Katharina die Große - Reinhold Neumann-Hoditz - E-Book

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Reinhold Neumann-Hoditz

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Beschreibung

Katharina die Große (1729 – 1796) hat als Zarin ihr Land über drei Jahrzehnte regiert und Russlands Stellung als europäische Großmacht erneuert und gefestigt. Innenpolitisch hat die arbeitsame und gebildete Monarchin ein zwiespältiges Erbe hinterlassen: neben zahlreichen Reformen bewirkte sie auch eine Stärkung der überkommenen Sozialordnung und sorgte für die Ausdehnung der Leibeigenschaft. So ging sie, obwohl vom Geist der Aufklärung geprägt, als eine "Zarin des Adels" in die Geschichtsbücher ein.

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Reinhold Neumann-Hoditz

Katharina die Große

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Über dieses Buch

Katharina die Große (1729–1796) hat als Zarin ihr Land über drei Jahrzehnte regiert und Russlands Stellung als europäische Großmacht erneuert und gefestigt. Innenpolitisch hat die arbeitsame und gebildete Monarchin ein zwiespältiges Erbe hinterlassen: Neben zahlreichen Reformen bewirkte sie auch eine Stärkung der überkommenen Sozialordnung und sorgte für die Ausdehnung der Leibeigenschaft. So ging sie, obwohl vom Geist der Aufklärung geprägt, als eine «Zarin des Adels» in die Geschichtsbücher ein.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Über Reinhold Neumann-Hoditz

Reinhold Neumann-Hoditz, 1926–1999, studierte osteuropäische Sprachen und Slawistik in Heidelberg und Hamburg. Er arbeitete zwölf Jahre als außenpolitischer Redakteur, unternahm als Berichterstatter weltweite Reisen und war als Rundfunk-Korrespondent in Moskau tätig. Danach lebte er als freier Publizist in Hamburg.

1966 erschien sein Asien-Bericht «Chinas heimliche Fronten». Für «rowohlts monographien» schrieb er die Bände über Ho Tschi Minh (1971), Alexander Solschenizyn (1974), Nikita Chruschtschow (1980), Peter den Großen (1983), Dschingis Khan (1985), und Iwan den Schrecklichen (1990).

Vorwort

Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, die Deutsche auf dem Zarenthron. Mit keiner anderen Frau hat sich die Phantasie so beschäftigt wie mit der Prinzessin, die als Katharina II. die Große Geschichte machte. Die Aufklärer des Westens priesen sie als ihre Prophetin auf russischem Boden, als «Licht des Nordens», als die Semiramis aus St. Petersburg. Die Russen halten sich mit Lobeshymnen zurück. Für sie war und ist die Zarin ein Symbol kluger Machtpolitik, die, so gesehen, das Werk Peters des Großen fortsetzte. Die Polen wissen ein Lied davon zu singen, denn in Katharinas Regierungszeit verschwand die Rzeczpospolita von der Landkarte Europas. Katharina selbst verstand sich als Nachfolgerin Peters I., dem sie in der Hauptstadt demonstrativ ein Denkmal setzte. In Wirklichkeit ist sie von Peters innenpolitischen Grundsätzen abgerückt und hat den Geist seiner Reformen verraten. Alexander Puschkin, der die petrinische Umgestaltung Russlands besang, sah in der Kaiserin nur einen «Tartuffe im Rock, die Krone auf dem Haupt».

Katharinas frühe und mittlere Jahre wurden durch die Devise des aufgeklärten Absolutismus geprägt: alles für das Volk, allerdings nichts durch das Volk. Das Grundübel der russischen Gesellschaft war die Leibeigenschaft der Bauern, die Rechtlosigkeit der Bevölkerungsmehrheit. Schon als Großfürstin erkannte Katharina die dringende Notwendigkeit, die Lage des Muschiks zu verbessern. Als Kaiserin allerdings kapitulierte sie vor den ersten Schwierigkeiten, denen sie dabei begegnete. Mehr noch: In der Regierungszeit Katharinas II. hat sich die Lage der Bauern drastisch verschlechtert. Die Zarin vermehrte die Zahl der Leibeigenen im Vergleich zu den freien Pächtern und mutete den Versklavten auch noch zu, sich klaglos der empörenden gutsherrlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Der Vorwurf der Scheinheiligkeit trifft Katharina deshalb zu Recht, weil sie dennoch, gerade mit Blick auf Westeuropa, jede Gelegenheit nutzte, sich als mustergültige Wohltäterin an allen ihren Untertanen in Szene zu setzen.

Die Macht veränderte den Menschen Katharina, die schon als Kind von Krone und Herrschaft träumte. Der reine Absolutismus siegte, die Aufklärung wurde beiseitegeschoben. Hinzu trat die Furcht der Kaiserin vor dem Zorn des Volkes, der sich im Aufstand Pugatschows entlud, und, später, die Angst vor dem Bazillus der Französischen Revolution. So kam es, dass Katharina II. die Privilegien des Adels zementierte, dem sie, repräsentiert durch die Garde, ihre Macht verdankte, dass sie das Gebot der Toleranz missachtete, zu dem sie sich als junge Frau bekannt hatte. Radischtschew und Nowikow, die Literaten und Dissidenten, bekamen diese Wandlung der Monarchin bitter zu spüren.

Anfang August 1767 wurde im großen Audienzsaal des Moskauer Kreml einer gesetzgebenden Versammlung die Instruktion der Kaiserin verlesen. Ergriffen vernahmen die Delegierten die erhabenen, Montesquieus «De l’esprit des lois» entnommenen Worte von natürlicher Freiheit, Wohlfahrt der Untertanen, von der Gerechtigkeitsliebe eines Souveräns. Sie glaubten, ihre Zarin selbst habe solche Sätze geprägt, und beschlossen eine besondere Manifestation des Dankes. Sie trugen Katharina die Beinamen an: «Die Große, Allweise und Mutter des Vaterlandes». Mit den entsprechenden Epitheta war Peter I. einst geehrt worden, nachdem er sein Lebenswerk beinahe vollendet hatte. Bescheiden wehrte die Zarin ab. Sie wolle es, meinte Katharina, der Zeit und der Nachwelt überlassen, unparteiisch darüber zu urteilen, ob sie eine Große genannt werden dürfe. Die Thesen Montesquieus blieben für Russland unverbindliche Floskeln; das reformerische Gesetzeswerk, das Katharina anvisierte, kam nie zustande. Bis heute vermeiden es russische Autoren in der Regel, Katharina II., die als Philosophin auf dem Thron gelten wollte, eine «Große» zu nennen. Im Westen dagegen wirkten Katharinas Worte und Schriftsätze zusammen mit dem Charme, den sie ausstrahlte, umso mehr, weil die freiheitliche Botschaft aus Russland kam, dem fernen und unbekannten Land, dessen Regierung man sich nur als despotisch vorstellen konnte. Von Voltaire bis zu Goethe haben viele Katharina als eine, historisch gesehen, große Persönlichkeit bezeichnet, obgleich der Ruhm, den sie meinten, auf Missverständnissen beruhte. So blieb der Zarin ihr Titel bis in die Gegenwart erhalten.

Andererseits war Katharina II. eine kluge, belesene, vielseitig interessierte Frau, die ihre Weggefährten tatsächlich in den Schatten stellte. Sie besaß politischen Instinkt, eine außergewöhnliche politische Begabung, die sie geschickt einzusetzen verstand. Dieses Bild war und ist zu Unrecht verfälscht durch den Klatsch und die Legenden, die das abwechslungsreiche Liebesleben der Zarin betreffen, der das Glück eines harmonischen Ehe- und Familienlebens oder einer auf Dauer befriedigenden menschlichen Partnerschaft versagt blieb.

Katharina war eine emanzipierte, im heutigen Sinn moderne Frau, die zudem mit der Feder umzugehen wusste, als Schriftstellerin, Journalistin, Propagandistin ihrer eigenen Sache. Wir haben Respekt vor der erstaunlichen Energie, die Katharina, vieles zur gleichen Zeit beginnend, nie verließ. Achtung auch davor, wie sich die Ausländerin auf ihre neue Heimat einstellte, die russische Sprache studierte und pflegte, die Chroniken durchforschte, altrussische Geschichte beschrieb, wenn auch allzu subjektiv und belehrend, und ihren Enkeln Alexander und Konstantin großmütterlich-liebevoll vaterländischen Unterricht erteilte.

Um die Bildung der Jugend war die Kaiserin auch generell mit pädagogischem Eifer bemüht. Sie legte den Grundstein für das russische Volksschulwesen (1782) und verfasste Schulbücher. Denn allgemeine Schulen gab es kaum in den größeren Städten, und Analphabeten waren sogar unter den Adeligen auf dem Lande anzutreffen. Das Petersburger Smolny-Institut, von Katharina 1764 gegründet, war die erste russische Lehr- und Erziehungsanstalt für Frauen, für adelige Mädchen. Die Zarin kümmerte sich um verwahrloste Stadtkinder und Waisen und ging bei der Pockenimpfung mit gutem Beispiel voran.

Natürlich behinderte das System der Leibeigenschaft die allgemeine kulturelle Entwicklung. Aber es gab auch fortschrittliche und menschliche adelige Grundherren. Ihrer soll nicht zuletzt gedacht werden. Sie ließen ihren Bauern die Freiheit, Talente zu entfalten, auf dem Gebiet der Architektur, Musik und Malerei, des Theaters. Die Besucher des Palast-Museums im Moskauer Stadtteil Ostankino, der ehemaligen Besitzung der Grafen Scheremetjew, können sich vom künstlerischen Schaffen der Leibeigenen zur Zeit Katharinas überzeugen. Bartolomeo Rastrelli, der große Baumeister, hatte Russland 1762 verlassen. Unter den Nachfolgern, die russische Städte schmückten, waren auch einheimische Architekten wie Wassilij Baschenow oder Matwej Kasakow, die bescheidenen Verhältnissen entstammten.

Das heißt, auch zu Katharinas Zeiten hat sich Rusland bewegt, nicht nur durch die Gewalt der Waffen. Doch es waren die äußeren Erfolge der katharinischen Epoche, die Zunahme an Macht und gesamteuropäischem Prestige, die das Selbstgefühl der Russen erheblich stärkten.

Cliquenkämpfe und Palastrevolten

Den regierenden Hofkamarillas und dem schmarotzenden Adel stand das entrechtete Volk stumm gegenüber. Das Volk, das war die Masse der leibeigenen Bauern, der niedrigste Stand der Gesellschaft. Seit Menschengedenken wurde der Muschik als Eigentum seines Grundherrn betrachtet. Seit hundert Jahren war er auch durch Gesetz an das Land, auf dem er schuftete, und an den adeligen Grundbesitzer gefesselt. Es galt nicht nur, die Arbeitskraft der ländlichen Bevölkerung zu sichern und das Rekrutierungspotenzial für die militärischen und wirtschaftlichen Unternehmungen des Staates (Städtebau, Kanalprojekte usw.). Es gab auch rein fiskalische Gründe, die Leibeigenschaft zu zementieren. Denn: Je größer die Macht des Gutsbesitzers über seine Bauern war, desto gesicherter war auch das Einkommen des Staates. Peter . hatte den Gutsherren das Recht zugestanden, die Abgabe von den einzelnen Seelen (poduschnaja podatj) direkt von den Leibeigenen einzutreiben. Diese Kopfsteuer war die Haupteinnahme des russischen Staates. Das Problem der «toten Seelen», der gestorbenen Bauern, für die noch Steuern entrichtet werden mußten, hat Nikolaj Gogol in seinem Meisterwerk behandelt. Seelensteuer mußten auch die Stadtbewohner entrichten; der Dworjanin, der seiner Dienstpflicht genügen sollte, war von persönlichen Abgaben befreit.

Rußland war das klassische Bauernland. Peter der Große hinterließ seinen Nachfolgern etwa dreizehn Millionen Untertanen. In Städten lebten insgesamt nur 328000 Menschen. (Paris allein zählte damals eine halbe Million Einwohner.) Die Verwandlung dieses hinterwäldlerischen Reichs in eine europäische Großmacht, die der Zar mit seltener Willenskraft vollzog, die unablässigen Kriegs- und Frondienste, die er seinem Volk in dreißigjähriger Selbstherrschaft auferlegte, hatten die Kräfte der Russen aufs äußerste erschöpft. Selbst der Adel sehnte sich nach einer Atempause. Die Zeit der Nachfolger Peters (1725–1762) war im Vergleich zur Epoche der petrinischen Reformen eine Zeit der Erschlaffung, des Abflauens der staatlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten.

 

Beim Tod Peters I. kam es zu einer Konfrontation. Die Hocharistokratie wollte Peter Alexejewitsch, den zehnjährigen Enkel des Verstorbenen, zum Zaren erheben. Der Enkel, Abkömmling aus Peters erster Ehe, war der einzige männliche Romanow. Ihm werde es gegeben sein, so hofften die Befürworter dieser Wahl, Russland zu den alten Traditionen zurückzuführen, die sie durch die forcierte «Europäisierung» gebrochen sahen. Die neue Elite dagegen plädierte für Katharina, die zweite Ehefrau Peters, die der Monarch zwar eigenhändig gekrönt, aber nicht ausdrücklich zu seiner Nachfolgerin ernannt hatte. Katharina, von bäuerlicher polnisch-litauischer Herkunft, war insbesondere beim Militär sehr beliebt, denn sie hatte den Zaren auf vielen Feldzügen begleitet und die Strapazen der Truppe geteilt. Während sich in der Petersburger Residenz die Würdenträger stritten, ließen die Anhänger Katharinas die Garderegimenter aufmarschieren. Unter der Drohung mit Gewalt wurde das Nachfolgeproblem schnell gelöst. Mit Katharina I. bestieg zum ersten Mal eine Frau den Zarenthron. Als Selbstherrscherin allerdings war die Kaiserin[1] ungeeignet. Für sie übernahm Alexander Danilowitsch Menschikow, der skrupellose Emporkömmling, die Regierungsgeschäfte. Menschikow, Katharinas ehemaliger Geliebter, der Intimfreund Peters des Großen, war der erste Günstling in der russischen Geschichte: Nach Katharinas Tod wurde der Generalissimus gestürzt; aus der sibirischen Verbannung kehrte er nicht mehr zurück.

Katharina I. überlebte ihren Mann um nur zwei Jahre. Nach ihrem Tod (1727) gelangte der unmündige Peter II. Alexejewitsch auf den Thron, den viele als den einzig rechtmäßigen Erben Peters des Großen betrachteten. Peter II. starb am 19. Januar 1730 an den Pocken. Er wurde vierzehn Jahre alt. Mit ihm erlosch die männliche Linie der Dynastie Romanow.

Unterdessen nahm das Werk Schaden, das Peter der Große geschaffen hatte. Ein Oberster Geheimer Rat, dem die wichtigsten Würdenträger aus beiden adeligen Lagern angehörten, wurde den Selbstherrschern beigegeben; Senat und Kollegien (Ministerien), die Peter I. als höchste Verwaltungsinstanzen eingesetzt hatte, verloren ihre Bedeutung. Unter dem Einfluss der alten Familien, vor allem des Hauses Dolgorukij, die sich in St. Petersburg nie heimisch gefühlt hatten, verließ Peter II. die neue Hauptstadt und verlegte den Hof zurück nach Moskau. Die Stadt an der Newa schien der Verödung preisgegeben zu sein, zumal gewisse Handelsprivilegien aufgehoben wurden, die dem Ostseehafen eingeräumt worden waren. Die Flotte, Peters des Großen ganzer Stolz, verkam, weil die Schiffe nicht mehr gewartet wurden; russische Segler tauchten nur noch selten in westeuropäischen Häfen auf.

Die Willkür des Einzelnen trat an die Stelle der diktatorischen petrinischen Ordnung. Während der Moskauer Hof mit einem Knaben als Kaiser rauschende Feste feierte, kehrten die adeligen Grundherren, vieler Dienstpflichten ledig, auf ihre Güter zurück, um dort nach dem «Rechten» zu sehen. Denn immer mehr Bauern entzogen sich ihrer Fron durch die Flucht in die Steppen des Südens, aber auch in die Wälder des Nordens und Ostens oder auf polnisches Staatsgebiet, wo die Leibeigenschaft weniger krasse Formen angenommen hatte. Die Gutsbesitzer waren durch Gesetz berechtigt, nach «ihren» Bauern im ganzen Land zu fahnden, sie einzufangen und zurückzuschleppen. Die Regierung half ihnen dabei, indem sie Soldaten als Häscher zur Verfügung stellte.

 

Wieder war der Thron verwaist, und die Adelscliquen traten auf den Plan. Die alteingesessene Aristokratie hielt nach einer ihr gefügigen Herrscherin Ausschau (männliche Romanows gab es ja nicht mehr). Dem Einfluss hochmütiger Aufsteiger und Favoriten à la Menschikow wollte man zuvorkommen. Fürst Dmitrij Michailowitsch Golizyn nominierte Anna Iwanowna, die früh verwitwete Herzogin von Kurland, eine Nichte Peters des Großen.[2] Sie akzeptierte die Bedingungen, die ihr der Oberste Geheime Rat übermittelte, in dem zu diesem Zeitpunkt die großen Familien die Mehrheit hatten. Hätten sich die Golizyn und Dolgorukij durchgesetzt, so wäre die Selbstherrschaft, wenn auch nicht die Monarchie, abgeschafft worden zugunsten einer Oligarchie aus Repräsentanten des grundbesitzenden Hochadels. (Das schwedische Beispiel hatte Golizyn inspiriert.) Doch der mittlere und niedere Adel spielte nicht mit. Der Dworjanin, der in der Tat, verglich er sich mit diesen «Bojaren», oft in bescheidenen Verhältnissen lebte, sah seine Rechte bedroht. Er überwand seine politische Passivität, organisierte Versammlungen mit Diskussion und legte seinerseits Verfassungsentwürfe vor, die geradezu freiheitlich anmuteten. Die meisten Dworjane allerdings, und der deutschstämmige Vizekanzler Ostermann, waren für die uneingeschränkte Autokratie, weil sie sich von einer mächtigen Zarin zusätzliche Privilegien erhofften. Wieder mischte sich die Garde ein. Offiziere bedrohten jeden, der die Selbstherrschaft antastete. Kaiserin Anna ließ sich die «Konditionen» bringen, die sie schon unterzeichnet hatte. Vor den Augen der Versammelten zerriss sie das Dokument und erklärte, sie werde selbstherrscherlich regieren.

Anna Iwanowna, 37 Jahre alt, entpuppte sich als herrschsüchtig und grausam. Sie belohnte den Provinzadel, der sie unterstützt hatte, durch Erleichterung seiner militärischen Dienstpflicht. Der Oberste Geheime Rat wurde aufgelöst; der Hof kehrte nach St. Petersburg zurück. Aus Kurland ließ die Kaiserin einen Schwarm von Günstlingen nachkommen. Sie nahmen die wichtigsten Posten ein, weil Anna den Russen, die es gewagt hatten, ihr Bedingungen zu stellen, trotz des für sie guten Ausgangs misstraute. Es waren Deutsche, vor allem aus dem baltischen Adel, die nun, zehn Jahre lang, in Russland den Ton angaben. Schon die ersten Romanows hatten ausländische Fachleute, Handwerker, Offiziere und Künstler, in ihren Dienst genommen. Diese passten sich in aller Regel an, sie halfen Russland und wurden von den Russen akzeptiert. Viele deutschbaltische Edelleute dagegen zeigten für alles Russische tiefe Verachtung; ihnen ging es allein darum, sich in ihren hohen Ämtern zu bereichern. Als typisches Beispiel dafür ist Ernst Johann Biron (von Bühren, 1690–1772) in die russische Geschichte eingegangen. Der Favorit war schon in Mitau der Geliebte der Herzogin gewesen. In Russland blieb er, gewissermaßen, Annas Leibsekretär. Birons Vollmachten waren unumschränkt; die Staatskasse stand ihm zur Verfügung, Gesuche von Behörden und Privatpersonen landeten in seiner Hand. Ausländer deutscher Nationalität hatten auch in der Armee das Sagen. Burchard Christoph Münnich (1683–1767), gebürtig aus dem Oldenburger Land, avancierte unter der Zarin Anna zum Feldmarschall; er focht erfolgreich gegen die Türken. Heinrich J.F. Ostermann, ein fähiger und korrekter Administrator, fungierte jetzt als Chef des Kabinetts.

Birons Herrschaft war zugleich eine Zeit des ungezügelten Terrors gegen echte oder vermeintliche Gegner. Denn Anna und ihr Favorit lebten in ständiger Angst vor Aufruhr und Umsturz. Unzufriedene wurden auf Verdacht in den Folterkammern der neugegründeten Geheimen Kanzlei gepeinigt. Deportationen nach Sibirien und Exekutionen waren an der Tagesordnung. Zur gleichen Zeit prasste der Hof in einem bisher unbekannten Ausmaß. Entsprechend wurde die Bevölkerung durch immer neue Abgaben ausgepresst; Soldaten trieben die Steuerrückstände ein. Die Bironowschtschina, so wurde das Schreckensregiment im Volk genannt, gehört, wie die Grausamkeiten Iwans des Gestrengen (des Schrecklichen) und die Diktatur Stalins zu den dunklen Kapiteln russischer Geschichte.

Anna Iwanowna hatte keine Kinder. Zum Thronerben machte sie ihren Großneffen Iwan Antonowitsch, den Sohn ihrer Nichte Anna Leopoldowna, der Tochter des Karl Leopold Herzogs von Mecklenburg-Schwerin, die Anton Ulrich den Jüngeren Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel geheiratet hatte. (Die Romanows liierten sich gern mit deutschen Fürstenhäusern, die somit im russischen dynastischen Spiel eine wichtige Rolle übernahmen.) Die Regentschaft war Biron zugedacht. Kaiserin Anna starb am 17. Oktober 1740. Drei Wochen danach stürzte Feldmarschall Münnich seinen Rivalen Biron. Anna Leopoldowna wurde Regentin, doch Münnich nahm die Staatsgeschäfte wahr. Wieder wurde Russland von Ausländern beherrscht, von jenen Deutschen, die sich, Münnich allerdings war eher eine Ausnahme, durch ihre Überheblichkeit und Ignoranz, was Russland und die Russen betraf, den Zorn der russischen Gesellschaft zugezogen hatten. Nationalbewusste Adelige und Offiziere waren entschlossen, der «onemetschenje», der Verdeutschung des russischen Staatsapparats, ein Ende zu setzen. Es gab noch eine «echte» Russin ohne ausländischen Anhang, die für die Thronfolge in Frage kam: Elisabeth Petrowna, eine Tochter Peters des Großen, war bisher stets übergangen worden.[3] In der Nacht zum 25. November 1741 stellte sie sich an die Spitze des traditionsreichen Preobraschenskij-Regiments, des ersten Garderegiments, in dem der junge Zar Peter einst seinen Dienst versehen hatte. Mit einer Kompanie Grenadiere drang sie in den Petersburger Winterpalast ein. Anna Leopoldowna, ihr Mann und Iwan VI., ihr einjähriges gekröntes Kind, dessen Schicksal uns noch beschäftigen wird, verschwanden später in Cholmogory, im hohen Norden des europäischen Russlands; Ostermann und Münnich traten den Weg nach Sibirien an. Zum vierten Mal hatte die Garde mit einer Palastrevolte in die Geschick Russlands eingegriffen und die Cliquenkämpfe beendet. Als neue Kaiserin wurde Elisabeth Petrowna auch von der Bevölkerung gefeiert.

Jugend in Deutschland

Sophie Auguste Friederike, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, die als Zarin Katharina II. in die Geschichte eingegangen ist, wurde am 2. Mai 1729 in Stettin geboren. In ihren Erinnerungen hat die Kaiserin ihre Kindheit und Jugend ausführlich beschrieben, der Stadt an der Oder aber kaum Beachtung geschenkt. Das Leben in dem grauen Schloss über dem Strom, einst Residenz der pommerschen Herzoge, war für das junge Mädchen nicht gerade abwechslungsreich gewesen; kurzweiligere Begebenheiten ihrer Jugend in Deutschland hatten sich der Memoirenschreiberin eingeprägt. Als Baron von Grimm Stettin besuchen wollte, schrieb Katharina ihrem Briefpartner und Vertrauten: Was wollen Sie dort? Sie werden dort Niemand vorfinden … Bestehen Sie aber auf Ihrem Stücke, so erfahren Sie, daß ich in Greifenheims Hause auf dem Marien-Kirchhof geboren bin, im linken Flügel des Schlosses gewohnt habe und erzogen wurde, daß ich drei gewölbte Stuben neben der Kirche innehatte und daß der Glockenthurm an meine Schlafstube stieß. Dort unterrichtete mich Mademoiselle Cardel und hielt Herr Wagner seine Prüfungen mit mir ab; von dort aus hatte ich täglich zwei oder dreimal in lustigen Sprüngen zu meiner Mutter zu eilen, welche das andere Ende des Schlosses bewohnte. Alles dieses bietet durchaus kein Interesse dar, wenn Sie nicht etwa auf den Einfall gerathen, daß das Local einen gewissen Einfluß auf die Production leidlicher Kaiserinnen zu üben geeignet sei; in diesem Falle müßten Sie dem Könige von Preußen empfehlen, dort eine entsprechende Baumschule dieser Art anlegen zu lassen.[4] Humor und Huld der ehemaligen Schlossbewohnerin wussten die Stettiner zu schätzen; dankbar verzeichneten sie, dass die Kaiserin dem Magistrat ihrer Geburtsstadt regelmäßig alle Gedenkmünzen zuschicken ließ, die sie aus besonderen Anlässen hatte prägen lassen.

Am Anfang des 18. Jahrhunderts war Stettin noch Bestandteil des schwedischen Großreichs gewesen. Im Nordischen Krieg gegen Schweden, in dem sich Preußen schließlich auf die Seite Russlands schlug, wurde die Vormachtstellung Stockholms im Ostseeraum gebrochen. Stettin ging 1720 in preußischen Besitz über.

Das Fürstentum Anhalt-Zerbst gehörte zu den kleinsten und ärmsten der zahllosen politischen Gebilde, die der Landkarte Deutschlands ihre farbige Unübersichtlichkeit verliehen. Für das Haus Anhalt gilt nicht das Recht der Primogenitur; alle Prinzen eines Zweiges von Anhalt haben ein Recht auf Teilung, und sie haben so oft geteilt, daß fast nichts mehr zu teilen übrigbleibt, bemerkte Katharina II. in ihren Memoiren.[5] Christian August (geb. 1690), ein Fürst aus dem Hause Anhalt-Zerbst, doch ohne ein Fürstentum, diente in der Armee des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. Als Generalmajor befehligte er das Infanterieregiment Nr. 8 in Stettin. Am 8. November 1727 heiratete der Fürst die fünfzehnjährige Prinzessin Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorp aus ebenfalls unvermögender Familie, die sich jedoch einer weitverzweigten, renommierten Verwandtschaft rühmen konnte. Das Paar bewohnte ein eher bescheidenes Haus in der späteren Großen Domstraße[6]; dort kam das erste Kind zur Welt. Es war ein Mädchen, das auf die Namen Sophie Auguste Friederike getauft wurde.

Trotz des Altersunterschieds von 22 Jahren und der grundverschiedenen Charaktere lebten Vater und Mutter anscheinend ganz vorzüglich zusammen, erinnerte sich Katharina: Mein Vater zum Beispiel war sehr sparsam, meine Mutter dagegen recht verschwenderisch und freigebig. Meine Mutter liebte Vergnügungen und die große Welt außerordentlich, mein Vater schätzte die Zurückgezogenheit. Sie war heiter und mutwillig, er ernst und von großer Sittenstrenge. Aber beide hatten eine feste religiöse Grundlage und hielten die Gerechtigkeit hoch, namentlich mein Vater. Ich habe niemals einen in Grundsätzen wie Taten ehrenhafteren Mann gekannt, der höchste Achtung verdient. Strengste Rechtlichkeit leitete stets seine Schritte. Meine Mutter galt für klüger und geistvoller als mein Vater, aber er war ein Mann von rechtem und gediegenem Sinne mit reichen Kenntnissen. Er las gern, meine Mutter ebenfalls, aber alles, was sie wußte, war sehr oberflächlich. Ihr Geist und ihre Schönheit hatten ihr einen großen Ruf eingetragen, überdies beherrschte sie den Ton der großen Welt besser als mein Vater.[7]

Ehrgeiz, Mutwilligkeit, Lebhaftigkeit waren Eigenschaften, die Sophie von ihrer Mutter übernahm. Kenntnisse suchte sie sich anzueignen, nicht zuletzt auf den Reisen zu den Höfen der deutschen Verwandten. Von jener Rechtlichkeit, die das junge Mädchen an ihrem Vater schätzte, hat sich die Kaiserin allerdings, war ihre Eitelkeit verletzt, sah sie die selbstherrscherliche Autorität gefährdet, oft genug beschämend weit entfernt.

Erzieherische Qualitäten besaß Johanna Elisabeth kaum; bei Sophies Geburt war sie noch nicht einmal siebzehn Jahre alt. Zudem zeigte sich die junge Mutter nicht gerade begeistert darüber, dass ihr erstes Kind ein Mädchen war; sie hatte sich einen Sohn gewünscht. Meine Mutter wäre bei meiner Geburt fast gestorben und schwebte noch lange nachher zwischen Tod und Leben … Sie kümmerte sich nicht viel um mich. Sie schenkte anderthalb Jahre nach mir einem Sohn das Leben, den sie abgöttisch liebte. Ich war nur geduldet und wurde oft streng und hart behandelt und nicht immer gerecht; ich fühlte das, ohne jedoch über meine Empfindungen schon ganz klar zu sein.[8]

Psychologisch versierte Biographinnen der großen Kaiserin haben gerade an dieser Stelle der Erinnerungen eingehakt. Weil Katharina als Kind die Mutterliebe entbehrte, meinten sie, trieb es die reife Frau, sich mit immer neuen Liebhabern schadlos zu halten. Wie dem auch gewesen sein mag, über den Kummer der frühen Jahre kam Sophie bald hinweg. Ressentiments der Mutter gegenüber blieben jedoch ein Leben lang zurück.

Höchstes Lob spendete Katharina dagegen ihrer langjährigen Erzieherin, der schon erwähnten Mademoiselle Cardel, der sie im Alter von etwa vier Jahren anvertraut wurde. Die Französin Elisabeth (Babet) Cardel stammte aus einer Hugenottenfamilie, die in Brandenburg-Preußen Zuflucht gefunden hatte. Sie war ein Muster von Tugend und Klugheit … geduldig, sanft, heiter, gerecht, beständig, kurzum so, daß man nur allen Kindern jemand wie sie wünschen könnte.[9]