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Wenn es Gott gibt, warum ist die Welt dann voller Katastrophen und Kriege? Immer mehr Menschen rebellieren gegen die Sprachlosigkeit der Kirchen auf die Frage nach der Gerechtigkeit eines angeblich allmächtigen Gottes. Sie verlangen nicht Rituale und fromme Lieder, sondern Wahrheit. Heiner Geißler übt fundamentale Kritik an den theologischen Trugbildern von der Verantwortung Gottes für die Leiden der Menschheit.
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Das Buch
Seit es das Christentum gibt, existiert auch die Frage nach der Theodizee: Wenn es einen Gott gibt, warum lässt er seit Jahrtausenden Verbrechen, Katastrophen und Kriege zu? Eine der insgesamt völlig ungenügenden Antworten der Kirchen lautet: Das Leid in der Welt ist Sündenstrafe und Folge der Erbsünde des Menschen. Adam und Eva waren Gott ungehorsam und diese Sünde setzt sich gleichsam genetisch durch die Menschheit fort. Ein großer Propagandist der Sündentheorie war Martin Luther: Er sah den Menschen als durch und durch verworfen an, zu retten nur durch die unverdiente Gnade eines gütigen, allmächtigen Gottes.
In seiner Streitschrift kritisiert Heiner Geißler diese Sündenlehren scharf. Es ist höchste Zeit für die Kirchen, sich von einem Dogma zu verabschieden, das den Menschen die Schuld am Leid der Welt zuschiebt. Anlässlich des Reformationsjubiläums fordert Geißler eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema und vor allem mit zweifelnden oder nicht gläubigen Menschen. Auch sie können Christen sein und bleiben, wenn sie der Botschaft Jesu folgen.
Der Autor
Dr. Heiner Geißler, geboren 1930, studierte als Mitglied des Jesuitenordens Philosophie, später Rechtswissenschaften. Er war 25 Jahre lang Mitglied des Bundestages, Landesminister, Bundesminister, Schlichter von Stuttgart 21 und gilt als einer der besten politischen Redner der Bundesrepublik. National und international engagiert er sich für die Wahrung der Menschenrechte, eine neue Weltwirtschaftsordnung und die Humanisierung des Globalisierungsprozesses. Er ist Autor zahlreicher Bestseller, u. a. Sapere aude! und Was müsste Luther heute sagen.
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ISBN 978-3-8437-1574-4
© 2017 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Tanja Ruzicska
Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin
Umschlagfoto: © privat
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Ausgangspunkt
Ist Christsein möglich ohne Gott?
Ich schreibe nicht über den Gott der Naturalisten wie etwa die Nobelpreisträger Stephen Weinberg oder Albert Einstein, der von sich gesagt hat, ich bin ein tief religiöser Ungläubiger. Ich schreibe nicht über Allah oder die Gottesvorstellungen der Buddhisten und Hindus, und wenn, dann höchstens am Rande. Sondern ich schreibe über den christlichen, persönlichen Gott der Bibel und wie ihn sich die katholische und evangelische Kirche vorstellen, auch über das von der Sündentheologie geprägte Gottesbild Martin Luthers. Denn ich bin weder Muslim, und will auch niemals einer werden, noch Shiva-Gläubiger. Ich bin getaufter Christ und will es nach Möglichkeit bleiben. Aber nichts hat dem Gott des Evangeliums mehr geschadet als bestimmte Gottesvorstellungen der Theologie beider Konfessionen und die Untaten, die Christen im Namen ihres Gottes begangen haben und immer noch begehen. Seit Hiob bis Dietrich Bonhoeffer und Hans Küng waren die besten Köpfe der Menschheit nicht in der Lage, eine Antwort auf die zerstörerische Frage zu finden: Wie ist die Allmacht, Güte und Allwissenheit Gottes zu vereinbaren zum Beispiel mit der unendlichen Traurigkeit traumatisierter Folteropfer und den tagtäglichen Qualen Gefangener und kranker Menschen? Ich frage also: Ist Christsein möglich ohne Gott?
I
Die unüberwindlichen Zweifel an Gott
Ob Gott als Person existiert, ist mit dem Verstand nicht zu beweisen. Das kann man nur glauben. Aber kann man Christ sein und bleiben, wenn man angesichts des Elends auf dieser Welt nicht einmal mehr glauben kann? Die Frage nach Gott und dem Leid und Unglück in der so genannten Schöpfung ist ein alter Hut. In der Fachsprache der Theologen und Philosophen ist das die Frage nach der Theodizee, nach der »Gerechtigkeit Gottes auf Erden«.
Der Zweifel
Für den heute lebenden, modernen Menschen ist der alte Hut aber ein neuer Hut. Er begegnet diesem Skandal heute. Er befindet sich nicht in früheren Jahrhunderten. Und er fragt: Ist die ganze christliche Religion nicht ein großes Theater, zu dem die Theologen das Drehbuch geschrieben haben? Ist sie nicht ein Täuschungsunternehmen, eine Drogenfabrik? Das wäre nicht der Fall, wenn es eine befriedigende Antwort auf das Problem der Theodizee gäbe.
Ich habe lange gezweifelt, ob ich dieses Buch schreiben soll. Muss ich nicht vieles in Frage stellen, woran ich als junger Mensch und später noch geglaubt habe? Als Sozial- und Gesundheitsminister und nach meinen Besuchen in Lateinamerika, auf den Philippinen oder im Sudan habe ich schon vor langer Zeit immer wieder die Frage nach der Vereinbarkeit des Glaubens an Gott und dem Elend und Übel auf der Erde gestellt. Ich habe, je länger ich darüber nachdachte, immer mehr an Gott gezweifelt, mich zusehens in Distanz gebracht zu dem geistigen Raum, der meine religiöse Heimat ist. Die Suche nach Wahrheit war begleitet von einer eigenartigen Melancholie, weil ich diese Heimat immer mehr verlor und ihr gleichzeitig nachtrauerte.
Wenn man sich das bewusst macht, lebt man plötzlich in zwei Welten, die unvereinbar sind. Vom Heimweh gedrängt, versucht man in die alte Welt zurückzufinden, kann aber einfach nicht mehr glauben, was dort gepredigt wird. Eine Welt, in der keine Antwort gegeben wird auf den Monster-Gott in Auschwitz, der laut Hannah Arendt seit damals endgültig verschwunden ist.1 Daran ist eigentlich Zweifel nicht möglich, wenn da nicht dieser »goddamn Jesus«, wie die Amerikaner sagen, dieser verdammte Jesus wäre, mit seiner großartigen, einmaligen, unübertroffenen Botschaft. Muss man Jesus wegen Gott, den es gar nicht geben darf, einfach fahrenlassen?
Das Reformationsfest anlässlich des Jubiläums beschäftigt sich mit dieser Frage kaum. Der Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche versteigt sich mitten im Kriegsgemetzel um Aleppo sechs Seiten lang im Spiegel zu der »Idee vom fröhlichen Tod«, die Martin Luther verkündet haben soll (Spiegel 47/2016, S. 140). Und die Theologie beider Kirchen bleibt bei der unverschämten und unglaublichen Behauptung, die Menschen müssten sich für Unglück und Leid, die ihnen milliardenfach seit Tausenden Jahren widerfahren, vor Gott rechtfertigen und nicht umgekehrt Gott vor den Menschen. Gott, der doch als »der Schöpfer Himmels und der Erde«, so das Credo des ersten Konzils von Nicäa, eigentlich den Menschen und den Tieren ohnehin Rechenschaft ablegen müsste, weil er sie gar nicht gefragt hat, ob sie so ein Leben haben wollen.
Kann man mit so einer Theologie überhaupt ein Christ sein? Oder besser gesagt: Muss man die Rechtfertigungslehre nicht grundsätzlich ablehnen, um weiterhin Christ bleiben zu können?
In der Minute, in der Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, diese Zeilen lesen, werden Millionen Kinder misshandelt, Zehntausende Menschen gefoltert, Hunderttausende Frauen vergewaltigt und unzählige Menschen umgebracht. Könnte man die Schreie dieser gequälten, gesteinigten, gedemütigten, geschlagenen, ermordeten Menschen – die Schreie der Tiere nicht mitgerechnet – alle gleichzeitig hören, würde dieser unerträgliche Schrei alles Leben auslöschen. Der Gott, der so etwas nicht nur möglich macht, sondern es in jeder Minute zulässt, soll auch noch ein liebender, gnädiger, gerechter Gott sein? Eben der christliche Gott? An dieser Frage dürften die Reformationsfest-Verantwortlichen und ihre theologischen und kulturellen Interpreten eigentlich nicht vorbeikommen. Hat doch der Urheber dieses Jubiläums, Martin Luther, die schauerliche These vertreten, Leben, Schuld, Himmel und Hölle, also das Schicksal des Menschen, sei von Gott vorherbestimmt.2
Eine Menschheitsfrage
Das Rätsel um diesen Gott zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte und lässt viele Menschen schier verzweifeln. Der afrikanische Kirchenlehrer Lactantius hat schon vor 1700 Jahren formuliert, was seit Menschengedenken ununterbrochen gedacht und gefragt wird.3
Warum hat Gott das Übel nicht verhindert?
Entweder Gott kann es nicht, dann ist er nicht allmächtig.
Oder er will nicht, dann ist er nicht gut und gerecht.
Oder er kann und will nicht, dann ist er ohnmächtig und böse zugleich.
Oder er kann und will, warum tut er es dann nicht?
Ein Gasometer
Wenn der Lkw-Mörder des Berliner Breitscheidplatzes, kurz bevor er in Mailand erschossen wird, den beiden Polizisten zuruft: allahu akbar – »Gott ist groß«, dann mag dies der Ausdruck perverser islamistischer Gottesvorstellung sein. Ich aber möchte wissen, ob ich Christ sein kann, obwohl ich keinen Gott erkennen kann, den ich groß loben könnte.
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