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VERFÜHRT VON SO VIEL ZÄRTLICHKEIT von CAROLE MORTIMER Das Fest der Liebe steht bevor – für die hübsche Jane wortwörtlich! Denn der umwerfende Gabriel Vaughans überschüttet sie schon jetzt mit seinen sinnlichen Küssen. Er ahnt ja auch nicht, wer sie wirklich ist. Und Jane fürchtet sehr, was passiert, wenn er es erfährt! NUR EINE NACHT VOLLER GLÜCK von AMANDA BROWNING Urlaub im verschneiten Vermont erwartet die hübsche Laura – und ein Wiedersehen mit Quinn, der das Ziel ihrer Träume ist. Aber ein schlimmes Missverständnis hat ihn leider auch zu ihrem Feind gemacht … VIEL LIEBE ZUM FEST von JO ANN ALGERMISSEN Wer ist dieser Mann? Cat wollte auf der einsamen Ranch ihrer Schwester allein sein! Stattdessen trifft sie auf einen sexy Fremden, der mit seinem lässigem Charme und seinem frechen Lächeln mitten im kalten Winter ihr Blut zum Sieden bringt …
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Carole Mortimer, Amanda Browning, Jo Ann Algermissen
JULIA HERZENSBRECHER BAND 23
IMPRESSUM
JULIA HERZENSBRECHER erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Erste Neuauflage in der Reihe JULIA HERZENSBRECHER, Band 23 10/2022
© 1999 by Carole Mortimer Originaltitel: „A Yuletide Seduction“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Astrid Hartwig Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1426
© 1998 by Amanda Browning Originaltitel: „A Christmas Seduction“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sabine Buchheim Deutsche Erstausgabe 1999 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1376
© 1996 by Jo Ann Algermissen Originaltitel: „A Marry-Me Christmas“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ursula Maria Röder Deutsche Erstausgabe 1997 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 964
Abbildungen: shironosov / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751512640
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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GOLD.
Helles, glänzendes, beflecktes Gold.
Sie wollte den Ring nicht mehr bei sich tragen. Er schien ihr den Finger abzuschnüren, obwohl er viel zu locker saß, denn sie hatte ein paar Kilo abgenommen. Sie streifte ihn ab, wie sie es schon längst hätte tun sollen, schon vor Wochen, vor Monaten. Aber sie war mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, und der schmale Goldreif schien keinerlei Bedeutung gehabt zu haben.
Jetzt dagegen empfand sie es anders. Der Ring war das letzte sichtbare Zeichen, dass sie einmal, dass sie jemals …
Sie ballte die Hand so fest zur Faust, dass sich die Nägel tief in die Innenfläche gruben. Aber der Schmerz machte ihr nichts – ganz im Gegenteil. Das leichte Stechen und die roten Abdrücke zeigten ihr wenigstens, dass sie noch lebte, obwohl alles um sie her zerstört war.
Außer ihr und diesem goldenen Ring schien nichts mehr zu existieren.
Sie öffnete die Faust und betrachtete ihn. Sie versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen, die er heraufbeschwor. Lügen. Alles Lügen! Und jetzt war er tot, entseelt, wie ihre Ehe es auch gewesen war.
Nein! Sie würde jetzt auf keinen Fall weinen. Nicht mehr. Niemals wieder!
Mühsam schluckte sie die Tränen hinunter, bevor ihr diese über die Wangen rollen konnten. Es würde lange dauern, bis sie alles vergessen konnte. Vielleicht würde es ihr nie gelingen …
Als Erstes musste sie diesen Ring loswerden. Sie wollte ihn nie, niemals wiedersehen. Sie wollte, dass er für immer verschwand.
Wieder schloss sie die Finger, diesmal jedoch nur locker. Dann holte sie aus und warf ihn, so weit sie konnte, von sich. In hohem Bogen flog er in den Fluss. Die Strömung war so stark, dass der Ring nicht die geringste Wasserbewegung verursachte. Ohne eine Spur zu hinterlassen, versank er irgendwo auf dem Grund im Schlamm.
Sie brauchte etwas Zeit, bis sie begriffen hatte, dass er endgültig verschwunden war – für immer. Endlich war sie frei, so frei, wie sie es schon unsäglich lange nicht mehr gewesen war.
Aber frei wofür?
„Bringen Sie das Geschirr zum …“ Jane verstummte, als eine Tasse mit lautem Klirren auf dem Küchenfußboden landete. Das hauchdünne Porzellan zersprang in unzählige kleine Stücke. Drei Frauen blickten sprachlos auf die Scherben.
„Oh Jane, das tut mir schrecklich leid!“ Paula war völlig fassungslos. Wie hatte ihr so etwas passieren können? „Ich weiß nicht, wie das geschehen ist. Natürlich werde ich den Schaden ersetzen. Ich …“
„Das kommt gar nicht infrage, Paula.“ Jane blieb gelassen.
Es hatte eine Zeit gegeben – und die lag noch gar nicht so lange zurück –, da hätte ein Missgeschick wie dieses sie, Jane, in Panik versetzt. Damals hatte sie so knapp kalkulieren müssen, dass eine außergewöhnliche Belastung wie diese ihren Verdienst beträchtlich geschmälert hätte. Jetzt aber hatte sie sich mit ihrem Partyservice so weit etabliert, dass sie solch einen Verlust durchaus verschmerzen konnte. Außerdem versprach sich Felicity Warner, die Gastgeberin, sehr viel von diesem Abend. Wenn sich ihre Erwartungen tatsächlich erfüllten, würde sie die Scherben wahrscheinlich nur als gutes Omen betrachten.
„Bringen Sie das Tablett bitte ins Wohnzimmer, und verteilen Sie die Tassen.“ Jane stellte vorsichtig eine neue Tasse zu den restlichen sieben Gedecken. „Rosemary kommt mit, um einzuschenken, und ich fege die Scherben zusammen.“ Sie klopfte Paula aufmunternd auf die Schulter und öffnete den beiden dann die Küchentür, damit sie den Warners und ihren sechs Gästen den Kaffee servieren konnten.
Jane musste unwillkürlich lächeln, als sie sich, die Kehrschaufel in der Hand, auf den Boden kniete. Vor zwei Jahren hatte sie sich mit ihrem exklusiven Partyservice selbstständig gemacht, damals noch völlig auf sich allein gestellt. Jetzt hatte sie sich in den besten Kreisen Londons etabliert und beschäftigte Küchenhilfen und Serviererinnen wie Paula und Rosemary. Dennoch war sie es wieder, die fegte. Es schien ihr Schicksal zu sein.
„Liebste Jane, ich muss Ihnen einfach …“ Felicity Warner kam in die Küche und blieb abrupt stehen, als sie Jane neben dem Tisch knien sah. „Was in aller Welt …?“
Jane richtete sich auf und hielt die Kehrschaufel mit den Scherben hoch. „Ich werde Ihnen die Tasse natürlich ersetzen.“
„Vergessen Sie es.“ Felicity Warner machte nur eine wegwerfende Handbewegung, was jedoch weder arrogant noch affektiert wirkte. Felicity war eine elegante, äußerst gepflegte und schlanke junge Frau. Sie trug ein kurzes, figurbetontes Kleid, und das rote Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Ihr ebenmäßiges Gesicht wirkte durch das freundliche Lächeln noch schöner. „Nach diesem Abend werde ich mir ein neues Service leisten und diesen alten Plunder wegwerfen können.“
„Dieser alte Plunder“ war ein feines Porzellan, das sich bestimmt nicht jeder leisten konnte. „Die Gesellschaft war also ein Erfolg?“, fragte Jane höflich und fegte die Scherben von der Kehrschaufel in den Abfalleimer.
„Und was für einer!“ Felicity klatschte in die Hände. „Meine liebe Jane, nach dem Abendessen, das Sie uns serviert haben, wird sich Richard von mir scheiden lassen, um Sie zu heiraten.“
Jane lächelte verbindlich, doch innerlich schauderte sie. Der Gedanke, verheiratet zu sein, war einfach zu schrecklich – selbst wenn der Mann so nett wie Richard Warner sein mochte, der seine Frau und seine beiden kleinen Töchter regelrecht vergötterte.
Jane freute sich, dass der Abend für dieses sympathische Ehepaar ein Erfolg gewesen zu sein schien. Felicity hatte erst vor einigen Tagen angerufen und sie gebeten, zu diesem Anlass zu kochen. Zufällig hatte gerade ein anderer Kunde kurzfristig abgesagt, und so hatte sie den Auftrag annehmen können. Wie Felicity ihr am Nachmittag erzählt hatte, waren die letzten Monate für Richards Unternehmen nicht gerade rosig gewesen. Die Warners konnten also etwas Glück durchaus gebrauchen.
Obwohl Jane das erste Mal für Felicity arbeitete, hatte diese sie sofort mit offenen Armen empfangen und ihr den ganzen Nachmittag von sich und ihrer Familie erzählt. Sie hatte gespürt, wie aufgeregt Felicity war, und sie deshalb einfach reden lassen.
Jane war schon am späten Vormittag bei den Warners erschienen, denn sie hatte Stunden für die Vorbereitungen des festlichen Abendessens gebraucht. Alle Gerichte hatte sie eigenhändig in Felicitys Küche zubereitet, auch das Konfekt, das Paula und Rosemary gerade zum Kaffee servierten. Während der ganzen Zeit war Felicity ihr nicht von der Seite gewichen und hatte unablässig geredet, sodass sie, Jane, jetzt bestens über die Warners und ihre Probleme informiert war.
„Natürlich steht noch nichts fest“, fuhr Felicity aufgeregt fort. „Aber Gabriel hat Richard für morgen früh in sein Büro bestellt, um mit ihm zu reden. Das hört sich doch schon ganz anders an! Ursprünglich hieß es, er wolle die Firma aufkaufen und Richard zum Teufel jagen. Ich bin mir ganz sicher, dass es Ihr leckeres Essen war, das ihn milde gestimmt hat.“
Felicity lächelte verschwörerisch. „Er hat behauptet, er würde nie Nachtisch essen. Doch dann habe ich ihn überredet, wenigstens einen Löffel Ihrer wunderbaren weißen Mousse au Chocolat zu probieren, und er hat den ganzen Teller leer gegessen, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Und als er fertig war, war er so satt und zufrieden, dass er sich bereit erklärt hat, morgen früh mit Richard zu sprechen.“
Also hatte nicht der potenzielle Käufer den Vorschlag gemacht, sondern Richard Warner! Na ja, dachte Jane, in Anbetracht der Umstände darf Felicity schon etwas großzügig mit der Wahrheit umgehen. Richard war der Inhaber einer angeschlagenen Computerfirma, und dieser Gabriel schien dafür bekannt zu sein, dass er solche Unternehmen rücksichtslos seinem Konzern einverleibte. Allein die Tatsache, dass er die Einladung zum Essen angenommen hatte, war mehr, als Richard je zu hoffen gewagt hatte – so lautete jedenfalls Felicitys Version.
Ihr, Jane, schien dieser Gabriel ein eiskalter Geschäftemacher zu sein, mit dem man sich besser nicht einließ. Aber den Warners war anscheinend keine andere Wahl geblieben.
„Ich freue mich für Sie, Felicity“, sagte Jane aufrichtig. „Aber sollten Sie jetzt vielleicht nicht doch lieber wieder zu Ihren Gästen gehen?“ Dann konnte sie nämlich endlich mit dem Aufräumen beginnen. Sie verließ nie eine Küche, die nicht blitzblank und ordentlich aussah. Es gehörte zu ihrem Service, dass der Auftraggeber keinen Handschlag zu tun brauchte, weder vor noch nach dem Essen. Paula und Rosemary würden gehen, nachdem sie den Kaffee serviert hatten, aber sie würde noch spülen.
Ihr machte das nichts aus. Wenn es sein musste, arbeitete sie auch achtzehn Stunden am Tag – sie hatte es zu Anfang sogar sehr oft tun müssen. Sie wollte nur eins: unabhängig und frei sein …
„Natürlich! Wie konnte ich das nur vergessen!“ Felicity schüttelte über sich selbst den Kopf. „Ich war über die Entwicklung der Dinge nur so erleichtert, dass ich es Ihnen gleich berichten musste. Wir sprechen uns nachher noch.“ Dann verschwand sie in einer Wolke teuren Parfüms wieder im Wohnzimmer.
Jane schüttelte traurig den Kopf und widmete sich wieder dem Abwasch. Unter normalen Umständen hätten Felicity und sie Freundinnen werden können. Aber da ihr Leben nicht normal war, würde sie Felicity nie wiedersehen, obwohl sie sich so blendend mit ihr verstanden hatte – es sei denn, die Warners würden sie noch einmal als Köchin benötigen.
Sie musste sich eingestehen, dass ihr Leben sonderbar war. Trotz ihrer hervorragenden Ausbildung – zu der glücklicherweise auch ein langes Praktikum in einer perfekt geführten Hotelküche in Frankreich gehört hatte – trennten sie doch Welten von Menschen wie den Warners.
Ein eigenartiges Leben, aber ein Leben, mit dem sie zufrieden war, auch wenn sie sich manchmal sehr einsam fühlte.
„Sie ist wirklich ein absoluter Schatz“, ließ sich plötzlich Felicitys Stimme auf dem Flur vernehmen. „Ich verstehe nicht, warum sie nicht ein Restaurant aufmacht. Es wäre bestimmt sofort der letzte Schrei.“ Die Küchentür ging auf. „Jane, ich möchte Ihnen jemanden vorstellen, der sich in Ihre Kochkünste verliebt hat.“
Es passierte ohne Vorwarnung. Nichts ließ Jane ahnen, dass sich ihr Leben zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren von Grund auf ändern sollte. Sie griff zu einem Tuch, trocknete sich die Hände ab und drehte sich dann freundlich lächelnd um. Sie erstarrte, als sie den Mann erblickte, mit dem Felicity sie bekannt machen wollte.
Nein!
Nicht er!
Das durfte nicht sein!
Sie war erfolgreich. Unabhängig. Frei.
Sie konnte es nicht ertragen, dass all ihre Bemühungen umsonst gewesen sein sollten!
„Jane, das ist Gabriel Vaughan. Gabriel, das ist unsere bezaubernde Köchin Jane Smith.“ Felicity lächelte strahlend.
Also war der Gabriel, von dem Felicity die ganze Zeit erzählt hatte, Gabriel Vaughan? Der Gabriel Vaughan?
Natürlich war er es, daran bestand kein Zweifel. Er war älter geworden, so wie sie, Jane, auch. Aber sein Gesicht wirkte immer noch hart und verschlossen – und das, obwohl er lächelte.
Dieses Lächeln wäre ihm bestimmt vergangen, wenn er sie erkannt hätte.
„Hallo, Jane Smith“, sagte er.
Er musste jetzt neununddreißig sein. Sein dunkles Haar war so lang, dass es seinen Hemdkragen berührte. Er hatte ein energisches Kinn, volle Lippen und eine lange, gerade Nase. Nur seine Augen passten nicht in dieses arrogante Gesicht, denn sie erinnerten sie an das unwahrscheinlich blaue Wasser auf den Bahamas, wo sie in ihrem früheren Leben einst Urlaub gemacht hatte. Aber das war eine Ewigkeit her.
„Oder darf ich Sie Jane nennen?“, fragte er mit deutlich amerikanischem Akzent.
Gabriel Vaughan trug einen Smoking und ein schneeweißes Hemd, scheinbar ohne sich seiner Eleganz bewusst zu sein. Mit seiner ungewöhnlichen Größe und seinem athletischen Körper wirkte er eher wie ein Sportler als ein Unternehmer. Jane, die nur knapp eins sechzig maß, musste den Kopf zurücklegen, um ihm in die Augen sehen zu können. Obwohl Gabriel jetzt lächelte, war nicht zu übersehen, dass seine Züge in den letzten Jahren noch härter geworden waren.
Oh Paul, dachte Jane unwillkürlich, wie konntest du dir nur einbilden, dich gegen solch einen Mann durchsetzen zu können?
Wenn man dem glauben durfte, was die Zeitungen über diesen Mann berichteten, waren aber auch schon viele andere an Gabriel Vaughan gescheitert. Armer Richard Warner! Felicity hatte sich bestimmt zu früh gefreut.
„‚Jane‘ reicht“, sagte sie höflich, aber unverbindlich, denn so hatte sie in den letzten drei Jahren Situationen wie diese gemeistert. Sie war allerdings erstaunt, dass es ihr gelang, diesen Ton auch Gabriel Vaughan gegenüber anzuschlagen. Schließlich war er der Mann, der wie ein Wirbelsturm über ihr Leben hinweggebraust war und nur Trümmer hinterlassen hatte. Ob ihm das jemals bewusst geworden war?
„Ich freue mich, dass Ihnen das Essen geschmeckt hat, Mr. Vaughan“, fügte sie hinzu und hoffte, es würde ihn veranlassen, sich mit der Gastgeberin wieder ins Wohnzimmer zurückzuziehen. Denn sie war mit ihren Nerven am Ende, so gelassen sie auch wirken mochte.
Gabriel neigte leicht den Kopf, wobei sein dunkles Haar, das die ersten grauen Strähnen zeigte, im Schein der Deckenlampe fast schwarz wirkte. „Ihr Gatte darf sich sehr glücklich schätzen.“
„Ich bin nicht verheiratet, Mr. Vaughan“, antwortete Jane kühl.
Prüfend betrachtete er sie. Sie wusste genau, was er sah: unscheinbares braunes Haar, streng aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken mit einem schwarzen Band zusammengefasst, ein blasses Gesicht ohne Make-up, große braune Augen und eine zierliche Figur, die jedoch durch die cremefarbene Hemdbluse und den schwarzen Rock eher versteckt als betont wurde.
So jedenfalls sah sie sich, wenn sie in den Spiegel blickte. Was ihr jedoch entging, war, dass ihr dichtes, schulterlanges Haar, das sie so rigoros bändigte, rötlich schimmerte und einen aufregenden Kontrast zu ihrem zarten Teint bildete. Auch hatte sie noch nie bemerkt, dass ihre Augen die Farbe alten Sherrys hatten und ihre vollen Lippen ausgesprochen sinnlich wirkten. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass sie bewusst auf Make-up verzichtete.
„Dazu kann man nur sagen“, antwortete Gabriel Vaughan und sah ihr weiterhin in die Augen, „dass dies zwar viele Männer hoffnungsfroh stimmen dürfte, für einen jedoch äußerst enttäuschend sein muss.“
„Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Gabriel, dass Sie mit Jane flirten?“ Felicity lächelte ihm verschwörerisch zu.
„Liebste Felicity, das weiß ich.“ Gabriel betrachtete sie spöttisch.
Flirten? Mit ihr, Jane? Das war doch nicht möglich! Wenn er nur wüsste …
Aber er wusste es ja nicht. Er hatte sie nicht erkannt, denn sonst hätte er sie nicht so bewundernd angesehen.
Hatte sie sich so verändert? Natürlich, an ihrem Gesicht war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Doch der eigentliche Grund, das musste sie zugeben, war ihre Haarfarbe. Vor drei Jahren hatte ihr Haar bis zur Taille gereicht und die Farbe reifen Korns gehabt. Sie war damals selbst überrascht gewesen, wie sehr die neue Frisur sie verwandelt hatte, denn ihre Augen wirkten jetzt dunkler und ihr Teint heller. Außerdem kannte Gabriel sie auch nur von Fotos.
Ja, sie hatte sich äußerlich verändert, und das absichtlich. Aber erst jetzt, da Gabriel Vaughan sie nicht wiedererkannt hatte, wurde ihr richtig klar, wie gut ihr das Täuschungsmanöver geglückt war.
Jane verscheuchte die Erinnerungen und schlüpfte wieder in ihre Rolle als Jane Smith, der rechten Hand reicher Gastgeberinnen. „Mr. Vaughan“, sagte sie langsam, aber bestimmt, „ich glaube, Sie verschwenden Ihre Zeit.“
„Meine liebe Jane …“ Ganz offensichtlich machte es ihm Spaß, sie beim Vornamen zu nennen, obwohl sie auf der formalen Anrede beharrte. „Ich bin dafür bekannt, dass ich genau das nicht tue.“
Obwohl Jane keine Miene verzog, überfiel sie ein ungutes Gefühl, ein Gefühl, das sie schon seit drei Jahren nicht mehr gehabt hatte …
„Kommen Sie, Gabriel!“ Felicity lachte und hakte sich bei ihm ein. „Ich dulde nicht, dass Sie Jane belästigen. Lassen Sie uns ins Wohnzimmer gehen und noch einen Likör trinken. Jane hat noch zu tun und möchte bestimmt gern vor morgen früh Feierabend haben. Kommen Sie.“ Sie zupfte energisch an seinem Ärmel. „Richard denkt sonst noch, ich wäre mit Ihnen durchgebrannt.“
Gabriel Vaughan stimmte in ihr leises Lachen nicht ein. „Da kann Richard völlig beruhigt sein. Sie sind wunderschön, Felicity“, setzte er schnell hinzu, um nicht beleidigend zu wirken. „Aber Frauen, die anderen Männern gehören, haben mich noch nie interessiert. Sie sind für mich tabu.“
Jane hielt den Atem an. Oh ja, Gabriel Vaughan, dachte sie, den Grund dafür kenne ich nur zu gut.
„Felicity hat völlig recht, ich habe wirklich noch viel zu tun“, warf sie schnell ein, damit die Situation nicht peinlich wurde. „Außerdem wird Ihr Kaffee kalt.“ Sie drehte sich um, als sich die Tür öffnete und Paula und Rosemary vom Servieren zurückkamen. Das Timing war wirklich perfekt!
Gabriel Vaughan würde die Küche jetzt bestimmt wieder verlassen. Sie hatte sich eingebildet, sie hätte die Vergangenheit endgültig vergessen, aber in diesem Moment hatte sie alles wieder deutlich vor Augen: die Bilder von Gabriel und ihr nebeneinander auf den Titelseiten der Illustrierten und die entsprechenden Berichte in den Tageszeitungen.
Damals hatte sie nur weglaufen und sich verstecken wollen – was sie dann auch getan hatte. Trotzdem hatte Gabriel Vaughan sie jetzt gefunden, der Mann, der all ihre Gedanken beherrscht und sie bis in ihre Träume verfolgt hatte. Glücklicherweise hatte er sie jedoch nicht wiedererkannt.
Statt der Bitte seiner Gastgeberin nachzukommen, blieb Gabriel ungerührt stehen und sah Jane unverwandt an. Sie fand sein Benehmen mehr als unhöflich, aber er schien sehr gut zu wissen, dass er sich alles herausnehmen konnte, denn er hatte Richard Warners Schicksal in der Hand. Und im Moment wollte Gabriel Vaughan nicht höflich sein, sondern sie mustern.
Endlich, als Jane schon glaubte, seinen Blick nicht länger ertragen zu können, entspannte er sich und lächelte charmant. „Es war mir ein Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben, Jane Smith“, sagte er und streckte die Hand aus.
„Danke“, antwortete sie kühl, sah sich jedoch gezwungen, seine Hand zu ergreifen, wenn sie die Form wahren wollte. Sie wusste genau, warum sie diesen Mann am liebsten nicht berührt hätte, und er wäre bestimmt vor ihr zurückgewichen, wenn er gewusst hätte, wer sie war.
Jane berührte seine Hand nur flüchtig, und Gabriel kniff die Augen zusammen. „Vielleicht sehen wir uns ja wieder“, sagte er.
„Vielleicht“, antwortete sie ausdruckslos.
Vielleicht aber auch nicht! Es war ihr drei Jahre lang gelungen, diesen Mann nicht zu treffen, und mit etwas Glück würde es bis zum nächsten Wiedersehen ebenso lange dauern. Da Gabriel Vaughan in den Staaten lebte und nur äußerst selten nach England kam, durfte das nicht allzu schwierig sein.
„Ich werde einige Monate in England bleiben“, antwortete er, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Ich habe mir für diese Zeit ein Apartment gemietet, weil ich es in einem Hotel nie so lange aushalten könnte.“
Drei Monate! Jane erschrak. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt“, sagte sie jedoch höflich und drehte sich um, um die sauberen Teller vom Tisch zu nehmen und in den Geschirrschrank am anderen Ende der Küche zu stellen. Als sie wieder aufblickte, waren Gabriel und Felicity gegangen.
Erleichtert sank Jane auf einen Stuhl. Sie war völlig erschöpft und hatte das Gefühl, stundenlang mit Gabriel zusammen gewesen zu sein.
„Was für ein wahnsinnig gut aussehender Mann!“, bemerkte Rosemary seufzend und trocknete sich die Hände ab.
Gut aussehend? Wahrscheinlich war er das. Aber für sie, Jane, war er eher Furcht einflößend, denn sie hatte Angst, dass er ihre Identität erraten könnte.
„Man darf sich durch Äußerlichkeiten nicht täuschen lassen“, entgegnete Jane, die sich wieder gefangen hatte. „Hinter manch einem charmanten und kultivierten Gentleman verbirgt sich ein eiskalter Geschäftsmann, der über Leichen geht.“
Paula sah ihre Chefin skeptisch an. „Er schien von Ihnen aber sehr beeindruckt gewesen zu sein“, gab sie zu bedenken.
Jane lächelte verächtlich. „Männer wie Gabriel Vaughan sind von einer Mietköchin nicht ‚beeindruckt‘. Und jetzt ist Feierabend für Sie beide. Den Rest schaffe ich schon allein.“
Jane war froh, endlich allein zu sein. Gedankenverloren räumte sie die Küche auf und redete sich ein, es wäre alles nicht so dramatisch. Die Befürchtung, sie könnte Gabriel Vaughan noch einmal begegnen, war grundlos. London war schließlich groß, und der Blitz schlug auch nicht zweimal in denselben Baum.
Sie würde Gabriel Vaughan bestimmt nie wiedersehen.
Eine halbe Stunde später war auch der letzte Gast gegangen, und Felicity kam zu Jane in die Küche, die inzwischen blitzblank und aufgeräumt war. Felicity war wie verwandelt. Sie war nicht mehr die nervöse und pessimistische Frau, als die Jane sie am Nachmittag kennengelernt hatte, sondern wirkte so zuversichtlich, dass Jane es nicht übers Herz brachte, sie über Gabriel Vaughans Geschäftsgebaren aufzuklären.
Felicity würde es am nächsten Tag schon allein herausfinden, dann nämlich, wenn das Gespräch zwischen Gabriel und Richard stattgefunden hatte.
„Ich kann mich gar nicht oft genug bei Ihnen bedanken, Jane.“ Felicity lächelte, sah aber müde und abgespannt aus. Der Abend musste für sie doch anstrengender gewesen sein, als es zuvor den Anschein gehabt hatte. „Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.“
„Der Abend wäre bestimmt auch ohne mich gut verlaufen“, antwortete Jane ehrlich, denn sie hielt Felicity Warner für durchaus fähig, ihren Pflichten als Gastgeberin auch ohne fremde Hilfe nachzukommen.
„Da bin ich mir nicht so sicher.“ Felicity schnitt ein Gesicht. „Aber morgen werden wir wissen, ob sich unser Einsatz gelohnt hat.“
Damit hatte sie recht. Sie, Jane, konnte nur hoffen, dass die Enttäuschung für dieses nette Ehepaar nicht allzu groß sein würde. Was sie über Gabriel Vaughan wusste, sprach eindeutig dagegen.
Felicity musste gähnen. „Ich glaube, ich gehe ins Bett. Richard bringt noch die letzten Gläser. Aber lassen Sie sie bitte stehen, Jane. Sie haben so viel mehr geleistet als ich, und ich kann mich schon nicht mehr auf den Beinen halten.“ Sie ging zur Küchentür. „Bitte machen Sie jetzt Schluss, Jane“, fügte sie hinzu und drehte sich noch einmal um. „Übrigens haben Sie heute eine Eroberung gemacht. Gabriel war tief beeindruckt von Ihnen.“
„Aha.“ Jane versuchte, sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen. „Und wie tief?“
Felicity lächelte vielsagend. „So tief, dass es bestimmt ein Wiedersehen gibt.“
Jane schluckte. „Wie kommen Sie denn darauf?“
Sie konnte nur hoffen, dass Gabriel vor den anderen Gästen keine Fragen über sie gestellt hatte. Es waren noch zwei andere Ehepaare eingeladen gewesen und Richards geschiedene Schwester, damit es eine gerade Zahl ergab. Keiner von ihnen würde sich wohl für die Angelegenheiten der Frau vom Partyservice interessiert haben!
„Gabriel hat nämlich … Ah, Richard.“ Felicity trat zur Seite, um ihrem Mann Platz zu machen, der die Gläser auf einem Tablett hereinbrachte. „Ich habe Jane gerade erzählt, dass ich mir sicher bin, dass sie und Gabriel sich bestimmt nicht zum letzten Mal gesehen haben.“
Richard lächelte seiner Frau liebevoll zu. Er war Anfang dreißig, schlank, blond und sportlich und ergänzte sich ideal mit der lebhaften Felicity. „Mach Amor nicht arbeitslos, Darling. Außerdem sind Jane und Gabriel alt genug, ihnen muss keiner mehr auf die Sprünge helfen.“
„Sicher ist sicher. Es kann nie schaden, ein bisschen nachzuhelfen.“ Felicity gähnte noch einmal.
„Ab mit dir ins Bett, Felicity“, befahl Richard nachdrücklich. „Ich bringe Jane noch zur Tür und komme dann auch.“
Jane fragte sich beklommen, womit Felicity wohl „ein bisschen nachgeholfen“ hatte.
Felicity widersprach ihrem Mann nicht und verabschiedete sich von ihr. „Ganz herzlichen Dank, Jane, dass Sie so kurzfristig eingesprungen sind und Ihren Job so wundervoll erledigt haben. Sie sind wirklich eine bewundernswerte Frau.“
„Es war mir ein Vergnügen“, wehrte Jane das Lob ab. „Aber verraten Sie mir doch bitte, warum Sie so sicher sind, dass Mr. Vaughan und ich uns wieder treffen werden?“
„Weil er nach Ihrer Visitenkarte gefragt hat, Jane! Er möchte Sie angeblich für ein Essen engagieren, das er für Geschäftsfreunde geben will. Aber das war garantiert nur ein Vorwand, Sie werden bestimmt schon eher von ihm hören. Bleib nicht so lange, Darling“, sagte Felicity dann zu ihrem Mann und ging die Treppe hinauf zum Schlafzimmer.
„Ich möchte mich für diesen Unsinn bei Ihnen entschuldigen, Jane.“ Richard fuhr sich durch das dichte blonde Haar. „Felicity hat sich in den vergangenen Wochen sehr viel Sorgen machen müssen, was gar nicht gut für ihre Schwangerschaft ist. Aber ich warne Sie, lassen Sie sich nicht mit diesem Gabriel Vaughan ein, und wenn er der letzte Mann auf der Welt wäre. Er würde Sie ausnutzen. Für ihn gibt es nur eine Meinung, und das ist seine eigene.“
Wenn sie, Jane, sich vor einem Menschen hüten würde, dann vor Gabriel Vaughan, das stand außer Frage. Seit sie wusste, dass Gabriel ihre Visitenkarte hatte, hatte sie wie erstarrt dagestanden und fieberhaft nachgedacht. Doch jetzt fasste sie sich wieder.
„Ich wusste nicht, dass Ihre Frau schwanger ist“, sagte sie langsam und schlüpfte in ihre Kostümjacke. Felicity hatte nichts davon erwähnt, und anzusehen war ihr auch noch nichts. Davon, dass Richard und Felicity sich auf das Baby freuten, war Jane überzeugt, doch der Zeitpunkt war ungünstig, denn die Sorgen um die Firma standen im Moment eindeutig im Vordergrund.
„Wir haben es gerade erst erfahren.“ Richard lächelte gequält. „Felicity möchte mir so gern einen Sohn schenken. Obwohl es wahrscheinlich schon bald keine Firma mehr geben wird, die er einmal weiterführen kann.“
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich möchte das, was Sie heute Abend geleistet haben, nicht herunterspielen, Jane, aber im Gegensatz zu Felicity glaube ich, dass man einen Gabriel Vaughan mit einem Abendessen nicht beeindrucken kann, sei es auch noch so meisterhaft zubereitet. Es braucht schon etwas mehr, um ihn davon zu überzeugen, dass mein Unternehmen es wert ist, selbstständig weiterzubestehen. Gabriel Vaughan ist nur darauf aus, seinen Konzern noch größer zu machen.“
Nach allem, was sie erlebt und später aus den Medien erfahren hatte, musste sie Richard leider recht geben. Das Gespräch am nächsten Tag würde für ihn bestimmt mit einem niederschmetternden Ergebnis enden. Dennoch legte sie ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm.
„Ich drücke Ihnen die Daumen“, versprach sie. „Aber jetzt muss ich los. Und Sie sollten zu Felicity gehen und sie ganz fest in den Arm nehmen. Sie haben zwei hübsche Töchter, Richard, und eine loyale Frau, um die man Sie nur beneiden kann“, fügte sie aufrichtig hinzu, denn sie war überzeugt davon, dass Felicity Warner ihrem Mann auch in Krisenzeiten treu zur Seite stehen würde. „Was wollen Sie mehr?“
Richard sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. „Sie haben recht, Jane“, stimmte er ihr dann aus vollem Herzen zu. „Sie haben wirklich recht.“
Jane wusste aus eigener Erfahrung, dass man manchmal erst die Meinung eines Außenstehenden hören musste, um zu erkennen, wie glücklich man eigentlich war. Und ganz egal, was mit seiner Firma passierte, Richard würde immer seine schöne Frau, seine niedlichen Töchter und dieses noch ungeborene Kind haben. Und das war schon mehr, als viele Menschen besaßen.
Auch sie hatte vor drei Jahren alles verloren und hart arbeiten müssen, um sich mit ihrem Partyservice eine Existenz aufzubauen. Ein zweites Mal würde sie sich ihre Karriere nicht zerstören lassen, auch nicht von einem Gabriel Vaughan.
Der Abend war für sie alles andere als erfolgreich gewesen. Erst die zerschlagene Tasse – die sie natürlich trotz Felicitys Protesten ersetzen würde – und dann die Begegnung mit Gabriel Vaughan, den sie nie hatte wiedersehen wollen, weil er eine Bedrohung für sie darstellte. Doch Felicity, naiv und romantisch, wie sie war, hatte ihm auch noch ihre Visitenkarte gegeben!
Was kann mir da heute noch passieren?, dachte Jane, als sie das Haus der Warners verließ.
Einige Minuten später wusste sie es. Ihr Lieferwagen sprang nicht an.
Jane verschluckte sich fast an ihrem Croissant. Sie musste husten und vergoss dabei etwas vom Inhalt ihrer Kaffeetasse auf der Zeitung, die offen vor ihr lag. Ein hässlicher brauner Fleck verunzierte das Bild eines Mannes, der strahlend lächelte.
Gabriel Vaughan!
Seit sie ihn am vergangenen Abend so unverhofft getroffen hatte, schien sie nur noch Pech zu haben. In der Nacht war es schon nach ein Uhr gewesen, als sie die Hoffnung hatte aufgeben müssen, ihren Lieferwagen wieder in Gang zu bringen. Ein Blick zurück zum Haus hatte ihr gezeigt, dass nirgends mehr Licht brannte. Und unter den gegebenen Umständen hatte sie nicht mehr stören wollen.
So hatte sie sich auf die Suche nach einer Telefonzelle gemacht, um sich ein Taxi zu bestellen. Aber das war in dem exklusiven Villenviertel gar nicht so einfach gewesen. Zu allem Überfluss hatte es dann auch noch angefangen zu regnen. So war es fast halb drei gewesen, als sie ihr Apartment übermüdet und völlig durchnässt endlich erreichte.
Und jetzt das! Es war neun und für sie eigentlich die schönste Zeit des Tages, weil sie die nächsten Stunden ganz für sich allein hatte. Sie war schon joggen gewesen und hatte sich die Zeitung und ihre geliebten Croissants mitgebracht, die sie gewöhnlich mit großem Appetit aß. Aber nicht heute. Sie hatte kaum einen Happen gegessen, und schon war ihr der Appetit vergangen. Und alles wegen Gabriel Vaughan!
Sie würde ihn bestimmt nie wiedersehen, das jedenfalls hatte sie sich eingeredet, während sie vorhin durch den Park gelaufen war. Soviel sie wusste, war er während der letzten drei Jahre nur ganz selten in England gewesen. Und dass er sich für drei Monate ein Apartment gemietet hatte, hieß noch lange nicht, dass er auch wirklich so lange bleiben würde.
Wahrscheinlich wollte er nur die Übernahme von Richard Warners Firma abwickeln, um dann schnellstens wieder nach Amerika zurückzukehren und dort zu bleiben – das jedenfalls hoffte sie.
Doch das Foto in der Zeitung – es zeigte Gabriel mit einer verführerischen Blondine im Arm – schien dagegenzusprechen. Trotz seiner seltenen Besuche in England schien Gabriel sich hier ganz wie zu Hause zu fühlen und über die besten gesellschaftlichen Kontakte zu verfügen, denn das Bild war auf einer Party aufgenommen worden, die ein bekannter Politiker gegeben hatte.
Jane schob die Zeitung ungeduldig beiseite und stand auf. Die Mußestunden waren ihr für heute gründlich verdorben. Gabriel hatte ihr einmal die Existenzgrundlage entzogen, und falls er es ein zweites Mal versuchte, würde sie sich zu verteidigen wissen, denn sie hatte hart arbeiten müssen, um sich dieses Leben als Jane Smith aufzubauen.
Jane Smith.
Ja, die war sie jetzt.
Jane atmete einmal tief durch und schlug die Zeitung zu, ohne das Bild, das sie so in Panik versetzt hatte, noch einmal anzuschauen. Sie musste wieder so ruhig und gelassen werden, wie sie es sich in den letzten drei Jahren angewöhnt hatte.
Der Alltag lief weiter, und sie musste die nötigen Vorbereitungen für das Essen treffen, mit dem sie am Abend beauftragt war. Als Erstes wollte sie sich bei der Werkstatt erkundigen, ob ihr Lieferwagen wieder fahrbereit war, sonst würde sie sich ein Auto leihen müssen.
Ja, sie war Unternehmerin und musste sich um ihr Geschäft kümmern. Und sie tat es gern.
Trotz Gabriel Vaughan.
Oder gerade seinetwegen.
„Wie ich dies verdammte Ding hasse! Wenn Sie zu Hause sind, Jane Smith, gehen Sie doch endlich selbst ans Telefon!“
Jane stellte den Anrufbeantworter ab. Der Mann, der so ungeduldig gesprochen und schließlich wütend den Hörer aufgeknallt hatte, hatte seinen Namen nicht genannt. Gabriel Vaughans Stimme war jedoch unverwechselbar.
Als Jane erfahren hatte, dass ihr Wagen lediglich eine neue Batterie brauchte und sie ihn in der nächsten Stunde abholen konnte, hatte sie schnell geduscht und sich umgezogen. Bevor sie aus dem Haus gegangen war, hatte sie den Anrufbeantworter eingeschaltet, so, wie sie es immer tat.
Sie war nur eine Stunde fort gewesen, hatte aber fünf Anrufe erhalten. Die ersten beiden waren Anfragen, ob sie noch Aufträge annehmen würde. Aber der dritte Anruf! Auch ohne dass der Mann seinen Namen genannt hatte, hatte sie ihn an seinem amerikanischen Akzent sofort erkannt.
Es war noch keine zwölf Stunden her, dass sie sich von den Warners verabschiedet hatte, und schon versuchte dieser Mensch, sie zu erreichen.
Was er sich wohl dabei dachte?
Was auch immer, sie war nicht interessiert daran, es zu erfahren. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben, weder geschäftlich noch privat. Je weniger sie Gabriel Vaughan sah und von ihm hörte, desto besser.
Deshalb entschloss sie sich, den Anruf einfach zu ignorieren. Da Gabriel weder seinen Namen noch eine Telefonnummer hinterlassen hatte, fiel es ihr auch nicht weiter schwer. Nachdem sie sich für diese Taktik entschieden hatte, schaltete sie den Anrufbeantworter wieder ein, um die letzten beiden Nachrichten abzuhören.
„Jane! Oh Jane! Hier ist Felicity Warner. Rufen Sie mich bitte sofort an. Bitte!“ Felicity, die von Anfang an weinerlich gesprochen hatte, schluchzte laut auf.
Was für ein Unterschied zu der optimistischen Felicity, von der sie sich am vergangenen Abend verabschiedet hatte! Jane glaubte, den Grund dafür zu kennen. Wahrscheinlich hatte Felicity das Ergebnis der Besprechung zwischen Richard und Gabriel erfahren.
Hätte sie Felicitys Optimismus vielleicht doch lieber dämpfen sollen, nachdem sie erfahren hatte, wer Richards Verhandlungspartner war? Aber wenn sie das getan hätte, hätte Felicity mit Sicherheit wissen wollen, woher sie Gabriel Vaughan kannte. Und zu vergessen, unter welchen Umständen sie mit diesem Mann Bekanntschaft geschlossen hatte, hatte sie, Jane, fast drei Jahre gekostet.
Doch Felicity hatte so unglücklich, so verzweifelt geklungen! Das konnte für sie in ihrem Zustand bestimmt nicht gut sein …
„Stellen Sie denn diesen verdammten Anrufbeantworter nie ab, Jane Smith?“ Das war das letzte der aufgezeichneten Gespräche, und diesmal klang Gabriels Stimme nicht aufgebracht, sondern spöttisch. „Ich lehne es ab, mit einer Maschine zu sprechen, und werde es später noch einmal versuchen.“ Wieder legte er auf, ohne seinen Namen genannt zu haben.
Zwei Anrufe in einer Stunde! Was wollte dieser Mann von ihr?
Felicitys Hilferuf nach zu urteilen hatte er auch schon mit Richard gesprochen. Gabriel Vaughan schien weder ein Herz noch ein Gewissen zu haben. Er kaufte und verkaufte, ruinierte Menschenleben und Existenzen, ohne an die Folgen zu denken. Und diesmal ging es um Felicitys Schwangerschaft …
Sie, Jane, wollte mit der Angelegenheit nichts zu tun haben, und wenn sie Felicity anrufen würde, wäre sie darin verwickelt – wenn sie es nicht sowieso schon längst war.
Eigentlich kannte sie die Warners auch gar nicht richtig. Die beiden waren lediglich, das hatte Felicity ihr erzählt, schon zu zahlreichen Essen eingeladen gewesen, die sie ausgerichtet hatte. Deshalb hatten sie sie auch für die Gesellschaft am vergangenen Abend gebucht.
Es gehörte zu ihren eisernen Grundsätzen, sich mit ihren Auftraggebern nicht anzufreunden, denn sie sah sich als deren Angestellte und verhielt sich entsprechend. Aber bei Felicity war es anders gelaufen, denn diese war ängstlich und nervös gewesen und hatte jemanden gebraucht, mit dem sie reden konnte. Wahrscheinlich hatte sie ganz richtig erkannt, dass sie, Jane, es sich in ihrer Position nicht leisten konnte, über die Privatangelegenheiten ihrer Kunden zu tratschen, und nichts weitererzählen würde.
Für Klatsch hatte sie sich noch nie interessiert, aber selbst wenn sie es getan hätte, hätte sie niemanden gehabt, mit dem sie sich über die Probleme der Warners hätte unterhalten können.
Es mangelte ihr wirklich nicht an Kontakten, denn durch ihre Arbeit lernte sie viele Menschen kennen, doch richtige Freunde hatte sie nicht. Es gehörte zu ihrer Berufsauffassung, die Privatsphäre ihrer Auftraggeber zu respektieren und weder über deren noch über ihre eigenen Probleme zu reden.
Seit sich ihr Leben vor drei Jahren so dramatisch verändert hatte, hatte sie sich voller Eifer ihrem neuen Beruf gewidmet, und der Erfolg war nicht ausgeblieben.
Deshalb konnte sie sich auch dieses großzügige Apartment leisten. Der helle Raum war mit hübschen antiken Einzelstücken möbliert und wirkte vor allem durch den polierten Holzfußboden, der nur hier und da von einer Brücke bedeckt wurde. Einen Fernseher besaß sie nicht, dafür beanspruchte das Regal mit ihren Büchern und CDs eine ganze Wand. Lesen und Musikhören waren ihre liebsten Freizeitbeschäftigungen. Die Stunden, die sie so verbrachte, zählten zu ihren schönsten, denn Partys, wie sie sie früher geliebt und jedes Wochenende besucht hatte, übten schon lange keinen Reiz mehr auf sie aus.
Aber irgendwie schienen die letzten drei Anrufe den Frieden und die Harmonie ihres kleinen Reichs zerstört zu haben.
Sie mochte Felicity ausgesprochen gern und hatte tiefes Mitgefühl und Verständnis für deren Situation. Aber sie scheute sich, sie anzurufen.
Sie brachte es einfach nicht über sich.
Als Jane in der nächsten Nacht um ein Uhr nach Hause kam, war sie todmüde. Das Essen war wieder einmal ein großer Erfolg gewesen, und alles hatte wie am Schnürchen geklappt. Was sie jedoch so belastete und sie so viel Kraft kostete, war ihr Privatleben, das in den letzten vierundzwanzig Stunden so durcheinandergeraten war.
Die Anzeige ihres Anrufbeantworters zeigte ihr, dass sechs Gespräche registriert waren. Wie viele davon mochten wohl von Gabriel Vaughan sein?
Oder bildete sie sich nur ein, dass er etwas von ihr wollte? So, wie dieser Mann aussah, hatte er es nicht nötig, den Frauen hinterherzulaufen, am allerwenigsten Frauen, die ihren Lebensunterhalt mit Kochen verdienten. Dennoch lautete die letzte Nachricht, die er hinterlassen hatte, dass er sich wieder melden würde.
Jane seufzte. Es war spät, sie fühlte sich erschöpft und wollte ins Bett. Aber würde sie ruhig schlafen können, ohne das Band mit den sechs Nachrichten vorher abgehört zu haben? Wahrscheinlich nicht. Und das ärgerte sie am meisten. Warum reagierte sie auf Gabriel Vaughan derart emotional? Warum ließ sie zu, dass er ihren inneren Frieden störte?
Energisch drückte sie den Knopf, um den Anrufbeantworter in Gang zu setzen.
„Hallo, Jane. Hier spricht Richard Warner. Felicity hat mich gebeten, bei Ihnen anzurufen. Sie musste ins Krankenhaus, und die Ärzte befürchten eine Fehlgeburt. Ich … Felicity … Vielen Dank, dass Sie uns gestern geholfen haben.“
Offensichtlich hatte Richard schnell aufgelegt, weil er nicht recht gewusst hatte, was er weiter sagen sollte. Und was gab es da auch noch hinzuzufügen?
Doch sie wollte sich auf keinen Fall in diese Geschichte hineinziehen lassen. Sie hatte ganz einfach Angst davor. Aber konnte sie den Hilferuf der Warners ignorieren? Felicity schien am Morgen dringend ihren Rat gebraucht zu haben und hatte deshalb wohl so verzweifelt um Rückruf gebeten. Nur konnte sie, Jane, ihr denn überhaupt helfen?
Was geschehen war, war geschehen, auch wenn sie Richard jetzt noch anrufen würde. Und selbst wenn sie ihren festen Vorsatz fallen ließ und mit Gabriel Vaughan reden würde, würde er ihr überhaupt zuhören, geschweige denn seine Absichten ändern?
Außerdem war es jetzt schon halb zwei. Am besten, sie ging jetzt ins Bett und rief am nächsten Morgen im Krankenhaus an. Vielleicht hatte sich Felicitys Zustand bis dahin wieder stabilisiert.
Oder auch nicht.
Jane hörte das Band zu Ende ab. Die anderen fünf Gespräche waren alle rein geschäftlicher Natur. Keine Nachricht, die mit amerikanischem Akzent gesprochen war.
„Felicitys Zustand hat sich nicht verschlechtert, das hat mir der Arzt vorhin mitgeteilt“, sagte Richard Warner, den Jane am nächsten Morgen dann doch angerufen hatte. „Was immer das auch heißen mag“, setzte er skeptisch hinzu.
„Was ist eigentlich genau passiert?“, fragte Jane.
Beim Aufwachen hatte sie plötzlich das Gefühl gehabt, den Hilferuf der Warners nicht einfach ignorieren zu dürfen. Jetzt bereute sie ihre spontane Handlung bereits.
„Was passiert ist? Gabriel Vaughan ist passiert“, antwortete Richard bitter.
Gabriel Vaughan schien nur sich und seine Geschäftsinteressen zu kennen, alles andere kümmerte ihn nicht, und Menschen, die ihm im Weg standen, wurden rücksichtslos überrollt. Im Moment störte ihn Richard Warner, nächste Woche würde es jemand anders sein. Darüber, was mit den Menschen passierte, deren Existenz er vernichtete, schien sich Gabriel nicht die geringsten Gedanken zu machen.
„Mehr möchte ich dazu nicht sagen“, redete Richard weiter. „In meiner Firma geht es drunter und drüber, meine Frau liegt im Krankenhaus, und allein bei dem Gedanken an diesen Gabriel Vaughan sehe ich rot. Ich werde Felicity sagen, dass Sie angerufen haben. Und nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Dann legte er auf.
Jane seufzte. Wie hatte sie den Warners denn schon geholfen? Sie wünschte, sie würde sich wirklich nützlich machen können.
Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte das Telefon schon wieder. Wer mochte das um diese Zeit sein? Sie hatte Richard gleich als Erstes angerufen, um ihn noch zu Hause zu erreichen, und war noch nicht einmal angezogen.
Es konnte nur einer sein, und nach ihrem Gespräch mit Richard war sie genau in der richtigen Stimmung, ihm ordentlich die Meinung zu sagen. Schnell griff sie zum Hörer. „Ja, bitte“, meldete sie sich, ohne aus ihrer Wut und Gereiztheit den geringsten Hehl zu machen.
„Habe ich Sie etwa aus dem Bett geholt, Jane Smith?“, fragte Gabriel Vaughan spöttisch.
Unwillkürlich schlossen sich ihre Finger fester um den Hörer. Obwohl sie mit Gabriel gerechnet hatte, machte allein der Klang seiner Stimme sie aggressiv, und sie musste einmal tief durchatmen, um sich wieder zu beruhigen.
„Nein, Mr. Vaughan, ich bin schon auf.“ Ihr fiel wieder ein, dass sie von Gabriel gehört hatte, dass er mit nur drei bis vier Stunden Schlaf auskam. Demnach musste er schon seit Stunden auf den Beinen sein.
„Habe ich Sie vielleicht bei irgendetwas gestört?“, fragte er.
„Ja, bei meinem Frühstückskaffee“, erwiderte sie unwirsch.
„Und wie trinken Sie den?“
„Schwarz und ohne Zucker“, antwortete sie spontan, bereute es aber sofort. Was ging es Gabriel Vaughan an, wie sie ihren Kaffee trank?
„Ich werde es mir bestimmt merken“, versicherte er.
„Sie haben doch nicht angerufen, weil Sie wissen wollten, wie ich meinen Kaffee trinke“, erklärte Jane ärgerlich.
„Sie irren sich gewaltig, Jane. Ich möchte alles über Sie wissen, was es zu wissen gibt. Und wie Sie Ihren Kaffee trinken, gehört auch dazu.“
Jane umklammerte krampfhaft den Hörer. „Ich glaube, da muss ich Sie enttäuschen, Mr. Vaughan, denn ich bin ein furchtbar langweiliger Mensch.“
„Gabriel“, verbesserte er sanft. „Und was Sie eben gesagt haben, möchte ich stark bezweifeln, Jane.“
Es war ihr egal, was er bezweifelte. Sie arbeitete, legte sich schlafen, joggte, ging einkaufen, las, arbeitete und ging wieder ins Bett. Sie hatte diesen Rhythmus ganz bewusst gewählt, denn die Routine verlieh ihr ein Gefühl der Sicherheit. Und genau die wurde von diesem Mann bedroht!
„Wissen Sie eigentlich, dass Felicity Warner im Krankenhaus liegt, weil der Arzt eine Fehlgeburt befürchtet?“, griff Jane ihn unvermittelt an.
Am anderen Ende der Telefonleitung herrschte Stille. Nur kurz, aber lange genug, dass es Jane auffiel. Sie war erstaunt. Vor drei Jahren hatte sich Gabriel durch absolut nichts aus der Fassung bringen lassen. Sollte er sich etwa doch geändert haben?
„Ich wusste nicht, dass Felicity schwanger ist“, sagte er schließlich betroffen.
„Hätte es denn irgendetwas geändert, wenn Sie es gewusst hätten?“, fragte Jane verächtlich, weil sie die Antwort schon wusste. Dieser Mann ließ sich durch nichts beirren, auch dass er die Einladung zum Abendessen angenommen hatte, besagte nichts. Es zeigte nur, dass er mit den Warners Katz und Maus gespielt hatte.
„Woran etwas geändert?“, hakte Gabriel nach.
„Mr. Vaughan …“ Jane blieb bewusst bei der formalen Anrede. „Lassen Sie es uns doch ganz offen aussprechen: Sie haben mit Richard Warner geschäftlich zu tun, und Ihre Verhandlungsmethoden scheinen nicht gut für die Gesundheit seiner Frau zu sein – und die des ungeborenen Kindes. Glauben Sie nicht?“
„Ich glaube, Sie wären schockiert, wenn Sie wüssten, was ich denke, Jane Smith“, antwortete er schroff.
„Darin gebe ich Ihnen recht. Trotzdem wird es Zeit, dass Ihnen einmal jemand gründlich die Meinung sagt. Haben Sie denn überhaupt kein Gefühl für Ihre Mitmenschen, in deren Leben Sie einbrechen und das Sie auf den Kopf stellen? Die Art, wie Sie mit anderen umgehen, lässt wirklich viel zu wünschen übrig …“ Sie verstummte, weil sie das eisige Schweigen am anderen Ende der Leitung spürte. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie zu viel gesagt hatte.
„Und was genau wissen Sie, Jane Smith, denn über ‚meine Art, wie ich mit anderen umgehe?‘“, fragte er trügerisch leise.
Sie hatte sich verraten! „Sie sind eine wichtige Person in der Wirtschaft, Mr. Vaughan, und die Medien beschäftigen sich mit Ihnen“, versuchte sie, ihren Fehler wiedergutzumachen.
„Nicht in England. Nicht mehr während der letzten Jahre“, widersprach er.
„Komisch. Ich könnte schwören, dass ich gestern ein Foto von Ihnen in der Tageszeitung gesehen habe“, antwortete sie spitz.
Sie musste seinen Argwohn unbedingt wieder zerstreuen. Dass Gabriel Vaughan sie, Jane Smith, völlig aus seinem Gedächtnis streichen würde, musste wohl eine Illusion bleiben, aber sie wollte wenigstens erreichen, dass sein Interesse an ihr nicht noch stieg. Daher musste sie sich hüten, ihn herauszufordern.
„Es war im Gesellschaftsteil“, erklärte sie daher ruhig. „Es wurde dort von einer Party berichtet, zu der Sie eingeladen waren.“
„Ich bin ein sehr geselliger Mensch, Jane. Das ist übrigens auch der Grund für meinen Anruf …“
Er wollte sie bitten, ein Essen für ihn auszurichten! Das kam überhaupt nicht infrage. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, dass sie für diesen Mann arbeitete.
„Wir haben in zwei Wochen Weihnachten, Mr. Vaughan! Ich bin schon seit Monaten ausgebucht. Ich kann Ihnen jedoch einen anderen Partyservice empfehlen. Ich kenne den Koch persönlich und …“
Gabriel Vaughan lachte, als hätte sie einen Scherz gemacht. „Sie haben mich falsch verstanden, Jane. Ich wollte Sie nicht bitten, für mich zu kochen, obwohl Sie das wirklich ausgezeichnet können. Ich wollte Sie ganz einfach einladen, mit mir essen zu gehen.“
Jane verschlug es die Sprache. Gabriel Vaughan hatte sie um eine Verabredung gebeten! Wenn er nur wüsste, wie unmöglich das war!
„Nein“, antwortete sie daher entschieden.
„Wirklich? Sie sagen Nein? Möchten Sie es sich vielleicht nicht erst einmal überlegen?“
Wahrscheinlich war er Absagen nicht gewohnt. Er war ein äußerst attraktiver Mann, unverheiratet, reich, gebildet und charmant – was konnte sich eine Frau mehr wünschen? Aber sie, Jane Smith, hatte keinerlei Interesse an ihm.
„Nein.“ Sie blieb hart.
„Also habe ich mich vorhin doch nicht getäuscht. Es gibt einen Mann in Ihrem Leben!“, antwortete er scharf.
Jane runzelte die Stirn. Wie kam er nur darauf, dass sie einen Freund haben könnte? Dieses Thema hatten sie doch gar nicht angesprochen.
„Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden!“ Ihre Empörung war nicht gespielt.
„Es kommt mir so vor, Jane, als würden Sie sich zu sehr für Richard Warners Angelegenheiten interessieren – und ich meine damit nicht nur seine geschäftlichen.“
„Sie haben eine schmutzige Fantasie, Mr. Vaughan!“ Jane war außer sich und hielt ihm seine eigenen Worte entgegen, die er vor zwei Tagen Felicity gegenüber geäußert hatte. „Für mich gilt das Gleiche wie für Sie. Die Ehemänner anderer Frauen sind tabu für mich.“ Dann legte sie auf und schaltete sofort den Anrufbeantworter ein.
Sie hielt Gabriel Vaughan nicht für einen Mann, der eine Frau noch einmal anrief, wenn sie das Gespräch derart unhöflich abgebrochen hatte. Aber sicher war sicher.
Auf alle Fälle würde sie nie wieder ein Wort mit ihm wechseln. Wie konnte er es nur wagen, ihr eine Affäre mit Richard Warner zu unterstellen?
„Es ist wohl Schicksal, dass sich unsere Wege immer wieder kreuzen, Jane Smith.“
Jane, die gerade die Baisers aus dem Backofen genommen hatte und zum Auskühlen auf einen Rost legte, verharrte mitten in der Bewegung. Sie schloss kurz die Augen und hoffte, es wäre nur ein Traum. Ein Albtraum, aus dem sie sofort erwachen würde.
Aber es nützte nichts. Sie roch sein Rasierwasser und wusste, dass Gabriel Vaughan direkt hinter ihr stand. War es wirklich nur Zufall, dass dies nun schon die zweite Abendgesellschaft innerhalb einer Woche war, für die sie kochte und zu der er eingeladen war?
Sie öffnete die Augen, richtete sich auf und drehte sich entschlossen um. Obwohl sie genau gewusst hatte, was sie erwartete, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Die geräumige Küche, in der es sich so angenehm arbeiten ließ, schien ihr plötzlich viel zu eng.
Wieder fiel ihr auf, wie lässig Gabriel seinen Smoking trug. Er schien keinen besonderen Wert auf Garderobe zu legen und genau zu wissen, dass er sich allein auf seine Ausstrahlung verlassen konnte. Herausfordernd sah er sie aus seinen leuchtend blauen Augen an.
Jane nickte kurz. „Sie erwähnten ja, dass Sie ein geselliger Mensch sind.“
„Und Sie erwähnten, dass Sie für die nächsten Wochen ausgebucht sind.“ Er zuckte die Schultern. „Also ist der Berg zum Propheten gekommen.“
Jane kniff die Augen zusammen. War es möglich, dass er …? Nein, er würde sich niemals zu einem Essen einladen lassen, nur um sie zu treffen! Oder doch? Hatte die Gastgeberin ihr nicht erst in allerletzter Minute mitgeteilt, dass es zwei Personen mehr würden? War Gabriel Vaughan eine davon?
„Ich hoffe, Sie sind mit dem Essen zufrieden, Mr. Vaughan“, antwortete Jane ausweichend.
Gabriel lehnte sich an den Küchenschrank. Er wirkte offen und freundlich, obwohl sie ihn beim letzten Mal so unhöflich abgefertigt hatte.
„Jetzt bin ich zufrieden“, sagte er und blickte sie bewundernd an. „Sie haben eine gehörige Portion Temperament, Jane Smith.“ Offensichtlich hatte er das Telefongespräch also doch nicht vergessen.
Jane wich seinem Blick nicht aus. „Ihre Verdächtigung war ungeheuerlich … Gabriel Vaughan“, erwiderte sie unerschrocken.
Er lächelte strahlend. „Richard war auch nicht gerade begeistert, als ich ihn mit meiner Vermutung konfrontierte“, antwortete er sichtlich amüsiert.
Entsetzt sah sie ihn an. „Sie … Sie haben diese infame Unterstellung ihm gegenüber wiederholt?“, fragte sie fassungslos.
Gabriel nickte nur beiläufig, musterte sie aber eingehend von Kopf bis Fuß. „Womit halten Sie sich eigentlich so gut in Form?“, fragte er dann.
Sie konnte über die Taktlosigkeiten dieses Mannes nur den Kopf schütteln. Höflichkeit schien für ihn ein Fremdwort zu sein.
„Ich jogge, Mr. Vaughan“, erwiderte Jane ärgerlich. „Und es ist mir völlig unverständlich, wie Sie Richard in seiner Situation eine derartige Frage stellen können!“
„Felicity ist nicht mehr im Krankenhaus“, verteidigte er sich und richtete sich auf. Er wirkte plötzlich nicht mehr ganz so souverän.
Jane wusste bereits, dass es Felicity wieder besser ging, war jedoch erstaunt, dass Gabriel es auch schon erfahren hatte. Sie hatte am Morgen von Richard erfahren, dass Felicity wieder zu Hause war, weil im Moment nichts auf eine drohende Fehlgeburt hindeutete. Im Moment. Aber wenn dieser Gabriel Vaughan Richard weiterhin unter Druck setzte und ihn obendrein des Ehebruchs verdächtigte …
„Ja, sie durfte das Krankenhaus verlassen. Aber für wie lange? Wann erlauben Sie sich den nächsten Übergriff auf Richards Firma?“
„Ich erlaube mir keine Übergriffe, Jane“, antwortete Gabriel ärgerlich. „Ich kaufe Unternehmen auf.“
„Indem Sie den Inhaber kaltstellen!“, warf sie ihm vor. „Sie suchen nach seiner schwächsten Stelle und nutzen sie aus.“
Gabriel kniff die Augen leicht zusammen, und an seinem Kinn pochte eine kleine Ader. Diese Anschuldigung schien ihm also doch nahe zu gehen. Vielleicht war er ja menschlicher, als sie, Jane, dachte …
Nein, das konnte nicht sein. Vor drei Jahren hatte er sich völlig rücksichtslos benommen und keinerlei Mitgefühl gezeigt. Sein Verhalten war es gewesen, das eine ohnehin schon unerträgliche Situation zum Inferno hatte werden lassen. Darum hatten ihre Sympathien sofort Felicity und Richard gegolten, deshalb hatte sie so emotional reagiert. Dass es ein taktischer Fehler gewesen war, hatte sie erst gemerkt, als Gabriel ihr ein Verhältnis mit Richard unterstellt hatte.
„Jedes Unternehmen hat seine Schwachstellen“, klärte Gabriel sie spöttisch auf. „Aber ich kaufe nur Unternehmen, die mir interessant erscheinen.“ Er schnupperte. „Ich möchte Sie ja nicht beunruhigen, Jane, aber es riecht irgendwie brenzlig …“
Ihr zweites Blech Baisers!
Schnell öffnete Jane die Backofentür, es war jedoch zu spät. Das Schaumgebäck war schon verkohlt, und dicker Qualm schlug ihr entgegen.
„Lassen Sie das!“ Gabriel riss sie unsanft an der Schulter zurück, als sie das Blech aus dem Ofen ziehen wollte. „Machen Sie schnell die Terrassentür auf.“ Er nahm ihr die Topflappen aus der Hand. „Jane, die Tür bitte“, wiederholte er, als sie sich immer noch nicht rührte.
Jane riss sich zusammen und kam seiner Aufforderung nach. Dieser Gabriel Vaughan raubte ihr noch den letzten Nerv! Sie konnte sich gar nicht erinnern, wann ihr das letzte Mal etwas angebrannt war, noch dazu bei einem Kunden. Wie hatte sie nur so unkonzentriert sein können?
„Gehen Sie mir aus dem Weg, Jane.“ Gabriel eilte mit den verbrannten Baisers an ihr vorbei und warf sie samt Blech in den Garten.
Jane beobachtete schweigend, wie die schwarze Masse zischend im Schnee landete. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass es schneite und schon alles weiß war. Es hätte so ein schöner Abend sein können, wenn dieser Gabriel Vaughan nicht aufgetaucht wäre.
„Wo joggen Sie?“
Jane drehte sich zu ihm um und merkte dabei, wie dicht sie nebeneinanderstanden. Als sie zu ihm aufsah, vermischte sich ihr Atem mit seinem. „In dem Park, an dem ich wohne. Wieso?“ Stirnrunzelnd blickte sie ihn an, denn sie konnte mit seiner Frage nichts anfangen.
Er verzog keine Miene. „Reine Neugier.“
Jane schüttelte nur den Kopf und blieb ruhig stehen, obwohl sie am liebsten einen großen Schritt zurückgetreten wäre. Aber damit hätte sie ihm gezeigt, wie sehr seine Nähe sie verwirrte. Und er war ihr gegenüber sowieso schon im Vorteil, auch wenn es ihm nicht bewusst war.
Seine Neugier war lästig. Sie ärgerte sich darüber, obwohl er ihr mit seiner Frage keine neuen Informationen entlockt hatte. Er wusste ja nicht, wo sie wohnte, und konnte daher auch nicht erraten, in welchem Park sie joggte. „Aber wie es aussieht, wird es morgen mit dem Laufen nichts werden“, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf das dichte Schneegestöber. Sie wollte ganz sichergehen, dass sie Gabriel Vaughan nicht beim Joggen traf. Sie brauchte die Bewegung, um ihre innere Ruhe zu finden. Würde sie Gabriel Vaughan treffen, wäre der Effekt dahin.
„Sie laufen also nur bei schönem Wetter“, stellte er fest und lächelte verächtlich.
Jane war empört. „Ich …“
„Hier versteckst du dich also, Gabriel!“ Celia Barnabys Stimme war tief und rauchig. Celia, eine große, schlanke Blondine, rümpfte die Nase, denn es roch immer noch etwas angebrannt.
Gabriel zwinkerte Jane verschwörerisch zu und legte Celia dann den Arm um die Schultern. „Das ist das Dessert“, sagte er und führte sie aus der Küche. „Am besten, wir lassen Jane jetzt allein, damit sie retten kann, was noch zu retten ist.“
„Aber …“
„Du wolltest mir doch noch von deinem Skiurlaub erzählen“, unterbrach er sie und führte die widerwillige Celia aus dem Gefahrenbereich. „Wohin wolltest du doch? Nach Aspen?“ Über Celias Kopf hinweg blickte er Jane an und lächelte ihr heimlich zu, was eine sehr vertrauliche Atmosphäre schuf.
Leise schimpfend wandte sich Jane wieder dem Nachtisch zu, denn sie hatte wirklich nicht mehr viel Zeit. Paula und Rosemary kamen gerade mit den leeren Gemüseschüsseln zurück, der Hauptgang musste also bald beendet sein.
Jane arrangierte je ein Baiser mit Früchten auf dem Teller, gab etwas Himbeersauce darüber, und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es eigentlich zwei Baisers hätten sein sollen.
Nur Gabriel Vaughan würde es wissen, denn er war der Grund dafür, dass sie zu dieser Notlösung hatte greifen müssen. Wäre er nicht in die Küche gekommen und hätte dumme Fragen gestellt, wäre ihr, einer versierten Köchin, dieses Missgeschick nicht passiert. Irgendwie schien dieser Mann ein Talent dafür zu haben, sie kopflos und nervös zu machen.
Ihre innere Unruhe legte sich den ganzen Abend nicht mehr. Jedes Mal, wenn die Küchentür aufging, befürchtete Jane, Gabriel Vaughan würde erscheinen. Er schien sich überhaupt nicht darum zu scheren, dass es sich für ihn als Gast nicht gehörte, im Haus der Gastgeberin herumzulaufen, in die Küche zu gehen und mit der Köchin zu sprechen. Aber das ist typisch für ihn, dachte Jane, er ist so selbstherrlich, dass er es für sein gutes Recht hält, sich überall wie zu Hause zu benehmen.
Mit der gleichen Arroganz sagte er, was er dachte, und wenn es für die Betroffenen noch so beleidigend war!
Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Richard Warner wohl reagiert haben mochte, als Gabriel ihm ein Verhältnis mit ihr unterstellt hatte. Das Ganze war ein Witz, und unter anderen Umständen hätte sie einfach nur darüber lachen können.
Es war schon sehr spät, als auch der letzte Teller wieder gespült im Schrank stand, und Jane fühlte sich ausgelaugt. Das lag allerdings nicht an der körperlichen Arbeit, sondern an der psychischen Belastung, der sie an diesem Abend ausgesetzt gewesen war.
Gerade als Jane gehen wollte, kam dann zu allem Unglück auch noch Celia Barnaby, nachdem sie ihre Gäste verabschiedet hatte, in die Küche.
Sie mochte Celia nicht besonders. Celia war schön, mondän und geschieden. Nicht nur böse Zungen behaupteten, sie hätte ihren schwachen, aber reichen Mann schon in der Absicht geheiratet, sich kurz darauf wieder scheiden zu lassen, um von der Abfindung in Saus und Braus zu leben. Celia Barnaby war für sie eine oberflächliche, berechnende und obendrein eingebildete Frau.
Dennoch lächelte Jane höflich, als Celia die Küche betrat. Schließlich musste sie die Leute nicht mögen, für die sie arbeitete. Sie, Jane Smith, war ausschließlich dazu da, um für das leibliche Wohl der Gäste zu sorgen, alles andere hatte sie nicht zu interessieren.
Celia zog ihre sorgfältig in Form gezupften Brauen hoch. „Kennen Sie und Gabriel sich schon lange?“
Jane sah sie überrascht an. Mit solch einer unverblümten Frage hatte sie nicht gerechnet. „Ob wir uns schon lange kennen?“, wiederholte sie verwirrt, denn sie und Gabriel kannten sich schließlich überhaupt nicht.
„Ja. Gabriel hat mir nämlich erzählt, Sie seien eine gute alte Bekannte von ihm.“
„Er …“ Jane musste schlucken. „Das hat er gesagt?“ Sie runzelte besorgt die Stirn.
„Nun zieren Sie sich doch nicht so, Jane!“ Celia lächelte verächtlich. „Ich bin, ehrlich gesagt, noch nie so richtig klug aus Ihnen geworden. Warum haben Sie sich eigentlich die Haare braun färben lassen? Wissen Sie denn nicht, dass Blondinen mehr Spaß haben?“
Jane war schockiert über diese Worte. Erstens, weil sie nie für möglich gehalten hätte, dass Celia Barnaby an sie, Jane Smith, auch nur einen einzigen Gedanken verschwenden würde, und zweitens, weil Celia ihre wahre Haarfarbe erraten hatte.
Sie hatte ihr Äußeres vor zweieinhalb Jahren ganz bewusst verändert. Es war ihr nicht nur wichtig gewesen, dass Gabriel Vaughan sie nicht wiedererkannte, sondern sie hatte für ihre neue Rolle auch in eine andere Haut schlüpfen wollen. Niemand sollte ihr ansehen können, dass sie früher ein ähnliches Leben geführt hatte wie die Menschen, für die sie jetzt arbeitete.
Bis zu diesem Augenblick war sie der festen Überzeugung gewesen, dass niemand ihre Maskerade durchschauen konnte. Sie achtete peinlich genau darauf, alle vier Wochen zum Friseur zu gehen, und niemand hatte bisher erraten, dass sie von Natur aus blond war.
Obendrein war Gabriel Vaughans Aussage, sie und er seien gute alte Bekannte, eine unverschämte Übertreibung. Sie kannten sich gerade erst eine Woche!
Oder hatte er in ihr doch die Jane von vor drei Jahren wiedererkannt und spielte nur mit ihr?
„Ich kenne Gabriel Vaughan noch nicht sehr lange“, beantwortete Jane schließlich Celias ursprüngliche Frage.
„Schade!“ Celia verzog enttäuscht das Gesicht. „Ich hätte gern gewusst, was er für eine Frau gehabt hat. Sie wissen doch, dass er verheiratet war, oder?“ Celia betrachtete sie aus halb geschlossenen Augen.
Und ob sie das wusste! Jane dachte mit Schrecken daran. Der Tod von Gabriel Vaughans Frau hatte schließlich in nicht unerheblichem Maße dazu beigetragen, dass ihr Leben so außer Kontrolle geraten war.
„Natürlich weiß ich das. Aber auch Sie müssen doch ihr Foto gesehen haben. Von dem Unfall wurde doch in allen Zeitungen berichtet.“ Jane musste sich zusammennehmen, um normal zu klingen. Es war schon so lange her, dass sie mit jemandem über dieses Thema geredet hatte …