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Der Schlüsselroman über das Leben deutscher Emigranten. Schauplatz dieses Romans ist Paris, die Stadt, die für Tausende deutscher Flüchtlinge zum Exilort wurde. Im Frühjahr 1935 wird Friedrich Benjamin, ein bekannter Publizist und Redakteur einer deutschen Emigrantenzeitung, von den Nazis verschleppt. Sepp Trautwein, der von seinem Münchner Lehrstuhr vertriebene Musikprofessor und Komponist, gibt die Musik auf, um Benjamins Sache zu seiner eigenen zu machen. Er kämpft einen fast hoffnungslosen Kampf, der sich schließlich als Ansporn und Bestätigung in seiner Kunst niederschlägt. Er komponiert die Sinfonie "Der Wartesaal", eine Metapher für die Zeit des Exils. Feuchtwanger wählte einen authentischen Fall als Ausgangspunkt für eine differenzierte Darstellung der Situation deutscher Exilanten, ihrer Existenznöte, ihrer politischen Zerrissenheit und ihres "ohnmächtigen und ein bißchen lächerlichen" Kampfes gegen einen riesigen Staat und seinen übermächtigen Apparat.
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Seitenzahl: 1331
Lion Feuchtwanger
Exil
Roman
Mit einer Nachbemerkung von Gisela Lüttig
Textgrundlage:
Lion Feuchtwanger, Gesammelte Werke in Einzelbänden,
Band 8, Aufbau-Verlag GmbH, Berlin 1993
Die „Wartesaal“-Trilogie umfasst die Romane
Erfolg
Die Geschwister Oppermann
Exil
ISBN 978-3-8412-0618-3
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2013
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Bei Aufbau erstmals 1956 erschienen; Aufbau ist eine
Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
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Inhaltsübersicht
Informationen zum Buch
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Impressum
Inhaltsübersicht
Vorwort
Erstes Buch - Sepp Trautwein
1. Sepp Trautweins Tag beginnt
2. Die »Pariser Nachrichten«
3. Einer fährt im Schlafwagen in sein Schicksal
4. Eine verirrte Bürgerstochter
5. Zahnschmerzen
6. Kunst und Politik
7. Einer der neuen Herren
8. Trübe Gäste
9. In der Emigrantenbaracke
10. Blick in eine neue Welt
11. Hanns Trautwein wird achtzehn Jahre
12. Einer riecht die Heimat im Exil
13. Der Tod von Basel
14. Ein deutscher Junge in Paris
15. Parteigenosse Heydebregg und seine Sendung
16. Der getretene Wurm krümmt sich
Zweites Buch - Pariser Nachrichten
1. Chez nous
2. Sie werden’s auch noch billiger geben, Frau Kohn
3. Gummi oder Kunst
4. Hanns lernt Russisch
5. Madame Chaix und die Nike von Samothrake
6. Ein Brief aus dem Gefängnis
7. Kabale und Liebe
8. Herr Louis Gingold im Konflikt der Pflichten
9. Ein Gefangener auf Urlaub
10. Das Oratorium »Die Perser«
11. Sonett 66
12. Der einzige und sein Eigentum
13. Das Gebäck ist gezählt
14. Was Neues aus Afrika?
15. Cäsar und Kleopatra
16. Eine Protestversammlung
17. Romantik
18. Elefanten im Nebel
19. Cäsar und sein Glück
20. Die Hosen des Juden Hutzler
21. Sommerferien
22. Franz Heilbrun im Konflikt der Pflichten
Drittes Buch - Der Wartesaal
1. Der blaue Brief und seine Folgen
2. »Sie hat den Löffel weggeworfen«
3. Solidarität
4. Ein Husarenstreich
5. Die Versuchung
6. Der Wartesaal
7. Telefongespräche in der Sommerfrische
8. Kampf zwischen Raubtieren
9. Essen Sie Ihren Hut auf
10. Geduld tut not
11. Ja, wenn Herr Walther kröche
12. Der verschwimmende Horizont
13. Triumph der guten Sache
14. Gewillt, ein Bösewicht zu werden
15. Der schlotterige Anzug
16. Lukas 21, 26
17. Nürnberg
18. Abdankung
19. Erich Wiesener vergrößert sich
20. Ein Schuldschein auf die Zukunft
21. Madame de Chassefierre wird abgehängt
22. Die Jungfrau von Orléans
23. Glückspilze
24. König in Unterhosen
25. Ein guter Hahn kräht schon um Mitternacht
Nachwort
Zu diesem Band
Für Marta
Ich habe für dieses Buch zwei Motive aus der historischen Wirklichkeit verwandt: die Entführung eines emigrierten Journalisten und den Aufkauf und die Lahmlegung einer deutschen Emigrantenzeitung durch Agenten des Dritten Reichs. In der historischen Wirklichkeit war der entführte Journalist ein Mann namens Berthold Jacob, und die aufgekaufte Zeitung war die Zeitung »Westland«, die in Saarbrücken erschien.
Ich habe indes der Wirklichkeit für meine Zwecke lediglich die beiden genannten Motive entnommen, nicht etwa Einzelpersonen und Einzelgeschehnisse. Es haben also mein Journalist Friedrich Benjamin und die Leute um ihn nicht das geringste zu tun mit dem existierenden Manne Berthold Jacob oder sonst jemand aus der real existierenden Welt; noch haben meine »Pariser Nachrichten«, ihr Verleger und ihre Redakteure irgend etwas gemein mit der genannten Zeitung »Westland« oder mit sonst einer in Frankreich erscheinenden deutschen Zeitung oder Zeitschrift. Insbesondere möchte ich feststellen, daß der Verleger meiner »Pariser Nachrichten« nicht das leiseste zu tun hat mit dem verstorbenen russischen Emigranten Poljakow, dem Inhaber und Verleger des »Pariser Tageblatts«, der verdächtigt wurde, mit den Nationalsozialisten paktiert zu haben; wie sich später durch gerichtliche Verfahren herausgestellt hat, zu Unrecht.
Überhaupt existierte von den Menschen dieses Buches kein einziger aktenmäßig in der Stadt Paris im Jahre 1935; wohl aber lebte dort ihre Gesamtheit. Um die bildnishafte Wahrheit des Typus zu erreichen, mußte ich die photographische Realität des Einzelgesichts tilgen. Das Buch »Der Wartesaal« gibt nicht wirkliche, sondern historische Menschen.
In einigen Jahren wird diese Erklärung überflüssig erscheinen, da sie Selbstverständliches enthält. Heute, bei der Überempfindlichkeit mancher deutschen Flüchtlinge und Auswanderer, scheint sie geboten.
Sanary/Var (Frankreich), Juli 1939.
Und so lang du das nicht hast
Dieses: Stirb und werde,
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Goethe
Als er aber vorsichtig Papier und Bleistift aus der Schublade kramte, um sich das Motiv aufzuschreiben, das ihm eingefallen war, fegte er ein Buch von dem gebrechlichen, überladenen Schreibtisch. Kreuztürken, jetzt ist Anna bestimmt aufgewacht. Da kommt schon ihre Stimme aus dem Bett: »Wie spät ist es denn?«
»Sechs Uhr siebenundzwanzig«, meldet er reumütig und korrekt. Anna indes zeigt keinen Unmut, daß er sie so früh geweckt hat. Sie konstatiert nur sachlich, einschlafen werde sie doch kaum wieder, es sei wohl am besten, sie frühstückten mit dem Jungen zusammen.
Josef Trautwein also schreibt, leise zwischen den Zähnen vor sich hin pfeifend, schnell, nicht unvergnügt, seine paar Takte auf. Dann geht er zurück ins Bett. Schön ist er nicht, wie er sich so durchs Zimmer tappt; sein knochiges Gesicht mit den tiefliegenden Augen unter den starken, schon ergrauten Brauen ist schmutzig überstoppelt, das eine Bein seines Schlafanzugs ist hochgerutscht und läßt die dünne, schwärzlichgrau behaarte Wade sehen. Allein so deutlich Anna die Schäbigkeit des tristen Hotelzimmers und seiner Einrichtung erkennt, so wenig nimmt sie wahr, daß Josef Trautwein, ihr Sepp, hier in Paris, im elenden Leben der Emigration, nicht mehr der stattliche Mann ist wie in München, wo ihm alle Sympathien zugeflogen waren. Für Anna hat er sich nicht verändert. Für sie ist er heute, der abgedankte Musikprofessor mit seinen Sechsundvierzig, immer noch so strahlend jung wie damals, als er ihr zuerst begegnete, schön, männlich, voll Kraft und Humor und jedes Erfolges gewiß. Eigentlich ist sie froh, daß seine Ungeschicklichkeit sie aufgeweckt hat; so hat sie ihn eine halbe Stunde für sich, bis der Junge, bevor er in sein Lyzeum muß, mit ihm frühstückt.
Während der beginnende Tag die vollgestopfte Armseligkeit des Zimmers immer klarer hervortreten läßt, kriecht Josef Trautwein zurück ins Bett, wohlig grunzend. Anna nutzt die Gelegenheit, mit ihm über die Pläne ihres heutigen Tages zu reden. Sie hat Dr. Wohlgemuth gebeten, sie pünktlich um zwölf Uhr fortzulassen, sie will wieder einmal zu Monsieur Pereyro gehen, damit der die Sache beim Rundfunk etwas vorwärtstreibt. Eigentlich ist es gemein, wie lange man hingezogen wird. Jetzt ist es schon zwei Monate her, daß die Rundfunkleute Monsieur Pereyro versprochen haben, Sepp Trautweins Oratorium »Die Perser« aufzuführen. Klar, daß es eine Weile dauert, ehe man, gerade im Fall eines deutschen Emigranten, die bürokratischen Widerstände überwindet; aber bei einigem gutem Willen müßte es nach so langen Vorbereitungen endlich klappen.
Josef Trautwein hört nicht sehr interessiert zu. Es tut ihm leid, daß Anna, die sich ohnedies überarbeitet, so viel Mühe an diese Rundfunkaufführung wendet. Ihm selber liegt wenig daran. Er liebt den Rundfunk nicht, Rundfunk ist Ersatz, alles kommt verzerrt. Und die Hörer werden ja doch nichts von seinem Oratorium »Die Perser« verstehen, die Masse hat für so was noch kein Ohr; die Rundfunkleute haben ganz recht, wenn sie zögern. Außerdem ist, findet er, das Oratorium eigentlich gar nicht fertig; es hat noch gute Weile, bis er es ins letzte überfeilt haben wird. Ihm ist es recht so, ihm eilt es nicht, er hat Freude an der Arbeit. Im Grunde denkt er schon mit Bedauern an die Zeit, da er nichts mehr daran zu tun haben wird.
Während sie weiterspricht, geht ihm wieder das Motiv durch den Kopf, das er vorhin gefunden hat, jene paar Takte, die das gräßliche Wehegeschrei der zurückkehrenden, geschlagenen Perser wiedergeben. Gleichzeitig aber hört er auf Annas Stimme. Es ist eine ruhige, angenehme Stimme, er liebt sie sehr. Weniger interessiert ihn, was diese Stimme spricht. Arme Anna. Sicher möchte sie lieber über seine Musik mit ihm reden; in Deutschland hat sie das ganz ausgefüllt. Sie weiß natürlich genausogut wie er selber, daß Rundfunk nur Ersatz ist. Aber sie hat einfach keine Zeit, mit ihm über die Dinge zu sprechen, die ihr im Innern ebenso wesentlich sind wie ihm. Die ganzen Sorgen des kleinen Alltags liegen auf ihr; es ist kein Wunder, wenn ihr davon der Mund übergeht. Dabei bleibt es ein Monolog, er versteht nichts von diesen Sachen. Übrigens, so verwickelt die kleinen Dinge ausschauen, am Ende, wenn man nur lange genug wartet, erledigen sie sich von selber. Schön, er hat in Paris keinen Namen und nicht viele Möglichkeiten, man ist ein wenig knapp, und es ist scheußlich, daß sich Anna, um die paar hundert Franken mehr zu verdienen, Tag für Tag bei ihrem schwierigen Dr. Wohlgemuth abschinden muß. Trotzdem hat man weniger zu klagen als die meisten andern Emigranten. Natürlich war das hübsche, behagliche Haus, das man in München hat zurücklassen müssen, angenehmer als die zwei tristen Zimmer des Hotels Aranjuez, wo er jetzt mit Anna und seinem Jungen haust. Aber sie sind zusammen, alle drei, und sie sind gesund. Seine Musik hat er in Paris so gut wie in München, seinen Schreibtisch hat er auch, sogar ein Piano, er kann arbeiten. Selbstverständlich würde er lieber, wenn er sich Ernsthaftes durch den Kopf gehen läßt, die Isar entlanglaufen als die Kais der Seine; aber schließlich fällt einem auch an der Seine was ein, und auch seinen besten, teilnahmsvollsten Hörer hat er mitnehmen können: Anna.
Dazu hat er seine Politik. Sepp Trautwein ist seiner ganzen Art nach ein unpolitischer Mensch, er ist nichts als Musiker. Allein die Zeitläufte haben ihm in hartem Anschauungsunterricht beigebracht, daß man Musik ohne Politik nicht machen kann. Die Angriffe, die man im Lauf seiner letzten deutschen Jahre gegen ihn gerichtet hat, weil er sich für die Reform der Musikerziehung einsetzte, die Schwierigkeiten, die man ihm gemacht hat, als er an der Münchner Musikalischen Akademie seine »kulturbolschewistischen Theorien« vortrug, das alles hat ihm gezeigt, wie eng verbunden Kunst und Politik sind. Gute Musik und schlechte Politik vertragen sich nicht, das ist für ihn nicht mehr eine Meinung, das ist zu einem Teil seines Wesens geworden. Händel, Beethoven, selbst Wagner sind ihm anders denn als Revolutionäre nicht mehr denkbar; sie mußten Politik machen aus ihrer musikalischen Grundeinstellung heraus. Man kann sich vor der Politik nicht drücken, wenn die eigene Kunst nicht leiden soll. Seine Musik jedenfalls, wenn die klingen soll, dann muß reine Luft da sein. Und wenn reine Luft nicht da ist, dann muß man sie sich schaffen. Wie hat es ihn in diesen letzten deutschen Jahren gedrückt, daß er als Professor an der Staatlichen Akademie, als Beamter, gegen die aufziehende Barbarei nicht so von Herzen hat loswettern dürfen, wie er wollte. Diese Freiheit wenigstens hat er hier.
Nein, alles in allem könnte es ihnen verdammt viel schlechter gehen. Aranjuez heißt das Hotel, in dem er wohnt, schwerlich unterläßt es einer seiner Besucher, den Schillervers zu zitieren von den schönen Tagen von Aranjuez, und wenn er dann immer wieder lachen muß über sein schäbiges Aranjuez, kommt dieses Lachen nicht aus Bitterkeit, sondern aus einem heitern Herzen.
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