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Etwas an diesem Gemälde faszinierte ihn. Faszinierte ihn so sehr, erregte ihn, sodass er seinen Blick gar nicht mehr davon abwenden konnte. Hier war ein Meister am Werk gewesen, ein wahrer Könner seines Fachs.
Der junge Mann stand wie angewurzelt da. Die Welt um ihn herum schien zu verblassen, in gleichem Maße, wie die Farben auf dem Bild intensiver zu werden schienen. So mächtig und stark, dass sie einen Sog entwickelten, dem sich der Kunststudent nicht entziehen konnte ...
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Seitenzahl: 151
Cover
Impressum
Paint it, Black!
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ezume Images; Andrew Barker/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9673-7
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Paint it, Black!
von Marc Freund
Etwas an diesem Gemälde faszinierte ihn. Faszinierte ihn so sehr, erregte ihn, sodass er seinen Blick gar nicht mehr davon abwenden konnte. Hier war ein Meister am Werk gewesen, ein wahrer Könner seines Fachs.
Der junge Mann stand wie angewurzelt da. Die Welt um ihn herum schien zu verblassen, in gleichem Maße wie die Farben auf dem Bild intensiver zu werden schienen. So mächtig und stark, dass sie einen Sog entwickelten, dem sich der Kunststudent nicht entziehen konnte …
Barnaby Howard befand sich direkt nebenan, in der mit allerhand gläsernen Schaukästen versehenen Eingangshalle des kleinen Museums.
Gerade hatte er ein etwa siebenjähriges Mädchen mit einem grimmigen Blick über seine goldgeränderte Brille hinweg angesehen, als die Kleine mit ihren von Zuckerwatte klebrigen Fingern gegen das Glas von Kasten Nummer Drei gepatscht hatte.
Barnaby hatte all seinen Grimm in diesen einen Blick gelegt und sich dazu furchteinflößend geräuspert. Ein Geräusch, als würde eine alte Badewanne leer laufen.
Das Mädchen war von dem Kasten zurückgeschreckt, in dem die Entwicklung des Menschen von der Steinzeit bis heute in kleinen Modellen dargestellt wurde.
Wenn man Barnaby nach seiner Meinung fragte, antwortete er gerne, dass manche Besucher des City Museums nie über den geistigen Status eines Primaten hinaus gelangen würden. Und die Kleine mit ihren albernen Zöpfen und der verschmierten Schnute (und den Händen … mein Gott, diesen Händen!) war keinen Deut besser als das dazugehörige Elternpaar, das müde und gelangweilt hinter ihrem Sprössling her trottete, so als wären die beiden noch dabei, den aufrechten Gang zu erproben.
Die Kleine sah Barnaby aus großen Augen an. Der alte Mann streckte ihr die Zunge heraus. Ganz kurz nur. Es reichte aus, dass das Mädchen sich nun wieder ihren Eltern zuwandte, die langsam und gemächlich dem Ausgang entgegen trotteten. Achtzehn Uhr. Feierabend.
Barnaby lächelte zufrieden und warf einen letzten Blick auf das Sudoku, das er gerade löste. Mittlerer Schwierigkeitsgrad. Die ganz schweren interessierten ihn nicht, man hatte einfach zu wenige Erfolgserlebnisse mit ihnen, und ehe man sich versah, hatte man sich vollkommen verzettelt und kritzelte nur noch wahllos darin herum, bis das Heft am Ende dieses Versuchs zerknüllt in die Ecke flog. Nein, danke.
Barnaby setzte eine Zwei und eine Fünf in die letzte Zeile und machte einen Haken an das Rätsel. Er klappte das Heft zu und blickte sich um. Die Eingangshalle des Museums war jetzt leer, nachdem die automatische Ansage über das bevorstehende Schließen des Museums schon zweimal über die Lautsprecheranlage gedrungen war.
Barnaby griff nach seinem Schlüsselbund. Es war Zeit, die Rollläden zu schließen und die Alarmanlage einzuschalten.
Aber halt. Etwas stimmte nicht. Und nach kurzem Überlegen wusste der alte Museumswärter auch, was es war.
Es fehlte jemand. Der junge Bengel mit dem dunkelgrauen Hoodie und dem kleinen grünen Rucksack. Er musste noch immer in dem Saal nebenan sein, jedenfalls hatte Barnaby ihn zwar hinein-, nicht aber wieder hinausgehen sehen.
War das etwa einer von diesen Witzbolden, die es darauf anlegten, Spielchen mit ihm zu versuchen? Barnaby erhob sich, drückte sein Kreuz durch und zog seinen Hosenbund straff. Früher, vor dreißig Jahren etwa, hätte er es noch mit jedem aufgenommen. Das war die Zeit gewesen, als er bei Henry Bowers’ Abrissunternehmen gearbeitet hatte und Margaret Thatcher noch Premierministerin gewesen war. Irgendwie waren die Dinge damals noch in Ordnung gewesen. Zumindest einige.
Barnaby griff nach seinem Schlagstock aus Hartgummi, verlor ihn beinahe aus den Händen, bevor er ihn richtig zu packen bekam und ihn unauffällig an seinem Hosenbund befestigte.
Er schloss seine Uniformjacke und machte sich mit seinen schwarz glänzenden Schuhen auf den Weg, deren Absätze in der leeren Halle deutlich vernehmbare Geräusche erzeugten.
Die Finger seiner linken Hand trippelten auf dem Griff des Schlagstocks, den er im Laufe seiner Karriere als Museumswächter erst einmal hatte einsetzen müssen, als ein Typ vor vier Jahren meinte, im oberen Saal bei den Steinzeitfunden randalieren zu müssen. Das alles nur, weil seine Frau nicht nur an jenem Tag, sondern ausgerechnet während des gemeinsamen Museumsbesuchs entschieden hatte, ihn endgültig zu verlassen. Barnaby hatte den Kerl erwischt, als dieser einen Schaukasten umwerfen wollte. Ein sauberer, gezielter Schlag von hinten gegen den rechten Ellenbogen des Kerls hatte ausgereicht.
Barnaby war kein Schläger, er hatte diese Aktion nicht genossen. Aber ein klein wenig Befriedigung hatte ihm das winzige Intermezzo schon beschert. Er passierte den Eingang zum Saal, der übersichtlich angeordnet war. Die großen, zumeist goldgerahmten Ölgemälde hingen an hohen Wänden. Dezentes Licht ließ ihre Wirkung auf den Betrachter vollends entfalten. In der Mitte des Raums waren Bänke aufgestellt, die ein Quadrat bildeten.
Der junge Mann war nirgends zu sehen.
Barnaby blinzelte, schob sich seine Brille mit den kleinen runden Gläsern zurecht.
Unter einem der Gemälde lag der Rucksack des Besuchers. Der Museumswärter erkannte ihn schon von Weitem. Er hielt darauf zu, diesmal mit schnelleren und ausgreifenden Schritten. Energisch.
»Hallo, Sir?«
Nichts. Keine Antwort, als das blechern wirkende Echo seiner Stimme, das von den Wänden widerhallte.
Barnaby starrte auf den Rucksack. Etwas daran irritierte ihn. Er bückte sich und betrachtete etwas, das dunkel auf der schmalen eisernen Schnalle glitzerte. Es handelte sich dabei um einen einzelnen Blutstropfen.
Zumindest glaubte Barnaby, dass es einer war. Ganz sicher war er sich nicht, aber er wollte es nicht austesten. Wenn er nämlich recht hatte, dann …
Etwas lenkte seine Gedanken ab. Er sah längst nicht mehr auf den Rucksack hinunter, sein Blick war weitergewandert. Zum Gemälde hinüber.
Barnaby riss ungläubig die Augen auf. Was er auf dem Bild sah, konnte nicht sein.
Es durfte nicht sein!
☆
Das Geräusch des Pinselstrichs auf der Leinwand war für einen Moment das Einzige, was in dem hellen, lichtdurchfluteten Atelier zu hören war.
Der Blick hinaus auf das Meer vor dem Strand von Holy Island war einzigartig. Die zurückgewichene Flut hatte wellenförmige und unendlich fantasievolle Muster in den hellen, schlammigen Sand gezeichnet, auf dem noch immer ein Rest Feuchtigkeit in der Mittagssonne glänzte.
Charlotte Day versuchte, dieses Bild, diese Stimmung einzufangen. Und sie war bemerkenswert gut in dem, was sie tat.
Sie strich sich eine silberne Haarsträhne aus der hohen Stirn und setzte ihre Arbeit fort. Ihr Pinsel strich in beinahe zärtlichen Bewegungen über die Leinwand und bedeckte die letzten weißen Flecken mit einem Farbton, der den hellbraunen Schlicksand da draußen in hoher Vollendung imitierte.
Charlotte war so konzentriert und gedankenversunken, dass sie nicht einmal das Geräusch hinter ihr aus dem Konzept brachte. Vielleicht auch, weil es ein Teil der täglichen Routine hier auf Lindisfarne Castle war. Schritte näherten sich. Die Dielenbretter im Zimmer knarrten leise.
»Hallo, Harrison«, sagte Charlotte leise, während sich auf ihrer Stirn eine Falte der höchsten Konzentration zeigte, als sie den Pinselstrich zu Ende führte, sich zurücklehnte und ihr Werk mit der für Künstler notwendigen Portion Skepsis betrachtete.
»Zufrieden?«, fragte der Mann, der das kleine Atelier betreten hatte.
Er trat vorsichtig von hinten an den Rollstuhl heran und strich seiner älteren Schwester mit einer leichten Bewegung über das Haar.
Sie legte den Pinsel zur Farbpalette und richtete ihren Oberkörper auf. »Kann ich dir vermutlich erst morgen sagen, mit etwas Abstand. Aber ich denke schon.«
Harrison Day lächelte matt. Er drückte sein Kreuz durch und blickte aus dem Fenster. Die Nordsee, die die Gezeiteninsel Holy Island vor der Küste Northumberlands umfing, zeigte sich heute ruhig. Nichts deutete darauf hin, dass sie bisweilen zu einem hungrigen Monster mutieren konnte.
Harrison Day und seine Frau Rachel hatten das alte Schloss Lindisfarne Castle vor zwei Jahren gekauft, nutzten selbst jedoch nur den Teil, der vor vielen Jahren bereits zu einem Privathaus umgebaut worden war.
Einen nicht unwesentlichen Teil der Kosten hatte Harrisons Schwester Charlotte beigesteuert, die sich eine Invalidenrente hatte auszahlen lassen. Zudem hatten die Geschwister ihr gesamtes Erbe eingezahlt, um diesen Besitz erwerben zu können.
Seitdem war es weitestgehend mit den Besucherströmen vorbei, die bei Ebbe hierherkamen, um sich die Insel und das Schloss anzusehen. Sie kamen nur noch bis zu einer Absperrung, etwa zweihundert Meter vor Lindisfarne gelegen.
Dies hatte anfangs zu einigem Unmut beim örtlichen Touristikverband geführt. Charlottes Verhandlungsgeschick war es jedoch zu verdanken, dass die Damen und Herren milde gestimmt werden konnten. Zweimal im Monat gab es einen Besuchertag, und hin und wieder öffnete sich das Tor am Ende der Straße auch für besondere Anlässe.
Harrison legte die Stirn in Falten. Das Tor stand tatsächlich offen. Und in diesem Augenblick näherte sich ein einzelnes Fahrzeug auf der Zufahrtsstraße. Ein schwarzer Wagen mit langer Schnauze, der aussah, als stamme er aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Was vermutlich sogar der Fall war, dachte Harrison, als das Gefährt das Tor passierte und sich über den leicht gewundenen Pfad dem markanten Hügel näherte, auf dem Lindisfarne Castle thronte.
Charlotte Day löste den Blick von ihrem Werk, als sie spürte, dass sich die Haltung ihres Bruders in ihrem Rücken versteifte.
»Erwartet ihr für heute Besuch?«
»Nein«, gab Harrison zurück. Er rieb dabei Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand aneinander, dass es leise knirschte.
Für Charlotte war es ein sicheres Anzeichen dafür, dass ihr Bruder wusste, wer sich da näherte.
»Sie hat es tatsächlich getan«, sagte Harrison in diesem Moment leise. »Sie hat ihn tatsächlich hierher eingeladen.«
»Von wem sprichst du?«, fragte Charlotte.
Dann jedoch fiel ihr ein, von wem die Rede war. Von dem Maler, den Rachel vor einiger Zeit über ein Kunstforum im Internet kennengelernt hatte. Nun, zumindest hatte sie behauptet, es sei ein Forum für Kunst gewesen. Rachel hatte in letzter Zeit von kaum etwas anderem gesprochen als von diesem Mann.
»Vielleicht solltest du hinunter gehen und nach dem Rechten sehen«, schlug Charlotte vor.
»Ja«, antwortete Harrison entschlossen, »das sollte ich wirklich besser tun.«
Bevor es zu spät ist, fügte er in Gedanken hinzu. Aber das behielt er für sich.
☆
Als Harrison die steinerne Treppe zur Halle hinunter hastete (für seine Schwester hatten sie eigens bei der Renovierung in einem freigelegten Schacht einen kleinen Aufzug installieren lassen), hörte er es bereits an der Tür klingeln.
Der warme, weiche Ton des Gongs erfüllte die geräumige Halle.
»Rachel!«, stieß Harrison aus, als er seine fast zehn Jahre jüngere Frau erkannte, die gerade im Begriff war, die Tür zu öffnen. »Rachel, warte!«
Die Dunkelhaarige wandte kurz den Kopf in seine Richtung und blickte ihn aus großen Augen an, die sie effektvoll in Szene gesetzt hatte.
»Sag mal, wie siehst du denn aus?«, sagte er, während er die letzten Treppenstufen nahm und die Halle mit ausgreifenden Schritten durchmaß.
»Wieso?«, gab Rachel mit einem schmalen Lächeln zurück. In ihrem Blick lag ein leicht spöttischer Ausdruck, der Harrison nicht gefiel.
Harrison stoppte und blieb vor ihr stehen. Er spürte sein Herz in seiner Brust pochen. »Warum hast du dich so …« Er hatte aufgetakelt sagen wollen, konnte es aber im letzten Augenblick verhindern, dass dieses Wort über seine Lippen kam. Stattdessen deutete er auf ihre High Heels, das schwarze Abendkleid mit dem blutroten Gürtel und ihr Gesicht, das in einer frühlingshaften Frische aufgeblüht war.
»Du scheinst vergessen zu haben, dass wir heute einen Gast haben«, antwortete sie. Ihre geschminkten Lippen glänzten verführerisch. Außerdem hatte sie offenbar ein neues Parfüm aufgelegt. Der Duft war Harrison fremd. So wie der Rest seiner Frau.
»Es ist allerhöchstens dein Gast«, konterte Harrison. »Und ich hatte angenommen, wir seien uns über dieses Thema einig gewesen. Wir haben doch vor ein paar Tagen lange genug darüber gesprochen.«
Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb. Ein zorniger Ausdruck umspielte ihre Augen.
»Ja, das haben wir. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mich damit abgefunden habe! Dies ist auch mein Haus, Harrison. Das solltest du nicht vergessen.«
Sie machte Anstalten, die Tür zu öffnen.
Er packte sie am Arm. »Rachel! Ich will diesen Mann nicht im Haus haben!«
Es läutete erneut. Harrison starrte zur Tür, die nur eine Armlänge entfernt war.
Rachel suchte seine Augen und ließ ihren Blick hinunter auf die Hand wandern, mit der er sie noch immer berührte.
Harrisons Finger lösten sich beinahe automatisch. »Rachel«, flüsterte er, »ich habe einfach kein gutes Gefühl dabei. Tu’s nicht. Mir zuliebe.«
Sie sah ihn für die Dauer von wenigen Sekunden an. Dann kehrte der leichte Spott in ihre Augen zurück. Ihr rechter Mundwinkel zuckte. Sie drehte sich um, griff die Klinke und drückte sie herunter.
Die wuchtige Holztür schwang nach innen auf.
In dem gemauerten Bogen der Türöffnung stand ein dunkel gekleideter, hochgewachsener Mann mit schwarzen Augenbrauen, die über der Wurzel der asketischen Nase zusammengewachsen waren.
Er trug in der einen Hand seinen Hut, in der anderen einen Strauß weißer Rosen, die im Einklang mit seinem makellosen Hemd standen, das unter dem dunklen Anzug hervorlugte.
Der Gast deutete eine Verbeugung an. »Es ist mir eine Ehre«, sagte er und überreichte die Blumen an die Dame des Hauses.
Harrison Day beobachtete die Szene fassungslos.
»Die sind für Sie, meine Liebe.« Die Stimme des Besuchers klang warm und war dabei von einer intensiven maskulinen Tiefe.
Harrison sah, wie seine Frau errötete, während sie den überbordenden Strauß entgegennahm. Die Stängel und Blätter der Rosen erzeugten dabei quietschende Geräusche.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, entgegnete Rachel, die seitlich an dem Strauß vorbei blickte. »Bitte treten Sie doch ein.«
Der Gast nickte, wobei ein Lächeln seine Lippen umspielte.
Harrison dachte an die Szene aus einem alten Vampirfilm, in dem der Blutsauger ein Haus erst betreten konnte, wenn ihn jemand dazu eingeladen hatte. Nun, wie es aussah, hatten sie diesen Teil gerade hinter sich. Nur dass der Kerl im eleganten Anzug kein Vampir war, sondern … etwas anderes. Was genau, würde Harrison noch herausfinden.
Das erste Mal begegnete er dem Blick des Mannes. Dunkle Augen, in denen die Pupillen kaum auszumachen waren und die wie schwarze Murmeln wirkten, die jemand auf Hochglanz poliert hatte.
»Oh, das ist mein Mann«, sagte Rachel in einem Tonfall, als hätte sie ihn gerade erst neben sich entdeckt. Sie lachte nervös. Etwas, das gar nicht zu ihrem sonstigen Wesen passen wollte.
»Harrison? Das ist er. Das ist Ethan Black!«
Der Hausherr versteifte sich. Er ergriff wortlos die Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Sie fühlte sich unangenehm warm an, fast heiß, und auf ihrem Rücken wucherte ein dichtes Geflecht aus schwarzen Haaren.
Harrison widerstand dem Impuls, den Händedruck sofort wieder zu lösen.
Black lächelte. Für einen Augenblick wurden zwei Reihen ebenmäßiger Zähne sichtbar.
»Mister Day, ich freue mich ganz besonders, Gast in Ihrem Hause sein zu dürfen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Ihnen für die freundliche Einladung.«
Das war eine Farce, dachte Harrison. Wie ein Schlag ins Gesicht. Und er hatte den Verdacht, dass Black dies ganz genau wusste. Nicht umsonst sah er ihn in diesem Augenblick mit sprühender Neugier und einem feinen, ironischen Lächeln an.
»Sie … kommen geradewegs aus London?«, fragte Harrison. Es waren die ersten Worte, die ihm eingefallen waren.
Blacks Lächeln wurde breiter, als hätte er auch dies geahnt.
»Oh, ich bin zurzeit auf einer Ausstellungsreise, die mich durch das ganze Land führt. Während sich meine Werke noch in Leeds und York befinden, halte ich bereits Ausschau nach neuen Flächen und Räumlichkeiten.«
Eine unangenehme Pause entstand. Die Worte des Gastes hallten in Harrison nach und erzeugten düstere Schwingungen.
»Darling, warum siehst du nicht nach einer passenden Vase für die wundervollen Blumen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte Rachel ihrem Mann die Rosen in die Hand.
Harrison spürte, wie sich ein Dorn tief in seinen rechten Daumen bohrte. Fast hätte er aufgeschrien. So drang nur ein mürrischer Laut aus seiner Kehle, den Rachel offenbar als Zustimmung deutete. Sie hakte ihren Gast unter und bedachte ihn mit einem aufgeregten Schwall aus Worten.
Harrison schien überflüssig geworden zu sein. Er blickte den beiden hinterher, wie sie die Halle durchquerten und in dem kleinen Salon verschwanden, in dem sich Rachel besonders gern aufhielt.
Wie in Trance wanderte Harrison in die entgegengesetzte Richtung. Er saugte dabei an seinem Daumen, spürte den metallischen Geschmack seines Blutes auf seiner Zunge.
In der Küche fand er in einem der Unterschränke eine annähernd passende Vase aus Ton. Er füllte sie zur Hälfte mit Wasser und stopfte die Blumen achtlos hinein.
Aus dem kleinen Salon drang Gelächter zu ihm herüber. Harrison Day stand unter der Küchenlampe und saugte das Blut von seinem Daumen. Dunkle Gedanken empfingen ihn. Aus gutem Grund, denn mit Ethan Black hatte etwas Einzug gehalten, was niemals die Schwelle dieses Hauses hätte passieren dürfen.
☆
Ich ließ den Audi auf dem Parkplatz vor dem roten Backsteingebäude ausrollen und stellte den Motor ab. Während der Fahrt von London hatte es leicht zu regnen begonnen. Dieser Wettertrend setzte sich hier in York fort.
Ich löste den Sicherheitsgurt, blickte zum Beifahrersitz hinüber und fuhr meinen linken Ellenbogen aus. Er traf meinen Mitfahrer in die Rippengegend.
»Mhh«, machte Suko, ohne die Augen zu öffnen oder sich zu bewegen.
»Was soll das heißen?«, fragte ich mit einem Augenzwinkern. »Stehst du neuerdings auf Schmerzen?«
Mein Partner blinzelte. »Mhh heißt, ich hätte gerne noch etwas weiter meditiert.«
»Ah ja. Ich wusste gar nicht, dass man dabei auch Schnarchlaute von sich gibt.«
»Doch, doch«, erwiderte Suko, während er sich streckte und ungeniert gähnte, »das ist eine ganz besondere Form der Tiefenentspannung.«
»Ich glaube eher, dass du die letzte Nacht mit Shao hattest und deswegen so wenig ausgeruht bist.« Ich zwinkerte ihm zu und stieg aus dem Wagen.
Das Museumsgebäude lag in unmittelbarer Nähe der Hauptstraße und wurde lediglich durch eine Reihe verkümmert wirkender Buchen vom Straßenlärm abgeschirmt. Er handelte sich um einen kastenförmigen Bau, der von außen wenig einladend wirkte. Daran änderten auch die vielen bunten Plakate an der Innenseite der Glasfront nichts.
Ich wartete, bis Suko den Wagen halb umrundet hatte. Gemeinsam stiegen wir die Stufen zum Eingang hinauf.