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Eine Karriere in Manhattan! Für diesen Traum verlässt Caitie ihre Jugendliebe Nate. Er tröstet sich, indem er ihre beste Freundin heiratet. Doch als sie nach Hause zurückkehrt, spürt sie, dass Nate sie noch immer liebt. Und inzwischen ist er allein mit seinem kleinen Sohn …
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Seitenzahl: 170
IMPRESSUM
Kein Tag mehr ohne dich, Caitie erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2014 by Michelle Celmer Originaltitel: „The Sheriff’s Second Chance“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA, Band 102014 by HARLEQUIN ENTERPRISES GmbH, Hamburg Übersetzung: Tatjána Lénárt-Seidnitzer
Umschlagsmotive: Kiuikson / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 8/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751502108
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Deputy Nathan Jefferies ahnte, dass etwas nicht stimmte, sobald er vor Lou’s Diner aus seinem Streifenwagen stieg und sah, dass sein Vater P. J. ihn am Eingang statt im Gastraum erwartete. „Was ist passiert?“
„Ich dachte, wir könnten zur Abwechslung mal woanders hingehen.“
Bei etwa tausendsechshundert Einwohnern hatte Paradise in Colorado in puncto Gastronomie nicht viel zu bieten. Abgesehen von diesem Lokal bekam man im Umkreis von zwanzig Meilen kein anständiges Frühstück. „Was ist los, Dad?“
P. J. seufzte und rieb sich das Kinn. „Sie ist wieder da, Junge.“
Nathan fragte sich, woran er sich mehr störte: dass er genau wusste, wer „sie“ war, oder dass sie ihm nach all der Zeit nicht gleichgültig war.
„Musste wohl irgendwann passieren. Sie konnte nicht ewig wegbleiben.“
Nicht ewig. Nur sieben Jahre. So lange war es her, dass sie nach zwei gemeinsamen Jahren ohne ein einziges Wort der Erklärung aus der Stadt verschwunden war. Erst Wochen später hatte sie ihm ein dürftiges Entschuldigungsschreiben geschickt.
„Wir können das Frühstück heute ganz ausfallen lassen. Wir müssen da nicht rein.“
„Sie ist hier? Im Diner?“
P. J. nickte.
Alle Gäste im Lokal hatten Nathan vorfahren sehen. Er musste hineingehen. Ihm blieb keine andere Wahl. Dabei ging es nicht nur um seinen Stolz. Es galt, seinen Ruf als Deputy zu wahren. Wenn die Leute in ihm einen Feigling sahen, litt seine Glaubwürdigkeit als Friedensstifter in der Stadt. Sieben Jahre nach der Trennung vor einer Exfreundin wegzulaufen, war an Feigheit kaum zu überbieten.
„Gehen wir.“ Er marschierte zur Tür. Sobald er einen Fuß auf den schwarz-weiß karierten Linoleumboden setzte, richteten sich über zwanzig Augenpaare auf ihn. In einem kleinen Nest wie Paradise, wo jeder seine Nase in die Angelegenheiten aller anderen steckte, verbreiteten sich gute Neuigkeiten wie der Blitz. Und schlechte Neuigkeiten noch schneller.
Selbst ganz ohne Publikum wäre der Stressfaktor bei der bevorstehenden Wiederbegegnung für Nathan sehr hoch gewesen. Doch es gab kein Zurück. Ein rascher Blick durch den Gastraum enthüllte viele vertraute und neugierige Gesichter, aber nicht das eine, das er fürchtete.
Der kurze Weg zum Tresen erschien ihm wie eine Meile. Er hockte sich auf seinen Stammplatz zwischen seinem Vater und George, dem Besitzer des Eisenwarengeschäfts im Ort.
„Morgen, ihr zwei“, wünschte George.
„Morgen“, erwiderte P. J. „Wie läuft dein Laden?“
„Kann mich nicht beklagen. Wie kommt ihr mit der Renovierung voran?“
„Ganz gut. Haben gerade die Fliesen im Badezimmer gelegt.“
Jeden Morgen führten sie ein ähnliches Gespräch, doch an diesem Tag erschien es Nathan gestelzt. Außerdem spürte er die Blicke aller Anwesenden im Rücken.
Delores, die Kellnerin, kam mit einer Kanne Kaffee und schenkte jedem eine Tasse ein. „Morgen. Wie immer?“
P. J. klopfte sich auf den Bauch. „Ich bin am Verhungern. Für mich das Übliche.“
Nathans Magen war zu verkrampft für Eier mit Bacon. „Für mich nur Kaffee.“
Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu und verschwand in der Küche.
Ein angespanntes Schweigen trat ein.
Schließlich eröffnete George: „Ich schätze, du hast es schon gehört, Nate.“
„Mhm“, murmelte Nathan einsilbig. Er rührte Zucker und Milch in den Kaffee, nahm einen Schluck und verbrannte sich prompt die Zunge.
„Ist ’ne ganze Weile her.“
„Sieben Jahre“, antwortete P. J. statt Nathan, denn der hatte sein Handy herausgeholt und gab vor, seine SMS zu checken.
George ließ sich davon nicht abschrecken. „Hab gehört, dass sie in New York in Schwierigkeiten geraten ist. In ihrer Finanzfirma findet eine behördliche Untersuchung statt.“
„Hoffentlich hast du auch gehört, dass ich persönlich nicht unter Verdacht stehe“, warf eine weibliche Stimme von hinten ein.
Nach all der Zeit war der Klang noch immer so vertraut, dass Nathan das Herz bis zum Hals klopfte. Er hielt den Blick auf das Display geheftet, während Caitlyn hinter den Tresen trat.
„Schön, dass du wieder da bist, Caitie“, sagte P. J.
„Hi, P. J. Lange nicht gesehen.“
„Wann bist du angekommen?“
„Erst gestern Abend.“
„Und deine Eltern lassen dich schon arbeiten?“
„Ich hab’s angeboten. Deb hat sich krankgemeldet. Aber ich muss euch warnen: Ich habe seit fast fünf Jahren nicht mehr gekellnert und bin ziemlich eingerostet.“
„Na und? Du weißt ja, dass sich hier kaum was ändert.“
„Das stimmt wohl.“
Nathan spürte ihren Blick auf sich ruhen, brachte es aber nicht über sich, den Kopf zu heben.
„Hallo, Nate“, sagte sie leise.
Nun musste er sie wohl oder übel doch anschauen. Sobald sie sich in die Augen sahen, spürte er den Trennungsschmerz von damals wie einen Faustschlag in den Magen.
In ihrer Kellnerinnenuniform wirkte sie fast wie früher in der Highschool. Sie sah nur ein kleines bisschen älter aus, und das hellblonde Haar war länger geworden. Ihr Lächeln erschien ihm nicht mehr ganz so sorglos.
Trotzdem ist sie immer noch meine Caitie. Hastig verdrängte er diesen unsinnigen Gedanken. Neben dem Schmerz simmerte auch noch Zorn und drohte überzukochen. Um die Fronten zu klären, sagte er: „Für dich Deputy.“
Caitlyn hatte gehofft, dass er ihr nach all den Jahren verziehen oder zumindest seine Feindseligkeit überwunden hatte. Anscheinend war dem nicht so. Und das sah dem Nathan, den sie kannte, so gar nicht ähnlich. Er war so cool, gelassen und friedfertig gewesen. Die Streitigkeiten während der gemeinsamen zwei Jahre ließen sich an einer Hand abzählen. Eigentlich hatte sie ihn nie wirklich wütend erlebt.
Bis jetzt. Obwohl sie es nicht eingestehen wollte, tat sein Zorn weh. Sehr sogar. Trotzdem war sie nicht bereit, die ganze Schuld auf sich zu nehmen. Auch wenn sie die Stadt verlassen und ihm nur eine vage Entschuldigung statt einer richtigen Erklärung geschickt hatte. Er schien zu vergessen, dass er nach nur drei Monaten ihre beste Freundin geheiratet hatte. Wie sehr ihr das an die Nieren gegangen war, sollte er allerdings nie erfahren.
„Entschuldigung, Deputy.“ Sie schenkte ihm ein vages höfliches Lächeln, das er nicht erwiderte. Zum Glück, denn sein charmantes schiefes Grinsen hatte sie immer dahinschmelzen lassen.
Zu ihrer Erleichterung rief Lou, ihr Vater, sie in diesem Moment aus der Küche.
„Guten Appetit, Gentlemen“, wünschte sie und ging zur Essensausgabe.
Lou spähte prüfend durch die Durchreiche. „Ist bei dir alles klar, Kind?“
„Alles bestens.“
„Du siehst aber nicht so aus. Mach lieber eine Pause. Delores kann deine Tische für ein paar Minuten übernehmen.“
Es war verlockend, sich zu verdrücken, bis Nathan das Lokal verließ. Aber sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr das Wiedersehen sie aufwühlte. Die Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Und solange sie im selben Ort wohnten, musste sie sich wohl oder übel damit abfinden, ihm hin und wieder über den Weg zu laufen.
„Es ist alles gut, Dad.“ Sie schnappte sich die Teller, wirbelte herum und stieß mit Delores zusammen, die gerade an der Saftmaschine ein Glas füllte. Es fiel zu Boden und zerbarst in unzählige Splitter.
„Oh, tut mir leid“, murmelte Caitlyn verlegen. Sie musste sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass alle Anwesenden sie anstarrten.
„Schon gut, Honey.“
„Ich räume die Scherben weg.“
„Kümmere dich lieber um deinen Tisch. Ich mache das schon.“
„Sicher?“
Delores nickte. „Atme einfach tief durch und entspann dich. Es wird leichter, glaub mir.“ Sie war fünf Mal geschieden und somit eine Kapazität auf dem Gebiet der gescheiterten Beziehungen.
Doch für Caitlyn war die Situation schwieriger als erwartet. Die Gefühle, die sie vor langer Zeit begraben hatte, drängten an die Oberfläche.
Sie ignorierte den Tresen mitsamt Nathan und brachte das Essen in die hinterste Nische. Dann trat sie an den Nebentisch. Dort hatten gerade ihre ehemaligen Mitschülerinnen Lindy und Zoey sowie eine ihr unbekannte dritte Frau Platz genommen.
Dem abrupten Schweigen am Tisch nach zu urteilen hatte sich das Gespräch gerade um Caitlyn gedreht. Sie reckte das Kinn vor und lächelte. „Hallo! Lange nicht gesehen.“
In kühlem Ton entgegnete Lindy: „Das kommt davon, wenn man klammheimlich aus der Stadt verschwindet.“
Ein klarer Bruch war für Caitlyn die einzige Möglichkeit gewesen, um der erstickenden Enge des Kleinstadtlebens zu entfliehen. In New York hatte sie ihren Traum verwirklicht und war eine ganze Zeit lang auf Erfolgskurs geblieben. Und den wollte sie baldmöglichst wieder einschlagen. Dieser Besuch zu Hause war nur ein Zwischenstopp. Zumindest hoffte sie das.
„Es heißt, dass du Probleme hattest“, bemerkte Zoey. „Tut mir leid, dass es nicht geklappt hat.“
Caitlyn behielt das Lächeln bei. Die meisten Leute hätten es als Meisterleistung angesehen, das College zu besuchen, eine gut dotierte Anstellung in einer angesehenen Finanzfirma zu bekommen und sich in einer Weltstadt zu etablieren. „Ich bin nur vorübergehend hier. Ich gehe nach New York zurück, sobald ich einen neuen Job habe.“
„Wir sollten uns alle mal auf einen kleinen Plausch treffen“, schlug Zoey mit einem gekünstelten Lächeln vor. Gebleichte Zähne und falsche Fingernägel, Designerkleidung und gestyltes Haar kündeten davon, dass ihr wohlhabender Vater sie noch immer nach Strich und Faden verwöhnte.
Da sie als das größte Klatschmaul der ganzen Stadt galt, war Caitlyn ganz und gar nicht auf ein Treffen erpicht. Trotzdem erwiderte sie: „Das klingt verlockend.“
Lindy deutete zu der dritten Frau am Tisch. „Das ist Reily Eckardt. Sie ist mit Joe Miller verlobt und vor ein paar Monaten hergezogen.“
Dem riesigen Klunker am Finger der hübschen Blondine nach zu urteilen, liefen die Geschäfte bei Joe, dem Besitzer des lokalen Grillrestaurants, geradezu hervorragend.
„Schön, dich kennenzulernen“, sagte Reily mit einem freundlichen Lächeln.
„Was kann ich euch bringen?“, fragte Caitlyn und nahm schnell die Bestellung auf.
Auf dem Weg zur Küche sah sie unwillkürlich zu Nathan hinüber. Er saß aufrecht auf dem Hocker und nahm wegen seiner breiten Schultern mehr Platz als andere am Tresen ein. Früher der Football-Star der Highschool, war er schon damals gut gebaut gewesen. Inzwischen war er noch kräftiger geworden. Die Muskeln an Armen und Brust spannten den Stoff seines Uniformhemdes.
Als hätte er ihre Musterung gespürt, drehte er sich zu ihr um. Ihre Blicke begegneten sich und hielten einander gefangen. In seinen Augen lag so viel nackte Verachtung, dass sich ihr der Magen umdrehte.
So engherzig es auch klingen mochte, ein wenig hatte sie auf Stirnglatze und Bauchansatz bei ihm gehofft. Stattdessen sah er besser aus denn je. Mit achtzehn war er ihr erwachsen erschienen, in Wirklichkeit jedoch halbwüchsig gewesen. Nun war er zu einem ganzen Mann herangereift.
Sie gab die Bestellung an die Küche weiter. Als sie sich kurz darauf zum Tresen umdrehte, war Nathan verschwunden. Sie atmete erleichtert auf. Das hätte schlimmer laufen können. Wenn auch nicht viel.
Er hat dich auch verraten, rief sie sich in Erinnerung. Warum also fühlte sie sich noch immer so verdammt schuldig?
Solange sie zurückdenken konnte, war sie die Verlässliche, die stets tat, was von ihr erwartet wurde. Die ihre Träume opferte und ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellte, um alle anderen glücklich zu machen.
Bis sie eines Tages einfach ausgerastet war.
Die unverhoffte Gewährung eines Stipendiums an der Ostküste, für das sie sich nur aus einer Laune heraus beworben hatte, war ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen. Eine Gelegenheit, die man einfach beim Schopf ergreifen musste.
Als sie in jenem Herbst sang- und klanglos verschwunden war, hatte sie die zwei wichtigsten Menschen in ihrem Leben verletzt. Sie durfte nicht erwarten, dass die beiden ihre Motive nachvollziehen konnten. Aber irgendwann mussten sie ihr doch verzeihen. Oder nicht?
Nach dem morgendlichen Ansturm zur Frühstückszeit wollte Caitlyn gerade eine schwer verdiente Pause einlegen, da rief ihr Vater sie ins Büro.
Er reichte ihr einen Aktenordner. „Würdest du diese Papiere bitte zu deiner Mom nach Hause bringen? Ich habe sie gestern Abend hier vergessen.“
„Kommt sie heute denn nicht her?“
„Betty erledigt die Buchhaltung und die Bestellungen jetzt von zu Hause aus. Ihre Kopfschmerzen sind häufiger geworden.“
Schon seit ewigen Zeiten litt sie unter Migräne, allerdings nur sporadisch.
„Wie oft?“, hakte Caitlyn nach.
„Mehrmals pro Woche.“
„Wie lange geht das schon so?“
„Es ist allmählich schlimmer geworden. Zum Glück bekommt sie jetzt neue Medikamente. Die machen die Schmerzen und die Übelkeit erträglicher.“
„Kann man denn nichts tun, um die Anfälle ganz zu verhindern?“
Lou schüttelte betrübt den Kopf. „Aber sie hält sich tapfer.“
„Davon bin ich überzeugt.“ Sie seufzte niedergeschlagen. „Ich fahre lieber jetzt gleich. Damit ich zum Mittagstisch wieder da bin.“
Lou musterte sie forschend. „Du hast sicherlich gewusst, dass es nicht leicht wird. Zurückzukommen, meine ich.“
„Sicherlich“, murmelte sie sarkastisch.
„Kann ich irgendwas für dich tun?“
„Danke, ich komme schon klar.“ Sie holte ihre Handtasche aus dem Spint und versprach: „Ich bin wieder hier, wenn der Ansturm kommt.“
„Warte …“ Er trat zu ihr und schloss sie fest in die Arme. „Ich hab dich lieb, Caitie.“
„Du hast schon immer gewusst, was es braucht, damit ich mich besser fühle. Ich hab dich auch lieb, Dad.“
Sie schlüpfte zur Hintertür hinaus in die glühende August-Hitze und stieg in ihren uralten Kleinwagen, den sie sich im letzten Jahr der Highschool zugelegt hatte. Der Außenspiegel war mit Klebeband befestigt, und im Armaturenbrett prangte ein Loch statt eines Radios.
Nach mehreren Anläufen sprang der Motor widerwillig an. Sie schaltete die Klimaanlage ab, die warme Luft ausspie, kurbelte die Fenster hinunter und fuhr los.
Das Auto stotterte und spuckte, während Caitlyn die Apotheke und die Sparkasse, die Post und die Eisdiele passierte und sich wunderte, wie wenig sich in sieben Jahren verändert hatte.
Zu Weihnachten und Ostern war sie zwar regelmäßig nach Hause gekommen, aber das Farmhaus ihrer Eltern, wo sie auch derzeit wohnte, stand eine Meile nördlich auf einem Morgen Ackerland. In der Stadt hatte sie sich nicht blicken lassen, um ihren unzähligen Erinnerungen und unliebsamen Fragen von Bekannten zu entgehen.
Nun fuhr sie an Joe’s Place vorbei, einem Barbecue-Restaurant am Stadtrand. Der würzige Geruch von Grillfleisch lag in der Luft.
Sie setzte den Blinker und bog auf die Landstraße ein. Plötzlich starb der Motor ab. Das Auto ruckelte ein paar Meter weiter und kam mitten auf der Kreuzung zum Stillstand.
Fluchend hämmerte Caitlyn auf das Lenkrad. „Bitte nicht heute!“ Sie drehte den Zündschlüssel und pumpte das Gaspedal. „Komm schon, Baby, nur noch eine Meile.“
Nach mehreren vergeblichen Versuchen ließ sie den Kopf hängen. Schweißperlen standen ihr auf die Stirn. Im Wagen wurde es immer heißer.
Ein anderes Auto manövrierte um sie herum. Die ältere Frau am Steuer drückte verärgert auf die Hupe. Zwei weitere Wagen fuhren vorüber. Die Fahrer lächelten mitfühlend, aber keiner hielt an, um zu helfen.
Die viel gerühmten Kleinstadt-Gastfreundschaft, schon klar.
Caitlyn nahm den Gang heraus und stieg aus, um das Auto von der Kreuzung zu schieben. Es ins Rollen zu bringen, erforderte anfangs viel Kraft. Dann nahm es rapide Tempo auf, weil der Fahrstreifen abschüssig wurde.
Hastig versuchte sie, auf den Sitz zu springen, um es an den Straßenrand zu lenken. Doch sie rutschte auf dem heißen Asphalt aus und landete hart auf den nackten Knien und Handflächen.
Das Auto rollte ungebremst weiter.
Sie rappelte sich auf, aber es war zu spät. Sie konnte nur fassungslos zusehen, wie der Wagen immer schneller wurde, in einer riesigen Staubwolke über den Seitenstreifen raste und im Graben landete.
Die ganze Situation war so surreal, dass Caitlyn nicht wusste, ob sie lachen oder weinen oder sich kneifen sollte, um aus diesem Albtraum aufzuwachen.
Sie ging zu dem Wrack. Sie spürte die aufgeschlagenen Knie brennen und den Rücken schmerzen. Trotzdem fühlte sie sich seltsam losgelöst – wie eine außenstehende Betrachterin.
Sie hörte ein anderes Fahrzeug von hinten nahen. Vielleicht hält ja diesmal jemand an und hilft.
Ein Streifenwagen fuhr an ihr vorbei, wendete scharf und hielt auf der anderen Straßenseite.
Die Windschutzscheibe reflektierte die Sonne, sodass sie den Fahrer nicht ausmachen konnte. Lieber Gott, lass es nicht ihn sein!
Die Fahrertür öffnete sich. Nathan stieg aus.
Niedergeschlagen murmelte Caitlyn einen Fluch vor sich hin und dachte: Heute ist echt nicht mein Tag.
Nathan war zu einem liegen gebliebenen Auto auf der Kreuzung beordert worden. Um wen es sich dabei handelte, war ihm nicht mitgeteilt worden. Nun wäre er am liebsten vorbeigefahren, denn er hatte sich an diesem Morgen in Lou’s Diner geschworen, Caitlyn aus dem Weg zu gehen. In der Funktion des Gesetzeshüters war er jedoch verpflichtet, ihr zu helfen.
Er bestellte über Funk einen Abschleppwagen, stieg aus und überquerte die Straße. Das Auto steckte mit der Schnauze in einem Wirrwarr aus Unkraut und hohen Gräsern, während das Heck steil in die Luft ragte.
Caitlyn humpelte zu ihm. Mit schweißnassen Haaren und blutenden Knien sah sie total aufgelöst aus. Niedergeschlagen starrte sie auf ihr Auto.
Soweit er sehen konnte, war die Front ziemlich demoliert, aber noch zu retten. Wobei sich eine Reparatur angesichts des Alters des Wagens wohl nicht mehr lohnte. „Du siehst furchtbar aus“, teilte er ihr mit.
Ohne den Blick vom Graben zu lösen, entgegnete sie: „Oh, vielen Dank.“
„Geht es dir gut?“
„Definiere gut.“
„Brauchst du ärztliche Hilfe?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich werd’s überleben.“
„Willst du mir sagen, was passiert ist?“
„Eigentlich nicht.“
„Ich muss einen Unfallbericht ausfüllen.“
„Es war kein Unfall.“
„Du hast dein Auto absichtlich in den Graben befördert?“
Ungehalten verdrehte sie die Augen. „Natürlich nicht! Der Motor hat den Geist aufgegeben, und ich habe es von der Straße geschoben.“
Mit Mühe unterdrückte er ein Grinsen. „Es ist wohl mit dir durchgegangen, wie?“
Caitlyn antwortete nicht. Ihre betretene Miene war allerdings Bestätigung genug. Auch wenn er Genugtuung verspüren wollte, weil sie nichts anderes verdiente, löste ihr Anblick bei Nathan Mitgefühl aus. Beim Frühstück im Restaurant hatte er es vermieden, sie genauer anzusehen, sodass ihm die dunklen Augenringe ebenso entgangen waren wie die Tatsache, dass sie dünner war denn je.
Sie trat vor und schickte sich an, in den Graben zu steigen.
Spontan packte Nathan sie am Oberarm. Sobald seine Finger ihre nackte Haut berührten, spürte er ein Prickeln im Innern.
Danach zu urteilen, wie heftig sie sich losriss, erging es ihr ebenso. „Sachte bitte, Deputy.“
„Du kannst da nicht runterklettern.“
„Ich brauche meine Sachen.“
„Es ist zu gefährlich. Du musst auf den Abschleppwagen warten.“
„Ich habe keinen gerufen.“
„Aber ich. Er müsste in einer Stunde hier sein.“
„Ich habe nicht so lange Zeit. Ich muss wieder an die Arbeit. Außerdem sind im Wagen Papiere vom Lokal, die ich meiner Mutter jetzt sofort bringen muss. Und ich brauche meine Handtasche.“
Nathan seufzte resigniert. „Ich hole dir die Sachen.“
Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich habe dich nicht um Hilfe gebeten.“
Er ignorierte ihren Einwand, stieg die Böschung hinunter und stellte fest, dass die Frontpartie des Wagens unter einem riesigen Felsbrocken eingeklemmt war.
„Wie schlimm ist es?“, rief Caitlyn.
„Sieht ziemlich schlimm aus.“
„Ich frage mich, was noch alles auf mich zukommt“, murmelte sie niedergeschlagen. „Obwohl das vermutlich keine gute Idee ist. Warum das Schicksal herausfordern?“
Er glaubte nicht an das Schicksal. Nicht mehr. Er versuchte, die Beifahrertür zu öffnen. Nach kräftigem Rütteln und dem Knirschen von berstendem Metall gelang es schließlich. Als er sich in den Innenraum beugte, hatte er ein unheimliches Déjà-vu-Erlebnis. Obwohl das Auto sieben Jahren lang unter einer Plane in der Garage gestanden hatte, roch es noch immer nach der Kokosnuss-Bodylotion, die Caitlyn in der Highschool benutzt hatte.
Er verdrängte die Erinnerung und schaltete die Warnblinkanlage ein.
Die erwähnten Papiere lagen im Bodenraum verstreut. Er sammelte sie ein und stieß auf eine teure Lederhandtasche. Er kannte die Marke, weil seine Exfrau sie heiß begehrte, sich aber nicht leisten konnte.