Kindorientierung in der pädagogischen Praxis - Katrin Macha - E-Book

Kindorientierung in der pädagogischen Praxis E-Book

Katrin Macha

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Beschreibung

Kindorientierung ist als Begriff ist in aller Munde – aber was bedeutet das eigentlich? Das Buch klärt mit zahlreichen Praxisbeispielen und Reflexionsfragen die Grundprinzipien einer kindorientierten Pädagogik. Die Autorinnen zeigen anhand konkreter Alltagssituationen, wie pädagogische Fachkräfte den Kita-Alltag an den Kindern orientieren und dadurch die Rechte der Kinder auf Eigenständigkeit, Selbstbehauptung und Selbstwirksamkeit verwirklichen können: Vom Ankommen und Verabschieden über das Essen, Pflegen und Ausruhen bis hin zur Raumgestaltung, Projektarbeit und vielem mehr. 

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Katrin Macha • Gerlinde Ries-Schemainda • Nina-Sofia Schmidt

Kindorientierung in der pädagogischen Praxis

Katrin Macha • Gerlinde Ries-Schemainda • Nina-Sofia Schmidt

Kindorientierung in der pädagogischen Praxis

Aus Sicht der Kinder den Kita-Alltag gestalten

Im Sinne einer genderneutralen Sprache verwenden wir in diesem Buch den Begriff Kinder und verzichten auf die zweigeschlechtliche Formulierung „Mädchen und Jungen“. Damit möchten wir beitragen zur Auflösung geschlechterstereotyper Zuschreibungen.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

Umschlagmotiv: Simon Baltins

Fotos im Innenteil: S. 9: © Sunflower Light Pro – shutterstock; S. 23: © kristall – AdobeStock; S. 43: © Oksana Kuzmina – shutterstock; S. 86: © FatCamera – GettyImages

Lektorat: Caroline Baumer, Freiburg

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

ISBN Print 978-3-451-39449-2

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82961-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82957-4

Inhalt

Einleitung

1. Die Basics – den Boden bereiten

1.1 Pädagogische Bilder von Kindern

1.2 Rolle der pädagogischen Fachkraft

1.3 Vom Umgang mit der Macht

1.4 Zusammenarbeiten

2. Prinzipien der Kindorientierung – Dünger für starke Wurzeln

Überblick: die 7 Prinzipien der Kindorientierung

2.1 Autonomie und Agency

2.2 Partizipation

2.3 Sensitive Responsivität

2.4 Wahrnehmende Beobachtung

2.5 Kinderperspektiven

2.6 Inklusion

2.7 Lebenswelten

3. Kindorientierte Alltagsgestaltung – Kinder beim (Auf-)Wachsen in der Kita begleiten

Exkurs: Bedeutung von Alltagsroutinen

3.1 Ankommen und Verabschieden

3.2 Mahlzeitengestaltung

3.3 Gestaltung von Pflegesituationen

3.4 Ausruh- und Schlafsituationen

3.5 Übergänge im Alltag

3.6 In der Kita unterwegs sein

3.7 Aufräumen

3.8 Dialoge mit Kindern

3.9 Konflikte bearbeiten

3.10 Spielen

3.11 Raumgestaltung

3.12 Projektarbeit

3.13 Angeleitete Aktivitäten

3.14 Eingewöhnung

4. Rück- und Ausblick – den Samen weitertragen

4.1 Was macht Kindorientierung aus?

4.2 Wie können Fachkräfte Kindorientierung im Alltag umsetzen?

4.3 Warum Kindorientierung selbstverständlich sein sollte, es aber (noch) nicht ist

Literatur

Über die Autorinnen

Einleitung

„Kinder sollen so sein dürfen, wie sie sind. Sie haben das Recht, ihr Leben selbst zu bestimmen.“

(Janusz Korczak)

Dieses Zitat zeigt, worauf kindorientierte Pädagogik hinauswill: Kinder sind eigenständige Wesen – und das ist gut so. Sie wollen und können über sich selbst bestimmen. Dieses Buch möchte Sie darin unterstützen, diese grundlegende Haltung den Kindern gegenüber zu verinnerlichen.

Rennen wir mit unserem Anliegen bei Ihnen offene Türen ein? War es Ihnen schon immer wichtig, mit Kindern zu arbeiten, sich um sie zu kümmern, sie ernst zu nehmen und mit ihnen gemeinsam zu lernen? Wunderbar, denn genau da – an Ihrem Wissen und Ihren Erfahrungen – möchten wir anknüpfen und Ihnen eine systematische Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis der Kindorientierung ermöglichen.

Unsere fachliche Grundlage und pädagogische Passion ist der Situationsansatz. Hier findet sich ganz selbstverständlich eine kindorientierte Grundhaltung, die sich in den Zielen (Autonomie, Solidarität und Kompetenz) genauso widerspiegelt wie in den theoretischen Dimensionen (Lebensweltenorientierung, Bildung, Partizipation, Gleichheit und Differenz, Einheit von Inhalt und Form) sowie den 16 konzeptionellen Grundsätzen.1 Obwohl unsere Beispiele und Ausführungen in diesem Buch aus dem Kontext des Situationsansatzes kommen, können sie natürlich darüber hinaus ihre Wirkung entfalten und möchten auch Kitas inspirieren, die andere Ansätze leben.

Eine kindorientierte pädagogische Praxis wird in vielen Bildungsplänen in Deutschland als Ziel formuliert, und auch sonst im Fachdiskurs spielt die Kindorientierung eine wichtige Rolle für zeitgemäße Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Nicht nur weil darin die Rechte von Kindern auf Eigenständigkeit, Selbstbehauptung und Selbstwirksamkeit lebendig werden, sondern weil diese Haltung die Grundlage für Akzeptanz und Solidarität mit anderen bildet.

Auch wenn die angespannte Personalsituation und bürokratische Hürden die Kindorientierung erschweren können, gibt es viele Beispiele, Bemühungen und Ansätze, sie allen Widrigkeiten zum Trotz in der Kita-Praxis umzusetzen. Die große Fachlichkeit und Freude von Fachkräften, die kindorientiert arbeiten, hat uns inspiriert, dieses Buch zu schreiben. Wir hoffen, dass wir so einen Beitrag leisten können, andere mit ihrer und unserer Begeisterung anzustecken.

Während die folgenden Kapitel Ihnen die Bandbreite des Begriffes Kindorientierung aufzeigen und eine geschärfte Vorstellung davon ermöglichen, tragen die Ideen und Reflexionsfragen im Buch dazu bei, schon morgen allein oder im Team mit der Umsetzung anzufangen. Stellen Sie sich den Aufbau der Kapitel so vor wie die Arbeit in einem Garten: Zuerst beschreiben wir, wie der Boden für ein gutes Wachsen der Kindorientierung gestaltet sein muss. Dabei geht es um Ihr Bild vom Kind, Ihre Rolle als pädagogische Fachkraft und auch darum, mit wem Sie zum Gelingen des Wachsens kooperieren können – also um die kindorientierten Grundhaltungen. In Kapitel 2 fragen wir uns, wie wir den Grund optimal für die Kinder und ihr Wachstum aufbereiten können. Dazu nehmen wir die spezifische Düngemischung der Kindorientierung in den Blick: Wir beschreiben, wie kindorientierte Prinzipien, wie Partizipation, wahrnehmende Beobachtung, Inklusion oder Kinderperspektiven, starke Wurzeln ermöglichen und einen Entwicklungsschub geben können.

Im dritten Kapitel sehen wir uns dann die Pflanzen an, die aus diesem Nährboden wachsen: Wie lassen sich Alltagssituationen wie das Wickeln, Ankommen/Verabschieden oder die Mahlzeiten kindorientiert gestalten? Wie können Fachkräfte Räume und Projekte individuell auf kindliche Bedürfnisse ausrichten? Wie können sie Kinder beim Umgang mit Konflikten oder beim Spielen im Alltag unterstützen, wie auf Augenhöhe mit ihnen kommunizieren? Dabei wollen wir Ihnen immer wieder die Gelegenheit geben, Ihre Rolle als Gärtner*in zu reflektieren und Ihr Handlungsrepertoire zu erweitern.

Konkrete Praxisbeispiele und Reflexionsfragen helfen Ihnen, die Impulse auf Ihre pädagogische Arbeit zu übertragen. Außerdem finden Sie im Buch immer wieder Auszüge aus realen Gesprächen mit Kindern, deren Veröffentlichung alle Familien zugestimmt haben. Sie wurden im Rahmen von Forschungsarbeiten zu Kinderperspektiven geführt. Sie bestätigen manchmal unsere Texte, manchmal zeigen die Kinder aber auch ergänzende Aspekte auf. Lassen Sie sich im Sinne der Kindorientierung von ihren Aussagen zum Nachdenken anregen. Die Dialogbeiträge der Erwachsenen inspirieren Sie vielleicht, selbst ähnliche Gesprächsimpulse zu setzen. Und sie zeigen, dass Dialoge immer spontan sind – dass manchmal Fragen und Antworten einander beflügeln, es manchmal aber auch schwerfällt, aufeinander einzugehen.

Reflexion

Nachdenken über Kindorientierung

Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, überlegen Sie ganz frei und notieren Sie anschließend Ihre Gedanken:

Was verstehen Sie unter Kindorientierung?

Was fällt Ihnen dazu ein und was ist Ihnen dabei wichtig?

Die Kindorientierung fußt auf einer großen Freude und dem Interesse, sich mit Kindern auseinanderzusetzen und von ihnen zu lernen. Sie animiert dazu, genau hinzusehen, wie Erwachsene Kinder auf ihrem Weg begleiten und unterstützen können. Lassen Sie uns diese Freude, die Sie hoffentlich in Ihrem Beruf spüren, gemeinsam mit diesem Buch weiter nähren.

Viel Spaß beim Lesen und Denken!

1.

Die Basics – den Boden bereiten

In diesem Kapitel erfahren Sie

welche Bilder von Kindern in der Kindorientierung stecken

was das für die Rolle der pädagogischen Fachkräfte bedeutet

wie Erwachsene ihre Macht ausüben und reflektieren können

welche Allianzen Sie bei der kindorientierten Arbeit eingehen können

1.1 Pädagogische Bilder von Kindern

„Wenn ich so darüber nachdenke, kann ich eigentlich alles“, sagt Lotta aus der Krachmacherstraße in Astrid Lindgrens Buch „Lotta kann fast alles“ (Lindgren 1977). Kennen Sie Lotta und ihre Abenteuer? Sie ist mutig, forsch, selbstbewusst, eigensinnig und reflektiert. Und sie inspiriert. Denn ihre Aussage regt uns zum Nachdenken an: Können Sie sich vorstellen, dass ein Kind (fast) alles kann? Oder wollen Sie dem Kind widersprechen? Was löst die Frage in Ihnen aus?

Als pädagogische Fachkraft haben Sie sich wahrscheinlich immer wieder mit kindorientierten Ansätzen in der Pädagogik auseinandergesetzt. Im Kern bedeutet diese Haltung: Kinder haben eigene Rechte. Ihr Recht auf Schutz, Förderung und Entwicklung sowie Beteiligung ist in der UN-Kinderrechtskonvention (United Nations 1989) verankert. Damit wird anerkannt, dass Kinder eine eigene Position haben, dass sie als Akteur*innen in unserer Gesellschaft ernst zu nehmen sind. Das hat Folgen für das Bild vom Kind als Grundlage für pädagogisches Handeln. Jasper Juul bringt es in dem Zitat auf den Punkt: „Kinder haben von Anfang an eine eigene Persönlichkeit und sind damit menschlich und sozial kompetente Partner“ (Juul 2011, S. 3). Dabei ist wichtig anzuerkennen, dass alle Kinder unterschiedlich sind in ihren Bedürfnissen, Themen und Kompetenzen. Statt nach einem einheitlichen „Bild vom Kind“ zu suchen, sollten wir darum eher von „Bildern von Kindern“ sprechen.

Eins ist dabei ganz klar: Kinder haben einen maßgeblichen Anteil an dem, wie und was sie lernen, und Erwachsene begleiten sie dabei. Die Kindorientierung unterstreicht diesen Ansatz. Kinder werden in ihrer Einzigartigkeit, in ihrem Zugang zur Welt wahrgenommen. Kinder erleben, was um sie herum geschieht, und machen sich aus diesem Erleben in einem eigenen Schaffensprozess ein je eigenes Bild von dem, wie die Welt funktioniert und wie sie in dieser Welt agieren können. Dies geht klein los: Erfahren sie zum Beispiel Zuwendung und Mitgefühl, wenn sie weinen, dann trägt dies zu einem positiven Selbstbild bei. Sie erfahren, dass sie mit ihren Gefühlen ernst genommen werden. Auch wenn Kinder erleben, dass sie ignoriert werden, kann das Folgen haben. Möchte ein Kind beispielsweise einer erwachsenen Person etwas erzählen, diese dreht sich aber kommentarlos weg, weil sie mit etwas anderem beschäftigt ist, fühlt es sich dadurch nicht wichtig mit seinem Anliegen. Kommen solche Vorfälle häufiger vor, können sie das Selbstbild des Kindes beeinflussen. Denn solche Nicht-Reaktionen haben eine Wirkung auf das eigene Selbstwertgefühl.

Kindliches Lernen und Entwickeln hängt also immer mit den Reaktionen anderer Menschen zusammen. Es ist immer auch eingebettet in gesellschaftliche Verhältnisse und hängt von den Lebensbedingungen der Kinder ab. Schlechte Bedingungen können die Entwicklung ihres Potenzials behindern, wenn zum Beispiel in einer Familie Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit herrscht und sie die Sorgen und Nöte ihrer Eltern miterleben und auf sich übertragen. Jedoch zeigt sich auch hier, dass Kinder verschieden auf diese Bedingungen reagieren und damit umgehen lernen. Dabei spielt Resilienz eine große Rolle, also die Fähigkeit, mit belastenden Lebensumständen und Stress erfolgreich umgehen zu können und widerstandfähig zu werden. Manche Kinder entwickeln zum Beispiel einen großen Ehrgeiz, sich aus einer solchen Situation zu befreien, und suchen sich gezielt andere Erwachsene, die ihnen dort Zuspruch geben, wo sie ihn zu Hause nicht bekommen (vgl. Largo 2018).

Kinder sind klar in der Lage, Situationen, die sie betreffen, zu beurteilen und zu entscheiden. Bekommen sie die nötigen Informationen, können sie sich auf dieser Grundlage eine Meinung bilden und sie äußern. Wenn sie erleben, dass ihre Meinung anerkannt und gehört wird, hat das wiederum Folgen für ihr Selbstbild und sie können diese Fähigkeit weiterentwickeln. Dies zeigen Kinder zum Beispiel, wenn sie gemeinsam mit einer pädagogischen Fachkraft überlegen, wie sie einen Raum in der Kindertageseinrichtung umgestalten können. Haben Sie das in Ihrem pädagogischen Alltag schon einmal erlebt? Kinder sind oft sehr stolz, wenn sie zeigen und erklären können, wie und warum ein Raum sich verändert hat und was ihr Anteil daran war.

Kinder haben auch einen Sinn für Gemeinschaft und Fürsorge bzw. Solidarität mit anderen Menschen. Insbesondere wenn sie selbst in ihren Bedürfnissen gesehen werden, beginnen sie schon früh, sich auch um andere zu „kümmern“, zum Beispiel indem sie weinende Kinder trösten. Auch ältere Kinder zeigen immer wieder Solidarität, etwa wenn sie für ihre*n beste*n Freund*in, der* die später zum Essen kommt, etwas vom leckeren Pudding aufheben. Oder wenn sie mit Begeisterung im Winter eine große Sammelaktion starten, um die Obdachlosen, die sie immer wieder auf ihrem Weg zur Kita sehen, mit warmer Kleidung und Decken zu versorgen.

Reflexion

Über Bildern von Kindern (im Team) nachdenken

Notieren Sie in Stichworten die Aspekte zum kindorientierten Bild von Kindern, die in diesem Abschnitt benannt werden.

Welchen Aspekten stimmen Sie zu und warum? Haben Sie an manchen Stellen ein anderes Verständnis und warum?

Stellen Sie die kindorientierten Bilder von Kindern einer Kollegin oder einem Kollegen vor und diskutieren Sie gemeinsam, inwieweit Sie dem zustimmen und was sie anders sehen.

1.2 Rolle der pädagogischen Fachkraft

Wenn wir wie Lindgrens Lotta davon ausgehen, dass Kinder (fast) alles können, dann hat das Konsequenzen für das pädagogische Handeln und die Rolle, die Fachkräfte in der Kita-Praxis einnehmen. Pädagog*innen sind Begleitende, Impulsgebende und Dialogpartner*innen. Was heißt das bezogen auf die Kindorientierung?

Kindorientierte Pädagogik stellt Kinder in ihrer jeweiligen Eigenart in den Mittelpunkt. Sie werden anerkannt mit ihren Ideen, Hoffnungen, Kompetenzen und Entwicklungsmöglichkeiten. Den Fachkräften kommt dabei die Aufgabe zu, ihre Lern- und Entwicklungswege zu unterstützen, ihnen zur Seite zu stehen. „Sie sind dann auf dem richtigen Weg, wenn sie genau beobachten, hinhören, sich einfühlen und zu verstehen versuchen, in welcher Weise sich dieses Kind, das ja seine ureigene Geschichte mitbringt, die Welt aneignet, wie dieses Kind bei seinen Forschungsvorhaben unterstützt und ermutigt werden kann“ (Zimmer 2006, S. 19).

Pädagogische Fachkräfte sind also selbst Forschende. Sie versuchen herauszufinden, was bei den Kindern los ist, welche Erfahrungen, welchen Hintergrund und welche Fragen oder Bedürfnisse ein Kind mitbringt. Dafür gibt es gute Instrumente, wie zum Beispiel die wahrnehmende Beobachtung (siehe Kapitel 2.4), die Erhebung der Kinderperspektiven (siehe Kapitel 2.5) oder die Einbeziehung der Lebenswelten der Kinder (siehe Kapitel 2.7). Aufbauend auf dieser Erkundung überlegen Fachkräfte dann, wie sie darauf in ihrer Praxis reagieren können. Dabei stellen sie das Kind in den Mittelpunkt und überlegen, was es brauchen könnte und in welcher Weise sie es bestmöglich unterstützen können.

Seit ein paar Wochen erzählen viele Kinder von ihren Haustieren und manche bringen ihre Tiere sogar in die Kita mit. Das bringt allen viel Freude, aber Erzieher Samir fällt auf, dass besonders Celine immer ganz nah an den Tieren sitzt. Sie möchte sie ausdauernd streicheln und geht sehr behutsam und fürsorglich mit ihnen um. Samir spürt, dass das Mädchen einen besonderen Draht zu den Tieren hat. Deshalb sprechen sich Sonja und Samir im Team dazu ab, dass sie zukünftig besonders mit Celine über Tiere sprechen und mehr über ihre Erfahrungen herausfinden wollen. Als Jona seinen kleinen Hund mitbringt und alle einen Spaziergang mit ihm machen, bleibt Celine irgendwann traurig zurück. Sie erzählt Sonja, dass sie den Hund ihrer Nachbarin früher immer ausführen durfte. Doch er ist vor einem Jahr gestorben. Als Sonja die Mutter beim Abholen auf den Hund anspricht, bestätigt diese, dass sich ihre Tochter sehr einen Hund wünscht. Allerdings können sie sich keinen leisten. Die Erzieherin weiß bereits, dass Celine mit ihrer Mutter und ihren drei Geschwistern in einer kleinen Wohnung wohnt.

Auch in der Kinderrunde erzählt Celine nun von ihrem Wunsch, ein Tier zu besitzen, und dass das nicht möglich ist. Die Kinder haben gleich viele Ideen, wie sie ihr helfen könnten. Zum Beispiel bietet ihr Jona eine Spazierpatenschaft an. Irgendwann fangen Achmets Augen an zu leuchten: „Wir können hier in der Kita ein Tier haben!“ Aufgeregt erzählt er, dass es in der Kita, in die sein Cousin geht, Hasen gibt. Nach vielen weiteren Gesprächen mit den Eltern, dem Team und der Leitung wird das Projekt „Hasen in der Kita“ gestartet. Celine ist glücklich und kümmert sich mit großer Hingabe um die Tiere.

Natürlich müssen nicht immer große Projekte oder eine neue konzeptionelle Ausrichtung aus einer Beobachtung entstehen. Manchmal können pädagogische Fachkräfte bereits durch kleine Veränderungen viel bewirken. So können sie etwa individuell auf die Bedürfnisse und Themen der Kinder eingehen, indem sie mehr Zeit für Gespräche nach einer familiären Veränderung aufwenden oder neue Kinderbücher anschaffen, mit denen sich die Kinder eher identifizieren.

Drei Ebenen der pädagogischen Rolle

Um Kinder als Pädagog*in kindorientiert begleiten zu können, braucht es drei Ebenen.

Pädagogische Fachkräfte erkunden die Situationen der Kinder. Sie erforschen, wie es ihnen geht, beobachten, welche Entwicklungen sie machen. Sie gehen diese Wege mit den Kindern mit und lassen sich auf ihre manchmal eigenwilligen Ideen ein. Sie sind sich dabei bewusst, dass sie nicht unbedingt wissen, was für ein Kind das Richtige ist, sondern vertrauen auf den Austausch und die Richtung, die das Kind selbst weist. Dies zeigen Sonja und Samir auch in dem Fallbeispiel: Sie nehmen sehr genau wahr, was Celine beschäftigt, und erkunden ihre aktuelle Lage.

Pädagogische Fachkräfte gehen in den Dialog mit den Kindern. Sie sprechen mit ihnen, hören zu, denken gemeinsam Neues und lassen sich von den Ideen und Visionen der Kinder inspirieren. Dies zeigen Sonja und Samir, indem sie auf die Idee der Kinder eingehen, Tiere in der Kita zu halten. Sie bringen dabei – als gleichberechtigte Dialogpartner*innen– ihre Ideen oder manchmal auch Befürchtungen ein und zeigen sich mit ihrer Persönlichkeit.

Pädagogische Fachkräfte geben Impulse. Sie unterstützen Kinder darin, ihre Erfahrungs(spiel)räume zu erweitern. Sie ermöglichen neue, ungewöhnliche und bestärkende Erlebnisse für Kinder. Dazu überlegen sie genau, wie eine Erweiterung des Erfahrungsraums für die einzelnen Kinder aussehen könnte und wie sich diese neuen Impulse setzen lassen. Bereits kleine Anregungen können Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen. Vielleicht stellen sie verschiedene (Kultur-)Techniken vor, wie zum Beispiel das Essen mit Löffel, Gabel, Messer, mit Stäbchen oder mit Fladenbrot und Fingern. Pädagogische Fachkräfte warten dann ab, wie die Kinder auf diesen Impuls reagieren. Ebenso eignen sich Kinderbücher, zum Beispiel ein Sachbuch über Mode, Leben in früheren Zeiten oder Naturphänomene, um die Auseinandersetzung mit einem neuen Thema anzuregen.

Das Team eines Kindergartens möchte im Alltag neue Impulse setzen. Dazu ergänzt es die Bibliothek um einige Sachbücher. Sobald die neuen Bücher da sind, stürzen sich einige Jungen auf „Bei den Römern“. Besonders die Seiten über die römische Armee scheinen sie zu faszinieren. Die Fachkräfte suchen das Gespräch mit ihnen. Dabei wird deutlich, dass sich Max, Jassin und Torben für die verschiedenen Kampftechniken und ihre Waffen interessieren. Die pädagogischen Fachkräfte lassen sich auf die Fragen und Interessen der Kinder ein. Als sie die Themen in die Gruppe tragen, ergibt sich ein großes Projekt zum Thema römische Wettkämpfe mit mehreren Besuchen in einem Museum für römische Geschichte sowie Unterricht in verschiedenen Kampftechniken.

Dieses Rollenverständnis braucht flexible Erwachsene, die Spaß haben, von den Kindern zu lernen, die Ungewöhnliches willkommen heißen und die ernst nehmen, was bei den Kindern wichtig ist. Dazu müssen sie sich regelmäßig reflektieren, ihre eigene Haltung hinterfragen und sich auf den eigenen kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess einlassen.

Reflexion

Nachdenken über die eigene Rolle

Beobachten Sie sich in den nächsten drei Tagen einmal ganz genau während der Arbeit mit den Kindern. Nehmen Sie dabei die drei Rollen als

Begleiter*in,

Dialogpartner*in,

Impulsgeber*in

in den Blick und notieren Sie Ihre Beobachtungen.

Sprechen Sie dann mit einer Kollegin oder einem Kollegen über Ihre Erfahrungen:

In welchen Situationen verwirklichen Sie die drei Rollenaspekte?

Was fällt Ihnen besonders leicht und warum könnte das so sein?

Was fällt Ihnen schwer und woran könnte das liegen?

Es ist gar nicht so einfach, die verschiedenen Rollen einer pädagogischen Fachkraft in einer kindorientierten Pädagogik im Alltag immer zu verwirklichen, wenn Rahmenbedingungen und die gesellschaftliche Situation die Arbeit anstrengend machen. Zum Glück gesteht die kindorientierte Pädagogik auch Erwachsenen das Entwicklungspotenzial und Lernen an den eigenen Fragestellungen zu. Durch Ausprobieren und Reflektieren, durch die Bereitschaft, immer wieder neu zu denken, sowie durch den wichtigen Austausch im Team können Sie die Rollen Stück für Stück für sich ausfüllen und sich selbst weiterentwickeln.

1.3 Vom Umgang mit der Macht

„Wo kommen wir da hin, wenn Kinder nur noch machen, was sie wollen?!“ – „Wir lassen uns doch nicht von den Kleinen auf der Nase herumtanzen!“ – „Kinder müssen auch mal lernen, sich an unsere Regeln zu halten.“ Bei kindorientierten Ansätzen können aus der Elternschaft, aber auch aus dem Team kritische Stimmen laut werden. Doch wenn Kinder in den Fokus gerückt werden, bedeutet das nicht, dass Regeln und gegenseitige Wertschätzung nicht mehr wichtig sind. Im Gegenteil: Schon Astrid Lindgren machte deutlich, wie zentral in der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen der Respekt voreinander ist. „Ganz gewiss sollen Kinder Achtung vor ihren Eltern haben, aber ganz gewiss sollen auch Eltern Achtung vor ihren Kindern haben und niemals dürfen sie ihre natürliche Überlegenheit missbrauchen“ (Lindgren & Törnqvist 2000, S. 75).

In der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen haben Letztere aufgrund ihres Alters und ihrer Stellung in der Gesellschaft mehr Macht. Sie sind zum Beispiel diejenigen, die die meisten Dinge im Alltag entscheiden können – und Kinder müssen mitmachen, ob sie wollen oder nicht. Da sie aufgrund ihres Erwachsenseins eine Vormachtstellung Kindern gegenüber haben, müssen sie mit dieser bewusst umgehen.