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Kant ist einer der bedeutendsten Philosophen aller Zeiten; seine »Kritik der reinen Vernunft« ein Hauptwerk der modernen Philosophie. Bernd Niquet zeigt, warum Kant auch für den Alltag eines Managers von großer Wichtigkeit ist.
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Seitenzahl: 67
Veröffentlichungsjahr: 2007
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Niquet, Bernd
Kant für Manager
Eine Begegnung mit dem großen Philosophen
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E-Book ISBN: 978-3-593-40378-6
|5|»In unserer Zeit werden Kant und die Aufklärung recht allgemein als völlig veraltet angesehen; worauf man wohl nur sagen kann: umso schlimmer für unsere Zeit.«
Sir Karl Popper
|7|»Den ganzen Kant in einer halben Stunde?« Der Lehrer sieht Doktor Leips ungläubig an. »Sie wollen wirklich, dass ich Ihnen den ganzen Kant in einer halben Stunde beibringe?« Natürlich wäre das eine schöne Sache, denkt er. Für Doktor Leips und für jeden, der gerne einen Überblick gewinnen möchte. Doch geht das überhaupt? Man könnte es zumindest versuchen.
»Sie wissen doch, alles, was ich nicht habe, ist Zeit«, antwortet sein Vorgesetzter.
Natürlich, denkt der Lehrer. Doktor Leips hat keine Zeit, und alle haben keine Zeit. Und trotzdem wollen alle alles wissen. Der Lehrer seufzt leise. »Nur ein paar kurze Fragen noch: Was wollen Sie genau hören? Und warum gerade Kant? Und warum gerade jetzt?«
»Sie haben doch in unserer letzten Strategiesitzung mit Kant argumentiert. Sie haben Kant zitiert, dass man seinen Geist nicht von Vorschriften einschränken lassen, sondern den Ideen und der |8|schöpferischen Kraft freien Lauf lassen sollte. Dass es ein anzustrebendes Ziel sei, die Dinge eigenständig zu hinterfragen und antizyklisch zu denken. Genau das, was ich auch immer sage. Nur dass das wohl alles gar nicht aus der Managementlehre, sondern schon vom alten Kant stammt.«
»Herr Doktor Leips, ich bin beeindruckt.«
Doktor Leips klopft dem Lehrer auf die Schulter. »Zudem schwärmen Sie mir doch sowieso dauernd von Ihrem Kant vor und sagen, dass Kants Philosophie schon seit über zweihundert Jahren auf dem Tisch liege, bis auf ein paar Eingeweihte jedoch niemand das Unglaubliche daran auch nur in Ansätzen verstanden habe. Dass Kant eine Bombe gezündet habe, man das aber nicht wahrhaben wolle und ihn daher stets nur zum Moralonkel mit dem erhobenen Zeigefinger des Kategorischen Imperativs heruntertrivialisiere. Jetzt will ich auch zu den wenigen gehören, die das Unglaubliche begreifen.« Doktor Leips blickt auf seine Uhr. »Ich muss in meine Videokonferenz. Also, kann ich auf Sie zählen?«
Was könnte der Lehrer darauf anderes antworten? »Sie können auf mich zählen!« Den ganzen Kant in Kurzform aufbereiten,für eine halbe Stunde. Nicht mehr nur dem mittleren Management Organisationsstrukturen und Organisationsprinzipien |9|beibringen, wie es seit seinem Wechsel vom Gymnasium in die Schulungsabteilung von Doktor Leips’ Unternehmen seine Aufgabe war, sondern Doktor Leips mit dem Kant-Virus infizieren. Das eigentlich Unglaubliche erklären: Die Welt an sich ist unerkennbar! Alles, was wir glauben, von der Welt zu erkennen, ist in Wirklichkeit nur Erscheinung. Zu den Dingen an sich dringen wir niemals durch. Denn in Wahrheit stellen sich die Verhältnisse genau umgekehrt zu unserem Alltagsglauben dar.
Die Welt an sich ist unerkennbar. Alles, was wir zu erkennen glauben, ist nur eine Erscheinung.
Unsere Erkenntnis richtet sich nicht nach den Gegenständen, sondern die Gegenstände richten sich nach uns. Wenn das nicht begeisternd ist. Doktor Leips hat sich zum Gehen gewandt. Schnell noch fügt der Lehrer hinzu: »Ich glaube wirklich, dass Kant für Sie genau der Richtige ist. Schließlich ist Kants gesamte Philosophie vergleichbar mit einem Unternehmen: Ein großes System von Logik und Regeln,miteinander verbunden durch dicke Stränge von Kreativität.«
|10|Doktor Leips legt die Hand auf die Türklinke: »Und Sie haben nun die Gelegenheit, mir dieses System zu erklären«.
»Aber ich sollte Sie warnen«, fährt der Lehrer fort. »Sie werden die Welt danach mit anderen Augen betrachten.«
»Tatsächlich?«, gibt Doktor Leips zurück, und der Lehrer glaubt, ein kleines Lächeln um seine Lippen spielen zu sehen. »Nun, lassen wir uns überraschen, nicht wahr?«
Kaum ist die Tür hinter Doktor Leips ins Schloss gefallen, macht sich der Lehrer an die Arbeit, die wichtigsten Themenkreise festzulegen: InderHauptsache die Erkenntnistheorie, denkt er. Hier die Auseinandersetzung mit dem Erkenntnissubjekt und dem -objekt, dem Rationalismus und dem Empirismus. Und in der Quintessenz Kants eigene Überschreitung von all dem, das Aufzeigen, dass unsere Erkenntnis sich nicht nach den Gegenständen richtet, sondern die Gegenstände sich nach uns richten. Was das bedeutet, und wie man dort hingelangt.
»Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor«, sagt Kant. Unser Verstand ist frei, die Welt nach seinen eigenen Gesetzen zu formen. Das ist bestes Futter für Querdenker und kreative Köpfe.
|11|1 Was Kant uns heute sagen kann
Kant und unsere heutige Wissensgesellschaft – ein größerer Widerspruch lässt sich sicherlich kaum konstruieren. Denn die Situation allein ist paradox: Allerorten wird die Wissensgesellschaft propagiert und hochgehalten. Doch viel zu oft erschöpft sich vermeintliches Wissen in trivialen und zusammenhanglosen Faktenfetzen oder beschränkt sich auf reines Spezialistenwissen. Multiple Choice ist angesagt: Jeder nimmt sich heraus, was für ihn am wichtigsten erscheint. Erfolg hat, wer das Vorgesagte am besten wiedergeben kann. Wo Unternehmen nach kreativen Köpfen und freien Geistern suchen und rufen, füllt in der Praxis oft nur stupides und reproduzierbares Abfragewissen die Köpfe und lähmt das Denken.
Wie anders ist es dagegen bei Kant. Er plädiert für das »Selbstdenken«. Die Wahrheit |12|oder Falschheit von Aussagen und Theorien soll aus dem eigenen Denken heraus beurteilt werden. Nicht auswendig gelernte Antworten auf vorgegebene Fragen sind zu geben, sondern es gilt, grundsätzlich die richtigen Fragestellungen zu finden.
Doch können wir es uns im modernen Berufsleben erlauben, die Dinge auf eigene Faust zu hinterfragen? Müssen wir das vielleicht sogar tun? Zugegeben: Der Überfluss unserer heutigen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und die zunehmende Komplexität unserer Umwelt bewirken, dass kaum Zeit bleibt, sich mit einem Thema ausgiebiger zu beschäftigen. Die Möglichkeiten werden ständig mehr, doch die Zeit, die zur Verfügung steht, immer weniger. Von der großen Normierung durch die allgegenwärtigen Medien und die Werbung gar nicht zu reden. Doch neues Wissen und freies Denken schaffen Wertschöpfung, auf die zu verzichten sich kein Unternehmen leisten sollte. Von Kant können wir hier einiges lernen: Herausfinden, was wir überhaupt wissen können und worüber wir nur spekulieren können. Erkennen, wo unsere Freiheit liegt, aber auch, wo sie ihre Grenzen findet. |13|Und ganz generell lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.
Käme Kant heute in eine quotenträchtige Sendung im Fernsehen, würde man vielleicht fragen: Wer oder was war Immanuel Kant? Antwort (a) Epistemologe, (b) Dermatologe, (c) Entomologe, (d) Epidemiologe. Doch die Kenntnis der richtigen Lösung (a) fügt unserem Wissen kaum etwas hinzu, weil hier ausschließlich Definitionen abgefragt werden. Ein Wissen, mit dem der Mensch wirklich etwas anfangen kann, beinhaltet hingegen etwas ganz anderes: Wirkliches Wissen besteht in der Macht und dem Vermögen, Tatsachen zu kennen und Verknüpfungen zwischen diesen Tatsachen herstellen zu können. Kant selbst sagt: »Wissen ist ein Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde.« Beschäftigen wir uns also mit der Erkenntnis. Und mit dem Drang, sie zu erwerben.
Was hatte ihn selbst zu Kant gebracht?, fragt sich der Lehrer. Warum hatte er so viele Jahre darauf verwandt,sich durch Kants zähe Schriften hindurchzukämpfen, obwohl er sich im Grunde genommen von Doktor Leips gar nicht so sehr unterschied und auch bei ihm alles immer schnell gehen musste?
|14|Ganz sicher war es der Geruch der Freiheit, den er in Kants Theorien erkannte: die Ahnung, dass die Welt in Wirklichkeit ganz anders sein könnte, als immer behauptet wurde, und der Glaube an die vielversprechenden Möglichkeiten, die darin lagen. Und er hatte gefühlt, dass er bei Kant genau das finden würde, wonach er suchte.Wer ein »Warum« hat, der erträgt auch jedes »Wie«. Der Lehrer hatte ein Ziel und einen Antrieb – und dafür ertrug er alle Strapazen.