Kirschen essen - Susanne Niemeyer - E-Book

Kirschen essen E-Book

Susanne Niemeyer

0,0

Beschreibung

Adam liebt Eva. Eva liebt die Freiheit. Jonathan liebt David. Rut ihre Schwiegermutter. Der Wolf das Lamm. Die Bibel erzählt auf viele tausend Arten von der Liebe. Irgendwer liebt immer irgendwen, egal ob Hamster, Ilse, Patenkind oder Doppelkopf-Freund. Witzig und hintergründig holt Susanne Niemeyer die biblischen Vorlagen in unsere Zeit. Manchmal ist die Liebe wild und widerständig, manchmal sonderbar – auf jeden Fall wunderbar! Küsse, Sehnsucht, Dreiecksbeziehungen, Füreinander-Einstehen und zusammen Kirschen essen: Alltagsgeschichten von der Liebe, die nie aufhört, auch wenn sie manchmal abgegriffen aussieht und ziemlich viele Macken hat. Sie wird eben gebraucht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 111

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Susanne Niemeyer

Kirschen essen

Liebesgeschichten aus der Bibel

Mit Illustrationen von Ariane Camus

Ich erzähle tausend Geschichten.

Jeden Tag kommen neue dazu.

Eine ist deine.

DIE LIEBE

INHALT

Morgenluft. Eva und die Schlange

Blaubeeren pflücken. Ruth und Naomi

Hungrig. Batseba und David

Spielen. Sophia und Gott

Herzklopfen. Mensch liebt Mensch

Träumen. Maria und Josef

Dasein. Jesus

Kirschen essen. Königin und König

Kinderkriegen. Jakob, Lea und Rahel

Zwecklos. Menschenfrau und Menschenmann

Rindergulasch. Vater und Sohn

Suchen. Die Frau und der Groschen

Außer sich. Josef und die Wollust

Größer. Die Liebe

Sich trauen. Jonatan und David

Im Spiegel. Paulus und Saulus

Gesehen. Hagar und der Engel

Strohhalm. Judas

Fesseln. Sam und Delilah

Alles offen. Jesus und Maria

Brennen. Zwei Freunde

Morgenluft. Eva und die Schlange

Ich komme ans Tor. Der Engel und die Schlange warten auf mich. Ich steuere auf den Engel zu, aber er sagt, bedauere, er sei nur der Türsteher. Ich bedauere das wirklich, denn seine Stärke flößt mir Zuversicht ein. Ich nehme an, er trainiert mehrmals die Woche. Seinen Oberarmen nach zu urteilen. Ich mag breite Schultern.

„Das ist Biologie“, sagt er.

Nenn es, wie du willst, denke ich.

Das Tor steht offen. Ich könnte einfach hindurchgehen. Dahinter liegt das Land, von dem ich so oft geträumt habe. „Niemand hindert dich“, sagt der Engel und schält einen Apfel. Er bietet mir ein Viertel an. Dankend lehne ich ab. Ich sehe zur Schlange hinüber.

Ihr Blick ist durchdringend. Sie scheint alle Zeit der Welt zu haben. Vielleicht ist sie Leute wie mich gewöhnt. Zögernde.

Gehen oder bleiben?

„Das musst du wissen“, sagt die Schlange. Der Satz ärgert mich, weil er stimmt. Sie scheint schlau zu sein. Ich überlege, was sie wohl täte.

„Um mich geht es hier nicht“, sagt sie.

Ich weiß. Es geht um mich und um das, was ich will. Aber ich habe Angst, das Falsche zu tun. Ich drücke mich auf der Schwelle herum und suche nach Zeichen. Ein Gänseblümchenorakel. Kopf oder Zahl tut es auch. Wenn jetzt ein Kuckuck ruft. Wenn die Erdbeere süß ist. Wenn er anruft.

„Vergiss doch das Wenn“, schlägt die Schlange vor. „Willst du dich wirklich von einer Gänseblume abhängig machen?“

Ich will mich nicht entscheiden.

„Das musst du lernen“, sagt sie, „wenn du nicht ewig ein Kind bleiben willst.“

„Werde ich jemand verletzen?“

„Das wird nicht ausbleiben.“

„Werde ich glücklich sein?“

„Auch.“

„Muss ich mutig sein?“

„Sowieso.“

„Bekomme ich eine Garantie?“

„Nein.“

Das ahnte ich. Es gibt nie eine Garantie. So gesehen ist das die einzige Garantie. Sie nennt es Freiheit. Ob ich wirklich tun kann, was ich will, frage ich.

„Ja“, sagt die Schlange. „Wenn du es liebend tust.“ Ich wende ein, dass das jetzt doch ein Wenn ist. „Es ist das einzige Wenn“, sagt sie.

Ich rieche Morgenluft. Die Sehnsucht ist riesig.

„Wo ist Gott?“, frage ich.

„Unterwegs“, sagt die Schlange.

„Draußen oder drinnen?“

„Den Unterschied kennt er nicht.“ Es überrascht mich, dass sie so vertraut sind. Ich nahm an, er sei mehr auf Abstand bedacht.

Die Schlange schüttelt den Kopf. „Wir wohnen Tür an Tür, von Anfang an. Manchmal spielen wir abends Schach. Er ist ein schlechter Verlierer, was übrigens kein Geheimnis ist. Er will alles gut machen. Das ist seine Schwäche. Allerdings eine verzeihbare.“ Sie lächelt. Wenn sie lächelt, sieht sie richtig freundlich aus. „Er ist ein anregendes Gegenüber“, fährt sie fort. „Immer wenn du denkst, jetzt kennst du ihn, überrascht er dich. Selbst nach einer Million Jahren. Gestern trug er ein giftgrünes Kleid. Ich wette, du würdest ihn oft gar nicht erkennen.“ Das beruhigt mich nicht gerade.

„Ich weiß“, seufzt sie. „Ihr wollt immer beruhigt werden. Das ist so ein Menschending. Daran müsst ihr wirklich arbeiten.“ Sie schnalzt mit der Zunge. Der Engel wirft das Apfelgerippe über den Zaun. „Also?“, fragt sie. „Es wird Zeit. Raus oder rein? Rein oder raus?“

Die Meisen fliegen hin und her. Sie scheinen routinierte Pendler zu sein. Mein Herz gibt mir einen Schubs.

„Du wirst dich häuten“, sagt die Schlange zum Abschied. „Immer wieder. Und jedes Mal wirst du dich wundern, wie eng das alte Kleid war. Du wirst wachsen, wenn du dich nicht verschließt.“

Ihre Worte klingen wie ein Segen.

NACH 1. MOSE 3

Liebe und tu, was du willst. Schweigst du, soschweige aus Liebe. Redest du, so rede ausLiebe. Kritisierst du, so kritisiere aus Liebe.Verzeihst du, so verzeih in Liebe. Lass all deinHandeln in der Liebe wurzeln, denn aus dieserWurzel erwächst nur Gutes.

AUGUSTIN, (4. Jahrhundert)

Blaubeeren pflücken. Ruth und Naomi

Sie hat fünf Paar Schuhe, ein himmelblaues Sofa, an dem sie aus Sentimentalität hängt, und ein geerbtes Stück Land, auf dem das Haus ihrer Mutter stand. Das ist längst verkauft, nur die Hütte im Garten, die hat sie behalten. Auch aus Sentimentalität. Vielleicht war es auch Klugheit, manchmal ist das schwer zu unterscheiden.

Ruth findet sie umwerfend. Naomi ist wie ein Fels in der Brandung, ein glatter, marmorner Fels. Am liebsten mag sie ihren Hals. Er ist lang und stark und die Haut ist fest. Auch jetzt noch, obwohl sie deutlich über vierzig ist und das die Zeit ist, in der Frauen angeblich zu welken beginnen. An ihr ist nichts welk. Sie ist schön. Ruths Blick ruht auf ihr, als sie aus dem Garten ins Haus tritt.

„Ich werde gehen“, sagt Naomi. Ihre Füße auf dem Holzboden sind nackt und feucht. Sie muss durchs Gras gelaufen sein.

„Wohin willst du gehen?“, fragt Ruth. Sie fragt es ganz ruhig, obwohl ihr Herz zu rasen beginnt.

„Zurück. Ich werde zurückgehen und von da aus wieder losgehen.“

Ruth kennt die Hütte aus ihren Erzählungen. Sie stellt sie sich wie ein Versteck in einem verwunschenen Garten vor. Mit Himmelbett und einem Ohrensessel vor dem Holzofen, auf dem ein Kessel steht. Die Küche ist im selben Raum, auf einem Regal stehen verschiedene Kerzen und Tassen und Gläser, aus denen man Kaffee oder Wein trinken kann. Ein großes Fenster lässt das Licht herein, an manchen Stellen blättert der Lack, aber das macht es nur romantischer. Naomi hatte gelacht, als sie ihr von ihren Bildern erzählte: „Ich war lang nicht mehr dort, aber so ähnlich kannst du es dir vorstellen. Du würdest es lieben!“ Und sie weiß, dass das stimmt, denn Naomi liebt es.

„Ich komme mit“, sagt Ruth und Naomi lacht wieder. „Du bist verrückt, meine Schöne“, sagt sie. „Such dir lieber einen neuen Mann. Du bist jung, du hast das Leben noch vor dir. Der Tod ist ein Spielverderber. Er hat dir deinen Mann genommen, daran kannst du nichts ändern. Aber du kannst ein neues Spiel beginnen!“

„Das könntest du auch“, erwidert Ruth. Naomi antwortet nicht, sie lächelt nur dieses wissende, etwas nachsichtige Lächeln, das Ruth rasend macht. Vor Wut oder was anderem, sie weiß es nicht genau. „Tu nicht so, als ob du alt wärst“, sagt sie.

„Na gut. Ich bin vielleicht nicht alt. Für dich nicht und für mich nicht. Aber für die Männer bin ich es. Und selbst wenn ich mit einem schliefe – was nützte es dir? Du wirst ja wohl kaum auf einen weiteren Sohn von mir warten wollen?“ Es klingt spöttisch. Naomi ist manchmal spöttisch, das verletzt sie. Aber dann streicht Naomi über ihre Wange. „Schau“, sagt sie. „Ich will, dass du glücklich bist. Man wird nicht glücklich mit seiner alten Schwiegermutter.“

„Hör auf“, ruft Ruth. „Ich hasse es, wenn du so bist!“ Sie holt tief Luft. Dann sagt sie noch einmal leise, aber bestimmt: „Ich komme mit.“

„Sei nicht dumm.“

„Ich bin nicht dumm. Wo auch immer du hingehst, da gehe ich hin, und wo auch immer du schläfst, da schlafe auch ich. Dein Zuhause ist mein Zuhause und – bei Gott – wo du stirbst, da sterbe auch ich. Nur der Tod wird dich und mich trennen!“

Da schweigt Naomi und sie packen ihre Koffer in den alten Golf, den Rest lassen sie zurück.

Die Hütte ist stickig. Die letzten Tage sind heiß gewesen, das Korn steht hoch. Der Efeu hat die Rückseite der Hütte eingenommen und ein paar Dachschindeln fehlen. Aber das Wasser läuft gurgelnd aus dem Hahn und ein Rest eingetrockneter Nescafé klebt im Glas. Sie machen Wasser heiß und gießen den Kaffee auf, er schmeckt fürchterlich und sie trinken ihn kichernd. „Ich kaufe uns ein bisschen was ein“, sagt Naomi und Ruth bezieht das Bett. Es hat keinen Himmel, aber wenn man drin liegt, kann man den Wald sehen und sonst nichts. Naomi bringt einen Fisch mit. Sie nimmt ihn aus und füllt ihn mit Zitrone und Rauke, die hinter der Hütte wächst. Sie braten den Fisch und essen ihn direkt aus der Pfanne und lecken den Saft von den Fingern.

So vergehen sieben oder acht Tage, Ruth zählt nicht mit. Sie ist glücklich. Naomi ist auch glücklich, aber sie merkt, dass die Leute tuscheln: „Ist das nicht Naomi? Und ist die andere nicht ihre Schwiegertochter?“, fragen sie und wundern sich über so manches.

Der August kommt, die Ernte ist in vollem Gang. Morgens beim Kaffee stellt Naomi fest: „Wir brauchen Geld. Ich habe nichts mehr. Auf den Heidelbeerfeldern werden immer Leute gesucht.“ „Gut“, sagt Ruth und steht auf. „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

In den nächsten Tagen färben sich Ruths Hände lila und ihr Rücken schmerzt. Sie ist langsamer als die anderen, aber das macht nichts. Abends trinken sie Blaubeerbuttermilch. Eines Mittags kommt ein Mann auf sie zu. Sie weiß, dass er der Bauer ist. Er tritt anders auf, als die Pflücker. Selbstverständlicher. Entschiedener. Wie einer, der es gewohnt ist, Dinge zu entscheiden. „Du gehörst zu Naomi?“, fragt er und wartet ihre Antwort gar nicht erst ab. „Zeit fürs Mittagessen. Komm mit, es gibt Eintopf.“ Sie hat Hunger und setzt sich an seinen Tisch. Er trägt ein blaues Poloshirt, unter dem sich ein Bauchansatz abzeichnet. Der Jüngste ist er nicht mehr, aber sie merkt, dass er auf sein Äußeres achtet und darauf, dass sie sich nicht unwohl fühlt.

Abends erzählt sie Naomi von ihm. „Sieh an“, sagt sie, „der Boas.“

Die Tage ähneln sich. Morgens pflückt Ruth Beeren, mittags isst sie mit Boas. Er ist aufmerksam und nett. Wenn sie von ihrem früheren Leben in der Stadt erzählt, versteht er vieles nicht, versucht aber dennoch, interessiert zu sein.

Dann kommt das Erntefest. Ruth hat noch nie an einem Erntefest teilgenommen. Sie findet, es klingt wie ein einziges Saufgelage. „Ist es auch“, sagt Naomi. „und darum hör zu, was du tun wirst.“ Sie hat einen genauen Plan zurechtgelegt. „Während der Feier hältst du dich an Boas. Trink mit, aber nicht zu viel. Am Ende schlafen einige auf dem Heuboden, das hat Tradition. Boas wird dabei sein. Merk dir, wo er sich hinlegt. Wenn er schläft, legst du dich zu ihm. Den Rest kannst du ihm überlassen.“

Ruth starrt Naomi an, als sei sie verrückt. „Warum sollte ich?“

Naomi sieht sie lange mit einem sonderbaren Blick an, in dem alles liegt. Dann sagt sie: „Glaub mir, es ist besser so“, und es klingt traurig.

„Warum können wir denn nicht einfach so weiterleben?“

„Willst du dein Leben lang Blaubeeren pflücken? Der Winter wird nass und kalt. Wir werden die zwei wunderlichen Frauen im Wald sein. Es wird schon jetzt geredet.“

„Na und? Ich finde eine andere Arbeit!“

„Hier auf dem Land?“

„Wir könnten wieder in die Stadt gehen.“

Naomi schüttelt den Kopf. „Nein. Ich will hier wohnen.“ Und leise fügt sie hinzu: „Mit dir.“

Ruth denkt drei Tage nach. Dann badet sie und geht zum Fest.

Der Winter kommt. Im Frühling streuen die Kirschbäume ihre weißen Blüten über die Wiesen und Ruth heiratet Boas. Sie wird schwanger, bringt einen Jungen zur Welt und legt ihn Naomi in den Schoß. Sie nennen ihn Obed und lieben ihn sehr. Boas baut ein Haus neben die Hütte, aber tagsüber bleiben die Frauen lieber in der Hütte und kümmern sich um den Garten, der wächst und groß wird und Früchte bringt. Ruth klettert in die Bäume und pflückt Äpfel und Pflaumen. Naomi spielt mit Obed im Gras. Die Frauen im Dorf lieben den Kleinen und Ruth lieben sie auch. „Du hast Glück mit Ruth“, sagen sie zu Naomi. „Sie ist besser für dich als sieben Söhne.“

Als Ruth stirbt und Naomi stirbt, fasst Obed jedes einzelne Ding an, das sie berührt haben. Die Tassen mit den abgebrochenen Henkeln. Die Harke. Jedes Glas und jedes der geblümten Kissen. Den glatten Griff der Pfanne, die halbvolle Streichholzschachtel. Das leinengebundene Buch, das auf Ruths Nachttisch liegt. Er schlägt es auf und liest ihre gleichmäßigen Buchstaben. Es ist der letzte Eintrag:

Vergiss die Romantik. Wenn es hart auf hart kommt, zählen keine Kerzen. Wir brauchen keine Geigen. Wir nehmen unser Leben in die Hand. Als alles verloren war, sind wir über Grenzen gegangen, haben über doofe Witze gelacht, Pläne geschmiedet, Männer taxiert, Kleider anprobiert, von der Hand in den Mund gelebt. Du hast mir Mut gemacht und die Haare schön. Und am Ende, ganz am Ende sind wir Heldinnen gewesen.

Er klappt das Buch zu und weint ein bisschen. Aber eigentlich ist er glücklich, solche Mütter gehabt zu haben.

NACH RUTH

Besser ist es zu zweit als allein:

Wenn zwei fallen, richten sie einander auf.

Wenn zwei beieinander liegen,

wird ihnen warm.

Wie wärmt man sich allein?

Wenn jemand einzeln überwältigt wird,

können zwei standhalten,

und ein dreifacher Faden