Kann man Gott beleidigen? -  - E-Book

Kann man Gott beleidigen? E-Book

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Beschreibung

Das Thema Blasphemie hat explosionsartig an Bedeutung gewonnen. Vom "Punk-Gebet" in einer orthodoxen Kirche über Mohammed-Karikaturen bis zum Papst auf dem Cover einer Satire-Zeitschrift. Während die einen auf die Meinungsfreiheit pochen, sehen viele Gläubige den Tatbestand der Blasphemie erfüllt. Können Gott und der Glaube überhaupt beleidigt werden? Deckt die Meinungsfreiheit jede Äußerung ab? Braucht Religion den Schutz durch den Staat?

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Kann man Gott beleidigen?

Zur aktuellen Blasphemie-Debatte

Herausgegeben von Thomas Laubach

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

ISBN (E-Book): 978-3-451-80061-1

ISBN (Buch): 978-3-451-30905-2

Inhalt

Gotteslästerung 2.0. Thesen zur Blasphemie in der Gegenwart

Thomas Laubach

Wie viel Blasphemie verträgt der Glaube?

Gottesfrevel oder: Das Problem des freien Eintritts und freien Austritts

Arnold Angenendt

Blasphemie. Erinnerung an eine Zeit, als Religion noch Nervensache war

Jean-Pierre Wils

Gott lässt sich nicht spotten! (Gal 6,7). Eine protestantische Positionierung zum Thema Blasphemie

Harald Schroeter-Wittke

Vor dem Kreuz. Blasphemische Inversionen

Gregor Maria Hoff

Empört – verletzt – beleidigt. Recht und Grenzen emotionaler Reaktionen auf Blasphemien

Hans-Joachim Höhn

Der lächerliche Glaube. Ethische Aspekte der Blasphemie

Thomas Laubach

Darf Kunst alles?

Anstößige Bilder. Aspekte des Blasphemischen im Film

Reinhold Zwick

Loslassen mit Blick nach vorne

Wolfgang Wunden

Ein Recht auf Blasphemie?

Blasphemie im Spannungsverhältnis zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit?

Barbara Rox

Klagen gegen Blasphemie? Zum schwierigen Verhältnis von Religions- und Meinungsfreiheit

Ingeborg Gabriel / Irene Klissenbauer

Blasphemie und säkularer Staat

Josef Isensee

Die Autorinnen und Autoren

Der Messias, Marias Sohn, ging an einer

Gruppe von Juden vorbei.

Sie schmähten ihn.

Er aber segnete sie.

Da wunderten sich seine Schüler:

„Die anderen schmähen dich, und du segnest sie?“

Jesus erwiderte: „Jeder Mensch kann nur austeilen, was er hat.

Michael Asin et Palacios

Gotteslästerung 2.0[1]

Thesen zur Blasphemie in der Gegenwart

von Thomas Laubach

Die Beleidigung Gottes hat eine lange Geschichte. Im Christentum beginnt sie mit dem Vorwurf der jüdischen Autoritäten an Jesus, er würde Gott lästern (Mk 14,63f). Dazu kommt, dass bereits in der Antike die Verehrung eines Gekreuzigten dem Christentum Unverständnis und Spott eingebracht hat. Der heidnische Philosoph Celsus aus dem 2. Jahrhundert tat die Nachricht vom leeren Grab als Frauengeschwätz ab, und die erste bildliche Darstellung des Gekreuzigten ist ein römisches Graffiti aus dem 2./3. Jahrhundert, das einen angenagelten Esel darstellt, versehen mit der Unterschrift Alexamenos betet seinen Gott an. Kein Wunder, der Antike galt das Kreuz nicht als Heilszeichen, sondern als Schandmal. So wird der Gekreuzigte zum Narren – ein echter Esel, der sich ans Kreuz schlagen ließ.

Sich über den Glauben lustig zu machen, Witze über Glaubensinhalte zu reißen oder gar Gott selbst zu beleidigen sind die Begleittöne der Entwicklung des frühen Christentums. Fast 2000 Jahre später scheint sich nichts geändert zu haben. Mehr noch: Die mediale Öffentlichkeit wird fast wöchentlich mit dem Blasphemievorwurf konfrontiert. Schon länger zurück liegt die Auseinandersetzung mit dem Musical Jesus Christ Superstar, der Jeans-Werbung von Otto Kern, die das Abendmahl von Leonardo da Vinci persifliert, oder dem Film Die letzte Versuchung von Martin Scorsese, der einen expliziten Liebesakt zwischen Jesus und Maria Magdalena zeigt. Dann richtet sich der Blasphemiekonflikt auf Konzerte der Popmusikerin Madonna, die sich an ein Kreuz nageln lässt, oder auf einen Bildband der Fotografin Bettina Rheims, der eine Frau am Kreuz zeigt. Ganz aktuell steht der Blasphemievorwurf im Raum im Zusammenhang mit dem Auftritt der russischen Punk-Band Pussy Riot in der Moskauer Kathedrale, den Karikaturen über Mohammed in der Zeitschrift Charlie Hebdo, dem beschmutzten Papst auf der Titelseite der Titanic oder dem Trailer zum Film Innocence of Muslims.

Zum Eindruck, dass die Gegenwart durch einen neuen Blasphemismus gekennzeichnet ist, gesellt sich eine neue Empfindlichkeit von Gläubigen für Blasphemie. Diese Empfindlichkeit beschränkt sich keineswegs auf Muslime, die vor allem auf Darstellungen Mohammeds reagieren. Auch im christlichen Kontext zeigt sich eine neue Aufmerksamkeit für das Blasphemische. Im säkularen und pluralen Staat kommt der heftige Kampf hinzu, der um die Frage geführt wird, wie die moderne Gesellschaft auf Gotteslästerung, die Verunglimpfung des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses und die Störung des öffentlichen Friedens einerseits antworten soll – und wie sie andererseits mit Gewalt als Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche Blasphemien reagieren muss. Ob Gott selbst beleidigt werden kann – diese Frage wird dabei in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund des Blasphemiediskurses stehen vielmehr die Gläubigen und ihr Glaube.

Deutlich tritt diese Perspektive in der Argumentation des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick zu Tage, der in der Süddeutschen Zeitung forderte, Gotteslästerung solle künftig stärker unter Strafe gestellt werden. Seine Position:

„Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in die Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden.“1

Das bischöfliche Argument: Spott und Satire über religiöse Einstellungen verletzen die Menschenwürde. Von der Sphäre Gottes ist hier nicht die Rede.

Noch dezidierter formulierte der Schriftsteller Martin Mosebach in seinem Beitrag Vom Wert des Verbietens in der Berliner Zeitung sein Unbehagen über die Popularisierung von Blasphemie, die, wenn sie sich nicht gerade gegen den Propheten Mohammed richten würde, vollständig risikolos sei. Diese Risikolosigkeit nimmt Mosebach ins Visier und plädiert für Blasphemie als gefährliche Option künstlerischen Handelns:

„Es gehört zum Stolz und zur Ehre eines Künstlers, dass er den Zusammenstoß mit der Rechtsordnung, wenn er sich aus seiner Kunst notwendig ergibt, nicht bejammert und nicht nach dem Kadi ruft. Der Künstler, der in sich den Ruf fühlt, eine gesellschaftliche Konvention, den Glauben derjenigen, für die Gott anwesend ist oder auch ein Gesetz für seine Kunst verletzen zu müssen, der ist – davon bin ich überzeugt – dazu verpflichtet, diesem Ruf zu folgen. Die daraus entstehenden Unkosten wird er generös begleichen, auch wenn sie seine Existenz gefährden.“2

Blasphemie als gefährliche Handlung? Bestrafung für Blasphemie? Schick wie Mosebach brechen mit Ihren Vorstößen Steine aus der Mauer des derzeit immer noch herrschenden gesellschaftlichen Konsenses. In symptomatischer Weise steht dahinter die Frage, welche Rolle und welchen Schutz Glaube und Religion, religiöse Gefühle und Überzeugungen im modernen, säkularen und pluralistischen Staat genießen.

Offenkundig keinen geringen, wie das aktuelle Beispiel der Komikerin Carolin Kebekus zeigt, die in ihrer Show Kebekus zunächst ein Video unter dem Titel Dunk dem Herrn platzierte – dabei rappt Kebekus in einem Nonnen-Kostüm, singt „Er ist meine Bank, nur für ihn zieh’ ich blank“ und leckt auf laszive Art und Weise ein Kruzifix ab. Noch vor Ausstrahlung der Sendung strich der Westdeutsche Rundfunk den Clip aus der Show. In einer Pressemitteilung ließ der Sender unter anderem verlauten:

„Nach eingehender redaktioneller Diskussion und rechtlicher Prüfung haben wir uns daher entschieden, das Video, das ursprünglich Bestandteil der Show Kebekus bei Einsfestival war, nicht auszustrahlen. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Kritik an der Institution Kirche und der Verunglimpfung religiöser Symbole. Dies zu beachten, hat nichts damit zu tun, ob sich eine Sendung an ein jüngeres oder älteres Publikum richtet.“3

Kurz: Noch bevor überhaupt jemand Anstoß an der Sendung nehmen konnte – die daraufhin allerdings zu einem Internet-Hit wurde – nahm der WDR einen Fernsehbeitrag aus dem Programm. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die den Blasphemievorwurf ganz und gar aus Recht und Staat verabschiedet sehen wollen. Die Kehrseite der Forderung, dass Blasphemie gefährlich und geahndet sein soll, zeigt sich in der Kritik, die beispielsweise Uwe Wesel an Mosebachs Konzept äußerte. Letztlich, so der Jurist, ziele Mosebach auf einen „christlichen Gottesstaat“.4 Die Verfassung dagegen sei offen und keineswegs auf eine christliche Interpretation verpflichtet – und zudem sei der Gott, der in der Präambel des Grundgesetzes bemüht wird, einer, „der den liberalen Rechtsstaat ganz gewiss nicht zu verpflichten vermag, ihn vor Lästerungen zu schützen.“5

Was sich als roter Faden durch den Diskurs zwischen Gegnern und Befürwortern eines neuen Blasphemieverständnisses in der Gegenwart zieht: Es wird eine Frontstellung aufgemacht, die hier den Gläubigen respektive Gott sieht – und dort den Nicht-Gläubigen, den Lästerer, den Blasphemiker. Dabei spielen, wie schon angedeutet, die theologische Frage nach Sinn und Unsinn der Rede von der Lästerung oder Beleidigung Gottes nur noch eine untergeordnete Rolle. Es geht um Lästerung und Beleidung im umfassenden Stil – alles was mit dem Siegel des Religiösen gekennzeichnet werden kann, kann auch blasphemisch traktiert werden.

Verkannt wird durch diese Frontstellung, dass Blasphemie mehr zu denken geben kann. In vier Thesen sollen diese anderen, oft übersehenen Aspekte der Blasphemie erläutert werden und so der Horizont für ein neues Nachdenken über den Topos der Gotteslästerung gekennzeichnet werden. Dadurch lässt sich zum einen die Frage nach Sinn und Unsinn des Blasphemievorwurfes neu stellen – und zum anderen sollen durch die aufscheinende neue Version der Gotteslästerung, eine Gotteslästerung 2.0, vor allem die produktiven Aspekte der Beleidigung Gottes für Gläubige wie den Glauben deutlich gemacht werden.

1. These: Blasphemisch kann auch im Raum des Glaubens gesprochen werden. Zunächst lässt sich festhalten, dass Zweifel, Auseinandersetzung, Hader, Verzweiflung und Gottesbeschimpfung Teil des jüdisch-christlichen Glaubens sind – und vermutlich jeden Glaubens. Zwei Beispiele: Hiob hadert mit und zweifelt an Gott, Jesus lästert, zumindest nach Meinung der Jerusalemer Autoritäten, Gott. Mehr noch könnte eine Interpretation des gekreuzigten Esels auch lauten, dass die Urchristen in diesem Bild den tieferen Sinn ihrer eigentlich absurden Lage erkannt haben könnten. Als verfolgter Minderheit, einer Gruppe von Outlaws und Randfiguren muss ihnen, wie der Theologe Harvey Cox schrieb,

„gelegentlich zum Bewusstsein gekommen sein, wie lächerlich ihr Anspruch scheinen musste. Sie wussten, dass sie Narren in Christo waren, behaupteten aber zugleich, dass die Narrheit Gottes weiser sei als die Weisheit des Menschen. Christus muss für sie selber so etwas wie ein heiliger Narr gewesen sein.“6

Cox macht deutlich: Vom Narren zum eselhaften Christus ist es nur ein kleiner Sprung. Vom Glauben zur Blasphemie ebenfalls. Mehr noch ist zu beachten, dass der klassische Vorwurf der Gotteslästerung im Sinne einer Beleidigung Gottes immer mit einem bestimmten Gottesbild einhergeht. Damit aber stellt sich das Problem, dass das eigene Gottesbild zu dem Gottesbild schlechthin erhoben wird – und dies wiederum setzt den Glaubenden selbst dem Verdacht der Gotteslästerung aus. Denn das verabsolutierte Bild Gottes, das nicht angetastet werden darf, ist eben ein Bild Gottes und kollidiert damit mit dem Gottesbildverbot des Dekalogs, das in unmittelbarer Nähe zum Verbot der Gotteslästerung steht.

2. These: Das Blasphemische ist dem Glauben inhärent. Das Christentum selbst steht für eine Säkularisierung des Glaubens. So deutete etwa der evangelische Theologe Friedrich Gogarten die Säkularisierung als einen Vorgang, „der sich ganz folgerecht aus dem Wesen des christlichen Glaubens ergibt.“7 Zentral an dieser These ist die Idee des Sohnseins Gottes. Säkularisierung nämlich steht begrifflich für den unabwendbaren Prozess eines Freiwerdens der Welt von der Beherrschung durch Mythen, durch Mächte, durch Götter. Die christliche Überzeugung der Menschwerdung Gottes sorgt dezidiert für eine Trennung der profanen und der numinosen Welt. Wenn Gott Sohn und Mensch werden kann, dann kann zwar die Welt von Gott durchwirkt sein, aber sie ist nicht einfach so göttlich, sondern hat ihre eigene Freiheit. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat in ähnlicher Art und Weise von der „weltlichen Welt“8 gesprochen.

Die Blasphemie wiederum, das Lästern oder Beleidigen Gottes, entspringt einer dementsprechenden radikalen Säkularisierung, einer Entfremdung zwischen Gott und den Menschen. In der archaischen Welt ist alles von göttlichen Kräften gewirkt und durchwirkt. Eine Distanz zwischen Gott bzw. Göttern und Welt ist undenkbar. Erst ein Aufbrechen dieser Symbiose, erst die Entdeckung der Weltlichkeit der Welt ermöglicht es, dass sich Menschen gegen Gott und Götter auflehnen. Von daher wohnt das Blasphemische auch dem Christentum inne, weil der Topos der Menschwerdung in vergleichbarer Weise einen Schnitt zwischen Gott und die Welt legt.

3. These: Die Rede von der Blasphemie in einer säkularen, weltlichen Gesellschaft weist auf die Vitalität von Religion hin. Immer dort, wo „Blasphemie!“ gerufen wird, muss eine Grundvoraussetzung erfüllt sein. Es muss Menschen geben, die bestimmte religiöse Vorstellungen haben – und andere, die diese Vorstellungen aufgreifen, verfremden, ins Lächerliche ziehen. Der Vorwurf der Blasphemie weist damit unter anderem auf die Vitalität von Religion hin. Denn um „Blasphemie“ sagen zu können, muss zum einen überhaupt erst eine Abweichung von einem Glaubenssystem kenntlich gemacht werden können, und zum anderen überhaupt ein solches Glaubenssystem bestehen und vital sein, das in bestimmter Hinsicht als unantastbar gilt. Wenn der Blasphemievorwurf erhoben wird, ist dies also ein Indikator für die Lebendigkeit des Glaubens.

Gerade aus sozialethischer Perspektive ist dieser Gedankengang relevant. Denn in der säkularen, weltlichen Gesellschaft wird Religion als reine Privatsache angesehen. Was und wie jemand glaubt, fällt in den Bereich des Privaten. Die Blasphemie setzt sich gegen diese Verprivatisierung des Religiösen zur Wehr, indem sie als kommunikativer Akt die Religion in die Mitte der Gesellschaft stellt. Blasphemie macht Religion zu einer öffentlichen Angelegenheit – und fordert dazu auf, in sozialen, öffentlichen Diskursen Relevanz und Tragfähigkeit des Glaubens zu erörtern. Sie zwingt damit die Gesellschaft, sich mit Religion und Glauben auseinanderzusetzen und Glauben als öffentliche Angelegenheit wahrzunehmen.

4. These: Nicht nur der Blasphemiker, auch der Glaubende hat ein Recht auf Blasphemie. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Blasphemie umgeht, kann zum einen Auskunft über den Zustand der Gesellschaft selbst geben, indem deutlich wird, welcher Stellenwert der Meinungs- und Pressefreiheit in ihr zukommt. Zum anderen aber besitzt Blasphemie für den Glauben selbst Relevanz, gerade in einem säkularen Umfeld. Blasphemie kann positiv gewendet als Religionskritik verstanden werden. Sie hilft, die Grenzen zwischen dem, was zu glauben ist, und dem, was eben nicht zum Glauben gehört, klarer zu ziehen. Der evangelische Theologe Wilhelm Gräb hält fest:

„Der Gott, der Verehrung und Unterwerfung verlangt, gehört zu Recht gelästert. Denn nur der Gott ist der wahre Gott, dem allein der Glaube, bedingungsloses Vertrauen, entspricht. Das aber ist der Gott der gläubigen Subjektivität, des grundlosen Grundvertrauens, der sich gerade nicht mit dem Anspruch auf absolute, objektive Wahrheit proklamieren lässt, dem gegenüber keine Verehrung eingefordert werden kann. Es ist der Gott, der sich der menschlichen Verfügung entzieht, der nicht für politische oder ökonomische Interessen missbraucht werden kann. Es ist der Gott, der geglaubt sein will, unvertretbar vom einzelnen Glaubenden, der der ganz Andere ist, der, den wir nie in die eigene Hand bekommen, sondern der uns in seinen Händen hält – unendlich liebevoll, wie die Bibel sagt, zur Hoffnung ermutigend, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde ausrichtend.“9

Mit anderen Worten: Blasphemie relativiert den Glauben, fragt an, ob all das ernst zu nehmen ist, was Glaubenden ernst ist, fragt an, ob der Glaubende nicht selbst blasphemisch ist. Blasphemie ist in diesem Sinne ein hermeneutisches Prinzip, das hilft, die Chancen und Grenzen des Glaubens auszuleuchten. Die Blasphemie leistet damit Widerstand auch gegen eine unmenschliche Verernstung der scheinbar unverrückbaren Grundsätze und Prinzipien des Glaubens. Wenn aber die Blasphemie den Glauben zu einer eigenen, immer wieder notwendigen Selbstklärung verhilft, muss der Glaubende seine Umgebung geradezu auffordern: „Seid blasphemisch!“

Wo Grenzen und Probleme, Grundthemen und Grundfragen der Blasphemie und des Umgangs mit Blasphemie liegen, das wird in diesem Band der Reihe Thelogie kontrovers auf ganz unterschiedliche Art und Weise thematisiert. Stets aber geht es darum, das Phänomen der Blasphemie zwischen Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung, zwischen Beleidigung religiöser Persönlichkeiten und der Verunglimpfung ganz normaler Glaubenden, zwischen Meinungsfreiheit und dem Recht auf Ausübung des religiösen Bekenntnisses ernst zu nehmen und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Weniger hat Blasphemie auch in säkularer Gesellschaft nicht verdient.

Anmerkungen

[1] Ich danke in besonderer Weise meiner Mitarbeiterin Mirjam Skala für die umfangreiche Unterstützung bei der Erstellung dieses Buches.

1 Vorstoß gegen Gotteslästerung – Bischof fordert Anti-Blasphemie-Gesetz, in: Süddeutsche Zeitung (12. 12. 2012).

2 Mosebach, Martin: Vom Wert des Verbietens, in: Berliner Zeitung (18.06.2012).

3 https://presse.wdr.de/plounge/tv/einsfestival/2013/06/20130605_kebekus_einsfestival.html (Stand: 27. 06. 2013)

4 Wenzel, Uwe Justus: Den Höchsten gegen Lästerung schützen?, in: Neue Zürcher Zeitung (03. 07. 2012).

5 Ebd.

6 Cox, Harvey: Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe, Gütersloh 1977, 183.

7 Gogarten, Friedrich: Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit, Stuttgart 1953, 8.

8 Metz, Johann Baptist: Zur Theologie der Welt, Mainz 21969, 25.

9 Sinn und Unsinn der „Gotteslästerung“. Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, in: http://religionsphilosophischer-salon.de/keys/wilhelmgrab-und-gotteslasterung (Stand: 27. 06. 2013).

Wie viel Blasphemie verträgt der Glaube?

Gottesfrevel

Oder: Das Problem des freien Eintritts und freien Austritts

von Arnold Angenendt

1. Frevel – religionsgeschichtlich

Das deutsche Wort Frevel bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutung einen präzis wirksamen und rechtlich fassbaren Religions-Mechanismus: Wer Gott oder Götter beleidigt, ihre Heilslehren verschmäht und ihre Heiligtümer verunehrt oder gar zerstört, kurzum: wer die Himmlischen herausfordert, erregt deren Zorn. Gott/Götter reagieren auf schweren Frevel mit Tötung. Fälle von Frevel sind einmal die Blasphemie bzw. Gotteslästerung, sodann das Sakrileg bzw. der Gottesraub, hinzu kommen oft noch im Sozialleben Mord und Ehebruch, dazu im Politischen die Majestätsbeleidigung. Die religionswissenschaftliche Literatur definiert das umfängliche Phänomen des Frevels oft nur mit dem Teilaspekt Blasphemie, als Schändung der Ehre Gottes in Worten, Taten und Gedanken.

Sofern die Himmlischen nicht selbst sofort den Gottesfrevel strafen, geht die Ahndung auf die Verantwortlichen der jeweiligen Menschengesellschaft über. Sie können dem Gotteszorn, solange er noch nicht ausgebrochen ist, zuvorkommen, indem sie den Frevler bestrafen. Sofern der Gotteszorn bereits ausgebrochen ist, müssen sie denselben besänftigen, in schweren Fällen mit Tötung. Bereits gemäß dem Kodex Hamurabi hatten die Obrigkeiten die Frevler zu beseitigen; Griechenland kannte Gerichts-Prozesse wegen Gottlosigkeit, die sog. Asebie-Prozesse. Plato plädierte für die Tötung der Gottesleugner, der Atheisten. Rom verurteilte, wer sich über die altväterliche Sitte (mos patruus) hinwegsetzte; hier hatte die vielberedete Toleranz Roms ihre empfindliche Grenze und das bekamen auch die Christen zu spüren, als sie die Kaiseropfer verweigerten. Besonders entschieden dachte und handelte Israel. Nur ein Psalmwort: „Den Frevler wird seine Bosheit töten; wer den Gerechten hasst, muss es büßen“ (Ps 34,22). Sofern Gott nicht selber den Frevler vernichtet, eliminieren ihn die Menschen mit Steinigung: „Sag den Israeliten: […] Wer den Namen des Herrn schmäht, wird mit dem Tode bestraft; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen“ (Lev 24,15f.). Die Praxis reicht bis in die Zeitenwende. Gegen den Christen Stefanus, der die Heiligkeit des Tempels bestritt, „erhoben sie ein lautes Geschrei, hielte sich die Ohren zu [um die Lästerung nicht zu hören …] und steinigten ihn“ (Apg 7,57f.). Ebenso wurde der Herrenbruder Jakobus hingerichtet.

2. Frevel – christlich

2.1 Das Anathema

Wie nun stellte sich die Christen-Gemeinde zum Gottesfrevel? Auch sie verurteilte den Frevel und reagierte auf ihn. Paulus sah sich im gegen 55 nach Christus abgefassten Galater-Brief zum Gottesfluch veranlasst: Wer ein anderes Evangelium verkündige, wer also Gottes Wort lästere, der sei „verflucht“ (anathema, Gal 1,9). Der Anathematisierte war dem Gotteszorn überstellt, und der konnte tödlich sein. In der Apostelgeschichte trifft es Hananias; wegen seiner Unehrlichkeit in Vermögensdingen vor Gott und der Gemeinde stürzte er „zu Boden und starb“ (Apg 5,5).

Entscheidend ist im Neuen Testament die nächste Frage, ob es auch Menschen zukomme, zur Besänftigung des Gotteszornes die Frevler zu exekutierten. Hier lautet die Antwort entschieden anders, nämlich Nein! Die Gottesrache steht nicht Menschen zu, schon gar nicht mit Tötung. Maßgeblich wurde dafür das Weizen/Unkraut-Gleichnis, wo der Hausherr gebietet, das Unkraut nicht auszureißen: „Sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasset beides wachsen bis zur Ernte“ (Sinite utraque crescere; Mt 13,24–30). Gott behält sich das Letzturteil vor; und er allein beurteilt und bestraft am Ende die Frevler.

Noch ein zweites Bibelwort hat Geschichte gemacht, nämlich „die Liebe erträgt alles“ (caritas tolerat omnia) aus dem Hohelied der Liebe des Paulus (1 Kor 13,7). Die antike tolerantia, die ein stoisches Ertragen propagierte, ist hier umgewandelt in eine Sozialtugend des bewussten Ertragens der Anderen: Dieser erweiterte Begriff Toleranz als Bezeichnung für positive Beziehungsgestaltung zwischen Menschen gilt als eine Hervorbringung altchristlicher Latinität. Als Letztes ist noch das Paulus-Wort anzufügen: „Es muss Parteiungen geben“ (oportet et haereses esse; 1 Kor 11,19). In der Auslegungsgeschichte dieses Wortes erscheint der Gedanke, dass Häretiker zur Herausfindung der Wahrheit eine mäeutische Hilfe zu leisten vermöchten und insofern eine positive Leistung erbrächten.

Im Folgenden konzentrieren wir uns auf das Weizen/ Unkraut-Gleichnis und nehmen das „Reißt nicht aus“ als Leitformel für einen Durchgang durch die christliche Geschichte der Toleranz. Rainer Forst nennt in seinem Buch Toleranz im Konflikt, einer bei Jürgen Habermas angefertigten Habilitationsschrift, das Weizen/Unkraut-Gleichnis „die für die Rechtfertigung christlicher Toleranz prominenteste Stelle“1. Er sieht darin zwei Konsequenzen begründet. Die erste lautet: „Allein das Wort ist demnach die Waffe des Christen, nicht irdischer Zwang oder Gewalt“2. Die zweite lautet: „Der Staat hat kein religiöses Zwangsrecht, die Religion kein politisches“3. Somit ist festzuhalten: Dem Christentum war der Gottesfrevel keineswegs belanglos; wie in allen Religionen zieht der Frevler auch hier die Tötungsmacht Gottes auf sich, aber eben die Tötungsmacht Gottes, und nicht die Tötungsmacht der Menschen.

2.2 Konstantinische Wende

Gewohnterweise sehen wir das große Verderben mit der Konstantinischen Wende einsetzen, in der vorgeblich damals geschehenen Verbindung von Staat und Kirche. In Wirklichkeit hat sich Konstantin letztlich an die christliche Gewaltlosigkeit gehalten. Zwar beginnt hier ein erster, aber keineswegs allgemeiner, Religionszwang zugunsten des Christentums; nicht aber beginnt hier die Häretiker-Tötung. Konstantin ist angesichts der in Jahrhunderten gewachsenen Herrscher-Pflicht zur Herstellung und Wahrung der kultischen Einheit im Reich verpflichtet gewesen, für den Frieden mit den Göttern (pax deorum) zu sorgen; in Fortsetzung dieser Pflicht hat er als Kaiser die christlichen Häretiker gerade nicht eliminiert, sie statt zur Tötung zur Verbannung verurteilt.

Im ersten christlichen Jahrtausend hat es in der westlichen Christenheit nur einen regelrechten Ketzerprozess mit Hinrichtung gegeben, den gegen Priszillian zu Trier im Jahre 385, was sofort das Entsetzen des damaligen Papstes Siricius wie des Ambrosius von Mailand wie noch des Martinus von Tours auslöste. Für den Osten gilt, so jedenfalls der Münchener Byzantinist Hans-Georg Beck: „Man begegnet in der byzantinischen Geschichte keinem Fall, in dem gegen einen christlichen Ketzer ein Bluturteil ergangen wäre“. Und das, obwohl die Novelle 77 des Justinianischen Kodex den Gottesfrevel mit dem Tode bestrafen wollte. Im Westen, wo die antike Rechtsüberlieferung nur trümmerhaft fortdauerte, scheint diese Novelle gar nicht mehr zur Kenntnis gelangt zu sein.

Demnach ist festzustellen: Das Weizen/Unkraut-Gleichnis mit seinem Verbot, Frevler zu beseitigen, hat Wirkung getan. Der große Umschlag sollte erst mit der Jahrtausendwende kommen.

3. Der Beginn der Gewalt

3.1 Augustinus: „Treibt sie herbei“

Doch sind zuvor zwei Einschaltungen zu machen. Es ist zum einen das vielberedete „treibt sie herbei“ (compelle intrare) des Augustinus. Zunächst und vor allem ist Augustinus die große Autorität für den freien Glaubensentscheid: Glauben kann man nur freiwillig (credere non nisi volens). Denn wegen des Gebots der Gottesliebe kann dieser Entscheid nur aus dem Herzen und Verstand hervorgehen, darf darum nicht aufgezwungen werden. In den Auseinandersetzungen mit den Donatisten aber kam es zu Gewalttätigkeiten, und hierbei rief Augustinus die Staatsgewalt an. Die letztliche Begründung sah er gleichfalls in der Pflicht der Obrigkeit, den Gottesfrevel abzuwehren. Dennoch steht für Augustinus absolut fest, dass christlicherseits in Glaubensangelegenheiten niemals eine Tötung erfolgen dürfe. Die damaligen Polizei-Maßnahmen der coercitio mögen brutal gewesen sein; die Todesstrafe hat Augustinus wie schon in der Religion so offenbar auch im profanen Bereich abgelehnt.

3.2 Die Missionsgeschichte

Als weitere Einschaltung ist die Missionsgeschichte anzuführen. Hier wurde der Gottesfrevel – was bisher wenig beachtet worden ist – zu einer Primärquelle von Religionsgewalt. Bekannt ist, dass christliche Missionare die heidnischen Heiligtümer und Götterbilder zerstörten. Bekannt ist ebenso, dass die Paganen christliche Kirchen zerstörten und deren Priester erschlugen. Bislang hat man hierin nur die beiderseitige Rivalität sehen wollen, jeweils den stärkeren Gott für sich auszuweisen. Demgegenüber sind jüngst diese Gewaltaktionen vom Religionsfrevel her erklärt worden: Die Paganen mussten die christliche Zerstörung ihrer Heiligtümer als Frevel ansehen und ob des zu befürchtenden Zornes ihrer Götter an den Tätern rächen. Natürlich schützte der Christengott seine Missionare; den gegen sie gerichteten Tötungshieb ließ er fehlgehen. Hingegen traf der Zorn des christlichen Gottes vollauf die heidnischen Verächter, dass sie sofort oder alsbald zu Tode kamen.

Das berühmteste Martyrium des Frühmittelalters, die Erschlagung des Bonifatius, die in aller Literatur als Raubmord hingestellt wird, dürfte eher aus der Religions-Rache der Paganen für die den eigenen Göttern angetane Freveltat zu erklären sein. Für uns aber ist viel wichtiger jene Rache, die daraufhin die Christen vornahmen. Willibald, der Biograph des Bonifatius, schildert den Zorn Gottes ob seines erschlagenen Missionars. Aber nicht Gott selbst exekutiert die Rache, sondern die Franken mit brutaler Niedermetzelung und Versklavung der Friesen. Hier haben wir ein frühes Beispiel für von Christen vollzogene Gottesrache. Hieraus ist dann die blutige Alternative Taufe oder Tod entstanden. Geht man die Missionsgeschichte weiter durch, werden als Vorbild die Makkabäer zitiert, die ihr heiliges Gesetz und ihren Tempel bis aufs Blut verteidigten, dabei die feindlichen Frevler töteten und deren Blut in Strömen zum Vergießen brachten. Gern wurde dabei auch das Psalmwort zitiert: „Gott, die Heiden sind eingedrungen in dein Erbe, sie haben deinen heiligen Tempel entweiht“ (Deus, venerunt gentes in hereditatem tuam, polluerunt templum sanctum tuum; Ps 79,1).

3.3 Kreuzzüge

Die Kreuzzüge standen nicht unter der Devise Taufe oder Tod. Wohl aber wirkten das Beispiel der Makkabäer wie das erwähnte Psalmwort das Primärmotiv mindestens für den Ersten Kreuzzug. Ein langer Streit ist darüber geführt worden, ob die Kreuznahme im Sinne der kanonistischen Theorie des Gerechten Krieges zu deuten sei, als gerechtfertigte Rückeroberung des widerrechtlich weggenommenen Christenlandes. Diese Diskussion ist darin eingemündet, dass die Kreuzzüge auf jeden Fall religiös motiviert gewesen seien, und zwar wegen der verheißenen Sündenvergebung. Hinzunehmen aber ist der Gottesfrevel: die Entehrung, ja Besudelung der heiligen Stätten Jesu Christi, die dieser mit seinem Blut – wie es gerade in den Papstaufrufen immer wieder heißt – konsekriert habe. Diese heiligen Orte seien nun zurückzuerobern und von allem Heiden-Schmutz zu reinigen. Solcherart Vorstellungen, zumal die Idee des von Jesu Blut konsekrierten Heiligen Landes, widersprechen dem Neuen Testament, insofern dieses zwar durch Christi Blut konsekrierte Menschen kennt, aber nicht durch Christi Blut konsekriertes Land. Ausgerechnet Innozenz III., das gefeierte Juristengenie des Hochmittelalters, motivierte die Kreuzzüge mit der durch Jesu Blut geschehenen Orts-Konsekration. Als Beispiel sei das Gebet angeführt, das er bei allen in der Christenheit zelebrierten Messen einschieben ließ:

„Gott, der du in deiner wunderbaren Vorsehung alles ordnest, wir bitten dich demütig, das Land, das dein Sohn mit seinem Blut geheiligt hat (consecravit), den Händen der Feinde des Kreuzes Christi zu entreißen, und dem christlichen Kult zurückzugeben…“.

Die Päpste folgten hier nicht den Kanonisten, die die augustinische ‚Lehre‘ vom gerechten Krieg reaktivierten und gegen den Kreuzzugsaufruf ein „Gott will es nicht“ (deus non vult) proklamierten. Vielmehr verblieben die Päpste bei den als archaisch zu bezeichnenden Blutvorstellungen und legitimierten damit das den Gottesfrevel sühnende Blutvergießen.

4. Kirchliche Inquisition und weltlicher Arm

Doch nun wieder zurück zum Jahr 1000, das in der englischen Forschung die persecuting society eröffnet. Das neue Ziel war jetzt der rigor iustitiae, eine möglichst konsequente Durchsetzung des Rechtes. Selbst auch Konzilien befassten sich mit Mordbrennern, Brückenzerstörern oder der entsetzlichen neuen Waffe Armbrust.

Bei der hier beginnenden Verrechtlichung besann man sich von neuem darauf, dass der Herrscher im Interesse des allgemeinen Wohlergehens dem Gotteszorn entgegenzuwirken habe. Der englische König Heinrich II. (†1189), der die Verstaatung seines Landes beispielhaft vorantrieb, erließ die erste Verfügung eines weltlichen Gesetzgebers gegen die Häresie seit der Antike. Es folgte das Deutsche Reich, wo eine fürs weitere Mittelalter verbindliche Lösung herbeigeführt wurde: Kirchliche Untersuchung und gegebenenfalls Aburteilung zum Ketzer, dann die Auslieferung des kirchlich Verurteilten an den weltlichen Arm zur Hinrichtung – so festgeschrieben von den Staufer-Kaisern Friedrich I. und Friedrich II. Gegenüber der Tatsache, dass Könige und Kaiser nach 1000 zunächst Häretiker in eigener Kompetenz hinzurichten begonnen hatten, ist die kirchliche Untersuchung als juristisches Sicherheitselement zu begrüßen. Gegenüber der altchristlichen Verpflichtung jedoch, das Unkraut nicht eigenmächtig auszureißen, geschieht hier ein kapitaler Bruch. Mag noch Innozenz III., wie jüngst in einer neuen Untersuchung über den Weltlichen Arm herausgearbeitet wurde, bei der Überstellung an die Staatsgewalt nicht schon an Hinrichtung gedacht haben, so spätestens jedoch sein Nach-Nachfolger Papst Gregor IX. (†1241).

Bestürzend ist die Reaktion der Theologen. Sie stimmten der Ketzer-Tötung zu, allen voran Thomas von Aquin. In seiner Summa erscheinen die klassischen Argumentationsstellen: Einmal das „lasset beides wachsen“ aus dem Weizen/Unkraut-Gleichnis, wobei aber ein daraus abgeleitetes Tötungsverbot von vornherein abgewiesen wird; es folgt das „nötigt sie einzutreten“ aus dem Gastmahl-Gleichnis, dessentwegen körperliche Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt seien (corporaliter compellendi). Und zuletzt: Hartnäckige Ketzer verdienen, „nicht nur von der Kirche durch den Bann ausgeschieden, sondern auch durch den Tod von der Welt ausgeschlossen zu werden“; wenn schon Münzfälscher staatlicherseits den Tod erführen, „so können um so mehr die Häretiker […] auch rechtens getötet werden“; den ausgeschlossenen Häretiker „überlässt die Kirche dem weltlichen Gericht, damit er durch den Tod aus der Welt getilgt werde“.4 Thomas billigte damit ausdrücklich Hinrichtungen um des Glaubens willen. Gerechtfertigt war damit theologisch die Kooperation von einerseits kirchlich-inquisitorischer Häretiker-Verurteilung und andererseits weltlich-herrscherlicher Hinrichtung.

Aufgrund dieses politisch-rechtlichen Zusammenwirkens wie auch der theologisch gerechtfertigten Ketzertötung bildete sich die Inquisition. Eigentlich ist mit Inquisition, wie in den letzten Jahren rechtshistorisch herausgestellt worden ist, die genaue Untersuchung bezeichnet. Als juristisches Verfahren ist diese Untersuchung, weil jetzt das auch bei den Ketzer-Verurteilungen angewandte Gottesurteil nicht mehr angewendet wurde, durchaus ein Fortschritt; entscheidend war, wie es das Rechtsverfahren der Inquisition verlangt, die Untersuchung mit Feststellung des Tatbestandes und dem darauf basierendem Richter-Urteil. Aber dieser Fortschritt wurde bei der Ketzerverfolgung dadurch zum Rückschritt, dass die Inquisitoren zugleich Richter sein konnten, dass überdies die Verurteilten an den weltlichen Arm ausgeliefert wurden. Wenn auch die Inquisition nicht in ganz Europa verbreitet war und keineswegs willkürlich verfuhr, praktizierte sie aber doch die Tötung von Ketzern, sogar massenweise, im Mittelalter möglicherweise bei Katharern und Waldensern an die Zehntausend.

Im Spätmittelalter wie in der Frühen Neuzeit beanspruchte der Staat die Bestrafung des Gottesfrevels. Die von Karl V. 1532 erlassene Reichsgerichtsordnung, die Carolina, gebot: Wer Gott an der ihm gebührenden Ehre beschneide, sei durch die staatlichen Amtsleute und Richter an Leib und Leben zu bestrafen. Zu groß war die Sorge der staatlichen Obrigkeiten, die Sünden der Untertanen würden Gottes Zorn erregen und dessen Strafe über das ganze Land bringen. Hier hat sich die alte Aufgabe, die Herrschaft habe den Gottesfrevel zu ahnden, voll wiederhergestellt.

5. Die Reformation

Kehrte mit der Reformation die Freiheit des Christenmenschen