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Fasziniert auch Sie die Welt des Judentums? Dieses Buch bietet Ihnen einen Einblick in das Selbstverständnis des jüdischen Volks, seine Religion und Lebenspraxis sowie die jüdische Mystik, die Kabbala. Gerhard Langer führt Sie durch drei Jahrtausende spannender Geschichte und klammert dabei auch Verfolgung und Antisemitismus nicht aus. Er erklärt Ihnen die Gebräuche und Feste, die Symbole, Riten und Gebote und deren Bedeutung. Erfahren Sie, warum das Lernen für Juden so wichtig ist, warum der Staat Israel eine besondere Bedeutung hat und lernen Sie den typisch jüdischen Humor kennen!
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Seitenzahl: 792
Judentum für Dummies
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Print ISBN: 978-3-527-71660-9ePub ISBN: 978-3-527-82569-1
Coverfoto: © ollega/stock.adobe.comLektorat & Projektmanagement: Gabriele KalmbachKorrektur: Frauke Wilkens
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Einführung
Über dieses Buch
Konventionen in diesem Buch
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Teil I: Jüdische Identität
Kapitel 1: Eine Annäherung an das Judentum
Die Besonderheit(en) des Judentums
Das Judentum als Minderheit
Die Verbreitung des Judentums weltweit
Die Strömungen des Judentums
Kapitel 2: Das Judentum als eine große Familie
Ein Volk aus Juda
Aufbruch und Umbruch in der Neuzeit
Kapitel 3: Judentum als Religion
Was Religion bedeutet
Sprechen wir über Gott
Religiöse Vielfalt
Dazugehören – Konversion
Die 613 Weisungen des Lebens
Kapitel 4: Symbole des Judentums
Wasser
Der Baum des Lebens
Kleider machen Leute
Der siebenarmige Leuchter – Menora
Der Davidstern – Magen David
Teil II: Alles hat seine Zeit
Kapitel 5: Den Alltag heiligen
Kein Schwein gehabt: Richtig essen und trinken
Frauen in Gebet und Gottesdienst
Den Tag in Heiligkeit beginnen
Nachmittag und Abend
Ruhen als heilige Zeit: Der Schabbat
Kapitel 6: Umkehr, Versöhnung und Dank: Die Herbstfeste
Der Kalender und die Jahresanfänge
Der Hintergrund der Feste
Der Neujahrstag – Rosch ha-Schana
Die zehn Bußtage und der Versöhnungstag – Jom Kippur
Den Blick zu Gott nicht versperren: Laubhüttenfest – Sukkot
Um Regen bitten – Sch(e)mini Atzeret
Der Tag der Torafreude – Simchat Tora
Kapitel 7: Der Winter als Zeit des Lichts und der Rettung
Die Sonne und die Gerechtigkeit
Das Licht in einer dunklen Zeit – Chanukka
Der 15. im Monat Schewat (Tu bi-Schewat) – noch ein Neujahr
Ein ausgelassenes Fest – Purim
Kapitel 8: Von Leiden, Freiheit und Gedenken – von Pessach bis zum neunten Av
Feier und Fest zugleich: Pessach
Sieben Wochen bis Schavuot: Die Omerzeit
Freiheit und Verantwortung: Das Wochenfest (Schavuot)
Der Schoah-Gedenktag – Jom ha-Schoah
Erinnerungstag und israelischer Unabhängigkeitstag
Erinnern und Trauern: Der neunte Av
Teil III: Ein Leben in Raum und Zeit
Kapitel 9: Von der Zeugung bis zum Erwachsenwerden
Mann und Frau, ein partnerschaftlicher Gegensatz
Beschneidung als Bund
Einen Namen geben
Die Auslösung der Erstgeburt
Die ersten Jahre
Bar/Bat Mitzwa
Kapitel 10: Vom Ernst des Lebens bis zum himmlischen Frieden
Unter die Haube kommen – die Chuppa
Wenn die Ehe scheitert
Wenn Krankheit ins Leben eingreift
Das ewige Leben
Kapitel 11: Der Raum in der Zeit
Der Tempel in Jerusalem
Die Synagoge als »kleiner Tempel«
Das Haus als Tempel
Gemeinsam stark sein
Teil IV: Ewiges Lernen
Kapitel 12: Die zentralen traditionellen Lernstoffe
Was Weisheit bedeutet
Die Bibel und ihre Auslegung
Die Mischna als Inbegriff der mündlichen Tora
Der Talmud, eine jüdische Enzyklopädie
Der »gedeckte Tisch« für die Tora
Lernen als Strategie des Lebens
Kapitel 13: Namen und Sprachen
Der Name als Zeichen der Identität
Jüdische Sprachen
Übersetzen ist schwerer als gedacht
Kapitel 14: Das Verborgene enthüllen
Propheten, Gelehrte und Philosophen
Die Mystik erhellt Gottes Innenleben
Der chassidische Weg zu Gott
Wissen als Aufklärung und Reform
Moderne Philosophie und Ethik
Teil V: Zentrum und Peripherie
Kapitel 15: Ein Kurzüberblick über die jüdische Geschichte
Das frühe Judentum
Das jüdische Mittelalter
Kapitel 16: Geschichten um Geschichte
Geschichte wiederholt sich
Anfang und Ende der Geschichte
Auf dem Weg sein
Jüdische Geschichtsschreibung
Kapitel 17: Abgrenzen, Ausgrenzen, Vernichten
Vom Antijudaismus zum Antisemitismus
Der Nationalsozialismus und seine Judenpolitik
Erinnerung und Gedenken
Kapitel 18: Das Land – Hoffnung und Realität
Die Bibel und das Land
Die rabbinische Vorstellung des Landes
Von den Osmanen bis zum 19. Jahrhundert
Die zionistische Bewegung in Europa
Israel im 20. Jahrhundert und heute
Israel heute
Teil VI: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 19: Zehn häufig gestellte Fragen
Was ist mit dem Begriff (aus-)erwähltes Volk gemeint?
Warum glauben Juden nicht an Jesus?
Ist Judentum eine Gesetzesreligion?
Wie ist die Stellung der Frau im Judentum?
Warum wurden Juden so oft verfolgt?
Haben Juden nicht zu viel Einfluss in der Welt?
Sind orthodoxe Juden heute innerhalb des Judentums nicht zu dominant?
Wie ist das Verhältnis der Juden zum Islam?
Warum gibt es keinen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern?
Wie soll man sich Juden gegenüber verhalten?
Kapitel 20: Zehn jüdische Menschen, die das Judentum und die Welt veränderten
Moses Maimonides
Isaak Luria
Moses Mendelssohn
Samson Raphael Hirsch
Sigmund Freud
Henrietta Szold
Albert Einstein
Gershom Scholem
Regina Jonas
Elie Wiesel
Abbildungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
Kapitel 4
Abbildung 4.1: Beispiel einer Menora
Kapitel 5
Abbildung 5.1:
Tefillin
an Kopf und Arm
Kapitel 8
Abbildung 8.1: Sederteller mit Zutaten des Pessachmahls
Kapitel 12
Abbildung 12.1: Aufbau einer Talmudseite
Kapitel 14
Abbildung 14.1: Zehn Sefirot als Lebensbaum dargestellt
Cover
Titelblatt
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Über den Autor
Einführung
Fangen Sie an zu lesen
Abbildungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
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Prof. Dr. Gerhard Langer ist Professor für Judaistik am Institut für Judaistik in Wien. Er studierte Katholische Theologie, Judaistik und Altorientalistik in Salzburg und Wien. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Judentum in der Antike, in der rabbinischen Literatur, in der jüdischen Bibelinterpretation und in der deutsch-jüdischen Literatur. Langer war lange Zeit im jüdisch-christlichen Dialog tätig und engagiert sich im interreligiösen Gespräch. Er ist Teil eines Forschungszentrums zu Religion und Transformation an der Universität Wien. Wann immer er dazu Zeit findet, schreibt er auch Krimis.
Jedes Jahr wird am jüdischen Pessachfest aus einem Büchlein gelesen, der sogenannten Haggada. Darin wird unter anderem die Geschichte des Auszugs der Israeliten aus Ägypten nacherzählt. In der Haggada werden auch vier Kinder vorgestellt, die Fragen stellen. Man kann sie vielleicht so darstellen:
Das erste Kind ist weise und verständig. Es möchte bereits in die Tiefen der Bedeutung der Erzählung vom Auszug eindringen und stellt Fragen.
Das zweite Kind ist rebellisch und verlangt genaue Erklärungen, möchte wohl auch die Ereignisse auf die Relevanz im Leben überprüfen.
Das dritte Kind ist einfältig. Es ist willig, den Anweisungen zu folgen und bereitwillig zu tun, was von ihm erwartet wird.
Das vierte Kind schließlich ist ein
Dummy
im Sinne unseres Buches. Es hungert nach Wissen, weiß aber nicht, wo es anfangen soll. In der Haggada ist es »das Kind, das nicht zu fragen weiß«.
Eine mögliche Erklärung für die vier Typen von fragenden Kindern ist, dass es sich dabei um Anteile handelt, die wir alle in uns tragen, nicht zuletzt den Dummy. Dieses Buch richtet sich daher an alle vier »inneren Kinder«, an das wissende und rebellische genauso wie an das, das einfach nur zuhören und bereitwillig lernen will.
Als Autor dieses Buches entstamme ich einer säkularen Arbeiterfamilie aus dem Salzburger Land, die politisch sozialdemokratisch orientiert war und den Nationalsozialismus stark ablehnte. Ich bin selbst kein Jude, aber ich beschäftige mich seit meinem 15. Lebensjahr intensiv mit dem Judentum, weil es mich, ohne genau erklären zu können, womit es begann, stets fasziniert hat. Ich habe schließlich das Interesse zum Beruf gemacht und vermittle Wissen über das Judentum an der Universität, aber auch in der Erwachsenenbildung.
Ich gebrauche für meine Beziehung zum Judentum gern einen Vergleich. Ich gehöre zwar nicht zur Familie, aber ich bin sozusagen einer ihrer besten Freunde. Als Freund betrachte ich die Familienmitglieder einerseits von außen, andererseits aber niemals neutral oder gar distanziert. Die Familie besteht aus vielen Mitgliedern. Mit manchen verstehe ich mich bestens, mit anderen etwas weniger. Als Freund vermeide ich tunlichst, einem der Familienmitglieder Ratschläge zu erteilen, aber ich bin bereit, die Sorgen genauso zu teilen wie bei freudigen Anlässen dabei zu sein. Ich bin für jedes Gespräch offen. Ich sage meine Meinung frei heraus, aber mit Respekt und Rücksichtnahme auf die Gefühle des anderen. In gewisser Weise gilt ebenso, dass ich die Freunde meiner Freunde auch als meine Freunde betrachte und umgekehrt ihre Gegner ebenso als meine Gegner. Dies nenne ich schlicht Solidarität.
Es gibt viele Bücher über das Judentum, sowohl einführende als auch spezialisierte. Manche sind aus einem gewissen Blickwinkel geschrieben, andere konzentrieren sich auf eine Zeitepoche oder eine bestimmte Richtung. Zu jedem thematischen Kapitel, das in diesem Band behandelt wird, werden Sie viele und umfassende weitere Informationen bekommen. Wer also Lust hat, gleich weiterzulesen und sich zu vertiefen, wird sicherlich bald fündig werden.
Ich habe keine Ahnung, warum Sie das Buch aufschlagen, was Ihre Motivation ist, ob Sie Vorwissen haben oder nicht. Judentum für Dummies versucht nichts anderes, als Ihnen Informationen zum Judentum zu geben, wer auch immer Sie sind und was immer Ihre Motivation sein mag, sich für Judentum zu interessieren. Das Buch will niemanden von einer Sache überzeugen, es ist weder ein Glaubensbuch noch ein Lehrbuch. Aber es ist auch nicht einfach eine Ansammlung von Fakten. Ich hätte nämlich dieses Buch nicht schreiben können, wenn ich nicht von dem überzeugt wäre, was ich schreibe. In ihm steckt also Herzblut.
Judentum für Dummies führt durch drei Jahrtausende und durch eine Vielzahl von Themen. Dies verlangt auch von mir, dass ich die Wahl treffen muss, worauf ich näher eingehen will und welchen Bereich ich eher ein wenig stiefmütterlich behandeln muss. Wenn etwas nicht oder nur oberflächlich behandelt wird, so liegt es selten daran, dass es mir nicht wichtig erscheint. Viel öfter ist der Fall, dass ich mit gewisser Wehmut darauf verzichtet habe, um den Umfang des Buches nicht zu sprengen.
Es gibt einige wenige Besonderheiten in diesem Buch. Dazu gehört, dass ich Zeitangaben nicht mit vor/nach Christus versehe. In der jüdischen Tradition ist eine andere Zeitrechnung üblich, die von der (aus den religiösen Quellen) errechneten Schöpfung der Welt ausgeht. Im Alltag verwendet man jedoch auch die »christliche« Zeitrechnung. Um die Zeit vor der Geburt und nach der Geburt Jesu zu unterscheiden, sagt man zum Beispiel, wie in diesem Buch üblich, vor/nach allgemeiner Zeitrechnung.
Begriffe in fremden Sprachen, vor allem in Hebräisch, stehen in
Kursivschrift
. Auch die Titel von zitierten Werken stehen in der Regel in
Kursivschrift
.
Hebräische Begriffe werden normalerweise klein geschrieben. Allerdings schreibe ich sie dann (häufig) groß, wenn sie als übliche Bezeichnungen einer Sache dienen. Zum Beispiel schreibe ich nicht
halacha
für Religionsgesetz, sondern
Halacha
. Der Begriff kommt vom hebräischen Verb
halach
(gehen, wandeln).
Ich verwende eine einfache Umschrift des Hebräischen. Aufpassen muss man bei folgenden Buchstaben:
Ein hebräisches
Bet
wird im Inneren eines Wortes als
w
gesprochen. Aber auch ein
Waw
wird als
w
gesprochen. Um beides zu unterscheiden, wird in Worten mit
Bet
im Wortinneren mit einem
v
umschrieben, also zum Beispiel
erev
(Abend) und nicht
erew
. Genauso nicht
Schewarim
(Bruchteile, ein Schofarton), wie man oft lesen kann, sondern
Schevarim
.
Ein
Zajin
wird mit
z
geschrieben, aber als stimmhaftes
s
ausgesprochen, also wie bei »Rose«.
Samech
ist stimmlich ein
ß
, wird als
ss
geschrieben, also
Pessach
und nicht
Pesach
.
Ein
F
existiert im Hebräischen so nicht, aber ein
Pe
wird im Inneren oder am Ende eines Wortes als
f
gesprochen, daher auch mit
f
dargestellt.
Tzade
entspricht in der Aussprache dem deutschen
z
. Er wird aber mit
tz
geschrieben, um es vom
Zajin
, als stimmhaftes
s
gesprochen, zu unterscheiden.
Ein
Schin
wird als
sch
wiedergegeben, nicht wie oft üblich mit
sh
. Daher auch
Schoah
und nicht
Shoah
.
Wichtig: Wörter werden in der Regel auf der letzten Silbe betont, also nicht Tóra, sondern Torá, nicht Tálmud, sondern Talmúd, nicht Mídrasch, sondern Midrásch.
Zwei Vokale/Selbstlaute nacheinander werden getrennt, nicht wie im Deutschen – etwa
Au
oder
Eule
– zusammengezogen. Daher nicht
Reuven
, sondern
Re-uven
(natürlich auf dem zweiten
e
betont).
Hebräisch wird in der Regel ohne Vokale geschrieben. Die Vokale muss man sich ergänzen. Bei den Vokalen gibt es zudem solche (
Schwa
genannt), die in einer bestimmten Wortstellung im modernen Hebräisch nicht gesprochen, bei Umschriften aber üblicherweise geschrieben werden. So schreibt man normalerweise
berit
für Bund, spricht aber
brit
.
Diese Regeln gelten für die heute auch in Israel übliche sefardische Betonung. Im aschkenasischen (mitteleuropäischen) Raum ist häufig auch heute noch eine andere Betonung und Aussprache (analog zum Jiddischen) üblich. Man liest hier zum Beispiel ein (unbetontes) Taw als s. Also etwa nicht b(e)rit (Bund), sondern bris. In diesem Buch wird in der Regel jedoch die sefardische Betonung verwendet. Ausnahmen beziehen sich auf bestimmte Redensarten, wie etwa Mazel tov (viel Glück) gesprochen Másel tov, statt dem sefardisch richtigen Mazál tov.
Judentum für Dummies ist in sechs Teile, fünf große und einen kurzen Top-Ten-Teil, gegliedert. Jeder Teil besteht aus mehreren Kapiteln. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden. Im Grunde genommen können Sie also anfangen, wo Sie wollen oder von hinten nach vorn lesen, Kapitel auslassen. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Sie das ganze Buch lesen.
Dieser Teil besteht aus vier Kapiteln. In Kapitel 1 geht es um eine Annäherung an das Judentum, seine verschiedenen Strömungen und um zentrale Themen, die in den weiteren Kapiteln aufgearbeitet werden sollen. Im zweiten Kapitel werden die Grundlagen des Judentums in der Geschichte beschrieben und die Frage zu beantworten versucht, was überhaupt ein Jude ist. Das dritte Kapitel beschreibt die Bedeutung von Religion für das Judentum und geht auch auf die unterschiedlichen religiösen Strömungen ein. Kapitel 4 erklärt ausgewählte Symbole des Judentums, von der Kleidung bis zum Davidstern.
Dieser Teil ist in vier größere Kapitel (5 bis 8) gegliedert und widmet sich ausführlich der Lebenspraxis im Jahresablauf, den Speisegeboten, dem Schabbat und den jüdischen Festen.
In zwei Kapiteln (9 und 10) werden die verschiedenen Lebensphasen des Menschen (von der Geburt bis über den Tod hinaus) und die damit verbundenen Vorstellungen, Riten und Symbole beschrieben. In Kapitel 11 erfahren Sie etwas über die Bedeutung des Tempels in Jerusalem, die Synagogen und die religiöse Praxis im »Haus«. Themen sind hier auch die Stellung der Frau und die Verantwortung der Menschen füreinander, die sich etwa in sozialer Solidarität ausdrückt.
Kapitel 12 beschäftigt sich mit dem Lernen, einer der zentralen Säulen jüdischer Identität, und bietet auch einen Überblick über die klassischen Lernstoffe. Kapitel 13 widmet sich den Sprachen, die für Juden besondere Bedeutung erlangt haben. In Kapitel 14 wird besonderes Augenmerk auf die verschiedenen Wege gelegt, Wissen und Erkenntnis zu erlangen. Prophetie, Philosophie und nicht zuletzt die Mystik, die einen Einblick in die verborgenen Elemente des Universums und des Göttlichen erhalten möchte, werden hier behandelt.
Dieser letzte große Teil bietet in zwei Kapiteln (15 und 16) einen Überblick über die jüdische Geschichte und Geschichtsschreibung. In Kapitel 17 wird die jahrhundertelange Erfahrung von Antijudaismus und Antisemitismus thematisiert. Hier muss auch über die Schoah / den Holocaust gehandelt werden. Kapitel 18 wiederum widmet sich einerseits dem Staat Israel, andererseits auch allgemein der Frage nach der Bedeutung des Landes Israel sowie dem Verhältnis zwischen Juden im Land und in der Diaspora.
Darin werden zehn häufig gestellte Fragen beantwortet. Dazu werden zehn besonders bedeutende jüdische Menschen kurz vorgestellt.
Dieses Symbol ist das am häufigsten verwendete und betont innerhalb des Textes Bereiche, die es wert sind, besonders beachtet zu werden, oder es verdienen, dass auf sie aufmerksam gemacht wird.
Dieses Symbol kommt selten vor, warnt aber vor Missverständnissen oder Vorurteilen.
Manchmal lohnt es, auf etwas aufmerksam zu machen, das nicht vergessen werden sollte.
Gelegentlich muss eine Sache definiert, das heißt sehr genau beschrieben und abgegrenzt werden.
Selten, aber doch gibt es einen Tipp.
Beispiele sind notwendig, damit Erklärungen nicht trocken oder langweilig wirken.
Ohne Anekdoten oder humorvolle Beiträge wäre ein solches Buch langweilig.
Teil I
IN DIESEM TEIL …
Der erste größere Teil dieses Buches beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen. So unterscheidet sich Judentum schon allein dadurch von allen anderen Religionen, dass es zugleich eine ethnische Gemeinschaft ist, ein Volk. Man muss also in das Judentum hineingeboren werden, um Jude zu sein, oder aber man unternimmt den Weg der Konversion und wird danach als Mitglied des Volkes erachtet. Judentum ist enorm vielfältig. Es gibt viele Juden, die mit Religion gar nichts am Hut haben und unter den Religiösen wiederum eine große Bandbreite von Auffassungen und Strömungen.
In diesem Teil wird auch der Ursprung des Judentums erklärt und es werden wichtige Themen angesprochen, die unverzichtbar sind, um das Phänomen Judentum zu verstehen. Außerdem erfahren Sie etwas über die weltweite Verbreitung des Judentums und die nicht ganz genau zu errechnende Anzahl von Juden auf der Welt. In Kapitel 4 werden einige Symbole behandelt, die eng mit dem Judentum in Verbindung stehen, etwa der Davidstern oder der siebenarmige Leuchter.
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Überblick über Strömungen und zentrale Themen des Judentums
Die Verteilung der jüdischen Bevölkerung
In diesem Kapitel erhalten Sie einen ersten Überblick über das Judentum: wo die meisten Juden leben und wie viele es sind, welche Themen und Inhalte das Judentum prägen und es besonders machen. Hier erfahren Sie auch etwas über die Vielfalt innerhalb des Judentums und die verschiedenen Strömungen.
Was unterscheidet das Judentum von anderen Religionen? Ganz einfach. Es ist vor allem eine große familiäre Gemeinschaft, ein Volk, eine Ethnie. Die Zugehörigkeit zum Judentum wird der traditionellen Ansicht zufolge nach der Mutter gezählt. Liberale Gruppen anerkennen auch das Kind eines jüdischen Vaters als jüdisch. In jedem Fall spielt dabei die Gläubigkeit keine Rolle. Auch eine jüdische Atheistin kann jüdische Kinder haben.
Daraus ergibt sich die nächste Frage: Muss man als Jude geboren werden, um jüdisch zu sein? Die Antwort ist: Nein. Jemand, der gern jüdisch werden möchte, und das aus voller Überzeugung, kann zum Judentum konvertieren. Allerdings muss man für die Konversion nachweisen, dass man die Religion des Judentums annehmen will. Das mag etwas widersprüchlich klingen, ist aber sehr klar. Zwar kann man Jude ohne Religion sein, aber nicht Jude ohne Religion werden.
Das Judentum war nie (oder nur sehr selten) missionarisch. Es ging also niemals darum, eine große Bewegung oder gar eine weltumspannende Mehrheitsreligion zu werden, wie es das Christentum oder der Islam anstreb(t)en. Eine Konversion zum Judentum wird daher auch nicht leicht gemacht. Man prüft sehr ernsthaft und die Konversionswilligen müssen viel über religionsgesetzliche Vorschriften, Tradition(sliteratur) und Lebensweise lernen und sie für sich akzeptieren. Doch hat das im Laufe der Geschichte viele Menschen nicht abgehalten. Jemand, der es geschafft hat, alle Hürden der Konversion zu nehmen, wird Teil der Gemeinschaft, des Volkes.
Das Judentum ist also primär eine ethnische Gemeinschaft. Durch die Mutter wird ein Jude ein festes Glied des jüdischen Volkes, gehört in die Kette der Generationen, geprägt von der gemeinsamen Geschichte von Abraham an. Die Hebräische Bibel ist dafür die Grundlage.
Judesein ist auch bestimmt durch die Zugehörigkeit zu einer Religion (mehr zu Religion in Kapitel 3 und den Teilen II bis IV). Der Glaube an einen Gott ist zentral, aber auch an die Schöpfung, Offenbarung, Rettung und Auferstehung. Traditionelle religiöse Strömungen werden vor allem die Gabe der Tora betonen und auch die Rolle des Mose hochhalten. Keine Einigkeit herrscht in den verschiedenen Strömungen darüber, ob am Ende der Zeit mit dem Kommen einer Retterfigur, eines Messias, zu rechnen ist, oder ob man eher von einem messianischen Zeitalter ausgehen muss (mehr dazu in Kapitel 16).
Eine Besonderheit teilt das Judentum mit einigen anderen Kulturen. Juden lebten einen großen Teil der Geschichte als Minderheit in verschiedenen Mehrheitsgesellschaften, vor allem unter Christen und Muslimen. In seinem Erfahrungsschatz sind daher viele Elemente enthalten, die mit dem Bewahren von Identität zusammenhängen.
Als Minderheit ist man geradezu verpflichtet, eine Balance zu finden zwischen Annäherung und Anpassung und der Bewahrung der Eigenständigkeit. Minderheiten werden gelegentlich gepflegt, meist aber übersehen oder, schlimmer noch, schlecht behandelt oder sogar verfolgt. Juden haben vieles davon am eigenen Leib erlebt, bis hin zur (beinahe vollständigen) Vernichtung. Oft wird der Überlebensinstinkt des jüdischen Volkes bewundert, die Fähigkeit, immer wieder aufzustehen. Ein berühmtes Lied, das Insassen während der Schoah im Ghetto von Vilnius sangen, hatte beispielsweise den lebensbejahenden und gleichzeitig den Umständen trotzenden Refrain »Wir leben ewig, wir sind da«.
Der sprichwörtliche jüdische Humor ist nicht zuletzt ein Ergebnis eines Bemühens, selbst im tristesten Alltag das Lächeln und die Hoffnung nicht zu verlieren. Es wäre jedoch falsch, die Geschichte des Judentums nur in dunklen Farben zu malen. Gerade in der sogenannten dunklen Zeit des Mittelalters entwickelten sich im Judentum die großartigsten geistigen Errungenschaften. So gelangte die Philosophie zu einer Hochblüte, die wichtigsten Werke des Religionsgesetzes und der Mystik wurden geschrieben, die Medizin hochgeachtet. Das lag vor allem daran, dass die Auseinandersetzung mit Wissen und das Lernen als Ideal betrachtet wurde. Nicht der Krieger, nicht der Politiker, sondern der Gelehrte stand im Mittelpunkt.
Für aufgeklärte Bildungsbürger wurde in der Neuzeit an diesem Ideal nicht gerüttelt, wohl aber hat man es mit neuen Inhalten gefüllt. Denn nun waren es auch die »weltlichen« Wissenschaften, in denen Juden sich bemühten, ihren geistigen Fußabdruck zu hinterlassen. Juden, die man lange Zeit als bewahrend und ihre Identität schützend erlebte, waren nun Vorreiter von Neuerungen und Entdeckungen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Bei aller Bedeutung der Gelehrsamkeit darf man Juden nicht als verkopfte Intellektuelle in eine Schublade stecken. Juden waren zu allen Zeiten in den unterschiedlichsten Berufen tätig, nicht selten auch in solchen, die körperlich anstrengend waren. Vor allem ab dem 19. Jahrhundert wollten viele Juden das Vorurteil vom blassen Bücherwurm auch bewusst sprengen. Im Zusammenhang mit der Entstehung des neu erwachenden Nationalitätsbewusstseins entstand die Idee des Muskeljudentums, um dem Klischee des unsportlichen Juden entgegenzuwirken. Im aufzubauenden Staat Israel wurde das Ideal des Pioniers in der Landwirtschaft hochgehalten. Dem Zerrbild der schwachen, hilflosen Juden stehen wehrhafte und selbstbewusste jüdische Männer und Frauen entgegen.
Als Minderheit
war das Judentum gezwungen, die Gemeinschaft und ihre Bande besonders eng zu knüpfen. Und viele Verfolgungen hielten es oft gegen seinen Willen beweglich. Juden wurden so – gewollt oder nicht – früh zu Weltbürgern. Sie verständigten sich über Grenzen hinweg, sie sprachen oft fließend mehrere Sprachen.
Bereits in der Antike lebten viele Juden außerhalb von Israel. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Viele Länder, in denen sie lebten, erwiesen sich oft als schlechte Gastgeber. So blieb nicht nur die Sehnsucht nach einem eigenen Land aufrecht, das Judentum schuf sich auch eine geistige Heimat. Heinrich Heine (1797–1856)
, einer der größten deutschen jüdischen Schriftsteller, nannte daher die
Tora
, die Bücher Mose, das »portative Vaterland«. Von der Gabe dieser Tora
am Berg Sinai bis in die fremden Steppen des weiten Ostens blieb die Tora das vertraute Bindeglied.
Aber auch dort, wo die Tora als religiöse Weisung nicht angenommen wurde, war die Verbindung zu einem gemeinsamen Erbe, einer gemeinsamen Geschichte, groß. Viele Gelehrte der Neuzeit erzählten die Geschichte des Judentums. In ihr fanden sie herausragende kulturelle Leistungen und meinten, dass Juden endlich die gleichen Rechte wie alle anderen Staatsbürger bekommen sollten. Eine solche bürgerliche Gleichstellung kam vielfach erst im Laufe des 19. Jahrhunderts.
Fast gleichzeitig mit der Gleichstellung brach auch der moderne Antisemitismus mit großer Wucht aus (mehr dazu in Kapitel 17). Es ist nicht verwunderlich, dass in allen Zeiten der Verfolgung viele Juden sich danach sehnten, einfach ganz »normale Menschen« zu sein. Auch in Mitteleuropa erschien die Taufe daher manchen Juden als ein Weg in eine anerkannte bürgerliche Gesellschaft. Für andere war gerade dieser Weg der falsche und sie beharrten trotz aller Schwierigkeiten auf ihrer jüdischen Identität.
Heute sind Juden in allen Bereichen der Gesellschaft aktiv und erfolgreich. Aber gerade in Europa erleben viele ein neues Gefühl der Unsicherheit, aufgrund von steigendem Antisemitismus und der erneuten Bedrohung ihrer Existenz. Manche überlegen inzwischen, nach Israel zu gehen. Andere bleiben hingegen optimistisch. Sie hoffen darauf, dass es gelingen kann, in gemeinsamer Anstrengung mit der Mehrheitsgesellschaft alle Formen des Antisemitismus wirksam zu bekämpfen. Das geschieht nicht nur durch Verbote, sondern vor allem durch Bildungsarbeit.
Man schätzt, dass es heute weltweit rund 15 Millionen Juden gibt. Doch bleiben solche Schätzungen ungenau. Sie basieren nicht zuletzt auf der Bereitschaft, sich selbst als Jude zu bezeichnen. Die Zugehörigkeit zu einer Kultusgemeinde ist dabei kein ausreichendes Kriterium. Daher nehmen manche auch eine höhere Zahl an. Auch wenn es in vielen Ländern Juden gibt, so leben die meisten, sieben Millionen, in Israel, etwas weniger in den USA. Es ist die weltweit größte Gemeinschaft außerhalb von Israel. In Amerika gibt es etwa 750 nationale jüdische Organisationen, ungefähr 3500 Synagogen – in Europa sind es 3318 – und allein 100 jüdische Museen, etwas weniger als in Europa.
In Europa zählt man etwa 1,3 Millionen (weniger als zehn Prozent der jüdischen Weltbevölkerung), davon in Deutschland knapp 100.000, in der Schweiz 20.000 und in Österreich rund 12.000. Mit aller Vorsicht gegenüber Voraussagen lässt sich berechnen, dass in wenigen Jahren eine große Mehrheit der Juden in Israel leben wird. In Europa nimmt ihre Zahl stetig ab. Für das Jahr 2050 wird angenommen, dass die jüdische Bevölkerung in Europa nur mehr 7,5 Prozent der jüdischen Weltbevölkerung ausmachen wird, auch in Amerika wird sie von jetzt 43 Prozent auf 37 Prozent sinken. Aber über 50 Prozent werden in Israel leben, wo die jüdische Bevölkerung im Durchschnitt auch wesentlich jünger ist als in der Diaspora. Das bedeutet, dass Europa zusehends unattraktiver für Juden wird. Israel hingegen ist der zentrale Anziehungspunkt. Ausnahmen bestätigen die Regel, wie die rege israelische Community in Berlin zeigt.
Vor einigen Jahren habe ich in Israel eine Bekannte getroffen, die mir lächelnd erzählte, dass sie furchtbarerweise schon seit Jahren in einer »Mischehe« lebte. Dabei sah sie ihren Mann verliebt an. Sie gehörte einer sefardischen rumänischen Familie an. Unter Sefardim/Sefarden versteht man jene Juden, die als Nachkommen der Vertriebenen von der Iberischen Halbinsel im 15. Jahrhundert über die Welt – unter anderem auch nach Hamburg oder Amsterdam – verstreut wurden. Vor allem in der Türkei, in Nordafrika, in Südeuropa, im Mittleren Osten, in Israel und in Amerika haben sich diese sefardischen Juden ihre eigenen Traditionen bewahrt, besitzen eigene Gebetbücher und religiöse Bräuche.
Der Ehemann der besagten Dame wiederum war ein Jiddisch sprechender aschkenasischer Schriftsteller, der ebenfalls aus Rumänien stammte. Unter Aschkenasim/Aschkenasen versteht man jene Juden, die ursprünglich in Mitteleuropa ansässig waren, genauer im heutigen Frankreich und Deutschland, etwa am Rhein. Sie wanderten im Laufe der Zeit, nicht zuletzt aufgrund von Vertreibungen, vor allem in den Osten, in das heutige Polen, Litauen, die Ukraine, nach Weißrussland, Russland. Ihre Sprache, das Jiddische, das auf das Mittelhochdeutsche mit hebräischen Anteilen zurückgeht, hat hier viele Einflüsse aus dem Slawischen angenommen. 70 Prozent der Juden sind aschkenasisch. Die Unterschiede zwischen aschkenasischen und sefardischen Gebräuchen und Riten sind zum Teil durchaus erheblich, und es war tatsächlich lange Zeit nicht üblich, dass Sefarden Aschkenasinnen heirateten und umgekehrt.
Aschkenas ist in der Bibel der Enkel des Jafet (einer der drei Söhne Noachs). Wo genau sich sein Siedlungsgebiet befand, wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich beantwortet. Im Mittelalter jedenfalls hat man es mit Deutschland identifiziert. Dort übernahm man das Mittelhochdeutsche als Sprache und reicherte es mit hebräischen Worten an. Daraus entwickelte sich Jiddisch. Sefarad hingegen ist der hebräische Begriff für Spanien. Er kommt bereits in der Bibel in Obadja 20 als Ortsname vor, ohne dass er dort genau lokalisiert wird. Möglicherweise ist damit Sardes in der heutigen Türkei gemeint. Die jüdische Überlieferung hat es jedoch früh auf Spanien bezogen. Die Sprache der Sefardim wird auch »Judäo-Spanisch« oder »Ladino« genannt.
Eine vor allem in Israel von den Sefardim unterschiedene Gruppe sind die sogenannten Mizrachim (oft auch Misrachim geschrieben). Mizrach heißt auf Hebräisch Osten/Orient. Die damit gemeinten Menschen stammen aus dem Mittleren Osten oder Nordafrika (bei letzteren überschneidet sich die Identität teilweise mit der der Sefardim). Zu ihnen zählen Juden aus arabischen Ländern sowie bucharische, kurdische, persische, indische, kaukasische und georgische Juden. Sie eint, dass sie meist lange unter muslimischer Herrschaft lebten und nach 1948 ihre Heimatländer verließen / großteils verlassen mussten. Ihre Sprachen sind vielfältig wie ihre Herkunft.
Es gibt weltweit noch etliche weitere Gruppierungen in Afrika und Asien, die sich auf jüdische Wurzeln beziehungsweise eine Herkunft aus den zehn »verlorenen Stämmen« nach der Zerstörung des biblischen Reiches Israel berufen, so etwa die Igbo in Nigeria oder die in Zimbabwe und Südafrika lebenden Lemba. Von den orthodoxen Rabbinaten anerkannte Gruppen sind etwa die aus Äthiopien stammenden Beta Israel, deren Immigration nach Israel vor allem seit den 1980er-Jahren durch verschiedene Aktionen unterstützt wurde. Heute leben gut 130.000 von ihnen dort, in Äthiopien gibt es praktisch keine Juden mehr. Eine weitere Gruppe, deren Hinführung zu einem halachischen Judentum von bestimmten Organisationen in Israel seit etwa 40 Jahren gefördert wird, sind die Bnej Menasche in Nordindien (siehe Kapitel 18).
Obwohl es sich im Judentum um eine weltweit kleine Personengruppe handelt, gibt es viele verschiedene Strömungen, die Ihnen immer wieder in diesem Buch begegnen werden:
In der Öffentlichkeit nimmt man häufig einseitig nur Menschen aus dem ultraorthodoxen
Segment wahr. Sie sind leicht an ihrer besonderen Kleidung zu erkennen. Männer tragen Bärte und Hüte, Frauen oft Perücken, auf jeden Fall lange Kleider und keine Hosen. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen relativ kleinen Prozentsatz (etwa zehn Prozent) der Juden, eine Zahl, die aber stetig im Steigen begriffen ist. Das liegt einerseits an einem grundsätzlichen weltweiten Trend zu mehr »Konservativismus«, zum anderen an der hohen Kinderzahl. Über zehn Kinder pro Familie sind keine Seltenheit. Ultraorthodoxe achten strikt auf die Gebote der Tora
.
Wer sich für die Beschreibung des Alltags, der Sorgen und Probleme und auch der Liebesgeschichten von ultraorthodoxen Juden interessiert, dem empfehle ich die Serie Shtisel, die im deutschsprachigen Raum von Netflix angeboten wird und von der zwischen 2013 und 2021 drei Staffeln produziert wurden. Sie spielt in einem Jerusalemer Viertel.
Innerhalb einer breiten Palette der Orthodoxie
sind die Ultraorthodoxen auch nur ein Teil, der sich wiederum verzweigt (mehr zum Unterschied zwischen chassidischen und nichtchassidischen Gruppen erfahren Sie in
Kapitel 3
). Und natürlich unterscheiden sich auch die chassidischen Strömungen wieder untereinander.
Viele Juden fühlen sich als gemäßigt Orthodoxe, wobei sie keineswegs eine einheitliche Gruppe darstellen. Beim Kleidungsstil wird man hier eine breitere Vielfalt vorfinden, Männer tragen eher ein kleines rundes Stück Stoff, die Kippa, als einen Hut, Frauen bedecken ihren Kopf oft nicht oder nur mit einem etwas breiteren Band, das auch Haare freilässt. Diese Kleidercodes sind zwar informell, aber an der Beschaffenheit, Farbe und Form der Kippa kann man erahnen, welcher Gruppe der Träger angehört.
Eine vor allem in den USA wichtige Strömung sind die Konservativen
, die sich zwischen Orthodoxie und Reformjudentum ansiedeln. Sie spielen in Europa nur eine geringe Rolle und nennen sich hier oft
Masorti
(das hebräische Wort für »traditionell«). Die Bewegung, die sowohl in der Praxis als auch in der theoretischen Reflexion zwischen Liberalen und Orthodoxie steht, war stetig bemüht, ihr eigenes Profil zu finden, auch wenn sich keine einheitliche Linie durchgesetzt hat. Konservative wollen dem Judentum eine zeitgemäße Interpretation auf dem Boden der Tradition geben. Obwohl diese Bewegung wichtige Gelehrte und Rabbiner hervorgebracht hat, gehen die Zahlen zurück. Etwa 18 Prozent der amerikanischen Juden fühlen sich ihr zugehörig. In den 1970er-Jahren waren es noch über 40 Prozent. Nur in den USA ist die Reconstructionist-Bewegung aktiv, die aus der konservativen Bewegung erwachsen ist. Ihr geht es vor allem um den Fortschritt einer Zivilisation, um ihre Errungenschaften und Leistungen.
Liberales Judentum
gibt es seit etwa 200 Jahren. Diese Bewegung geht auf die jüdische Aufklärung zurück. Im 19. Jahrhundert prägten zuletzt viele deutsche jüdische Gelehrte das Reformjudentum. Heute ist es vor allem in den USA die dominierende Kraft innerhalb des Judentums. Auch hier gibt es wieder Unterschiede im Detail. Einig sind sich die Vertreter des Reformjudentums jedoch im Bemühen um mehr Gleichberechtigung
von Frauen: Es gibt Rabbinerinnen
und Kantorinnen. Man unterscheidet, ob überlieferte Gebote überzeitlich gültigen ethisch-moralischen Regeln entsprechen, oder ob sie vielleicht mit der Zeit überflüssig geworden sind, wie zum Beispiel (manche) Speisevorschriften.
In einem größeren Spektrum des Judentums ist auch eine nicht genau zu definierende Tendenz zu östlichen/asiatischen Religionen von Bedeutung, die aber keineswegs nur im Judentum verbreitet ist. Man kann sie grob als eine Form der Sinnsuche verstehen. Bemerkenswert ist das große Interesse vieler Juden am Buddhismus. In den USA sind 30 Prozent der Buddhisten jüdischer Herkunft. Individuelle Formen von Religiosität sind häufig. Man spricht in diesem Sinne auch von multiplen religiösen Identitäten, wenn in einer Person die Eindrücke verschiedener Kulturen und Religionen ihren Niederschlag finden.
Unter den Buddhisten mit jüdischen Wurzeln befinden sich viele prominente Namen. Robert Downey Jr. (geboren 1965) ist ebenso darunter wie der 2012 verstorbene Musiker Adam Yauch (MCA) von den Beasty Boys oder die Schauspielerin Goldie Hawn (geboren 1945). Der bedeutende Liedermacher und Sänger Leonard Cohen (1934–2016), ein kanadischer Jude, hatte eine buddhistische Phase.
Einen Sonderstatus haben die sogenannten messianischen Juden, die Jesus als Messias betrachten. Sie haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert in England und Deutschland und verbreiteten sich in Mittel- und Osteuropa, später vor allem in den USA. Sie erhielten in den 1960er- und 1970er-Jahren in Israel und den USA Aufschwung. Seit 1973 existiert auch eine Bewegung mit Hauptquartier in San Francisco, die sich »Juden für Jesus« nennt. Zwar wurde sie von einem Juden (Moishe Rosen) begründet, doch steht sie dem evangelikalen Christentum nahe.
Messianische Juden sind in mehreren Ländern (vor allem in den USA und Israel, England, der Ukraine, Moldawien, Russland und durch russische Zuwanderung auch in Deutschland) verbreitet. Sie betreiben Missionsarbeit unter Juden und werden daher von vielen abgelehnt und zum Beispiel vom Oberrabbinat in Israel nicht als Juden anerkannt. Ihre Anzahl wird auf etwa 350.000 (davon 250.000 in den USA) weltweit geschätzt.
Viele Juden fühlen sich keiner religiösen Gruppe zugehörig, bezeichnen sich selbst als nicht religiös. Unter diesen Menschen gibt es ganz unterschiedliche Gesinnungen. Hier ein paar Beispiele:
Ein nicht geringer Prozentsatz säkularer Juden fühlt sich dem Judentum zugehörig und hat Kontakte zu jüdischen Verwandten weltweit, nicht selten auch in Israel. 20 Prozent der amerikanischen Juden beispielsweise fühlen sich dem Judentum kulturell verbunden. Manche sind in der Kultusgemeinde aktiv, die meisten zahlen zumindest den Beitrag. Ein befreundeter Jude in den USA erzählte mir einmal vor Jahren, dass er nie darüber nachgedacht hatte, warum er Jude ist, aber irgendwann war ihm aufgefallen, dass er sich fast nur mit jüdischen Frauen verabredete. Das ist nur ein Beispiel für ein mitunter unbewusstes Band der Zugehörigkeit.
Viele Juden weltweit haben keinen Bezug zum Judentum und haben sich völlig an die (nichtjüdische) Gesellschaft angepasst. In deutschsprachigen Ländern ist vor allem die Erinnerung an die Gräuel der Judenvernichtung während der Nazizeit ein Punkt, der es Juden erschwert, sich gänzlich der Beschäftigung mit dem Judentum zu entziehen. Auch der wachsende Antisemitismus ist für manche ein Grund, sich verstärkt mit ihrem Judentum auseinanderzusetzen.
Manche Juden fühlen sich unbehaglich, wenn sie auf ihre jüdische Identität angesprochen werden. Auch wenn das Judentum in ihrem Leben keine aktive Rolle spielt, haben sie zumeist Verwandte während der Schoah, der Judenvernichtung unter den Nazis, verloren oder haben Bezüge zu Israel. Diskussionen über die israelische Politik mögen hier genauso normal sein wie eine Ablehnung des traditionellen Judentums.
Die Nationalsozialisten
hatten eine Einteilung in verschiedene Abstufungen des Judentums eingeführt, die sich gänzlich an ihrer Rassenpolitik ausrichtete (mehr dazu in
Kapitel 17
). Dadurch wurden auch viele Personen erfasst, die dem Judentum längst ihren Rücken gekehrt hatten, und Menschen, die zum Christentum oder einer anderen Religion konvertiert waren oder deren Familien seit Generationen bereits einer anderen Religion angehörten. Diese Vorgehensweise und ihre verheerenden Folgen lässt heute noch viele Juden besonders sensibel darauf achten, unter welchen Umständen sie auf ihr Judentum angesprochen werden wollen.
Mir sind weltweit viele Menschen bekannt, die lange Zeit über ihre jüdische Herkunft nichts wussten oder sie nicht beachteten. Unabhängig davon hielten auch Eltern oder Großeltern vor Kindern und Enkeln jüdische Wurzeln auch aus Angst vor Antisemitismus oder einfach aus dem Bedürfnis, ein »ganz normales Leben« führen zu können, verborgen. Ein Beispiel schildert die österreichische Schriftstellerin Elisabeth Escher (geboren 1956) in ihrem autobiografischen Roman Hannas schlafende Hunde (2010/2018). Der Roman wurde mit Hannelore Elsner (1942–2019) in der Hauptrolle 2015 verfilmt.
Viele Juden waren in revolutionären und sozialistischen Gruppierungen aktiv, da sie darin eine Hoffnung auf die Änderung ihrer gesellschaftlichen und sozialen Situation sahen. Karl Marx oder Rosa Luxemburg hatten jüdische Wurzeln. Viele jüdische Intellektuelle bekennen sich auch heute zu linken Weltanschauungen, die oberflächlich betrachtet mit dem traditionellen Judentum gebrochen hatten. Sieht man genauer hin, findet man viele Grundsätze des traditionellen Judentums darin, unter anderem das starke soziale Engagement.
Unter den linksgerichteten Juden gibt es auch die überzeugten Zionisten. Der Zionismus
war im 19. Jahrhundert vor allem als eine sozialistische Bewegung mit dem Ziel entstanden, in einem eigenen Land frei als Juden in einer von sozialem Fortschritt geprägten Gesellschaft leben zu können (mehr dazu in
Kapitel 18
). Religion war dabei nicht von Bedeutung. Viele linke Zionisten unterstützen heute linke Bewegungen und Parteien in Israel.
Der Zionismus ist auch in liberalen und konservativen Kreisen inzwischen verbreitet bis hin zu orthodox zionistischen Gruppierungen wie der
Misrachi
. Das ist eine Abkürzung vom Hebräischen
Merkaz Ruchani
(geistiges Zentrum) und bedeutet im Hebräischen auch »Osten«, was auf die Ausrichtung nach Israel verweist.
Misrachi
wurde im litauischen Vilnius 1902 gegründet.
In Israel fühlen sich knapp 40 Prozent der Bevölkerung als säkulare und nationale Israelis. Das heißt, sie treten für den Staat Israel ein, haben aber eine durchaus offene und gelegentlich auch kritische Haltung zur Religion. Nicht wenige von ihnen feiern mit ihren Familien an den Festtagen. Das ist nicht anders als etwa auch in weltlichen christlichen Familien, wenn Weihnachten gefeiert wird oder es ein gemeinsames Ostermahl gibt.
Wenn wir von Judentum sprechen, bedenken wir meist nicht, woher dieser Name eigentlich kommt. Er bezeichnet ursprünglich einen Menschen, der aus einer bestimmten Weltgegend stammt, aus Juda. Das ist im Süden des heutigen Israel mit dem Zentrum in Jerusalem. Der Name geht biblisch auf einen der zwölf Söhne Jakobs zurück, einen der Stammväter des jüdischen Volkes. Von Jakobs Kindern leiten sich zwölf Stämme ab. Zehn davon lebten im Norden des Landes, Juda und Benjamin im Süden. Jakob wiederum bekam von Gott einen weiteren Namen, Israel. Das ist auch heute noch die Bezeichnung des jüdischen Volkes und auch seines Landes. Mit Israel und Juda sind also sowohl Menschen(gruppen) als auch Gegenden, Länder, gemeint.
In den biblischen Büchern ist von »Juden« (als Bewohner von Juda) erst unter persischer Herrschaft und nur selten die Rede, wohl aber von Israeliten oder auch Hebräern. Der Begriff Hebräer kommt vor allem dann vor, wenn es um das Leiden des Volkes, seine Sklavenarbeit in Ägypten geht.
Mit Israeliten werden in einem engeren Sinn die zehn Stämme im Norden des Landes Israel bezeichnet, die im 8. Jahrhundert vor allgemeiner Zeitrechnung unter assyrische Kontrolle kamen und später keine Eigenständigkeit mehr hatten. Der Süden (Juda und Benjamin) gelangte 135 Jahre später, 587/86 unter babylonische Kontrolle. Wichtige Gruppen der Bevölkerung wurden nach Babylonien deportiert (babylonisches Exil). Sie und ihre Nachkommen kehrten in Teilen 50 Jahre später unter persischer Herrschaft in ihre alte Heimat zurück. Von da an übernahmen diese Exilheimkehrer die Bezeichnung Israel für sich und verstanden sich als Vertreter aller Stämme. Damit wurde Israel zur Benennung für das gesamte jüdische Volk.
Kapitel 2
IN DIESEM KAPITEL
Der Ursprung des Judentums: Vertriebene kehren heim
Von den Rabbinen in die Moderne
Ein jüdisches Kind hat eine jüdische Mutter
Der Sonderfall der israelischen Staatsbürgerschaft
In diesem Kapitel erfahren Sie etwas über den Ursprung des Judentums. Ab wann redet man vom Judentum, woher kommt der Name? Dazu müssen wir eine lange Reise zurück an die Flüsse Babyloniens unternehmen und von den Judäern im Exil berichten, aber auch von einer Aufbaugeneration, die in Jerusalem nicht nur eine Stadt wieder zum Leben erweckte, sondern auch eine Geschichte schrieb, die Ursprungsgeschichte des Judentums.
Es geht auch um die Frage, wer zum Judentum gerechnet werden kann und wer nicht. Zwar kann man definitiv nicht in einem Satz beantworten, wer zum Beispiel ein Christ oder ein Muslim ist, doch wird man sich bei beiden darauf einigen können, dass es sich um Anhänger einer Religion handelt, die im Laufe der Zeit erhebliche Missionstätigkeiten unternommen und einen universalen Geltungs- und Wahrheitsanspruch erhoben haben. Man kann sie daher als Universalreligionen bezeichnen.
Das Judentum hingegen ist zuallererst als eine Gemeinschaft definiert, in der die Einzelnen miteinander in verwandtschaftlicher Beziehung stehen. Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff Volk teilweise in Verruf geraten. Lieber verwendet man heute neutralere und weniger belastete Fremdwörter wie Ethnie. Der hebräische Begriff für Volk bezeichnet ursprünglich eine Großfamilie, einen Sippenverband. In diesem Sinn kann man Judentum als eine große weltweite verzweigte Verwandtschaft betrachten.
Wer über die Ursprünge des Islam spricht, wird unweigerlich im 7. Jahrhundert nach allgemeiner Zeitrechnung landen und das Leben und Wirken von Muhammad beschreiben. Etwas schwieriger ist es, den Ursprung des Christentums zu erfassen. Heute herrscht weitgehend darüber Einigkeit, dass Jesus sein Leben lang als Jude gelebt und gewirkt hat. Und dennoch wird man über ihn sprechen müssen, um das Christentum zu verstehen. Am Anfang des Christentums steht also ein Jude.
Im engeren Sinn wird Christentum erst dort greifbar, wo der Begriff Christen im Neuen Testament auftaucht, in Gemeinden, die sich zu Jesus als Messias bekennen. Doch auch dort ist der Bruch zum Judentum noch nicht vollzogen. Heute wissen wir, dass es lange gedauert hat, ehe sich Judentum und Christentum als zwei getrennte Religionen gegenüberstanden. Man muss also vorsichtig sein, wenn man sich die Frage stellt, wo in der Geschichte der Ursprung einer Religion liegt. Beim Judentum ist es noch ein wenig komplizierter. Der Begriff Judentum leitet sich aus dem Wort Juda ab (mehr dazu in Kapitel 1). Damit ist Folgendes gemeint:
Die Bibel berichtet in der Genesis über Jakob
, den Enkel von Abraham. Er erhielt den Namen Israel (Gottesstreiter) als Ehrennamen, nachdem er in einem Kampf ein himmlisches Wesen besiegt hatte (Genesis 32). Jakob hatte zwölf Söhne, wovon einer Juda
hieß.
Juda war der Sohn Leas. Sie nannte ihn Juda aus Dankbarkeit vor Gott. Das hebräische Wort
Toda
für »Danke« hat dieselbe Wurzel wie Juda.
Judas Sippe – die Bibel spricht von seinem Stamm – siedelte im Süden des heutigen Israel. Zehn Stämme lebten im Norden des Landes.
Nach biblischer Überlieferung bildete das Zwölf-Stämme-Volk eine Einheit, die zuerst von sogenannten Richtern, später von Königen regiert wurde. Der erste König war Saul. Ihm folgten David
und Salomo
. Zur Zeit seines Sohnes Rehabeam zerbrach die Einheit und Juda
bildete sich als eigener Staat im Süden, dem nun Israel im Norden gegenüberstand. Biblische Quellen für die frühe Geschichte des Königtums sind die Samuelbücher, die Königsbücher und die Bücher der Chronik. Sie sind jedoch keineswegs objektiv, sondern aus später judäischer Perspektive geschrieben.
Historiker erachten die biblischen Quellen in vielerlei Hinsicht zwar als sehr wertvoll, doch zweifeln sie stark an der biblischen Darstellung der Ereignisse. Demnach sei Juda lange ein vom Norden abhängiger Staat gewesen. Die Lage änderte sich grundlegend mit der Großmachtpolitik von Assyrien (im heutigen Irak), das seine Herrschaft weit in den Westen ausdehnte und dabei auch Israel und Juda in Abhängigkeit drängte.
Im Jahr 722 vor allgemeiner Zeitrechnung wurde Israel schließlich nach einem Aufstand erobert. Ein Teil der Bevölkerung (aber keineswegs die gesamte) wurde nach Assyrien deportiert. Damit endete die Eigenständigkeit von Israel. Die Assyrer schufen daraus zwei Provinzen und unterstellten sie Statthaltern. Juda bestand noch bis zur neubabylonischen Eroberung 587 vor allgemeiner Zeitrechnung.
Zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor allgemeiner Zeitrechnung hatte die damalige Großmacht Babylonien den halben Orient erobert. Auch Jerusalem fiel den Eroberern in die Hände. Dessen Zentrum, der Tempel, wurde 587/586 vor allgemeiner Zeitrechnung zerstört, die Handwerker und die sozialen und gesellschaftlichen Eliten nach Babylonien verschleppt. Nun fand auch der Staat Juda sein Ende.
Im Jahre 1978 fuhr die Popgruppe Boney M. einen Riesenerfolg mit dem Lied By the rivers of Babylon ein. Wer hat dabei schon daran gedacht, dass es sich um einen traurigen Psalm aus der Bibel handelt, der das Exil beweint?