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Suko und ich waren eingesperrt. In einer vergitterten Zelle im Keller eines uralten Herrenhauses an den Klippen der portugiesischen Küste. Man hatte uns unsere Waffen abgenommen: mein Kreuz, Sukos Dämonenpeitsche, die Berettas ...
Wir hörten, wie am oberen Ende der Treppe, die in den Keller führte, eine eiserne Tür geöffnet wurde. Schleifende Schritte näherten sich. Und dann sahen wir im Halbdunkeln das Exekutionskommando, das uns unsere Feinde geschickt hatten.
Es waren Vampire, und sie kamen, um unser Blut zu saufen. Suko und mir stand ein erbarmungsloser Kampf auf Leben und Tod bevor ...
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Seitenzahl: 149
Cover
Die Vampir-Grotte
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Die Vampir-Grotte
von Marc Freund
Das Meer war ruhig und schimmerte im silbrigen Licht des Mondes. Ein leichter Wind wehte von der See her. Er war warm, schmeckte nach Salz und ließ die Kronen der Seepinien am Rand der schroffen Küste Südportugals leise rascheln.
Leandro Pereira spürte den zarten Hauch auf seiner schweißnassen Stirn und dachte dabei an Camilas Atem. Genauso musste er sich anfühlen.
Der junge Mann zuckte zusammen, als er sie plötzlich am Rand der Klippen stehen sah. Sie blickte aufs Meer hinaus, dann trat sie einen Schritt vor.
In der nächsten Sekunde war sie verschwunden!
»Camila!«
Leandros Ruf gellte über das Gelände. Im gleichen Augenblick setzte er sich in Bewegung, hielt auf den Klippenrand zu und stoppte gerade noch rechtzeitig ab.
Er fürchtete, Camila dort unten in den Wogen des Atlantiks treiben zu sehen, ihr weißes Kleid ausgebreitet, auf der Wasseroberfläche treibend wie ein Leichentuch.
Doch da unten war nur sich bewegende Schwärze, dann und wann durchzogen von weißen Gischtkronen im Licht des Mondes.
»Camila!«, rief er noch einmal.
Er erhielt keine Antwort.
Dafür nahm er in den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Leandro fuhr halb herum und erkannte direkt neben sich eine Unterbrechung im schroffen Gestein. Es waren Stufen, die in die Tiefe führten, pechschwarz und eins geworden mit der Dunkelheit.
Leandro verengte die Augen zu Schlitzen. Er glaubte, tief unter sich eine Gestalt auszumachen.
Camila!
Er täuschte sich nicht. Er beugte sich vor und rief noch einmal ihren Namen.
Doch es der Wind und die tosende Brandung verschluckten jegliches Geräusch.
Die junge Frau auf der Treppe bewegte sich mit langsamen Schritten die Stufen hinunter. Wie eine Schlafwandlerin, die ihr Ziel selbst nicht kannte.
Was hatte sie um diese Zeit hier verloren?, dachte Leandro. Es war immerhin kurz vor Mitternacht, und ihr Kleid schien mehr ein Nachtgewand zu sein. Ob sie ihn gesehen hatte? Ob sie irgendein Spiel mit ihm trieb?
Leandro zögerte nicht länger. Schon hatte er die ersten Stufen zurückgelegt. Im Gehen hatte er sein Feuerzeug hervorgeholt. Das Licht der Flamme reichte gerade so weit, dass er die nächste Stufe halbwegs erkennen konnte. Dabei achtete Leandro darauf, möglichst dicht an der Felswand zu bleiben. Ein falscher Schritt konnte das Ende bedeuten. Die Klippen fielen an dieser Stelle etwa fünfzig Meter weit ab. Unten brach sich die Brandung und erzeugte ein Tosen und Rauschen. Leandro ertappte sich dabei, wie er einmal hinuntersah. Sein Blick wurde in eine Art Strudel gezogen. Beinahe wäre er gestolpert!
Sein Herz setzte für einen Schlag aus, so kam es ihm vor. Keuchend drückte er sich gegen die Wand.
Der Wind hatte sein Feuerzeug ausgeblassen. Leandro schnippte es wieder an und schirmte die Flamme mit der anderen Hand gegen die immer wieder wie aus dem Nichts heranjagenden Böen ab.
Weiter. Er durfte Camila nicht aus den Augen verlieren.
Seine Schritte erzeugten dumpfe Laute auf den Stufen, die man offenbar vor Urzeiten in den Fels gehauen hatte.
Wieder wagte Leandro einen Blick hinunter. Camila hatte fast das Ende der Treppe erreicht, was ihn ein wenig erleichterte, denn er war mittlerweile der festen Überzeugung, dass sie schlafwandelte. Ihre Bewegungen jedenfalls deuteten darauf hin.
Er beeilte sich, zu ihr aufzuschließen. Camila de Monteiro war seit über einem Jahr das Objekt seiner Begierde. Er war ihr mehr als einmal in Sagres begegnet, hatte sie in einem kleinen Café sitzen sehen und sie seitdem nicht mehr vergessen. In seinen Augen war sie eine Schönheit. Gerade mal neunzehn Jahre, wie er in Erfahrung gebracht hatte. Dazu schlank und mit glänzenden schwarzen Haaren, die ihr bis zu den Hüften reichten. Er hatte ihr seine Handynummer auf eine Serviette geschrieben und war überglücklich gewesen, als sie ein paar Tage später tatsächlich angerufen hatte.
Kurz darauf hatten sie sich in dem kleinen Café getroffen und bei zwei Tassen Bica und Blätterteigtörtchen eine Stunde der Zweisamkeit verbracht, die sich in Leandros Hirn als ein unvergessliches Erlebnis eingebrannt hatte. Seitdem formten seine Lippen unentwegt ihren Namen, manchmal flüsternd, zuweilen auch lautlos, wenn andere in der Nähe waren. Camila war in seinen Gedanken, sie war überall.
In den letzten Tagen allerdings hatte sie sich rar gemacht.
Leandro hatte immer wieder versucht, sie anzurufen, doch da war nur das Freizeichen in der Leitung gewesen. Den ganzen Abend über hatte er gegrübelt, nachgedacht, Pläne geschmiedet und sie doch gleich wieder verworfen.
Nach einigen weiteren erfolglosen Versuchen, sie telefonisch zu erreichen, war seine Sehnsucht geradezu übermächtig geworden. Er war auf sein Moped gestiegen und war hier herausgefahren, an den wohl einsamsten Ort, den sich Leandro überhaupt vorstellen konnte.
Camila hatte ihm ihre Adresse nicht geben wollen. Doch sie hatte erwähnt, dass sie die Tochter der Gräfin de Monteiro war, und er hatte herausgefunden, dass sie hier an der Küste wohnte.
Er war also hergefahren, und schließlich hatten sich vor ihm die Umrisse eines riesigen Hauses gegen den Nachthimmel abgezeichnet.
Jetzt trennten ihn von ihr nur noch schätzungsweise zehn Meter. Camila war auf einem kleinen Felsplateau stehen geblieben, gegen das die Brandung anrannte und weißen Schaum auf den nassen Stein warf.
Sie stand im Mondlicht und breitete für einen Moment die Arme aus, wobei sich die Konturen ihres Körpers unter dem fließenden Nachthemd abzeichneten. Sie reckte ihr Gesicht in den fahlen Schein, als verwechselte sie es mit den wärmenden Strahlen der Sonne.
Der junge Mann beschleunigte seine Schritte noch. Nur noch wenige Stufen trennten sie voneinander. Gerade wollte er erneut ihren Namen rufen, als sich Camila plötzlich nach rechts wandte und in einem dunklen Durchgang verschwand!
Von einer Sekunde auf die andere hatte die Dunkelheit sie verschluckt.
Leandro stieß einen leisen Fluch aus und wollte sein Feuerzeug wieder anschnippen, doch der Wind und die Gischt hier unten waren zu stark.
Er ging weiter, auf den dunklen Eingang zu, der von scharfkantigen Felsen gesäumt wurde.
Was, um alles in der Welt, war das? Eine Höhle?
Leandro hatte noch nie davon gehört. Aber er hatte bis vor wenigen Tagen auch nichts vom Haus der Gräfin de Monteiro, Camilas Mutter, gewusst.
Hier draußen hörte die Welt einfach auf. Und zwar genau hier, bei diesem Plateau, über das hin und wieder gierig die Wellen leckten, aber offenbar nie den Eingang zur Höhle erreichten.
Er trat ein und war im Nu von Finsternis umgeben. Leandro atmete flach und lauschte. Er glaubte, das Geräusch von leisen Schritten zu hören, aber es war genauso gut möglich, dass ihm seine Fantasie etwas vorgaukelte, zumal das Tosen der Brandung von draußen laut hereindrang.
Also wagte er sich weiter ins Unbekannte.
Leandro hob erneut das Feuerzeug. Dieses Mal hatte er mehr Glück. Die Flamme flackerte einen Augenblick, um dann endlich stabil zu werden.
Sand und winzige Steine knirschten unter seinen Sohlen, als er weiter in die Höhle eindrang. Mehrfach blieb der junge Mann stehen, um sich umzublicken. Von Camila war nirgends etwas zu sehen. Dafür gab es andere Dinge, die seine Aufmerksamkeit erregten. Die hohen Wände aus schroffem Gestein, Salpeterablagerungen, die im Schein der kleinen Flamme grünlich schimmerten.
Die Höhle glich den Kellerkatakomben, die Leandro als kleiner Junge auf dem Weingut seines Großvaters gesehen hatte. Es handelte sich um mehrere riesige Hohlräume, voneinander getrennt durch natürliche Felssäulen und teilweise niedrige Decken, die vage an gemauerte Rundbögen erinnerten.
Seine Schritte erzeugten ein unheimliches Echo.
Stalaktiten ragten von der Decke teilweise über einen Meter weit nach unten. An einigen Stellen, an denen die Felsendecke besonders niedrig war, musste er ihren spitz zulaufenden Enden ausweichen, um nicht mit dem Kopf dagegen zu stoßen.
»Camila?«
Seine Stimme durchbrach die gespenstische Stille und wurde von den hohen Wänden zurückgeworfen. Sie war nahezu der einzige Laut in der Grotte, denn selbst die Brandung war inzwischen zu einem undeutlichen Murmeln abgeschwollen.
Die Antwort aber war ein leises Rascheln, so als bewegte sich irgendwo in seiner Nähe jemand oder etwas.
Leandro drehte sich um die eigene Achse. Sein Schatten wanderte dabei in sprunghaften Bewegungen über die Wände, einem Raubtier gleich, das ihn belauerte.
Der junge Student war sich sicher, nicht allein an diesem Ort zu sein. Doch wo steckte Camila? Warum antwortete sie nicht?
Er konnte es sich nur so erklären, dass sie tatsächlich schlafwandelte, ihn einfach nicht wahrnahm und deswegen immer weiter hinein in die Höhle wanderte.
Die kleine Höhle, durch die er sich jetzt bewegte, wurde zu einer Art Stollen, der eine leichte Kurve beschrieb. Eine schroffe Felswand versperrte ihm die Sicht. Leandro wich ihr aus und gelangte in einen gewaltigen Hohlraum, der dem Innern eine Kathedrale glich. Die Decke musste eine Höhe von mindestens zwanzig Metern haben. Darunter hingen wieder massive Stalaktiten, die weit herunterreichten und sicher einen Umfang von einem halben Meter oder mehr hatten.
Direkt darunter stand sie: Camila!
Sie wirkte selbstversunken. Oder sogar apathisch. Ihre Schultern hingen herab, gleichzeitig hatte sie den Kopf in den Nacken gelegt und starrte nach oben. Ihr schwarzes Haar fiel dabei gleichmäßig über ihren Rücken.
Leandro wollte sie nicht erneut rufen. Er hatte irgendwo gelesen, dass es nicht ratsam war, Schlafwandler gewaltsam aus ihrem Zustand zu reißen. Sie konnten dabei Schaden nehmen.
Also näherte er sich langsam, vorsichtig und mit kleinen Schritten.
Der Schein seines Feuerzeugs huschte über die Wände, streifte dabei auch Camilas weißes Gewand und ließ ihr langes Haar für einen Moment glänzen.
Nichts an ihrer Haltung verriet, dass sie sein Kommen bemerkte. Sie stand still, rührte sich keinen Millimeter. Leandro hätte nicht einmal beschwören können, ob sie überhaupt atmete.
In seiner Rechten, die aus unerklärlichen Gründen leicht zitterte, hielt er das Feuerzeug. Seine Linke streckte sich nach ihrer Schulter aus und senkte sich langsam darauf herab.
Ihr Körper fühlte sich im ersten Augenblick eiskalt an, aber vielleicht, so dachte er, war der seidige Stoff ihres Gewands schuld daran.
Es vergingen zwei Sekunden ... drei ...
Camila senkte den Kopf, drehte das Gesicht leicht in Leandros Richtung. Ihr Blick füllte sich mit Leben, ihre Augen weiteten sich unmerklich, als sie den jungen Mann vor sich wahrnahm.
»Du?«, fragte sie leise. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern. »Was tust du hier?«
»Ich ...«
»Bist du mir gefolgt?« Wieder veränderte sich etwas im Ausdruck ihrer Augen. Ein Flackern lag darin, so als würde sich die unruhige Flamme des Feuerzeugs in ihren dunklen Pupillen spiegeln.
»Ja«, presste er hervor. »Ich wollte dich sehen. Du ... du hast meine Anrufe nicht angenommen und auch nicht zurückgerufen. Ich wollte dir sagen ...«
Sie schüttelte den Kopf. Eine sachte Bewegung nur, doch sie reichte aus, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Das hättest du nicht tun dürfen.«
Leandro spürte, wie sich ein Kloß in seiner Kehle bildete. Er schluckte, musste sich räuspern, um wieder sprechen zu können. »Warum nicht? Ich dachte, unser Treffen hat dir gefallen.«
»Das hat es«, antwortete sie und nickte dabei. »Und eben deswegen habe ich auf deine Anrufe nicht reagiert. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen.«
Er sah sie erstaunt an. »Das verstehe ich nicht.«
Wieder war etwas in ihrem Blick. Etwas Fieberhaftes, Fahriges, so als würde sie Angst empfinden.
»Du kannst es nicht verstehen«, flüsterte sie.
Camila hob ihre rechte Hand. Ihre Finger streiften seine heiße Wange.
»Bitte geh! Geh, solange du es noch kannst!«
Leandro hörte ihre Stimme, doch er verstand nicht, was sie ihm sagen wollte.
»Du schickst mich weg?« Er trat von einem Fuß auf den anderen und sah sich dabei nach allen Seiten um. »Warum tust du das? Triffst du dich hier mit jemandem?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Lippen bebten. »Geh, Leandro! Jetzt!«
Der junge Mann wollte etwas erwidern, doch ein Geräusch hielt ihn davon ab. Er wusste im ersten Augenblick nicht, was es gewesen oder woher es gekommen war.
Das sollte er noch erfahren, doch da war es bereits zu spät.
Etwas beobachtete ihn!
Leandro wusste es, doch er konnte die Quelle der Gefahr nicht ausmachen. Er hörte die Geräusche. Es war, als würde sich etwas aus dem Gestein rings herum lösen.
Und tatsächlich rieselten kleine Staubpartikel durch die Luft, Leandro sah sie im Schein der Flamme.
Wieder blickte er sich um. Doch da war nichts.
Dann kam ihm in den Sinn, wie Camila vor ein paar Minuten dagestanden und zur Decke geblickt hatte.
Nicht ziellos, wie ihm jetzt klar wurde.
Da oben zwischen den Stalaktiten war etwas. Er nahm eine Bewegung war, so als ob einer der steinernen Auswüchse zum Leben erwacht war.
Leandro verengte die Augen zu Schlitzen, versuchte, seinen Blick zu schärfen.
Die Bewegung dicht unter der Decke setzte sich fort, als würde sich dort eine Gestalt entblättern. Wieder rieselte Staub zu Boden, diesmal waren sogar kleinere Gesteinspartikel darunter, als würde dort oben jemand die Felswände mit einem Meißel bearbeiten.
Leandro hielt das Feuerzeug höher, während Camila von ihm zurückwich.
Die Bewegung unter der Decke nahm ihn gefangen. Etwas löste sich dort. Etwas, das aussah wie zwei gigantische Flügel.
Lederne Schwingen, die sich entblätterten und den Blick auf eine albtraumhafte Gestalt freigaben. Ein hässlicher dreieckiger Schädel erschien zwischen muskulösen Schultern. Zwei Augen, die in der Dunkelheit gelb und raubtierhaft leuchteten. Ein spitzes Maul mit zwei überlangen Fangzähnen, von denen eine gallertartige Substanz tropfte.
Etwas klatschte direkt vor Leandros Füße und mischte den Staub am Boden zu einem klebrigen Brei.
Er begriff, dass sich das Wesen dort oben im nächsten Augenblick auf ihn stürzen würde. Camila war nur noch eine Beobachterin, auch das hatte er verstanden.
Das Feuerzeug glitt ihm aus den Fingern und fiel zu Boden. Die Flamme züngelte noch für einen winzigen Moment, dann war sie erloschen.
In völliger Dunkelheit wirbelte Leandro herum und begann zu rennen. Er hatte einen ausgeprägten Orientierungssinn und wusste, wo er den Eingang dieses Höhlensystems fand.
Und er wusste auch, dass er um sein Leben rannte.
Alles würde davon abhängen, den Ausgang rechtzeitig zu erreichen. Jenen in milchigem Mondlicht blass schimmernden Fleck.
Ein spitzer, beinahe ohrenbetäubender Schrei gellte durch die Höhle. Kein Mensch wäre zu einem solchen Laut in der Lage gewesen. Ein anderes Geräusch mischte sich darunter: Das gleichmäßige Schlagen der lederartigen Flügel.
Das Monstrum hatte seinen Platz unter der Decke verlassen, um Jagd auf ihn zu machen.
Leandro keuchte vor Entsetzen. Eine Sekunde lang befürchtete er, den Weg zum Ausgang verpasst zu haben, doch es war nur eine der steinernen Säulen, die ihm den Weg und damit auch die Sicht versperrten.
Hinter ihm jagte das Ungetüm heran. Fast war ihm, als schiebe die Kreatur einen unangenehm warmen Lufthauch vor sich her.
Leandro warf sich nach vorn, prallte mit der rechten Schulter gegen die Säule, bevor es ihm gelang, sich dahinter in Sicherheit zu bringen. Er landete dabei auf den Knien, riss sich die Hose und die Haut darunter auf.
Ein gewaltiger Schatten fegte halb über ihm hinweg und an ihm vorbei. Dabei stieß die Kreatur einen weiteren spitzen Schrei aus.
Er hörte, wie sich das Biest entfernte. Doch vermutlich nur, um irgendwo in der Nähe des Ausgangs eine Kurve zu fliegen und zurückzukehren.
Leandro spürte, wie sein Herz in seiner Brust hämmerte. Er atmete durch den offenen Mund, hatte plötzlich das beklemmende Gefühl, nicht genug Sauerstoff zu bekommen.
Die Bestie näherte sich. Das Geräusch der schlagenden Flügel wurde von den Wänden zurückgeworfen und schien allgegenwärtig zu sein.
Er rappelte sich auf, orientierte sich an der Säule, die er hart in seinem Rücken spürte.
Wieder ein Kreischen, begleitet von dem warmen Lufthauch. Leandro wollte ausweichen, doch dies gelang ihm nur halb. Ein furchtbarer Schlag traf ihn an der linken Schulter und wirbelte ihn herum. Er spürte, wie die Haut unter seinem zerfetzten Hemd aufgerissen wurde und wie etwas Warmes seinen Rücken hinunterrann.
Die Kreatur war weitergeflogen, doch Leandro wusste mit tödlicher Gewissheit, dass sie erneut zurückkehren würde.
Wenn er überhaupt noch eine Chance hatte, dem Wesen zu entkommen, dann war es diese.
Ohne zu überlegen, rannte Leandro los, auf den Ausgang zu, der nur noch wenige Meter weit entfernt war.
Dabei versuchte er, die Geräusche hinter sich auszublenden. Er musste jetzt einfach schnell genug sein. Eine Alternative gab es nicht.
Der Ausgang kam näher. Leandro nahm bereits den salzigen Geruch des Atlantiks wahr. Ein fahler Streifen Mondlicht fiel auf den Boden vor ihm. Der Student hatte den Eingang zur Grotte beinahe erreicht. Er streckte unbewusst die Hände danach aus, als wollte er danach greifen.
Beinahe wäre er gestolpert. Ein paar Schritte nur noch.
Der mörderische Hieb in den Rücken ließ ihn aufschreien und katapultierte ihn nach vorne. Leandro wäre gestürzt, doch die messerscharfen Krallen, die sich in seinen Rücken gruben, hielten ihn auf den Beinen. Er versuchte weiterzutaumeln, dem Ausgang entgegen.
Leandro stöhnte vor Schmerz, Tränen schossen ihm in die Augen. In einem Akt der Verzweiflung hob er die Arme und versuchte, das Ding, das sich in seinem Rücken festgekrallt hatte, zu fassen zu bekommen. Seine rechte Hand packte etwas Ledriges, doch es gelang Leandro nicht, seinen Widersacher von sich zu lösen.
Die Kreatur flatterte auch nicht mehr mit ihren Schwingen, sondern drückte nun mit ihrem ganzen Gewicht auf Leandros Rücken. Er taumelte, stolperte, bis schließlich die Beine unter ihm wegknickten.
Hart schlug er auf dem Boden auf. Über ihm war ein Kreischen, das zugleich Triumph und Gier auszudrücken schien.
Leandro wusste, dass er verloren hatte, noch ehe sich die beiden nadelspitzen Zähne tief in seine Halsschlagader bohrten.
Das kleine Boot näherte sich langsam der Küste. Der Motor tuckerte gemächlich in einem einschläfernden Takt.
Die beiden Männer hatten draußen auf See die Netze ausgebracht und kehrten mit ein paar Muscheln und Krebsen beladen nach einem langen Nachmittag zurück. Sie hatten die Gelegenheit genutzt, eine Flasche Wein zu leeren, während sie da draußen gewesen waren. Ein alter Brauch, dem sie bereits seit Jahren frönten.
Santiago und Francisco waren einfache Arbeiter aus Sagres, die die Fischerei nur nebenbei betrieben und sich dabei ein Boot teilten.
Der Abend war mild. Noch immer waren selbst auf dem Wasser die hohen Temperaturen des allmählich zu Ende gehenden Tages zu spüren. Es war ein stiller Tag gewesen, es herrschte kaum Wellengang, was nicht allzu häufig vorkam.