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Die feministische Streitschrift von Virginie Despentes in neuer Übersetzung – so aktuell wie nie zuvor Gleich zu Beginn ihres autobiografischen Essays stellt Virginie Despentes klar, für wen sie schreibt: für die Unzufriedenen, die Ausgegrenzten, für die, die in keine Schublade passen. Ein wütendes Pamphlet gegen Männlichkeitswahn, das Opferdasein und die Beschränkung des Menschen auf Geschlechter- und Rollenklischees. Außerdem ein Plädoyer für das Recht auf Selbstbestimmung, das »Aus-der-Rolle-Fallen« und für ein – wenn nötig auch radikales – Eintreten für sich selbst. Schonungslos, drastisch, ehrlich. »Ein flammendes Plädoyer für das Unangepasstsein« SPIEGEL Online
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Seitenzahl: 147
Virginie Despentes
King Kong Theorie
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz
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Für Karen Bac,
Raffaëla Anderson und Coralie Trinh Thi
Ich schreibe aus dem Land der Hässlichen und für die Hässlichen, die Alten, die Mannweiber, die Frigiden, die schlecht Gefickten, die nicht Fickbaren, die Hysterischen, die Durchgeknallten, für alle vom großen Markt der tollen Frauen Ausgeschlossenen. Und ich sage gleich, damit das klar ist: Ich entschuldige mich für nichts und ich werde nicht jammern. Ich würde meinen Platz gegen keinen anderen tauschen, denn Virginie Despentes zu sein finde ich viel spannender als alles andere.
Ich finde es großartig, dass es auch Frauen gibt, die gern verführen, die gekonnt verführen, Frauen, die sich heiraten lassen, Frauen, die nach Sex riechen oder nach dem Kuchen für die Kinder, wenn sie aus der Schule kommen. Großartig, dass es sehr sanfte gibt und solche, die in ihrer Weiblichkeit aufgehen, junge, sehr schöne oder kokette und strahlende. Ehrlich, ich freue mich für alle, die zufrieden sind, wie es ist. Das sage ich ohne Ironie. Nur dass ich nicht dazugehöre. Natürlich würde ich nicht schreiben, was ich schreibe, wenn ich schön wäre, so schön, dass alle Männer, die ich treffe, ihr Verhalten ändern. Ich spreche als Proletin der Weiblichkeit, wie ich es gestern getan habe und heute wieder tue. Als ich Sozialhilfe bekam, habe ich mich kein bisschen geschämt, ausgeschlossen zu sein, ich war nur wütend. Genauso als Frau: Ich schäme mich nicht, keine supertolle Frau zu sein. Aber es macht mich rasend, wenn man mir ständig zu verstehen gibt, dass ich als Frau, die die Männer kaum interessiert, gar nicht da sein sollte. Wir waren immer da. Auch wenn wir nicht vorkamen in den Romanen von Männern, die sich nur Frauen ausmalen, mit denen sie gern schlafen würden. Wir waren immer da, aber wir haben nie den Mund aufgemacht. Sogar heute, wo viele Romane von Frauen geschrieben werden, triffst du darin nur selten Frauenfiguren, die unscheinbar oder durchschnittlich aussehen und nicht imstande sind, die Männer zu lieben oder sich von ihnen lieben zu lassen. Im Gegenteil, die Heldinnen von heute lieben die Männer, lernen ständig welche kennen, schlafen nach zwei Kapiteln mit ihnen, haben nach vier Zeilen einen Orgasmus; und sie alle lieben Sex. Die Loserin in Sachen Weiblichkeit ist mir nicht nur sympathisch, sie ist mir unverzichtbar. Genauso wie der gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Loser. Mir sind die lieber, die es nicht schaffen, aus dem einfachen Grund, weil ich es selbst nicht besonders gut schaffe. Und weil alles in allem Humor und Einfallsreichtum eher auf unserer Seite zu finden sind. Wer nicht ist, wie man sein muss, um sich aufzuspielen, ist oft kreativer. Als Frau bin ich eher King Kong als Kate Moss. Ich bin die Art Frau, die man nicht heiratet, mit der man kein Kind macht, ich spreche als Frau, die immer »zu« ist: zu aggressiv, zu laut, zu grob, zu brutal, zu zerzaust, und immer zu männlich, wie man mir sagt. Dabei ist es gerade meine Männlichkeit, die aus mir etwas anderes macht als einen von vielen Sozialfällen. Alles, was ich an meinem Leben mag, alles, was mich gerettet hat, verdanke ich meiner Männlichkeit. Ich schreibe hier also als Frau, die nicht dazu taugt, die männliche Aufmerksamkeit zu erregen, das männliche Verlangen zu befriedigen und sich mit einem Platz im Schatten zu begnügen. Von daher schreibe ich, als nicht verführerische, aber ehrgeizige Frau, angezogen vom Geld, das ich selbst verdiene, angezogen von der Macht zu tun und zu verweigern, angezogen eher von der Stadt als von Heim und Herd, immer begeistert von Erfahrungen und unfähig, mich mit dem zufriedenzugeben, was mir andere davon erzählen. Es ist mir wurst, ob ich Männer geil mache, die mich nicht zum Träumen bringen. Ich fand es nie selbstverständlich, dass die verführerischen Frauen selbst so viel Spaß dabei haben. Ich habe mich immer hässlich gefühlt und arrangiere mich umso besser damit, als es mich vor einem beschissenen Leben mit netten Männern bewahrt, die mich nie weiter gebracht hätten als bis zur blauen Linie der Vogesen. Ich bin zufrieden mit mir, wie ich bin, eher begehrlich als begehrenswert. Und von denen her schreibe ich, von den Unverkäuflichen, den Verdrehten, denen mit rasiertem Schädel, denen, die sich nicht anziehen können, die Angst haben zu stinken, die verfaulte Zahnstummel haben, die sich nicht zu benehmen wissen, denen die Männer keine Geschenke machen, die mit jedem vögeln würden, der sie nimmt, den dicken Nutten, den kleinen Schlampen, den Frauen mit ewig trockener Möse, mit dicken Wampen, von denen, die gern Männer wären, die sich für Männer halten, die davon träumen, Pornostars zu sein, die mit den Kerlen nichts am Hut haben, aber sich für deren Freundinnen interessieren, die einen dicken Hintern haben, die borstige schwarze Haare am Körper haben und sich nicht epilieren lassen, von den brutalen, lauten Frauen, die im Vorbeigehen alles zerschlagen, die keine Parfümerien mögen, die zu viel Rouge auflegen, die zu schlecht gebaut sind, um sich wie scharfe Nutten anziehen zu können, obwohl sie vor Lust darauf brennen, von denen her, die auf der Straße Männerklamotten und einen Bart tragen wollen, denen, die alles zeigen wollen, die aus Minderwertigkeitsgefühl schamhaft sind, die nicht Nein sagen können, die man einsperrt, um sie zu brechen, die Angst machen, die einem leidtun, die keine Lust machen, von denen mit schlaffer Haut und Gesichtern voller Falten, von denen, die davon träumen, sich liften, das Fett absaugen, die Nase brechen und richten zu lassen, aber kein Geld dafür haben, die nach gar nichts mehr aussehen, die sich nur auf sich selbst verlassen, um sich zu schützen, die nicht beruhigend sein können, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, die gern trinken, bis sie sich auf dem Boden der Bar wälzen, die sich nicht beherrschen können; und wenn wir schon dabei sind, auch für die Männer, die keine Lust haben, Beschützer zu sein, die es gern wären, aber nicht wissen wie, die sich nicht prügeln können, die gern heulen, die nicht ehrgeizig, nicht konkurrenzfähig, nicht aggressiv sind, die schlecht gebaut, ängstlich, schüchtern, verletzlich sind, die sich lieber um den Haushalt kümmern würden, als arbeiten zu gehen, die zart oder kahl sind, zu arm, um zu gefallen, die Lust haben, sich in den Arsch ficken zu lassen, die nicht wollen, dass man sich auf sie verlässt, die Angst haben, wenn sie abends allein sind.
Denn dem Ideal der weißen, verführerischen, aber nicht nuttigen, gut verheirateten, aber nicht unsichtbaren Frau, berufstätig, aber nicht zu erfolgreich, um ihren Mann nicht zu erdrücken, schlank, aber ohne Essstörung, undefinierbar jung bleibend, ohne sich von den Schönheitschirurgen entstellen zu lassen, glückliche Mutter, aber nicht aufgefressen von Windeln und Schulaufgaben, gute Hausfrau, aber kein altmodisches Muttchen, gebildet, aber weniger als ein Mann, dieser weißen, glücklichen Frau, die man uns ständig vor die Nase hält, der ähnlich zu sein wir uns bemühen sollen – abgesehen davon, dass sie aussieht, als würde sie sich über jede Kleinigkeit aufregen –, der jedenfalls bin ich noch nie begegnet. Ich glaube, die gibt es gar nicht.
In der Tat, wenn die Frau kein Leben außer in der von Männern geschriebenen Literatur hätte, man würde sie sich als eine Person von allergrößter Wichtigkeit vorstellen; sehr vielgestaltig; heroisch und niederträchtig; erhaben und elend; unendlich schön und abgrundtief hässlich; so groß wie ein Mann, manche meinen sogar größer. Aber das ist die Frau in der Literatur. In Wirklichkeit, wie Professor Trevelyan ausführt, wurde sie eingesperrt, geschlagen und im Zimmer herumgestoßen.
Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer
Seit einiger Zeit werden wir in Frankreich ständig wegen der 70er-Jahre beschimpft. Dass das ein Irrweg gewesen sei und was wir denn mit der sexuellen Revolution erreicht hätten und ob wir uns für Männer hielten oder was und dass man sich angesichts unseres Blödsinns frage, wo die gute alte Männlichkeit geblieben sei, die von Papa und Großpapa, die der Männer, die noch im Krieg zu fallen und einen Haushalt mit gesunder Autorität zu führen verstanden. Und mit dem Gesetz im Rücken. Wir werden beschimpft, weil die Männer Angst haben. Als könnten wir etwas dafür. Aber das ist doch fantastisch oder zumindest modern, ein Beherrscher, der herumheult, weil der Beherrschte nicht mitspielt … Spricht der weiße Mann hier tatsächlich zu den Frauen oder will er nur seine Überraschung darüber kundtun, welche Wendung seine Angelegenheiten überall nehmen? Egal. Auf jeden Fall ist es unglaublich, wie wir beschimpft, zur Ordnung gerufen und kontrolliert werden. Mal spielen wir zu sehr die Opfer, mal vögeln wir nicht, wie es sich gehört, zu sehr wie Hündinnen oder zu sehr wie zärtliche Verliebte, egal, was passiert, wir haben nichts davon verstanden, zu porno oder nicht sinnlich genug. Ehrlich mal, diese sexuelle Revolution war Perlen vor die Gänse. Egal, was wir machen, irgendjemand macht sich immer die Mühe zu sagen, es sei bescheuert. Eigentlich sei es vorher besser gewesen. Ach ja?
Ich bin 1969 geboren. Ich war in einer gemischten Schule. Ich habe schon in der ersten Klasse gelernt, dass die schulische Intelligenz der Jungs die gleiche ist wie die der Mädchen. Ich habe kurze Röcke getragen, ohne dass jemand in meiner Familie sich Gedanken gemacht hat, was die Nachbarn sagen. Ich habe mit 14 die Pille genommen, ohne dass es ein Problem war. Ich habe gevögelt, sobald ich die Gelegenheit hatte, das hat mir damals super gefallen, und zwanzig Jahre später ist der einzige Kommentar, der mir dazu einfällt: »zu cool für mich«. Ich bin mit 17 ausgezogen und durfte allein wohnen, ohne dass jemand etwas dagegen hatte. Ich habe immer gewusst, dass ich arbeiten würde. Ich würde nicht die Gesellschaft eines Mannes ertragen müssen, damit er meine Miete bezahlt. Ich habe ein Bankkonto auf meinen Namen eröffnet, ohne zu wissen, dass ich zur ersten Generation Frauen gehörte, die das ohne Vater oder Ehemann tun durfte. Ich habe erst ziemlich spät angefangen zu masturbieren, aber ich kannte das Wort schon, weil ich es in Büchern gelesen hatte, die keinen Zweifel ließen: Ich war kein asoziales Monster, weil ich mich anfasste, außerdem ging es nur mich an, was ich mit meiner Möse machte. Ich habe mit Hunderten Männern geschlafen, ohne je schwanger zu werden, und wenn, hätte ich gewusst, wo ich abtreibe, ohne die Erlaubnis von irgendwem, ohne mein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich bin Hure geworden, ich bin mit hohen Absätzen und tiefen Dekolletés durch die Stadt spaziert, ohne jemandem Rechenschaft zu schulden, ich habe jeden Centime, den ich verdient habe, selbst kassiert und selbst ausgegeben. Ich bin getrampt, ich wurde vergewaltigt, ich bin wieder getrampt. Ich habe den ersten Roman unter meinem richtigen Vornamen geschrieben, ohne eine Sekunde daran zu denken, dass man mir bei Erscheinen die Grenzen aufzählen würde, die ich nicht hätte überschreiten dürfen. Die Frauen meines Alters sind die ersten, die ein Leben ohne Sex führen können, ohne über das Spielfeld Kloster zu gehen. Die Zwangsehe ist heute schockierend. Die eheliche Pflicht ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Jahrelang war ich tausend Meilen vom Feminismus entfernt, nicht weil Solidarität oder Bewusstsein fehlten, sondern weil mich mein Geschlecht lange Zeit an kaum etwas gehindert hat. Da ich Lust auf ein Männerleben hatte, führte ich ein Männerleben. Denn die feministische Revolution hat wirklich stattgefunden. Man sollte endlich aufhören, uns einzureden, früher seien wir erfüllter gewesen. Horizonte haben sich geweitet, Freiräume plötzlich aufgetan, als wären sie immer da gewesen.
Zugegeben, das heutige Frankreich ist keineswegs Arkadien für alle. Hier sind weder alle Frauen glücklich noch alle Männer. Das hat nichts damit zu tun, ob die traditionellen Geschlechterrollen eingehalten werden oder nicht. Wir könnten alle in Schürzen in der Küche stehen und jedes Mal Kinder machen, wenn wir Sex haben, das würde nichts am Untergang der Arbeit, des Liberalismus, des Christentums oder des ökologischen Gleichgewichts ändern.
Die Frauen um mich herum verdienen tatsächlich weniger als die Männer, haben weniger hohe Posten, finden es normal, dass sie unterschätzt werden, wenn sie etwas unternehmen. Es gibt diesen Domestikenstolz, über Hindernisse hinweg vorwärtskommen zu müssen, als wäre das nützlich, angenehm oder sexy. Ein unterwürfiges Glück bei der Vorstellung, als Sprungbrett zu dienen. Wir schämen uns unserer Kräfte. Auf Schritt und Tritt überwacht von Männern, die sich weiter in unsere Angelegenheiten einmischen und uns erklären, was gut oder schlecht für uns sei, aber vor allem von anderen Frauen, in der Familie, in Frauenzeitschriften und im alltäglichen Diskurs. Eine Frau muss ihr Licht unter den Scheffel stellen: »kompetent« ist immer noch gleichbedeutend mit »männlich«.
Die Psychoanalytikerin Joan Rivière schrieb 1927 »Weiblichkeit als Maskerade«. Darin schildert sie den Fall eines »Zwischentyps« von Frau, also heterosexuell, aber männlich, die darunter litt, dass sie nach jedem öffentlichen Auftritt von entsetzlicher Angst gepackt wurde, die ihr alle Kraft raubte und sich in einem zwanghaften und demütigenden Drang äußerte, die Aufmerksamkeit der Männer zu suchen:
»Durch die Analyse stellte sich dann heraus, dass sich ihr zwanghaftes Flirten und Kokettieren (…) folgendermaßen erklärte: Es war der unbewußte Versuch, sich gegen die Angst zur Wehr zu setzen, die sich einstellte, weil sie nach der intellektuellen Leistung ihres Vortrags Vergeltungsmaßnahmen von seiten der Vaterfigur befürchtete. Die öffentliche Zurschaustellung ihrer geistigen Fähigkeiten, die sie an sich erfolgreich durchführte, bedeutete, daß sie sich selbst als im Besitz des Penis ihres Vaters zur Schau stellte, nachdem sie ihn kastriert hatte. Sobald die Vorführung vorüber war, wurde sie von einer furchtbaren Angst vor der Vergeltung, die ihr Vater üben würde, erfaßt. Offensichtlich war das Bestreben, sich ihm sexuell hinzugeben, ein Versuch, den Rachesuchenden zu besänftigen.«
Diese Analyse bietet einen Schlüssel zum Verständnis der Schwemme heißer Outfits im heutigen Popgeschäft. Egal, ob du durch die Stadt läufst, MTV oder eine Varietésendung im ersten Programm siehst oder in einem Frauenmagazin blätterst – du bist erschlagen von der Explosion des extremsten, oft sehr kleidsamen Schlampenlooks, den viele junge Mädchen übernehmen. Im Grunde ist das ihre Art, sich zu entschuldigen und die Männer zu beruhigen: »Sieh nur, wie gut ich bin; trotz meiner Autonomie, meiner Bildung, meiner Intelligenz ist mein einziges Ziel immer noch, dir zu gefallen«, scheinen die Gören im String zu verkünden. »Ich wäre zwar durchaus fähig, anders zu leben, aber ich setze die wirkungsvollsten Verführungsstrategien ein, und entscheide mich damit für ein nicht selbstbestimmtes Leben.«
Auf den ersten Blick scheint es überraschend, dass die Mädchen mit so viel Begeisterung die Attribute der »Objekt«-Frau übernehmen, dass sie ihre Körper verstümmeln und spektakulär zur Schau stellen, während diese junge Generation zugleich die »anständige Frau« wieder aufwertet, also weit entfernt ist von ausgelassenem Sex. Der Widerspruch ist nur scheinbar. Die Frauen senden den Männern eine beruhigende Botschaft: »Habt keine Angst vor uns.« Dafür lohnt es sich, unbequeme Sachen zu tragen und Schuhe, in denen niemand laufen kann, sich die Nase zertrümmern oder die Brust aufblasen zu lassen und zu hungern. Keine Gesellschaft hat je so viele Beweise für die Unterwerfung unter ein ästhetisches Diktat, so viele körperliche Veränderungen zur Verweiblichung des Körpers verlangt. Und gleichzeitig hat keine Gesellschaft den Frauen so viel körperliche und intellektuelle Bewegungsfreiheit gelassen. Die Über-Markierung der Weiblichkeit gleicht einer Entschuldigung für den Verlust der männlichen Vorrechte. »Seien wir befreit, aber nicht zu sehr. Wir spielen das Spiel mit, wir wollen keine phallische Macht, wir wollen niemandem Angst machen.« Die Frauen machen sich freiwillig klein, verschleiern, was sie gerade errungen haben, machen sich zu Verführerinnen, nehmen ihre Rolle wieder ein, umso demonstrativer, als sie wissen, dass es im Grunde nur noch zum Schein ist. Der Zugang zu traditionell männlichen Machtbereichen geht mit der Angst vor Bestrafung einher. Seit jeher wurde brutal bestraft, wer seinen Käfig verließ.
Wir haben nicht so sehr die Idee unserer Unterlegenheit verinnerlicht – wie gewalttätig auch immer die Kontrollinstrumente waren, der Alltag hat uns gezeigt, dass die Männer weder von Natur aus überlegen noch sehr anders als die Frauen sind. Vielmehr ist uns die Vorstellung, dass unsere Unabhängigkeit schädlich sei, in Fleisch und Blut übergegangen und wird von den Medien eifrig verbreitet: Wie viele Artikel wurden in den letzten zwanzig Jahren über Frauen geschrieben, die den Männern Angst machen, über Frauen, die für ihren Ehrgeiz oder ihre Einzigartigkeit bestraft werden? Als wäre es ein neues Phänomen, Witwe, verlassen, in Kriegszeiten allein zu sein oder misshandelt zu werden. Frauen mussten sich immer ohne Hilfe durchschlagen. Die Behauptung, dass sich Männer und Frauen vor den 70er-Jahren besser verstanden hätten, ist historisch falsch. Sie hatten weniger miteinander zu tun, das ist alles.
Dazu passend ist die Mutterschaft zur unverzichtbaren weiblichen Erfahrung geworden, die über allen andern steht: Leben schenken, das ist großartig. Selten war die Pro-Mutterschafts-Propaganda so marktschreierisch wie heute. Das ist Verarschung, eine zeitgemäße, systematische