Jud Süß - Lion Feuchtwanger - E-Book
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Lion Feuchtwanger

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Beschreibung

Die legendäre Gestalt des Jud Süß. Der jüdische Kaufmann Josef Süß Oppenheimer steigt an der Seite des Herzogs Karl Alexander zum mächtigsten Mann Württembergs auf. Als seine geliebte Tochter Naemi vor den Nachstellungen des Herzogs in den Tod flüchtet, schwört Süß seinem verschwenderischen Leben ab und stellt dem Landesherrn eine Falle. Doch der Tod des Herzogs besiegelt auch seinen eigenen Untergang.

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Seitenzahl: 801

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Lion Feuchtwanger

Jud Süß

Roman

Impressum

Mit einer Nachbemerkung von Gisela Lüttig

Textgrundlage:

Lion Feuchtwanger, Gesammelte Werke in Einzelbänden,

Band 1, Aufbau-Verlag GmbH, Berlin 1991

ISBN 978-3-8412-0613-8

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2013

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Bei Aufbau erstmals 1959 erschienen; Aufbau ist eine

Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung capa design, Anke Fesel

unter Verwendung des Gemäldes „St. Jerome in seinem

Studierzimmer“, Bartolomeo Cavarrozzi, Bridgeman Art

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Impressum

Inhaltsübersicht

Erstes Buch - Die Fürsten

Zweites Buch - Das Volk

Drittes Buch - Die Juden

Viertes Buch - Der Herzog

Fünftes Buch - Der Andere

Erstes BuchDie Fürsten

Ein Netz von Adern, schnürten sich Straßen über das Land, sich querend, verzweigend, versiegend. Sie waren verwahrlost, voll von Steinen, Löchern, zerrissen, überwachsen, bodenloser Sumpf, wenn es regnete, dazu überall von Schlagbäumen unterbunden. Im Süden, in den Bergen, verengten sie sich in Saumpfade, verloren sich. Alles Blut des Landes floß durch diese Adern. Die holperigen, in der Sonne staubig klaffenden, im Regen verschlammten Straßen waren des Landes Bewegung, Leben und Odem und Herzschlag.

Es zogen auf ihnen gewöhnliche Postwagen, dachlose Karren, ohne Polster, ohne Lehne, humpelnd, oft zusammengeflickt, und die schnelleren Wagen der Extrapost, viersitzige, mit fünf Pferden, die bis zu zwanzig Meilen im Tag fahren konnten. Es zogen auf ihnen die Eilkuriere der Höfe und Gesandten, auf guten Pferden, oft wechselnd, mit versiegelten Taschen, und die langsameren Boten der Thurn-und-Taxisschen Post. Es zogen Handwerksburschen mit Ranzen, biedere und gefährliche, und Studenten, hager und sanft die einen, die andern fest und verwegen, und eng schauende Mönche, verschwitzt in ihren Kutten. Es zogen die Planwagen der großen Kaufleute und die Handkarren hausierender Juden. Es zog in sechs soliden, etwas schäbigen Kutschen der König von Preußen, der den süddeutschen Höfen Besuch gemacht hatte, und sein Gefolge. Es zogen, ein endloser Wurm von Mensch und Vieh und Wagen, die Protestanten, die der Salzburger Fürstbischof geifernd aus seinem Land verjagt. Es zogen bunte Komödianten und Pietisten, nüchtern von Tracht und in sich verloren, und in prächtiger Kalesche mit Vorreiter und großer Bedeckung der hagere, hochmütig blickende venezianische Gesandte am sächsischen Hof. Es zogen auf dem Weg nach Frankfurt unordentlich auf mühsam zusammengestapeltem Fuhrwerk vertriebene Juden einer mitteldeutschen Reichsstadt. Es zogen Magister und Edelleute und seidene Huren und tuchene Referenten des Kammergerichts. Es zog behaglich in vielen Kutschen der dicke, schlau und fröhlich schauende Fürstbischof von Würzburg, und es zog abgerissen und zu Fuß ein Professor der bayrischen Universität Landshut, der wegen aufsässiger und ketzerischer Reden entlassen worden war. Es zogen mit den Agenten einer englischen Schiffahrtsgesellschaft und mit Weib, Hund und Kind schwäbische Auswanderer, die nach Pennsylvanien wollten, es zogen fromm, gewalttätig und plärrend niederbayrische Wallfahrer auf dem Weg nach Rom, es zogen, den huschenden, scharfen, behutsamen Blick überall, Silberaufkäufer und Vieh- und Getreideaufkäufer des Wiener Kriegsfaktors, und es zogen abgedankte kaiserliche Soldaten aus den Türkenkriegen und Gaukler und Alchimisten und Bettelvolk und junge Herren mit ihren Hofmeistern auf der Reise von Flandern nach Venedig.

Das alles trieb vorwärts, rückwärts, querte sich, staute sich, hetzte, stolperte, trottete gemächlich, fluchte über die schlechten Wege, lachte, erbittert oder behaglich spottend, über die Langsamkeit der Post, greinte über die abgetriebenen Klepper, das gebrechliche Fuhrwerk. Das alles flutete vor, ebbte zurück, schwatzte, betete, hurte, lästerte, bangte, jauchzte, atmete.

Der Herzog ließ die prunkende Kalesche halten, stieg aus, schickte Kämmerer, Sekretär und Dienerschaft voraus. Auf die verwunderten Blicke seiner Herren hatte er nur ein ungeduldiges Prusten. Da, wo der Weg den sanftgrünen Hügel hinanstieg, hielten nun die Wagen, warteten. Kammerherren und Sekretär krochen vor dem feinen, endlosen Regen ins Innere der Kutsche, Jäger, Diener, Leibhusar sprachen gedämpft aufeinander ein, tuschelten, zoteten, pruschten heraus.

Der Herzog Eberhard Ludwig, fünfundfünfzig Jahre, ein dicker, großer Mann, vollwangig, starklippig, blieb zurück. Er stapfte schwerfällig, den Samthut in der Hand, daß der feine, warme Regen die Perücke stäubte, und er achtete nicht der Pfützen, die ihm die glänzenden Stiefel bespritzten und den tiefschößigen, silbergestickten, kostbaren Rock. Er ging langsam, beschäftigt, blieb oft stehen, in unmutiger Nervosität durch die starke, fleischige Nase schnaubend.

Er war in Wildbad gewesen, der Gräfin den Abschied zu geben. War das jetzt erledigt? Eigentlich nicht. Er hatte nichts gesagt. Die Gräfin hatte auf seine halben Worte nur verschleierte Blicke gehabt, keine Antwort. Aber sie mußte doch gemerkt haben, sie war ja so gescheit, sie mußte, mußte gemerkt haben, was er wollte.

Eigentlich war es gut, daß es so ohne Wetter und Geschrei gegangen war. An dreißig Jahre waren es jetzt, daß er mit ihr zusammenlebte. Was hatte seither die Herzogin gejammert, geschrien, gezetert, gewinselt, intrigiert, ihn von der Frau zu lösen. Was hatten seine Geheimräte angestellt, der Kaiser, die Prälaten, das verfluchte Gesindel vom Parlament, die Gesandten von Kurbraunschweig und Kassel. An dreißig Jahre war die Frau verhaftet mit allem, was das Land und er erlebt hatten. Sie war er, sie war Württemberg. Dachte man Württemberg, so dachte man: die Frau, oder: die Hure, oder: die Gräfin, oder: die Maintenon von Schwaben. Ob kühl oder hassend, wie immer interessiert, jeder Gedanke an das Herzogtum war ein Gedanke an die Frau.

Bloß er, er allein, und er lächelte, konnte die Frau denken, gelöst von Politik, gelöst von dem Herzogtum. Nur er konnte denken: Christl, und es war kein Gedanke an Soldaten, Geld, Privilegien, Zänkereien mit dem Parlament, verpfändete Schlösser und Herrschaften, sondern nur die Frau, allein, lächelnd, sich im entgegenräkelnd.

Und jetzt war es also aus, er wird sich wieder mit der Herzogin versöhnen, und die Landschaft wird jubeln und ihm ein großes Präsent machen, und der Kaiser wird zufrieden mit dem schlaffen Kopf wackeln, und der grobe, schlecht angezogene König von Preußen wird ihm Glückwünsche schicken, und die europäischen Höfe werden den Skandal vermissen, über den jetzt bereits die zweite Generation klatscht. Und dann wird er der Herzogin einen Sohn machen, und das Land wird einen zweiten richtigen Erben haben, und im Himmel und auf Erden wird Wohlgefallen sein.

Er blies heftig durch die Nase. Ein dumpfes Wüten stieg in ihm auf, wenn er an die Freude dachte, mit der das Herzogtum, das ganze Deutschland den Sturz der Frau feiern würde. Er hörte, hörte, wie das Land aufatmete, er sah die fetten Bürgerkanaillen seines Parlaments, wie sie triumphierend grunzten, breitmäulig, sich die Schenkel schlagend, er sah die nüchternen, steifleinenen, korrekten Verwandten der Herzogin und ihren magern, sauern, höhnischen Jubel. Das ganze Geziefer wird herfallen über die Frau wie über ein Aas. Sein Leben lang hat er die Frau gehalten gegen das Gesindel; jetzt, wenn er sie läßt, er ist fünfundfünfzig, wird es ihm das Gesindel als Greisenschwäche ausdeuten. Er hat zahllose Reskripte erlassen, die jedes unehrerbietige Wort gegen die Gräfin schwer bestrafen, er hat sich mit dem Kaiser brouilliert, er hat seinen Jugendfreund und Ersten Minister aus dem Land gejagt wegen eines frechen Wortes über die Frau, er hat sich herumgeschlagen mit seinen Räten, seinem Parlament, mit dem ganzen Land um Steuern, immer neue Steuern, um Geld, Geld, Geld für die Frau. Er hat sie gehalten, gegen Land, Reich und Welt gehalten an dreißig Jahre.

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