Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Herr Schnickelfritz ist Kammerjäger, er hat diesen verantwortungsvollen Beruf von seinem Vater übernommen und befreit die Haushalte von Ungeziefer. Jeden Abend geht er ins Café Bussi, denn die Kellnerin dort hat es ihm emotional angetan. Doch Schnickelfritzens Selbstbewusstsein ist nicht groß, ein befreundeter TV-Moderator muss ihn dazu überreden, einen ersten Schritt in Richtung Liebe zu wagen. Dann aber überschlagen sich die Ereignisse: Der berühmte Riesenaffe King Kong wird im Wiener Augarten gesichtet und muss schnellstmöglich vertrieben werden. Beruflich wie privat steht Schnickelfritz vor der Erledigung sehr wichtiger Aufgaben! „King Kong in Wien" ist eine pointiert erzählte Groteske um einen sympathischen Antihelden, der unbedarft durch eine herrlich dämliche Geschichte stolpert. Ein Marionettentheater in Romanform, ein Lehrstück in Sachen Flow und nebenbei ein elegantes und Zeigefinger-freies Zerrbild über den Umgang mit dem Fremden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 191
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
HAUPTFIGUREN
Kammerjäger Schnickelfritz
Vater Schnickelfritz
Fernsehsprecher Vulkano
Renate
Umweltstadträtin Moik
NEBENFIGUREN
Mutter Schnickelfritz
Polizeipräsident Redlich
Die schöne Julia
Messerstecher-Ernst
Suchtgift-Joe
Die lästige Reporterin
Der irre Habakuk
Bananenbootvermieter Andrea
Peter aus der Schule
Der Bürgermeister
Die Dame von der Auskunft
Der Taxifahrer
Der Türsteher
Ingrid
Brigitte
Katharina
Evelyn
Kindermörder Klaus
Der Sektenführer
Rod Stewart
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
Mein Name ist Schnickelfritz und ich bin Kammerjäger.
Vater Schnickelfritz war ebenfalls Kammerjäger.
Aber Großvater Schnickelfritz nicht. Der war etwas anderes.
Vater Schnickelfritz war der beste Kammerjäger von Wien. Er tötete nicht nur Mehlwürmer, Schaben oder Wespen, sondern hatte eine Vorliebe für besonders schwierige oder gefährliche Aufträge.
Mutter Schnickelfritz war nie besonders stolz darauf, mit einem Kammerjäger verheiratet zu sein, sie hatte eigentlich immer von einem Leben an der Seite eines erfolgreichen Kammersängers geträumt.
Ich dagegen bewunderte ihn immer ein bisschen.
Einmal waren zum Beispiel die zwei Würgeschlangen eines bekannten Schauspielers aus ihrem Terrarium entkommen. Für gewöhnlich würde man in diesem Fall die Polizei oder einen Tierarzt rufen, doch der bekannte Schauspieler rief Vater Schickelfritz, den berühmten Kammerjäger. Also fuhr er zur Villa des Schauspielers und besiegte die Schlangen mit ihren eigenen Waffen. Indem er sie einfach mit bloßen Händen erwürgte.
Ein anderes Mal sollte er den Keller einer alten Döblinger Villa von einer Rattenplage befreien. Jeder andere Kammerjäger hätte Fallen ausgelegt, doch Vater Schnickelfritz nahm Flötenunterricht und konnte bereits nach zwei Wochen bezaubernd spielen. Er stellte sich in den Garten der Villa und spielte eine Eigenkomposition. Schon kam eine Ratte nach der anderen aus dem Keller, um die schöne Melodie zu hören. Bald war Vater Schnickelfritz von dutzenden Ratten und auch einigen Döblingern umzingelt. Er spielte weiter und machte sich auf den Weg. Die Ratten und die Döblinger folgten ihm wie hypnotisiert. Er ging bis Fischamend. Dort hörte er auf zu spielen. Die Döblinger fuhren mit dem Taxi zurück, die Ratten blieben aber dort.
Das war übrigens der Grund für die legendäre Rattenplage von Fischamend, an die sich ältere Leute vielleicht noch erinnern können.
So war Vater Schnickelfritz.
Außerdem war er ein guter Lügner.
Ich weiß bis heute nicht, welche seiner Heldentaten eigentlich erfunden waren. Das war mir aber egal, denn ich hörte seine Geschichten gern. Guten Lügnern hört man eben gerne zu.
Ich dagegen bin ein schlechter Lügner. Schade!
Vater Schnickelfritz war ein Meister im Lügen, aber selbst Meistern kann einmal ein Fehler passieren. Durch einen solchen Fehler verließ ihn Mutter Schnickelfritz.
Ich war zehn oder elf, als er den Auftrag bekam, aus dem Dachboden eines berühmten Kammersängers ein Wespennest zu entfernen. Als er zu seinem Haus fuhr, war der Kammersänger nicht zu Hause. Seine Frau aber schon.
Sie war mit ihrem Mann nicht glücklich und hatte ihr Leben lang eigentlich von einem Leben an der Seite eines erfolgreichen Kammerjägers geträumt. Dass ausgerechnet der erfolgreichste und beste der ganzen Stadt in ihrem Haus ein Wespennest entfernte, indem er Wespenbussarde auf dem Dachboden aussetzte, war ihre große Chance. Sie verführte ihn, und er konnte ihren Reizen nicht widerstehen.
Ihr Mann, der Kammersänger, war gerade auf Tournee, also besuchte Vater Schnickelfritz sie täglich, erzählte Mutter Schnickelfritz aber, dass der Kammersänger jetzt sein bester Freund wäre und dass sie irgendwas gemeinsam machten. Für einen guten Lügner eine wirklich schwache Ausrede!
Obendrein war Mutter Schnickelfritz zufällig ein großer Fan des Kammersängers und wusste deshalb natürlich, dass er gerade auf Tournee war. Als sie dann Kratzwunden am Hals von Vater Schnickelfritz fand, war ihr klar, dass er sie betrog. Die Kratzwunden waren zwar in Wirklichkeit von einem Wespenbussard gewesen, doch sie glaubte ihm kein Wort mehr, packte ihre Sachen und verließ uns.
Ich war damals noch zu klein, um zu verstehen, warum Mutter Schnickelfritz plötzlich weg war. Immer wieder fragte ich Vater Schnickelfritz, wann sie denn endlich wieder zurückkäme. Doch er sagte nichts.
Nach ein paar Wochen begann ich zu begreifen, dass ich sie wohl länger nicht sehen würde, vielleicht sogar nie wieder.
Unser Haus war auf einmal so groß und leer ohne Mutter Schnickelfritz.
Zumindest fühlte es sich leer an, denn eigentlich war es mit Tonskulpturen vollgeräumt. Das Töpfern war immer die große Leidenschaft von Mutter Schnickelfritz gewesen. Oft war sie den ganzen Tag im Keller und arbeitete an ihren Skulpturen. Wir hatten nie verstanden, was ihre Werke darstellen sollten. Wochenlang war sie an einer Skulptur gesessen. Dann hatte sie immer Schilder darauf geklebt, auf denen »unvollendet« stand. Über die Jahre hatten sich an die zweihundert riesige Figuren angesammelt. Garten, Dachboden, Wohnzimmer, Balkon, Küche, Garage, Bad – überall standen die Skulpturen herum. Mit jeder war sie unzufrieden gewesen und hatte dann einfach mit der nächsten begonnen.
Nun war sie weg und Vater Schnickelfritz wusste nicht, was er mit den ganzen Skulpturen machen sollte. Also räumte er sie nach und nach in den Keller und verlor kein Wort mehr darüber.
Natürlich wollte ich wissen, wohin Mutter Schnickelfritz verschwunden war. Monatelang hörten wir nichts von ihr. Als ich mich langsam damit abgefunden hatte, dass sie wohl nie wieder zurückkehren würde, läutete das Telefon. Vater Schnickelfritz hob ab, sagte nur immer wieder »Ja« und »Aha« und legte dann wieder auf.
»Es war Mutter Schnickelfritz«, sagte er. »Sie kommt nicht mehr zurück.«
»Wo ist sie denn?«, fragte ich.
»Das wirst du nicht verstehen«, sagte er.
»Bitte! Sag schon!«
»Ona je ted v sekte«, sagte er.
Wenn er nicht mehr weiterwusste, sprach er manchmal Tschechisch.
»WAS?«
»Das heißt ›Bitte‹«, schimpfte er.
»Wo ist Mutter Schnickelfritz?«
»Das verstehst du nicht.«
»Dann übersetz es doch!«
Er gab auf und erzählte mir die Wahrheit. Er erzählte mir, dass Mutter Schnickelfritz einer Sekte in Saarbrücken beigetreten war.
»Ich verstehe das auch nicht. Sie lebt jetzt bei diesen Verrückten. Sie glaubt jetzt daran, dass die Welt bald untergehen wird, weil …«
Ich wartete. Er schien zu überlegen, was er eigentlich davon halten sollte.
»Die glauben, dass die Welt untergeht, weil die Pole schmelzen und dann die nächste Sintflut kommt. Die nächste Sintflut! Als hätte es … Egal. Die glauben jedenfalls, dass die ganze Menschheit durch eine riesige Sintflut sterben wird. Und diese Verrückten meinen, dass nur sie überleben werden und alle anderen Menschen sterben müssen. Deshalb bauen sie … Also sie werden überleben, weil sie ein riesiges Schiff bauen. Glauben die jedenfalls. Eine Arche. Du weißt schon, wie die Arche Noah. An einem solchen Schiff bauen die gerade. Mutter Schnickelfritz lebt jetzt bei diesen Menschen. Und sie will ihr ganzes Geld … Egal. Es tut mir leid, aber …« Vater Schnickelfritz setzte sich zu mir, legte seine riesigen Hände auf meine Schultern und sprach leise weiter.
»Mutter Schnickelfritz wird nicht mehr zu uns zurückkommen. Sie bleibt in Saarbrücken und will dieses Schiff bauen. Es tut mir leid, mein kleiner Schnickelfritz. Aber ich will dir keine Hoffnung machen. Mutter Schnickelfritz ist leider … sie ist … na ja …«
Mehr sagte er nicht. Er blieb noch ein bisschen bei mir sitzen.
Vater Schnickelfritz musste damals viel arbeiten, denn die Scheidung war sehr teuer. Kein Wunder, er war ja schuld daran. Er hatte ja die Affäre mit der Frau des berühmten Kammersängers begonnen. Das kleine Vermögen, das Mutter Schnickelfritz bekam, investierte sie sofort in die Arche, während Vater Schnickelfritz jeden Auftrag annehmen musste, um uns beide durchzubringen.
Ich war damals erst elf. Also zu klein, um den ganzen Tag alleine zu Hause zu bleiben.
Also nahm er mich einfach mit in die Arbeit.
Die nächsten Jahre begleitete ich ihn jeden Tag nach der Schule bei seinen Aufträgen.
Ich war zum Beispiel dabei, als er eine entlaufene Vogelspinne mit einem Netz einfing. »Gefährliche Tiere muss man mit ihren eigenen Waffen schlagen!«, sagte er immer.
Ich sah, wie er das Haus einer alten Witwe von Mäusen befreite. Im ganzen Haus legte er Speckwürfel aus, in die er kleine Eisenteile gesteckt hatte. Nachdem sich die Mäuse in der Nacht den Speck geholt hatten, kamen wir am nächsten Tag wieder, und zwar mit einem riesigen Magneten, den wir an eine Autobatterie anschlossen. Als Vater Schnickelfritz die Batterie aktivierte, war der Magnet so stark, dass es die Mäuse mit den kleinen Eisenteilen in ihren Bäuchen aus den Löchern zog. Leider zerstörte der Magnet auch den Fernseher der alten Witwe. Sie war aber nicht böse, denn sie war die Mäuse los.
Ich hörte auch immer gerne zu, wenn er seinen Kunden Blödsinn erzählte.
»Wissen Sie, mein Herr, ich will Ihnen jetzt einmal etwas verraten. Ich bin schon seit vielen Jahren Kammerjäger. Und eines habe ich dabei gelernt: Um eine Schabe zu bekämpfen, müssen Sie sich zuerst einmal in die Schabe hineinversetzen! Sie müssen sich fragen: Wie tickt sie? Was will sie? Wie denkt eine Schabe? Und was denkt sie? Ich werde es Ihnen sagen: nichts. Schaben denken überhaupt nichts. Was soll so eine Schabe auch groß denken? Ist ja nur eine Schabe. Man muss sie einfach nur vergiften. Vergessen Sie alles, was ich gesagt habe. Es ist völlig unnötig, sich in eine Schabe hineinzuversetzen.«
Oder die Geschichte mit dem Nest! Der eine Nachbar hatte den anderen Nachbarn angezeigt, weil der nichts gegen das Wespennest in seinem Garten unternahm. Die Wespen flogen dem anderen Nachbarn (also dem ohne Wespennest) ständig auf den Kuchen. Also rief der eine Nachbar (also der mit Wespennest) Vater Schnickelfritz, den besten Kammerjäger der Stadt.
Ich war schon gespannt, wie Vater Schnickelfritz die gefährlichen Wespen besiegen wollte. Doch er brachte in der Nacht einfach ein zweites Wespennest und montierte es heimlich am Haus des anderen Nachbarn.
»Gegenanzeige!«, schlug er dem einen Nachbarn vor.
Zwei Wochen später rief ihn dann auch noch der andere Nachbar und zahlte ihm viel Geld dafür, damit er das Nest wieder entfernte.
Oder die Kakerlaken! Einmal nahm mich Vater Schnickelfritz in ein Restaurant mit. Er sollte die Küche von den vielen Kakerlaken befreien. Im Auto mussten wir uns als Köche verkleiden.
»Warum müssen wir uns als Köche verkleiden?«, fragte ich ihn.
»Weil es ganz schlecht ist für ein Restaurant, wenn die Gäste sehen, dass der Kammerjäger da ist«, sagte er.
»Aber Vater Schnickelfritz …«
»NICHTS DA! Zieh dir sofort die Kochmütze an«, unterbrach er mich streng.
»Aber … Ich bin doch noch ein Kind«, sagte ich.
»NA UND?!«, rief er. «Warum sollte ein Kind keine Kochmütze tragen?«
»Aber Vater Schnickelfritz …«
»NICHTS DA ABER! SAG NICHT IMMER ABER!«, schimpfte er.
»Aber ich bin doch noch ein Kind. Wenn die Gäste sehen, dass ein Kind kocht, ist das doch auch ganz schlecht!«
»Da hast du natürlich recht«, musste er zugeben. «Da hast du leider recht. Dann … dann … äh … dann gehst du ganz normal als Kind und ich bin ein Koch.«
Einmal nahm er mich allerdings nicht mit.
»Ich kann dich nicht ins Rathaus mitnehmen. Wie sieht das denn aus? Du bist doch noch ein Kind! Du musst heute zu Hause bleiben und fernsehen«, sagte er.
Es war nämlich so, dass der Bürgermeister von Wien höchstpersönlich (!) eines Tages bei der Verleihung des goldenen Ehrenzeichens im Rathaus weiße Mäuse gesehen hatte. Die Verleihung war am Vormittag gewesen, deshalb hatte der Bürgermeister noch nichts getrunken. Man bezweifelte deshalb stark, dass es im Rathaus wirklich weiße Mäuse gab, doch wer hätte es gewagt, dem Bürgermeister höchstpersönlich (!) zu widersprechen?
Er befahl Umweltstadträtin Moik, etwas gegen die Mäuse zu unternehmen. Also musste sie natürlich einen Kammerjäger rufen. Wenn ins Rathaus ein Kammerjäger kommen soll, muss das freilich der beste der ganzen Stadt sein, und das war eben Vater Schnickelfritz.
Er hatte freilich genug Erfahrung, um schnell zu erkennen, dass es im Rathaus keine Mäuse gab. Schon gar keine weißen. Doch das konnte er Umweltstadträtin Moik nicht erzählen. Er konnte ja nicht dem Bürgermeister höchstpersönlich (!) widersprechen!
Deshalb spazierte er tagelang durch das Rathaus, klopfte Wände ab, legte Fallen aus und schlich einmal sogar in einem Katzenkostüm herum. Ausgerechnet als eine riesige Katze durch den Arkadenhof spazierte, bog der Bürgermeister höchstpersönlich (!) mit seinen Mitarbeitern um die Ecke und erblickte sie.
»HILFE, EINE RIESENKATZE!«, brüllte er.
Seine Mitarbeiter reichten ihm ein Glas Wein, doch dieses Mal hatte er recht. Tatsächlich stand eine Riesenkatze vor ihnen und winkte. Sie nahm ihren Kopf ab.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Herr Bürgermeister! Bitte verzeihen Sie! Schnickelfritz mein Name, ich bin der Kammerjäger!«
»Wie können Sie unseren Herrn Bürgermeister nur so erschrecken?«, schimpfte ein Mitarbeiter. »Unseren Herrn Bürgermeister HÖCHSTPERSÖNLICH (!)?«
»Verzeihen Sie bitte, sehr verehrter Herr Bürgermeister«, sagte Vater Schnickelfritz und sah ihm nicht in die Augen, denn das mochte er nicht. »Alles nur im Dienste Ihrer Sicherheit! Morgen ist das Rathaus frei von allen Mäusen, ich verspreche es Ihnen hoch und heilig, sehr verehrter Herr Bürgermeister.« Dann setzte er sich den Katzenkopf wieder auf.
Am nächsten Tag kaufte er in einem Geschäft (Schlangenbedarf Gruber) ganz viele weiße Mäuse, packte sie in einen Sack und übergab sie Umweltstadträtin Moik.
»Erledigt, Frau Umweltstadträtin«, sagte er. »Wenn Sie wieder einmal etwas brauchen: Sie haben meine Nummer.«
»Nein«, sagte sie. »Ich habe sie leider verloren.«
»Dann schauen Sie im Telefonbuch nach. Schnickelfritz. Siegfried, Cäsar, Heinrich, Nordpol, Ida, Cäsar, Konrad, Emil, Ludwig, Friedrich, Richard, Ida, Theodor, Zeppelin.«
»Sie haben aber viele Vornamen«, sagte Umweltstadträtin Moik.
So erzählte mir Vater Schnickelfritz zumindest die Geschichte.
Der Bürgermeister, der Bürgermeister höchstpersönlich (!), soll danach jedenfalls zu Umweltstadträtin Moik gesagt haben: »Dieser Schnickelfritz gefällt mir!«
Von diesem Tag an bekam Vater Schnickelfritz immer einen Anruf, wenn eines der vielen schönen Gebäude der Stadt von Schädlingen befallen war. Schnell wurde er so zum offiziellen Kammerjäger der Stadt Wien.
Die Herausforderungen waren nicht besonders groß. Jahrelang hatte er am liebsten Riesenschlangen, Giftspinnen, ja einmal sogar ein Krokodil getötet, und plötzlich bekämpfte er nur noch normale Schädlinge wie alle anderen Kammerjäger auch – Milben, Schaben oder Würmer.
Er musste niemandem mehr etwas beweisen. Vater Schnickelfritz war der beste Kammerjäger von Wien. Und jetzt wollte er auch noch reich werden und verrechnete der Stadt deshalb immer sehr hohe Honorare.
»Steuergeld!«, lachte er oft. »Alles Steuergeld!«
Es ging uns ziemlich gut!
Mit fünfzehn bekam ich zum Beispiel ein sehr teures Geschenk. Früher hatte ich nie teure Geschenke bekommen, doch nun konnte sich Vater Schnickelfritz so etwas leisten. Ich will aber nicht erzählen, was er mir schenkte, denn es ist mir sehr unangenehm.
Als ich sechzehn war, fuhren wir auf Urlaub nach Italien und ich war zum ersten Mal am Meer!
Er hatte auf einmal so viel Geld, dass er sogar Mutter Schnickelfritz eine großzügige Spende überweisen konnte, damit ihre Sekte schneller mit der Arche fertig wurde. Alles lief gut.
Ich war mittlerweile alt genug, um alleine zu Hause zu bleiben und begleitete ihn immer seltener. Doch eines Tages fragte er mich beim Abendessen: »Schnickelfritz, mein kleiner Schnickelfritz. Was soll nur aus dir werden?«
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Nächstes Jahr bist du mit der Schule fertig«, sagte er. »Dann musst du dich für einen Beruf entscheiden.«
»Ja«, meinte ich.
»Sprich nicht mit vollem Mund!«
»Aber ›Ja‹ ist so ein kurzes Wort«, meinte ich, »das darf ich doch wohl mit vollem Mund sagen.«
»Jaja. Bald darfst du tun, was auch immer du willst«, murmelte er, »bald habe ich dir gar nichts mehr zu sagen. Aber, Schnickelfritz …«, sagte er, schob sich eine Kartoffel in den Mund und sprach weiter.
Ich verstand nichts mehr.
»Ich verstehe dich nicht mit vollem Mund!«
Er schluckte hinunter.
»Siehst du!«
Ich hatte noch einmal vom Thema ablenken können. PUH …
»Also: Was willst du einmal werden?«
Oje. Doch nicht.
»Ich weiß es einfach nicht«, meinte ich. »Ich muss es mir noch überlegen. Ich weiß es einfach nicht. Keine Ahnung!«
»Deine Schulfreunde wissen aber bestimmt schon, was sie werden wollen! Dieser Peter … dein bester Freund … Möchte der nicht …«
»… ein berühmter Regisseur werden«, sagte ich.
»Und das wäre nichts für dich?«, fragte er.
»Nein. Ich möchte kein berühmter Regisseur werden.«
»Dann pass mal auf, mein lieber Schnickelfritz. Wenn du kein berühmter Regisseur werden willst und auch sonst nicht weißt, welcher Beruf dich interessiert, warum wirst du dann nicht einfach Kammerjäger?«
»ICH?«
»Nein, ich!«
»Ach so.«
»Nein, NATÜRLICH DU!«
»«ICH? KAMMERJÄGER?«
»Ja«, rief er, »das wäre doch wunderbar! Du als mein Nachfolger! Kammerjäger Schnickelfritz! Klingt das nicht gut?«
»Nein.«
»Du hast bestimmt Talent! Du hast ganz sicher mein Talent geerbt!«
»Aber ich will kein … also ich will doch … kein … Ich will doch kein KAMMERJÄGER werden!«, sagte ich entsetzt.
»Und warum nicht?«, fragte er streng.
»Weil … weil … ääh …«, stotterte ich, »weil das … also Kammerjäger ist vielleicht, äh … also … natürlich ein sehr, hm, also … irgendwie … also … na ja …«
»WAS? Was willst du denn sagen? Dass Kammerjäger kein anständiger Beruf ist? Willst du etwa sagen, dass Kammerjäger kein anständiger, renommierter und zweifelsohne bewundernswerter Beruf ist? Willst du behaupten, dass Kammerjäger in der Bevölkerung nicht ein SEHR HOHES ANSEHEN genießen?! Dass nicht jedermann heilfroh und dankbar ist, dass es Kammerjäger gibt? Willst du bestreiten, dass Kammerjäger einer der besten, wenn nicht sogar DER BESTE BERUF von allen ist?«
»Ja«, sagte ich.
Vater Schnickelfritz drehte sich weg, verschränkte beleidigt die Arme und sprach kein Wort mehr.
Oje. Jetzt hatte ich ihn gekränkt. Ich aß die Kartoffeln auf und wollte gehen.
»Ich höre nächstes Jahr auf«, brummte er, »ich mag nicht mehr. Du könntest mein Nachfolger werden. Ich würde dir alles beibringen. Du wärst der Nachfolger des größten Kammerjägers, den diese Stadt jemals gesehen hat und müsstest dir nie wieder Sorgen machen!«
»Na gut«, sagte ich.
Ich war immer schon sehr leicht zu überreden.
So wurde ich also Kammerjäger.
Gleich nach der Schule übernahm ich den Betrieb und Vater Schnickelfritz konnte in Pension gehen.
Von der Stadt bekam ich jeden Monat zwei oder drei Aufträge und verdiente damit genug. Meistens waren die Aufträge nicht besonders schwierig. Ich konnte fast immer mit Gift arbeiten. Milbengift, Schabengift, Würmergift. Und wenn ich einmal nicht weiterwusste, rief ich einfach Vater Schnickelfritz an.
Wenn sich andere Kunden meldeten, sagte ich immer, dass ich keine Zeit hätte. Ich arbeitete nämlich nicht besonders gerne. Trotzdem saß ich den ganzen Tag im Büro. Umweltstadträtin Moik konnte ja jederzeit anrufen! Für sie hatte ich natürlich immer Zeit.
Mein Büro, das ich von Vater Schnickelfritz übernommen hatte, war auf der Währinger Straße. Und meine Wohnung auch. Zwischen Wohnung und Büro lagen ungefähr fünfhundert Meter, trotzdem fuhr ich jeden Tag mit dem Auto in die Arbeit, denn wozu hat man denn ein Auto, wenn man dann nicht damit fährt?
Eben!
Ich saß also den ganzen Tag im Büro, arbeitete aber sehr wenig. So gesehen war ich sehr froh, dass ich den Betrieb übernommen hatte. Man muss es sich ja auch nicht unnötig schwer machen im Leben.
In meiner Freizeit sah ich immer schon gerne fern. Meine liebste Sendung war das Quiz »Wer gewinnt heute wohl wieder das ganze Geld?«. Meine zweitliebste Sendung war »Die Diskussion am Nachmittag«. Meine drittliebste Sendung: »Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum gefilmt«. Außerdem sah ich mir jeden Tag die Nachrichten an.
Nicht, weil sie mich besonders interessiert hätten. Immer ging es nur um Mord und Verbrechen. Furchtbar!
Aber: Mein bester Freund war Fernsehsprecher Vulkano!
Ja. DER Fernsehsprecher Vulkano.
Er war nämlich zufällig mein Nachbar. Und außerdem mein bester Freund! Ich war sehr stolz darauf, einen so berühmten Mann persönlich zu kennen. Deshalb sah ich jeden Tag die Nachrichten. Ich fand es immer wieder aufregend, Fernsehsprecher Vulkano im Fernsehen zu sehen. Im Fernsehen war er noch viel schöner als in Wirklichkeit.
Oft verriet er mir schon am Nachmittag die Nachrichten vom Abend, darauf war ich immer ganz besonders stolz. Deshalb brauchte ich auch kein Internet, ich wusste ja immer schon, was passiert war.
Fernsehsprecher Vulkano wollte mir aber immer einreden, mir endlich Internet anzuschaffen.
»Jeder hat heute Internet, mein lieber Schnickelfritz! Jeder!«, sagte er oft.
»Nein«, sagte ich dann.
»Doch, Schnickelfritz! Jeder!«
»Nein. Ich nicht«, sagte ich dann.
»Aber, Schnickelfritz«, sagte er einmal, »wenn Sie im Internet wären, würden Sie neue Freunde finden.«
»Ich brauche aber keine neuen Freunde, Fernsehsprecher Vulkano.«
»Aber wenn Sie im Internet wären, könnten Sie doch viel mehr Kunden gewinnen! Das kann man sich als Firma heutzutage doch nicht mehr leisten, nicht im Internet zu sein!«, sagte er noch.
»Trotzdem«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
»Und außerdem: Im Internet könnten Sie Ihre Traumfrau finden«, sagte er noch.
Da hatte er vielleicht recht! DA hatte Fernsehsprecher Vulkano natürlich einen wunden Punkt getroffen.
Ich hatte eigentlich alles, was ich mir wünschen konnte. Nur eine Frau fehlte mir. Ich meine nicht irgendeine Frau, sondern die Frau fürs Leben!
Natürlich hatte ich hin und wieder interessante Frauen kennengelernt. Noch viel öfter hatte ich allerdings uninteressante Frauen kennengelernt!
Oft war es so, dass ich die Frauen, die mich mochten, uninteressant fand. Die Frauen wiederum, die mich interessant fanden, mochte ich meistens nicht. Und die Frauen, die ich mochte, fanden mich wiederum nicht interessant.
Außerdem war ich immer schon sehr schüchtern.
Und sah nicht besonders gut aus. Nicht schlecht. Aber eben auch nicht besonders gut. Irgendwas dazwischen. Auf einer Skala von eins bis zehn ungefähr fünf.
Und als wäre das alles noch nicht genug, war ich auch noch Kammerjäger. Frauen wollen eher einen Fallschirmspringer, einen Fernsehsprecher oder einen Fußballspieler als einen Kammerjäger.
Ich hatte es also wirklich nicht leicht, eine Frau zu finden.
Einmal traf ich mich mit einer gewissen Ingrid. Wir lernten uns im Rathaus kennen, denn dort arbeitete Ingrid als Köchin. Sie hatte panische Angst vor Ameisen und bewunderte mich, weil ich die Rathausküche von einer Ameisenplage befreite, ohne mich zu fürchten. Also fragte sie mich, ob ich mit ihr ausgehen wollte.
Ich schlug vor, essen zu gehen, aber Ingrid wollte in ihrer Freizeit nichts mit Essen zu tun haben, nachdem sie den ganzen Tag in der Rathausküche stand. Also schlug sie vor, in den Zoo zu gehen. Doch das wollte ich wiederum nicht, weil ich in meiner Freizeit nichts mit Tieren zu tun haben wollte.
Also trafen wir uns in der Mitte, und zwar in einem Park. Dort gingen uns aber sofort die Gesprächsthemen aus. Wir wussten einfach nicht, worüber wir reden sollten. Ingrid war also wohl kaum meine große Liebe. Außerdem hatte sie nach einem tragischen Unfall mit einer Bratpfanne eine Glatze. Ich bin wirklich nicht oberflächlich, aber eine Glatze gefiel mir einfach nicht.
Dann gab es eine gewisse Brigitte. Wir sahen uns fast jeden Tag. Sie war nämlich Briefträgerin und brachte mir jeden Tag die Post. Brigitte war sehr freundlich, sehr schlau, sehr lustig und sehr schön. Ich war viel zu schüchtern, um sie auf ein Rendezvous einzuladen, aber immerhin konnte ich jeden Tag beim Briefkasten auf sie warten und kurz mit ihr plaudern. Wenn sie mir meine Post gegeben hatte, brachte ich sie schnell in die Wohnung, stieg in mein Auto und fuhr gleich zum Büro. Dort brachte mir kurz darauf ebenfalls Brigitte die Post und ich konnte jeden Tag zweimal kurz mit ihr plaudern.