lief bis zu einer Ecke und drückte mich um sie herum. Jetzt war ich für meinen Verfolger nicht mehr zu sehen.

Und ich konnte endlich Ruhe meine Waffe ziehen. Die Beretta war mit geweihten Silberkugeln geladen, und ich hoffte, dass sie mir gegen meinen Verfolger halfen.

Ich wartete, lauerte darauf, dass der Typ sichtbar wurde. Er konnte ja von zwei Seiten kommen, also musste ich beide Endpunkte der Mauer im Auge behalten.

Es war ruhiger geworden. Aber den Wind hörte ich noch immer. Wo steckte mein Feind? Er hatte genau gesehen, wohin ich verschwunden war.

Sekunden verstrichen. Das Dach blieb leer. Bis zum Ende aller Zeiten wollte ich nicht hier oben bleiben, ich musste raus aus dieser Deckung und hoffte, dass mir der Typ folgen würde.

Da sah ich ihn! Er flog über mir und hatte die perfekte Höhe eingenommen, um aus dieser Entfernung mit der verdammten Kette zuschlagen zu können.

Für einen Moment sah ich sein Gesicht mit dem weit geöffneten Mund, dann ließ er sich fallen und bewegte den rechten Arm mit der Kette. Ich hielt meine Beretta mit beiden Händen fest und zielte auf den fliegenden Mann.

Die beiden Kugeln schlugen in seinen Körper und schüttelten ihn durch. Er kam aus dem Rhythmus. Plötzlich bestanden die Bewegungen der Flügel nur aus einem unkontrollierbaren Flattern. Er klatschte regelrecht zu Boden, blieb auf dem Bauch liegen, und ich sah, dass sich die Flügel zusammenfalteten.

Ich ging auf ihn zu und drehte ihn auf den Rücken, weil ich noch in sein Gesicht sehen wollte. Es war ein menschliches Gesicht, aber auch ein sehr kaltes und irgendwie steifes. Die Haut schimmerte in einem dunklen Gelb, was mir erst jetzt auffiel.

Ich sah, was die geweihten Silberkugeln angerichtet hatten. Sie hatten ihn vernichtet. Sein Körper, der bisher noch normal ausgesehen hatte, fing an zu schrumpfen. Die Haut bekam innerhalb weniger Sekunden Risse und scharfe Falten. Auch die Farbe veränderte sich. Sie wurde grau, und für mich stand fest, dass diese Gestalt tot war.

Da hatten zwei geweihte Silberkugeln ausgereicht. Das bedeutete, dass dieser fliegende Kettenkerl nicht zu den Dämonen gehörte, die in der Hierarchie oben standen. Er war nur ein Helfer, und ich fragte mich, wer ihm die Befehle gegeben hatte.

Neben dem Toten sah ich die Eisenkette liegen. Ich hob sie hoch. Ja, sie war verdammt schwer. Hätte sie mich getroffen, wäre es mir schlecht ergangen.

Ich würde den Toten später abholen lassen. Zuvor wollte ich jedoch einem gewissen Mark Hampton einen Besuch abstatten, denn er war es gewesen, der diesen Stein ins Rollen gebracht hatte.

Ich ging davon aus, dass er meinen Kampf gegen den Kettenkiller beobachtet hatte. Jetzt würde er mir einige Fragen beantworten müssen.

***

Mark Hampton hatte sein Fernglas nicht sinken lassen, auch wenn ihm die Arme durch diese unnatürliche Haltung schmerzten, aber auf dem Dach ging es um Leben und Tod, und es stand nicht fest, wer den Kampf gewann.

Auch der Fremde sah zu. Wie er das Geschehen einschätzte, zeigte er mit keiner Regung.

Dann versperrte der Aufbau den heimlichen Beobachtern die Sicht. Mark Hampton ließ das Fernglas sinken. Er senkte auch den Kopf. Seinen Nebenmann wollte er nicht ansehen.

Es blieb still. Auch auf dem Dach passierte nichts – was den Besucher ärgerte. Er stieß einen leisen Fluch aus und beschimpfte dann John Sinclair.

Es war, als hätte Sinclair die Worte gehört, denn plötzlich war er zu sehen. Er trat aus der Deckung hervor und ging wieder über das Dach. Durch nichts war ihm anzumerken, dass er einen Kampf hinter sich hatte. Sein Gesicht und auch seine Haltung zeigten einen leicht entspannten Ausdruck.

»Das ist Sinclair!«, flüsterte Hampton. »Er hat gewonnen.«

»Sieht ganz so aus.«

»Und jetzt?«

»Er wird wissen, dass nicht Sie hinter dem Anschlag stecken. Aber er will Gewissheit haben, deshalb wird er Sie besuchen kommen«, sagte der Eindringling. »Und ich werde dafür sorgen, dass er weiß, wer hinter der Attacke steckt. Und den Hinweis darauf wirst du ihm liefern.«

Das waren Worte, die Mark Hampton ganz und gar nicht gefielen. Er sah dem Eindringling in die Augen, sah das Blau der Pupillen. Diese Farbe war so intensiv, dass sie ihm Angst einjagte. Er wollte sich wegdrehen, weglaufen, doch das war nicht mehr möglich. Plötzlich konnte er sich nicht mehr bewegen. Er stand starr auf der Stelle. So sehr er sich auch anstrengte, er schaffte es nicht, wegzukommen.

Dann hob er seinen linken Arm. Nein, das war nicht er, der ihn anhob. Der Arm hatte sich selbstständig gemacht. Hampton sah seine Hand, die in Augenhöhe zur Ruhe gekommen war. Er sah seine Finger, die ausgestreckt waren, aber das blieb nicht so. Der Ringfinger und der kleine Finger bogen sich plötzlich nach innen. Auch dazu hatte Mark Hampton nichts beigetragen. Es passierte alles wie von selbst, und es hörte erst auf, als die beiden Finger mit ihren Enden den Handteller berührten.

Hampton schüttelte den Kopf. »Was soll das alles?«, protestierte er.

»Sei froh, dass ich nicht Ernst gemacht habe. Dann würdest du deines Lebens nicht mehr froh werden. Aber du hast dich auf meine Seite gestellt, und das habe ich nicht vergessen.«

»Ja, aber …«

»Kein aber. Ich denke, dass du bald Besuch bekommen wirst. Sinclair wird einiges von dir wissen wollen, und er wird sich auch deine Hand ansehen.«

Mehr sagte der namenlose Besucher nicht mehr. Er drehte sich auf der Stelle um und ging davon. Es war noch zu hören, wie er die Tür zuschlug. Das war sein letztes Zeichen.

Zurück blieb ein geschockter Mark Hampton. Er stand da und sah seine linke Hand an. Er wollte die beiden Finger wieder geradebiegen, doch das gelang ihm nicht mehr, so sehr er sich auch bemühte.

Erst jetzt wurde Hampton richtig klar, was das zu bedeuten hatte. Das war grauenhaft. Er würde bis zu seinem Lebensende mit dieser Behinderung herumlaufen. Ihm schoss ein Würgegefühl in die Kehle. Sein Herz schlug viel schneller als sonst. Er bekam weiche Knie und musste sich setzen.

Heute!, dachte er. Heute ist ein schicksalhafter Tag für mich. Es ist vorbei.

Sekunden später flossen Tränen aus seinen Augen.

***

Es war jetzt wichtig, dass ich den Anrufer zu sprechen bekam. Nur er konnte mir weiterhelfen. Ich konnte mir vorstellen, dass er zu dem Anruf gezwungen worden war. Aber das sollte er mir selbst sagen.

Das Nebengebäude hatte ich schnell erreicht. Ich suchte nach dem richtigen Klingelschild und fand den Namen Hampton recht schnell in der oberen Reihe. Jetzt wusste ich, in welche Etage ich musste.

Ich fuhr mit dem Lift nach ganz oben, stieg aus, gelangte in einen Flur und steuerte Hamptons Wohnungstür an. Dort drückte ich auf die Klingel. Hinter der Tür hörte ich ein Geräusch. Ein Mann mittleren Alters öffnete mir. Ich sah sofort, dass er geweint hatte und wusste, dass ich hier richtig war.

Dennoch fragte ich: »Mister Hampton?«

»Ja, das bin ich. Und Sie sind John Sinclair?«

»Genau.«

Er lachte bitter und sagte dann: »Kommen Sie rein. Ich denke, wir müssen reden.«

»Ja, das glaube ich auch.«

Der Mann führte mich in einen Raum, der als Wohn- und Schlafzimmer diente. Ich ging ans Fenster. Von hier aus konnte ich auf das Dach des Hauses blicken, in dem ich wohnte. Den Toten sah ich nicht. Dafür entdeckte ich einen Feldstecher, den Hampton auf die Fensterbank gelegt hatte.

Ich rief bei meiner Dienststelle an und erklärte, was sie auf dem Dach finden konnten. Sie sollten den Toten abholen. Auch mit Suko telefonierte ich und berichtete ihm, was passiert war. Ich fügte noch hinzu, wo ich mich im Moment aufhielt und unterbrach die Verbindung. Dann drehte ich mich um und blickte Mark Hampton an, der vor mir stand und seine Hände auf dem Rücken versteckt hielt.

»Dass ich Polizeibeamter bin, das wissen Sie sicherlich.«

»Das hat man mir gesagt.«

»Gut. Und wer hat es Ihnen gesagt?«

»Ich kenne den Kerl nicht, weiß aber, dass er nicht unbedingt alt war. Er klingelte, ich habe geöffnet, und dann war es um mich geschehen. Ich konnte nicht mehr tun und lassen, was ich wollte. Dieser Hundesohn hat alles unter seine Kontrolle gebracht. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen, bis auf eine schlimme Sache, die mich wohl bis an mein Lebensende begleiten wird. Es sei denn, ich finde einen Arzt, der das richtet.«

Er zeigte mir seine linke Hand. Einen Daumen und zwei Finger sah ich, die hochstanden. Die beiden anderen Finger waren nach innen geknickt, und Hampton gab mit leiser Stimme die Erklärung.

»Was ich getan habe, das geschah unter Zwang. Und jetzt sehen Sie, was für eine Belohnung ich bekommen habe. Ich werde diese Finger nicht mehr bewegen können. Sie bleiben mein Leben lang in dieser Position.«

»Das tut mir sehr leid«, sagte ich, während mir unzählige Gedanken durch den Kopf schossen. An einem Gedanken hielt ich fest und formulierte ihn zur Frage. »Das hat Ihr Besucher zu verantworten, oder?«

Er nickte.

»Dieser junge Mann, der Sie besuchte, hatte er kalte blaue Augen?«

Hampton zuckte leicht zusammen. »Sie … Sie kennen ihn?«

»Ich weiß jetzt, wer Sie besucht hat. Ihre Hand ist sein Zeichen. Hat der Mann Sie sonst noch bedroht?«

»Nein. Allein seine Anwesenheit hat dafür gesorgt, dass ich Angst bekam. Er wollte, dass ich Sie anrufe. Das habe ich getan. Sie sind ja dann auf das Dach Ihres Hauses gegangen und haben gegen diese Gestalt gekämpft.«

»Das wollte er. Und wie hat er reagiert, als ich diesen Kampf gewonnen habe?«

»Es hat ihm nicht gefallen. An Sie kam er ja nicht heran, da hat er sich um mich gekümmert.« Er streckte mir seine veränderte Hand entgegen. »Das habe ich davon.«

»Das tut mir leid. Ich kenne diesen Kerl. Er ist grausam. Sein Aussehen ist nur Fassade. Damit kommt er bei den Menschen gut an.«

»Stimmt, Mister Sinclair. Auch ich bin leider auf ihn reingefallen.«

»Hat er sonst noch etwas zu Ihnen gesagt, was für mich interessant werden könnte?«

»Nein. Er ist dann gegangen.« Hampton nickte mir zu. »Aber Sie kennen ihn. Dann wissen Sie doch vielleicht auch, wo Sie ihn finden können.«

»Leider nicht, Mister Hampton.« Nach diesem Satz drehte ich den Kopf und sah wieder durch das recht große Fenster nach unten und damit auf das Dach meines Hauses.

Ich erblickte die Kollegen vom Yard, und auch Suko befand sich bei ihnen. Dann drehte ich mich wieder um und sah in das ängstliche Gesicht des Mieters.

Er bemerkte meinen Blick, nickte mir zu und fragte mit leiser Stimme: »Was soll ich denn jetzt machen?«

»Benehmen Sie sich wie immer. Ich glaube nicht, dass man Sie auf eine Liste gesetzt hat. Sie sind harmlos. Man hat Sie nur für bestimmte Pläne benutzt. Das ist alles.«

»Also kann ich nichts tun – oder?«

»Leider nicht.«

Er lachte bitter auf, sah zur Seite und schüttelte den Kopf.

Ich hatte in dieser Wohnung nichts mehr zu suchen und wandte mich zum Gehen. Ich bat den Mann, mich anzurufen, sollte noch mal etwas passieren.

»Ja, Sir«, versprach er.

Ich ging, und ich spürte in meinem Innern ein verdammt ungutes Gefühl. Matthias war wieder da, und diesmal hatte er sich sogar Helfer mitgebracht. Ich ging davon aus, dass er sich voll und ganz auf mich konzentrierte, und das war gar nicht gut.

***

Ich hatte eigentlich vorgehabt, wieder in meine Wohnung zu gehen und auch mit Suko zu reden, doch das musste warten, denn als ich das Haus betreten wollte, kamen mir die Männer entgegen, die den Toten trugen. Sie hatten ihn in einen Sarg aus Metall gelegt, der verschlossen war.

Ein Mann mit scharfen Falten in der Gesichtshaut trat mir entgegen. »Verdammt Sinclair, Sie haben die einzigartige Gabe, Menschen aus ihrer Normalität zu locken.«

»Wie meinen Sie das? Sich mit Leichen beschäftigen, das ist doch Ihr Beruf. Oder irre ich mich da?«

»Nein, Sie irren sich nicht. Aber es kommt auf die Person an.«

Den Blechsarg hatten die Träger auf den Boden gestellt. Nun bekamen sie von ihrem Chef ein Zeichen. Wortlos bückten sie sich und hoben den Sarg an.

Mein Blick fiel auf die Leiche. Ich konnte verstehen, dass manche Menschen Angst vor Leichen hatten. Hier traf das besonders zu. Der Tote sah alles andere als gut aus. Als hätte man ihn verbrannt. Das Gesicht war dunkel und furchig, und die Lippen waren so blass, dass sie im Gesicht kaum auffielen.

»Sind Sie mit der Betrachtung des Toten fertig, Kollege?«, fragte der Mann mich.

»Bin ich. Entschuldigung.«

»Schon gut.«

Der Sarg wurde wieder geschlossen, dann machten sich die beiden Träger auf den Weg. Mit meinen Gedanken blieb ich zurück. Die waren nicht gerade optimistisch. Ich glaubte daran, dass eine Macht schon etwas vorbereitet hatte. Und das war bestimmt nicht gut.

Man verabschiedete sich von mir, und die Kollegen waren kaum außer Rufweite, da hörte ich hinter mir einen Streit zwischen zwei Männern.

Ich drehte mich um erkannte Suko, der die Fragen des Hausmeisters abwehren musste. Ich ging zu ihnen.

»Mister Sinclair, was ist denn hier passiert?«, stürzte der Mann sich nun auf mich. »Das muss ich wissen. Es ist mein Haus, das ich zu bewachen habe. Und wen hat man da in einem Sarg aus dem Haus geschafft? Können Sie mir das sagen?«

»Es war kein Mieter. Ein Fremder …«

»Aha.« Er trat einen Schritt zurück. »Dann weiß ich ja Bescheid. Ich hörte was vom Dach. Nur, wie ist er auf das Dach gelangt?«

Ich winkte ab. »Das weiß ich auch nicht. Seien Sie froh, dass es ihn nicht mehr gibt.«

Der Hausmeister kannte mich. Er wusste jetzt, dass er mit weiten Fragen bei mir auf Granit beißen würde. Er nickte, murmelte irgendwas und ging zu seiner Loge.

Suko sah mich an. »Und?«

»Lass uns nach oben fahren. Ich erkläre dir alles, aber ich kann dir schon jetzt sagen, dass da einiges auf uns zukommen kann.«

Wir stiegen in einen der beiden Lifte. Aber dann wurde alles anders. Ich wusste nicht, in welcher Etage wir uns befanden, als ich das Gefühl bekam, dass dieser Lift plötzlich langsamer fuhr.

Ich sah Suko an, der die Stirn in Falten gelegt hatte. Auch er hatte bemerkt, dass etwas nicht stimmte.

»Was ist das, John? Wir fahren doch nicht mehr – oder?«

»Nein, wir haben angehalten, und ich habe ein verdammt mieses Gefühl.«

Suko senkte den Blick. Ich sah zur Decke. Die Kabine hatte sich nicht verändert, und doch hatte ich das Gefühl, sie irgendwie nicht mehr so um mich zu spüren. Es war etwas passiert, und es konnte durchaus sein, dass wir in eine magische Zone gelangt waren und …

»John, sieh mal!«

Sukos Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Er wies mit dem rechten Zeigefinger zum Boden, wo sich ein kaum fassbarer Vorgang abspielte. Der Boden verschwand unter unseren Füßen, und ich erwartete, gleich in die Tiefe zu stürzen.

Bis auf unsere heftigen Atemzüge war es still in der Kabine. Was wir unter unseren Füßen sahen, war keine Leere. Ich erkannte die gelblich weißen Wogen und in deren Mitte ein schwarzes, düsteres Kreuz.

Als ich es entdeckte, rann ein Schauer über meinen Rücken. Es kam mir feindlich vor. Ich spürte die Angst, dass ich in die Tiefe fallen konnte, aber das geschah nicht. Man ließ Suko und mich in einem Raum schweben, der keinen Untergrund hatte und uns in die Tiefe blicken ließ.

Vor dem gelbweißen Hintergrund stand das Kreuz wie eine Eins. Es war ein schwarzer Gegenstand, genau das Gegenteil von meinem Kreuz. Es wirkte sehr groß, und ich hatte den Eindruck, dass es etwas Böses abstrahlte.

Dann war es vorbei. Plötzlich zog sich der Boden wieder zusammen. So schnell, wie er gekommen war, glitt er zurück, und wir sahen wieder nur den Innenraum der Kabine.

Sekunden später gab es einen leichten Ruck. Danach setzte sich der Lift wieder in Bewegung, als wäre nichts passiert.

***

Wir hatten sehr bald unsere Etage erreicht, da stiegen wir aus und atmeten auf.

»Das war knapp«, sagte Suko. »Hast du eine Ahnung, wer dahintersteckt?«

»Ja – Matthias.«

Suko verzog das Gesicht. »Dann wird es kein Spaß.«

»Bestimmt nicht.« Ich hielt den Schlüssel bereits in der Hand, schloss aber nicht auf. »Mir will das Bild nicht aus dem Kopf, das man uns im Boden des Lifts gezeigt hat. Das Kreuz. Ein dunkles Kreuz, das Unruhe stiften kann.«

Suko fragte: »Meinst du, dass wir es als eine neue Bedrohung ansehen müssen?«

»Ich habe keine Ahnung. Mir kommt es wie ein Kreuz aus der Hölle vor. Etwas, das eine ungeheure Macht hat und mich stoppen soll – und das für alle Zeiten.«

Suko schnaufte. »Matthias will klar Schiff machen. Und nicht nur der, John. Es steht noch jemand hinter ihm.«

»Luzifer …«

Es war das letzte Wort, das ich sagte, bevor ich meine Wohnungstür öffnete und eintrat. Ich war auf der Hut, denn nach diesen beiden Vorfällen rechnete ich mit allem.

Suko war mir gefolgt. Wir sahen uns im Wohnzimmer um. Alles war noch an seinem Platz. Spuren eines Einbruchs oder einer Veränderung gab es nicht.

Mein Freund setzte sich auf einen Stuhl. Erst dann stellte er seine Frage: »Was war das eigentlich für ein Typ, gegen den du gekämpft hast?«

»Keine Ahnung.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen.«

»Aber es war kein Mensch?«

»Nein, Suko, obwohl er wie ein Mensch aussah. Aber die Hölle setzt auf viele Geschöpfe, das muss ich dir nicht erst noch sagen.«

Suko nickte, und sein Gesicht bekam einen nachdenklichen Ausdruck. »Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen könnte? Mit dir, meine ich.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Aber es wird weitergehen. Das war erst der Anfang. Jemand hat dich auf der Liste, John.«

»Ja, das war schon immer so.«

»Stimmt, aber jetzt geht es richtig rund. Ich brauche nur an das Kreuz zu denken. Was hast du jetzt vor?«

»Ich muss abwarten, bis sich die andere Seite wieder meldet.«

Suko sah auf seine Uhr. »Ich denke, dass ich mal nach nebenan gehe. Solltest du irgendwelchen Ärger haben, dann gib mir früh genug Bescheid.«

»Mach ich.«

Mein Freund und Kollege stand auf und verließ meine Wohnung.

Ich blieb allein zurück. In mir steckte eine gewisse Spannung, und es konnte sein, dass der Ärger erst begonnen hatte. Dennoch wollte ich mich damit nicht mehr belasten, schaltete tatsächlich die Glotze ein und nach zwei Stunden wieder aus. Hätte mich jemand gefragt, was ich genau gesehen hatte, ich hätte nur mit den Schultern gezuckt.

Schließlich ging ich ins Bett.

***

An Schlaf war beim besten Willen nicht zu denken. Zu viel ging mir durch den Kopf. Ich musste vor allem immer wieder an das schwarze Kreuz denken. Was hatte es zu bedeuten?

Ich dachte auch an Luzifer. Wenn Matthias geschickt worden war, dann möglicherweise in seinem Namen.

Ich merkte, dass mir das Liegen auch nichts brachte. Zudem hatte ich Durst, also ging ich in die Küche und holte mir eine Flasche Mineralwasser. Dann trat ich ans Fenster und sah hinaus. In der Dunkelheit bemerkte ich Bewegungen, die ich mir nicht erklären konnte. Vor dem Fenster hatte sich etwas aufgebaut, eine Projektion, aber sie war zu schwach, um sie genau erkennen zu können. Es musste sich um ein Hologramm handeln.

Jetzt verdeutlichte sich die Projektion. Und da erkannte ich den Gegenstand. Es war das dunkle Kreuz!

Es hatte eine besondere Form angenommen, eine Form, die der meines Kreuzes verdammt glich. Die Außenränder der vier Enden waren wulstig und auch beschriftet. Was dort stand, das konnte ich nicht lesen, aber ich glaubte nicht, dass es die vier Buchstaben der Erzengel waren. Das Kreuz hier hatte eine andere Bedeutung. Eine gegenteilige, wie mir klar war, und ich musste unweigerlich daran denken, dass Matthias schon einmal versucht hatte, mich mit einem Dämonenkreuz zu vernichten.1)

Ich konzentrierte mich jetzt auf die Mitte. Da war etwas, aber es war zu weit weg. Ich konnte es nicht erkennen.

Ich öffnete das Fenster. Es war kalt draußen. Hinzu kam noch der etwas böige Wind, der mir ins Gesicht schnitt. Ich richtete meinen Blick nach vorn, aber das helle Wolkengebilde zog sich zurück und damit auch das Kreuz.

Über meine Lippen drang eine Verwünschung.

Da glaubte ich, dicht am Rand eine Bewegung gesehen zu haben. Ich sah noch mal hin. Nein, da war nichts.

Nach einem letzten Blick schloss ich das Fenster und zog mich zurück. Erneut hatte ich so etwas wie eine Niederlage einstecken müssen. Die andere Seite machte mit mir, was sie wollte.

An erster Stelle stand das schwarze Kreuz. Die Ähnlichkeit zu meinem war frappierend. Nur musste ich davon ausgehen, dass dieses Kreuz möglicherweise von Luzifer geschaffen worden war.

Ich wusste, dass Luzifer alles daransetzen wollte, um mein Kreuz zu zerstören. Er konnte vieles vernichten, aber das Kreuz hatte er noch nicht geschafft. Und jetzt schien er eine Waffe zu haben, die alles andere zuvor in den Schatten stellte. Ein Höllenkreuz!

Ich geriet ins Grübeln, nahm noch einen letzten Schluck aus der Wasserflasche und stand auf. Wieder sah ich zum Fenster hinüber. Das war so etwas wie ein Automatismus, und fast in derselben Sekunde zuckte ich zusammen.

Da bewegte sich was!

Ich sah genauer hin. Es waren keine Wolken, die dort hergetrieben wurden. Es waren geflügelte Gestalten, von denen ich eine schon gesehen hatte. Auf dem Dach des Hauses.

Und jetzt war eine von ihnen hier!

***

Für einen Moment hielt ich den Atem an. Mir lief es kalt den Rücken runter. Was wollte die Gestalt von mir?

Ich wusste es nicht. Der Geflügelte patrouillierte vor der Scheibe hin und her, bewegte seinen Flügel fast lahm, aber er blieb in der Luft und auf gleicher Höhe.

Kein Angriff. Es schien ihm Spaß zu machen, vor mir zu fliegen.