Wissenschaft und Demokratie - Harun Pacic - E-Book

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Harun Pacic

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Beschreibung

Impulse mit Erläuterungen, Zusammenführung der Demokratietheorie von Hans Kelsen mit der Erkenntniskritik und der Wissenschaftstheorie von Kurt Walter Zeidler, Vorlesungsunterlage

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Inhaltsverzeichnis

Impulse

Literatur

Impulse

PHILOSOPHIE ist (Selbst-)Kritik;1 kritisches Denken ist die Wurzel

der WISSENSCHAFT, aus kritischer Haltung erwächst DEMOKRATIE.2

1.

Denken ist Schließen, Kritik ist Öffnen; ihr Bezug ist der Begriff.

Der Satz der Identität: „A ist A“ spricht die Möglichkeit der begrifflichen Bezugnahme an, deutet mit dem „ist“ der Existenz den möglichen Begriff als bloße Beziehung aus.3

Vor der Erfahrung: a priori kann Anderes nur im Selben sein; so dekonstruiert das offene Ich (s)ein ausgrenzendes Selbst.4

Ein Sein ohne das Seiende ist das bloße Erleben: Zustand, Betroffensein – ein Sich (Mich).5

Unser Ich setzt, positioniert sich zwar als souveränes Selbst, bleibt aber angesichts der Spur davon, was sich ihm nicht fügt , ab gesetzt, ausgesetzt;

in sozialer Beziehung setzt sich Gleichordnung durch, sie erhebt sich allzeit über mich.6

Von Angesicht zu Angesicht, in Ansehung von Betroffenheit entsinnen wir uns der Idee der Persönlichkeit – Person ist, wer normativ erwarten darf .7

Als Anrecht begriffen heißen wir sie die zu achtende Würde; den Inbegriff menschlicher Grund rechte.8

Die repräsentative Demokratie würdigt die Menschen durch rechtspolitische Gleichwertigkeit , sie drückt den Gemeinwillen im (fairen) Verfahren aus;

also ist ihre Recht spolitik Vermittlung zwischen möglichen gegenläufigen, widerstreitenden Interessen durch (vernünftig) begründbare Regulierung.9

1 K. W. Zeidler, Grundriss der transzendentalen Logik, 3. Aufl., Wien 2017, Einleitung und § 9: Philosophie sei radikale Reflexion; als solche habe sie kritische Funktion. Sie habe die Voraussetzungen ihrer Kritik, mithin sich selbst zu begründen. Philosophie sei Kritik allen Vorwissens und als prinzipientheoretische Selbstkritik die Theorie der Anwendung ihrer Prinzipien; sie sei Lehre von den Bedingungen der Möglichkeit der Prinzipienerkenntnis (spekulative Logik) und des Erkennens überhaupt (transzendentale Logik), mithin allgemeine Seinslehre (Ontologie) und Lehre der Gegebenheitsweisen dessen, was ist (Phänomenologie).

Zeidlers These, dass die Philosophie Prinzipienwissenschaft sei, die als selbst- und letztbegründende Wissenschaft ihre eigenen sowie die Prinzipien aller anderen Wissenschaften ergründe, erwuchs aus der Frage nach dem Wissenschaftscharakter der Wissenschaftstheorie (S. 16 f.). Im Detail s. Zeidler, Vernunft und Erfahrung, Habil., Wien 1986.

2 Vgl. H. Kelsen, Wissenschaft und Demokratie, Neue Zürcher Zeitung, Nr. 321, 23. Februar 1936, S. 1-2, und Nr. 327, 24. Februar 1937, S. 1-2, zitiert nach dem Nachdruck in: Verteidigung der Demokratie, hrsg. von Jestaedt/Lepsius, Mohr Siebeck, Tübingen 2006, S. 238-247.

3 Zeidler, Grundriss, §§ 17 bis 19. Die Möglichkeit jeglicher begrifflichen Bezugnahme (auf Anschauungen oder Gedanken) setze voraus, dass Etwas sei, das als Dieses bestimmbar und als Anderes unterscheidbar sei. Die Existenz sei der Grund aller weiteren Bestimmung; Bedingung der Möglichkeit des Begriffs, und als Etwas überhaupt reine Beziehung.

Wenn „Substanz“ nicht „der je konkrete, akzidentiell und relational bestimmte Gegenstand“ sei, dann sei sie das transzendentale Substrat der Bestimmbarkeit, „die unmittelbare Beziehungseinheit, die wir als möglichen Begriff bezeichnen“ oder „das aller bestimmten Prädikation zugrundeliegende Allgemeine“ – universale ante res (S. 119 f.).

4 Zur Annäherung an das Andere vgl. B. Klun, Der Tod als Grenze: Zu einer Schlüsselfrage von Emmanuel Levinas, Prolegomena 6 (2) 2007, S. 235-266. Es geht um die Wahrnehmung und Anerkennung „einer Alterität jenseits-des-Seins , die der Selbstbestimmung des Ich die Gewissheit seiner selbst nimmt“, wie P. Zeillinger, sagte: »eins zwei, viele … « – oder: Ohne Selbst, aber in Gemeinschaft, in: Flatscher/Loidolt (Hrsg.), Das Fremde im Selbst – Das Andere im Selben, Königshausen & Neumann, Würzburg 2010, S. 225-247 (231).

Die spurhafte Erfahrung des Anderen begründet nach Zeillinger bei Levinas keine Gewissheit, kein Wissen, womit oder als welches sich das Subjekt identifizieren könnte. Bringe man sich selbst als Zeugen der Alteritätsbeziehung zum Ausdruck und werde in der Ordnung des Seins gleichwie zum Stellvertreter, so eröffne das aber die Möglichkeit , vom Subjekt, von nicht mit sich selbst identischer Identität und vom Anderen-im-Selben zu sprechen (S. 231 f.)

Jede Bestimmung des Anderen müsse offen und Offenheit zugleich Bestreitung derselben sein – was verbleibt, sei der Diskurs als Geste des Zeugnisses (S. 243 f.).

Kelsen fragte nach dem demokratischen Charaktertypus , dem eine politische Anschauung entspreche, „in der die Sehnsucht nach Freiheit durch das Gefühl der Gleichheit modifiziert“ werde. Er fand die Antwort in jenem, „bei dem das Erlebnis des eigenen Ich nicht so elementar, nicht so von allen anderen Erlebnissen, dem Erleben alles anderen, dem Erleben des Nicht-Ich verschieden“ sei, „als daß das Ich nicht den Anspruch des Du, auch als ein Ich anerkannt zu werden, einfühlend zu honorieren imstande wäre.“ – s. Wissenschaft und Demokratie, S. 239.

5 Emmanuel Levinas unternahm es, das Sein nicht vom Seienden her zu verstehen, sondern im Aufbegehren als reines Dasein, nacktes Sein, mit dem es etwas auf sich hat (frz. il y a ); wie bei Schlaflosigkeit, die die Grundlegung (Setzung) veranschauliche, in der sich ein Subjekt (objektlos) bestätige. Vgl. Levinas, Ausweg aus dem Sein: De l’évasion, F. Meiner, Hamburg 2005.

6 Aus dem il y a könne man – so Levinas – nur im Akt der Absetzung der eigenen Souveränität heraustreten, welcher die soziale Beziehung zum Anderen (Autrui) sei: selbst-lose (nicht auf sich selbst bezogene, dés-inter-essé) Beziehung. Vgl. E. Levinas, Vom Sein zum Seienden, K. Alber, Freiburg 2008; derselbe, Die Zeit und der Andere, F. Meiner, Hamburg 2003.

Das Wort „Spur“, das Levinas gebraucht hat, umschreibt Zeillinger als Störung der Ordnung, die sich auch nachträglich nicht bruchlos in die phänomenale Ordnung integrieren lasse – P. Zeillinger, Der Ort der Zeit, in: Th. Bedorf und G. Unterthurner (Hrsg.), Zugänge, Ausgänge, Übergänge, Konstitutionsformen des sozialen Raums, Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, S. 107-119.

Die Betonung des „über“ und im Wort „mich“ des „ich“ spielt auf das Überich der Psychoanalyse von und nach Sigmund Freud an. Vgl. H. Pačić, Philosophie des Psychischen, Vom Abriss der Psychoanalyse zur Zukunft einer Illusion, BoD, Norderstedt 2020.

7 Vgl. Zeidler, Bioethik, Menschenwürde und reflektierende Urteilskraft, Synthesis Philosophica, 46 (2/2008), S. 215 ff.; H. Pačić, Das strikte Recht: Zivilrecht, Manz, Wien 2019, Rz. 7 ff.; A. Verdross, Dynamisches Naturrecht, Forum XII/137, 5/1965, S. 233 ff.; Luhmann, Grundrechte als Institution, Ein Beitrag zur politischen Soziologie, 6. Aufl., Duncker & Humblot, Berlin 2019, S. 72, 77; ders., Die Politik der Gesellschaft, 5. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt am Main 2019, S. 375; H. Kelsen, Zur Theorie der juristischen Fiktion, Annalen der Philosophie, 1. Bd., 1919, S. 630 ff.; G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl., Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig 1932, Studienausgabe, hrsg. von R. Dreier und S. L. Paulsen, 2. Aufl. im C. F. Müller Verlag, Heidelberg 2003, § 17.

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