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Harun Pacic

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Beschreibung

Impulse zum Begriff des Rechts und zur juristischen Methodenlehre (Hermann Kantorowicz, Gustav Radbruch, Niklas Luhmann, Hans Kelsen) sowie zu Vernunft und Alterität (Kurt Walter Zeidler, Emmanuel Levinas, Jacques Derrida) mit ausführlichen Erläuterungen.

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Inhaltsverzeichnis

Der Begriff des Rechts

Vernunft und Alterität

Literatur

Der Begriff des Rechts

Vortrag zur Rechtstheorie

1.

DER BEGRIFF DES RECHTS von HERMANN KANTOROWICZ ist eine Schrift aus seinem Nachlass, die er 1939, im Jahr vor seinem Ableben, verfasst hat, um ein Werk über die Geschichte der Rechtslehre einzuleiten und auszurichten.1 Der Begriff des Rechts sollte der Lehre vom Recht gerecht werden; weder zu weit noch zu eng gefasst sein, um ihre Eigenart zu erfassen, ohne die Vielfalt der Lehrrichtungen zu übersehen.2

Hierfür suchte er nicht das Wesen des Rechts zu ergründen oder den Gebrauch des Wortes Recht abzuklären, sondern den Rechtsbegriff so zu bestimmen, wie er für Rechtsgelehrsamkeit (Jurisprudenz) erforderlich ist.3

Die Theorie des Rechts, die er hierzu fruchtbar gemacht hat, hatte er zehn Jahre zuvor umrissen, um seine Lehre vom freien Recht zu erläutern.4 Diese gründet in einer Rechtsphilosophie, die für ihre Rechtsethik eine allgemeine Rechts- und juristische Methodenlehre in sich begreift.5

Die Rechtslehre von Kantorowicz fußt erkenntnistheoretisch auf einem methodischen Trialismus, der besagt, dass wir jeden Gegenstand der Erkenntnis als ein Stück Wirklichkeit (Da-Sein) erfahren, als ein Sinngebilde (So -Sein) konstruieren sowie auf seinen Wert (Sein-Sollen) hin beurteilen (können und) müssen, wofern wir ihn in keiner Hinsicht verkennen wollen.6

Die Wirklichkeit des Recht ssatzes untersuchen wir, wenn wir die empirische Frage stellen, was damit beabsichtigt war, wie er verstanden wurde oder wird, ob und wie er angewendet und befolgt wird; seinen Sinn, wenn wir die konstruktive Frage stellen, mit welcher Deutung er sich in das ganze Rechtssystem einordnen lässt; und seinen Wert , wenn wir die kritische Frage stellen, ob dieser Sinn (Bedeutung sammenhang) gerecht ist.7

Die Rechtslehre verfährt, Kantorowicz zufolge, sowohl konstruktiv als auch empirisch und kritisch.8

GUSTAV RADBRUCH definierte vor diesem Hintergrund „Recht“ als die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswert; nämlich der Idee der (sozialen) Gerechtigkeit (Rechtsidee) zu dienen.9

Hermann Kantorowicz hat „Recht“ als eine Gesamtheit von Regeln bestimmt, welche äußeres Verhalten vorschreiben und als gerichtsfähig angesehen werden.10

Beide Definitionen sind insofern bedeutungsgleich, als sie in jeder Hinsicht dasselbe umgrenzen; sie deuten einander aus.

Wir eröffnen mit beiden Einsichten in die Systemtheorie von NIKLAS LUHMANN sowie in die Reine Rechtslehre von HANS KELSEN und der Wiener Schule der Rechtstheorie.11

System im Sinne der Systemtheorie ist die Differenz von System und Umwelt.12

Soziale Systeme – wie Wissenschaft und das Recht – sind operativ geschlossene, selbstreferentielle Prozesse; allesamt autopoietische Kommunikation ssysteme.13

Nach Luhmann bestimmt Recht als soziales System selbst , was zum Recht gehört und was nicht – zu klären ist, wie dies (einheitlich) geschieht.14

Wenn Kelsen von der Reinheit der Rechtslehre sprach, dann betrachtete er das Recht nicht als soziales System, sondern als Normenordnung, welche es ausschließlich rechtsdogmatisch zu erkennen gilt.15

2.

Da die Lehre das Recht von jedem erdenklichen Gesichtspunkt aus betrachtet, wies Kantorowicz die Merkmale der Positivität, der Erzwingbarkeit, der Staatlichkeit und der Verbindlichkeit als unbrauchbar zurück.16

Das Recht könne nicht auf die bindenden; auf die geltenden, mithin auf jene Regeln beschränkt werden, die in Kraft stehen: gerichtsfähig sind.17 Wenn wir uneingeschränkt „Recht“ sagen, so meinen wir aber nur das geltende Recht (Sprachgebrauch).

Wenn, weil und soweit Recht aus Kommunikationen (und Strukturablagerungen von Kommunikationen, die eine solche Sinngebung mitführen,) besteht, hat es aus eigener Kraft keine Bindungswirkung – es gilt, sofern es mit dem Geltungssymbol als geltend bezeichnet wird.18

Insofern es ist , ist es geltendes Recht – Geltung ist keine Norm, denn Recht soll nicht gelten, entweder gilt es oder nicht; Geltung bewirkt Anschlussfähigkeit im System.19

Für Kelsen ist Geltung die Seinsweise der in der Dogmatik als verbindlich erkennbaren Regeln: diese nimmt an, dass man sich so verhalten soll , wie der Staat vorschreibt, die Verfassung gebietet – das ist es, was er die Grundnorm nennt, welche den Rechtsstaat begründet.20

Als ein solcher ist der Staat ebenso eine Einrichtung des Rechts wie eine Instanz politischer Verantwortung für Recht.21 Die Staats- oder Verfassungsgerichtsbarkeit ist die gerichtliche (justizielle) Garantie der Verfassung.22

Die Beschränkung des Rechts auf die erzwingbaren Regeln übergeht Kantorowicz zufolge sowohl Kanonistik und Legistik als auch Rechtsgeschichte und Völkerrechtslehre.23

Das Verfassungsrecht enthalte zwingend Regeln, die nicht erzwingbar seien.24

Zudem wohne eine Art von Zwang auch außerrechtlichen Sitten inne.25 Recht sei nicht das, was Behörden anwenden; sie seien jene Einrichtungen, die das Recht anwenden sollen.26

Politik benutzt die Macht als Medium, wohingegen ein Sollen keinerlei Machtüberlegenheit voraussetzt.27

Insofern von der Verfassung des Staates die Rede ist, ist in der Systemtheorie die strukturelle Koppelung von Politik und Recht angesprochen.28

Politik ist für Luhmann das Bereithalten der Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden, Demokratie das Austauschverhältnis von Regierung und Opposition.29

Das Erfordernis der positiven Festlegung aller Rechtsregeln hätte nach Kantorowicz zur Folge, dass Naturrechtslehre keine Recht slehre wäre; das Kriterium der Positivität hatte einst wohl lediglich den Sinn, das Recht frei von Ideologien zu denken.30

Für die Reine Rechtslehre meint positiv: durch menschliche Willensakte gesetzt.31 Positivität wird auch mit Abänderbarkeit von Regelungen gleichgesetzt.32

Das positive Recht ist förmliches Recht, Regelung; freies Recht im Sinne von Kantorowicz ist – grob gesagt – die Summe rechtskritischer Erwägungen.33

Freie Rechtsfindung ist angewandte Rechtsethik, die dann entscheidend wird, wenn und weil förmliches Recht sich als unzureichend: lückenhaft oder sozial abträglich erweist.34

Falls mit Rechtspositivität gemeint ist, dass alles Recht kultürlich sei; dass dahinter irgendeine Realität (Macht, Wille, Anerkennung) steht, dann war für Kantorowicz klar, dass auch freies Recht positives Recht zu nennen sei.35

Radbruch fasste die positivistische Lehrrichtung so zusammen, dass sie letztendlich Recht mit Macht gleichsetze: Das Gesetz gelte, weil es Gesetz sei, und es sei Gesetz, wenn es in der Regel der Fälle die Macht habe, sich durchzusetzen.36

Es könne aber Gesetze geben, die derart ungerecht seien, dass ihnen die Geltung, ja sogar der Rechtscharakter abgesprochen werden müsse – Rechtsgrundsätze, die stärker als jede Satzung, als jede Verordnung seien, nenne man seit alters Naturrecht oder Vernunftrecht.37

Für Kelsen weist das Naturrecht einen materiellen, das positive Recht indes einen formellen Geltungsgrund auf.38

ALFRED VERDROSS, Mitbegründer der Wiener Schule, unterschied hingegen zwischen statischem und dynamischem Naturrecht.39

Luhmann setzte die „Positivität“ von Recht mit seiner operativen Geschlossenheit als soziales System gleich, welches gleichwohl kognitiv offen operiere.40

Das Fallrecht sowie das Gewohnheitsrecht als Juristenrecht und das Kirchenrecht belegen für Kantorowicz, dass staatliche Regeln nicht das ganze Recht ausmachen.41 Rechtspflege sei dennoch hauptsächlich eine Staatstätigkeit.42

Staat gilt ihm als ein Träger von rechtlich unentziehbaren Rechten zur Ausübung von Herrschaft (Amtsgewalt) über die Bevölkerung auf seinem Hoheitsgebiet.43

Für Radbruch wird der Staat an sein Recht gebunden durch natürliches Recht, das (form-/staats-)freies Recht ist.44

Kelsen zufolge sind Recht und Staat identisch;45

das Recht sei das von und für Menschen gesetzte, grosso modo wirksame und gesellschaftlich organisierte Zwangsakte statuierende Regelungssystem – Zusammenhang von Normen, die für unerwünschtes Verhalten die Setzung gesellschaftlich organisierter Zwangsakte anordnen.46

Kelsen beschränkte den Staat zwar auf das Recht, aber nicht dem Inhalt, sondern der Form nach; der Staat kann nicht anders als auf dem Wege Rechtens handeln.47

Das staatliche Recht ist positiv (förmlich), zwangsbewehrt (durchsetzbar) und wirksam (effektiv).48

Die Rechtskraft greift sonach der Gerechtigkeit vor, setzt Recht ethischer Kritik aus.49

3.

Hermann Kantorowicz definierte Recht als eine Gesamtheit von Regeln, nicht als Menge von Tatsachen, denn die Realität des Rechts sei – wie sein Wert – nicht das Recht selbst ; Recht sei ein Sinngebilde.50

Radbruch sprach zwar vom Recht als einer Wirklichkeit, meinte aber ein geistiges Gebilde, ein Kultur gebilde.51

Regeln bilden für Kantorowicz dann eine Gesamtheit , wenn sie zusammenhängen; gemeinsame Merkmale aufweisen, die sie in wechselseitige Abhängigkeit bringen, wie: Zugehörigkeit zum privaten oder zum öffentlichen Recht, zu demselben Staat oder zur selben Kodifikation.52

Systemtheoretisch ist die Einheit des Rechts das Faktum seiner Selbstproduktion – Autopoiese.53

Die Regel besagt; so Kantorowicz – sei es kategorisch oder hypothetisch –, wie wir uns verhalten sollen.54

Wer ein Verhalten für gesollt erklärt, erkenne an, dass einer Person eine zweifache Pflicht zukomme:

die primäre Pflicht, sich derart zu verhalten, wie sie sich womöglich nicht verhalten würde; sowie die sekundäre Pflicht, sich für ihr Verhalten zu verantworten.55

Keine dieser Pflichten hielt er für anerkennenswert , gäbe es keine grundlegende, absolute Regel, die außer Streit steht und ihnen aufgrund des eigenen geltenden Sinngehalts abgeleitete Gültigkeit verleiht.56

Den Dualismus von Tatsachen und Regeln hielt Kantorowicz für so grundsätzlich, dass er nicht erfolgreich bekämpft werden könne.57 Bei Radbruch spiegelt er sich in der neukantianischen Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Wert.58

Kelsen hat Sein und Sollen strikt auseinandergehalten, und Luhmann hielt die Unterscheidung von Normen und Fakten im Rechtssystem für entscheidend, weil sie jene von Selbst- und Fremdreferenz im System repräsentiere.59

Nach ihrem Geltungsgrund hat Kantorowicz drei Arten von Regeln unterschieden, ohne sie gleichbleibend zu bezeichnen. Nennen wir sie hier: Bestimmungen, Normen und Dogmen.60

Eine Regel könne einer oder mehr Arten angehören; gehört sie keiner Art an, so gebe es keinen Grund , sie anzuerkennen.61

Angesprochen ist die rationale Begründung des Sollens.62

Kantorowicz fährt in seinem Gedankengang auf folgende Art und Weise fort:

1. Bestimmungen, Befehle (commands, imperatives) seien Regeln, deren Verbindlichkeit wir begründen, indem wir sie auf den Willen einer anerkannten, obersten Institution (authority) zurückführen.63

Die Regel ist gehalt voll nur, weil sie willentlich bestimmt ist.64

Aber , bemerkte Radbruch: ein Wollen könne ein Müssen hervorbringen, wenn es mit der Macht zu zwingen einhergehe, niemals Sollen;

Macht beruhe auf williger oder widerwilliger Anerkennung, aber weniger als Funktion des Willens, vielmehr des Gefühls.65

Das Wort „Befehl“ lässt an persönliche, „Bestimmung“ an institutionelle (öffentliche) Anweisungen denken, die mit Macht vorgeben, was Recht sei; so gilt der Staatswille als das Recht.66

Das staatliche geht als förmliches Recht für Kantorowicz in der Anwendung freiem Recht vor.67 Radbruch sprach hier von Rechtssicherheit ;

dadurch sei im Übrigen auch ein Völkerrecht postuliert.68

Systemtheorie nach Luhmann ermöglicht es, Recht in der Weltgesellschaft zu verorten.69

Alfred Verdross ordnete das Völkerrecht dem staatlichen Recht über , um eine Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten zu konstruieren.70 Völkerrecht erwächst als Menschheitsrecht aus Gewohnheit, Verträgen und durchgreifenden Grundsätzen nach Treu und Glauben.71

Für Luhmann besteht Rechtssicherheit in der Sicherheit, dass die Möglichkeit besteht, eine Angelegenheit rein rechtlich zu behandeln und zu entscheiden.72

Rechtsgeschichte und Soziologie des Rechts haben es hauptsächlich mit dem tatsächlichen Aspekt des Rechts zu tun; sie fragen bei ihrer Rechtsauslegung , was jeweils beabsichtigt, bestimmt, befohlen wurde.73

2. Normen, Vorschriften (norms, precepts) seien Regeln, die wir als wertvoll anerkennen, weil wir uns zur Verwirklichung höchster Werte verpflichtet fühlen.74

Luhmann hat beobachtet, dass die Geltungsgrundlage von Werten in der Kommunikation eine durch kommunikative Benachteiligung des Widerspruchs gehärtete Rekursivität ist; diskutiert wird über Präferenzen.75

Das Wort „Norm“ weist die Rechtsregel als Maßstab: Deutungsschema aus, während „Vorschrift“ darauf verweist, dass sie moralisch verbürgt ist.76 Stellen wir auf die Funktion der Norm ab, so erfassen wir sie als kontrafaktisch stabilisierte Erwartungshaltung – sie schützt uns nicht vor normwidrigem, sondern im Erwarten normgemäßen Verhaltens.77

Recht kann unbillig, ungerecht und doch Recht sein.78 Es ist aber Recht nur, wie Radbruch lehrt, weil es den Sinn hat, gerecht zu sein; oder mit Luhmann gesagt, wenn erwartbar ist, dass normatives Erwarten normativ erwartet wird.79

Der richtige Inhalt des Rechts kann für Radbruch nur aus der Zweckmäßigkeit der Rechtspolitik gewonnen werden.80 Nach Reiner Rechtslehre fallen staatliche Zwecke, öffentliches Interesse und rechtsförmliche Regelung zusammen.81

Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit sah Radbruch als Prinzipien des Rechts, Seiten der Rechtsidee, Dreieinigkeit.82 Für FRANZ BYDLINSKI umfasst ein wertbezogener Rechtsbegriff diese Fundamentalprinzipien (Grundwertungen), das positive Recht als eine (im Großen und Ganzen) wirksame Zwangsordnung und Regeln der juristischen Methodenlehre.83

Kantorowicz sprach von richtigem Recht dann, wenn es jemandes Gerechtigkeitsgefühl entspricht; die Rechtslehre sei damit aber nur insofern befasst, als es kulturbedeutsam sei.84

Bei Wertkollisionen fühle sich bald der eine, bald aber der andere Wert größer an; so verstumme das Rechtsgefühl.85

Aufgrund der Rechtssicherheit sagte Radbruch, dass inhaltlich als unrichtig empfundene Gesetze anzuwenden sind, doch war er der Meinung, dass sie ihre Geltung verlieren, wenn sie unerträglich sind.86 Sollten sie so sozial unver träglich sein, dass ihre Wirksamkeit, wennzwar nicht in jedem Fall, jedenfalls in der Regel nicht zu erwarten ist, dann ist davon auszugehen, dass sie für Kantorowicz zwar Recht , mangels Effektivität aber nicht staatliches Recht blieben – weil der Formvorrang besagt, dass förmliches dem freien Recht vorgeht, wären die besagten Gesetze nicht anwendbar .87

3. Dogmen (dogmas) erachten wir nach Kantorowicz nur deshalb als verbindlich, weil sie den logischen Zusammenhalt jener Regeln gewährleisten, die als geltende anerkannt sind.88 Jedes Regelsystem werde sinnvoll fortgebildet ; rationalisiert.89

Jede dogmatische Systembildung erfolgt durch objektiv sinnhafte Inter pretation.90 Damit ist die Dogmatik befasst, die nach Kelsen den Entscheidungsrahmen absteckt.91

Luhmann sprach vom Verstehen als einer Selektion, als der Voraussetzung für den Anschluss von Kommunikation; als Bedingung der Autopoiesis sozialer Systeme.92 Kommunikation sei insofern riskant , als das Risiko bleibe, dass die mitgeteilte Information abgelehnt wird.93

Kommunikation rechne Operationen auf Menschen zu, mit deren Bewusstsein sie strukturell gekoppelt sei.94

Rechtsspezifische Operationen erfolgen nach Maßgabe der Unterscheidung von Recht und Unrecht; des binären Codes im System, der auf dieses nicht anwendbar ist.95

Der Code ist eine Tautologie: Recht ist nicht Unrecht, Unrecht kein Recht.96

Radbruch hat das, was gedacht (gesagt oder gewollt) wird, als subjektiven Sinn; was aber gemeint ist, als objektiven Sinn bezeichnet, als Ziel; als das, was hätte gedacht (gesagt, gewollt) werden müssen.97

Die Rechtsdogmatik fragt nach Kantorowicz nicht nach dem Warum, aber nach dem Wozu der Regelung mit Blick auf die Zweckgesamtheit der Rechtsordnung: ihren Kulturwert.98

Der Wille des Gesetzgebers : Staatswille, sagt Radbruch, falle zusammen mit dem Gesetzeswillen.99

Jegliche Rechtsinterpretation besteht für Radbruch darin, Regelungen als Versuche der Verwirklichung der Rechtsidee zu verstehen.100 Die einzig unerlässliche Methode hierzu ist nach Reiner Rechtslehre die sprachlogische Auslegung.101

Rechtsgeltung ist von der Warte der Systemtheorie nach Luhmann ein Symbol, das die Einheit des Rechtssystems im Wechsel seiner Operationen erzeugt – Einheit des Systems wahrt und reproduziert, indem es Operationen verknüpft .102

Alle Rechtsregeln haben nach Kantorowicz die eine Funktion der Anordnung (prescription), denn Recht sei eine Gesamtheit von Regeln, die Pflichten auferlegen, im Interesse der Freiheit zu Anrechten.103 Radbruch bestimmte das Recht entsprechend als Inbegriff der generellen Anordnungen für das menschliche Zusammenleben.104

Darin liegt die Allgemeinheit des Gesetzes; Gleichheit – als Richten ohne Ansehen der Person begründet.105

Der Gleichheitssatz spiegelt für Luhmann die Autopoiese des Systems und braucht deshalb keine weiteren Gründe, denn bei seiner Anwendung sind alle Fälle gleich – Gleichbehandlung ist für sich selbst Grund genug, Ungleichbehandlung hingegen begründungsbedürftig.106

Das Recht hat nach Luhmann die Funktion, das normative Erwarten zu stabilisieren ; normative Erwartungen zeitstabil zu sichern, sodass erkennbar wird, welche und inwiefern solche einen sozialen Rückhalt finden.107

Werden Anrecht und Rechtspflicht erfüllt, sagt Kantorowicz, die Regel werde aktualisiert , andernfalls vielleicht durchgesetzt (vollstreckt) oder er setzt.108

Als System wird das Recht über Codereferenz realisiert .109 Während die Codierung die operative Geschlossenheit sichert, wird durch Programmierung festgelegt, wie die Werte Unrecht und Recht rechtskräftig zugeteilt werden;

woran ersichtlich wird, was rechtsrichtig oder -unrichtig gewesen sein wird (vielleicht).110

Die Programme – Normen des Rechtssystems sind nach Luhmann keine Zweck-, sondern allein Konditionalprogramme; sie ziehen nach Kelsen einen Rahmen für die Rechtsfindung.111

Mit H.L.A. HART können wir an dieser Stelle unterscheiden zwischen (primären) Regeln, die zu befolgen gedacht sind, und (sekundären) Regeln über Regeln (Rechtsanwendung sregeln): Erkenntnis-, Änderungs- und Entscheidungsregeln im Recht.112

Im Rechtssystem organisiert ein Teilsystem einen eigenen Bereich zirkulär vernetzter Operationen – Entscheidungen, und beschreibt sich als Hierarchie, von Organen oder Normen.113 ADOLF MERKL veranschaulichte sie als rechtlichen Stufenbau.114

4.

Um die Rechtslehre von anderen Lehrrichtungen abzugrenzen, die sich mit Verhaltensregeln befassen, schränkte Kantorowicz das Recht auf Regeln ein, die äußeres Verhalten (Handlungen) vorschreiben (anordnen).115 Die Regeln der Moral prägen und bewerten die innere Haltung: Geist eshaltung als tugend- oder lasterhaft, wohingegen die Regeln des Rechts zwar an geistige Vorgänge anknüpfen können, aber stets nur äußeres Verhalten vorschreiben.116

Alle moralischen Systeme – so erläuterte Kantorowicz – verlangen stets irgendein Motiv für die jeweils vorgeschriebene Handlung oder zumindest eine spezielle Art des Bewusstseins, das die Handlung begleitet.117

Radbruch sagte hinsichtlich ihrer Interessenrichtung, dass äußeres Verhalten die Moral nur dann interessiere, wenn es die Gesinnung beglaubigt .118 Luhmann hielt sie für den Ausdruck von Achtung oder Missachtung der Person ; wohl in Ansehung ihrer Geisteshaltung.119

Die gewählte Unterscheidung von Recht und Moral hat etwa zur Folge, dass Völkerrecht nicht als internationale Moral eingeordnet werden; und vor allem, dass Moral nicht als Quelle von Recht angesehen werden kann.120

Wie Kelsen ist Luhmann der Ansicht, dass das Recht normative Vorgaben der Moral oder anderer Quellen beziehen könne, dies jedoch durch Transformation geschehen müsse.121

Das Recht, wie es sein sollte , heißt Gerechtigkeit; sie gehört für Kantorowicz zur Quasi -Moralität, die Verhalten bezeichnet, welches nur darum nicht moralisch ist, weil vom Beweggrund abgesehen wird.122

Für Radbruch stellt sich das Ideal des sittlich Guten in einem Idealmenschen, und das Ideal der Gerechtigkeit in der idealen Gesellschaft sordnung dar.123

Die in Rede stehende Ordnung ist das Recht, Gerechtigkeit: das gerechte ist gerechtfertigtes Recht;

Recht, das annehmbar ist – juristischer Diskurs ist gewagt , weil er entscheidend dafür ist, ob die Norm als sozialverträglich gegolten haben wird.124

Die Entscheidung muss stets daraufhin befragbar bleiben, inwiefern sie als gerecht gelten kann.125

Für Luhmann ist Gerechtigkeit die Formel, dass gleiche Fälle gleich und ungleiche ungleich zu behandeln sind (Gleichheit als Regelhaftigkeit).126

Kritische Systemtheorie vermerkt, dass Recht sich – aus sich heraus – sowohl auf konsistentes als auch auf rechtsethisch haltbares Entscheiden ausrichtet.127

Für und mit Kelsen ist eine solche Gerechtigkeit, unter deren Schutz die Wissenschaft und damit Wahrheit und Aufrichtigkeit gedeihen können, die Gerechtigkeit der Freiheit, des Friedens, der Toleranz, der Demokratie .128

Parlamentarische Demokratie bezeugt , dass Recht nur dann gilt, wenn es vom Staatsvolk ausgeht, vernünftig begründet ist und der Menschenwürde gerecht wird.129

Das Rechtssystem ist zwar normativ geschlossen, operiert aber kognitiv offen.130

Gerechtigkeit muss sich rechtlich ereignen können.131

5.

Nachdem er die Regeln von Regelmäßigkeiten und kollektiven Gewohnheiten, und die Rechtsregeln von den Regeln der Moral unterscheiden hatte, kam Kantorowicz auf Regeln zu sprechen, die äußeres Verhalten vorschreiben, ohne in der Rechtslehre in den Bereich des Rechts eingeordnet zu werden; angesprochen sind die Sitten (mores, social customs).132

Von den Sitten sei Recht als eine Gesamtheit gerichtsfähiger Regeln zu unterscheiden.133

Gerichtsbarkeit wird Justiz