Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist  - Die Debatte um die Segnung homosexueller Paare - Julia Daser - E-Book

Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist - Die Debatte um die Segnung homosexueller Paare E-Book

Julia Daser

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2002
Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Theologie - Systematische Theologie, Note: 1,0, Evangelische Hochschule Berlin (Studiengang Ev. Religionspädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: „Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist“1 - mit diesem Zitat sind gegenwärtig die Stellungnahmen der meisten evangelischen Kirchen in Deutschland in der Debatte um die Segnung homosexueller Paare zusammenzufassen. Ist die innerkirchliche Diskussion über eine Segnungshandlung für gleichgeschlechtliche Paare vor etwa fünfzehn Jahren das erstemal aufgetaucht auf, so ist eine verstärkte Debatte um diese besonders seit dem Frühjahr des Jahres 2001 zu verzeichnen. Der bis dato vollzogene gesellschaftliche Wandel, der auch eine zunehmende Akzeptanz der homosexuellen Lebensform mit sich brachte, manifestierte sich zu diesem Zeitpunkt im Entwurf des „Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“. Es stellte auch für christliche Lesben und Schwule sowie deren Unterstützer/innen einen moralischen Aufschwung dar, gegen die Diskriminierung Homosexueller in der Kirche anzugehen. Mit zugenommenem Selbstbewußtsein - den öffentlichen Erwartungsdruck an die Kirchen im Rücken - forderten sie verstärkt das Angebot einer Segnungshandlung für ihre Partnerschaften ein. Vergleichbares hat in der evangelischen Kirche bereits eine lange Tradition: für heterosexuelle Ehepaare besteht die Möglichkeit, einen Gottesdienst anläßlich ihrer Eheschließung zu feiern. Die Reaktionen der 24 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie offizielle Stellungnahmen des Kirchenamtes zu dieser Forderung sind jedoch sehr verhalten. Argumentiert wird mit der Bibel, mit der besonderen Bedeutung von Ehe und Familie oder mit der Unmöglichkeit, homosexuellen Partnerschaften Gottes Segen zuzusprechen; Homosexualität sei nicht gottgewollt.

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
THEORETISCHER TEIL.
2. Homosexualität
2.1. Was ist Homosexualität?
2.2. Homosexualität - ein gesellschaftliches Reizthema.
2.3. Homosexualität - ein kirchliches Reizthema
2.4. Homosexualität - ein theologisches Kontroversthema
2.4.1. Biblische Hermeneutik zur Homosexualität
2.4.2. Verschiedenheiten im Bibelverständnis
3. Kasualpraxis
3.1. Die Segnung homosexueller Paare als Kasualgottesdienst.
3.2. Der Segen im Rahmen eines Kasualgottesdienstes.
4. Zusammenfassung der Ergebnisse des Theorieteils: Spannungen wahrnehmen,
PRAKTISCHER TEIL
5. Eine Darstellung der Debatte
5.1. Überblick über die Diskussion in den Gliedkirchen der EKD.
5.2.1. Der Kock-Brief.
5.2.1.1. Darstellung.
5.2.1.2. Bewertung
5.2.2.1. Darstellung.
5.2.2.2. Bewertung
5.2.3. Steinackers Rede auf der EKHN-Synode.
5.2.3.1. Darstellung.
5.2.3.2. Bewertung
5.3. Zusammenfassung.
6. Resümee.

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1. Einleitung

„Kirche kann nicht segnen, was nicht Gottes Wille ist“1- mit diesem Zitat sind gegenwärtig die Stellungnahmen der meisten evangelischen Kirchen in Deutschland in der Debatte um die Segnung homosexueller Paare zusammenzufassen. Ist die innerkirchliche Diskussion über eine Segnungshandlung für gleichgeschlechtliche Paare vor etwa fünfzehn Jahren das erstemal aufgetaucht auf, so ist eine verstärkte Debatte um diese besonders seit dem Frühjahr des Jahres 2001 zu verzeichnen. Der bis dato vollzogene gesellschaftliche Wandel, der auch eine zunehmende Akzeptanz der homosexuellen Lebensform mit sich brachte, manifestierte sich zu diesem Zeitpunkt im Entwurf des „Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“. Es stellte auch für christliche Lesben und Schwule sowie deren Unterstützer/innen einen moralischen Aufschwung dar, gegen die Diskriminierung Homosexueller in der Kirche anzugehen. Mit zugenommenem Selbstbewußtseinden öffentlichen Erwartungsdruck an die Kirchen im Rücken - forderten sie verstärkt das Angebot einer Segnungshandlung für ihre Partnerschaften ein. Vergleichbares hat in der evangelischen Kirche bereits eine lange Tradition: für heterosexuelle Ehepaare besteht die Möglichkeit, einen Gottesdienst anläßlich ihrer Eheschließung zu feiern. Die Reaktionen der 24 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie offizielle Stellungnahmen des Kirchenamtes zu dieser Forderung sind jedoch sehr verhalten. Argumentiert wird mit der Bibel, mit der besonderen Bedeutung von Ehe und Familie oder mit der Unmöglichkeit, homosexuellen Partnerschaften Gottes Segen zuzusprechen; Homosexualität sei nicht gottgewollt.

In meiner Diplomarbeit werde ich - natürlich nur im (platzbedingten) Rahmen des hier Möglichen - in das Dickicht der wichtigsten Argumentationslinien innerhalb der Debatte um die Segnung homosexueller Paare eintauchen. Ich möchte herausarbeiten, in welchen Spannungsfeldern sich die Diskussion bewegt, um nach einer Prüfung dieser meine Leitfrage beantworten zu können: Ist der kirchliche Widerspruch gegen eine Segnung homosexueller Paare noch zu rechtfertigen? Die Relevanz der Beantwortung dieser Frage sollte der evangelischen Kirche in

1Dies ist ein leicht abgewandeltes, jedoch nicht den ursprünglichen Sinn verzerrendes Zitat des braunschweigischen Oberlandeskirchenrats Dr. Robert Fischer, der sich Ende 2000 in einem Gastkommentar im „doppelpunkt“, der Zeitschrift des Marienstiftes, eines Krankenhauses in Trägerschaft des Diakonischen Werkes in Braunschweig, zur Segnung homosexueller Partnerschaften äußerte. Im Original lautet der Satz: „Das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare und ‘Outing’ mag gesellschaftlich ‘in’ sein, aber kann

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zweierlei Hinsicht wichtig sein: Zum einen werden die kirchlichen Zweifel zur ethischen Bewertung der Homosexualität insbesondere auf Kosten einer Minderheit ausgetragen: der Lesben und Schwulen, die sich schon in ihrem Alltag oftmals Diskriminierungen ausgesetzt sehen und sich eigentlich von der Kirche Solidarität erhoffen würden; viele von ihnen haben sich bereits enttäuscht aus dem kirchlichen Leben zurückgezogen. Zum anderen geht es um ein glaubhaftes kirchliches Handeln; glaubhaft müssen Christinnen und Christen aber nicht nur vor ihrem Gewissen handeln, glaubhaft muß Kirche auch in einer veränderten Lebensrealität Stellung beziehen.

Im Laufe dieser Diplomarbeit wird sich herausstellen, daß die Frage um die Segnung homosexueller Paare auch etliche andere Bereiche berührt; sehr artverwandt beispielsweise ist die Diskussion um die Segnung (heterosexueller) nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften. Im Sinne meiner Leitfrage werde ich jedoch nicht näher auf diese eingehen, um das Themengebiet einzugrenzen. Nicht eingehen werde ich auch auf den Diskussionsstand in der Katholischen Kirche. Er gestaltet sich insofern noch um einiges schwieriger als es hier das Sakrament der Ehe gibt.2

Ich habe diese Diplomarbeit in zwei Schwerpunkte unterteilt: Theorie und Praxis. Im Theorieteil werde ich einen Überblick geben über die verschiedenen Spannungsfelder der Debatte. Grundsätzlich muß die Frage geklärt werden, was überhaupt das Objekt der Debatte ist: Homosexualität. Hier berufe ich mich besonders auf Rüdiger Lautmann, dessen Arbeitsschwerpunkte Sexual-, Geschlechter- und Rechtssoziologie sind. Er hat diverse Schriften zum Thema „Homosexualität“ veröffentlicht. Im folgenden Abschnitt 2.2. steht besonders Norbert Geis, der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU, im Mittelpunkt. Seine Äußerungen zum Thema „Homosexualität“ vermitteln einen guten Einblick in die (von großen Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft geteilte) Haltung gegenüber Lesben und Schwulen. Hier - wie auch an anderen Stellen - verwende ich ein Buch von Peter Bürger, das sich in vielerlei Hinsicht fundiert mit dem Themenkomplex „Homosexualität (und) Kirche“ auseinandersetzt. In den Punkten 2.3.1. und 2.3.2. werde ich die zwei relevanten offiziellen Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema Homosexualität wiedergeben. Die sog. Orientie-

Kirchesegnen, was nicht Gottes Wille ist?“ (http://www.huk.org/aktuell/braunschweig-kirche.htm (Stand: 26.2.2001))

2Vgl. mein Punkt 3.3.

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rungshilfe „Mit Spannungen leben“ (2.3.1.) beschäftigt sich grundlegend mit dieser Materie, die schriftliche Stellungnahme „Verläßlichkeit und Verantwortung stärken“ (2.3.2.) reagiert auf den Entwurf des oben angesprochenen Lebenspartnerschaftsgesetzes und stellt im Zuge dessen eingehend die sozialethische Meinung der EKD zu verschiedenen Lebensformen dar. Mit diesen beiden Schriften will ich einen Einblick geben in die Schwierigkeiten, die die EKD mit dem Thema „Homosexualität“ hat. Bis zu diesem Punkt nehme ich eine „Bestandsaufnahme“ der Situation vor, in der sich die Debatte um die Segnung homosexueller Paare abspielt. Im Abschnitt 2.4.1. schließlich stelle ich zwei unterschiedliche Positionen dar, die sich beide mit der Frage auseinandersetzen, was die Bibel zur Homosexualität sagt. Sehr plakativ spricht sich Helmuth Egelkraut dafür aus, daß Homosexualität nicht gottgewollt sei. Er schreibt im Auftrag des „Weißen Kreuzes“, einer konservativen, sich gegen den von ihr attestierten Sittenverfall in der Gesellschaft einsetzenden Organisation. Ihm entgegen stelle ich in erster Linie die Meinung des Theologen Hans Georg Wiedemann. Er hat verschiedene Bücher veröffentlicht, die sich für eine Neuorientierung in der christlichen Ethik in der Frage der Homosexualität aussprechen. Der hierauf folgende Abschnitt 2.4.2. versucht, auf das tiefer liegende Grundproblem der biblischen Hermeneutik einzugehen: Wie lesen wir die Bibel? Dieses Kapitel soll sensibel machen für das Phänomen, daß verschiedene Christinnen und Christen nach der LektüredesselbenBuches trotzdem unterschiedliche Schlüsse daraus ziehen. Im nächsten theoretischen Hauptteil nehme ich den zweiten großen Themenblock „Kasualpraxis und Segnung“ der Debatte unter die Lupe: Auch hier werde ich durch jeweilige Begriffsklärungen versuchen, Klarheit für die Beantwortung meiner Leitfrage zu gewinnen. Das bedeutet für Punkt 3.1., daß ich danach frage, was überhaupt ein Kasualgottesdienst ist. Hier - wie auch noch im folgenden - beziehe ich mich zum einen auf Ulrike Wagner-Rau, die ein grundlegendes Buch zur Kasualpraxis in der modernen Gesellschaft geschrieben hat, zum anderen auf Rainer Stuhlmann, auf den nicht nur in der Fachliteratur zum Themenkomplex „Segnung homosexueller Paare“ immer wieder Bezug genommen wird, sondern der auch ein theologischer Berater für die Evangelische Kirche im Rheinland war während ihres Konsultationsprozesses zur gottesdienstlichen Begleitung Homosexueller. Zur Bedeutungsklärung des Segens ziehe ich desweiteren Andreas Obermann heran, der sich durch die aktuellen Debatten bemüßigt sah, den Segen im Neuen Testament zu untersuchen und daraus schlußfolgernd einen Ausblick auf heutiges kirchliches Segenshandeln zu liefern. Darüber hinaus ist hier das Votum des Theologischen Ausschusses der Arnoldshainer Konferenz, „Gottes Segen und die Segenshandlungen der Kirche“, von großer Wichtig-

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keit. Auf dieses beruft sich die EKD-Stellungnahme „Mit Spannungen leben“ an den Punkten, wo sie sich zur Segnung homosexueller Paare positioniert. Punkt 3.3. untersucht die besondere Bedeutung der kirchlichen Trauung für die Debatte um die Segnung. Zu Rainer Stuhlmann tritt hier Christian Grethlein hinzu, der den Grundfragen der Liturgik zeitgemäß entgegentritt. An all das schließt der Praxisteil an, der einen Einblick in die aktuelle Debatte verschaffen soll; dazu gehört ein Überblick in den momentanen Diskussionsstand in den 24 Gliedkirchen der EKD. Durch drei exemplarische Perspektiven möchte ich dann nicht nur Lebendigkeit in die Arbeit bringen, sondern auch prüfen, ob meine Ergebnisse des Theorieteils sachgemäß sind. Hierzu beleuchte ich einen spannungsreichen Punkt in der Debatte: Ein Brief des EKD-Ratsvorsitzenden Manfred Kock an die Gliedkirchen der EKD rief nicht nur eine Reaktion der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Homosexualität und Kirche“ (HuK) hervor, sondern bekam auch eine Erwiderung durch den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Peter Steinacker. Diese drei Parteien haben jeweils unterschiedliche Perspektiven innerhalb der Debatte inne. Kock wendet sich gegen ein kirchliches Segnungsangebot, die HuK reagiert darauf aus der Position der Betroffenen heraus, Peter Steinacker plädiert für eine gottesdienstliche Begleitung lesbischer und schwuler Paare. Beenden möchte ich den Praxisteil mit einem knappen Überblick über typische Argumentationsstränge bei Befür-worter/innen und Gegner/innen der Segnung homosexueller Paare. Im Resümee werde ich die Beantwortung meiner Leitfrage abschließen, einige weitergehende Gedanken äußern und zuletzt mit einer kleinen Meditation enden. Abschließend folgt ein Anhang sowie die Bibliographie.

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THEORETISCHER TEIL

2. Homosexualität

2.1. Was ist Homosexualität?

Noch im Jahre 1794 konnte Homosexualität „wegen ihrer Abscheulichkeit ... nicht genannt werden“ (Preußisches Allgemeines Landrecht, zitiert in: Lautmann, in: Puff 1993, 15), 1869 tauchte die Bezeichnung zum ersten Mal auf, seit letztem Jahrhundert (also die 1900er Jahre) habe sie sich richtig eingebürgert (vgl. Lautmann, in: Puff 1993, 15). Wichtig ist die Frage: „Welche Homosexualität meinen wir, wenn wir das Wort verwenden?“ (ebd., 18) Es sei „längst nicht mehr sicher, daß wir mit demselben Wort auf dieselbe Angelegenheit zielen.“ (ebd.) Der Begriff „Homosexualität“ ist - ebenso wie seine inhaltliche Füllung und mit Sicherheit in Wechselwirkung damit - in der Diskussion: Oft grenzen sich Lesben von der Bezeichnung „Homosexuelle“ ab, da damit oftmals nur Schwule assoziiert würden. Die allgemeine Kritik am Begriff „Homosexuelle“ bemerkt, daß dieser einzig die sexuelle Ausrichtung bezeichne. Übersehen werde oft, daß Lesbisch- und Schwulsein mehr ist als nur eine sexuelle Ausrichtung: es kann identitätsstiftend sein und betrifft somit die gesamte Ausgestaltung des Lebens. Dagegen wendet sich bspw. seit den 1990er Jahren der dekonstruktivistische Teil der lesbisch-feministischen Bewegung, der deutlich macht, was den Positionsbestimmungen lesbischer Identität oft fehlt: „Die Anerkennung der komplexen und komplizierten sozialen, psychischen und politischen Prozesse und Praxen der Konstitution von Identität ebenso wie der konstruierten und fragilen ‘Natur’ lesbischer Identität. Investiert wird dagegen oft nur in deren Auspolsterung und in die Überwachung der Identitätsgrenze.“ (Martin, zitiert in: Hark 1996, 11) Ich möchte damit zeigen, daß „Homosexualität“ nicht einfach definiert werden kann. Genau betrachtet müßte man wohl sagen: Wer sich selbst als homosexuell (lesbisch/schwul) betrachtet, die/der ist es auch - zumindest für sich selbst.3Auch wenn das dekonstruktivistische Lager sich gegen die Konstitution einer homosexuellen Identität wendet, muß doch festgehalten werden, daß eine identitäre heute die am häufigsten vorkommende Art von Homosexualität ist: „Erst im 20. Jahrhundert ist die gleichgeschlechtliche Lust vom Seitensprung zur Hauptakti-

3Sogibt es bspw. manche „Ex-Lesbe“, die inzwischen (so offiziell definiert) heterosexuell lebt, sich aber selbst noch als lesbisch definiert. (vgl. Stein, in: Hark 1996, 155ff)

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vität aufgerückt. Dafür steht der Begriffhomosexuelle Identitätein.“ (Lautmann, in: Puff 1993, 25) Die Bedingungen, an die noch das Vorkommen der älteren Homosexualitäten geknüpft gewesen seien, wären nun abgeschafft: „kein Generationsabstand, keine Symbole des anderen Geschlechts, nichts von aktiv/passiv, keine Heirat4. Als Frau eine Frau begehren, als Mann einen Mann, in der Fülle der Bedeutsamkeit deseinenGeschlechts - das und nur das macht es aus. Das Homosexuell-Sein wird in das Selbstverständnis integriert. Weder an sich selbst noch am Gegenüber wird ein Abstrich von der Geschlechtsidentität vorgenommen.“ (ebd., 23) Da diese Beschreibung heute noch dem Selbstverständnis der meisten Lesben und Schwulen entspricht, werde ich sie in dieser Diplomarbeit adaptieren: Spreche ich in der Folge von Homosexuellen, gleichgeschlechtlich Liebenden, Lesben und Schwulen...5, so meine ich damit Menschen, die Menschen des gleichen Geschlechts lieben6.

Homosexuelle Menschen stellen eine beachtliche gesellschaftliche Gruppe dar: Laut der Kinsey-Studien am Institut für Sexualforschung der Universität von Indiana, U.S.A., seien „(...) ca. 4% der Männer ausschließlich an homosexuellen Beziehungen interessiert. Allerdings haben ca. 46% aller Männernachder Pubertät auch physische und psychische homosexuelle Erfahrungen gemacht. Unter diesen haben 13,95% extensive und mehr als beiläufige homosexuelle Erlebnisse gehabt und werden darum von den Forschern als überwiegend homosexuell bezeichnet. Dem entsprechen 4,25% der Frauen.“ Zwar sind diese Reporte über die menschliche Sexualität aus den Jahren 1948 und 1953, doch bemerkt Bürger, „die Trends der Kinsey-Statistiken (...) sind trotz mancher methodischer Kritik bis heute unbestritten.“ (Bürger 2001, 68) So bemerkte Thomas Grossmann in den 80er Jahren, dass es in der BRD ungefähr gleich viele Familien gäbe, in denen der eine oder die andere homosexuell sei, wie es Familien mit Katzen gäbe - in Deutschland gibt es drei Millionen dieser Tiere. (vgl. ebd.)

4Womit Lautmann jedoch - das ist im Rahmen dieser Arbeit wichtig zu betonen! - die heterosexuelle Heirat meint.

5Ich werde in dieser Diplomarbeit um der besseren Lesbarkeit willen verschiedene Begrifflichkeiten für Homosexuelle verwenden, ungeachtet der Tatsache, daß diese - wie oben beschrieben - in der Diskussion sind.

6Wobei diese Definition auf der - von mir nicht geteilten! - Annahme der Dipolarität der Geschlechter beruht. Für homosexuelle Zwitter gelte demzufolge in dieser Arbeit, daß es auch um sie geht, steht in ihrem Paß dasselbe Geschlecht wie das ihrer/ihres Partnerin/Partners - andernfalls könnten sie ja problemlos in den Stand der Hetero-Ehe eintreten.

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