Keine Gesichter - Thomas Tippner - E-Book

Keine Gesichter E-Book

Thomas Tippner

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Beschreibung

Keine Gesichter! Das ist es, was wir wissen. Die, denen es schlecht geht, haben für uns keine Bedeutung, denn nie haben wir in ihre Augen gesehen. Sie sind niemand für uns, weil wir nicht wissen, wer sie sind. Was kümmert es uns schon, dass Kinder depotiert werden? Was macht es schon, wenn sie im dunkle der Zeit verschwinden? Wir haben sie nie von ihnen gehört, nicht von ihnen gewusst, sie niemals gesehen. Und doch waren sie da. Es hat sie gegeben. Auch wenn sie für uns niemand waren. Wenn sie keine Gesichter hatten!

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Thomas Tippner

Keine Gesichter

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Keine Gesichter

Impressum neobooks

Keine Gesichter

Von Thomas Tippner

Was wohl aus ihnen geworden wäre, wenn sie mir nicht begegnet wären?, fragte er sich. Eine Frage, wie er fand, die ihn völlig verwirrte. Schließlich war er extra hierhergekommen, um nach Flüchtlingen Ausschau zu halten.

Es war sein Auftrag.

Er musste sie suchen und finden. Tat er es nicht, würde man ihm unterstellen seine Pflicht nicht erfüllt zu haben. Und man konnte ihm alles nachsagen – ja, wirklich alles – aber dass er seinen Aufgaben nicht nachkam, das nun wirklich nicht.

Sobald er aus seinem klapprigen, blauen Fiat stieg, in Richtung Unterkünfte ging und sich die Uniform anlegte, gab es nichts anderes mehr, als das zu tun, was man ihm sagte und von ihm erwartete.

Er hatte sich da nie Gedanken drüber gemacht.

Schließlich bekam er Geld dafür, dass er gehorchte.

Und doch beschlich ihn plötzlich der ihm so fremde Gedanke.

Waren es die Blicke, die man ihm zuwarf?

Vielleicht das leise Wimmern und Weinen, der völlig eingeschüchterten und verängstigten Kinder – die nicht wussten, was nun mit ihnen geschehen würde?

Es ist wegen den Kindern, kam ihm der Gedanke, und ließ ihn das erste Mal den Blick senken.

Er schaute auf seine schwarz geputzten Stiefel, auf die eng gezogenen Schnürsenkel, die auf dem Rand der Stiefel liegende, feinsäuberlich umgefaltete Flecktarnhose.

Kinder …

Er hatte ja erfahren, als sie ausrückten, dass sie nach Kindern suchten.

Nach Kindern, die anderes waren, als seine Kinder. Die anders waren, weil sie nicht so waren wie die Zwillinge, die seine Frau vorletztes Jahr zur Welt gebracht hatte.

Sie gehörten hier nicht her.

Nicht mehr hierher, verbesserte er sich in Gedanken. Vor einigen Jahren war das anders gewesen. Da hatte es kaum einen Unterschied zwischen ihm und den Kindern gegeben. Die einen hatten ihre Zöpfe rechts über die Schulter fallen lassen, die anderen links.

Eine Banalität – mehr nicht.

Jetzt aber ein so großes vergehen, dass man angefangen hatte, denen nachzustellen, die anders waren, als die, die gerade das sagen hatten.

Man muss Opfer bringen, hatte man ihm einmal gesagt.

Dass die Opfer aber so aussehen würden, war ihm verschwiegen worden.

Sie waren Kinder …

Die Kleinste, wenn er es richtig gesehen hatte, vielleicht gerade einmal drei, höchstens vier – wenn sie denn sehr klein für ihr Alter war. Der Älteste hingegen war schon beinah ein Mann. Hoch gewachsen, in den dunklen Augen eine unbändige, eine nicht kontrollierbare Wut, die ihn zu allem bringen konnte, wenn man ihn nur lassen würde.

Er war ebenso eine Gefahr, wie die Kleine.

Denn er war anders …

Scheißegal, dass ihre Eltern damals gemeinsam zur Schule gegangen waren, oder zusammen auf dem Bolzplatz Fußball gespielt hatten.