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Eine Einführung in die Kindertheologie für Kindergarten, Schule und Gemeinde
- Der religiösen Kompetenz von Kindern gerecht werden
- Die theologischen Grundthemen in der Arbeit mit Kindern produktiv gestalten
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Seitenzahl: 295
In diesem Buch steht das religiöse Lernen von Kindern und mit Kindern im Mittelpunkt. Es geht um Kinder, Glaube und Religion sowie um praktische Möglichkeiten, wie der Religionsunterricht und andere Bildungsangebote, etwa in der Gemeinde, so gestaltet werden können, dass sie Kindern gerecht werden. Im Hintergrund stehen aktuelle Herausforderungen, die sich aus einer veränderten Sicht des Kindes sowie dem Wandel der religiösen Sozialisation in der Gegenwart ergeben. Vor allem drei Fragen werden in dieser Hinsicht diskutiert:
– Die herkömmlichen Formen der religiösen Sozialisation und einer christlichen Erziehung und Unterweisung erweisen sich als kaum mehr tragfähig. Der Versuch, Kindern biblische Inhalte und katechetische Lehren zu vermitteln, scheint – soweit er überhaupt noch unternommen wird – weithin zu scheitern. Die freilich nur in exemplarischer Gestalt verfügbaren Untersuchungen zu entsprechenden Kenntnissen bei Kindern zeigen erhebliche Defizite, und auch die innere Bindung an die religiösen Traditionen oder an Institutionen wie die Kirche ist häufig gering. Es ist offenbar notwendig, nach neuen Wegen zu suchen, wie Kinder bei ihren religiösen Fragen so begleitet und gefördert werden können, dass sich ihnen die Bedeutung des christlichen Glaubens wirklich erschließen kann.– Es gehört von Anfang an zu den Signaturen unserer Gegenwart, dass Kinder mit einer religiösen Pluralität aufwachsen und auch den Erwachsenen, hier also den Religionspädagoginnen und -pädagogen, zunehmend bewusst wird, dass die Fragen nach wirksamen Möglichkeiten der religiösen Erziehung und Sozialisation sich ganz ähnlich auch im Bereich anderer Religionen stellen, in Deutschland vor allem im Islam und im Judentum. Kinder und Erwachsene müssen heute neu eine religiöse Orientierung finden, die sich auch in einer auf Dauer pluralen religiösen Situation als tragfähig erweist. Dies kann nur gelingen, wenn religiöses Lernen oder religiöse Bildung auf den Aufbau entsprechender Orientierungsfähigkeiten schon bei Kindern und Jugendlichen zielt. Im Folgenden werden wir uns immer wieder auch auf diese veränderte Ausgangslage beziehen müssen. Pluralitätsfähigkeit ist zu einem eigenen Bildungsziel geworden, das auch in der Kindheit beachtet werden muss.– Mehr denn je muss bei all dem aber auch bewusst bleiben, dass Kinder eigene Rechte haben, auch ein Recht auf Religion und religiöse Begleitung. Damit ist an erster Stelle die Verpflichtung gemeint, dass die in der Gesellschaft verfügbaren Bildungsangebote auch die religiöse Dimension einschließen müssen. Darauf haben Kinder und Eltern einen Anspruch, der in den Kinderrechten, wie sie etwa von den Vereinten Nationen erklärt worden sind, ausdrücklich verankert ist. Sodann geht es aber auch um eine veränderte Einstellung zu Kindern, für die sich nicht zuletzt Kirche und Theologie einsetzen und verstärkt einsetzen sollten. Kinder dürfen nicht zu bloßen Objekten der Erziehung oder Unterweisung degradiert werden, am wenigsten im Namen des christlichen Glaubens. Sie sind vielmehr als Subjekte wahrzunehmen und zu achten – als vollwertige Menschen, denen im Verständnis des christlichen Glaubens die besondere Zuwendung und der besondere Schutz Gottes gelten. Heute von religiösem Lernen mit Kindern zu handeln bedeutet deshalb, nach Wegen des Lehrens und Lernens zu suchen, die Kindern als Subjekten gerecht werden.Was aber bedeutet eigentlich religiöses Lernen? In den meisten Fällen wird dies so verstanden, dass es eben um ein Lernen von Religion im Sinne bestimmter Inhalte geht. Im Religionsunterricht sind dies vor allem biblische Geschichten sowie andere Kenntnisse aus dem Bereich des christlichen Glaubens und Lebens, anhand derer sich die Bedeutung des christlichen Glaubens erschließen kann. Schon seit langem ist allerdings bekannt, dass solche Lernprozesse weit mehr umfassen als Kenntnisse oder ein Wissen, das allein kognitiv aufgenommen werden kann. Zum religiösen Lernen gehören immer auch Erlebnisse und Erfahrungen, Gefühle und Begegnungen mit anderen Menschen sowie Beziehungen in der Gruppe oder in der Gemeinschaft mit anderen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Religiöses Lernen ist offenbar ein umfassendes Geschehen. Insofern kommt es nicht nur auf die Inhalte an, sondern ebenso auf den Lernprozess sowie auf dessen Gestaltung.
Bis heute gibt es aber keine allgemein anerkannte Theorie des religiösen Lernens, auf die man sich in Wissenschaft und Praxis stützen könnte. Obwohl in den letzten Jahren interessante Klärungsversuche dazu unternommen wurden, muss schon die Frage, was genau ein religiöser Lernprozess sein kann, noch immer als offen bezeichnet werden. Es ist auch nicht die Absicht des vorliegenden Buches, eine theoretische Klärung dieser Frage zu erreichen. Stattdessen wähle ich zwei meines Erachtens besonders vielversprechende Ansätze – das Elementarisierungsmodell und die Kindertheologie – , um an deren Beispiel zu zeigen, wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann. Beide Ansätze enthalten Impulse und Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind. Am Ende des Buches soll dann allerdings noch einmal ausdrücklich gefragt werden, welche Konsequenzen sich daraus auch für ein weiterreichendes Verständnis religiösen Lernens ergeben.
Das eigentlich Neue des vorliegenden Buches besteht freilich darin, dass Elementarisierung und Kindertheologie hier erstmals systematisch miteinander verbunden werden. Wie sich im Folgenden zeigen wird, führt gerade diese Verbindung immer wieder zu neuen Klärungen und vor allem auch zu neuen Gestaltungsperspektiven im Blick auf die religionspädagogische Praxis.
Das Buch setzt aber keine Vertrautheit mit dem Elementarisierungsansatz oder mit der Kindertheologie voraus. Es ist vielmehr so geschrieben, dass es für möglichst alle, die mit Kindern religionspädagogisch arbeiten, gut zu lesen und möglichst leicht zu verstehen ist. Insofern ist es als eine Einführung gedacht. Dies ist auch der Grund, warum die Hinweise auf wissenschaftliche Literatur durchweg begrenzt wurden. Im Übrigen werden in den Anmerkungen (jeweils am Ende des Kapitels) nur Kurztitel genannt. Die vollständigen Nachweise finden sich im Literaturverzeichnis am Ende des Bandes.
Danken möchte ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen, ohne die dieses Buch nicht hätte entstehen können: Katharina Blondzik im Sekretariat sowie Annika Fiedler und Kristina Lamparter, die mich bei der Literaturbeschaffung und der Manuskripterstellung unterstützt haben.
Es macht einen großen Unterschied, in welcher Weise die Deutungsweisen und Weltzugänge von Kindern interpretiert werden – in der Perspektive der Entwicklungspsychologie oder der Kindertheologie oder der Elementarisierung. Das lässt sich am besten an Beispielen aufzeigen. Als erstes Beispiel wähle ich eine Sequenz aus dem Religionsunterricht, die für mein eigenes Verständnis von Elementarisierung und Kindertheologie eine besondere Bedeutung gewonnen hat. An den darin enthaltenen Äußerungen der Kinder ist mir selbst klar geworden, dass es an der Zeit ist, »auch die Theologie der Kinder zu entdecken«1. Damals, im Jahr 1997, als einer der ersten auf evangelischer Seite – auf katholischer Seite hatte wenige Jahre zuvor Anton Bucher ähnliche Gedanken geäußert2 – plädierte ich für eine »Theologie von und mit Kindern, die nicht zuletzt auch uns Erwachsenen neu zu denken gibt«. Wenig später führte mich dies weiter zu der herausfordernden Frage nach »Kindern als Exegeten?«3 Insofern begegnen wir im Folgenden einer Art Urszene, aus der heraus sich jedenfalls für mich selbst die Verbindung von Elementarisierung, Entwicklungspsychologie und Kindertheologie ergeben hat.
Religionsunterricht in Klasse 5. Die Stunde – zum Thema »Gleichnisse« – beginnt mit Assoziationen zu einem Bild.4 Zu sehen ist ein junger Mann, der von Schweinen umgeben ist. Ein Schüler murmelt: Da sind Schweine drauf.
Eine Schülerin sagt: Also das könnte vielleicht so was sein wie mit dem verlorenen Schaf oder so, (nur) dass halt jetzt ein Schwein (fehlt) … Also es könnte sein, dass das das Gleiche ist, bloß mit Schweinen, dass jetzt ein Schwein fehlt.
Diese Assoziation zeigt ein typisches Unterrichtsproblem: das sog. Religionsstunden-Ich. Im Religionsunterricht werden immer bestimmte Inhalte erwartet, egal was man sieht.
Die übrigen Schülerassoziationen sind weniger bemerkenswert und führen rasch auf die richtige Spur: »Ist es vielleicht das Gleichnis vom verlorenen Sohn?«
Das Gleichnis wird dann mit einigen Unterbrechungen vorgelesen. Am Ende steht die Frage der
Lehrerin: Möchtet ihr sonst noch was sagen, zum Text? Was euch auffällt?
Schülerin: Der Bruder, der ist eifersüchtig.
Lehrerin: Da kommen wir gleich noch drauf.
Schülerin: Aber der Vater, also der probiert beide jetzt gleichgerechtig als … wie soll man sagen, zu verteilen.
Schülerin: Und … der Sohn hat ja gedacht, er sei jetzt gar nicht mehr sein richtiger Sohn, und der hat ihn (wieder) ganz anders aufgenommen, als er gedacht hat …
Schülerin: Also zuerst da waren alle beide bockig gegen sich einander, und als der Sohn dann wiedergekommen ist, da hat’s dem Vater leid getan. Und da … haben sie sich beide entschuldigt.
Die Deutungen der Schülerinnen weichen deutlich ab von dem, was der Text selbst nahelegt und was von Exegeten hervorgehoben wird. Für die Schülerin, die davon spricht, beide seien »bockig« gewesen, sind nicht die beiden Brüder gemeint, sondern Vater und Sohn. Die Geschichte wird offenbar so aufgefasst, dass Vater und Sohn sich gestritten hätten, dass der Sohn daraufhin fortgezogen und nun mehr oder weniger reumütig zurückgekehrt wäre. Der Vater hätte inzwischen einen parallelen Prozess der Besinnung durchgemacht, so dass am Ende beide versöhnungsfähig geworden wären: Und so »haben sie sich beide entschuldigt«.
Entwicklungspsychologisch, so haben wir in einer speziellen Studie zu zeigen versucht5, lassen sich die Verstehensweisen der Kinder als Assimilation im Sinne von Jean Piaget verstehen: Das Gleichnis wird den Verstehensmöglichkeiten angepasst (assimiliert). Die Kinder deuten das Gleichnis so, wie es ihren Verstehens- und Erkenntnisvoraussetzungen entspricht. Ins Zentrum tritt dabei der Begriff »gleichgerechtig« – die Auffassung also, der Vater wolle die Söhne nun gleichberechtigt und damit fair behandeln, so wie es in Untersuchungen zur moralischen Entwicklung für Kinder in diesem Alter auch sonst beschrieben wird (»Gerechtigkeit als Fairness«).6 Dass es in der Welt fair zugehe und zugehen soll, ist ein Herzensanliegen für Kinder, weit über den Einzelfall hinaus. Dieses Anliegen steht für ein Weltbild, in welches das Gleichnis eingepasst wird.
Wechseln wir nun die Perspektive von der Entwicklungspsychologie hin zur Kindertheologie. Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Theologie könnte man dazu neigen, die von den Kindern angebotenen Verstehensweisen einfach als »falsch« oder, mit etwas mehr Milde, zumindest als »unrichtig« zu bezeichnen. Darauf beziehen sich Vater und Sohn Wegenast mit ihrer bis heute bemerkenswerten These: »Biblische Geschichten dürfen auch ›unrichtig‹ verstanden werden«7! Damit wenden sie sich gegen einen herkömmlichen Religionsunterricht, der lediglich auf die Vermittlung exegetisch-wissenschaftlicher Befunde zielte: »Wurde im Unterricht deutlich, dass Kinder die behandelte biblische Geschichte offensichtlich ›falsch‹ verstanden, proklamierte der Lehrer/die Lehrerin am Schluss eben noch einmal das ›richtige‹ Verständnis, das er/sie in der vorbereitenden Exegese in Erfahrung gebracht hatte«8. Aus kindertheologischer Perspektive ist demgegenüber zu fragen, was die Kinder selbst mit ihren Deutungen zum Ausdruck bringen und zum Ausdruck bringen wollen. Auf ihren Wunsch, dass es in der Welt gerecht zugehe, wurde bereits hingewiesen. Weitergehend kommt es für sie auf einen Vater an, der dieser Gerechtigkeit entspricht. Und wenn und wo der Vater gegen diese Gerechtigkeit verstößt, da soll und muss er sich ändern – so dass es ihm leid tut und er am Ende sogar bereit ist, sich bei dem Kind zu entschuldigen. Ob die Kinder in dieser Unterrichtssequenz bei dem Vater auch an Gott denken, muss dabei offen bleiben. Soweit dies der Fall wäre, ergäbe sich ein Gottesbild, das mit einem veränderlichen Gott rechnet – einem Gott, der einen Gesinnungswandel durchmacht. Diese Vorstellung widerspricht dem philosophischen Verständnis der auf ewig vorauszusetzenden Unveränderlichkeit Gottes, ist aber biblisch keineswegs ohne Vorbild, wobei die Frage nach der »Reue« Gottes zu dem schwierigen Problem führen kann, ob Gott tatsächlich Fehler macht.9
Pädagogisch gesehen und damit in der Perspektive der Elementarisierung brechen weitere Fragen auf. Die Kinder deuten das Gleichnis so, dass es sich mit der ihnen vertrauten Lebens- und Erfahrungswelt verzahnt. Der Vater im Gleichnis wird so vorgestellt, wie heute Väter gesehen werden: als fehlbare Menschen, die jedenfalls nur dann richtig handeln, wenn sie zugeben können, dass sie auch selber Fehler machen. Und das Verhältnis zwischen den Brüdern wird auf einen Nenner gebracht, der den Kindern selbst entscheidend erscheint: dass es gerecht zugeht, dass beide gleich behandelt werden, dass beide gleich viel bekommen. Dies ist einerseits produktiv, weil sich die Kinder auf diese Weise die Gleichniserzählung erfahrungsbezogen aneignen – in dieser Hinsicht sind sie selbst insofern elementarisierend tätig, als sie die für sie bedeutsamen Erfahrungen im Gleichnis identifizieren und hervorheben. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die kindliche Assimilation das Gleichnis vom verlorenen Sohn auch um seine Pointe zu bringen droht. Es geht in dieser Geschichte eben nicht um einen bockigen Vater, der sich Vorwürfe macht, sondern es geht um einen Sohn, der in die Irre geht und den der Vater trotzdem wieder aufnimmt. Ziel ist nicht einfach eine Bestätigung der alltäglichen Erfahrung von Bockig-Sein und Sich-wieder-Versöhnen – es geht zumindest auch um eine fiktive Überschreitung des Alltags in Richtung einer Versöhnung, wie sie dem Alltag gerade abgeht.
Auch Klaus und Philipp Wegenast begnügen sich als Pädagogen am Ende nicht damit, dass man biblische Geschichten eben auch »unrichtig« verstehen dürfe. Für den Religionsunterricht plädieren sie zwar nicht für eine »wissenschaftlich verantwortete Exegese«, wohl aber für eine »auf einer bestimmten Stufe optimal mögliche Deutung, die eine jetzt ›angemessene‹, dem Schüler mögliche Interpretation repräsentiert«.10 Dies lässt sich so verstehen, dass geklärt werden muss, welche Deutung die für Kinder jetzt »optimal mögliche« ist, darüber hinaus aber auch, was im Unterricht getan werden kann, damit sie diese Deutung auch tatsächlich erreichen. Insofern rückt die Elementarisierungsperspektive beide, die entwicklungspsychologische ebenso wie die kindertheologische Deutung, in den pädagogisch-didaktischen Horizont und fragt nach Möglichkeiten der Unterstützung und Förderung von Kindern. Darin folgt sie dem für sie konstitutiven Interesse an Förderung und Bildung.
Schon diese ersten Beobachtungen zum Verständnis eines Gleichnisses im Unterricht lassen erkennen, dass es tatsächlich einen erheblichen Unterschied macht, mit welchen Schwerpunkten kindliche Äußerungen und Sichtweisen interpretiert werden. Die leitende These der vorliegenden Darstellung bedeutet, dass Elementarisierung und Kindertheologie im Horizont eines entwicklungsbezogenen Verständnisses so miteinander verknüpft werden müssen, dass Kinder zugleich anerkannt und respektiert, aber – und genau deshalb – auch unterstützt und gefördert werden können. Dabei muss durchweg bewusst bleiben, dass auf die Entwicklungspsychologie in pädagogisch legitimer Weise nur so zurückgegriffen werden kann, dass sie nicht als ein Schema mit festliegenden Erwartungen, sondern als Hilfe zum Verstehen kindlicher Perspektiven eingesetzt wird.11 Entscheidend für das Verstehen individueller Sichtweisen und Ausdrucksformen kann am Ende immer nur die Wahrnehmung des einzelnen Kindes sein, in seiner Besonderheit und samt seiner jeweiligen Lebensumstände. Dass zugleich das Wahrnehmen und Verstehen kindlicher Sichtweisen pädagogische Perspektiven nicht überflüssig macht, kann ein weiteres Beispiel zeigen, mit dem wir uns zugleich dem Aufwachsen in der Pluralität zuwenden.
Mein zweites Beispiel stammt aus unserer Tübinger Untersuchung zur interreligiösen Bildung in Kindertagesstätten.12 Bei dieser Untersuchung wurden auch Gespräche mit Kindern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in kleinen Gruppen geführt. Die Kinder waren zwischen fünf und sechs Jahren alt. Im vorliegenden Zusammenhang sind besonders die Gespräche über Gott von Interesse. Daraus zwei kurze Gesprächsabschnitte:
Beim ersten Gespräch13 geht es um die Frage nach dem wahren Gott. Manche Kinder gehen davon aus, dass die verschiedenen Namen für Gott in den Religionen kritisch beurteilt werden müssen. Sie sprechen dann von einem »Scheingott« – der Gott der jeweils anderen Religion sei nur aus Pappe oder aus Stein, eben kein wirklicher Gott. So heißt es zum Beispiel im Gespräch mit Leonie (christlich) und Iman (muslimisch):
Aus entwicklungspsychologischer Perspektive sind zunächst die konkreten Gottesvorstellungen der Kinder hervorzuheben. Sie stellen sich Gott ähnlich wie einen Menschen vor (in der Wissenschaft wird dies als Anthropomorphismus bezeichnet). Dass Gott »im Himmel« ist und dort wohnt, wirft für diese Kinder keine Probleme auf. Weiterhin fällt auf, dass die Kinder sich ohne weiteres eigenes Nachdenken Auffassungen anschließen, die sie sehr wahrscheinlich von Erwachsenen angeboten bekommen. Iman sagt später sogar ausdrücklich, er habe »mal gehört«, was die Christen anbeten. Leoni deutet die anderen Götter, im Unterschied zu dem »einen Gott«, als »Pappfiguren«, was zumindest daran denken lässt, dass auch diese Deutung nicht einfach ihre eigene Erfindung ist, sondern von anderen übernommen sein könnte. Arzu, der unten ausführlicher zu Wort kommen soll, beruft sich ausdrücklich darauf, was »meine Mama und mein Papa sagen«. Auffällig ist aber auch, dass sich die Kinder selbst um eine innere Konsistenz ihrer Auffassungen bemühen. Unterschiedliche Gottesvorstellungen bleiben für die Kinder nicht etwa einfach nebeneinander stehen, was entwicklungspsychologisch als ein erster Ansatz dazu gedeutet werden kann, sich ein in sich stimmiges Weltbild aufzubauen.
Insofern markiert das Bemühen der Kinder um innere Konsistenz auch den Übergang zu einer kindertheologischen Perspektive. Die Kinder denken nach über verschiedene Gottesvorstellungen, sowohl ihre eigenen als auch die von anderen Kindern oder von Erwachsenen. Sie suchen nach Lösungen für das Problem, warum Menschen zu verschiedenen Göttern beten und was dies für ihre eigene Gottesvorstellung bedeutet. Die Antwort kann dabei unterschiedlich ausfallen – etwa bei Daniele so, dass sie gleichsam hinter den verschiedenen Namen für Gott den »Gott von uns allen« annimmt. 14 Dabei bleibt sie vorsichtig und tentativ, indem sie hinzufügt: »Glaub ich«. Für Leonie gibt es ebenfalls nur »einen Gott«, aber mit der Folge, dass es sich bei den anderen Göttern um »Pappfiguren« handeln müsse. Seine weitere Schilderung erinnert deutlich an die etwa aus der Bibel vertraute prophetische Kritik an Götzenbildern – dass »zum Beispiel ein Buch ihr Gott ist« oder »ein Pferd«, etwas, das sie »aus den Steinen machen und sagen, das ist ihr Gott«15.
Wie das nachfolgende Gespräch16 zwischen Ronja (christlich) und Arzu (muslimisch) zeigt, werden die theologischen Fragen zwischen den Kindern manchmal durchaus strittig und argumentativ ausgetragen:
Ronja und Arzu ringen darum, wer nun Recht hat. Vielleicht können sie sich noch auf Arzus Vorschlag einigen, dass »Allah und Gott« nur verschiedene Benennungen sind. Die Einigkeit endet aber spätestens bei der Frage, wie es denn mit Jesus steht. So sehr Ronja davon überzeugt ist, dass auch Jesus »im Himmel« sei, so nachdrücklich weist Arzu dies zurück: »Gar nicht!«
Entwicklungspsychologisch gesehen ist es kein Zufall, dass dieses Gespräch in einem offenen Widerspruch endet, den die Kinder nicht aufzulösen vermögen. Auf Arzus »Gar nicht!« erwidert Ronja kurz und bündig: »Doch!« Und Arzu wiederholt ebenso entschieden: »Gar nicht!« Offenbar sind den beiden Kindern hier, zumindest vorläufig, die Mittel ausgegangen, um den Streit argumentativ weiterzuführen. Deshalb belassen sie es bei der bloßen Selbstbehauptung nach dem Muster: Aber ich habe Recht!
Ob es gelingen kann, Kinder hier über eine solche Position hinauszuführen und sie zu komplexeren Arten und Weisen anzuregen, sich religiös zu einander ins Verhältnis zu setzen, muss an dieser Stelle zunächst offen bleiben. Immerhin zeigen aber die anderen Gespräche in dieser Untersuchung, dass auch Kinder schon zu komplexeren Formen der religiösen Differenzwahrnehmung fähig sind. Pädagogisch gesehen ist es jedenfalls wünschenswert, dass Kinder in der Form eines wechselseitigen Verstehens mit religiösen Unterschieden umzugehen lernen. Deshalb kommt auch hier die Frage einer Elementarisierung ins Spiel, die sich auf die Deutungsweisen der Kinder einlässt, sie aber nicht bloß bestätigt, sondern im Sinne eines Kompetenzerwerbs anzuregen und weiterzuführen sucht. Auch die wissenschaftliche Theologie kann dabei als eine Quelle von Impulsen aufgenommen werde. Welche Anstöße aus der zeitgenössischen theologischen Diskussion etwa über eine »Theologie der Religionen« könnten hier auch für Kinder hilfreich sein? Wie lassen sich entsprechende Impulse kindgemäß formulieren?
An dieser Stelle stoßen wir zugleich auf weitere Fragen, die in der Kindertheologie bislang noch kaum Aufmerksamkeit gefunden haben. Die theologische Diskussion im Blick auf die Wahrnehmung anderer Glaubensweisen fällt auf christlicher und islamischer Seite nicht ohne Weiteres gleich aus. Beide Religionen werden als monotheistisch bezeichnet, weil sie – wie auch das Judentum – nur einenGott anerkennen. Der islamische und der christlich-trinitarische Monotheismus sind aber nicht einfach identisch. Religionspädagogisch werden deshalb unterschiedliche Akzente gesetzt, je nachdem, ob wir uns in einem christlichen oder in einem islamischen Zusammenhang bewegen.17 Und wieder anders würde die Antwort von Seiten der Religionswissenschaft und einer darauf aufbauenden Religionskunde – als möglichst neutrale Information über Religion – ausfallen, indem die Kinder beispielsweise dazu angehalten werden, sich weder auf einen islamischen noch auf einen christlichen Standpunkt festzulegen.
Ebenfalls zu bedenken ist die Frage, ob es eine Kindertheologie unabhängig von der Religionszugehörigkeit geben kann. So ist von christlicher Seite drauf aufmerksam gemacht worden, dass die christliche Theologie stets von bestimmten Glaubensüberzeugungen im Sinne von Voraussetzungen ausgeht, weshalb der Ansatz der Kindertheologie nicht einfach auf andere Religionen übertragen werden dürfe. In dieser Sicht ist Kindertheologie auf getaufte Kinder begrenzt.18 Auf islamischer Seite stößt der christlich geprägte Begriff der Theologie mitunter auf deutliche Vorbehalte19 und wird befürchtet, ein kindertheologischer Ansatz könne einseitig zu Lasten der Ausrichtung an islamischer Glaubenslehre und Tradition gehen. Unübersehbar treten aber beispielsweise Ronja und Arzu in ein theologisches Gespräch miteinander ein und treiben so gesehen Kindertheologie. Hier sind offenbar im Folgenden weitere Klärungen erforderlich.20
Zunächst aber ein weiteres Beispiel.
Dieses Beispiel stammt aus der interessanten Studie von Katharina Kammeyer über theologische Gespräche mit Vorschulkindern zum Thema Gebet. Es geht um die Frage, wie Gebete zu Gott kommen.
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eISBN 978-3-641-08187-4
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