Julia Ärzte zum Verlieben Band 186 - Louisa Heaton - E-Book
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Julia Ärzte zum Verlieben Band 186 E-Book

Louisa Heaton

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Beschreibung

WEN KÜSST DIE HEBAMME UM MITTERNACHT? von LOUISA HEATON „Happy New Year!“ Voller Leidenschaft küsst Natalie einen attraktiven Fremden. Eine Silvesternacht lang vergisst die junge Hebamme, dass sie nie wieder lieben wollte. Sie ahnt nicht, dass sie diesen sinnlichen Fehler mit Dr. Henry Locke macht – ihrem neuen Chef im Krankenhaus! ERSTE HILFE – ZWEITE CHANCE von EMILY FORBES Jede Sekunde zählt in der Notaufnahme – doch Lily kann den Blick nicht von dem Unfallchirurgen abwenden: ihr Noch-Ehemann! Was macht er hier, wo doch ihre gemeinsame Welt zerbrochen ist? Und woher kommt ihre verzweifelte Sehnsucht, sich an ihn zu schmiegen? EIN SCHNEEENGEL ZUM VERLIEBEN von ANNIE CLAYDON Eingeschneit! Eloise sitzt in dem malerischen Herrenhaus fest. Nicht allein, denn ebenfalls zu früh zur Party auf dem Landsitz ist Dr. Sam Douglas angereist. Ihre Familien entzweit eine Fehde – aber Sams Nähe vor dem Kamin löst ein verräterisches Verlangen in der jungen Ärztin aus …

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Seitenzahl: 592

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Louisa Heaton, Emily Forbes, Annie Claydon

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 186

IMPRESSUM

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN, Band 186

© 2022 by Louisa Heaton Originaltitel: „Miracle Twins for the Midwife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Michaela Rabe

© 2022 by Emily Forbes Originaltitel: Erste Hilfe – zweite Chance erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Katharina Illmer

© 2022 by Annie Claydon Originaltitel: „Snowbound with Her Off-Limits GP“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MEDICAL ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susanne Albrecht

Abbildungen: boggy22 / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751526135

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Wen küsst die Hebamme um Mitternacht?

1. KAPITEL

New York, Silvesterabend

Dr. Henry Locke wäre lieber zu Hause geblieben. Ihm gefiel es dort. Das Haus war sein Zufluchtsort. Seine Bücher waren dort. Sein Klavier. Sein Bett. Das Apartment lag hoch genug, dass ihn der Verkehrslärm nicht allzu sehr störte. Wenn er während der Rushhour zu Hause war, legte er einfach klassische Musik auf, um das hektische Hupen und Sirenengeheul auf den Straßen unten zu übertönen.

Aber es war Silvesterabend, sein Bruder Hugh war aus England zu Besuch gekommen und hatte darauf bestanden, dass sie das neue Jahr gemeinsam feierten.

„Wir gehen aus! Zieh deine besten Klamotten an, Bruder, wir werden die Stadt aufmischen!“

Henry hatte versucht zu protestieren, aber Hugh wollte nichts davon wissen.

„Du glaubst, ich kann allein was trinken gehen, während du hier zu Hause hockst, ein Buch vor der Nase? Na, komm schon! Du musst heute nicht im Krankenhaus sein und hast einen seltenen Abend frei. Das werden wir genießen.“

Sie begannen in einem irischen Pub namens Shamrocks, wo Hugh zu Henrys Überraschung einige der Stammgäste zu kennen schien. Es stellte sich heraus, dass sie zusammen auf der Universität gewesen waren. Während sein Bruder ein Pint nach dem anderen kippte, trank Henry ein Glas Wein, lächelte und plauderte, während er sich die ganze Zeit wünschte, er wäre zu Hause im Bett und würde den dringend benötigten Schlaf nachholen.

In letzter Zeit war die Arbeit sehr fordernd gewesen. Eine Menge schwieriger Geburten, viele Notfälle. Jedes Mal, wenn er dachte, er könnte sich endlich in einem Bereitschaftsraum ausruhen, klingelte sein Handy und er wurde zurück auf die Station gerufen. Hinzu kam, dass sie zu wenig Personal hatten. Wegen Covid hatten einige gekündigt. Andere waren in andere Krankenhäuser abgewandert.

Im Idealfall bräuchte man mindestens einen weiteren Gynäkologen, einen weiteren Assistenzarzt und ein paar examinierte Hebammen. Sie hatten zwar Agenturpersonal, aber all diese wechselnden Gesichter und dass man fast jeden Tag neue Leute einarbeiten musste, verschlechterte die Situation nur. Die Personalabteilung hatte jedoch gerade mitgeteilt, dass sie ein paar neue Mitarbeiter eingestellt hatten, und das war gut so. Dann konnten sich alle hoffentlich ein bisschen mehr entspannen.

Heute Abend auszugehen, passte ihm gar nicht. Es war sein einziger freier Abend, sein erster seit Wochen, und er wollte ihn nicht damit vergeuden, etwas zu tun, wozu er keine Lust hatte.

Und jetzt wurde er zu einem Club geschleppt, in dem die Bässe so laut dröhnten, dass die Zähne vibrierten. Er hasste so etwas.

Ein stämmiger Türsteher stand an der Tür des Liquid Nights, kontrollierte Ausweise und ließ gelegentlich Leute herein, indem er ein rotes Seil zwischen zwei Metallstangen aushakte.

„Das sieht super aus“, meinte Hugh und zog Henry zur Warteschlange. „Ich wette, da drinnen sind viele hübsche Girls, die nur auf Männer wie uns warten, die ihren englischen Charme spielen lassen.“

Henry bezweifelte, dass Hugh, angeheitert wie er war, eine Frau fand, die seinem betrunkenen Charme erlag. Aber wer weiß? Es war Silvester, und vielleicht gelang es seinem Bruder, doch eine zu überreden, sich von ihm küssen zu lassen, um das neue Jahr zu begrüßen?

Henry schaute aufs Handy. Halb zwölf. Hier ist Schluss, sagte er sich. Sobald das neue Jahr da war, würde er seinen Bruder davon überzeugen, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen.

Langsam schoben sie sich an den Anfang der Schlange und betraten schließlich den Club. Im nächsten Augenblick standen sie in einem dunklen, aufgeheizten und extrem lauten Raum. Hugh drehte sich zu ihm um, grinste aufgekratzt und sagte etwas, aber Henry verstand kein einziges Wort. Offensichtlich konnte man an diesem Ort nur trinken und tanzen, wie es die meisten Gäste taten.

Alle standen dicht an dicht, die Körper wippten und hüpften zur Musik, die Hände hoch in der Luft. Es roch nach Schweiß und Alkohol und dem erstickenden Dampf von Trockeneis. Während Hugh in Richtung eines Frauentrios segelte, das anscheinend einen Junggesellinnenabschied feierte, ging Henry zur Bar, um sich einen Drink zu holen.

Es dauerte einige Zeit. Eine riesige Menschentraube tummelte sich vor der Bar, und seine Entschuldigungen, als er sich durch die Masse drängte, gingen im Lärm der Musik unter, die aus überdimensionalen Lautsprechern dröhnte.

Schließlich erreichte er den Tresen und winkte dem Barkeeper mit einem Geldschein, um auf sich aufmerksam zu machen. Als ihm das gelungen war, bestellte er einen Weißwein, indem er auf die Flasche deutete.

Wie konnte man das hier genießen?

Als er über die wogende Menge blickte, glaubte er, Hugh zu sehen, der sich an einer Wand abstützte und gerade versuchte, eine sichtlich angeheiterte Brünette zu beeindrucken. Sie trug ein Diadem mit rosa Federn, dazu eine rosa Schärpe mit der Aufschrift Bride-to-Be.

Ernsthaft, Hugh? Du wirst nicht weit kommen, wenn du die zukünftige Braut anquatschst!

Er drehte sich um, um sein Glas entgegenzunehmen, und wollte sich gerade in eine Ecke begeben, so weit weg wie möglich von den Lautsprechern entfernt, als jemand über seine Füße stolperte und ihm einen Cocktail über Hemd und Hose schüttete.

Spontan hielt er die Frau am Arm fest, damit sie nicht stürzte, und erst dann schaute er an seinem Hemd hinunter, um den Schaden zu begutachten.

Ziemlich dumm von mir, ein weißes Hemd anzuziehen.

Ein erdbeerroter Fleck zog sich über seine Brust. Die Frau sagte etwas, was er daran sah, dass sie den Mund bewegte. Aber er verstand kein Wort.

Er sah eine Mähne blonder Locken, als die Frau in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch kramte und sein Hemd abzutupfen begann. Dann hielt sie inne, biss sich auf die Lippe und blickte auf, und es traf ihn wie ein Blitz, als sie ihm unsicher in die Augen schaute.

Ihre Lippen bewegten sich wieder, formten Worte, die er wegen der verdammten Musik immer noch nicht hören konnte, und dann deutete sie mit dem Kopf nach unten. In Richtung seiner Hose.

Immer noch verblüfft über seine Reaktion auf diese Frau, riss er sich zusammen und sah nach unten. Und tatsächlich, ein Zitronenschnitz klebte an seinem Hosenschlitz. Er klaubte ihn ab und überlegte, was er damit tun sollte. Einfach wegwerfen?

Es war, als würde sein Gehirn nicht mehr richtig funktionieren, denn die Frau vor ihm war einfach umwerfend. Unmöglich, denn noch vor Kurzem hatte er sich geschworen, sich nicht mit Frauen einzulassen, und seien sie noch so umwerfend! Er durfte sich nicht verlieben, keine romantische Beziehung eingehen, keine Lust ausleben, keine Frauen wahrnehmen! Die einzigen Frauen, mit denen er zu tun hatte, waren seine Patientinnen, und mit denen hatte er ohnehin nur beruflich zu tun.

Mit romantischen Beziehungen hatte er nur schlechte Erfahrungen gemacht. Er war kein romantischer Typ, und es fiel ihm schwer, mit den Gefühlen anderer Menschen umzugehen. Das, was gerade mit ihm passierte, konnte gar nicht sein!

Er stand da, in einer Hand sein Glas Weißwein, in der anderen das Stück Zitrone. Er öffnete den Mund, um zu fragen, ob es ihr gut gehe, aber sie schüttelte nur den Kopf und deutete auf ihr Ohr. Sie konnte ihn auch nicht verstehen, verdammt!

Henry deponierte Glas und Zitronenscheibe auf dem Tresen. Er wollte sich entschuldigen, ihr einen neuen Drink spendieren, falls es seine Schuld war, dass er ihren verschüttet hatte. Doch die Musik war viel zu laut.

Also deutete er auf eine Tür mit der Aufschrift Ausgang, und sie nickte. Erst als sie draußen eine erfrischende kühle Brise umwehte, wurde ihm bewusst, wie fürchterlich heiß und stickig es drinnen war.

„Es tut mir leid“, sagte er. „Lassen Sie mich Ihnen noch einen Drink ausgeben.“

Er begann, in seinen Taschen nach seiner Brieftasche zu kramen, aber sie legte ihm die Hand auf den Arm.

„Nein, danke. Ich wollte sowieso nicht bleiben, also haben Sie mir geholfen zu entkommen.“

Er lächelte. „Sie auch? Ich dachte, ich wäre der Einzige hier.“

„Clubs sind nicht so Ihr Ding?“ Sie lächelte ihn an.

Sie war gar nicht so viel kleiner als er. Er war 1,83 groß, sie etwa 1,77. Vielleicht ein bisschen weniger, wenn man die blonde Lockenpracht abzog.

„Nein, leider nicht.“

„Meins auch nicht.“

Er nickte, froh, dass er reden konnte, anstatt zu schreien, um gehört zu werden. Die Frau machte ihn neugierig. Er hatte sie noch nie gesehen – aber wie auch? Sein ganzes Leben schien sich in letzter Zeit nur noch um das Krankenhaus zu drehen, und da vergaß man leicht, dass es da draußen eine große Welt voller interessanter Menschen und Orte gab.

„Sie sind … Engländer?“

„Ja. Geboren und aufgewachsen in Oxford. Henry … Henry Locke.“

Er streckte die Hand aus, und sie ergriff sie. Dabei spürte er ein seltsames Prickeln auf der Haut. Schnell ließ er los und schob beide Hände in die Hosentaschen. Die Frau machte ihn nervös.

Unschlüssig wippte er auf den Füßen. Eigentlich sollte er sofort gehen, und doch … wusste er, dass er nicht gehen wollte. Irgendetwas an ihr ließ ihn bleiben wollen. Nur noch ein paar Augenblicke …

„Ich bin Natalie.“

Er lächelte. Der Name passte zu ihr. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Natalie.“

„Ebenfalls. Ich hoffe, ich habe Ihr Hemd nicht ruiniert.“

„Ach, das alte Ding? Machen Sie sich nichts daraus.“

„Aber Sie müssen mich die Reinigung bezahlen lassen.“

„Unsinn.“

Mit einem lauten Knall flog die Tür des Clubs auf und Hugh kam heraus, den Arm um eine sichtlich angeschickerte junge Frau gelegt. Er winkte Henry zu und taumelte heran.

„Hey, das hier ist Brandy! Sie und ich werden jetzt unsere eigene kleine Silvesterparty feiern. Du kommst doch gut allein nach Hause, Bruderherz?“

Henry nickte. „Klar.“

Hugh beäugte Natalie ungeniert. „Wen haben wir denn hier Hübsches? Hast du sie angebaggert?“

Henry sah Natalie peinlich berührt an. „Ich möchte mich für meinen rüpelhaften Bruder entschuldigen. Der Alkohol scheint das Höflichkeitsareal seines Gehirns betäubt zu haben.“

Sie lachte – ein wundervolles Lachen. „Das ist schon okay. Wenn man heute Abend nicht trinken darf, wann denn sonst?“

Hugh und seine neue Freundin machten sich schwankend davon.

Henrys Wangen glühten vor Verlegenheit. Sein kleiner Bruder war schon immer ziemlich übermütig gewesen.

„Es tut mir leid.“

„Schon gut.“

Hugh und seine Begleiterin verschwanden um die Ecke.

Natalie fröstelte.

„Ist Ihnen kalt? Warten Sie …“ Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern.

„Danke.“ Sie kuschelte sich hinein.

Henry ertappte sich dabei, wie er sie anstarrte. Fasziniert von ihren weichen blonden Locken, der leichten Wölbung ihrer Nase, den vollen Lippen. Sie trug ein nachtschwarzes Trägerkleid mit glitzernden Pailletten, ihre Füße steckten in Riemchensandalen. Lackierte Fußnägel. Ein Fußkettchen. Eine zarte Tätowierung auf ihrem linken Fuß, die er nicht genau erkennen konnte.

Und dann wurde ihm klar, dass sein Starren sie vielleicht erschrecken könnte.

„Haben Sie … irgendwelche Vorsätze für das neue Jahr gefasst?“, war die einzige Frage, die sein verwirrtes Gehirn zustande brachte.

Sie nickte. „Ja. Ich werde neu anfangen. Ich werde mich nicht von der Vergangenheit aufhalten lassen. Ich werde meine ganze Kraft in meinen neuen Job stecken und neue Freunde finden. Mich von Männern fernhalten. Und Sie?“

„Ungefähr das Gleiche. Single bleiben. Mich nicht von meiner Vergangenheit bremsen lassen, sondern daraus lernen …“

Er starrte sie weiter an. Sie hatte die schönsten Augen, und er fragte sich, welche Farbe sie wohl hatten. Blau? Grün? In der Dunkelheit war es schwer zu sagen. Aber sie waren leuchtend und klug und gleichzeitig irgendwie traurig. Dieser Schatten faszinierte ihn. Es war, als versuchte sie, etwas zu verbergen – vielleicht die Vergangenheit, von der sie gesprochen hatte? Henry wusste alles über schmerzliche Vergangenheiten. Und den Wunsch, ihnen zu entfliehen.

„Zehn! Neun! Acht!“, schallte laut der Countdown aus dem Club.

Henry schaute nervös auf Natalie. Offensichtlich würden sie das neue Jahr gemeinsam begrüßen. Zwei wildfremde Menschen.

„Sieben! Sechs! Fünf!“

Seine Gedanken rasten. Wie war hier die Etikette? Sie hatten sich gerade erst kennengelernt, und es war üblich, das neue Jahr mit einer Umarmung und einem Kuss zu begrüßen. Aber sie hatten beide zugegeben, dass keiner von ihnen sich auf etwas einlassen wollte, also …

Wenn er Natalie küssen wollte, wohin? Auf die Wange? Die Lippen?

Unentschlossen starrte er auf ihren Mund.

„Vier! Drei! Zwei!“

Er schaute ihr suchend in die Augen, fragte stumm um Erlaubnis. Er wollte sie wirklich küssen, trotz seiner Regeln – denn, hey, es war doch nur ein einziger Kuss, oder? Es würde zu nichts führen. Er würde sie küssen, ihr ein gutes neues Jahr wünschen und dann verschwinden. Er würde rätselhaft bleiben. Sie würde so weiterleben wie bisher und ihren Freundinnen von dem geheimnisvollen Fremden erzählen, den sie nur ein einziges Mal um Mitternacht geküsst hatte. Irgendwie gefiel es ihm, eine Figur in ihrer Geschichte zu sein, selbst für die kürzeste Beziehung, die sie je in ihrem Leben gehabt hatte. Es spielte keine Rolle, dass er sie nie wiedersehen würde. Oder doch?

„Eins! Frohes neues Jahr!“

Das Stimmengewirr aus dem Club, der Jubel und die Pfiffe ließen sie beide lachen. Sie schaute ihn schüchtern an, fast kokett, und er wusste, dass sie nichts dagegen hatte, wenn er sie jetzt kurz küsste.

Er lächelte, trat einen zaghaften Schritt vor und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

Gentlemanlike. Nicht zu aufdringlich. Nicht zu forsch. Er nahm nicht an, dass sie mehr wollte.

Aber ihre Haut war samtig weich, und ihr Haar duftete zart nach Blüten. Henry verweilte, weil seine Sinne plötzlich verrücktspielten.

Mit fragenden Augen sah sie ihn an. Ihr Gesicht war seinem ganz nah. Sie blickte auf seinen Mund, dann wieder in seine Augen. Unsicher? Hoffnungsvoll?

Sehnsüchtig?

„Ich …“

Seine Kehle versagte ihm den Dienst, Henry brachte kein Wort hervor. Betört ließ er es geschehen, dass sie seinen Kopf umfasste und zu sich herunterzog.

Er schloss die Augen und küsste sie.

Die Sonne, bereits hoch am Himmel, schien durch sein Schlafzimmerfenster, als Henry am nächsten Morgen aufwachte. Er blinzelte und versuchte, den Schlaf zu vertreiben, sein Körper fühlte sich wundervoll leicht an.

Und dann erinnerte er sich.

Als er den Kopf drehte, sah er eine Masse blonder Locken auf dem Kissen neben ihm. Natalie lag auf der Seite, von ihm abgewandt, ihr herrliches Haar verteilte sich auf seinem weißen Kopfkissenbezug, ihre nackten Arme umschlangen das Kissen. Ihr glatter Rücken war von einer Reihe feiner Narben gezeichnet.

Er schluckte. Er hatte nicht vorgehabt, das neue Jahr zu begrüßen, indem er den einzigen Schwur brach, den er sich selbst gegeben hatte, so atemberaubend die letzte Nacht auch gewesen war!

Kein guter Start, oder?

Seufzend fuhr er sich übers Gesicht, drehte sich um und griff nach seinem Handy, um nachzusehen, wie spät es war. Er und Natalie waren in seine Wohnung gestolpert, hatten sich die Kleider vom Leib gerissen und waren praktisch ins Bett gefallen, unfähig, die Hände voneinander zu lassen.

9:34 Uhr.

Ruckartig setzte er sich auf, seine Gedanken wirbelten durcheinander. Heute Mittag stand ein geplanter Kaiserschnitt an.

Henry warf einen Blick auf Natalie, die noch schlief.

Sollte er sie wecken? Was sollte er ihr sagen? Er hatte keine Lust auf das peinliche Gespräch beim Frühstück danach und zu versprechen, sie anzurufen, obwohl er wusste, dass er es nicht tun würde. Wenn er dieses Jahr neu beginnen wollte, musste er den kleinen Rückschlag vergessen und heute neu anfangen.

Er schob die Bettdecke beiseite, schnappte sich Boxershorts, Hose und Hemd und ging ins Bad. Er würde duschen, die Zähne putzen … Und sich dann dafür entschuldigen, dass er gehen musste, erklären, dass er sonst zu spät zur Arbeit kommen würde. Und hoffentlich das Gespräch vermeiden, von dem er sicher wusste, dass sie es führen wollte.

Sehe ich dich wieder? Rufst du mich an? Wir sollten das irgendwann einmal wiederholen.

Nein.

Nein, nein, nein!

Er konnte sich das alles nicht leisten. Egal, wie toll die letzte Nacht gewesen war.

In seinem Kopf überschlugen sich die Erinnerungen. Ihre wilden Küsse … ihr heißer Atem an seinem Hals. Wie sie sich anfühlte, als er tief in sie eindrang, und wie sie sich aufbäumte und stöhnte …

Sein Körper reagierte heftig, also stellte er die Dusche auf Kalt und trat unter den Strahl, schnappte nach Luft, als das eiskalte Wasser auf seinen Körper prasselte.

Rasch wusch er sich die Haare und stand dann noch ein paar Augenblicke unter der Brause, um seine Gedanken zu sammeln und sein Gehirn von der letzten Nacht zu befreien.

Okay, er hatte es gleich bei der ersten Hürde vermasselt, aber er war ein Mann, der an zweite Chancen glaubte, also musste er sich diese Chance geben.

Er stellte das Wasser ab, trocknete sich ab und zog sich an. Ob sie wach war? Würde er dieses peinliche Gespräch mit ihr führen müssen? Ja! Vor allem anderen war er ein Gentleman, und sie verdiente die Wahrheit. Sie hatten eine großartige Nacht gehabt, und das war’s. Sie endete hier und jetzt.

Er atmete kurz tief durch, drückte die Klinke hinunter und verließ das Bad. „Bist du schon wach? Wir müssen …“

Das Bett war leer, bis auf die zerknitterten Laken und zerwühlten Kissen. Ihr Kleid lag nicht mehr am Boden, und – er ging in den Flur – ja, ihre High Heels waren auch weg.

„Natalie?“

Nichts.

Sie war weg. Einfach so.

„Vielleicht hatte sie auf das Gespräch danach auch keine Lust“, überlegte er laut, nicht sicher, ob er sich über ihr Verschwinden freuen oder enttäuscht sein sollte.

Als der Fahrstuhl sie ins Erdgeschoss brachte, schlüpfte Natalie in ihre High Heels. Eine Glocke erklang, die Türen glitten auf, und ein älteres Ehepaar kam herein, als sie den Saum ihres kurzen Kleides tiefer zog, um mehr von ihren Oberschenkeln zu bedecken.

„Guten Morgen“, sagte sie verlegen.

Die Frau hob eine Augenbraue. „Frohes neues Jahr.“

Natalie lächelte beide an und bemerkte, dass der Mann – der Ehemann? – ihr Lächeln erwiderte.

Seine Frau gab ihm mit ihrer zusammengerollten Zeitung einen Klaps auf den Arm. „George! Augen nach vorn!“

Er fuhr zusammen, und Natalie suchte in ihrer Handtasche nach dem Handy, um nach der Zeit zu sehen.

9:47 Uhr! Noch dreizehn Minuten bis zum ersten Arbeitstag in ihrem neuen Job! Und sie musste noch nach Hause und sich umziehen. In dem Aufzug konnte sie nicht im Krankenhaus erscheinen!

Sie schloss die Augen und schämte sich für ihr unüberlegtes Verhalten. Warum habe ich ihn vor dem Club geküsst?Warum bin ich mit ihm nach Hause gegangen? Er hätte ein Mörder sein können!

Obwohl er nicht wie einer aussah. Er wirkte ganz anständig.

Er war so nett gewesen! Ein Mann, der gern für sich blieb. Kein Problem also …

Auf ihrem Handy waren Nachrichten. Ihre Mutter und ihr Vater wünschten ihr alles Gute für ihren neuen Job. Auch ihre beste Freundin Gayle, die immer noch in Montana lebte, hatte geschrieben.

Neues Jahr, neuer Anfang! Ich bin überzeugt, dass Du großen Erfolg haben wirst!

Wie sollte sie ihr erklären, dass sie schon bei der erste Hürde gestolpert war?

Ausgegangen auf einen Drink, um das neue Jahr zu begrüßen, landete sie in den Armen eines Mannes – und in seinem Bett!

Das war überhaupt nicht ihre Art. Natalie ging solche Risiken nicht ein. Nach dem Verrat von Wade hatte sie den Männern abgeschworen.

Sie gab der Einsamkeit die Schuld.

Sie war von ihrer Familie und ihren Freundinnen und Freunden weggezogen. Ließ sie in Montana zurück, um in New York zu leben, nachdem sie eine Stelle im Heartlands Hospital in Manhattan bekommen hatte. Als sie vor knapp einer Woche im Big Apple ankam, hatte sie ihre wenigen Habseligkeiten in ihr winziges Apartment gebracht und sich in den ersten Tagen nicht auf die Straße getraut.

An eine pulsierende Großstadt war sie nicht gewöhnt. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie auf einer Farm gelebt. Dort gab es weite Ebenen, auf denen Pferde oder Rinder grasten. Nicht so wie in dieser Millionenstadt mit hoch aufragenden Wolkenkratzern, mit dicht gedrängten Autos, den Hupen und den Tausenden von Menschen, die alle irgendwohin mussten.

Also blieb sie in ihrer Wohnung und sprach mit niemandem, telefonierte nur mit ihrer Familie. Sie vermisste sie furchtbar, seit sie sie am Tag nach Weihnachten verlassen hatte.

Aber als Silvester näher rückte, spürte sie auf einmal eine Entschlossenheit, die ihr sagte, wie falsch es war, sich in ihrer Wohnung zu verkriechen. Schließlich war sie hier, um nicht nur einen neuen Job anzutreten, sondern ein neues Leben zu beginnen! Natalie machte sich auf den Weg und betrat den erstbesten Club. Liquid Nights.

Dort bahnte sie sich ihren Weg an den fröhlichen Menschen vorbei zur Bar. Sie bestellte ihren allerersten Cosmopolitan, einen Cocktail, von dem sie einmal gelesen hatte. Und noch bevor sie einen Schluck trinken konnte, stolperte sie und schüttete das rötlich schimmernde Getränk einem Mann aufs Hemd.

Es war ihr peinlich gewesen. Sie versuchte sich zu entschuldigen. Aber es war so laut, dass man sie nicht verstehen konnte.

Als sie sein Gesicht im blitzenden Discolicht sah, fand sie, dass er sympathisch aussah. Dunkles, leicht gewelltes kurzes Haar. Dunkel gerahmte Brille. Ein markantes Kinn. Und er war groß. 1,85 bestimmt.

Er griff nach ihrem Arm, damit sie nicht fiel, und als sie wieder sicher auf den Beinen stand, ließ er sie los und lächelte. Trotz der Flecken auf seinem blütenweißen Hemd.

Ihr Herz hatte wie wild geklopft. Er wirkte … aufmerksam. Ein Gentleman. Und dann versuchte er, ihr etwas zu sagen, aber die Musik war zu laut. Als er vorschlug, nach draußen zu gehen, hatte sie genickt.

In der kühlen Luft hörte sie seine Stimme. Seinen Akzent. Britisch! Und ihr erster Eindruck war richtig gewesen. Er war ein Gentleman. Hörte ihr zu. Dann hatte der Countdown begonnen, und der Fremde küsste sie auf die Wange. Spontan umfasste sie sein Gesicht und küsste ihn auf den Mund. Nur um zu sehen, ob es so wunderbar war, wie sie es sich vorgestellt hatte!

Und das war es. Die Aufregung, die Freude und das Versprechen, dass das neue Jahr nun begonnen hatte, hatten etwas Magisches bewirkt.

Es war, als hätten sich zwei einsame Seelen gefunden. Voller Hoffnung. Hatten sich nach mehr gesehnt. Keiner von ihnen wollte nach Hause gehen, um die Nacht allein zu verbringen.

Irgendwie hatten sie es zurück zu ihm nach Haus geschafft, und kaum, dass sie durch die Apartmenttür waren, rissen sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib.

Ihr Verlangen nach ihm war, als hätte sie zu lange gehungert, und es wurde eine Nacht wie keine andere zuvor.

Und irgendwie hatte Henry, mit dem Körper eines griechischen Gotts, ihre Bedürfnisse und ihren geschädigten Körper verstanden wie kein anderer je zuvor.

Bislang hatte Natalie geglaubt, dass der Sex mit Wade großartig gewesen war. Wann immer sie zusammen waren, war ihr Liebesspiel wild und ungehemmt gewesen.

Überall hatten sie es getrieben, auf der Toilette eines Restaurants. In Wades Auto. Einmal sogar draußen im Park!

Wade war ihr Traummann gewesen, ein Fremder aus der Stadt.

Selbstbewusst und weltgewandt, hatte er ihr den Kopf verdreht. Sie konnte nicht genug von ihm bekommen, fragte sich, ob die Beziehungen der anderen so waren wie ihre. Aufregend, zügellos, spontan.

Inzwischen wusste sie, was wirklich dahintersteckte.

Wade hatte sie nie mit zu sich nach Hause genommen, weil er es nicht konnte. Weil Wade ein großes Geheimnis vor ihr verborgen hatte.

Eins, das sie sich im Traum nicht hätte vorstellen können.

Sein ungehemmtes Verlangen nach ihr hatte sie für Liebe gehalten. Sich besonders gefühlt, weil sie so viel Leidenschaft in ihm weckte! Sie hatte fest daran geglaubt, dass Wade sie bitten würde, ihn zu heiraten.

Aber auch das konnte er nicht tun.

Henry jedoch … Henry hatte sie mit zu sich nach Hause genommen und ihr gezeigt, wie ein Mann zu einer Frau sein sollte. Ihre Leidenschaft füreinander war explodiert, ja, aber er war ein umsichtiger Liebhaber, hatte sie ihre Lust auskosten, alles langsam angehen lassen. Er nahm sich Zeit für sie, vergewisserte sich, dass sie zu ihrem Recht kam. Und jedes Mal, wenn sie dachte, sie sei erschöpft und nicht mehr in der Lage, diese schwindelerregenden Höhen noch einmal zu erreichen, hatte Henry sie eines Besseren belehrt. Sie hatten zusammen gelacht. Sich ausgeruht. Und dann wieder von vorn angefangen. Und all ihre Befürchtungen, dass er ihre Narben sehen und aufhören würde, waren wie durch Zauberhand verschwunden.

Sie war in seinen Armen eingeschlafen, befriedigt und glücklich. Merkwürdigerweise fühlte sie sich völlig sicher, obwohl sie sich kaum kannten.

Das Geräusch einer sich schließenden Tür weckte sie, sie öffnete die Augen und erinnerte sich daran, dass sie sich in einer fremden Wohnung befand und nicht ihrer eigenen.

Mit klopfendem Herzen sprang sie aus dem Bett, um nach ihren Sachen zu suchen. Ihr Kleid lag auf dem Boden. Wo war ihre Unterwäsche? Hektisch hob sie Kissen und Bettdecke hoch und entdeckte schließlich die schwarze Spitzenunterwäsche, die über einem großen medizinischen Lehrbuch im Regal hing. Der Titel interessierte sie nicht, sie wollte sich nur noch anziehen und verschwinden, bevor Henry aus dem Bad kam und sie fragte, ob sie sich wiedersehen wollten.

Vielleicht.

Vielleicht wollte er es nicht, aber so oder so wollte sie nicht bleiben und dieses Gespräch haben. So hätte sie ihr neues Leben in der Großstadt nicht beginnen sollen. Und sie hatte keine Ahnung, wie spät es war!

Die Sonne war aufgegangen, und sie konnte den Verkehr unten hören. Heute sollte sie ihren neuen Job antreten!

Warum hatte Henry nirgendwo eine Uhr? Und wo war ihr Handy?

Sie griff nach ihrer winzigen Handtasche, fand ihre High Heels im Flur, wo sie sie abgestreift hatte, und riss die Tür auf. Kurz hielt sie inne und überlegte, ob sie einen Zettel hinterlassen sollte.

Aber wozu? Sie wollte Single bleiben. Also war sie nur eine weitere Kerbe in Henrys Bettpfosten. Letzte Nacht, das war ein angenehmes Intermezzo zweier einsamer Menschen gewesen.

Als die Fahrstuhltüren in der Lobby aufglitten, stürzte sie an dem älteren Ehepaar vorbei nach draußen, um sich zu orientieren. Sie schaute nach links, dann nach rechts, hielt das erste Taxi an und sprang hinein.

„Inwood, bitte.“

2. KAPITEL

Die Verkehrsgötter waren freundlich, und der Taxifahrer brachte Natalie in weniger als fünf Minuten ans Ziel.

„Bitte warten Sie, ich brauche nur eine Minute!“, bat sie und rannte ins Haus, öffnete den Reißverschluss ihres Kleids und kämpfte sich heraus, kaum, dass die Haustür sich hinter ihr geschlossen hatte.

Sie schnappte sich eine Jeans, ein weißes T-Shirt und eine cremefarbene Strickjacke, zog sich hastig an und rannte wieder nach draußen.

„Heartlands Hospital, bitte, so schnell Sie können!“

„Liegt jemand im Sterben?“, fragte der Taxifahrer grinsend und sah sie im Rückspiegel an.

„Ich, wenn ich nicht vor zehn Uhr da bin und an meinem ersten Arbeitstag zu spät komme.“

„Sind Sie Krankenschwester?“ Er fuhr los.

„Ja. Krankenschwester und Hebamme.“

„Ich schätze, Sie werden im September eine Menge Babys zu sehen bekommen, oder? Nach der letzten Nacht?“

Sie nickte, ohne wirklich zuzuhören, während sie ihren Taschenspiegel hervorholte, um ihr Aussehen zu überprüfen. Sie wünschte, sie hätte duschen können, aber sie hatte Feuchttücher in ihrer Handtasche und benutzte sie, um ihr Gesicht frisch zu machen und das Make-up der letzten Nacht zu entfernen.

Dabei versuchte sie, nicht daran zu denken, wie Henry wohl unter der Dusche ausgesehen hatte. Sie hatte das Wasser laufen hören, als sie sich hinausschlich. Versuchte, sich nicht vorzustellen, wie sie ihn einseifte und im hellen Tageslicht seinen atemberaubenden, narbenlosen Körper betrachtete.

Diese Muskeln … dieser knackige Po …

Als das Taxi vor dem Krankenhaus anhielt, fühlte sie sich frisch und einsatzbereit, obwohl sie nur drei Stunden geschlafen hatte.

Glücklicherweise musste sie sich heute Morgen zuerst bei der Personalabteilung melden, nicht auf der Station. Man gab ihr zwei Stunden Zeit, um den Papierkram zu erledigen. Ihren Ausweis anfertigen zu lassen. Ein Foto zu machen. Alle Dokumente zu unterschreiben, die sie brauchte.

Gott, bin ich am Verhungern!

Sie bezahlte den Taxifahrer, stieg aus und blickte zu dem beeindruckenden Gebäude im Herzen Manhattans hinauf.

Die Fassade bestand aus Glas und Stahl, der Name des Krankenhauses stand in dunklen Blockbuchstaben über dem Eingang.

Sie wollte gerade hineingehen, als ihr der Duft frisch gebackener Donuts in die Nase stieg. Sie drehte sich um und sah einen Straßenstand, nur wenige Schritte entfernt. Rasch kaufte sie einen der süßen Kringel und schlang ihn hinunter, während sie das Hauptgebäude betrat und die Liste der Abteilungen in der Eingangshalle durchlas. Die Personalabteilung befand sich in der dritten Etage.

Der Donut war köstlich. Warm, süß, mit Puderzucker und einer warmen Erdbeergelee-Füllung. Sie hätte drei oder vier davon essen können! Aber einer musste reichen, als sie in einen leeren Aufzug stieg und den Knopf für den dritten Stock drückte.

Sie wischte sich die Finger an der Jeans ab, leckte sich die Lippen und atmete tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen. Sie hatte es geschafft!

Ihren ersten Arbeitstag nicht vermasselt, so wie den Start ins neue Jahr, egal, wie toll er eigentlich gewesen war.

Lächelnd erinnerte sie sich an die letzte Nacht. Fast lachte sie darüber, wie wild und verrückt es gewesen war, etwas zu tun, das so völlig untypisch für sie war!

Aber das war es wert gewesen. Sich so zu fühlen. Wieder sorglos und selbstbewusst zu sein.

Sie fragte sich, wer er war. Womit er sein Geld verdiente. Ob er erleichtert war oder enttäuscht, seine Wohnung leer vorzufinden, als er aus der Dusche gekommen war. Hatte er sie vermisst? Hätte er sie gerne wiedergesehen?

Spielt keine Rolle. Die Antwort wäre Nein gewesen.

Egal, wie verlockend er war.

Der Gedanke machte sie traurig. Sie konnte es nicht verhindern. Obwohl sie geschworen hatte, sich von Männern fernzuhalten, war sie im Herzen immer noch eine Romantikerin. Und ganz zaghaft hoffte sie, dass Henry ihr magischer Prinz war. Der galante Ritter, der eine Jungfrau in Not rettete.

Sie schüttelte den Kopf. Nein. Heutzutage retteten Frauen sich selbst.

Trotzdem … er war beeindruckend gewesen.

Ping!

Der Aufzug kam sanft zum Stehen. Als sich die Türen öffneten, schaute sie auf – und erstarrte.

Da stand Henry. In Businesshemd, Anzughose und Weste, Stethoskop um den Hals und dem Krankenhausausweis am Gürtel.

Ihre Blicke trafen sich, stumm starrten sie sich an. Dann, als sich die Fahrstuhltüren zu schließen begannen, streckte Henry die Hand aus, um sie offen zu halten, und stieg ein. Eine Frau eilte noch hinein und drückte den Knopf für den vierten Stock.

Natalies Gesicht glühte. Er war hier! Er war Arzt …

Plötzlich kam ihr das Bild ihres Slips in den Sinn, der an einem medizinischen Lehrbuch baumelte.

Ein Lehrbuch für Geburtshilfe, verfasst von Dr. Robert Yang, einem von Amerikas führenden Geburtshelfern … der hier im Heartlands arbeitete … der einer der Gründe war, warum sie sich hier beworben hatte. Bei den Besten. Um so viel wie möglich zu lernen.

Sie konnte Henry nicht in die Augen sehen. Nie hätte sie gedacht, ihm noch einmal zu begegnen. Und jetzt musste sie neben ihm stehen, ohne etwas sagen zu können, ohne zu erklären, warum sie ihn heute Morgen verlassen hatte.

Ping.

Dritter Stock.

Ohne ihn anzusehen, eilte sie hinaus und atmete tief durch, als sich hinter ihr die Fahrstuhltüren schlossen und der Aufzug weiterfuhr. Sie war entkommen! Erklären konnte sie alles ein andermal. Oder vielleicht auch nie. Sie musste ihm nur aus dem Weg gehen. Es war ein riesiges Krankenhaus.

Aber, oh, dieses Geburtshilfebuch … Welche Fachrichtung hatte er? Bitte lass ihn nicht auf meiner Station sein. Bitte nicht …

„Natalie?“

Sie drehte sich um, und wieder schoss ihr das Blut ins Gesicht. Er musste nach ihr ausgestiegen sein.

„Henry …“

Er lachte leise, wie verlegen, und dann lächelte er – und was für ein Lächeln! Warm und echt. Sie liebte dieses Lächeln! In diesem Moment fand sie ihn noch viel anziehender, denn sie wusste, was sich hinter der gepflegten Clark-Kent-Fassade verbarg. Henry mochte ein Gentleman sein, freundlich und rücksichtsvoll, aber im Schlafzimmer war er ein Meister. Mit einem Körper … zum Anbeißen!

Aber statt ihre Erinnerungen genießen zu können, war plötzlich alles unglaublich kompliziert geworden!

Für sie war es ein One-Night-Stand gewesen. Ihr allererster und einziger One-Night-Stand. Mit jemandem, den sie nie wiedersehen musste. Jemand, dem sie ihre Narben nicht würde erklären müssen. Und es war besser gewesen, als sie es für ein erstes Mal je hätte erwarten können.

Und nun brachte er ihre Pläne durcheinander. Heute war ihr erster Tag! In einem neuen Job! Ein Neuanfang, nachdem sie Männern abgeschworen hatte. Sie wollte sich nicht wieder benutzen lassen. Wollte nicht gerade gut genug sein für ein bisschen billiges Vergnügen.

Wade hatte ihr das Herz gebrochen. Sie war zu leichtgläubig gewesen, missachtete die Warnsignale, weil sie ihn für den wunderbarsten Menschen gehalten hatte, den sie sich vorstellen konnte. Und nun glaubte sie das Gleiche von Henry.

Wegen einer heißen Nacht? Wegen seines charmanten Lächelns und seines atemberaubenden Körpers? Wegen seiner Fähigkeit, ihr viele Orgasmen zu bescheren?

Nein. Sie würde sich nicht noch einmal täuschen lassen! Bei Wade hatte sie einen großen Fehler gemacht. Das würde sie nicht wiederholen.

„Was machst du hier?“, fragte er.

Ihr schwirrten mögliche Lügen durch den Kopf, aber sie war keine Lügnerin und außerdem wusste sie, wie es sich anfühlte, belogen zu werden.

„Heute ist mein erster Arbeitstag.“

„Der neue Job, den du erwähnt hast …? Welche Abteilung?“

Er schien sich plötzlich unbehaglich zu fühlen, und ihr wurde bewusst, dass er sie vielleicht nicht hierhaben wollte.

„Gynäkologie und Geburtshilfe. Ich bin examinierte Krankenschwester und Hebamme.“

„Verstehe.“

Das war’s. Es passte ihm nicht! Sie sah, wie seine Augen sich verdunkelten und er wegschaute, als ob ihm die Neuigkeit peinlich oder höchst unangenehm wäre. Obwohl sie damit gerechnet hatte, tat es trotzdem weh.

„Hör zu, ich weiß, es ist nicht ideal. Für keinen von uns. Aber es ist, wie es ist, und wir können hoffentlich vernünftig damit umgehen.“ Sie plapperte weiter, mit gesenkter Stimme, damit niemand etwas aufschnappen konnte. „Wir waren eine Nacht zusammen, hatten Spaß, aber mehr auch nicht. Wir können es einfach abhaken, beide unsere Arbeit machen und vergessen, dass wir uns … nackt gesehen und Dinge miteinander getan haben, die bei Tageslicht vielleicht ein bisschen peinlich sind, aber … wir sind erwachsene Menschen und sollten damit umgehen können.“

Während sie sprach, blickte er sie an, lächelte dann unerwartet und berührte sein Kinn.

„Du hast da etwas …“

Natalia runzelte die Stirn. „Was denn?“ Sie fasste sich ans Kinn und fühlte einen klebrigen Geleeklecks vom Donut. Wieder errötete sie. „Oh. Danke.“

Hastig leckte sie ihren Finger ab und wünschte, ihr Herz würde ein wenig langsamer schlagen. Die Scham überwältigte sie. Eine solche Situation hatte sie noch nie erlebt. Noch nie …

„Du hast recht.“

Sie blickte auf. „Womit?“

„Wir müssen zusammenarbeiten, und um das zu können, müssen wir die letzte Nacht hinter uns lassen. So wunderbar sie auch war …“, fügte er leise hinzu und klang dabei beinahe wehmütig.

Er fand es also auch wunderbar? Gut, dadurch fühlte sie sich besser. „Okay. Aber nun muss ich zur Personalabteilung. Die erwarten mich. Und du hast zweifellos auch zu tun.“

„Ich bereite mich auf einen Kaiserschnitt am Mittag vor. Vielleicht kannst du in den OP kommen, wenn du Zeit hast?“

Nur zu gern! Aber sie wollte nicht zu eifrig erscheinen. Oder ihn denken lassen, dass sie scharf auf ihn war.

„Kann sein, dass ich noch bei der Einweisung bin.“

„Okay. Wir sehen uns, Natalie.“ Er lächelte und wandte sich Richtung Treppe.

Sie konnte nicht anders, sie musste auf seinen knackigen Hintern starren, als wüsste sie nicht nur, wie er in natura aussah, sondern auch, wie er sich anfühlte. Und wie es war, hineinzubeißen …

„Wir sehen uns, Henry“, murmelte sie ungläubig, dass ausgerechnet ihr das passierte.

Mit ihm war sie letzte Nacht ein anderer Mensch geworden. Kühn. Lustvoll. Zum ersten Mal seit dem Unfall genoss sie ihren Körper mit allen Sinnen. Sie sagte Henry, was er mit ihr machen sollte. Ermunterte ihn und gab zurück, wieder und wieder. Sie war mutig gewesen, weil sie wusste, dass sie nur dieses eine Mal hatten und sie ihn danach nie wiedersehen würde.

Und jetzt mussten sie sich professionell verhalten und zusammenarbeiten.

Als ob diese leidenschaftlichen Stunden nie geschehen wären.

Ideal war es nicht. Natalie. Krankenschwester und Hebamme in seiner eigenen Abteilung. Von allen Krankenhäusern der Welt musste sie ausgerechnet in seinem arbeiten.

Das war eine Komplikation, die er nicht gebrauchen konnte. Aber beide waren sich von vornherein einig gewesen.

Keiner wollte eine Beziehung. Trotzdem würde es schwierig werden, denn die Erinnerungen an die letzte Nacht waren noch frisch und liefen wie ein Film vor seinem inneren Auge ab. Noch immer konnte er ihren Duft riechen. Ihr Haar. Ihren Körper. Er erinnerte sich, wie sie geschmeckt hatte …

Und diese Narben … woher stammten die?

Er ließ sich Zeit beim Waschen für den Kaiserschnitt, lenkte seine Gedanken von der entzückenden Natalie ab und konzentrierte sich auf seine Patientin und ihre Geschichte.

Erstgebärende mit Schwangerschaftsdiabetes. 36. Woche. Das Baby hatte ein Gewicht von über 5000 Gramm erreicht. Sie hatten sich für einen Kaiserschnitt entschieden, weil die Mutter eher zierlich war und eine Spontanentbindung für beide ein Risiko bedeutete.

Als er den Operationssaal betrat, schaute er schnell in die Gesichter. Er suchte Natalie. Sie hatte blaue Augen. Ihre Locken wären unter eine OP-Kappe verborgen. Er entdeckte sie.

Henry ging zu seiner Patientin, die bereits eine Periduralanästhesie bekommen hatte. „Wie geht es Ihnen, Helen?“

„Ich bin etwas nervös!“

Er sah, dass sie mit den Zähnen klapperte, was eine Nebenwirkung der Betäubung sein konnte.

„Das war zu erwarten, aber Sie sind in guten Händen, und wenn Ihr Mann so weit ist, wird er Ihnen zur Seite stehen. Wir fangen nicht ohne ihn an.“

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür zum OP, und Helens Mann Cole kam herein. Er setzte sich neben seine Frau und nahm ihre Hand. „Bereit, mein Schatz?“

Sie nickte, ihre Zähne klapperten noch immer.

Cole sah Henry fragend an.

„Das ist normal. Also, wollen wir Ihren Sohn begrüßen?“

„Ja.“

„Gut.“ Er nahm eine Zange und drückte Helen damit in den Bauch. „Spüren Sie das?“

„N-nein. N-nichts.“

„Genau so soll es sein. Okay.“ Ein Blick in die Runde. „Fangen wir an. Skalpell, bitte.“

Seine Instrumentierschwester Tess reichte ihm das Skalpell, und er setzte den ersten Schnitt. Es dauerte nicht lange, die verschiedenen Schichten zu durchdringen. Haut, Fettgewebe, Rektusscheide, Rektus, Peritoneum parietale. Schließlich eröffnete er die Gebärmutter, und Tess begann mit dem Absaugen des Fruchtwassers, während er nach dem Baby griff und es herauszog.

„Sie könnten einen leichten Druck spüren, Helen.“

„Es ist okay. Mir geht’s gut.“

Das Köpfchen war draußen. Tess reichte ihm unaufgefordert den Ball zum Absaugen von Nase und Mund des Babys. Zum Glück gab es keine Anzeichen von Kindspech, sodass das Kind nicht in Gefahr war.

Als das erledigt war, befreite er die Schultern des Babys und zog dann den restlichen Körper heraus. Ein sehr großes, stämmiges Baby, nass und glitschig, das sofort zu schreien begann. Er klemmte die Nabelschnur ab, durchtrennte sie und hielt das Baby dann über das blaue Tuch, um Helen und Cole ihren Sohn zu zeigen.

„Hier ist er. Ein hübsches Kerlchen.“

„Oh, mein Gott!“ Helen begann zu weinen.

Er übergab das Baby einer anderen Schwester, die es abdeckte und zum Wärmebettchen brachte, um Mund und Nase vollständig abzusaugen, es abzutrocknen und erste Tests durchzuführen. Der Blutzuckerwert sowie Gewicht und Maße wurden bestimmt.

Während sich die anderen um das Baby kümmerten, entfernte Henry die Plazenta und begann dann mit dem Nähen.

Als er fertig war, wandte er sich an seine Patientin. „Wir werden Sie noch etwa eine Stunde lang überwachen, nur um Ihre Vitalwerte und eventuelle Blutungen im Auge zu behalten, okay?“

Sie nickte und lächelte glücklich.

Henry ging in den Aufwärmraum, wo der junge Vater bereits mit seinem Handy Fotos machte. Wie immer spürte Henry danach den Adrenalinschub, denn wieder einmal war alles gut gegangen.

Er erlaubte sich nie, vor einer Operation nervös zu sein. Seine Patientinnen verdienten es, dass er in Bestform war. Seine Nerven meldeten sich immer hinterher. Wenn die letzte Naht gesetzt war und er nichts mehr tun konnte.

Es gab ihm jedes Mal wieder ein gutes Gefühl, neues Leben in diese Welt gebracht zu haben. Eine Wiedergutmachung für das, was er durch den Verlust seiner eigenen Tochter erlitten hatte, noch bevor sie die Chance hatte, ihren ersten Atemzug zu tun.

Er wusch sich die Hände und ging in sein Büro, um den Bericht zu schreiben. Auf dem Weg dorthin traf er seinen Mentor Dr. Robert Yang, der, wie sein blauer Kittel verriet, auf dem Weg in den OP war.

„Alles in Ordnung, Henry?“

„Absolut. Ein gesunder Junge, sobald wir seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen haben.“

„Wunderbar. Das hört man gern.“

„Haben Sie etwas Interessantes?“

„Eine Patientin mit Uterus didelphys wird aus Brooklyn zu uns verlegt.“

Doppelte Gebärmutter? „Das möchte ich sehen.“

„Sie müssen die Stellung halten, da Serena noch nicht da ist.“ Serena war eine weitere Oberärztin. „Aber kommen Sie dazu, sobald sie zurück ist.“

Robert ging weiter, und Henry stieß einen leisen Pfiff aus. Uterus didelphys! War die Patientin in beiden Gebärmüttern schwanger? Dr. Yang hatte es nicht erwähnt. Aber es wäre ein historischer Fall, an dem er beteiligt sein würde. So etwas brachte die Karriere voran, machte seinen Namen bekannt. Und Henry hatte Ambitionen. Er wollte der Beste sein. Genauso anerkannt und respektiert wie sein Mentor.

In seinem Büro setzte er sich hin und loggte sich in seinen Computer ein. Konzentriert begann er zu tippen, als eine vertraute Stimme ihn plötzlich ablenkte. Er blickte auf.

Natalie.

Sie wurde von Roxy, einer anderen Hebamme, herumgeführt. „Das ist der Schmutzwäsche-Raum. Hier das Büro von Dr. Yang. Und das … ist Dr. Locke, einer unserer Oberärzte.“

Natalie lächelte ihn an und kam herein, die Hand ausgestreckt, als hätte sie ihn noch nie gesehen. „Schön, Sie kennenzulernen, Dr. Locke. Ich bin Natalie, die neue Krankenschwester und Hebamme.“

Er lächelte über ihr beeindruckendes Improvisationstalent, stand auf, nahm ihre Hand und tat ebenfalls so, als würden sie sich nicht kennen. „Freut mich auch, Sie kennenzulernen, Natalie“, sagte er und versuchte, nicht allzu sehr darauf zu achten, wie es sich anfühlte, sie wieder zu berühren.

Es war, als würde die Luft zwischen ihnen knistern. Elektrizität kribbelte durch jeden Nervenstrang in seiner Hand, schickte Erregungsschübe bis in seine Leistengegend. Sein Körper erinnerte sich nur zu gut!

Er setzte sich, bevor offensichtlich wurde, welche Wirkung sie auf ihn hatte.

„Wie ist der Kaiserschnitt gelaufen, Dr. Locke?“, fragte Roxy.

„Sehr gut. Mutter und Sohn sind wohlauf“, antwortete er, sah Natalie an und konnte den Blick nicht abwenden.

Schon nachts eine Schönheit, sah sie tagsüber einfach umwerfend aus! Die blonde Lockenmähne, große blaue Augen, das ungeschminkte Gesicht … sie könnte ohne weiteres Model sein. Aber sie war mehr als nur ihr Aussehen, das wusste er. Sie war liebenswert, sie hörte zu, wenn er erzählte, und ihr Lachen, wenn er ihr Schamloses ins Ohr flüsterte, war entzückend gewesen.

Sie weckte in ihm den Wunsch, sie immer zum Lachen und Lächeln bringen zu wollen.

Aber das durfte er nicht.

Natalie war nur für eine Nacht sein gewesen, und er wollte sich nicht auf eine weitere Beziehung einlassen. Schon einmal hatte er sich Hals über Kopf in eine gestürzt, die schrecklich geendet und ihm das Herz zerrissen hatte. Jetzt stand seine Arbeit an erster Stelle. Sie allein half ihm, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.

„Sie haben zu tun“, sagte Roxy. „Wir lassen Sie in Ruhe. Komm, Nat, ich zeige dir, wo der Personalraum ist. Vielleicht liegen da noch ein paar Pralinen herum.“

Er sah ihnen nach und stieß den angehaltenen Atem aus.

Irgendwann musste das Leben doch einfacher werden, oder?

„Findest du nicht auch, dass Dr. Locke atemberaubend ist?“, flüsterte Roxy verstohlen.

„Nun ja …“ Natalie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ja sagen und zugeben, dass sie ihn attraktiv fand? Oder Nein sagen und Roxy denken lassen, sie sei sonderbar, weil ihr nicht aufgefallen war, wie attraktiv der Oberarzt war? Eine vage Antwort erschien ihr am klügsten zu sein.

„Mit dieser sexy Hornbrille hält man ihn für einen Geek, oder? Einen, der ständig über seinen Fachbüchern hockt? Aber selbst in OP-Kleidung sieht man, was für einen tollen Körper er hat!“ Roxy beugte sich vertraulich zu ihr. „Einmal hat Saffron ihn in der Umkleide gesehen, als er sein OP-Oberteil ausgezogen hat, und hinterher nur noch von seinen Muskeln und dem Waschbrettbauch geschwärmt. Ich meine … kannst du dir das vorstellen?“ Roxy verdrehte verzückt die Augen.

Natalie lachte gezwungen. Saffron hatte recht. Er war genau so, wie sie ihn beschrieb. Und noch mehr. Er war nicht nur ein heißer Körper, Henry war viel mehr. Er war freundlich, humorvoll, höflich. Ein guter Zuhörer. Ein aufmerksamer Liebhaber. Rücksichtsvoll. Ordentlich. Und sie hatte keinen Zweifel daran, dass es noch viel mehr über ihn zu erfahren gab. Auch wenn sie nie die Gelegenheit dazu haben würde.

Ich will nicht mehr über ihn wissen. Es war nur eine Nacht. Mehr nicht.

Und obwohl die Erfahrung mit ihrem Ex sie dazu brachte, mehr wissen zu wollen, wusste sie, dass das gefährlich sein könnte. Was, wenn sie ihn für perfekt hielt?

Dann läge ich mit Sicherheit falsch.

„Erzähl mir von Dr. Yang“, versuchte sie abzulenken.

Roxy plauderte weiter über den Leiter der Gynäkologie und Geburtshilfe, während sie im Personalraum zwei Tassen Tee aufgoss. Natalie war so gut wie bereit, hatte ihre Einweisung hinter sich, ihren Ausweis bekommen und alle Papiere unterschrieben. Jetzt musste sie sich nur noch um die Patienten kümmern. So konnte sie sich am besten an ihren neuen Job gewöhnen.

Es war ihr neuer Lebensabschnitt. Ihr neues Leben. Frei von dem Trauma, das Wade in ihr Herz und ihre Seele gebrannt hatte. Das hier war ihre neue Chance. Sie wollte sich und ihm beweisen, dass sie besser war als all die schmutzigen Geschichten, in die er sie hineingezogen hatte.

Wenn sie jetzt nur daran dachte, wurde sie wütend. Sie war unschuldig gewesen! Wie hätte sie wissen können, dass er Frau und Kinder in der nächsten Stadt hatte? Sie hatte geglaubt, dass er sie liebte. Sie hatte die Leidenschaft zwischen ihnen gespürt. Eine Leidenschaft, die sie fälschlicherweise für Liebe gehalten hatte …

Aber sie war eine naive Närrin gewesen und hasste sich dafür, dass sie die Zeichen nicht gesehen hatte, die jetzt, im Nachhinein, nur allzu deutlich waren. Dass er sie nur von einer Handynummer aus anrief. Dass sie nie bei ihm zu Hause waren. Dass er an den meisten Wochenenden keine Zeit hatte, weil er arbeiten müsse. Keine Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit. Auch nicht im Nachbarort zusammen einkaufen oder essen gehen. Beliebte Lokale waren auch tabu. Sie hatte sich besonders gefühlt, und er hatte ihr dieses Gefühl gegeben, etwas, das sie von zu Hause nicht kannte.

So ist das, wenn man das jüngste von sechs Kindern ist. Natalie musste sich den anderen anpassen. Sie bekam keine Sonderbehandlung, nur weil sie das Nesthäkchen der Familie war. Sie war einfach ein weiterer Mund, den es zu stopfen galt. Sie hatte sich geschworen, dass sie, wenn sie erwachsen war und eine eigene Familie hatte, nur zwei Kinder haben wollte. Höchstens drei.

Damit sie jedem die Aufmerksamkeit und Liebe geben konnte, die es verdiente.

Um die beste Mutter aller Zeiten zu sein.

Wade hatte ihr auch das genommen. Sie hatte gedacht, sie würden eine Familie gründen. Oft träumte sie davon, sein Kind auszutragen, obwohl er ihr gesagt hatte, dass sie noch warten müssten. Und das Schlimmste von allem? Sie glaubte ihm. Redete sich ein, dass sie beide das Gleiche wollten.

Als sie dann die Wahrheit erfuhr, war sie am Boden zerstört …

„Wieso bist du ins Heartlands gekommen?“, wollte Roxy wissen.

„Ich bin in einer Kleinstadt in Montana aufgewachsen und habe dort in einem medizinischen Zentrum gearbeitet. Für komplizierte Fälle waren wir nicht ausgerüstet, und diese Patienten wurden in ein größeres Krankenhaus überwiesen. Das war natürlich gut für die Patienten, aber ich hätte gern mehr gelernt. Ich lerne gern Neues, und da ich noch nie in New York war, habe ich mich hier beworben und die Stelle bekommen.“

„Das finde ich toll. Warst du vorher wirklich nie in New York?“

Natalie schüttelte den Kopf. „Ich habe sogar noch nie das Land verlassen.“

„Im Ernst?“ Roxy war sichtlich schockiert.

Natalie lachte und nickte.

„Wow. Ich meine, ich liebe Reisen und kann mir nicht vorstellen, immer an einem Ort zu sein. Du bist eher der häusliche Typ, was?“

Natalie zuckte mit den Schultern. „Ich bin gern zu Hause.“

Sie dachte an ihr Zimmer in Montana. Die blassrosa Tapete, die noch aus ihrer Teenagerzeit stammte. Die gerahmten Urkunden an den Wänden. Scoobs, den Hund der Familie. Die Pferde. Das Ausmisten. An ihre Mom, wenn sie mit Dad schimpfte, weil er sich nicht die Schuhe abputzte. An Dads tiefen Seufzer und sein Zwinkern, wenn ihre Mutter nicht hinsah. An ihre Schwestern, die sich ständig ihre Sachen ausliehen. An ihre Brüder, die jedes Mal, wenn sie ein Date hatte, das einzige Bad besetzten und dann in einer Deo-Wolke wieder herauskamen.

Zu Hause war es laut und unruhig, aber sie vermisste sie alle trotzdem.

Sie hatte nie daran gedacht, wegzugehen. Nicht, bevor Wade ihren Namen und ihren Ruf beschmutzt hatte.

„Entschuldigung …?“

Natalie schreckte auf, als Henrys Stimme von der Tür her erklang. Sie drehte sich um, mit roten Wangen. Wie viel von ihrem Gespräch mit Roxy hatte er mitbekommen?

„Ich wurde gerade über einen Fall von fetalem Hydrothorax informiert. Wir müssen einen thorako-amniotischen Shunt einsetzen. Möchten Sie dabei sein, Schwester Webber?“

Natalie sah Roxy an. „Wäre das in Ordnung?“

„Auf jeden Fall! Lerne von der Besten.“

Lächelnd drehte sich Natalie wieder zu Henry um. „Ja, gern.“

„Okay. Dann sehen wir uns im OP.“

Als er verschwand, war es, als hätte er die ganze Luft aus dem Raum mitgenommen.

„Wow. Diese Operation habe ich noch nie gesehen.“

„Du hast auch noch nie seine magischen Hände bei der Arbeit gesehen. Ich sage dir, ein Blick über die OP-Maske hinweg, und du verliebst dich in ihn. Es sind die Augen. Und seine Hände. Wir sind alle in Dr. Locke verknallt. Jetzt bist du dran.“

Natalie lachte nervös. „Das glaube ich nicht.“

„Glaubst du, du bist immun? Falsch gedacht. Aber keine Angst. Er datet nicht. Er bleibt lieber für sich. Wir vermuten, dass es eine große Tragödie in seinem Leben gab, über die er nicht spricht. Das macht ihn noch rätselhafter, wenn du mich fragst.“ Roxy blickte auf ihre Nägel, bevor sie abrupt das Thema wechselte. „Soll ich dir zeigen, wo der Waschraum ist, oder weißt du es noch?“

„Ich erinnere mich.“

Aber Roxys Warnungen klangen bedrohlich, und jetzt begann sie sich zu fragen, ob sie Henry im OP assistieren sollte.

„Dann mal ran, Mädchen!“

3. KAPITEL

Henry wollte eigentlich nicht lauschen. Aber nachdem Dr. Fox ihn wegen der anhaltenden Flüssigkeitsansammlung in der Brust angerufen hatte, die die Lungenentwicklung des 28 Wochen alten Fetus beeinträchtigte, war er gekommen, um die OP vorzubereiten. Und als er sich dem Personalraum näherte, hörte er Natalies Stimme.

Eigentlich wollte er vorbeischauen, sein Team zusammenstellen und nachsehen, ob Serena schon da war. Aber dann hörte er, dass Natalie sich für kompliziertere Fälle interessierte, und bevor er wusste, was er tat, hatte er sie gebeten, sich ihm anzuschließen.

Alles gut. Ich weiß, was ich tue. Sie ist nur eine Kollegin, die von einem anderen Kollegen gefragt wird, ob sie bei einem interessanten Fall mitmachen will.

Er war gerade dabei, sich die Hände zu schrubben, als die Tür zum Waschraum aufging und Natalie hereinkam.

Sie blickte ihn zögernd an. „Hallo.“

„Hallo.“ Er griff nach dem Nagelreiniger und teilte ihr professionell die Fakten mit. „Die Patientin ist sechsunddreißig Jahre alt und in der 28. Woche schwanger. Beim Ultraschall in der 21. Woche wurde Flüssigkeit festgestellt, aber nur eine geringe Menge. Deswegen wurde beschlossen, das Baby zu überwachen und ein EKG schreiben zu lassen. Glücklicherweise gab es keine mediastinale Verschiebung des Herzens, aber es hat sich eine erhebliche Menge Flüssigkeit im Raum zwischen den Lungen und der Brustwand angesammelt.“

„Okay.“ Sie begann Hände und Arme zu schrubben.

„Dr. Fox führte eine fetale Thorakozentese durch, um die Flüssigkeit abzusaugen, bevor Lunge und Herz Schaden nehmen.“

„Hat Dr. Fox eine Fruchtwasserprobe entnommen, um zu sehen, was die Ursache sein könnte?“

Er war beeindruckt, dass sie das wusste. „Hat er, bekommt die Ergebnisse aber erst im Laufe des Tages.“

„Und was genau werden wir tun?“

„Wir legen einen Ureterkatheter in die Brust des Babys. So kann das Fruchtwasser in die Fruchthöhle abfließen. Das ist die beste Möglichkeit, eine Unterentwicklung der Lunge zu verhindern.“

„Okay. Wie oft hast du so etwas schon gemacht?“

„An die zehn Mal.“

„Und immer erfolgreich?“

„Bis jetzt schon.“

Er lächelte und begab sich dann in den OP, um einen Blick auf die Bilder zu werfen, die Dr. Fox geschickt hatte. Deutlich war die Flüssigkeitsansammlung in der Brust des Babys zu sehen.

Tess half ihm beim Anziehen von Kittel und Handschuhen, und er vergewisserte sich, dass die Mutter narkotisiert war. Dann überprüfte er mit dem Scanner die Lage des Babys im Mutterleib, gerade als Natalie ebenfalls hereinkam.

„Kommen Sie und stellen Sie sich neben Tess. Dann können Sie alles sehen. Das ist Krankenschwester und Hebamme Natalie Webber, die uns ab sofort unterstützt.“ Absichtlich siezte er Natalie vor den anderen.

Alle lächelten und nickten. „Hallo.“

„Okay, fangen wir an.“

Er setzte einen kleinen Einschnitt in den Bauch der Mutter, durch den er den Führungsdraht mit dem Katheter in die Gebärmutter und in die Brust des Babys brachte. Im Pleuraspalt, wo sich die Flüssigkeit angesammelt hatte, stoppte er. Die Narkose der Mutter ging über die Plazenta auf das Baby über, sodass das Kleine ebenfalls sediert war und sich glücklicherweise während des heiklen Eingriffs nicht bewegte.

„Ich setze jetzt den Katheter ein.“

Er zog den vorderen Teil des Katheters zurück, damit er sich im Pleuraspalt entfalten konnte, und zog ihn dann noch ein Stückchen zurück, bis dieser sich außerhalb der Brustwand und im Amnionraum befand. Der Katheter ringelte sich an jedem Ende, sodass er bis zur Geburt des Babys an Ort und Stelle verbleiben konnte.

„Wirklich erstaunlich“, bemerkte Natalie. „Und das hilft, das überschüssige Fruchtwasser in die Fruchtblase zu leiten?“

Er nickte, entfernte den Führungsdraht und nähte den kleinen Einschnitt zu.

„Wir werden sie für vierundzwanzig Stunden unter Beobachtung halten, dann kann sie nach Hause. In etwa einer Woche wird ein Scan gemacht, um zu messen, wie viel Flüssigkeit abgeflossen ist.“

Henry zog Kittel und Handschuhe aus. Natalie tat es ihm nach und warf ihre Sachen auch in den Abfallbehälter, bevor sie zurück in den Waschraum gingen.

„So einfach und so effektiv! Und die Mutter brauchte nicht einmal eine größere Operation.“

„Ja. Es wird ambulant durchgeführt.“

„Das ist schon bemerkenswert!“ Natalie schüttelte den Kopf, als könne sie es nicht fassen.

„Die Medizin ist zu vielen bemerkenswerten Dingen fähig.“

„Das ist sie. Aber es braucht bemerkenswerte Menschen, um sie zu verwirklichen.“ Ihre Wangen röteten sich.

Sie sah hinreißend aus. Und er freute sich über ihr Kompliment. Henry lächelte ein Dankeschön und wusste, dass er hier rausmusste, bevor er etwas Dummes sagte. Wollen wir später zusammen etwas trinken gehen? Oder so etwas in der Art …

„Nun, ich muss los. Dr. Yang hat einen besonderen Fall, über den ich mich informieren will.“

Sie nickte. „Okay. Nochmals vielen Dank.“

„Gern geschehen.“

Henry starrte sie noch einen Moment an. Je mehr Zeit er in ihrer Gesellschaft verbrachte, umso mehr mochte er sie. Sie hatte etwas Besonderes an sich. Das hatte er sich nicht eingebildet.

Natalie war ein guter Mensch. Und womöglich eine echte Bedrohung für seinen Schwur, unerschütterlich Single zu bleiben. Was hatte sie gesagt? Dass sie aus Montana kam? Aus einer Kleinstadt? Dass sie hier war, um ein neues Leben in der großen Stadt zu beginnen? Das wollte er ihr nicht verderben. Sie hatte ihren Neuanfang verdient.

„Wir sehen uns.“

„Sicher.“

Er ging in sein Büro, um seine Anmerkungen zu schreiben und danach Dr. Yang und seine Patientin mit dem Doppel-Uterus aufzuspüren.

Henry war fest entschlossen, an seine Arbeit zu denken und nicht an die blond gelockte Schönheit, die ihm kaum noch aus dem Sinn ging.

Natalie hatte die Betreuung von Felicity übertragen bekommen. In der 40. Schwangerschaftswoche, hatte Felicity in den letzten sechs Stunden regelmäßig Wehen gehabt. Sie war allein hier. Inzwischen hatte sich der Muttermund auf acht Zentimeter erweitert.

Tief atmete sie das Lachgas ein, als die nächste Wehe einsetzte.

„Wie geht es Ihnen, Felicity?“

„Oh, mein Gott, das bringt mich um.“ Sie ließ den Kopf ins Kissen sinken.

Natalie wischte ihr mit einem feuchten kühlen Tuch über die Stirn. „Möchten Sie ein stärkeres Mittel?“

Felicity schüttelte den Kopf. „Nein. Ich schaffe das schon.“

„Okay.“

Natalie war gerade dabei, den Herztonschreiber um Felicitys Bauch zu justieren, als mit einem Schwall die Fruchtblase platzte.

„Fast hätten Sie mich erwischt!“, bemerkte Natalie lächelnd. „Aber das ist ein gutes Zeichen. Es geht voran, und der Druck sollte etwas nachgelassen haben.“

Felicity drückte wieder den Knopf, der über die Maske eine Dosis Lachgas auslöste, während Natalie noch einmal die Akte der Patientin überprüfte. Sie wollte nichts übersehen. Besonders nicht bei ihrer ersten Patientin in ihrem neuen Job!

Es gab immer die Sorge, dass etwas schiefging. Und die Arbeit an Patientinnen, die ihr Leben und das ihrer Kinder in ihre Hände legten, bedeutete auch Stress. Aber es war immer ein besonderes Erlebnis. Ein Kind wurde geboren.

„Ich glaube, ich muss pressen …“, keuchte Felicity, nachdem die Kontraktionen abgeklungen waren.

„Lassen Sie mich Sie zuerst untersuchen. Wir wollen nicht, dass Sie zu früh pressen, denn wenn der Muttermund noch nicht vollständig geöffnet ist, könnte er anschwellen.“

Natalie bewunderte Felicitys Stärke. Sie brachte ihr Baby ohne einen Partner zur Welt. Sie versuchte es ohne Periduralanästhesie. Nur mit Lachgas.

„Sie machen das großartig.“

„Nein, das stimmt nicht.“ Felicity fing an zu weinen. „Sehen Sie mich doch an! Allein hier! Keine Familie. Kein Partner. Was für eine Mutter bin ich, dass ich dieses Kind ohne jede Unterstützung in die Welt setze? Es wird ganz allein sein. Ohne einen Vater, der ihm etwas beibringt.“

„Hey, es gibt eine Menge toller Mütter, die ihre Kinder allein großziehen, ohne Familie oder Partner, und sie machen ihre Sache hervorragend.“

„Aber ich wollte so viel mehr. Ich dachte, alles wäre perfekt! Dass sich mein Traum erfüllt, verstehen Sie?“

Natalie legte ihre Hand auf Felicitys. „Sie können sich den Traum selbst erfüllen. Seien Sie die beste Mutter aller Zeiten. Wenn er Sie hat, dann hat Ihr kleiner Junge alles, was er braucht.“

Felicity begann wieder, das Lachgas einzuatmen, während Natalie sie untersuchte.

„Der Muttermund ist mit zehn Zentimetern vollständig eröffnet. Bei der nächsten Wehe können Sie pressen, und ich werde Ihre Ärztin benachrichtigen. Es ist Serena Chatwin, stimmt’s?“

Felicity nickte. „Ich bin ohne Vater aufgewachsen“, klagte sie. „Ich wollte so gern, dass mein Sohn einen hat.“

„Darf ich fragen, was mit Ihrem Partner passiert ist?“, fragte Natalie sanft.