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Ein farbenprächtiger Künstlerroman Der spanischen Inquisition sind die "Caprichos" des Malers Francisco de Goya überbracht worden, ketzerische Zeichnungen, Visionen des Schreckens, Bilder der Anklage. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis das Heilige Tribunal den Ketzer und sein Werk vernichten wird. Aber die kühne, eigenwillige Kunst Goyas triumphiert über klerikale Willkür.
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Seitenzahl: 965
Lion Feuchtwanger
Goya
oderDer arge Wegder Erkenntnis
Roman
Mit einer Nachbemerkung von Gisela Lüttig
Textgrundlage:
Lion Feuchtwanger, Gesammelte Werke in Einzelbänden,
Band 13, Aufbau-Verlag GmbH, Berlin 1994
ISBN 978-3-8412-0614-5
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Februar 2013
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Bei Aufbau erstmals 1961 erschienen; Aufbau ist eine
Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.
Umschlaggestaltung capa design, Anke Fesel
unter Verwendung des Gemäldes „Der Sonnenschirm“,
1777, Francisco de Goya,
akg-images / Erich Lessing
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Innentitel
Inhaltsübersicht
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Impressum
Inhaltsübersicht
Erster Teil
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Zweiter Teil
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Dritter Teil
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Zu diesem Band
Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts war fast überall in Westeuropa das Mittelalter ausgetilgt. Auf der Iberischen Halbinsel, die auf drei Seiten vom Meer, auf der vierten von Bergen abgeschlossen ist, dauerte es fort.
Um die Araber von der Halbinsel zu verdrängen, hatten vor Jahrhunderten Königtum und Kirche ein unlösliches Bündnis eingehen müssen. Der Sieg war möglich nur, wenn es den Königen und den Priestern gelang, die Völker Spaniens durch strengste Disziplin zusammenzuschweißen. Es war ihnen gelungen. Sie hatten sie vereinigt in einem inbrünstig wilden Glauben an Thron und Altar. Und diese Härte, diese Einheit war geblieben.
Zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts war die iberische Tradition auf tragisch lächerliche Art erstarrt. Zweihundert Jahre zuvor schon hatte sich der größte Dichter des Landes aus diesem finster grotesken Willen zur Beharrung seinen Stoff geholt. Er hatte in der Geschichte von dem Ritter, der von den alten, ritterlichen, sinnlos gewordenen Bräuchen nicht lassen kann, ein für immer gültiges Gleichnis geschaffen, und sein höchst liebenswerter Held, rührend und lächerlich, war berühmt geworden über den Erdkreis.
Die Spanier hatten über Don Quijote gelacht, aber ihren Willen zur Tradition nicht aufgegeben. Länger als sonstwo in Westeuropa hielt sich auf der Halbinsel das mittelalterliche Rittertum. Kriegerische Tugend, bis zur Tollheit heldisches Gehabe, hemmungsloser Frauendienst, herrührend aus der Verehrung der Jungfrau Maria, diese Eigenschaften blieben die Ideale Spaniens. Die ritterlichen Übungen, längst ohne Sinn, hörten nicht auf.
Verknüpft mit diesem kriegerischen Gewese war eine leise Verachtung der Gelehrsamkeit und des Verstandes. Desgleichen ein ungeheurer Stolz, berühmt und berüchtigt über die Welt, Stolz der Gesamtheit auf die Nation, Stolz des einzelnen auf seine Kaste. Das Christentum selber verlor in Spanien seine Demut und seine Heiterkeit, es nahm ein wildes, düsteres, herrisches Gepräge an. Die Kirche wurde hochfahrend, kriegerisch, männlich, grausam.
So war noch um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts das Land das altertümlichste des Erdteils. Seine Städte, seine Trachten, die Bewegungen seiner Menschen, ja, ihre Gesichter muteten den Fremden seltsam starr an, Überbleibsel der Vorzeit.
Aber jenseits der nördlichen Berge, abgetrennt von Spanien nur durch diese Berge, lag das hellste, vernünftigste Land der Welt: Frankreich. Und über die Berge drang trotz aller Absperrmaßnahmen seine Vernunft und seine Beweglichkeit. Unter der starren Oberfläche, sehr langsam, änderten sich auch die Menschen der Halbinsel.
Es herrschten damals über Spanien fremde Könige, Herrscher französischen Ursprungs, Bourbonen. Wohl konnten die Spanier sie zwingen, sich ihnen anzupassen, so wie sie früher die Habsburger gezwungen hatten, sich zu hispanisieren. Doch der spanische Adel lernte durch die französischen Könige und ihre französische Umgebung die fremden Sitten kennen, und manche lernten sie lieben.
Die Gesamtheit indes hielt, während sich der Adel langsam änderte, zäh am alten fest. Mit ernster Gier übernahm das Volk die Rechte und Pflichten, welche die großen Herren hatten fallenlassen. Der edelste Sport waren die Stierkämpfe gewesen, ein Privileg des Hochadels. Die Übung selber wie der Anblick war Adeligen vorbehalten gewesen. Jetzt, da sich die Granden nicht mehr im Stierkampf betätigten, übte um so leidenschaftlicher das Volk die wilde Sitte. Und wenn die Granden ihre Manieren lockerten, so wurde die Etikette des Volkes um so strenger. Schuhmacher legten Gewicht darauf, als kleine Adelige, als Hidalgos, angesehen zu werden, und Schneider begrüßten sich mit umständlichen Titeln. Don Quijote hatte abgedankt, Don Quijote hatte sich in einen eleganten Herrn von Versailles verwandelt; nun übernahm das Volk seinen Schild und sein klappriges Streitroß. Sancho Pansa wurde Don Quijote, heroisch und lächerlich.
Drüben, jenseits der Pyrenäen, köpfte das französische Volk seinen König und jagte seine großen Herren davon. Hier in Spanien vergottete das Volk seine Monarchen, wiewohl sie französischen Ursprungs waren und höchst unköniglich. König blieb dem Volke König, Grande blieb ihm Grande, und während diese Granden, französischen Sitten mehr und mehr zugetan, sich schon damit abgefunden hatten, auch mit einem republikanischen Frankreich zu paktieren, kämpfte das spanische Volk begeistert weiter gegen die gottlosen Franzosen und ließ sich totschlagen für den König, seine Granden und seine Priester.
Spanier gab es freilich, welche
Diesen Widerspruch verspürten
In sich selber, und sie kämpften
In der eignen Brust den Streit aus
Zwischen altem Brauch und neuem,
Zwischen Fühlen und Verstehen,
Schmerzhaft oft und leidenschaftlich,
Siegreich manchmal, doch nicht immer.
Doña Cayetana, Dreizehnte Herzogin von Alba, gab einen Theaterabend für ihre Freunde in ihrem Madrider Palais. Eine Truppe royalistischer Pariser Schauspieler, die vor dem Terror der Republik über die Pyrenäen hatte fliehen müssen, führte ein Stück des Schriftstellers Berthelin auf, »Das Martyrium der Marie-Antoinette«, ein Drama, das trotz seines zeitgenössischen Inhalts im klassischen Stil gehalten war.
Die Zuhörer – es waren ihrer nicht viele, zumeist Herren und Damen des Hochadels – verloren sich in dem weiten Saal, der nur mäßig erhellt war, auf daß die Vorgänge auf der Bühne besser beleuchtet seien. Edel und eintönig klangen von der Szene herab die sechsfüßigen Jamben, ihr erhabenes Französisch war spanischen Ohren nicht immer ganz verständlich, der Saal war warm, es überkam die Zuhörer in ihren bequemen Sesseln allmählich eine melancholische, behagliche Schläfrigkeit.
Die königliche Dulderin auf der Bühne gab jetzt ihren Kindern, der vierzehnjährigen Madame Royale und dem neunjährigen König Louis dem Siebzehnten, noble Lehren. Dann wandte sie sich an ihre Schwägerin, die Prinzessin Elisabeth, und gelobte, sie werde, was immer über sie kommen möge, mit einer Fassung tragen, die ihres gemordeten Gemahls, des Sechzehnten Louis, würdig sei.
Die Herzogin von Alba selber hatte sich noch nicht gezeigt. Wohl aber saß in der ersten Reihe ihr Mann, der Marqués de Villabranca, der, gemäß dem Gebrauch, zu seinen vielen anderen Titeln auch den ihren angenommen hatte. Der stille, elegante Herr, eher schmächtig, doch vollen Gesichtes, schaute aus schönen, dunklen Augen nachdenklich auf die hagere Schauspielerin, die da oben sentimentale, pathetische Verse deklamierte, vorgebend, sie sei die tote Marie-Antoinette. Der Herzog von Alba war empfindlich vor Kunstleistungen nicht allerhöchsten Ranges und war von vornherein skeptisch gewesen. Aber seine liebe Herzogin hatte erklärt, infolge der Trauer, welche der Hof anläßlich des schauerlichen Ablebens der Königin Marie-Antoinette angeordnet hatte, sei das Leben in Madrid tödlich langweilig geworden, und irgend etwas müsse sie unternehmen. Eine solche Aufführung wie die des »Martyriums« bringe Leben ins Haus und beweise Teilnahme an der Trauer über den Untergang der Könige von Frankreich. Der Herzog konnte es verstehen, daß seine Frau, die um ihrer Capricen willen an allen Höfen Europas berühmt war, sich in der weiten Einsamkeit ihres Madrider Palais langweilte, er hatte ohne weiteres zugestimmt und ließ nun diese Vorstellung über sich ergehen, geduldig und skeptisch.
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