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Kenelm Chillingly wird von vielen Kritikern als Lyttons Meisterwerk gepriesen. Kenelm ist der lang erwartete Erbe einer alt eingesessenen Familie und entwickelt schon bald sehr frühreife Züge. Nach einem Studium in Cambridge wird er mehr und mehr zum Träumer, enttäuscht und desillusioniert, und steht bald mehr neben der Welt als auf ihr ...
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Seitenzahl: 994
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Kenelm Chillingly
Edward Bulwer-Lytton
Inhalt:
Edward George Earl Bulwer-Lytton – Biografie und Bibliografie
Kenelm Chillingly
Erstes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Zweites Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Drittes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Viertes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Fünftes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Sechstes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebentes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Buch.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Schlußkapitel.
Kenelm Chillingly, E. Bulwer-Lytton
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849623241
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Erster Lord L., berühmter engl. Schriftsteller und Staatsmann, der deutschen Lesewelt bekannter unter seinem früheren Namen Edward Bulwer, geb. 25. Mai 1803 in London, gest. 18. Jan. 1873 in Torquay und 25. Jan. in der Westminsterabtei bestattet. Er war der erstgeborene Sohn des Generals William Earle Bulwer; der Familienname seiner hochbegabten und reichen Mutter war L., ihr Familiensitz Knebworth. Seine Jugenderziehung erhielt er zu Hause, dann besuchte er die Universität Cambridge. Seine ersten poetischen Versuche zeugten von dem Einfluss Byrons, machten aber wenig Eindruck. Noch sehr jung, schloss er (1827) seine unglückliche Ehe mit der Irländerin Rosina Wheeler, der ein Sohn entsprang (s. unten). Mit »Pelham, or the adventures of a gentleman« (1828) gab L. die Anonymität auf und hatte gewaltigen Erfolg. Er war unterdessen durch Reisen und durch das Studium des Deutschen gereist. Seine Beliebtheit stieg mit jedem seiner neuen Romane. Hierher gehören: »The Disowned« (1829), »Devereux« (1829), »Paul Clifford« (1830). Er betrat nun die politische Laufbahn, schrieb satirische Verse: »The Siamese twins« (1831), wurde ins Unterhaus gewählt und vertrat 1832–41 die Stadt Lincoln als Liberaler. Bei der Krönungsfeier der Königin Viktoria (1838) wurde er zum Baronet geschlagen. In diese erste Periode fällt eine Reihe seiner größten schriftstellerischen Erfolge, zunächst die Romane: »Eugene Aram« (1832), eine Verbrechergeschichte, späterhin auch dramatisiert; das liebliche Buch »The pilgrims on the Rhine« (1834), »The last days of Pompeii« (1834), die Frucht einer italienischen Reise, und die großartige Wiederbelebung einer bis dahin dunkeln Geschichtsepoche in »Rienzi. the last of the tribunes« (1835); dann von ganz anderm Gehalt, an Goethes »Wilhelm Meister« sich anlehnend, der »dem großen deutschen Volk, einer Nation von Denkern und Kritikern« gewidmete Roman »Ernest Maltravers« (1837) und dessen Fortsetzung: »Alice« (1838). Von geringerer Bedeutung sind: »Godolphin« (1833); »Leila, or the siege of Granada« (1840); »Night and morning« (1841) und »Zanoni« (1842; deutsch, Leipz. 1905), worin sich der Hang zum Geheimnisvollen dartut, der späterhin großen Einfluß über L. erlangte. Überdies veröffentlichte er Bilder des Nationallebens: »England and the English« (1833), schrieb eine Reihe von sehr geschätzten kritischen Aufsätzen in »Blackwood's Magazine«, die er nachher als »The Student« (1835) zusammenstellte, leitete das »New Monthly Magazine«, schrieb sein Geschichtswerk »Athens, its rise and fall« (1837) und eine Reihe von Dramen, von denen »The lady of Lyons« (1838), »Richelieu« (1839), »Money« (1840) und auch »The Sea-captain« (1839), umgearbeitet als »The rightful heir« (1869), starke Bühnenerfolge erzielten. Bei den Neuwahlen von 1842 fiel L. durch und lebte während zehn Jahren in verhältnismäßiger Zurückgezogenheit. Damals fiel ihm (1843) durch den Tod seiner Mutter ein großes Vermögen zu; er änderte seinen Namen nun in Bulwer-L. Auf den historischen Roman: »The last of the barons« (1844) aus dem Kriege der Rosen folgte: »Harold, the last of the Saxon kings« (1845), worin das Romanhafte weit hinter das Historische zurücktritt. In »Lucretia, or the children of night« (1846) kehrte er zum eigentlichen Roman zurück, nicht mit dem frühern Erfolg. Dazwischen fallen Gedichte mit persönlichen Beziehungen: »Eve, and the ill-omened marriage« (1842); Übersetzungen aus Schiller u. d. T.: »Poems and ballads« (1844, neue Ausg. 1869), satirische Verse: »The new Timon, a romance of London« (1846), und das Heldengedicht »King Arthur« (1848). Nun wandte er sich wieder dem modernen Roman mit größtem Erfolg zu: anonym in Monatslieferungen von »Blackwood's Magazine« erschienen die »Caxtons« (1850), die in der Grundanlage den Einfluß des »Tristram Shandy« von Lawrence Sterne verraten. Auf derselben Höhe erhielt er sich in der Fortsetzung: »My novel« (1852). Mit der Flugschrift: »Letter to John Bull« (1850) vollzog er seinen Übertritt zu einem gemäßigten Konservativismus und wurde als Tory 1852 von der Grafschaft Hertford in das Unterhaus gewählt, wo er bis 1866 als großer Redner saß. Unter Derby war er 1858–59 auch Minister für die Kolonien. In diese Periode gehören seine Romane: »What will he do with it?« und »A strange story« (1861), in welch letzterm er starke Hinneigung zu dem Spiritismus unsrer Zeit an den Tag legte. Als Baron L. of Knebworth wurde er 1866 ins Oberhaus berufen, wo er Gladstones Maßregeln zur Versöhnung mit Irland unterstützte. Literarisch betätigte er sich durch die »Lost tales of Miletus« (1866), eine Übersetzung der Oden des Horaz und das Lustspiel »Walpole« (1869). Anonym veröffentlichte er: »The coming race«, eine Utopie, in der er neuere Entdeckungen der Naturwissenschaft mit dem Phantasiegebilde fliegender Menschen verquickte. Während seiner letzten Krankheit hatte er die Korrekturen seines Romans »Kenelm Chillingly« gelesen; aus seinem Nachlaß erschien sein letzter Roman: »The Parisians«, sowie der unbeendete: »Pausanias the Spartan« (1876). Seine Reden mit ausführlicher Denkschrift hat sein Sohn herausgegeben (1874, 2 Bde.), wie auch »Pamphlets and sketches« (1875). In der äußern Politik neigte er sich mehr zu Deutschland als zu Frankreich. Die letzte Gesamtausgabe seiner Werke ist die »Knebworth-Edition« in 38 Banden (1874 u. ö.).[8] Die Biographie des Dichters nebst dessen nachgelassenen Schriften veröffentlichte sein Sohn u. d. T.: »Life, letters and literary remains« (1883, 2 Bde.); doch reicht die Biographie nur bis 1832 und ist durch die Einleitung zu den Reden zu ergänzen. L. besticht durch seine Vielseitigkeit: er schreibt, um bei seiner Hauptgattung zu bleiben, sentimentale, romantische, historische, realistische und utopistische Romane. Niemals ist er bahnbrechend, immer aber hat er eine seine Witterung für die literarischen Strömungen des Tages. War er für die jeweilige Richtung auch nur Nachahmer, so bewahrte er sich doch seinen verschiedentlichen Vorbildern gegenüber die persönliche Eigenart. Das zeigt sich besonders auffällig im historischen Roman, also gegenüber dem mächtigsten Muster, W. Scott. Die Romane wurden in fast alle europäischen Sprachen, auch wiederholt ins Deutsche, übersetzt. Vgl. Planche, Portraits littéraires, Bd. 1 (Par. 1849); Jul. Schmidt, Bilder aus dem geistigen Leben unsrer Zeit (Leipz. 1870).
Seine Gattin Rosina, Lady Bulwer, geb. 1807 in Limerick, gest. 12. März 1882 in London, war die Tochter Francis Wheelers und Enkelin Lord Masseys und verheiratete sich mit Bulwer 1827. Die Ehe wurde später gelöst, und bald darauf verfaßte sie den skandalösen Roman »Cheveley, or the man of honour« (1839; deutsch, Stuttg. 1840), voll bitterer Angriffe auf ihren Gemahl. Ihm folgten gelungene Schilderungen gesellschaftlicher Zustände in »Miriam Sedley« (1851; deutsch, Wurzen 1852), »Behind the scenes« (1854), »Very successful« (1857) und »The world and his wife« (1858). Vgl. Louisa Devey, Life of Rosina, Lady L. (Lond. 1887).
Der Baronet Sir Peter Chillingly von Exmundham war der Repräsentant einer alten Familie und ein Grundbesitzer von einiger Bedeutung. Er hatte sich jung verheirathet, nicht aus besonderer Neigung für den Ehestand, sondern auf den Wunsch seiner Eltern, die sich auch der Mühe unterzogen hatten, eine Frau für ihn zu wählen. Ihre Wahl hätte vielleicht besser, sie hätte aber auch schlimmer ausfallen können, was man von der Wahl vieler Männer, die sich ihre Frauen selbst aussuchen, nicht sagen kann. Fräulein Karoline Brotherton war in jeder Beziehung eine passende Partie. Sie hatte ein hübsches Vermögen, das sich sehr nützlich für den Ankauf einiger Pachthöfe erwies, deren Erwerb die Chillinglys schon lange alszur Abrundung ihres Besitzes nothwendig gewünscht hatten; sie war von sehr guter Familie und brachte jene Kenntniß des fashionablen Lebens mit aufs Land, welche junge Damen sich erwerben, wenn sie einen dreijährigen Cursus von Bällen in London durchgemacht haben, um schließlich ehrenvoll unter die Haube zu kommen. Sie war hübsch genug, um dem Stolz eines Ehemannes zu schmeicheln, aber nicht schön genug, um die Eifersucht eines Ehemannes beständig wach zu halten; sie galt für sehr talentvoll, das heißt, ihr Klavierspiel war der Art, daß jeder Musiker, der sie hörte, sagte, sie sei sehr gut unterrichtet, aber kein Verlangen trug, sie zum zweiten Male zu hören; sie malte Aquarell zu ihrem Vergnügen; das Französische und Italienische beherrschte sie mit so vornehmer Eleganz, daß sie, obgleich sie in diesen Sprachen nur ausgewählte Stücke berühmter Autoren gelesen hatte, dieselben mit einem correcteren Accente sprach, als wir ihn bei Rousseau oder Ariost zu vermuthen Grund haben. Was eine junge Dame sich sonst noch aneignen muß, um für hochgebildet zu gelten, maße ich mir zu wissen nicht an, bin aber überzeugt, daß unsere junge Dame allen Anforderungen der besten Lehrer genügt haben würde. Die Partie war nicht nur eine wünschenswerthe, sondern eine glänzende für Sir PeterChillingly und auch für Fräulein Karoline Brotherton war sie durchaus tadellos.
Dieses vortreffliche Ehepaar lebte so glücklich wie die meisten vortrefflichen Ehepaare. Bald nach seiner Verheirathung gelangte Sir Peter durch den Tod seiner Eltern, welchen, nachdem sie ihren Sohn und Erben verheirathet hatten, das Leben nichts mehr bot, was ihm hätte Reiz verleihen können, in den Besitz der Familiengüter; er lebte neun Monate des Jahres auf Exmundham und verbrachte die drei übrigen Monate in London. Lady Chillingly und er gingen sehr gern nach London, weil sie sich in Exmundham langweilten, und gingen sehr gern wieder nach Exmundham zurück, weil sie sich in London langweilten. Mit einer einzigen Ausnahme konnte man die Ehe, wie Ehen nun einmal sind, eine außerordentlich glückliche nennen. In kleinen Dingen ging Alles nach Lady Chillingly's, in großen nach Sir Peter's Willen. Kleine Dinge kommen täglich vor, große vielleicht alle drei Jahre einmal. Nur alle drei Jahre einmal mußte sich Lady Chillingly dem Willen Sir Peter's fügen. In Haushaltungen, in denen ein solches Verhältniß herrscht, geht es friedlich her, und was unserem Paare zum vollen Glücke fehlte, war doch am Ende etwas, dem abzuhelfen in keines Menschen Gewalt stand. IhreLiebe zu einander war so groß, daß sie sich nach einem Pfande derselben sehnten; vierzehn Jahre lang hatten sie den kleinen Ankömmling vergebens erwartet.
Nun ging aber Sir Peter's Grundbesitz in Ermangelung eines männlichen Sprößlings auf einen entfernten Vetter als nächsten Erben über und dieser präsumtive Erbe hatte seit vier Jahren aus seiner Ueberzeugung, daß er in Wahrheit bereits wirklicher Erbe sei, kein Hehl gemacht und hatte, obgleich Sir Peter viel jünger war als er und sich der besten Gesundheit erfreute, seine Erwartung einer baldigen Erbfolge in unliebsamer Weise zu erkennen gegeben. Er hatte seine Zustimmung zu einem Austausch kleiner Stücke Landes, durch welchen Sir Peter von einem benachbarten Grundbesitzer ein Stück guten Ackerlandes gegen einen entferntliegenden Wald, der nichts ertrug als Bündelholz und Kaninchen, mit der groben Erklärung verweigert, daß er, der präsumtive Erbe, ein Freund der Kaninchenjagd sei und daß der Wald ihm in der nächsten Saison, wenn er bis dahin, was sehr möglich sei, in den Besitz desselben gelangt sein werde, sehr willkommen sein würde. Er bestritt Sir Peter das Recht, in gewohnter Weise Holz fällen zu lassen, und hatte ihn deshalb sogar mit einer Klage vor dem Kanzleigericht bedroht. Kurz, dieser präsumtive Erbewar einer von den Menschen, die einen Gutsbesitzer dahin bringen können, sich noch in seinem achtzigsten Jahre in der Hoffnung zu verheirathen, Nachkommenschaft zu erzielen.
Aber es war nicht nur der sehr natürliche Wunsch, die Hoffnungen dieses unliebenswürdigen Verwandten zu vereiteln, was Sir Peter das Ausbleiben des kleinen Ankömmlings beklagen ließ. Wiewohl er zu jener Klasse von Landedelleuten gehörte, welchen gewisse politische Schwätzer die anderen Mitgliedern des Gemeinwesens gewährte Intelligenz absprechen, erfreute sich Sir Peter doch einer sehr respectablen Belesenheit und fand großen Geschmack an speculativer Philosophie. Er sehnte sich nach einem natürlichen Erben seines Vorrathes an Gelehrsamkeit und, als ein menschenfreundlich gesinnter Mann, nach einem thätigeren und nützlicheren Spender jener Wohlthaten, welche die Philosophen der Menschheit dadurch erweisen, daß sie sich tüchtig an einander reiben, gerade wie in einem Feuerstein, möge er auch noch so voll Funken sein, diese Funken bis zum jüngsten Tage verborgen bleiben würden, wenn sie nicht mit dem Stahl herausgeschlagen würden. Kurz, Sir Peter sehnte sich nach einem Sohn, der reichlich mit der Kampflust begabt wäre, an welcher es ihm selbst mangelte, welche aber die erste undwesentlichste Eigenschaft für alle nach Ruhm Strebenden und besonders für wohlwollende Philosophen ist.
Unter diesen Umständen wird man leicht die Freude begreifen, welche im Herrenhause von Exmundham herrschte und sich auf die ganze Pächterschaft dieses altehrwürdigen Gutes, bei welcher der gegenwärtige Besitzer sehr beliebt und die Aussicht auf jenen präsumtiven Erben mit dem speciellen Absehen auf die Erhaltung der Kaninchen sehr verhaßt war, erstreckte, als der Hausarzt erklärte, daß die gnädige Frau sich in interessanten Umständen befinde, und welchen Höhepunkt diese Freude erreichte, als nach Verlauf der gehörigen Zeit ein Knabe sicher in seiner Wiege thronte. Sir Peter ward an diese Wiege berufen. Er betrat das Zimmer mit geflügelten Schritten und strahlendem Gesicht; er verließ es langsamen Schrittes und mit umwölkter Stirn.
Und doch war das Kind kein Ungeheuer; es war nicht mit zwei Köpfen auf die Welt gekommen, wie von einigen Kindern behauptet wird. Es war gebildet, wie neugeborene Kinder es in der Regel sind, war Alles in Allem ein prächtiger schöner Knabe. Und doch hatte sein Anblick auf den Vater einen beängstigenden Eindruck gemacht, wie schon vorher auf die Wärterin. Das kleine Wesen sah so unaussprechlich feierlich aus!Es heftete seine Augen mit einem melancholisch vorwurfsvollen Blick auf Sir Peter; seine Lippen waren zusammengepreßt und die Mundwinkel herabgezogen, wie wenn es unzufrieden über seine künftige Bestimmung nachdächte. Die Wärterin erklärte in einem bangen Flüsterton, es habe, als es das Licht der Welt erblickt, keinen Schrei ausgestoßen, es habe mit der ganzen Würde stillen Kummers von seiner Wiege Besitz genommen. Trauriger und nachdenklicher hätte kein menschliches Wesen aussehen können, das im Begriff gewesen wäre, die Welt zu verlassen. anstatt sie zu betreten.
»Hm«, dachte Sir Peter bei sich, als er wieder in seiner einsamen Bibliothek saß, »ein Philosoph, der dieses Jammerthal um einen neuen Bewohner vermehrt, nimmt eine sehr ernste Verantwortlichkeit auf sich.«
In diesem Augenblick erklangen die Freudenglocken von dem benachbarten Kirchthurm, schien die Sommersonne in die Fenster, summten die Bienen zwischen den Blumen auf dem Rasen. Sir Peter raffte sich auf. »Am Ende«, sagte er munter, »ist doch das Jammerthal nicht ganz ohne Freude.«
Ein Familienrath versammelte sich in Exmundham, um über den Namen zu berathen, auf welchen dieses merkwürdige Kind in die christliche Gemeinschaft aufgenommen werden sollte. Die jüngeren Zweige dieses alten Hauses bestanden zunächst aus dem verhaßten, einem schottischen Zweige angehörenden präsumtiven Erben mit Namen Chillingly-Gordon. Er war der verwittwete Vater eines einzigen, jetzt dreijährigen Sohnes, der glücklicherweise nichts von der Beeinträchtigung ahnte, welche seinen Aussichten durch die Ankunft des Neugeborenen widerfuhren, was man von seinem caledonischen Vater nicht behaupten konnte. Herr Chillingly-Gordon gehörte zu jenen Leuten, die in der Welt gut fortkommen, ohne daß wir begreifen, weshalb. Seine Eltern starben, als er noch ein Kindwar, und hinterließen ihm nichts; aber die Verwendung seiner Familie verschaffte ihm Aufnahme in die Charter-House-Schule, in welcher berühmten Anstalt er sich nicht merklich hervorthat. Nichtsdestoweniger nahm der Staat ihn, sobald er die Schule verlassen hatte, unter seine besondere Obhut und gab ihm die Stelle eines Kanzlisten auf einem öffentlichen Bureau. Und so ging es ihm ferner gut in der Welt und jetzt war er ein Zollcommissär mit einem jährlichen Gehalte von fünfzehnhundert Pfund Sterling. Sobald er sich auf diese Weise in den Stand gesetzt sah, eine Frau zu ernähren, suchte er sich eine aus, die ihm auch bei seiner eigenen Ernährung behülflich war. Sie war die Wittwe eines irischen Pairs mit einem Wittwengehalt von jährlich zweitausend Pfund Sterling.
Wenige Monate nach seiner Verheirathung versicherte Chillingly-Gordon das Leben seiner Frau, sodaß er sich für den Fall ihres Todes eine Jahreseinnahme von tausend Pfund Sterling sicherte. Da sie einige Jahre jünger als er und anscheinend von guter Gesundheit war, so erschien der Abzug an seiner Einnahme, den er sich durch die Jahreszahlung für die Versicherung auferlegte, als ein auffallend großes Opfer gegenwärtigen Genusses für künftige Möglichkeitsfälle. Die Folge bewährte seinen Ruf eines scharfblickendenMannes; denn seine Frau starb im zweiten Jahre ihrer Ehe, wenige Monate nach der Geburt ihres einzigen Kindes an einem Herzleiden, welches den Aerzten verborgen geblieben war, welches aber Gordon in seiner Zärtlichkeit offenbar entdeckt hatte, ehe er ein Leben versicherte, das ihm zu kostbar war, als daß er sich nicht eine Entschädigung für seinen Verlust hätte sichern sollen. Er war also jetzt im Besitz von jährlich zweitausendfünfhundert Pfund Sterling und es ging ihm daher pecuniär sehr gut. Er hatte sich überdies einen Ruf erworben, der ihm eine sociale Stellung gab, die weit höher war als die ihm von dem prüfenden Staate zuerkannte. Er galt für einen Mann von solidem Urtheil und seinen Ansichten über alle privaten und öffentlichen Angelegenheiten wurde Werth beigelegt. Wenn man diese Ansichten kritisch beleuchtete, waren sie nicht viel werth, aber er hatte eine imponirende Art, sie auszusprechen. Fax sagte einmal, noch nie sei jemand so weise gewesen, wie Lord Thurlaw aussehe; Lord Thurlaw aber konnte nicht weiser ausgesehen haben, als es Herr Chillingly-Gordon that. Er hatte eine viereckige Kinnlade und große rothe buschige Augenbrauen, die er mit großem Effect herabzog, wenn er ein Urtheil abgab. Er hatte noch eine andere Eigenschaft, die sein Ansehen bei den Leuten erhöhte, er warein sehr unangenehmer Mensch; er konnte grob werden, wenn man ihm widersprach, und da die meisten Menschen sich nicht gern grob behandeln lassen, widersprach man ihm selten.
Herr Chillingly-Mivers, ein anderes Mitglied eines Nebenzweiges der Familie, war ebenfalls ein wenn auch in anderer Weise ausgezeichneter Mann. Er war ein jetzt etwa fünfunddreißigjähriger Junggeselle, der sich durch seine außerordentliche, mit den feinsten Manieren zur Geltung gebrachte Verachtung aller Menschen und aller Dinge auszeichnete. Er war der Gründer und Haupteigenthümer eines »Der Londoner« genannten Journals, welches kürzlich dieses Princip der Verachtung verkündet hatte, und wie wir kaum zu bemerken brauchen, außerordentlich beliebt bei allen jenen maßgebenden Persönlichkeiten war, die niemand bewundern und an nichts glauben. Herr Chillingly-Mivers galt sich selbst in seinen eigenen und aller übrigen Menschen Augen für einen Mann, der die höchsten Erfolge in jedem Zweige der Literatur hätte erringen können, wenn er geruht hätte, sein Talent einem dieser Zweige zuzuwenden. Aber er geruhte nicht und hatte daher das vollste Recht, den Leuten zu verstehen zu geben, daß, wenn er ein Epos, ein Drama, einen Roman, ein Geschichtswerk oder einemetaphysische Abhandlung geschrieben hätte, man nicht mehr von Milton, Shakespeare, Cervantes, Hume und Berkley reden würde. Er hielt sehr auf die Würde der Anonymität und was er selbst in seinem eigenen Blatte schrieb, konnte niemand mit Bestimmtheit angeben. Aber wie dem auch sei, jedenfalls war Herr Chillingly-Mivers, was Herr Chillingly-Gordon nicht war, ein sehr gescheidter und keineswegs gesellschaftlich unangenehmer Mann.
Der Ehrwürdige John Stalworth Chillingly war ein entschiedener Anhänger des sogenannten muskulösen Christenthums Muscular Christianity: halb scherzhafte Bezeichnung einer eigenthümlichen kirchlichen Richtung, welche eine Art Vergötterung mit der Entwickelung der Muskelkraft treibt und daher neben großer Frömmigkeit auf die Uebung alles derartigen Sport großen Werth legt. — Anm. d. Uebers.und überdies ein sehr schönes Exemplar desselben, ein großer stattlicher Mann mit breiten Schultern und stark entwickelten Waden. Einen Deisten, der es gewagt hätte, ihm unter die Augen zu treten, würde er sofort zu Boden geschlagen haben. Der Sieur de Joinville erzählt in seinem Leben Ludwig's des Heiligen, daß eine Versammlung von Geistlichen und Theologen die Juden einer orientalischen Stadtzusammenberief, um mit ihnen über die Wahrheiten des Christenthums zu disputiren, und daß ein Ritter, der im Kriege zum Krüppel geschlagen war und auf Krücken ging, sich die Erlaubniß erbat und erhielt, bei der Debatte zugegen zu sein. Die Juden strömten in Schaaren herbei und alsbald richtete ein Prälat an einen gelehrten Rabbi in mildem Ton die Hauptfrage, ob er an die Göttlichkeit des Herrn glaube. Kaum hatte der Rabbi die Frage mit einem entschiedenen Nein beantwortet, als der fromme Ritter, über eine solche Blasphemie empört, seine Krücke in die Hand nahm, den Rabbi damit zu Boden warf, sich dann unter die übrigen Ungläubigen stürzte und sie, nachdem er sie übel zugerichtet hatte, bald in schmähliche Flucht jagte. Das Benehmen des Ritters wurde dem heiligen König mit der Bitte berichtet, demselben einen gebührenden Verweis zu ertheilen; aber der heilige König gab folgendes weise Urtheil ab: »Wenn ein frommer Ritter zugleich ein sehr gelehrter Geistlicher ist und den Lehren des Ungläubigen mit guten Argumenten entgegentreten kann, so soll er sich gewiß dieser Argumente bedienen; wenn aber ein frommer Ritter kein gelehrter Geistlicher ist und ihm keine Argumente zu Gebote stehen, dann mag der fromme Ritter der Discussion mit der Klinge seines guten Schwertes ein kurzes Ende machen.«
Der Ehrw. John Stalworth Chillingly war derselben Ansicht wie der heilige Ludwig, im Uebrigen aber war er ein milder und liebenswürdiger Mann. Er ermunterte die Mitglieder seiner ländlichen Gemeinde zum Cricketspiel und anderen männlichen Uebungen; er war ein geschickter und kühner Reiter, ging aber nicht auf die Jagd, er war ein Freund der Geselligkeit, und sprach der Flasche wacker zu. Aber in literarischen Dingen hatte er einen feinen und friedlichen Geschmack, ganz anders wie man es bei seiner muskulösen christlichen Richtung hätte erwarten sollen. Er war ein großer Freund von Poesie, mochte aber weder Scott noch Byron, die er für oberflächliche Schreier hielt; er behauptete, Pope sei nur ein Versmacher und der größte englische Dichter sei Wordsworth; er machte sich nicht viel aus den alten Classikern und bestritt den französischen Dichtern jedes Verdienst. Von italienischer Poesie verstand er nichts; aber er pfuschte ein wenig im Deutschen und langweilte seine Freunde gern mit Goethe's »Hermann und Dorothea«. Er hatte eine einfache kleine Frau geheirathet, die ihn schweigend verehrte und überzeugt war, daß es kein Schisma in der Kirche geben würde wenn er Erzbischof von Canterbury und damit an seinem rechten Platze wäre, eine Ansicht, in welcher er mit seiner Frau völlig übereinstimmte.
Neben diesen drei männlichen Exemplaren der Familie Chillingly war das schöne Geschlecht in Abwesenheit von Lady Chillingly, welche noch das Zimmer hüten mußte, durch drei weibliche Chillinglys, unverheirathete Schwestern von Sir Peter, vertreten. Einer der Gründe, aus denen sie ledig geblieben, war vielleicht, daß sie einander so ähnlich waren, daß ein Freier in Verlegenheit gewesen sein würde, welche von den dreien er wählen solle, und hätte fürchten müssen, daß, wenn er eine wähle, es ihm den nächsten Tag begegnen könne, aus Versehen eine andere zu küssen. Alle drei waren groß, hager, mit langem Hals und einer hübschen Ansammlung von Knochen unterhalb des Halses, alle drei hatten hellblondes Haar, blaßrothe Augenlider, helle Augen und eine bleiche Gesichtsfarbe; alle drei kleideten sich immer ganz gleich und ihre Lieblingsfarbe war ein grelles Grün, in welche Farbe sie auch heute gekleidet waren. Dieser äußern Aehnlichkeit entsprechend würde ein gewöhnlicher Beobachter auch ihre Charaktere und ihre Art zu denken ganz gleich gefunden haben. Alle drei hatten strenge Begriffe von weiblicher Schicklichkeit, benahmen sich tadellos, sehr reservirt und vorsichtig gegen Fremde, sehr zärtlich gegen einander und gegen ihre Verwandten und Lieblinge und sehr gut gegen die Armen, die sieals eine besondere Art von Geschöpfen betrachteten und mit jenem Wohlwollen behandelten, welches die Menschen den stummen Thieren angedeihen zu lassen pflegen. Ihr Geist schöpfte seine Nahrung aus denselben Büchern; was die eine las, lasen auch die anderen. Ihre Lectüre bestand hauptsächlich aus zweierlei Arten von Büchern, nämlich Romanen und solchen Büchern, die sie speciell als gute bezeichneten. Sie hatten die Gewohnheit, mit diesen beiden Arten von Büchern abzuwechseln, heute einen Roman, morgen ein »gutes Buch«, übermorgen wieder einen Roman zu lesen und so fort. So wurde die Phantasie, wenn sie am Montag zu sehr aufgeregt worden war, am Dienstag wieder zu einer mäßigen Temperatur abgekühlt und, wenn sie in Folge dessen am Dienstag zu erfrieren drohte, am Mittwoch wieder durch ein lauwarmes Bad belebt. Ihre Lieblingsromane waren freilich selten geeignet, den geistigen Thermometer bis auf den Siedegrad steigen zu lassen. Die Helden und Heldinnen dieser Romane benahmen sich musterhaft. Damals waren die Romane von James en vogueund die drei Schwestern kamen darin überein, daß das Romane seien, welche ein Vater seinen Töchtern getrost in die Hand geben könne.
Aber wenn auch, wie gesagt, ein oberflächlicherBeobachter keinen Unterschied zwischen diesen drei Damen gefunden und mit Bezug auf ihre gewöhnlich grüne Kleidung erklärt haben würde, sie seien einander so ähnlich wie eine Erbse der anderen, so hatte doch jede von ihnen, wie sich bei genauerer Beobachtung ergab, ihre eigene Idiosynkrasie. Fräulein Margarethe, die Aelteste, hatte das Commando; sie führte die gemeinschaftliche Haushaltung, die gemeinschaftliche Kasse und entschied jeden etwa entstehenden Zweifel, ob sie Frau Soundso zum Thee einladen sollten oder nicht, ob Mary entlassen werden solle oder nicht, ob sie den Monat October in Broadstairs oder in Sandgate zubringen sollten. Fräulein Margarethe war in Wahrheit der personificirte Wille der vereinigten Körperschaft. Fräulein Sibylle hatte einen sanfteren Charakter und ein melancholischeres Temperament; sie hatte eine poetische Ader und machte gelegentlich Gedichte, von denen einige, auf Velinpapier gedruckt, Verkaufsgegenstände auf Bazars zu wohlthätigen Zwecken gebildet hatten. Die Grafschaftszeitungen urtheilten, daß diese Gedichte »das volle Gepräge der Eleganz eines gebildeten weiblichen Geistes an sich trügen«. Die beiden anderen Schwestern stimmten darin überein, daß Sibylle das Genie in ihrem Haushalte, daß sie aber wie alle Genies nicht praktisch genug für das Leben sei.
Fräulein Sara Chillingly, welche die jüngste von den dreien und eben in ihr vierundvierzigstes Jahr getreten war, wurde von den anderen als »ein liebes Kind, das zwar ein bischen unartig, aber doch ein so herziges Ding sei, daß niemand das Herz haben könne, sie zu schelten«, betrachtet. Fräulein Margarethe sagte, sie sei ein albernes Ding, und Fräulein Sibylle schrieb ein Gedicht auf sie, das die Ueberschrift trug:
»Warnung an ein junges Mädchen gegen die Freuden der Welt.«
Sie nannten sie alle Sally; die andern beiden Schwestern hatten keine Diminutivnamen.
Diese drei Schwestern, welche alle viel älter waren als Sir Peter, bewohnten in der Hauptstraße der Hauptstadt ihrer heimatlichen Grafschaft ein hübsches altmodisches, aus rothen Backsteinen erbautes Haus mit großem Garten. Sie hatten eine jede ein Heirathsgut von zehntausend Pfund Sterling, und der präsumtive Erbe würde, wenn er sie alle drei zugleich hätte bekommen können, sie geheirathet und sich die dreißigtausend Pfund Sterling auf ihren Todesfall durch den Ehecontract gesichert haben. Aber wir sind noch nicht dahin gelangt, das Mormonenthum als gesetzlich anzuerkennen. Indessen, wenn unser socialerFortschritt sich auf der jetzt betretenen Bahn fortbewegt, wer weiß, welche Triumphe über die Vorurtheile unserer Vorfahren unsere Nachkommen noch feiern werden.
Sir Peter stand vor dem Kamin, überblickte die im Halbkreise vor ihm sitzenden Glieder des Familienrathes und sagte:
»Meine Freunde, im Parlament muß, wenn ich nicht irre, bevor irgend eine Discussion über einen Gesetzentwurf stattfindet, dieser Gesetzentwurf eingebracht werden.«
Er hielt einen Augenblick inne, klingelte und sagte zu dem eintretenden Diener: »Sagen Sie der Kinderfrau, daß sie das Kind herbringt.«
Herr Chillingly-Gordon: »Ich sehe nicht ein, wozu das nöthig ist, Sir Peter. Es bezweifelt wohl niemand von uns die Existenz des Kindes.«
Herr Mivers: »Es kann dem Rufe von Sir Peter'sWerk nur zum Vortheil gereichen, wenn es sein Incognito bewahrt. Omne ignotum pro magnifico.«
Der Ehrw. John Stalworth Chillingly: »Ich kann mich mit der cynischen Leichtfertigkeit solcher Bemerkungen nicht einverstanden erklären. Natürlich müssen wir alle begierig sein, den künftigen Vertreter unseres Namens und Geschlechts in seiner frühesten Kindheit kennen zu lernen. Wer möchte nicht wünschen, den Tigris oder den Nil an seiner Quelle zu betrachten, und wäre diese auch noch so klein.«
Fräulein Sally (kichernd): »Hihihi!«
Fräulein Margarethe. »Schäme Dich, Du albernes Ding!«
Das Kind erscheint auf dem Arme der Wärterin. Alle stehen auf und schaaren sich um dasselbe mit einziger Ausnahme von Herrn Gordon, der nicht mehr nächster Erbe ist.
Der Kleine erwidert die Blicke seiner Verwandten mit dem Ausdruck der geringschätzigsten Gleichgültigkeit.
Fräulein Sibylle äußert zuerst eine Ansicht über die Eigenschaften des Kindes. In feierlichem Flüsterton sagt sie: »Welch ein himmlisch trauernder Ausdruck! Das Kind scheint sehr betrübt darüber, daß es sich von den Engeln hat trennen müssen.«
Der Ehrw. John: »Sehr hübsch gesagt,Cousine Sibylle; aber das Kind muß sich zusammennehmen und sich durch diese sterbliche Welt mit frohem Muth durchschlagen, wenn es einmal wieder zu den Engeln zurück will! Und ich denke, das will es. Ein hübsches Kind!«
Er nahm es der Wärterin ab, hob und senkte es, als wolle er es wägen, und sagte heiter: »Ungeheuer schwer! Wenn es einmal zwanzig Jahre alt ist, wird es einem Preisfechter gewachsen sein.«
Mit diesen Worten trat er auf Gordon zu, der, wie um zu zeigen, daß er jetzt keinen Theil mehr an den Interessen einer Familie nehme, die ihn durch die Geburt dieses Kindes so schlecht behandelt habe, die »Times« zur Hand genommen und sein Gesicht mit dem großen Blatte bedeckt hatte. Der Pfarrer schlug die Zeitung kurzweg mit der einen Hand beiseite, hielt statt dessen mit der anderen Hand vor die entrüsteten Augen des cidevant nächsten Erben das Kind und sagte:
»Küssen Sie es!«
»Küssen?« wiederholte Chillingly-Gordon, indem er seinen Stuhl zurückschob. »Küssen! Bah, mein werther Herr! Bleiben Sie mir vom Leibe! Ich habe mein eigenes Kind nie geküßt und werde auch ein fremdes nie küssen. Nehmen Sie das Kind weg. Es ist häßlich, es hat schwarze Augen.«
Sir Peter, der kurzsichtig war, setzte seine Brille auf und sah sich das Gesicht des Neugeborenen näher an. »Es ist wahr«, sagte er, »es hat schwarze Augen – sehr merkwürdig, ominös; der erste Chillingly, der je schwarze Augen gehabt hat.«
»Seine Mama hat schwarze Augen«, bemerkte Fräulein Margarethe. »Es schlägt nach seiner Mama, es hat nicht die blonde Schönheit der Chillinglys, aber es ist nicht häßlich.«
»Ein süßes Kind«, seufzte Sibylle »und so gut, es schreit gar nicht.«
»Es hat noch nicht ein einziges Mal geschrieen oder gekräht, seit es geboren ist«, sagte die Wärterin. »Gott segne es!«
Sie nahm dem Pfarrer das Kind wieder ab und machte die Rüsche seines Mützchens, die zerknittert war, wieder glatt.
»Sie können wieder gehen, liebe Frau!« sagte Sir Peter.
»Ich stimme Tristram Shandy darin bei«, sagte Sir Peter, nachdem er sich wieder vor das Kamin gestellt hatte, »daß unter den schweren Pflichten der Eltern die Wahl des Namens, den ein Kind sein Lebelang tragen soll, eine der schwersten ist. Und das gilt namentlich für die Baronets. Bei einem Pair wird der Vorname nicht genannt; ein Bürgerlicher braucht, wenn sein Vorname häßlich oder lächerlich klingt, denselben nicht zur Schau zu tragen, er kann ihn auf seinen Visitenkarten ganz weglassen und sich auf denselben blos »Herr Jones« statt Herr »Ebenezer Jones« nennen. Bei seiner Unterschrift kann er sich, außer in den Fällen, wo das Gesetz den vollen Vornamen verlangt, nur des Anfangsbuchstabens bedienen, »Ihr ergebener Diener E. Jones« unterschreiben unddie Leute glauben lassen, daß E. Eduard oder Ernst bedeute, harmlose Namen die nicht wie Ebenezer die Vorstellung einer Dissenterkapelle erwecken. Wenn man einen Mann mit Namen Eduard oder Ernst auf einer Handlung jugendlichen Leichtsinns ertappt, so haftet darum noch kein unauslöschlicher Makel an seinem Ruf; wenn aber ein Ebenezer sich auf einer solchen Handlung ertappen läßt, wird er als ein Heuchler verschrieen und auf die Welt macht es denselben Eindruck, wie wenn einer von den Frommen plötzlich als gemeiner Sünder entlarvt wird. Aber ein Baronet kann seinem Vornamen nie entgehen. Der Vorname kann nicht verborgen bleiben, kann nicht zu einem Anfangsbuchstaben zusammenschrumpfen, immer stiert er einen voll an; ist er einmal auf den Namen Ebenezer getauft, so heißt er sein Lebelang Sir Ebenezer und ist allen Gefahren dieses Namens unterworfen, wenn er einmal einer der Versuchungen unterliegt, denen selbst Baronets ausgesetzt sind. Aber, meine Freunde, es gilt nicht nur die Wirkung, welche der Klang eines Namens auf Andere übt, in sorgfältige Erwägung zu ziehen, noch wichtiger ist vielleicht die Wirkung, welche der Name eines Menschen auf ihn selbst übt. Einige Namen sind geeignet, ihre Träger anzufeuern und zu ermuthigen, andere, sie zu entmuthigen und zu lähmen; ich selbst bin eintrauriges Beispiel dieser Wahrheit. Seit vielen Generationen wird der Erstgeborene in unserer Familie, wie Sie wissen, auf den Namen Peter getauft. Auf dem Altar dieses Namens hat man mich geopfert. Es hat noch nie einen Sir Peter Chillingly gegeben, der sich in irgend einer Weise vor seinen Genossen ausgezeichnet hätte. Dieser Name hat schwer auf meiner geistigen Spannkraft gelastet. In dem Register berühmter Engländer gibt es, glaube ich, keinen unsterblichen Sir Peter, außer Sir Peter Teaze, und der existirt nur in der Komödie.«
Fräulein Sibylle: »Und Sir Peter Lely?«
Sir Peter Chillingly: »Dieser Maler war kein Engländer. Er war in Westphalen, das durch seine Schinken berühmt ist, geboren; ich beschränke meine Bemerkungen auf die Söhne unseres Heimatlandes. Ich weiß, daß dieser Name in anderen Ländern nicht die Eigenschaft besitzt, den Genius seines Trägers zu ersticken. Aber woher kommt das? Weil in anderen Ländern der Name etwas anders klingt. Pierre Corneille war ein großer Mann; aber ich frage Sie, ob er als Peter Krähe der Vater der europäischen Tragödie hätte werden können?«
Fräulein Sibylle: »Unmöglich!«
Fräulein Sally: »Hihihi!«
Fräulein Margarethe: »Da ist gar nichts zu lachen, Du albernes Ding.«
Sir Peter: »Mein Sohn soll nicht durch den Namen Peter petrificirt werden.«
Herr Chillingly-Gordon: »Wenn Narren sich durch den Klang ihres Namens beeinflussen lassen, und ich behaupte nicht, daß Ihr Sohn kein Narr werden wird, Vetter Peter, so nennen Sie ihn doch gleich, wenn Sie wünschen, daß der Bursche die Welt auf den Kopf stellen soll, Julius Cäsar oder Hannibal oder Attila.«
Sir Peter (mit unerschütterter guter Laune): »Im Gegentheil, wenn man einem Menschen die Last eines dieser Namen aufbürdet, deren Ruhm zu verdunkeln oder auch nur zu erreichen er verständigerweise nicht hoffen kann, so erliegt er dieser Last. Wenn ein Dichter heutigen Tages John Milton oder Shakespeare hieße, so dürfte er es nicht wagen, auch nur ein Sonett zu veröffentlichen. Nein, die richtige Wahl eines Namens hat die beiden Klippen einer lächerlichen Unbedeutendheit und einer erdrückenden Berühmtheit zu umschiffen. Ich habe deshalb den Familienstammbaum dort an der Wand aufhängen lassen. Lassen Sie uns denselben sorgfältig prüfen und zusehen, ob wir nicht unter den Chillinglys selbst oder den mit ihnen verwandten Familien einen Namen entdecken können, welchen daskünftige Haupt unseres Hauses würdig und passend tragen kann, einen Namen, der weder zu leicht noch zu schwer wiegt.«
Mit diesen Worten ging Sir Peter, den Uebrigen voran, an die Besichtigung des Familienstammbaums, einer starken Pergamentrolle, an deren oberem Ende sich das Familienwappen befand. Das Wappen war einfach, wie es alte Wappen zu sein pflegen: drei silberne Fische auf azurnem Felde; als Helmschmuck der Kopf einer Meerjungfer. Alle folgten Sir Peter zur Besichtigung des Stammbaums, nur Herr Gordon vertiefte sich wieder in seine »Times«.
»Ich habe nie dahinter kommen können, was es eigentlich für Fische sein sollen«, bemerkte der Ehrw. John Stalworth. »Sicher sind es keine Hechte, welche in dem Wappen der Hotofts figurirten und noch grimmig genug auf dem Wappen der Warwickshire-Lucys stehen, um einem künftigen Shakespeare zu schaffen zu machen.«
»Ich glaube, es sind Schleien«, sagte Herr Mivers; »die Schleie liebt, aus philosophischer Neigung für eine obscure Existenz, den Aufenthalt in tiefen Löchern und im Schlamm.«
Sir Peter: »Nein, Mivers, es sind Weißfische, Fische, die, einmal in einen Teich gebracht, nie wiederausgerottet werden können. Man mag das Wasser ausbaggern, man mag es ablassen und glauben die Weißfische vertilgt zu haben, vergebens; sie kommen wieder zum Vorschein und sind in dieser Beziehung wirklich ein Sinnbild unserer Familie. Alle Kämpfe und Revolutionen, von denen England seit der Heptarchie heimgesucht ist, haben das Geschlecht der Chillinglys in seinem Besitz unberührt gelassen. Schon die normannische Eroberung ließ sie unangefochten; sie waren ebenso friedliche Vasallen unter Eudo Dapifer, wie sie es unter König Harold gewesen waren; sie nahmen weder an den Kreuzzügen noch an den Kriegen der Rosen, noch an den Bürgerkriegen zwischen Karl I. und dem Parlamente Theil. Wie die Weißfische am Wasser haften und das Wasser an den Weißfischen, so hafteten die Chillinglys an ihren Gütern und die Güter an den Chillinglys. Vielleicht habe ich Unrecht zu wünschen, daß dieser neue Chillingly einem Weißfische etwas weniger ähnlich werden möchte.«
»O!« rief Fräulein Margarethe, die, auf einem Stuhle stehend, den Stammbaum durch die Lorgnette betrachtet hatte, »ich sehe unter allen Vornamen keinen schönen außer Oliver.«
Sir Peter: »Dieser Chillingly wurde unter Oliver Cromwell's Protectorat geboren und alsCompliment für diesen Oliver genannt, wie sein unter der Regierung Jakob's I. geborener Vater auf den Namen Jakob getauft worden war. Die drei Fische schwammen immer mit dem Strom. Oliver! Oliver ist kein übler Name, klingt aber nach radicalen Doctrinen.«
Herr Mivers: »Das finde ich nicht. Oliver Cromwell machte mit den Radicalen und ihren Doctrinen kurzen Prozeß. Vielleicht aber können wir einen weniger furchtbaren und revolutionären Namen finden.«
»Ich habe es, ich habe es!« rief der Pfarrer. »Hier ist Sir Kenelm Digby, der Venetia Stanley geheirathet hat. Sir Kenelm Digby! Es hat kein schöneres Muster muskulösen Christenthums gegeben. Er focht ebenso gut, wie er schrieb; freilich, er war excentrisch, aber immer ein Gentleman! Nennen Sie den Knaben Kenelm!«
»Ein süßer Name!« sagte Fräulein Sibylle. »Er hat so einen romantischen Duft.«
»Sir Kenelm Chillingly klingt gut, imposant!« stimmte Fräulein Margarethe zu.
»Und«, bemerkte Herr Mivers, »er hat den Vortheil, daß, während er einerseits hinreichend an ausgezeichnete Vorfahren erinnert, um einen guten Eindruck auf das Gemüth des Trägers hervorzubringen und ihn zur Nacheiferung anzufeuern, er dochandererseits nicht der Name einer so gewaltig hervorragenden Persönlichkeit ist, daß jede Nacheiferung ausgeschlossen wäre. Sir Kenelm Digby war unstreitig ein für seine Zeit hochgebildeter und tapferer Herr; wenn man aber an seinen albernen Aberglauben, an sympathetische Pulver und dergleichen denkt, so darf man getrost sagen, daß heutzutage jeder Mensch ihm, ohne etwas Besonderes zu sein, an Einsicht überlegen sein könnte. Ja, lassen Sie uns uns für Kenelm entscheiden.«
Sir Peter dachte nach. »Unstreitig«, sagte er nach einer Pause, »unstreitig verbindet sich mit dem Namen Kenelm die Vorstellung von großer Grillenhaftigkeit und ich fürchte, Sir Kenelm Digby war bei der Eingehung seiner Ehe nicht vorsichtig. Die schöne Venetia war nicht besser, als man es von ihr erwarten konnte, und ich würde wünschen, daß mein Sohn sich nicht durch Schönheit blenden ließe, sondern ein Weib von respectablem Charakter und guter Aufführung ehelichte.«
Fräulein Margarethe: »Natürlich, eine britische Matrone.«
Die drei Schwestern unisono: »Natürlich! Natürlich!«
»Aber«, nahm Sir Peter wieder auf, »ich bin selbst grillenhaft, Grillen sind etwas sehr Harmloses, und was die Ehe betrifft, so soll ja das Kind morgennoch nicht heirathen, und wir haben Zeit genug, das zu überlegen. Kenelm Digby war ein Mann, auf den jede Familie stolz sein könnte, und wie Du sagst, Schwester Margarethe, Kenelm Chillingly klingt nicht schlecht, Kenelm Chillingly soll er heißen.«
Demgemäß wurde das Kind auf den Namen Kenelm getauft, nach welcher Ceremonie sein Gesicht noch länger wurde, als es vorher schon gewesen war.
Ehe seine Verwandten ihn wieder verließen, berief Sir Peter Herrn Gordon in seine Bibliothek.
»Vetter«, sagte er freundlich, »ich tadle Sie nicht wegen des Mangels an Familienanhänglichkeit, ja selbst an menschlichem Interesse, welches Sie dem Neugeborenen gegenüber zu erkennen geben.«
»Mich tadeln, Vetter Peter? Ich glaube nicht, daß dazu Veranlassung ist. Ich gebe so viel Familienanhänglichkeit und menschliches Interesse zu erkennen, wie von mir erwartet werden kann, wenn man die Umstände in Betracht zieht.«
»Ich finde es sehr natürlich«, sagte Sir Peter mit seiner gewohnten Milde, »daß das Erscheinen dieses Ankömmlings nach meiner vierzehnjährigen kinderlosen Ehe Ihnen eine unangenehme Ueberraschung bereitet haben muß. Da ich aber viel jünger bin als Sie und Sienach dem Lauf der Natur überleben werde, so ist doch der Verlust am Ende weniger groß für Sie als für Ihren Sohn, und darüber möchte ich ein paar Worte sagen. Sie kennen zu gut die Bedingungen, an die der Besitz meines Gutes für mich geknüpft ist, als daß Sie nicht wissen sollten, daß ich nicht die gesetzliche Befugniß habe, dasselbe mit einem Vermächtniß für Ihren Sohn zu belasten. Erst mein Sohn wird von den Beschränkungen, an die ich noch gebunden bin, frei. Aber ich beabsichtige von jetzt an jedes Jahr etwas von meiner Einnahme für Ihren Sohn zurückzulegen, und so gern ich einen Theil des Jahres in London zubringe, will ich doch mein Haus in der Stadt jetzt aufgeben. Wenn ich das Alter erreiche, das der Psalmist dem Menschen zutheilt, so werde ich auf diese Weise eine hübsche Summe für Ihren Sohn ansammeln, die er dann als eine Vergütung betrachten kann.«
Herr Gordon ließ sich durch diese großmüthige Mittheilung nichts weniger als beschwichtigen. Gleichwohl antwortete er höflicher, als es sonst wohl seine Gewohnheit war:
»Mein Sohn wird Ihnen sehr dankbar sein, wenn er je des ihm von Ihnen zugedachten Vermächtnisses bedürfen sollte.« Nach einer kleinen Pause fügte er dann lächelnd hinzu: »Ein großer Procentsatz vonKindern stirbt vor Erreichung des einundzwanzigsten Lebensjahres.«
»Allerdings; aber wie ich höre, ist Ihr Sohn ein ungewöhnlich prächtiges Kind.«
»Mein Sohn! Vetter Peter, ich habe nicht an meinen, sondern an Ihren Sohn gedacht. Ihrer hat einen großen Kopf. Ich würde mich nicht wundern, wenn es ein Wasserkopf wäre. Ich möchte Sie nicht beunruhigen, aber er kann jeden Tag sterben und in diesem Fall würde sich Lady Chillingly wohl kaum entschließen, ihn zu ersetzen. Sie werden es daher entschuldigen, wenn ich auch ferner ein wachsames Auge auf meine Rechte habe, und so schmerzlich es mir auch ist, muß ich Ihnen doch immer noch das Recht bestreiten, auch nur einen Stecken aus dem Holz in dem Walde zu schneiden.«
»Das ist Unsinn, Gordon. Ich bin Besitzer auf Lebenszeit ohne eine die Benutzung einschränkende Klausel und kann alles Nutzholz fällen lassen.«
»Ich würde Ihnen rathen, das nicht zu thun, Vetter Peter; ich habe Ihnen schon früher erklärt, daß ich, wenn Sie mich dazu drängen, eine gerichtliche Entscheidung der Sache herbeiführen würde, natürlich in aller Freundschaft. Rechte sind Rechte, und wenn ich dazu gedrängt werde die meinigen zu behaupten, sohabe ich doch das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie zu liberal gesinnt sein werden, um sich in Ihrer Familienanhänglichkeit an mich und die Meinigen durch ein Erkenntniß des Kanzleigerichts beeinflussen zu lassen. Aber mein Einspänner wartet auf mich. Ich darf den Zug nicht versäumen.«
»So leben Sie wohl, Gordon. Geben Sie mir die Hand.«
»Die Hand? Gewiß, gewiß. Da fällt mir ein, als ich vorhin am Pförtnerhause vorüber kam, schien mir dasselbe höchst reparaturbedürftig. Ich glaube, Sie haften für Verfall. Leben Sie wohl!«
»Dieser Mensch ist doch nur eine verkleidete Bestie«, dachte Sir Peter, als sein Vetter ihn verlassen hatte, »und wenn es schon schwer ist, eine gewöhnliche Bestie dahin zu treiben, wohin sie nicht will, so ist eine solche verkleidete Bestie völlig unlenksam. Aber sein Junge soll nicht unter der Verstocktheit seines Vaters leiden, und ich werde sofort anfangen für ihn zurückzulegen. Am Ende ist die Sache doch wirklich hart für Gordon. Der arme Gordon! Der arme Kerl! Ich will nur hoffen, daß er keinen Prozeß mit mir anfängt. Ich hasse Prozesse. Und selbst der Wurm krümmt sich, besonders ein Wurm, den man vor das Kanzleigericht bringt.«
Den finsteren Voraussagungen des ci-devant präsumtiven Erben zum Trotz durchlebte der jugendliche Chillingly die ersten Stadien seines Lebens in sicherer, ja würdiger Weise. Er ertrug die Masern und den Keuchhusten mit philosophischem Gleichmuth. Nach und nach lernte er auch sprechen, machte aber von dieser dem Menschen eigenthümlichen Fertigkeit keinen allzu verschwenderischen Gebrauch. In seinen ersten Kinderjahren sprach er so wenig, als ob er frühzeitig in der Schule des Pythagoras auferzogen wäre. Aber offenbar sprach er nur so wenig, um desto mehr zu denken, Er beobachtete scharf und sann tief über das nach, was er beobachtet hatte. Im achten Jahre fing er an, sich lebhafter zu unterhalten, und er war noch nicht älter, als er seine Mutter durch die Frage erschreckte:»Mama, fühlst Du Dich nicht bisweilen durch das Bewußtsein Deiner eigenen Identität überwältigt?«
Lady Chillingly – ich war im Begriff zu sagen: stürzte, aber Lady Chillingly stürzte niemals – schlich weniger gelassen, als es ihre Gewohnheit war, zu Sir Peter und sagte, nachdem sie ihm die Frage ihres Sohnes wiederholt hatte: »Der Junge wird lästig, zu klug für eine Frau; er muß in die Schule.«
Sir Peter war derselben Ansicht. Aber wo in aller Welt hatte das Kind ein so langes Wort wie »Identität« aufgeschnappt, und wie kam eine so ungewöhnliche und so schwere metaphysische Frage in seinen Kopf? Sir Peter ließ Kenelm kommen und erfuhr, daß der Junge, der nach Belieben in der Bibliothek ein und aus gehen durfte, hier auf Locke's Buch über das menschliche Begriffsvermögen verfallen war und sich mit der Lehre dieses Philosophen von den »eingeborenen Ideen« bereits angelegentlichst beschäftigt hatte. Mit ernsthafter Miene hob Kenelm an: »Ein Bedürfniß ist eine Idee, und wenn ich unmittelbar nach der Geburt ein Bedürfniß nach Nahrung empfand und sofort, ohne daß man es mich lehrte, wußte, wohin ich mich zur Befriedigung dieses Bedürfnisses zu wenden habe, so bin ich doch ganz gewiß mit einer eingeborenen Idee in die Welt gekommen.«
Sir Peter wurde, obgleich er ein wenig in der Metaphysik dilettirte, stutzig und kratzte sich den Kopf, ohne eine rechte Antwort in Betreff des Unterschieds von Ideen und Instinkten finden zu können.
»Mein Junge«, sagte er endlich, »Du verstehst von dem, worüber Du da sprichst, nichts; setze Dich auf Dein schwarzes Pony und galoppire tüchtig herum und merke Dir, daß Du künftig keine Bücher liest, die nicht ich oder Mama Dir gegeben haben. Lies Du Deinen ›Gestiefelten Kater‹.«
Sir Peter beorderte seinen Wagen und fuhr zu seinem Vetter, dem Pfarrer. Das Pfarrhaus dieses wackern Geistlichen, des einzigen Vetters, mit welchem Sir Peter sich über seine häuslichen Angelegenheiten zu berathen pflegte, lag wenige Meilen von dem Herrenhause entfernt. Er fand den Pfarrer in seinem Arbeitszimmer, dessen Ausstattung auf andere als geistliche Neigungen hinwies. Ueber dem Kaminsims waren Rappiere, Boxhandschuhe und Fechtstäbe für athletische Uebungen angebracht; Cricketballschläger und Angelruthen füllten die Ecken aus. An den Wänden hingen verschiedene Stahlstiche, ein Portrait von Wordsworth, zu dessen beiden Seiten die Bildnisse berühmter Rennpferde prangten, ferner das Bildniß eines kurzhaarigen Stücks Leicestershire-Rindvieh, mit welchem derPfarrer, der seine eigene Scholle bebaute und auf seinen fetten Weiden Vieh züchtete, auf der Grafschaftsausstellung einen Preis gewonnen hatte, und zu beiden Seiten dieses Thieres hingen die Portraits von Hooker und Jeremias Taylor. In sehr kleinen Bücherschränken befanden sich sehr schön gebundene Werke vermischten Inhalts. Vor dem offenen Fenster stand ein Einsatz mit Topfgewächsen, die in voller Blüthe prangten. Der Pfarrer war berühmt für seine Blumenzucht.
Das ganze Zimmer ließ auf einen sehr ordentlichen und in seinen Gewohnheiten accuraten Bewohner schließen.
»Vetter«, sagte Sir Peter, »ich bin gekommen, Sie um Rath zu fragen.« Und darauf berichtete er über die wunderbare Frühreife Kenelm's. »Sie sehen, der Name fängt bereits an, etwas zu stark auf ihn einzuwirken. Er muß in die Schule, aber in welche? In eine öffentliche oder in eine Privatschule?«
Der Ehrw. John Stalworth erwiderte: »Es läßt sich sehr viel für und gegen beide Arten von Schulen sagen. In einer öffentlichen Schule würde sich Kenelm wahrscheinlich bald nicht mehr von dem Bewußtsein seiner eigenen Identität überwältigt fühlen, vielmehr würde er wahrscheinlich seine Identität ganz verlieren. Das Schlimmste in einer öffentlichen Schule ist, daß an die Stelle des individuellen eine Art vonallgemeinem Charakter tritt. Natürlich kann sich der Lehrer nicht um die besondere Entwickelung der Eigenthümlichkeit jedes Jungen bekümmern. Alle Geister werden in eine große Form gegossen und kommen mehr oder weniger gleichförmig wieder heraus. Ein Schüler von Eton kann gescheidt oder dumm sein, wird aber immer vor allen Dingen ein Schüler von Eton sein. Eine öffentliche Schule reift Talente, aber ihre Tendenz geht dahin, den Genius zu ersticken. Ferner ist eine öffentliche Schule geeignet, bei einem einzigen Sohne, dem Erben eines schönen Gutes, über das er ganz frei wird verfügen können, leichtfertige und extravagante Gewohnheiten zu nähren, und Ihr Gut erfordert eine umsichtige Verwaltung und kann die Solawechsel und Schuldscheine eines Erben nicht vertragen. Im Ganzen bin ich gegen eine öffentliche Schule für Kenelm.«
»Nun, so wollen wir uns für eine Privatschule entscheiden.«
»Halt«, sagte der Pfarrer, »Privatschulen haben auch ihre Schattenseiten. Man züchtet schwer in kleinen Teichen große Fische. In den Privatschulen sind dem Ehrgeiz enge Schranken gezogen, wird die geistige Energie verkümmert. Die Frau des Schulmeisters mischt sich in die Erziehung und verzieht gewöhnlich die Knaben. Diese Schulen bieten nicht genug zurEntwickelung der Männlichkeit; es gibt da keinen Dienst der Jungen für die Alten und sehr wenig Schlägereien. Ein gescheidter Junge wird da ein Wichtigmacher und ein Junge von schwächerer Begabung wird ein sittsames Mädchen in Hosen. Da ist nichts Muskulöses im System. Der Namensvetter und Nachkomme Kenelm Digby's darf entschieden keine Privatschule besuchen.«
»Soviel ich aus Ihrem Raisonnement ersehe«, sagte Sir Peter mit charakteristischem Gleichmuth, »muß Kenelm Chillingly überhaupt keine Schule besuchen.«
»Es sieht beinahe so aus«, entgegnete der Pfarrer aufrichtig, »aber wenn ich mir die Sache recht überlege, gibt es einen Mittelweg. Es gibt Schulen, welche die besten Eigenschaften von öffentlichen und Privatschulen in sich vereinigen, die groß genug sind, um die geistige und physische Energie anzufeuern und zu entwickeln, und doch nicht so geartet, daß alle Charaktere in einem Schmelztiegel geschmolzen werden. Da ist zum Beispiel eine Schule, welche in diesem Augenblick einen der ersten europäischen Gelehrten zum Director hat, eine Schule, aus welcher einige der bedeutendsten Männer der jüngern Generation hervorgegangen sind. Der Director sieht auf den ersten Blick,ob ein Junge begabt ist, und bemüht sich demgemäß um ihn. Er ist kein bloßer Lehrer von Hexametern und Sapphischen Strophen. Seine Gelehrsamkeit umfaßt die Kenntniß der gesammten antiken und modernen Literatur. Er ist ein guter Schriftsteller und ein feiner Kritiker, ein Bewunderer von Wordsworth. Er drückt bei den Schlägereien der Jungen ein Auge zu; sie lernen ihre Fäuste gebrauchen und haben nicht die Gewohnheit, schon ehe sie fünfzehn Jahre alt sind, Schuldscheine auf den Todesfall ihrer Eltern auszustellen. Merton-School wäre die Sache für Kenelm.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Sir Peter. »Es gewährt immer eine große Beruhigung, jemand zu haben, der bei wichtigen Angelegenheiten die Entscheidung für uns übernimmt. Ich selbst kann mich schwer entschließen und lasse mich in gewöhnlichen Dingen willig von meiner Frau lenken.«
»Die Frau möchte ich sehen, die mich lenken könnte«, sagte der stämmige Pfarrer.
»Sie sind auch nicht der Mann meiner Frau. Und nun lassen Sie uns in den Garten gehen und Ihre Georginen bewundern.«
Der jugendliche Widerleger Locke's wurde nach Merton-School geschickt und erhielt, seinen Verdiensten gemäß, den Platz als Letzter in der zweiten Classe. Als er in den Weihnachtsferien nach Hause kam, war er schwermüthiger als je; sein Gesichtsausdruck ließ auf einen verzehrenden Kummer schließen. Er erklärte jedoch, daß er sehr gern in der Schule sei, und wich allen anderen Fragen aus. Aber früh am nächsten Morgen setzte er sich auf sein schwarzes Pony und ritt nach dem Pfarrhause hinüber. Der ehrwürdige Herr war eben auf dem Hofe, um sich seine jungen Ochsen anzusehen, als Kenelm mit folgender kurzen Anrede auf ihn zutrat:
»Ehrwürdiger Herr, ich bin beschimpft worden und ich werde daran sterben, wenn Sie mir nichtdazu helfen können, mich in meinen eigenen Augen zu rehabilitiren.«
»Mein guter Junge, rede doch nicht so; komm mit mir in mein Arbeitszimmer.«
Sobald sie das Zimmer betreten hatten und der Pfarrer die Thür sorgfältig geschlossen hatte, ergriff er den Jungen am Arm, zog ihn ans Fenster und sah alsbald, daß er etwas sehr Ernstes auf dem Herzen habe. Er faßte ihn sanft unter das Kinn und sagte in heiterem Ton:
»Halte den Kopf hoch, Kenelm. Ich bin fest überzeugt, daß Du nichts eines Gentleman Unwürdiges gethan hast.«
»Das weiß ich nicht. Ich habe mich mit einem Knaben geprügelt, der sehr wenig größer ist als ich, und er hat mich untergekriegt. Ich habe mich zwar nicht ergeben, aber die anderen Jungen nahmen mich fort, denn ich konnte nicht länger stehen, und der Bengel ist ein großer Prahler, er heißt Butt und ist der Sohn eines Advocaten. Und er hat meinen Kopf unter den Arm gekriegt, und ich habe ihn nach den Ferien wieder gefordert, und wenn Sie mir nicht helfen können, ihn unterzukriegen, so werde ich zu nichts in der Welt mehr gut sein, zu gar nichts; es wird mir das Herz brechen.«
»Es freut mich sehr, daß Du ihn gefordert hast. Laß mich einmal sehen, wie Du Deine Faust ballst. Gut, das ist nicht übel. Nun setze Dich in Boxpositur und schlage nach mir – fest – fester! Bah! so geht die Sache nicht. Deine Schläge müssen so scharf wie ein Pfeil fallen. Und das ist nicht die richtige Art zu stehen. Halt – so; fest in den Hüften – auf dem linken Bein ruhen – gut! So, jetzt zieh' diese Handschuhe an und ich will Dir eine Lection im Boxen geben.«
Fünf Minuten später blieb die Frau Pfarrerin, die ins Zimmer kam, um ihren Mann zum Frühstück zu rufen, erstaunt an der Thür stehen, als sie sah, wie er in Hemdsärmeln dastand und die Schläge Kenelm's, der wie ein junger Tiger auf ihn losstürzte, parirte. Der gute Pfarrer mochte in jenem Augenblick wohl als ein schöner Typus des »muskulösen Christenthums«, aber nicht jener Art von Christenthum erscheinen, aus welcher man Erzbischöfe von Canterbury macht.
»Mein Gott!« stammelte die Frau Pfarrerin und ergriff dann, indem sie nach Frauenart zum Schutze ihres Mannes herbeieilte, Kenelm an den Schultern und schüttelte ihn gehörig. Dem Pfarrer, der ganz außer Athem war, war die Unterbrechung nicht unlieb; er benutzte die Gelegenheit, seinen Rock wieder anzuziehen,und sagte. »Jetzt komm zum Frühstück.« Aber beim Frühstück sah Kenelm noch sehr niedergeschlagen aus und er sprach wenig und aß noch weniger.
Sobald die Mahlzeit vorüber war, zog er den Pfarrer in den Garten und sagte. »Es ist mir eingefallen, daß es vielleicht Butt gegenüber nicht recht von mir ist, diese Lectionen zu nehmen, und wenn es nicht recht ist, möchte ich es lieber nicht thun.«
»Gib mir die Hand, mein Junge«, rief der Pfarrer entzückt. »Der Name Kenelm ist an Dir nicht weggeworfen. Der natürliche Wunsch des Mannes in seiner Eigenschaft als kämpfendes Thier, eine Eigenschaft, in der er es, glaube ich, allen anderen lebenden Wesen mit Ausnahme der Wachtel und des Kampfhahns zuvorthut, ist, seinen Gegner zu schlagen. Aber der natürliche Wunsch des höchst vervollkommneten Mannes, den wir Gentleman nennen, ist, seinen Gegner in ehrlicher Weise zu schlagen. Ein Gentleman würde sich lieber ehrlich schlagen lassen, als unehrlich schlagen. Ist das nicht Deine Meinung?«
»Ja«, erwiderte Kenelm fest und fügte dann, philosophirend hinzu: »Und die Sache hat ihren guten Grund, weil ich, wenn ich einen Burschen auf unehrliche Weise schlage, ihn gar nicht schlage.«
»Vortrefflich! Aber angenommen, Du und einanderer Junge würden in Cäsar's Commentarien oder im Einmaleins examinirt und der andere Junge wäre gescheidter als Du, aber Du hättest Dir die Mühe gemacht, Dich gehörig vorzubereiten, er aber nicht: würdest Du da sagen, Du schlagest ihn auf unehrliche Weise?«
Kenelm dachte einen Augenblick nach und sagte dann in entschiedenem Ton: »Nein.«
»Was aber für den Gebrauch Deines Gehirns gilt, gilt ebenso gut für den Gebrauch Deiner Fäuste. Verstehst Du mich?«
»Ja, Herr Pfarrer, jetzt verstehe ich Sie.«
»Zur Zeit Deines Namensvetters, Sir Kenelm Digby, trugen Männer Schwerter und lernten sich derselben bedienen, weil sie im Falle eines Streits mit denselben fechten mußten. Heutzutage ficht, wenigstens in England, niemand mehr mit Schwertern. Wir leben in einem demokratischen Zeitalter, und wenn man sich überhaupt noch schlägt, so ist man auf seine Fäuste angewiesen, und wenn Kenelm Digby fechten gelernt hat, so muß Kenelm Chillingly boxen lernen, und wenn ein Gentleman einen Kärrner, der zweimal so groß ist wie er, aber nicht boxen gelernt hat, gehörig durchwalkt, so ist das kein unehrlicher Kampf, sondern nur eine Exemplification der Wahrheit, daß Wissen Macht ist.Komm morgen wieder her, dann will ich Dir eine zweite Lection im Boxen geben.«
Kenelm setzte sich wieder auf sein Pony und kehrte nach Hause zurück. Er fand seinen Vater mit einem Buch in der Hand im Garten umherschlendern. »Papa«, sagte Kenelm, »wie schreibt ein Gentleman einem andern, mit dem er einen Streit hat, wenn er diesen Streit nicht beizulegen wünscht, aber in Betreff desselben etwas zu sagen hat was der andere Gentleman ehrlicher Weise erfahren muß?«
»Ich verstehe Dich nicht.«
»Nun, ich erinnere mich, daß ich Dich, grad ehe ich in die Schule kam, sagen hörte, daß Du einen Streit mit Lord Hautfort habest, daß er ein Esel sei und daß Du ihm das schreiben wollest. Hast Du ihm nun geschrieben: Sie sind ein Esel? Ist das die Art, wie ein Gentleman an den andern schreibt?«
»Auf Ehre, Kenelm, Du thust sehr sonderbare Fragen. Aber Du kannst nicht früh genug lernen, daß Ironie für den Mann von seiner Bildung das ist, was gemeines Schimpfen für den Pöbel ist, und wenn ein Gentleman einen andern Gentleman für einen Esel hält, so sagt er das nicht grade heraus, sondern gibt es in den höflichsten Ausdrücken, die er nur finden kann, zu verstehen. Lord Hautfortbestreitet mir das Recht, in einem Forellenbach, der über sein Gut läuft, zu fischen. Mir liegt nicht das! an dem Forellenbach; aber mein Recht in demselben zu fischen, ist ganz unbestreitbar. Er war ein Esel, daß er die Sache überhaupt zur Sprache brachte, denn wenn er das nicht gethan hätte, würde ich mein Recht nicht ausgeübt haben. Da er aber mein Recht einmal in Frage gestellt hatte, war ich genöthigt, ihm seine Forellen wegzufangen.«
»Und hast Du ihm geschrieben?«
»Ja.«
»Was hast Du ihm geschrieben?«
»Ungefähr Folgendes: Sir Peter Chillingly beehrt sich Seine Lordschaft ganz ergebenst davon in Kenntniß zu setzen, daß er sich in Betreff seines Fischereirechts bei der besten juristischen Autorität Raths erholt hat und daß er auf die gütige Nachsicht Seiner Lordschaft rechnet, wenn er sich die Freiheit nimmt anheimzugeben, ob nicht Lord Hautfort gut thun würde, auch seinerseits seinen Advocaten zu Rathe zu ziehen, bevor er sich entschließt, jenes Recht zu bestreiten.«
»Ich danke, Papa, ich verstehe.«
Noch an demselben Abend schrieb Kenelm folgenden Brief:
»Herr Chillingly beehrt sich Herrn Butt ganz