Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita - Christiane Hofbauer - E-Book

Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita E-Book

Christiane Hofbauer

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Beschreibung

Immer mehr Menschen fliehen wegen Hunger, Krieg, Not und anderer katastrophaler Zustände aus ihren Heimatländern und suchen in Deutschland Schutz. Dieser Leitfaden bietet einen umfassenden Überblick über die Lebenssituation von Kindern aus Familien mit Fluchterfahrung. Dabei werden insbesondere die Aspekte behandelt, die für Kitas relevant sind: Fachlich fundierte Informationen zu den Themen Recht und Gesundheit ebenso wie konkrete Hinweise zur alltagsintegrierten Sprachförderung und Umsetzungsformen interkultureller Bildung im Kita-Alltag.

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Seitenzahl: 171

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Christiane Hofbauer

Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita

Christiane Hofbauer

Kinder mit Fluchterfahrung in der Kita

Leitfaden für die pädagogische Praxis

Neuausgabe 2023

(3., überarbeitete Gesamtauflage)

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Prostock-Studio - GettyImages

Fotos im Innenteil, Seiten 9: © FatCamera - GettyImages;

27: © Andrii - AdobeStock7; 35: © FatCamera - GettyImages;

47: © energyy - GettyImages; 57: © fizkes - GettyImages;

75: © V&P Photo Studio - AdobeStock; 85: © vgajic - GettyImages;

103: © Edinorog - GettyImages; 117: © Sasiistock - GettyImages

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

ISBN Print 978-3-451-39475-1

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82916-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82918-5

Inhalt

Einleitung

1. Rechtliche Grundlagen

1.1 Wer ist Flüchtling?

1.2 Rechtlich definierte Gruppen von Flüchtlingen

1.3 Aufenthaltsdauer, Wohnen und Bewegungsfreiheit

1.4 Arbeit, Sozial- und Familienleistungen

1.5 Medizinische Versorgung

1.6 Integrationskurse

1.7 Zugang zu Kita und Schule & Leistungen für Teilhabe und Bildung

1.8 Folgen für die Kita

2. Auf der Flucht

2.1 Flucht und Flüchtlinge weltweit

2.2 Fluchtgründe

2.3 Fluchtrouten nach Europa

2.4 Erfahrungen auf der Flucht

2.5 Folgen für die Kita

3. Lebens bedingungen in Deutschland

3.1 Von Kindern und Jugendlichen genannte Belastungsfaktoren

3.2 Die Wohnsituation

3.3 Unsicherer Aufenthaltsstatus

3.4 Familiäre Situation

3.5 Folgen für die Kita

4. Gesundheits zustand und Infektionsgefahr

4.1 Gesundheitscheck bei der Ankunft

4.2 Auftretende Krankheiten

4.3 Meldepflichtige Infektionskrankheiten

4.4 Weitere ansteckende Krankheiten

4.5 Schutz vor Ansteckung

4.6 Gesundheitszustand der Kinder bei Ankunft

4.7 Gesundheit von Kindern mit Migrationshintergrund

4.8 Folgen für die Kita

5. Traumatisierung und ihre Folgen

5.1 Traumafolgestörungen

5.2 Entstehung von Traumatisierungen

5.3 Schutz- und Risikofaktoren

5.4 Posttraumatische Belastungs- oder Folgestörung bei Kindern

5.5 Therapeutische Hilfe

5.6 Traumapädagogik

5.7 Folgen für die Kita

6. In der Kita-Gruppe mit dem Thema Fluchterfahrungen umgehen

6.1 Die Kita-Gruppe auf die Kinder mit Fluchterfahrungen vorbereiten?

6.2 Gespräche über Krieg und Flucht mit nicht-betroffenen Kindern

6.3 Gespräche über Krieg und Flucht mit betroffenen Kindern

6.4 Spiele mit Waffen im Kindergarten

7. Sprachliche Hürden und Ressourcen

7.1 Basis Beziehung

7.2 Der Erwerb einer zweiten oder weiteren Sprache

7.3 Sprachförderung in der Kita

7.4 Alltagsintegrierte Sprachförderung I – Mündliche Kompetenzen

7.5 Alltagsintegrierte Sprachförderung II – Literacy

7.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern, die kein oder kaum Deutsch sprechen

8. Kulturelle Hürden und Ressourcen

8.1 Was ist Kultur?

8.2 Kulturelle Barrieren

8.3 Pädagogische Ansätze zu (kultureller) Vielfalt

8.4 Repräsentation unterschiedlicher Lebenswelten in der Kita

8.5 Kulturelle Hürden bei der Zusammenarbeit mit Eltern

9. Unterstützung für Kitas durch Vernetzung

9.1 Behörden

9.2 Migrations- und Flüchtlingsberatung

9.3 Ehrenamtliche

9.4 Organisationen für Flüchtlinge

Literaturverzeichnis

Über die Autorin

Einleitung

Kinder mit Fluchterfahrungen in Kitas? Noch vor einem Jahrzehnt schien das kein Thema zu sein. Doch die vielen Flüchtlinge, die 2015 und in den folgenden Jahren nach Europa und Deutschland kamen, die Flüchtlinge des Ukrainekrieges und die Aussichten, dass auch die Klimakrise in Zukunft zu großen Flüchtlingsströmen führen wird, machen ein Umdenken erforderlich.

Obwohl spätestens seit dem Jahr 2000, auch bedingt durch die Ergebnisse der ersten PISA-Studie, viel Augenmerk auf die Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund gelegt wird, scheinen die pädagogischen Fachkräfte in Kitas sich oft sehr unsicher zu fühlen, wenn es um Kinder mit Fluchterfahrungen geht. Was aber ist an ihnen so Besonderes? Zunächst einmal handelt es sich um Migranten wie viele andere auch, die nach Deutschland kamen und kommen. Im Gegensatz zu dieser Gruppe ist die Situation der Flüchtlinge allerdings prekärer: Einem Großteil stehen zunächst nur eingeschränkte Sozialleistungen und Möglichkeiten der Teilhabe zu (siehe Kapitel 1), zudem sind auch ihre Lebensbedingungen in Deutschland stärker durch den Staat vorgegeben als bei anderen Migranten (siehe Kapitel 3).

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Kinder mit Fluchterfahrungen ähnliche Lebensumstände haben wie andere Kinder, die in Armut aufwachsen. Was sie jedoch deutlich von dieser Gruppe unterscheidet – oder zu unterscheiden scheint –, ist ihre Vorgeschichte: Im Heimatland und auf dem Weg nach Deutschland waren viele dieser Kinder schwierigen Situationen ausgesetzt, die man niemandem und vor allem keinem Kind wünscht (siehe Kapitel 2). Diese Kombination von äußerst belastenden »Päckchen« wiegt schwer und lässt viele Erzieherinnen und Erzieher befürchten, dass Kinder mit Fluchterfahrungen nicht ohne Weiteres in den Kita-Alltag zu integrieren und spezielle Fördermaßnahmen nötig sind. Das erzeugt oft das Gefühl, dass die Gruppe auf Kinder mit Fluchterfahrung vorbereitet werden muss (siehe Kapitel 6).

Doch Kitas, die bereits Erfahrungen mit dieser Gruppe von Kindern gemacht haben, wissen: Die meisten von ihnen sind Kinder wie alle anderen auch – mit Ecken und Kanten, mit Stärken und Schwächen. Kinder mit Fluchterfahrungen benötigen sprachliche Förderung (siehe Kapitel 7) und die pädagogischen Fachkräfte interkulturelle Kompetenzen (siehe Kapitel 8), damit die Kinder gut in Deutschland und in der Kita ankommen und leben können – wie viele andere Gleichaltrige mit Migrationshintergrund auch. Daneben gibt es natürlich auch Kinder, die traumatisiert sind (siehe Kapitel 5) und daher Verhaltensweisen aufweisen, die sowohl pädagogische Fachkräfte als auch andere Kinder belasten – dies ist jedoch die Ausnahme und keinesfalls die Regel.

Vielmehr ist zu bedenken: Flüchtlinge sind keine einheitliche Gruppe. Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern, sprechen die verschiedensten Sprachen, sind mehr oder weniger gebildet, stammen aus Großstädten oder aus gering besiedelten Gegenden und gehören den unterschiedlichsten Religionen an. Auch die Gründe, aus denen sie nach Deutschland kamen, die Wege, auf denen das geschah, und die Chancen, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen, unterscheiden sich stark.

Auch Flüchtlinge aus demselben Herkunftsland können einen äußerst unterschiedlichen Hintergrund haben. So waren unter den syrischen Flüchtlingen, mit denen ich gearbeitet habe, zum Beispiel:

kurdische, jessidische Schafzüchter, deren Kinder trotz der Schulpflicht in Syrien nie eine Schule besucht hatten, da sie so abgeschieden wohnten;

ein junger kurdischer, areligiöser Akademiker aus einer Großstadt, der Kurdisch, syrisches Arabisch, Hocharabisch, Türkisch und Englisch sprach;

eine strenggläubige, arabischsprechende muslimische Großfamilie der Mittelschicht aus Damaskus mit gutem Bildungshintergrund (auch der Mädchen) und soliden Englischkenntnissen (bei den Männern und Jugendlichen);

eine assyrisch sprechende Christin mit ihrem Sohn aus der Mittelschicht, die nur eine geringe Bildung genossen hatte.

Deshalb ist es schwierig, generelle Aussagen zu Kindern mit Fluchterfahrungen und ihren Familien zu treffen. Dennoch soll hier der Versuch gemacht werden, ganz allgemein die Situation von Flüchtlingen und insbesondere von Kindern mit Fluchterfahrung zu beschreiben, um die pädagogischen Fachkräfte in ihrer Arbeit mit den Kindern und ihren Familien zu unterstützen.

1. Rechtliche Grundlagen

In diesem Kapitel erfahren Sie

was unter dem Begriff »Flüchtling« zu verstehen ist

welche Gruppen von Flüchtlingen die Gesetzgebung unterscheidet

wie sich der rechtliche Status auf die gesamte Lebenssituation der Familien mit Fluchterfahrung auswirkt

dass die rechtlichen Fakten direkte und indirekte Folgen für die pädagogische Arbeit haben

Rechtliche Fakten scheinen auf den ersten Blick nicht besonders wichtig für die Arbeit mit den Kindern in der Kita zu sein. Doch sind die gesetzlichen Regelungen für die Lebensbedingungen der Kinder mit Fluchterfahrung und ihrer Familien in Deutschland ausschlaggebend und haben damit auch Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit.

Um übersichtlich und verständlich zu bleiben, werden hier nur die grundlegenden Bestimmungen dargestellt und nicht alle Sonderfälle und Ausnahmen aufgezählt.1 Die rechtlichen Überlegungen beziehen sich auf den Stand vom 1. Juli 2022 – wie er für das gesamte Bundesgebiet geltend ist.

1.1 Wer ist Flüchtling?

Flüchtlinge, Migranten, Vertriebene

Im allgemeinen Sprachgebrauch sind Flüchtlinge Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Verständnis besteht insbesondere für Flüchtlinge, die aus Angst vor Krieg und Bürgerkrieg, politischer Verfolgung oder Folter ihr Heimatland verlassen. Bei den sogenannten Wirtschafts-, Klima- oder auch Umweltflüchtlingen entsteht oft der Eindruck, dass es für sie keinen »echten« Fluchtgrund gibt. Wirtschaftsflüchtlinge kommen meist aus Ländern, die kein oder kaum Geld für soziale Zwecke ausgeben und in denen Armut unter anderem bedeuten kann, keinen Zugang zu Bildung, zu ärztlicher Versorgung und Medikamenten zu haben. Ähnlich verhält es sich bei Klima- und Umweltflüchtlingen, denen durch die Veränderung des Klimas (Dürre, Anstieg des Meeresspiegels etc.) bzw. die Zerstörung der Umwelt die Lebensgrundlagen und schlimmstenfalls sogar der Lebensraum entzogen werden.

Als Migranten werden in der Alltagssprache Menschen bezeichnet, bei denen keine zwingende Notwendigkeit bestand, aus ihrer Heimat zu fliehen, sondern die aus freien Stücken ihren Lebensraum verlassen haben. Dabei handelt es sich vor allem um »Arbeitsmigranten«, also Menschen, die nach Deutschland kommen, um dort zu arbeiten, aber auch um Studierende oder zum Beispiel Personen, die nach Deutschland einheiraten.

Der Begriff »Vertriebene« kommt heute in der Alltagssprache selten vor – in aller Regel nur im Zusammenhang mit den Geschehnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier handelt es sich um Menschen, die gegen ihren Willen aus ihrer Heimat vertrieben worden sind.

Um zu entscheiden, zu welcher Gruppe eine Person oder Familie gehört, müssen nach dieser am Alltagssprachgebrauch orientierten Beschreibung also die Gründe für die Migration und den Aufenthalt in Deutschland bekannt sein. Ein Beispiel: Ein Kind aus der Ukraine besucht die Kita – sein Vater hat Arbeit in Deutschland. Da die Familie während des Krimkriegs 2015 zugezogen ist, ist jedoch nicht von vornherein klar, aus welchen Motiven sie nach Deutschland kam.

Flüchtlinge im rechtlichen Sinn

Rechtlich ist der Begriff »Flüchtling« noch schwerer zu fassen: Hier wird zwischen Asylsuchenden, Asylberechtigten, Schutzberechtigten nach der Genfer Flüchtlingskonvention, Subsidiär Schutzberechtigten, Personen mit Abschiebungsverbot, Geduldeten und einer Reihe weiterer, rechtlich definierter Gruppen unterschieden. Zum Teil gibt es auch noch Überbegriffe für verschiedene Bezeichnungen oder aber mehrere Bezeichnungen für ein- und dieselbe Gruppe.

Im Folgenden wird es insbesondere um Familien gehen, die einer dieser rechtlich definierten Gruppen zuzuordnen sind (siehe Kapitel 1.2). Diese Zuordnungen schaffen spezielle rechtliche Bedingungen für den Aufenthalt in Deutschland und haben so auch Konsequenzen für die Kindertageseinrichtungen.

Im alltagssprachlichen Sinne können auch Menschen Flüchtlinge sein, die es rechtlich nicht sind. Ein Beispiel: Ein syrisches Kind besucht die Kita. Seine Mutter hat einen deutschen und einen syrischen Pass, da ihr Vater Deutscher war. Faktisch ist die Mutter mit ihren Kindern aufgrund des Bürgerkrieges nach Deutschland geflohen, rechtlich ist sie aber schon immer Deutsche und hat damit auch andere rechtliche Möglichkeiten und Lebensbedingungen als andere Flüchtlinge.

1.2 Rechtlich definierte Gruppen von Flüchtlingen

Je nachdem, welcher der folgenden rechtlichen Gruppen Flüchtlinge angehören, gelten unterschiedliche gesetzliche Vorgaben. Dementsprechend werden im Folgenden zunächst die einzelnen Flüchtlingsgruppen mit ihrem unterschiedlichen Aufenthaltsstatus dargestellt; im Anschluss wird auf die gesetzlichen Regelungen, die für Kitas relevant sein können, näher eingegangen.

Asylsuchende

Asylsuchende sind Personen, die an die Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag stellen wollen oder bereits gestellt haben und deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Asyl kann sowohl außerhalb Deutschlands als auch direkt in Deutschland beantragt werden. Wird der Antrag in Deutschland gestellt, so muss dies kurz nach der Einreise bei einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder auch in einer Aufnahmeeinrichtung geschehen.

Stellen Eltern einen Asylantrag, so gilt dieser automatisch auch für alle minderjährigen, ledigen Kinder, die sich zum Zeitpunkt der Antragstellung oder im Anschluss daran in Deutschland befinden.

Bei der Beantragung von Asyl wird zunächst überprüft, welches Land nach der Dublin-III- bzw. Dublin-II-Verordnung für den Asylantrag zuständig ist. Dabei handelt es sich grundsätzlich um das erste EU-Land (darüber hinaus auch Liechtenstein, Norwegen, die Schweiz und Island), das der Asylsuchende betreten hat bzw. in dem seine Daten vorliegen. Ist ein anderes Land zuständig, wird der Asylsuchende in dieses Land rückgeführt und sein Asylantrag dort verhandelt. Auf die Überprüfung der Zuständigkeit bzw. die Rückführung kann das betroffen Land aber auch verzichten und den Asylantrag annehmen. So wurde zum Beispiel im Jahr 2015 wegen des großen Ansturms von Flüchtlingen das Dublin-Verfahren EU-weit teilweise nicht mehr durchgeführt: Staaten registrierten die ankommenden Flüchtlinge zum Teil nicht mehr, aus Überforderung und um nicht mit einer riesigen Menge von Asylsuchenden konfrontiert zu sein. Andere Länder wie Deutschland verzichteten zeitweise bei bestimmten Flüchtlingsgruppen auf die Überprüfung des Fluchtweges.

Ziel der Bundesregierung ist es, die Verfahren möglichst in drei Monaten abzuschließen, was aber bisher noch nie gelungen ist: Zwischen 2017 und 2021 schwankten die Zeiten im Durchschnitt zwischen sechs und elf Monaten. Dabei variieren die Zeiten nach Herkunftsland und individuellen Aspekten, sodass Verfahren bis zu drei Jahre dauern können, wobei in der Regel die Zeit bis zur Antragsstellung nicht einberechnet ist.

Am Ende des Asylverfahrens steht dann entweder eine Ablehnung oder die Anerkennung des Antrags. Gleichzeitig wird geprüft, ob auch bestimmte andere Formen des Aufenthalts möglich sind.

Asylberechtigte

Das Asylrecht ist in Artikel 16a des Grundgesetzes festgeschrieben. Asyl erhalten danach nur Personen, die staatlich politisch verfolgt werden. Der bzw. diejenige muss in seinem oder ihrem Herkunftsland aufgrund von politischen Überzeugungen, religiösen Grundentscheidungen oder anderer persönlicher Merkmale wie Ethnie, sexuelle Orientierung etc. rechtlich ausgegrenzt werden. Dabei muss es sich um gezielte Rechtsverletzungen handeln und der Betroffene dadurch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Zudem muss es sich um so schwerwiegende Maßnahmen handeln, dass die Menschenwürde verletzt wird. Andere Gründe als politische Verfolgung sind im Asylrecht nicht vorgesehen; es gibt aber im Einzelfall andere Möglichkeiten, legal in Deutschland bleiben zu dürfen.

Im Jahr 2020 erhielten in Deutschland 1,2 Prozent der Antragsteller Asyl; im Jahr 2021 waren es 0,8 Prozent.

Familienangehörige (Kinder und Ehepartner) der Asylberechtigten erhalten auf Antrag denselben Status – nach Überprüfung, ob bei Antragstellung der Asylgrund noch immer vorliegt; der Familiennachzug aus dem Ausland ist möglich.

Schutzberechtigte nach der Genfer Flüchtlingskonvention

Greift das Asylrecht nicht, so kann es sein, dass Flüchtlinge unter den Flüchtlingsschutz fallen, der in Paragraf 3 Absatz 1 des Asylgesetzes (AsylG) geregelt ist: Dazu zählen Personen, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden. Dabei müssen die Einzelnen entweder vom Staat selbst verfolgt oder aber von diesem nicht gegen die Verfolgung geschützt werden. Die Verfolgung muss zudem die Menschenrechte der Betroffenen einschränken.

Im Jahr 2020 erhielten 26,1 Prozent der Antragsteller Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylG; im Jahr 2021 waren es 21,4 Prozent.

Familienangehörige (Kinder und Ehepartner) der Schutzberechtigten nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten auf Antrag denselben Status – nach Überprüfung, ob bei Antragstellung der Asylgrund noch immer vorliegt; der Familiennachzug aus dem Ausland ist möglich.

Subsidiär Schutzberechtige

Fallen Flüchtlinge weder unter das Asylrecht noch unter den Flüchtlingsschutz, so kann der subsidiäre Schutz gelten, der in Paragraf 4 Absatz 1 des Asylgesetzes geregelt ist. Der subsidiäre Schutz wird dann gewährt, wenn den Betroffenen im Heimatland ernsthafter Schaden durch die Todesstrafe, Folter oder durch Krieg bzw. Bürgerkrieg droht.

Subsidiärer Schutz wurde im Jahr 2020 für 13,1 Prozent der Antragsteller gewährt; im Jahr 2021 waren es 15,3 Prozent.

Familienangehörige (Kinder und Ehepartner) der subsidiär Schutzberechtigten erhalten in der Regel auf Antrag denselben Status – nach Überprüfung, ob bei Antragstellung der Grund noch immer vorliegt; der Familiennachzug aus dem Ausland ist unter bestimmten Bedingungen möglich.

Personen mit Abschiebungsverbot

Wenn keiner der bereits genannten Gründe vorliegt, so ist eine Prüfung nach Paragraf 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes möglich. Ein Abschiebungsverbot kann dann vorliegen, wenn bei Rückkehr ins Heimatland ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention wahrscheinlich ist (Absatz 5) oder erhebliche Gefahren für Leib und Leben bestehen (Absatz 7).

Ein Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen (Kinder und Ehepartner) und Familiennachzug sind hier nicht automatisch gegeben, aber unter bestimmten Bedingungen möglich.

Geduldete

Wird der Antrag auf Asyl abgelehnt, so wird eine Abschiebung angeordnet. Wenn es einen Grund gibt, der die Abschiebung unmöglich macht (tatsächliche Abschiebungsgründe), oder aber sonstige Ermessensgründe vorliegen, kann eine Duldung ausgesprochen werden. Das ändert nichts daran, dass eine Abschiebung stattfinden soll; sie wird nur für eine bestimmte Zeit ausgesetzt.

Tatsächliche Abschiebungsgründe können Reiseunfähigkeit durch Erkrankung sein, die fehlende Möglichkeit, den Betreffenden in sein Heimatland bringen zu lassen (z. B. keine passierbaren Flugrouten oder Durchreisemöglichkeiten), oder aber die Weigerung des Landes, in das abgeschoben werden soll, die Betreffenden einreisen zu lassen.

Im Ermessen der Ausländerbehörde liegen Duldungen unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel, um Betroffene eine Berufsausbildung oder ein Schuljahr abschließen zu lassen oder wenn demnächst eine wichtige medizinische Behandlung durchgeführt werden soll.

Am 30. Juni 2021 gab es in Deutschland 24.2656 Personen (19,4%) mit Duldung, 4.375 Asylberechtigte (0,3%), 75.2437 Schutzberechtigte (60,0%), 25.0105 subsidiär Schutzberechtigte (20%) und 3.530 Personen, für die ein Abschiebungsverbot vorlag (0,3%).

Sonderfall: Flüchtlinge aus der Ukraine

Als Reaktion auf den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien und die dadurch entstehende Fluchtbewegung erließ die EU die sogenannte „Massenzustromrichtlinie“ (Richtlinie 2001/55/EG), um in ähnlichen Situationen schneller und effektiver handeln zu können. Diese Richtlinie kann aktiviert werden, wenn bestimmte Bedingungen vorliegen und die Mehrheit des EU-Rates beschließt, dass ein Flüchtlingsstrom als Massenstrom zu sehen ist.

Sie wurde im März 2022 in Bezug auf den Krieg zwischen der Ukraine und Russland zum ersten Mal in Kraft gesetzt. In Deutschland ist diese Richtlinie durch Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz geregelt, zusätzlich wurden weitere Regelungen spezifisch für Flüchtlinge aus der Ukraine erlassen. Die Regelungen gelten nicht nur für ukrainische Staatsangehörige, sondern für alle Personen, die zu Beginn des Krieges ihren dauerhaften Aufenthalt in der Ukraine hatten und – falls sie keine ukrainische Staatsangehörigkeit haben – nicht sicher in ihr Heimatland zurückkehren können.

Betroffene können ohne Weiteres nach Deutschland einreisen und konnten sich dort bis zum 31. August 2022 ohne weitere Formalia aufhalten. Wollen bzw. brauchen Betroffene staatliche Unterstützung, ist eine Registrierung bei einer Aufnahmeeinrichtung oder bei der Polizei notwendig. Um sich nach dem 31. August 2022 noch in Deutschland aufhalten zu dürfen, braucht es eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese kann bei den Ausländerbehörden vor Ort beantragt werden, sobald klar ist, wo die Betroffenen wohnen werden.

1.3 Aufenthaltsdauer, Wohnen und Bewegungsfreiheit

Asylsuchende

Während der Zeit vor der Antragsstellung erhalten Asylsuchende zunächst eine Ankunftsbescheinigung, nach Antragstellung eine Aufenthaltsgestattung. Beide Unterlagen dienen als Ausweispapier, vorhandene Ausweispapiere werden eingezogen.

Asylsuchende werden zunächst bis zu achtzehn Monate, mit minderjährigen Kindern nur bis zu sechs Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht. In dieser Zeit soll im Idealfall ihr Verfahren entschieden werden. Spätestens nach sechs bzw. achtzehn Monaten sollen die Flüchtlinge in der Regel in andere Unterkünfte weiterverlegt werden, unabhängig davon, ob das Verfahren abgeschlossen wurde oder nicht. Sie haben kein Mitspracherecht, wann oder wohin sie verlegt werden.

Während der gesamten Zeit in der Erstaufnahme bzw. den ersten drei Monaten nach Antragstellung gilt die sogenannte Residenzpflicht: Die Asylsuchenden dürfen sich nur in einem von der Ausländerbehörde angegebenen Bereich frei bewegen. Wollen oder müssen sie diesen Radius überschreiten, muss das bei offiziellen Terminen dem zuständigen Amt mitgeteilt, ansonsten beantragt und bewilligt werden. Reisen ins Ausland sind für Asylsuchende nicht möglich.

Asylberechtigte und Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention

Wird der Antrag auf Asyl anerkannt, bekommen die Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, die sie rechtlich in den meisten relevanten Bereichen mit Deutschen gleichstellt. Nach drei Jahren wird die Entscheidung überprüft. Die Betroffenen können dann ein unbefristetes Aufenthaltsrecht (Niederlassungserlaubnis) erhalten.

Als Ausweispapier gilt der internationale Reiseausweis für Flüchtlinge. Reisen ins Ausland sind damit möglich.

Die Betroffenen können sich selbst eine Wohnung suchen, wobei für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention in den ersten drei Jahren eine Wohnsitzauflage gilt: Den Betroffenen werden Bundesländer, Landkreise oder Orte vorgegeben, in denen sie wohnen dürfen. Die Wohnsitzauflage kann aufgehoben werden, wenn die Betroffenen ihren Unterhalt selbst tragen können. Ein Umzug in ein anderes Land ist in der Regel nach fünf Jahren möglich.

Subsidiär Schutzberechtigte und Personen mit Abschiebungsverbot

Subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die dann jeweils für zwei Jahre verlängert werden kann. Personen mit Abschiebungsverbot bekommen eine Aufenthaltsgenehmigung für mindestens ein Jahr; Verlängerungen sind möglich. Für beide Gruppen ist bei Ablauf ein Antrag zu stellen, und es wird überprüft, ob die Gründe für den Aufenthaltsstatus noch bestehen. Nach fünf Jahren ist eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis unter bestimmten Bedingungen möglich.

Die Betroffenen bekommen keinen speziellen Pass ausgehändigt; sie erhalten entweder die Papiere, mit denen sie eingereist sind, oder aber gegebenenfalls einen Passersatz. Dieser reicht aus, um sich in Deutschland frei zu bewegen. Reisen ins Ausland sind damit nicht möglich.

Die Betroffenen können sich nun selbst eine Wohnung suchen und teilweise innerhalb Deutschlands umziehen. In den ersten drei Jahren gilt eine Wohnsitzauflage, die aufgehoben werden kann, wenn die Betroffenen ihren Unterhalt selbst tragen können. Darin wird festgelegt, wo der Einzelne zu wohnen hat. Reisen innerhalb Deutschlands sind jederzeit möglich, ein Umzug ins Ausland in der Regel nicht.

Geduldete

Duldungen gelten oft nur für kurze Zeit, wobei es keine gesetzlichen Vorgaben für die Dauer gibt. Häufig werden Duldungen für einen, drei oder sechs Monate ausgestellt. Besteht der Duldungsgrund dann weiter, wird die Duldung verlängert, sodass es auch Personen gibt, die jahrelang geduldet sind. Im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Gruppen gab es bei diesem Aufenthaltsstatus bisher kaum Möglichkeiten, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erlangen. Am 6. Juli 2022 wurde ein Gesetzesentwurf verabschiedet, der dies ändern soll: Personen, die schon fünf Jahre in Deutschland sind, können unter bestimmten Bedingungen ein langfristiges Bleiberecht erhalten.

Für Geduldete gibt es keine speziellen Papiere. Sie bekommen zunächst eine Unterkunft in einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen, nach achtzehn bzw. sechs Monaten (falls sie minderjährige Kinder haben), werden sie einer anderen Einrichtung zugeteilt.

Während der Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung besteht für Geduldete eine Residenzpflicht: