Kapitalismus und Kapitalismuskritik -  - E-Book

Kapitalismus und Kapitalismuskritik E-Book

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Beschreibung

Inwiefern ergeben sich die aktuellen sozialen Schieflagen direkt aus den Funktionsweisen des Kapitalismus? Dieser Band verbindet theoretische und empirische Analysen mit einer grundlegenden Kritik am kapitalistischen System. Anhand zahlreicher aktueller Beispiele, etwa der Klimakrise, der globalen Pandemie und der Krise der Sorgearbeit, legen die Beiträge den Kapitalismus als gesellschaftliches System offen. Hierbei fokussieren sich die Autor:innen insbesondere auf dessen politische, soziale, kulturelle und ökologische Folgen.

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Cover for EPUB

Mirela Ivanova, Helene Thaa, Oliver Nachtwey (Hg.)

Kapitalismus und Kapitalismuskritik

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Inwiefern ergeben sich die aktuellen sozialen Schieflagen direkt aus den Funktionsweisen des Kapitalismus? Dieser Band verbindet theoretische und empirische Analysen mit einer grundlegenden Kritik am kapitalistischen System. Anhand zahlreicher aktueller Beispiele, etwa der Klimakrise, der globalen Pandemie und der Krise der Sorgearbeit, legen die Beiträge den Kapitalismus als gesellschaftliches System offen. Hierbei fokussieren sich die Autor:innen insbesondere auf dessen politische, soziale, kulturelle und ökologische Folgen.

Vita

Mirela Ivanova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziologie der Universität Basel. Helene Thaa ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziologie der Universität Basel. Oliver Nachtwey ist Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Danksagung

Helene Thaa, Mirela Ivanova, Oliver Nachtwey: Kapitalismusanalyse und -kritik: zur Einführung

Warum Kapitalismuskritik?

Konjunkturen des Kapitalismusbegriffs

Was ist Kapitalismus?

Was ist Kritik?

Beiträge im Sammelband

Literatur

Der Kapitalismus und seine Kritik

Alex Demirović: Der Kapitalismus – und kein Ende?

Das Ganze begreifen

Das Kapital

Krisen

Schlussfolgerungen

Literatur

Christoph Deutschmann: Die Deutung des Kapitalismus als Religion – Begründung, Erkenntnismöglichkeiten, Kritik

Religiöse und säkulare Geldkritik

Die Entgrenzung der Märkte als Basis des modernen Kapitalismus

Die Intransparenz der Weltgesellschaft für sich selbst: Luhmann und Hayek

Die religiöse Weltsicht und die Folgen ihrer Entthronung

Universalismus und die Kontingenz der Welt: eine vergleichende Perspektive auf Kapitalismus und Religion

Folgerungen

Literatur

Christoph Henning: Eigentum als Gegen-Natur: Entfremdungs- und Ideologiekritik am Beispiel des Privateigentums

Der Ort der reflexiven Kritik: systematische Vorklärung

Was ist Entfremdung, was ist Ideologie?

Entfremdung und Ideologie am Beispiel des Eigentums

Natural Commons

Privateigentum als Gegen-Natur

Ideologische Mechanismen

Literatur

Richard Gebhardt: Was ist Antikapitalismus von rechts?

»Alternative Theoriewerke« und »Reimporte« rechter Kapitalismuskritik – zur Einleitung

Neue Rechte?

»Die Ökonomie im Dienst der Völker«

»Gegen den Liberalismus«

Dekadenzkritik

Neurechte Ökologie?

Rechte Marx-Lektüre und das Echo der Nouvelle Droite in Deutschland

Metapolitik der Praxis – parteipolitische Resonanzen

Merkmale neurechter Kapitalismuskritik

Fazit und Ausblick

Literatur

(Historische) Politische Ökonomie des Kapitalismus

Lutz Raphael: Abschied vom Fordismus? Deindustrialisierung und der industrielle Kapitalismus in Westeuropa nach dem Boom (1980–2000)

Fordismus: »ein visionäres Ordnungsmodell«

Die Politische Ökonomie des »Postfordismus« 1975–2000: die Genese neuer Akkumulationsregime

»Postfordismus«: die zeitgenössische soziologische Debatte

Industriearbeit im Umbruch: westeuropäische Erfahrungen 1980 bis 2000

Wissensordnungen im Umbruch: industrielle Arbeit, Erfahrungswissen und technologischer Wandel

»Betriebliche Sozialordnungen« in Zeiten prekärer Beschäftigung

Fazit

Literatur

Jakob Tanner: Krisen und Konjunkturen des Kapitalismus in der Schweiz des 20. Jahrhunderts

Kapital und Kapitalismus als globales Phänomen

»Die Schweiz und der Imperialismus«

Kostengünstiger Staat – niedrige Steuern

Offshore-Vermögensverwaltung, Hort der Kapitalflucht

Alpenfestung für Unternehmen, Privilegien für Holdinggesellschaften

Undercover-Kapitalismus und mythische Repräsentation

Schwierigkeiten der Kapitalismuskritik

Transformation eines nationalen Geschäftsmodells

Literatur

Sabine Pfeiffer: Digitaler Kapitalismus als Distributivkraftkapitalismus – die Transformation der Wertrealisierung

Ist die Rede vom digitalen Kapitalismus schon Kapitalismuskritik?

Ware und Wert – Überproduktion und Unterkonsumption

Distributivkräfte: Dynamiken und Dimensionen

Werbung und Marketing

Transport und Lagerung

Steuerung und Prognose

Die Rolle der Digitalisierung in der Distributivkraftentwicklung

(Digitaler) Distributivkraftkapitalismus

Literatur

Race und Klasse

Gargi Bhattacharyya: Was racial capitalism bedeutet – und was nicht

Was racial capitalism nicht ist

Ist Kapitalismus immer racial capitalism?

Was uns zurück zu der Frage bringt: warum racial?

Was wir über rassifizierte Formen der Arbeitsteilung wissen

Hat die Prekarisierung raciality am Arbeitsplatz ersetzt?

Rassismen am Arbeitsplatz

Rassismen der Arbeitgeber

Rassismus unter Arbeiter:innen in Zeiten der Stabilität rassistischer Ordnungen

Rassismus unter Arbeiter:innen in Zeiten des Niedergangs rassistischer Ordnungen

Die Vielfalt von racial capitalisms

Die Vielfalt kapitalistischer Lebensweisen

Literatur

Manuela Bojadžijev: Differenzielle Migration – Arbeit, Logistifizierung und die Regierung von Migration

Havarie

Das Gespenst der Migration in der europäischen Grenzpolitik

Logistik als Entgegnung und Epistemologie für Migration

Logistifizierung des Migrationsregimes

Logistische Grenzlandschaften: zwischen »Flüchtlingskrise« und Arbeitsmarktintegration

Regierung von Migration: stabile, latente und mobile Bevölkerung

Logistifizierung der Migration: die konstituierende Mobilität der Arbeit

Literatur

Nicole Mayer-Ahuja: Die da oben, wir hier unten – Klassenverhältnisse im globalen Kapitalismus

Klassen heute: Arbeit und Kapital

Lohnarbeit im Kapitalismus: von eingeschränkter Freiheit, Ausbeutung und Entfremdung

Die arbeitende Klasse: nie einheitlich und selten politisch geeint

Klassenbewusstsein: die arbeitende Klasse muss existieren, damit sie entstehen kann

Klassenverhältnisse können verändert werden: Konjunkturen der Regulierung von Lohnarbeit

Hoch die internationale Solidarität? Klassenanalyse über die Grenzen des Nationalstaats hinaus

Wie weiter?

Literatur

Soziale Reproduktion und das Netz des Lebens

Ursula Huws: Soziale Reproduktion im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts

Der konzeptionelle Rahmen: in Anlehnung an Marx

Arten der Arbeit

Unbezahlte Arbeit im Haushalt und in der Gemeinschaft – Subsistenzarbeit zur sozialen Reproduktion

Bezahlte private Dienstleistungsarbeit in Haus und Hof – Gesindearbeit

Bezahlte private Dienstleistungsarbeit für Unternehmen – kapitalistische Dienstleistungsarbeit

Bezahlte öffentliche Dienstleistungsarbeit

Lohnarbeit für Unternehmen im produzierenden Gewerbe – kapitalistische Produktionsarbeit

Unbezahlte Arbeit im Haushalt und in der Gemeinschaft – Konsumarbeit

Die Dynamiken des Arbeitswandels

Primitive Akkumulation – die Generierung neuer Waren

Soziale Ungleichheiten und die Dynamik des Wandels in der bezahlten Dienstleistungsarbeit

Rekommodifizierung öffentlicher Dienstleistungen

Ausweitung »produktiver« Privatdienstleistungen

Substitution von Dienstleistungen durch Güter

Auslagerung von Arbeit und Anstieg unbezahlter Konsumarbeit

Die Schlinge zieht sich zu

Politische Implikationen

Literatur

Christa Wichterich: Who cares? Soziale Reproduktion und Gender im Pandemie-Kapitalismus

Theoretischer Rahmen

Kapitalismus, soziale Reproduktion und Geschlecht

Von der Hausarbeits- zur Care-Debatte

Reproduktionskrisen und Sorgeextraktivismus

Zeit- und Raumdiagnose: Sorgeextraktivismus

Professionalisierung im Pflegesektor

Responsibilisierung, Selbstsorge und Familiarisierung

Transnationalisierung von Care-Arbeit

24-Stunden-Pflege in Privathaushalten

Biologische Reproduktion

Stereotypisierung und Subjektivitäten

Zeit- und Raumdiagnose in Pandemiezeiten

Strukturelle Sorglosigkeit

Digitalisierung

Reproduktion im Covid-19-Kapitalismus

Sorgekämpfe als praktische Kapitalismuskritik

Literatur

Jason W. Moore: Weltakkumulation und planetares Leben oder Warum der Kapitalismus nicht überleben wird, bis »der letzte Baum fällt«

Kapitalismus und die vier cheaps

Cheap natures und das große Grenzgebiet

Entstehende Binaritäten des Kapitalismus

Neoliberalismus und die Erschöpfung der cheap nature: auf dem Weg zu einer Ökologie der Hoffnung

Bewegungen zusammenhängender Ökologien

Literatur

Lisa Vollmer: Wohnungsfrage und Mieter:innenbewegung in der kapitalistischen Stadt

Wohnen und soziale Ungleichheit in der kapitalistischen Stadt

Der Wandel von Wohnungsregimen und Mieter:innenbewegungen in regulationstheoretischer Perspektive

Wohnraumregime und Mieter:innenbewegung in der fordistischen Stadt

Wohnraumregime und Mieter:innenbewegung in der neoliberalen Stadt

Fazit

Literatur

Autor:inneninformation

Autor:innen

Herausgeber:innen

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Danksagung

Wir danken allen, die die Entstehung dieses Sammelbandes unterstützt haben. Insbesondere danken wir Linus Petermann, Daria Wild und Matthias Zaugg für ihre Korrekturarbeiten. Der Band ging aus der Vorlesungsreihe »Kapitalismus und Kapitalismuskritik« hervor, die 2021 an der Universität Basel stattfand. Für die Finanzierung dieser Reihe danken wir der Graduate School of Social Sciences der Universität Basel und für die organisatorische Unterstützung Johannes Truffer.

Kapitalismusanalyse und -kritik: zur Einführung

Helene Thaa, Mirela Ivanova, Oliver Nachtwey

Warum Kapitalismuskritik?

Für seine Verteidiger:innen ist das System freier Märkte, das wir Kapitalismus nennen, verbunden mit einer Geschichte nahezu ungebrochenen Fortschritts: Wachstum, Produktivitätsgewinne, steigende Lebensstandards, immer mehr Wohlbefinden und Wohlstand. Doch diese Perspektive auf den wirtschaftlichen Fortschritt, dem schon Karl Marx und Friedrich Engels (1977 [1848]) in ihrem Manifest der Kommunistischen Partei Respekt zollten, wirkt in der Gegenwart geradezu aus der Zeit und der Welt gefallen.

Gleich mehrere Krisen beherrschen im Jahr 2022 die Welt: Wir befinden uns noch immer mitten in einer globalen Pandemie, der Klimawandel erzeugt schon bei 1,2 °C Erwärmung weltweit Dürren, Unwetter und Naturkatastrophen, in der Ukraine herrscht Krieg und eine Rekord-Inflation bestimmt das politische Tagesgeschehen. Der 2018 verstorbene marxistische Politische Ökonom Elmar Altvater sprach in seinem 2010 erschienenen Buch Der große Krach davon, dass die Gesellschaft in eine Periode multipler – ökonomischer, politischer und ökologischer – Krisen eingetreten sei. Diese multiplen Krisen seien nicht lose verbunden, sondern ein gemeinsames Resultat des kapitalistischen Systems (Altvater 2010). Der Kapitalismus – als das die Gesellschaft strukturierende Wirtschaftssystem – zerstört die Natur, produziert soziale Ungleichheit und andere gesellschaftliche Probleme, etwa in der Pflege oder in der Wohnungsfrage.

Vor allem in der Corona-Pandemie offenbarten sich viele Dysfunktionalitäten des Kapitalismus. Der Alltag aller veränderte sich schlagartig und die sich manifestierende Versorgungskrise machte die Verdrängung der Care-Arbeit aus dem öffentlichen Bewusstsein plötzlich sichtbar. Die Pandemie warf Fragen danach auf, welche Arbeit in unserer Gesellschaft eigentlich belohnt und anerkannt wird – und welche Arbeiten, die nun als systemrelevant betitelt wurden, bislang nur wenig wertgeschätzt wurden (Mayer-Ahuja/Nachtwey 2021). Die notwendig gewordene Betreuung von Kindern zu Hause löste einen Rückschritt in den Geschlechterverhältnissen aus, sowohl beim Erwerbseinkommen als auch bei der Arbeitsteilung in Paarhaushalten (Kohlrausch/Zucco 2020). Die Pandemie zeigte durch die Versorgungskrisen im öffentlichen Gesundheitswesen deutlich die Kehrseite der andauernden Austerität in Bereichen der öffentlichen Daseinsfürsorge auf. Sie offenbarte auch, dass globale Fertigungsketten, Warenströme und Arbeitsmigration für unbeliebte und schlecht bezahlte Tätigkeiten wie in Schlachthöfen und auf den Spargelfeldern keinesfalls stabil und krisensicher sind. Eine mittlere bis größere Störung reicht aus, um die fein kalibrierten wirtschaftlichen Systeme ins Wanken zu bringen und die Versorgung mit elementaren Waren, wie während der Pandemie mit Medikamenten und Masken, zu gefährden.

Nicht nur die Pandemie und ihre Folgen, auch andere jüngere Ereignisse zeigten auf, wie zerbrechlich die global verflochtene Wirtschaftsordnung und ihre Lieferketten sind: Ein verunglücktes Containerschiff, das den Suezkanal blockierte, reichte aus, um Lieferketten und den globalen Transport wochenlang lahmzulegen (Sommer 2021). Seit Beginn des Krieges in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland verstärkt sich die Rede vom Ende oder zumindest einem Wandel der Globalisierung (Haak 2022; Schreiber 2022). Die globale Organisation kapitalistischer Unternehmen, die auf der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und der Natur im Globalen Süden zugunsten der Wertschöpfung in den Zentren des Kapitalismus basiert, droht einzustürzen. Die möglichen sozialen Verwerfungen zeichnen sich schon jetzt durch die starke Inflation ab. 

Diese Krisen haben aber auch zu Widerstand und Kritik geführt: In den USA kehrten nach der Pandemie zahlreiche Arbeiter:innen nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück. Unter anderem wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, geringer Löhne und fehlender Beteiligung an den teils verzeichneten Rekordgewinnen der Unternehmen kündigten zahlreiche Angestellte oder traten in den Streik (Bergmann 2021). Während Marx noch die Ansicht vertrat, dass über die Produktion einer kapitalistischen Reservearmee Löhne gedrückt und Arbeitsbedingungen prekär gehalten werden könnten (Holst/Nachtwey 2010), entsteht zumindest lokal und temporär ein neues Phänomen: Die Ausdehnung kapitalistischer Vergesellschaftung führt zu einem Arbeitskräftemangel. Dieser stellt inzwischen für viele Unternehmen ein bedrohliches Problem dar. Auch in Deutschland streiken vor allem die Angestellten, die die Last der Pandemie mit besonderer Härte zu spüren bekamen: An zahlreichen Kliniken legten Ärzt:innen und Pflegepersonal dieses Jahr ihre Arbeit nieder (Baureithel 2022). Gebremst von der Pandemie regte sich auch gegen die Untätigkeit der Regierungen im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe in den letzten Jahren globaler Protest, zum Beispiel durch die Fridays-for-Future-Bewegung (Voss 2021). Insgesamt zeichnet sich ab, dass sich die Generation Z aufgrund des Klimawandels und ihrer eigenen, häufig prekären Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt vom Kapitalismus abwendet. Sie profitiert nicht mehr wie die ihrer Eltern von Wohlstandsgewinnen, sondern wohnt in viel zu teuren Mietwohnungen, arbeitet in schlecht bezahlten Jobs und hat Angst, dass die Lebensgrundlage auf der Erde bald zerstört sein wird (Jones 2021). 

Dieser Band liefert Analysen und Kritik der Wirkungen des Kapitalismus auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche. Wir glauben, dass es dazu auch einer theoretischen Analyse bedarf, bei der der Kapitalismus als gesellschaftsstrukturierende Wirtschaftsform im Zentrum steht. Dabei wollen wir uns nicht darauf beschränken, allen Krisen mit dem Pauschalurteil zu begegnen, der Kapitalismus sei an ihnen schuld. Die Beiträge des Bandes zeigen vielmehr auf, wie der Kapitalismus als Modus allgemeiner Vergesellschaftung (und nicht nur im engeren Sinne der Produktionsweise) in verschiedenen Bereichen wirkt, wie er die aktuellen Krisen auslöst oder verstärkt und wie er mit verschiedenen gesellschaftlichen Herrschafts- und Ungleichheitsstrukturen in Verbindung und Wechselwirkung steht. Dazu ist es erst einmal notwendig, die Konjunkturen des Kapitalismusbegriffs zu skizzieren und zu definieren, was wir mit Kapitalismus überhaupt meinen. Diese Einleitung stellt auch Fragen danach, was Kritik ist und welche Rolle sie in sozialwissenschaftlichen Analysen und in politischer Praxis spielen soll.

Konjunkturen des Kapitalismusbegriffs

Nicht nur im medialen Raum, sondern auch im akademischen Diskurs hat ein Begriff des »Kapitalismus«, welcher gesellschaftliche Dynamiken und Transformationen erfassen und erklären will, eine Rückkehr erlebt. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde der Begriff wieder vermehrt in das sozialwissenschaftliche Vokabular aufgenommen. Diese Renaissance des Interesses erfolgte nach einer langen Flaute in den 80er und 90er Jahren, als der Ansatz, das gesellschaftliche Leben und die Institutionen durch die analytische Linse einer Kapitalismustheorie zu verstehen, ein eher unkonventionelles und sporadisches Unterfangen war, das sich zumeist auf spezifische Subfelder oder die Peripherie des wissenschaftlichen Diskurses beschränkte. 

Tauchte der Begriff »Kapitalismus« doch im wissenschaftlichen Mainstream auf, so wurde er eher unkritisch verwendet. Francis Fukuyamas (1992) einflussreiches Buch Das Ende der Geschichte, das nach der Auflösung des Ostblocks veröffentlicht wurde, setzt Kapitalismus mit Demokratie, liberalen Rechten, Gleichheit, wirtschaftlicher Entwicklung und allgemeinem menschlichen Wohlstand gleich und bescheinigt diesem einen historischen Triumph, der ihn zum global herrschenden, aber unhinterfragten und unproblematisch gewordenen System machte. Daneben verwendeten führende Gesellschaftstheoretiker:innen der 90er Jahre wie Ulrich Beck und Anthony Giddens eher den Begriff der Marktwirtschaft, diagnostizierten die fortschreitende Globalisierung modernisierungstheoretisch – und unterschätzten damit die Bedeutung der Globalisierung als weltweite Durchsetzung eines neoliberalen Kapitalismus. Nur vereinzelt gelang es kapitalismustheoretischen Analysen mit einer angemessen kritischen Perspektive auf die Globalisierung dem modernisierungstheoretischen Diskurs etwas entgegenzusetzen (Altvater/Mahnkopf 1999). Natürlich bleiben hinter einer solchen Verallgemeinerung viele Abweichungen und Differenzierungen zurück, aber auf die Gefahr hin, die Entwicklung des sozialwissenschaftlichen Diskurses in den 90er Jahren zu stark zu vereinfachen, war der Kapitalismus als politische wie auch als analytische Kategorie aus den Diskussionen weitgehend verschwunden. 

Doch gerade in den 90er Jahren wurde immer deutlicher, dass die Geschichte »noch nicht zu Ende ist«. Neue soziale Bewegungen, die der neoliberalen Weltordnung kritisch gegenüberstanden, wie Peoples Global Action (PGA), politische Basisbewegungen wie das Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN) und kollektive Aktionen wie die Proteste gegen die Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle 1999 führten zu einem gewissen Unbehagen in der breiten akademischen Gemeinschaft. Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends richtete sich der Blick langsam wieder auf Fragen des kapitalistischen Imperialismus, der Klassenanalyse, der Ausbeutung, der globalen Wertschöpfungsketten, der Deregulierung und der Privatisierung. Auch wenn sich der liberale Kapitalismus in der Systemkonkurrenz durchgesetzt hatte, begann im Jahr 2001 eine neue Phase von neuen Kriegen um die politische Weltordnung und geopolitischer Staatenkonkurrenz, die bis heute anhält.

Von ebenso großer Bedeutung war, dass der Kapitalismus im Innern der westlichen Gesellschaften zahlreiche Siege gegen seine soziale Einhegung und sozialstaatlichen Regulierungen erzielte (Harvey 2007; Dörre 2009). Insgesamt führte der Siegeszug des Kapitalismus mit einer gewissen Verzögerung also auch zu einer Renaissance der Kapitalismuskritik – und einer Rückkehr des Kapitalismusbegriffes in die akademische Debatte. Wichtige Werke waren unter anderem Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus von Richard Sennett (1998), Der neue Geist des Kapitalismus von Luc Boltanski und Ève Chiapello (2013 [1999]), Empire von Michael Hardt und Antonio Negri (2003 [2000]) sowie Varieties of Capitalism von Peter A. Hall und David W. Soskice (2001). Obwohl die Bücher sehr unterschiedlicher Natur sind, resultierten sie aus einem neu aufkeimenden Interesse an der Untersuchung des Kapitalismus. Das erste Buch befasste sich mit der Frage, wie sich die Veränderungen in der Funktionsweise des Kapitalismus und der Arbeitswelt auf den Charakter des Einzelnen auswirken, indem sie die Integrität des Selbst, einen Sinn für das Ziel und eine langfristige Perspektive untergraben. Der zentrale Begriff des Buchs, »flexibler Kapitalismus«, hat sich in der Folge im sozialwissenschaftlichen Vokabular etabliert (s. z.B. Bieling u.a. 2001). Der neue Geist des Kapitalismus konzentrierte sich auf die sich verändernde normative Ordnung des Kapitalismus, die die Teilnahme an ihm attraktiv macht und das Engagement des Subjekts in ihm rechtfertigt. Das Buch behandelt auch die Problematik, welche Bedeutung die Kritik des Kapitalismus für dessen eigene Transformation hat. Das Vermächtnis des Buches von Boltanski und Chiapello für nachfolgende Diskussionen über die Ideologie des kapitalistischen Systems (Nachtwey/Seidl 2020), die Veränderungen des postfordistischen Arbeitskontextes und nicht zuletzt die Kapitalismuskritik (Callinicos 2007) kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden. Insbesondere die Unterscheidung zwischen einer Künstlerkritik, die den Kapitalismus als Auslöser von Lebensformen ohne Authentizität, Selbstverwirklichung und Autonomie ins Visier nimmt, und einer Sozialkritik, die Ausbeutung und soziale Ungleichheiten thematisiert, ist nach wie vor von zentraler Bedeutung – nicht nur für das Verständnis der verschiedenen Formen der Kapitalismuskritik, sondern auch für ihren Einfluss und ihre Wechselwirkung mit dem kapitalistischen Normensystem. Michael Hardt und Antonio Negri stellten in ihrem Theorie-Bestseller Empire ebenfalls eine neue Weltordnung vor: Sie beschrieben ausgehend von einem veränderten, auf immaterieller Arbeit und Netzwerklogiken basierenden Kapitalismus eine Veränderung der Machtstrukturen, von der Macht imperialer Zentren und Nationalstaaten weg hin zur alles durchziehenden Macht des Kapitals. Allerdings irrten sie sich gewaltig mit ihrer Diagnose, dass die imperialistische Konkurrenz an ein Ende gekommen sei. Die akademisch extrem einflussreiche Arbeit von Hall und Soskice bot einen Einblick in die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kapitalismusmodellen der »entwickelten« Volkswirtschaften. Obwohl sie für die Reduzierung der Vielfalt staatlicher kapitalistischer Systeme auf zwei Typen sowie ihren funktionalistischen Ansatz, der den sozialen Wandel nicht erklären kann, hinreichend kritisiert wurden (Streeck 2009), hat die institutionalistische Perspektive auf die Varieties of Capitalism eine aufkeimende Diskussion über die verschiedenen national geprägten Formen des Kapitalismus ausgelöst (z.B. Amable 2005; Miller 2005).

So wertvoll diese Beiträge zur Kapitalismusdebatte auch gewesen sein mögen, in vielen Fällen blieben die innere Funktionsweise des Kapitalismus und sein vielschichtiges Wesen eher unterbelichtet. Ab dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts richtete die Wissenschaft ihre Aufmerksamkeit wieder stärker auf neuere Formen des Imperialismus, die Finanzialisierung der Wirtschaft sowie Fragen im Zusammenhang mit spätkapitalistischer Ideologie, Subjektivität und Lebensformen (vgl. Arrighi u.a. 2007). Vor allem nach der Finanzkrise von 2008 nahm die (kritische) Diskussion zum Kapitalismus weiter Fahrt auf. Die Arbeiten von Wolfgang Streeck (2013) oder Branko Milanovic (2020) zum Verhältnis von Demokratie, neoliberalem Kapitalismus und Krise sowie Thomas Pikettys (2014) Erkundung der grundlegenden Ungleichheiten, die sich aus dem kapitalistischen System ergeben, gehören zu den Meilensteinen dieser neuen Debatten ebenso wie das Opus magnum des vom Marxismus beeinflussten Ökonomen Anwar Shaikh (2016). Es mehrten sich die Diagnosen einer systemischen Krise, die die Voraussetzungen einer gelingenden kapitalistischen Erneuerung in Frage stellen. Einige glaubten sogar – wie wir heute wissen, recht voreilig – die Möglichkeit des Endes des Kapitalismus am Horizont erkennen zu können (Streeck 2016; Wallerstein u.a. 2014; Harvey 2016). 

Die analytische Brille, die es möglich macht, kapitalistische Arrangements zu verstehen, hat nicht nur die Ebene der Politischen Ökonomie im weiteren Sinne neu belebt. Die Sphäre des sozialen Lebens in modernen Gesellschaften, die aufs Engste mit den Veränderungen im Kapitalismus verbunden ist, ist die Welt der Arbeit und der sozialen Reproduktion. Die letzten Jahrzehnte brachten einen kolossalen Wandel nicht nur in den Rahmenbedingungen der Arbeit und der Beschäftigungsstruktur, sondern auch in Bezug auf die Organisationsstruktur und den Arbeitsprozess. Die Erforschung des Zusammenhangs von Kapitalismus und Arbeit wurde zu einem wichtigen Theorie- und Forschungsanliegen (Nachtwey 2016; Dörre u.a. 2012). Dabei wurden vielfältige Entwicklungen wie die Digitalisierung der Wirtschaft und das Produktionsmodell des digitalen Kapitalismus (Nachtwey/Staab 2018), der Aufstieg des Plattformkapitalismus (Staab 2019), die Prekarisierung und die zunehmende Einführung von Algorithmen in der Arbeitswelt (Schaupp 2021) sowie die Zunahme von New-Work-Arrangements und marktorientierte Formen der Arbeitskontrolle (Menz u.a. 2019) thematisiert. Diese führten zu einer komplexen Gemengelage mit spezifischen Auswirkungen über Qualifikationsniveaus, Branchen, Geschlecht und ethnische Gruppen hinweg. Wer sich dem Verständnis der zeitgenössischen Welt verschrieben hat, kommt auch an der Frage nicht vorbei, was diese Entwicklungen für die bezahlte und unbezahlte Reproduktions- und Sorgearbeit bedeuten (Aulenbacher 2020). Die Rekommodifizierung der öffentlichen Dienste und die Intensivierung und Ausweitung der Arbeit führen zu einer zunehmenden Belastung der Individuen und zur Suche nach Möglichkeiten, diese Arbeit auszulagern, die oft auf ausbeuterische, geschlechtsspezifische und rassifizierte »Lösungen« hinausläuft (Altenried u.a. 2021). Darüber hinaus hat das Phänomen der digitalen Plattformen, deren Geschäftsmodelle auf der Datenverarbeitung beruhen, das Interesse an klassischen marxistischen Fragen wiederbelebt: Was gilt als (produktive) Arbeit, wer produziert, wer eignet sich den Wert an und wie wird dieser Profit verteilt (Mazzucato 2018; Nachtwey/Schaupp 2022)? Konzepte wie Ausbeutung und Entfremdung, die einst im Zentrum der Erforschung von Kapitalismus und Arbeit standen, wurden in ihrem kritischen Potenzial erneuert (Haubner 2017).

Die Betrachtung des gegenwärtigen Kapitalismus endet nicht, wenn wir uns vom Bereich der Politischen Ökonomie sowie dem inneren »Gewebe« des Kapitalismus aus bezahlter und unbezahlter Arbeit entfernen. Ganz im Gegenteil. Der Kapitalismusbegriff taucht vermehrt in zahlreichen sozialwissenschaftlichen Diskursen und darüber hinaus als theoretischer Erklärungsansatz für verschiedene gesellschaftliche Phänomene auf; für institutionelle Systeme des modernen Staates wie sein Rechtssystem (Pistor 2019) ebenso wie für die ökologische Krise (s. Moore in diesem Band; Malm 2016). In den Blick genommen wurde ferner, wie die Logik der kapitalistischen Akkumulation mit der menschlichen Subjektivität verwoben ist. Dazu gehören die Beziehungen, die wir zur Welt und zu uns selbst »unter den Bedingungen des gegenwärtigen steigerungsabhängigen, akkumulationsfixierten Kapitalismus« (Rosa 2016: 760) haben, oder die Verflechtung von Emotionalität und ökonomischen Beziehungen und die Ökonomisierung von intimen Beziehungen (Illouz 2007).

Während sich der Begriff gegen Ende des letzten Jahrhunderts keiner großen Beliebtheit erfreute, sind heute in der Literatur eine fast inflationäre Fülle von Bindestrich-»Kapitalismen« zu finden: digitaler Kapitalismus (Staab 2019), Überwachungskapitalismus (Zuboff 2018), Plattform-Kapitalismus (Srnicek 2017), emotionaler Kapitalismus (Illouz 2007), Community-Kapitalismus (Dyk/Haubner 2021). Es lohnt sich deshalb, sich noch einmal zu vergegenwärtigen, worauf der Begriff des Kapitalismus zielt: Was meinen wir, wenn wir von Kapitalismus sprechen?

Was ist Kapitalismus?

Der Kapitalismus ist ein bewegliches Ziel, er wandelt sich, erfindet sich neu, verschluckt in seinem Apparat Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens, die als seine »Außenseite« galten, und spuckt sie danach als Rädchen aus, die zu unverzichtbaren Teilen seines Kerns geworden sind und ihn am Laufen halten. Die Personifizierung, die in dieser Beschreibung vorkommt, ist beabsichtigt – weder weil es keine Subjekte gibt, die diese Entwicklungen fortführen, umwandeln oder herausfordern, noch weil der Kapitalismus eine völlig autarke und selbstfahrende Kraft ist, die von anderen Gegebenheiten unabhängig ist. Vielmehr weist sie darauf hin, dass die Logik der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ein Eigenleben annimmt, dessen »stummer Zwang« (Mau 2021) Macht über die Individuen ausübt.

Eine Definition des Kapitalismus ist aufgrund der ihm innewohnenden Dynamik, seiner Historizität und seiner Vielfältigkeit keine leichte Aufgabe. Es ist deshalb sinnvoll, zwischen dem System des Kapitalismus und seinen konkreten historischen Varianten zu unterscheiden. Für Marx stellt der Kapitalismus ein System der verallgemeinerten Warenproduktion und des Austauschs von Waren in der Gesellschaft dar, in der eine soziale Klasse von Eigentümer:innen (Kapitalist:innen) die Waren (und in den meisten Fällen die Produktionsmittel) besitzt und diese auf dem Markt in Konkurrenz mit anderen Kapitalist:innen zum Zwecke der Profiterzielung anbietet. Für die Produktion, die Distribution und den Austausch dieser Waren, zu denen auch Produkte und Dienstleistungen (einschließlich Geld) gehören, setzen Kapitalist:innen »freie Arbeitskräfte« ein oder greifen auf Zwangs- oder Sklav:innenarbeit zurück. Der:die einzelne Kapitalist:in steht unter dem Zwang der konkurrenzgetriebenen Akkumulation – bei »Strafe des Untergangs« muss er:sie weiter investieren, seine:ihre Produktion beständig ausdehnen oder verwohlfeilern (Marx 1964 [1894]: 255).

An diese marxistische Definition schließt die moderne Bestimmung des Kapitalismus des Historikers Jürgen Kocka (2004) an, die auf drei Eigenschaften fokussiert: (1) individuelle Eigentumsrechte und dezentrale Entscheidungsstrukturen, (2) die »Kommodifizierung« von Arbeit und Ressourcen sowie die Koordination wirtschaftlicher Akteur:innen über Märkte und Preise, (3) die Zentralität von Kapital und Kredit für Investitionen in der Zukunft (ebd.: 20 f.).

Diese Definitionen erlauben es uns, die verschiedenen Wege, Krisen und Entwicklungen, die Hintergrundbedingungen, die das System begünstigen und aufrechterhalten (reproduktiv, politisch, kulturell), die gesellschaftlichen Segmentierungen und Hierarchisierungen entlang der Kategorien Geschlecht, race und Ethnizität, die (historisch) mit ihm einhergehen und integraler Bestandteil seines Funktionierens sind, und seine komplexen Beziehungen mit Praktiken, Ideologien, Weltanschauungen und Formen des Seins in der Welt strukturiert zu analysieren. Wir betrachten den Kapitalismus nicht nur als ökonomisches System, sondern als umfassendes System der Vergesellschaftung (Schimank 2009). Wir können an dieser Stelle keine detaillierte und umfassende Untersuchung aller damit verbundenen Aspekte vornehmen. In Bezug auf die Beiträge, die wir in diesem Band gesammelt haben, gibt es jedoch einige zentrale Punkte, die hervorgehoben werden sollten:

Erstens gedeiht der Kapitalismus in unterschiedlichen politischen Settings, solange sie seine Klassenteilung, das Privateigentum und eine Form von Marktwettbewerb eher etablieren und nicht gefährden. Eine zentrale Aufgabe der Analyse besteht deshalb darin, die wechselseitige Beziehung zwischen den historischen Transformationen des Kapitalismus und den Veränderungen in den politischen Systemen auf nationaler und auch globaler Ebene zu verstehen. Die Analyse spezifischer institutioneller Arrangements sollte nicht dazu führen, dass »any understanding of the structures and tendencies common to all forms of capitalism vanishes« (Callinicos 2001: 236). Vielmehr können wir durch das Verständnis dieser gemeinsamen Strukturen und Tendenzen beginnen, die verschiedenen Phasen, Varianten und Transformationen zu entschlüsseln. Der heutige Neoliberalismus, in dem das (globale) Finanzkapital eine entscheidende Rolle spielt, hat nicht nur eine völlig andere »wirtschaftliche«, sondern auch »politische« und sogar »ideologische« Grundlage als der Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts. In diesem Sinne können wir zwischen verschiedenen Phasen der kapitalistischen Entwicklung unterscheiden (Albritton u.a. 2001; Hirsch/Roth 1986; Aglietta 2016). In ähnlicher Weise unterscheidet sich der chinesische Staatskapitalismus (ten Brink 2013; Arrighi 2008) zum Beispiel erheblich von den politisch-ökonomischen Systemen in Mitteleuropa.

Zweitens ist die Privatisierung, Kommodifizierung und der Diebstahl von Land und Ressourcen, die Aneignung verschiedener Arten von Vermögenswerten, die Zerstörung alternativer Produktions- und Tauschformen, die Einbeziehung neuer Bevölkerungsgruppen (als angestellte Arbeitskräfte oder für Zwangsarbeit) in den Kreislauf von (Re-)Produktion, Tausch und Konsum nicht eine bloße Sache der Vergangenheit. In diesem Sinne geht es im Kapitalismus nicht nur um den freien Marktaustausch von Waren und Lohnarbeit, sondern auch um seine Grenzgebiete. David Harvey (2004) hat die analytische Perspektive der Akkumulation durch Enteignung entwickelt, die auf der Prämisse beruht, dass die Marx’sche Idee der primitiven Akkumulation auch heute noch ein integraler Teil des kapitalistischen Systems ist. »Capitalism internalizes cannibalistic as well as predatory and fraudulent practices.« (Harvey 2004: 75) Die Frage, wer, wie und was enteignet wird, eröffnet die Perspektive, Probleme des Imperialismus, der globalen Hegemonie und der postkolonialen Beziehungen zu verstehen. 

Dies bringt uns, drittens, zu unserem nächsten Punkt, nämlich, dass rassifizierte und ethnifizierte Logiken in das Grundgerüst des Kapitalismus eingebaut wurden. Diese Logiken sind nicht nur Merkmale des Wirtschaftssystems, sondern haben sich zu tief integrierten Systemen von Segregation und Spaltung entwickelt, die der Produktion von Mehrwert und der Reproduktion von Arbeitskraft dienen (Bhattacharyya 2018). 

Diese Reproduktionsarbeit ist viertens für das Funktionieren des Kapitalismus unverzichtbar. Sie gestaltet

»die menschlichen Subjekte des Kapitalismus und unterstützt sie als verkörperlichte, natürliche Wesen, während sie sie zugleich als gesellschaftliche Wesen konstituiert, indem sie ihren Habitus und die sozio-ethische Substanz (Sittlichkeit) bildet, in der sie sich bewegen« (Fraser/Jaeggi 2021: 52).

Sie kann verschiedene Formen annehmen – als betreuende Tätigkeit zu Hause, in staatlichen Einrichtungen oder in privaten Unternehmen. Sie wurde historisch und wird auch heute noch überwiegend von Frauen geleistet – als bezahlte oder unbezahlte Arbeit – und existiert in unterschiedlichen Konstellationen je nach politischer Regulierung, aber auch je nach sozialer Schicht der Individuen. 

Fünftens gibt uns eine marxistische Klassenanalyse, die auf Fragen des Zugangs zu und der Befugnisse über produktive Ressourcen (Wright 2005) abzielt, Instrumente an die Hand, um bestimmte Aspekte des kapitalistischen Systems besser zu verstehen. Genauer gesagt, so Erik Olin Wright (ebd.), liefert sie uns einen Rahmen für die historische und vergleichende Analyse von Klassen und für das Verständnis der Dynamik zwischen Zwang, Zustimmung und Ideologie. Sie schärft unseren Blick, wenn es um Fragen des Klassenkonflikts, des Widerstands und der Machtdynamik geht und sie verknüpft Tauschbeziehungen mit Produktionsbeziehungen.

All diese Aspekte gilt es in ein Verständnis von Kapitalismus zu integrieren, um eine umfassende kapitalismustheoretische Perspektive auf Gesellschaft zu erlangen. Die Analyse dieser Dimensionen des Kapitalismus führt uns, wie wir argumentieren werden, auch zu seiner Kritik. Um von »Kapitalismuskritik« zu sprechen, muss man also auch noch Fragen nach der Grundlage und der Möglichkeit von Kritik stellen.

Was ist Kritik?

Nicht nur der Kapitalismusbegriff, sondern auch der Begriff und die Praxis der Kritik haben in der Geschichte der Sozialwissenschaften verschiedene Konjunkturen durchlaufen. Nicht erst seit dem Positivismusstreit, sondern seit dem Entstehen der Soziologie bleibt die Frage nach der Rolle von Werturteilen und Kritik in der soziologischen Theoriebildung umstritten. Weiterhin wird der Status von Werturteilen in der wissenschaftlichen Arbeit und für die »Wahrheitsfindung« unterschiedlich bewertet. Zunächst stellt sich also die methodologische Frage danach, wie der Gegenstand der Soziologie angemessen betrachtet werden und welche Rolle Kritik dabei spielen kann.

Im Positivismusstreit, der in den 1960ern ausgehend von zwei Vorträgen von Karl Popper und Theodor W. Adorno bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie geführt wurde, vertrat Popper eine szientistische Herangehensweise: Obwohl auch er die zwangsläufigen Einflüsse von Werturteilen der Forschenden einsah, forderte er eine sozialwissenschaftliche Praxis des Kritischen Rationalismus. Angelehnt an die Naturwissenschaften solle die Sozialwissenschaft Lösungen für ihre Probleme vorschlagen, die dann kritisiert und zu widerlegen versucht werden (Popper 1969: 105). Eine der wichtigsten Aufgaben der Kritik sei es, außerwissenschaftliche Werte aus der Theoriebildung rauszuhalten, die Wahrheitsfragen also möglichst rein anhand wissenschaftlicher Werte zu bearbeiten (ebd.: 114).

Adorno hingegen bezeichnet in seiner Replik den Glauben, man könne die Wissenschaft und die ihr immanenten Probleme von den realen Problemen, mit denen sie sich befasst, trennen, als Fetisch. Die Fakten, die Gegenstand der Sozialwissenschaften sind, gehorchten nicht einer Logik, die von allem Sachlichen zu bereinigen sei (Adorno 1969: 129). Anstatt wie Popper Kritik nur im Sinne einer Selbstreflexion der Wissenschaft (als Kritik an ihrem eigenen Vorgehen) zu verstehen, fordert Adorno auch die inhaltliche Kritik des soziologischen Objekts. Er besteht darauf, dass sich Widersprüche, die man in der Gesellschaft vorfindet, nicht einfach logisch, zum Beispiel durch bessere wissenschaftliche Definitionen, auflösen lassen. Vielmehr liegen diese in den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst (ebd.: 135 f.). Wertfreies Verhalten verbietet sich für Adorno in Bezug auf die Gesellschaft als Objekt der Wissenschaft daher schon sachlich: Erkenntnis von Gesellschaft sei nur möglich um eine Konzeption von richtiger Gesellschaft herum, die nicht abstrakt dieser gegenübergestellt, sondern aus der Kritik der Widersprüche der Gesellschaft hervorgehen müsse (ebd.: 139). »Die Erfahrung vom widerspruchsvollen Charakter der gesellschaftlichen Realität ist kein beliebiger Ausgangspunkt sondern das Motiv, das die Möglichkeit von Soziologie überhaupt erst konstituiert.« (ebd.: 142) Erkenntnis geht für Adorno also aus der Kritik hervor, die die immanenten Widersprüche der Gesellschaft sichtbar macht. Ähnlich beschreibt Max Horkheimer (1968 [1937]) in seinem Text Traditionelle und kritische Theorie die Rolle der Vernunft in der Wissenschaft: Nicht nur die Erkenntnisbedingungen der Wissenschaft, sondern auch die Einrichtung der Gesellschaft selbst müsse an der Vernunft orientiert sein (ebd.: 190). 

Die von Adorno gelieferte Begründung der Soziologie aus einem Interesse an einer besseren Gesellschaft heraus verweist auf die Rolle der Soziologie als soziale Praxis. Robert Celikates (2009) beschreibt als konstitutives Merkmal der Kritischen Theorie eine doppelte Reflexivität: Sowohl bezogen auf ihren eigenen Entstehungs- als auch auf ihren Verwendungszusammenhang verorte sich die Kritische Theorie selbst als soziale Praxis, die nicht einfach außerhalb der Gesellschaft stehe (ebd.: 29 f.). Obwohl sie sich vom Objektivismus lösen, gingen auch Ansätze der Kritischen Theorie häufig von einem Bruch zwischen Teilnehmer:innen- und Beobachter:innenperspektive und von einer Asymmetrie zwischen Forschenden und Beforschten aus, die in ihrem Alltagshandeln eingebettet und nicht in der Lage seien, Einsicht in ihre eigene Situation zu erhalten (ebd.). Die Debatte um den Standpunkt der Kritik und ihr Verhältnis zu ihren Adressaten, die noch im Positivismusstreit zentral war, ist dabei immer mehr durch die Frage nach den normativen Grundlagen der Kritik verdrängt worden (ebd.: 29).

Die Nachfolger:innen der Frankfurter Schule beschäftigten sich zunehmend mit Fragen danach, wie Normen begründet werden können. Axel Honneth unterscheidet beispielsweise zwischen externer und immanenter Kritik. Kritik könne nur dann wirksam werden, wenn sie immanent sei, ihre Normen und Ansprüche also in den kritisierten Strukturen schon enthalten seien (z.B. Honneth 2008). Das liefe darauf hinaus, dass man den Kapitalismus nicht sinnvoll anhand von ihm externen Normen kritisieren könnte. Moralische, ethische oder gar ökologische Normen könnten nur dann vernünftigerweise der Kritik dienen, wenn die mit ihnen verbundenen Ansprüche bereits den kapitalistischen Strukturen immanent wären. Einen solchen legitimen Anspruch findet er in der Anerkennung, die Marktbeziehungen eingeschrieben sei, und nicht etwa in Idealen von erfüllender Handwerksarbeit, die der kapitalistischen Lohnarbeit extern und damit für sie folgenlos seien (ebd.: 329 ff., 334 f.). Mit den hier versammelten Texten wollen wir allerdings auch zeigen, dass der Kapitalismus nicht nur dort problematisch wird, wo er seine eigenen Versprechen nicht einlöst, sondern auch da, wo er Normen, die seiner eigenen Funktionsweise extern sind, verletzt.

Diesen theoretischen Fragen nach der Legitimität von Normen steht der pragmatische Ansatz der Soziologie der Kritik gegenüber, der nicht nach der Geltung der Kritik fragt, sondern die alltägliche Praxis der Kritik der Akteur:innen beobachtet. Während für Honneth die Klagen von Akteur:innen alleine noch keine immanente Kritik begründen können, da mit dieser empirischen Evidenz noch nichts über die Vernünftigkeit der Ansprüche gesagt sei (ebd.: 331 f.), untersucht eine Soziologie der Kritik, welche Kritik Akteur:innen leisten. Sie stellt damit die privilegierte Position der Sozialwissenschaftler:innen in Frage und untersucht im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung die alltägliche Kritik von Akteur:innen, anstatt selbst mit normativen Maßstäben ausgestattet zu kritisieren (Boltanski 2011 [2009]). Celikates versucht sowohl eine gegen die Selbstreflexion der Akteur:innen blinde, rein externe Kritik als auch eine rein immanente, nur auf den Aussagen der Akteur:innen beruhende und damit für strukturelle Blockaden der Reflexionsfähigkeiten der Akteur:innen blinde Kritik zu vermeiden. Mit seinem Ansatz der rekonstruktiven Kritik will er eine kritische Theorie als soziale Praxis ermöglichen, die sich als Teil der gesellschaftlichen Selbstverständigung versteht und auf ein besseres Selbstverständnis der Akteur:innen hinarbeitet (Celikates 2009: 31 f.). Damit stellt er sich gegen eine reine Ideologiekritik ebenso wie gegen eine rein verstehend verfahrende Sozialwissenschaft:

»Der kritischen Theorie geht es demnach nicht primär um die substantielle normative Kritik eines als falsch entlarvten Selbstverständnisses, sondern um den Aufweis solcher Einschränkungen der reflexiven Fähigkeiten, die zu Verzerrungen im Prozess der Selbstverständigung führen.« (Ebd.: 31)

Kritik als Teil einer gesellschaftlichen Selbstverständigung muss also nicht nur aufzeigen können, welche Problemlagen der Kapitalismus mit sich bringt, sondern auch eine Kritik an den gesellschaftlichen Strukturen leisten, die eine bestimmte Form des Subjekts hervorbringen, das nicht mehr kritikfähig ist.

Neben dieser Frage nach der Kritikfähigkeit wird auch die Frage nach den Folgen und der Veränderungsmacht der Kritik gestellt. Lessenich diagnostiziert eine Krise der Kritik, die folgenlos bleibt, »verpufft, versickert, sich verliert, scheinbar ohne an den strukturellen Ursachen der den Kritisierenden als kritikwürdig erscheinenden Umstände wirklich etwas zu verändern« (2014: 18). Für ihn muss eine kritische Soziologie der Kritik auch Antworten darauf liefern, wie die Handelnden in Herrschaftsverhältnisse verstrickt sind, und sie über ihre Handlungsmöglichkeiten aufklären (ebd.: 19–23). 

Die Folgenlosigkeit der Kritik wurde auch immer wieder auf die Fähigkeit des Kapitalismus zum Wandel mittels Vereinnahmung der Kritik zurückgeführt. Er reagiere auf Kritik und könne sie in seine Funktionsweise mit aufnehmen. Diese Lesart basiert auch auf der Trennung zwischen einer Sozial- und einer Künstlerkritik und der Diagnose Boltanskis und Chiapellos (2001), dass es eine Verschiebung des Fokus von der ersten zur zweiten gegeben habe. Die beiden machten die These populär, dass die Krise der Kritik auch eine Folge der Vereinnahmung der Künstlerkritik durch den Kapitalismus ist, die der Sozialkritik den Stachel zog (ebd.: 468 f.).

Die klare Trennung dieser beiden Spielarten der Kritik halten wir jedoch für eine kritische Praxis für verfehlt: Bei Marx sind Entfremdung, Ideologie oder Warenfetisch nur möglich, weil es eine Ausbeutung durch die Lohnarbeit gibt. Die Analyse von Entfremdung und Privateigentum hängt für Marx (2012 [1844]: 520) eng zusammen (s. Henning in diesem Band). Entfremdung ist ohne Ausbeutung daher gar nicht zu denken. Insofern kann auch eine Kritik am Kapitalismus sich nicht lediglich entweder auf Aspekte der Gerechtigkeit oder auf Aspekte der freien individuellen Entfaltung berufen. Auch die Künstlerkritik kann also immer noch eine Quelle für Kapitalismuskritik sein. 

Insgesamt zeigt sich, dass mit dem Fokus auf die Bedingungen von Kritik und der Diskussion um die Alltagskritik die Kritik selbst und ihr Inhalt in den Hintergrund gerückt sind. Wir wollen deshalb mit diesem Sammelband wieder eine Form der Kritik etablieren, die sich aus einer Gesellschaftsanalyse ergibt und dabei dennoch auf Basis der (normativen) Annahme operiert, dass eine andere Welt möglich und sogar nötig ist. Zweifellos sind dafür auch die Kritik der Akteur:innen selbst, deren Ermöglichungsbedingungen und Erfolgsaussichten von Bedeutung. Allerdings sind eben auch Analysen unerlässlich, die in der alltäglichen kritischen Praxis der betroffenen Subjekte selbst unter den demokratischsten Bedingungen kaum möglich erscheinen, weil sie eben Strukturen in den Blick nehmen, die sich in deren Erleben nicht erschließen. 

Das knüpft an Marx’ Methode der Kritik der Politischen Ökonomie an: Mit seinen Analysen holt Marx Prozesse ins Bewusstsein, die diese Gesellschaft maßgeblich bestimmen, aber unterhalb des alltäglichen und sogar des positivistischen wissenschaftlichen Radars ablaufen. Er will eine umfassende Kritik der Politischen Ökonomie seiner Zeit leisten, es geht ihm also keineswegs nur um eine andere Schlussfolgerung, sondern um eine Kritik der kategorialen Voraussetzungen dieser Wissenschaft, an ihrer Fragestellung und an dem, was sie als erklärungsbedürftig und was sie als selbstverständlich beschreibt (s. dazu Heinrich 2005: 31). Der Tausch und die Warenproduktion seien bei Autoren wie Adam Smith und im Alltagsleben naturalisiert, sie würden also als Grundlage für Alltagsbewusstsein und für die wissenschaftlichen Kategorien dienen (ebd.: 32). Hier wird eine Gesellschaftsanalyse notwendig, die scheinbare Selbstverständlichkeiten aufdeckt.

Analyse und Kritik sind also untrennbar miteinander verbunden, ein Anspruch, der bis heute in der Kritischen Theorie verfolgt wird:

»Das bedeutet, dass in der Analyse der Versuch zu verstehen, was im Leben der Gesellschaft vor sich geht – beispielsweise der Versuch, die Struktur der gesellschaftlichen Integration und der historischen Wandlungen des Kapitalismus zu verstehen –, ein entscheidender Teil dessen ist, was es bedeutet, dieses Leben zu kritisieren.« (Fraser/Jaeggi 2021: 89)

Dieser auf Marx zurückgehende Ansatz der Einheit von Analyse und Kritik ist dabei nicht moralisierend zu verstehen. Heinrich sieht in Marx’ Kritik eine Konstatierung eines Sachverhalts, nämlich eines dem Kapitalismus immanenten destruktiven Potenzials, der notwendigerweise mit menschlichen und sozialen Kosten einhergehe (2005: 33 f.).

Sicherlich unterscheiden sich die Definitionen des Kapitalismus in den Beiträgen dieses Buches und beleuchten unterschiedliche Aspekte, Entwicklungen und Phänomene. Insgesamt bewegen sich die Aufsätze in diesem Sammelband jedoch in ihrer Analyse des Kapitalismus auf Meso- und Makroebene. Sie betrachten die sozioökonomische Entwicklung des kapitalistischen Systems und den Prozess der Wertakkumulation, Schlüsselfragen der Produktion und Reproduktion im Kapitalismus, die sich verändernde politische Regulierung des Kapitalismus, seine Spielarten sowie kapitalistische Ideologiebildungen. Es sind die Dynamik und die Historizität des Kapitalismus, die in den Texten zum Vorschein kommen. Die Autorinnen und Autoren beleuchten verschiedene Aspekte unseres Lebens, seien es sich verändernde Realitäten in der Arbeitswelt, Wohnfragen, technologische Entwicklungen, Care- und Hausarbeit oder die ökologische Krise. Darüber hinaus hat die wissenschaftliche Forschung seit langem auf die Verflechtung zwischen verschiedenen Formen von Macht und Ungleichheit entlang der Linien von Geschlecht, race und Klasse hingewiesen. Die in diesem Band versammelten Beiträge fördern nicht nur das Verständnis dafür, wie sie sich gegenseitig verstärken, sondern auch dafür, wie sie im Kapitalismus strukturell miteinander verbunden sind und sich gegenseitig konstituierend aufrechterhalten.

So divers die Themen und Herangehensweisen der Texte im Detail sind, verbunden werden sie durch den Anspruch, eine Kritik des als selbstverständlich Geltenden zu ermöglichen, indem detaillierte Analysen der Verhältnisse präsentiert werden. Eine so betriebene Wissenschaft ist kritische Praxis, da sie mit dem Interesse an besseren Verhältnissen verbunden ist und auch dort, wo sie nicht auf das Alltagsverständnis der Akteur:innen aufbaut, für eine kritische Praxis dienlich ist, die Kapitalismus erst einmal verstehen muss, bevor Kritik zu Praxis werden kann.

Beiträge im Sammelband

Die Idee zu diesem Sammelband ging aus einer von uns organisierten Ringvorlesung mit dem Titel »Kapitalismus und Kapitalismuskritik« hervor. Entgegen unseren Erwartungen zum Zeitpunkt der Planung der Reihe im Sommer 2020 fanden die Vorträge mitten im Lockdown und unter Pandemiebedingungen statt. Dies wirkte sich natürlich auch auf die Themen der Vorträge und der hier versammelten Beiträge aus: Gerade die Sphäre der Reproduktion ist für viele in den Blick gerückt. Da die meisten Beiträge vor dem Krieg in der Ukraine, vor der Inflation und der drohenden Wirtschaftskrise fertiggestellt waren, spielen diese Themen eine untergeordnete Rolle in unserem Sammelband. 

Der Band gliedert sich in vier Teile. Zunächst beginnen wir mit Beiträgen, die sich auf einer eher theoretischen Ebene mit Kapitalismuskritik beschäftigen. Diese Beiträge fragen, wie der Kapitalismus zu kritisieren ist, welche Herangehensweisen und Konzepte dafür gebraucht werden und auch, was eine falsche Kapitalismuskritik ist. Wir beginnen das Buch mit Beiträgen, die sich explizit mit Kapitalismuskritik befassen und die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Spielarten der Kritik aufzeigen. 

Alex Demirović fragt in seinem eröffnenden Beitrag ganz grundlegend, wie der Kapitalismus in seinem Nexus mit der Gesellschaft zu verstehen ist. Er weist auf das immanente Demokratiedefizit hin, das kapitalistische Gesellschaften kennzeichnet, da die wirtschaftlichen Entscheidungen von der demokratischen Entscheidungsfindung entkoppelt und Unternehmer:innen als scheinbar privat handelnden Akteur:innen vorbehalten sind. Die kapitalistische Produktionsweise wird als ein vielgliedriger Zusammenhang definiert, ein Kreislauf von Kreisläufen, der anfällig für Konflikte und Krisen ist. Demirović diagnostiziert eine Vielfachkrise des Kapitalismus, die die verschiedenen gesellschaftlichen Krisen als ein Ganzes umfasst.

Christoph Deutschmann lotet in seinem Beitrag aus, inwiefern der Kapitalismus mit einer religionssoziologischen Perspektive analysiert werden kann. Mithilfe dieser Perspektive deckt Deutschmann die blinden Flecken und Widersprüche des liberalen Narrativs auf. Er definiert Kapitalismus als ein System entgrenzter Märkte und stellt die These auf, dass beide, Kapitalismus und Religion, je spezifische Antworten auf das von Luhmann ausgewiesene Problem der Intransparenz der modernen Gesellschaft für sich selbst darstellen. Der Beitrag zeigt auf, worin sich Religion und Kapitalismus als Antworten auf dieses gesellschaftliche Problem unterscheiden.

Christoph Henning stellt zwei für die Kapitalismuskritik zentrale Stränge – die Entfremdungstheorie und die Ideologiekritik vor – und zeigt ihre Stärken am Beispiel der Analyse des Privateigentums. Anstatt das Privateigentum als etwas Fragloses oder gar Natürliches anzunehmen, zeigt Henning den historischen Bruch auf, den diese Institution darstellt. Das macht er an der Gegenfolie des Privateigentums, dem Gemeinbesitz an Naturgütern, deutlich. Damit wird Privateigentum einerseits als Ausdruck wie Ursache von Entfremdungsphänomenen deutlich; andererseits wird damit klar, warum es einer so aufwendigen ideologischen Rechtfertigung des Privateigentums bedarf.

Richard Gebhardt widmet sich anhand von aktuellen Schriften neurechter Autoren aus Deutschland und Frankreich den Entwicklungslinien sowie den Spezifika einer Kapitalismuskritik von rechts. Diese wird als Sonderform einer antiliberalen Kultur- und Dekadenzkritik analysiert und mit den Grundlagen einer (idealtypisch verstandenen) linken Kritik der Politischen Ökonomie kontrastiert. Deutlich wird dabei, dass die rechte Kapitalismuskritik die kapitalistische Produktionsweise nicht primär als Ausbeutungsverhältnis analysiert, sondern als Auslöser kultureller Zerstörungen. Dieser Beitrag schafft so Abgrenzungen zu einer verfehlten Kapitalismuskritik.

Sich mit (theoretischen) Fragen der Kapitalismuskritik, ihrer Geschichte, ihren Bedingungen und Grenzen zu beschäftigen heißt allerdings nicht, gänzlich die Empirie zu ignorieren, sondern vielmehr Werkzeuge zu finden, diese zu verstehen. In diesem Sinne nähern sich die Beiträge im zweiten Teil des Buches einer (historischen) Politischen Ökonomie des Kapitalismus an. In diesen Beiträgen geht es zentral um die Frage, wie der Kapitalismus funktioniert und sich entwickelt. Hier wird historisch betrachtet, wie sich die Art der Kapitalakkumulation über die Jahre verändert hat, welche Auswirkungen das auf Fragen der sozialen Ungleichheit oder der Arbeitsgestaltung hat und welche neuen Formen von Akkumulation sich aktuell abzeichnen. Diese Beiträge liefern uns eine Basis, auf der wir gesellschaftliche und technologische Veränderungen mit der Veränderung ökonomischer Strukturen in Beziehung setzen können.

Lutz Raphael untersucht, wie sich die Gestaltung industrieller Arbeit seit der Krise des Fordismus in den 1970er Jahren in Westeuropa entwickelt hat. Raphael argumentiert, dass in der Umbruchphase zwischen 1975 und 2000 kein neues dominantes Produktionsregime an die Stelle des Fordismus trat, der zuvor auf die Gestaltung von Konsum und Lebenswelt ausstrahlte. Vielmehr ging mit neuen Akkumulationsmodellen im Zeichen des internationalen Finanzmarktkapitalismus eine Ausdifferenzierung unterschiedlicher Produktionsregime und sozialer Betriebsordnungen in der westeuropäischen Industrie einher. Die Ambivalenz dieser Umbrüche zwischen Partizipation und Ausbeutung und die Vielfalt neuer Arbeitswelten stellt die industriesoziologische Kritik »postfordistischer« Arbeit vor neue Herausforderungen.

Jakob Tanner zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung des Kapitalismus in der Schweiz nach. Er fragt nach der Position der Schweiz mit ihren international operierenden Rohstoff- und Transithandelsfirmen im kapitalistischen Weltsystem und zeigt, wie die Offshore-Strategien des Banken- und Finanzplatzes funktionierten. Der Wettbewerb unter den Kantonen um Holdingprivilegien und niedrige Steuern wurde nach dem Ersten Weltkrieg vom Bundesstaat mithilfe des Bankgeheimnisses zu einem nationalen Geschäftsmodell ausgebaut. Der Beitrag zeichnet die langfristige Dynamik des Kapitalismus in der Schweiz nach und schließt mit einer politischen Diagnose einer krisenhaften Gegenwart.

Sabine Pfeiffer widmet sich dem »digitalen« Kapitalismus, aber geht dabei über die üblichen Diagnosen der ökonomischen Stärke und Marktmacht der Digitalkonzerne hinaus. Ihr Beitrag beginnt die Analyse bei der Ökonomie statt beim Digitalen und zeigt auf, dass die Herausforderungen des Gegenwartskapitalismus sich nicht mehr vor allem auf die Sphäre der Wertgenerierung (im Sinne einer Effizienzsteigerung der Produktion) richten, sondern vermehrt in der Wertrealisierung auf dem Markt liegen. Die Digitalisierung wird damit zum entscheidenden Mittel dessen, was Sabine Pfeiffer »Distributivkräfte« nennt, ein Begriff, mit dem sie mögliche Entwicklungsdynamiken des digitalen Kapitalismus aufzeigt.

Im dritten Teil des Bandes geht es um soziale Ungleichheitsstrukturen, die der Kapitalismus (mit-)erzeugt, vor allem Klasse und race, und um Migration. Dieser Teil befasst sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden sowie mit den globalen Verflechtungen und Nuancen innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Rassifizierte Hierarchisierungen, die Regulierung von Migration und Grenzregime werden als Praktiken analysiert, mit denen Arbeitskraft für das Gedeihen des Kapitalismus mobilisiert wird. Die Beiträge untersuchen, wie der Kapitalismus Bevölkerungsgruppen differenziert, hierarchisiert und ihre Mobilität reguliert.

Gargi Bhattacharyyas Beitrag stellt die Frage danach, welche Rolle rassifizierte Hierarchisierungen von Menschen für den Kapitalismus spielen. Der Beitrag richtet sich gegen vereinfachende Narrative, die entweder den Rassismus als Beiprodukt des Kapitalismus sehen oder aber die Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus als das irrationale Andere des Kapitalismus konstruieren. Das Konzept des racial capitalism fragt hingegen nach den Verquickungen verschiedener historischer Formen des Kapitalismus und des Rassismus. Darüber hinaus befasst sich Bhattacharyya mit der rassifizierten Arbeitsteilung der heutigen Arbeitswelt sowie mit der Funktion des Rassismus am Arbeitsplatz in verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Kontexten.

In ihrem Text verfolgt und konzeptualisiert Manuela Bojadžijev die veränderten Bedingungen menschlicher Mobilität im gegenwärtigen Kapitalismus. Arbeit ist für sie ohne Mobilität nicht zu denken. Was aber passiert mit Arbeit und Mobilität unter den Bedingungen der Logistifizierung von Produktions- und Distributionsprozessen in einer sich über die vergangenen Jahrzehnte globalisierenden Welt? Bojadžijev beobachtet, wie Migration sich heute zunehmend ausdifferenziert und wie versucht wird, sie in differenzierter Weise zu regulieren. Dies geschieht immer weniger nach den bisherigen nationalstaatlichen Prinzipien von Aus- und Einschluss und dem damit einhergehenden Versprechen einer sukzessiven Integration »nach der Migration«. Vielmehr diagnostiziert sie den Wunsch und die Fantasie eines logistisch operierenden Kapitalismus, Migration maximal flexibel halten und entsprechend flexibilisiert steuern zu wollen.

Nicole Mayer-Ahuja fragt nach den Klassenverhältnissen im globalen Kapitalismus. Trotz der sie einenden Gemeinsamkeiten war und ist die arbeitende Klasse nicht einheitlich, sondern durch Differenz und Konkurrenz geprägt, und es ist eine bleibende Herausforderung für die Arbeiter:innenbewegung, ein Bewusstsein für gemeinsame Interessen zu schaffen und die Spaltungstendenzen wenigstens zeitweise zu überwinden. Der Text zeichnet die ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nach, die die Stärke der Arbeiter:innenbewegung und damit Konjunkturen der Regulierung von Lohnarbeit und sozialer Sicherung bedingen. Mayer-Ahuja skizziert so, wie im Globalen Norden und im Globalen Süden nach drei Jahrzehnten einer fortschreitenden Formalisierung von Arbeit etwa seit den 1980er Jahren in großen Teilen der Welt eine Politik der Informalisierung betrieben wird, die Arbeit unsicherer macht, Lebensplanung und Aufstieg erschwert und Arbeitende überall mit mehr Konkurrenz, Arbeitsdruck und Kontrolle konfrontiert.

Der letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit Fragen der Reproduktion des Lebens, mit ihren vergeschlechtlichen und ökologischen Dimensionen sowie ihren grundlegenden Bedingungen. In diesem Teil geht es um die Einbettung des Kapitalismus in das ökologische Lebensnetz, um Kämpfe um urbanen Wohnraum und die soziale Reproduktion in Haushalts- und Care-Arbeit. Die hier versammelten Beiträge fragen, wie das Verhältnis zwischen Produktion und Reproduktion im Kapitalismus ausgestaltet ist, wie zentrale Lebensbereiche wie Pflege und Wohnen im Kapitalismus organisiert waren und sind und wie der Kapitalismus allgemein in das ökologische Lebensnetz verstrickt ist. Es geht hier darum, wie sich der Kapitalismus aus den ihm externen Sphären des Lebens speist, wie er sich Reproduktionstätigkeiten und notwendige Bedingungen des Überlebens aneignet und welche Bewegungen es dagegen gibt.

Ursula Huws beschäftigt sich mit der Frage, wie unterschiedlich Care-Arbeit im Kapitalismus organisiert sein kann. Anhand ihrer Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen der bezahlten und unbezahlten Hausarbeit zeigt sie Transformationen des Kapitalismus und Prozesse der Kommodifizierung und Vermarktlichung dieser lebenswichtigen Tätigkeiten auf. Huws argumentiert, dass die zunehmende Privatisierung und Kommodifizierung von Care-Tätigkeiten Teil einer sich verstärkenden Tendenz zur Zeitarmut darstellt. Dies zeigt sie anhand von Plattformen, die Dienstleistungen für Tätigkeiten häuslicher Fürsorge anbieten und damit nicht die reichsten, sondern gerade die Haushalte ansprechen, die aufgrund ihrer prekären Arbeit unter Zeitarmut leiden.

Christa Wichterich versteht feministische Kapitalismuskritik zum einen als theoretische Perspektive, zum anderen als bewegungsbasierte Emanzipationsstrategie aus Sicht sozialer Reproduktion. Ihr Beitrag zeichnet feministische Kritik nach, die mit der Hausarbeitsdebatte und der Diskussion der Funktion unbezahlter Sorgearbeit und der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung als Kritik am patriarchalen Kapitalismus begann. Wichterich analysiert mit dem Konzept des Sorgeextraktivismus zeit- und raumdiagnostisch die aktuellen Trends von bezahlter Care-Arbeit und ihrer strukturellen Geringschätzung, gerade auch unter Pandemie-Bedingungen. Die Perspektive des Beitrags macht die aktuelle Krankenhausbewegung in Deutschland, die Care-Arbeit politisiert und Sorgeextraktion skandalisiert, als emanzipatorischen antineoliberalen Kampf verständlich.

Die verheerenden Auswirkungen der gegenwärtigen ökologischen Krisen werfen die Frage nach den strukturellen Bedingungen auf, die die systematische Zerstörung der Natur aufrechterhalten. Jason Moore sieht hier den Kapitalismus und nicht die Menschheit im Allgemeinen am Werk. Um die Beziehung zwischen Kapitalismus und Natur zu verstehen, analysiert Moore, wie der Kapitalismus Natur für sich arbeiten lässt. Er versteht den Kapitalismus nicht nur als Erzeuger von Veränderungen im Netz des Lebens, sondern auch als ein Produkt des Netzes des Lebens. Moore attestiert dem gegenwärtigen Kapitalismus, dass ihm die bedeutenden Grenzgebiete der cheap natures ausgehen. Die Wiederbelebung eines neuen goldenen Zeitalters des Kapitalismus erscheint daher als ein unwahrscheinliches Szenario.

Die Wohnraumproduktion war und ist ein zentrales Feld kapitalistischer Akkumulation. Als solches ist sie immer wieder Gegenstand akademischer Kapitalismuskritik sowie Ausgangspunkt wohnungspolitischer sozialer Bewegungen. Lisa Vollmers Beitrag nimmt beides in den Blick. Er stellt zwei Phasen der Kritik sozialer Bewegungen an der kapitalistischen Wohnraumversorgung vor, die eng mit unterschiedlichen Phasen kapitalistischer Akkumulationsregime, dazu gehörender Wohnraumregime und deren Krisen verbunden sind: die Kritik der Mieter:innenbewegung an der Wohnraumversorgung in der fordistischen Stadt Westdeutschlands in den 1970er Jahren und die Kritik der Mieter:innenbewegung in der neoliberalen Stadt heute. Vollmers Analyse macht deutlich: So, wie sich der Kapitalismus mit der Zeit wandelt, so wandelt sich auch die von sozialen Bewegungen artikulierte Kapitalismuskritik.

Mit diesen Beiträgen hoffen wir, einen Beitrag zum Verständnis sowohl des Funktionierens und des aktuellen Wandels des Kapitalismus als auch zu seinen verheerenden Auswirkungen auf das Soziale und die Ökologie zu leisten und damit Anstöße für eine auch praktisch werdende Kapitalismuskritik zu liefern. Sicher bietet der Sammelband kein umfassendes Bild des gegenwärtigen Kapitalismus und seiner Folgen. Er soll aufzeigen, wie einzelne aktuelle Phänomene im Kontext des kapitalistischen Wirtschaftssystems und seiner historischen Entwicklung verstanden werden können. Ein solches Projekt der Kapitalismuskritik ist notwendigerweise immer unabgeschlossen und muss sich mit dem Kapitalismus entwickeln. 

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Der Kapitalismus und seine Kritik

Der Kapitalismus – und kein Ende?

Alex Demirović