Fliegen lernen - Susanne Niemeyer - E-Book

Fliegen lernen E-Book

Susanne Niemeyer

0,0

Beschreibung

Mitten im Alltagstrubel tauchen sie auf. Vorzugsweise dann, wenn man überhaupt nicht mit ihnen rechnet. Manchmal erkennt man sie kaum. Engel stellen sich in den Weg. Wenn es sein muss, kämpfen sie. Ihr Aussehen kümmert sie nicht. Was zählt, ist ihre Botschaft. Sie wollen unser Bestes, aber lieb sind sie nicht. Sie überraschen. Sie reden Klartext. Sie machen Beine und beflügeln. Von diesen Engeln erzählt Susanne Niemeyer in ihrem neuen Buch. Engelsgeschichten aus der Bibel, die mit Leichtigkeit, Witz und Charme im Hier und Jetzt ankommen. Engel? Sind manchmal Worte mit Flügeln. Ein himmlisches Lesevergnügen!   Mit dabei: Der Engel mit dem Brot. (1. Könige 19) Der traumwandelnde Engel. (Matthäus 1) Der Engel am Grab. (Matthäus 28) Der Engel der Versuchung (Matthäus 4) Der Engel, der auf Händen trägt. (Psalm 91) Der Engel, der brennt. (2. Mose 3) und viele andere

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 106

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Susanne Niemeyer

Engelsgeschichten aus der Bibel

Mit Illustrationen von Ariane Camus

Ich schicke einen Engel vor euch her, der euch auf dem Weg bewahrt und an den Ort bringt, den ich für euch bestimmt habe.

NACH 2. MOSE23, 20

»Es ist genug«, sagt dieser Kerl, der seit Tagen auf meiner Fensterbank sitzt und behauptet, er sei ein Engel. »Es ist genug«, sagt er und nickt mir aufmunternd zu. Ich weiß nicht, woher er das weiß, aber er sagt es zu allem: Zu einem Text, mit dem ich hadere. Zu einem Geburtstagsbuffet, das nicht reichen könnte. Zu meinen Kontoauszügen. Zu meiner Sorge, keinen Schlaf zu bekommen und unausstehlich zu sein. Zu all den halbfertigen Sachen, dem bisschen Klavierspiel, den sporadischen Gebeten in der Nacht. Er sagt es zu meinem regelmäßig auftauchenden schlechten Gewissen. Zu meiner bangen Frage, ob ich nicht alles hätte ganz anders machen sollen. »Es ist genug.« Das merkwürdige ist, immer passt dieser Satz. Wollte ich ihn anfangs noch anfahren, dass er das doch gar nicht wissen könne, wurde ich mit der Zeit immer ruhiger, ja, ich erwartete seine helle Stimme. »Es ist genug.«

Und eines Morgens antworte ich, selbstvergessen und ohne nachzudenken sagte ich »Amen.« So soll es sein.

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Der Engel, der ein Superman-T-Shirt trägt

Der Engel, der Busfahrerin werden wollte

Der Engel, der den Weg weist

Der Engel, der eine Lilie bringt

Der Engel, der in ein Kinderherz passt

Der Engel, der umwirft

Der Engel, der das Feuer entfacht

Die Engel, die erden

Der Engel, der eine Narbe hat (und nicht nur eine)

Der Engel, der alberne Schuhe trägt

Der Engel, der das Licht anzündet

Der Engel, der befreit

Der Engel, der Gott erlöst

Der Engel, der die Jungs in der Hirtenklause besucht

Der Engel, der sich in den Weg stellt

Der Engel, der es mit Ungeheuern aufnimmt

Der Engel, der hinüberträgt

Der Engel, der an der Tür klingelt

Gott der Engel

Als ich dem Engel zum ersten Mal begegne, trägt er ein Superman-T-Shirt. Sicherheitshalber frage ich, ob er wirklich ein Engel ist.

»Klar«, sagt er. »Was denkst du denn?«

»Weiß nicht.« Ich deute auf sein T-Shirt. »Ist das nicht irgendwie … komisch?«

»Nö, wieso denn? Ich finde es ziemlich cool!«

Ich finde, ein Engel sollte sich nicht cool finden. Das passt nicht in mein Glaubenskonzept.

»Ha!«, ruft der Engel. »Daher weht also der Wind!«

Offenbar kann er meine Gedanken lesen. Er sieht mich abschätzend an. Dann sagt er: »Also, ich habe mir dich auch ganz anders vorgestellt. Warum trägst du denn so ein verwaschenes Kapuzen-Dings? Hast du keine Bluse?«

»Warum sollte ich eine Bluse tragen?«

»Sieht hübscher aus.«

Ich ziehe scharf die Luft ein. Das gibt ein zischendes Geräusch. Wie kann er es wagen, etwas über mein Aussehen zu sagen?

»Tust du doch auch.«

Eins zu null für ihn. Ich suche aus den Ostereiern eins mit Blätterkrokant raus und knibbele das Silberpapier ab.

»Auch eins?«

»Nein danke. Ich muss auf meine Linie achten.« Als er meinen entsetzten Blick sieht, prustet er los. »Haha, war doch nur Spaß! Mensch, bist du streng! Bist du immer so?«

»Ich nahm an, dass die Begegnung mit einem Engel etwas substanzieller ist.« Ich klinge beleidigter als ich will. Aber wenn ich schon einen Engel treffe, dann kann der doch wohl wenigstens weiß gekleidet sein. Leuchtend oder irgendwie ätherisch, in den Tiefen meiner Seele lesend. Der Engel kichert schon wieder: »Man braucht nicht ätherisch zu sein, um in dir zu lesen. Jetzt zum Beispiel ist deine Seele gerade eingeschnappt, weil ich nicht mit ihren Bildern von mir übereinstimme. Ooooch … arme Seele!«

Ich tue so, als hätte ich auf meiner Hose einen Fleck entdeckt und reibe angestrengt darauf herum.

»Was willst du überhaupt?«, nuschele ich, schokoladelutschend.

»Es ist Ostern, schon vergessen?«

»Und?«

»Ich dachte, ich erzähle dir, wie das damals mit der Auferstehung war.« Er hat die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans eingehakt und wippt auf den Zehenspitzen auf und ab. Er sieht aus wie ein Möchtegern-Cowboy.

»Schließlich«, fährt er fort und zwar sichtlich stolz, »war ich ja dabei!«

»Ach.« Ich höre auf, an meiner Hose zu reiben. »Das ist ja interessant.«

»Ja, nicht?« Er strahlt, als sei er der Auferstandene persönlich. »Bist du bereit?«

»Bereit?«, echoe ich. »Wozu?«

»Na, bereit zum Hören!«

Ich nicke. Was bleibt mir auch anderes übrig?

Die Geschichte von der Auferstehung finde ich, vorsichtig gesagt, unausgereift. Schon immer. Sie ist genauso eine unbegründete Behauptung wie: Jesus ist unser Retter. Oder: Jesus ist für dich gestorben. Jeder normale Mensch würde doch fragen: Hä? Wieso? Was meinst du damit? Christen tun das wahrscheinlich aus Höflichkeit nicht. Dabei hat so ein leeres Grab doch etwas von einer Zaubervorstellung. Schwupps, ist das Häschen verschwunden. Und schwupps, holt es der Zauberer aus dem Hut. Das ist natürlich ein bisschen despektierlich, aber im Kern trifft es die Sache schon.

»Gut«, sage ich. »Ich bin bereit. Fang an.«

»Aaaalso«, beginnt er und reibt sich die Hände. Seine Augen glänzen. »Die Nacht liegt dunkel über dem Grab. Der Mond ist hinter den Wolken verschwunden. Ein Käuzchen ruft. Schuhu, schuhu. Ein riesiger Stein ist vor das Grab gewälzt. Zwei Wächter mit mächtigen Schwertern stehen davor. Da – ein Blitz zerreißt den Himmel.«

Ich zucke zusammen, als er auf den Tisch haut. »Erschrick mich doch nicht so!«

»Psst! Grollen durchbricht die Stille. Die Erde beginnt zu beben. Da erscheine – ich!«

Er schaut, als warte er auf Applaus.

»Mein Gewand ist weiß wie Schnee. Die Wachen erbeben vor Furcht und fallen wie tot zu Boden. Plötzlich treten zwei Frauen aus der Dunkelheit. Sie sehen mich, sie erschrecken, als sei ich ein Geist. Aber ich rufe: ›Fürchtet euch nicht! Ich weiß, wen ihr sucht.‹ Sie nicken entsetzt. So etwas sind auch sie nicht gewohnt. Aber wer ist das schon? Der ganz große Auftritt, den hat man nur einmal im Leben, selbst als Engel. Ich schreite zum Grab, den Stein rolle ich mit starkem Arm zur Seite. Dann – welch hintergründiger Witz – springe ich hinauf und mache es mir bequem. Auf dem Stein! Als sei er ein Sessel! Die Szenerie ist perfekt: Das fahle Licht der Dämmerung auf den Gesichtern der Frauen. Dann die aufgehende Sonne. Mein weißes Gewand. Fehlt nur die Musik. Ennio Morricone. Da-da-damm-da-daaa!«

Ich starre ihn mit offenem Mund an. Nimmt er mich auf den Arm?

»Nach einer dramaturgischen Pause«, fährt er fort, »sage ich mit selbstverständlicher Gelassenheit: ›Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.‹ Ich biete ihnen eine kurze Führung durch das leere Grab an, die sie dankend annehmen. Als sie sich davon überzeugt haben, dass es wirklich leer ist, schickte ich sie nach Hause, damit sie den anderen die frohe Botschaft verkünden. Sie laufen eilends. Unterwegs begegnen sie IHM.«

»Ohne Erdbeben, nehme ich an?«

Er überhört die Ironie. »Natürlich ohne! So etwas darf man nicht inflationär verwenden.«

»Aha«, sage ich trocken. »Und warum erzählst du mir das jetzt?«

Er sieht mich verständnislos an. »Lässt dich das denn kalt? Was für eine Geschichte! Der Tod – er ist verschwunden! Der Engel wälzt mit leichter Hand einen Fels beiseite. Ein Grab, auf dem man es sich gemütlich macht!«

Er strahlt über seine Erzählung so sehr, dass ich jetzt selber lächele.

»Und glaubst du, was du da erzählst?«

»Ja, du etwa nicht?«

»Also ehrlich gesagt … Ich bin mehr so der Typ für Argumente.«

»Ach«, sagt er betreten. »Da fehlt dir aber was. Na, mach dir nichts draus. Dann komme ich eben wieder. Nächstes Jahr?« Er öffnet die Balkontür und geht hinaus. »Freu dich schon mal«, ruft er noch, bevor er vom Geländer springt. Ich stürze hinaus, mit dem Schlimmsten rechnend schaue ich hinab.

Aber was soll ich sagen?

Nichts.

Gar nichts.

Als der Sabbat vorüber war, gingen Maria aus Magdala und die andere Maria frühmorgens zum Grab. Es war Sonntag, der erste Tag der neuen Woche, und der Morgen dämmerte. Plötzlich fing die Erde an zu beben. Ein Engel Gottes kam vom Himmel herab, wälzte den Stein vor dem Grab beiseite und setzte sich darauf. Er leuchtete hell wie ein Blitz, und sein Gewand war weiß wie Schnee.

Die Wachen stürzten vor Schreck zu Boden und blieben wie tot liegen. Der Engel wandte sich an die Frauen: »Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden. Kommt, ich zeige euch die Stelle, wo er gelegen hat. Dann geht zu den anderen und sagt ihnen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Er wird euch nach Galiläa vorausgehen, und dort werdet ihr ihn sehen.«

AUS MATTHÄUS 28

Eigentlich wollte sie Busfahrerin werden. Weil man da immer unterwegs ist. Das mag sie, unterwegs zu sein. Und Menschen mag sie auch. Als Busfahrerin sollte man Menschen mögen, sonst ärgert man sich bloß über die vielen Fragen. Ob der Bus auch zum Hauptbahnhof fährt. Ob das hier die Linie fünf ist. Wo man am besten aussteigt, wenn man zur Konzerthalle will. Man könnte sich auch über die Omi ärgern, die eine halbe Stunde braucht, um einzusteigen oder über die lauten Schülerinnen oder über die Fußballfans, die Türblockierer, die Kekskrümeler, das brüllende Baby. Über Menschen kann man sich immer ärgern. Aber so ist sie nicht. Sie mag Menschen. Und sie stellt es sich schön vor, jeden an sein Ziel zu bringen. Als ob man ein Puzzle zusammensetzt. Den nervösen Mann zu der Frau, die im Ofen ein Käsesoufflé hat. Die Omi zu einem Rendezvous. Den schwitzenden Jugendlichen zu seinem ersten Vorstellungsgespräch. Das vornehm gekleidete Paar in die Oper. Die Japaner zum Fernsehturm. Den Mann mit dem Buch in seine stille Wohnung. Am Abend ist die Welt geordneter. So stellt sie sich den Alltag einer Busfahrerin vor.

Aber dann wurde sie Engel. Es ergab sich so.

*

»Oh«, sagen die Leute, wenn sie das hören, »da haben Sie aber eine große Verantwortung!« Sie wird dann etwas verlegen, weil es ihr unangenehm ist, wenn sie im Vordergrund steht. Dann weiß sie nicht, was sie sagen soll. Sie lächelt schüchtern: »Es geht. Man bringt Leute dorthin, wo sie hin sollen. Eigentlich nichts anderes als Busfahren.«

»Und die Flügel?«, fragen die Leute, denn sie haben noch nie eine Busfahrerin mit Flügeln gesehen.

»Die habe ich noch nie getragen. Meistens nehme ich das Fahrrad.«

Dann wenden sich die Leute ab, denn Fahrradfahren können sie selber, dafür brauchen sie keinen Engel.

Ihr macht das nichts. Ohnehin ist sie lieber inkognito unterwegs. Da stören Flügel bloß.

Überhaupt ist das Leben eines Engels unspektakulärer als man denkt. Sie erhält einen Auftrag. Den füllt sie aus. Dann geht sie wieder. Wie eine Busfahrerin. Die legt ihre Route ja auch nicht selber fest. Oder ein Postbote. Der bringt die Briefe, die andere schreiben. Als Engel ist man eine Dienstleisterin. Sie mag das.

»Aber woran erkennt man Sie denn?«, fragen die Leute. »Sie tragen ja nicht mal eine Uniform. Dabei sollten Sie das! Woher soll man denn sonst wissen, dass Sie ein Engel sind?«

Sie lächelt dann bedauernd, denn sie kennt das Dilemma. Einmal klingelte sie an der Tür im sechsten Stock eines Mehrfamilienhauses. Auf der Fußmatte stand »Come back with Pizza«. Ein Mann öffnete und sah sie misstrauisch an. Höflich sagte sie: »Guten Tag. Ich bin ein Engel.« Der Mann kniff die Augen zusammen: »Kommen Sie von den Zeugen Jehovas?« Sie wusste nicht, wer das ist, aber dem Blick des Mannes nach zu urteilen, waren sie nicht beliebt. »Nein, ich habe eine Botschaft für Sie. Darf ich reinkommen?« »Kann ja jeder sagen. Und dann klauen Sie mein Sparbuch«, schnauzte der Mann. »Denken Sie, ich bin doof? Schreiben Sie mir eine E-Mail!« Er knallte die Tür zu. Vielleicht hätte sie Pizza mitbringen sollen.

*

»Wenn Sie ein Engel sind, dann tun Sie gefälligst was! Retten Sie Leute, verhindern Sie Verkehrsunfälle, Raubüberfälle und Liebeskummer! Sorgen Sie dafür, dass die Welt ein besserer Ort wird!« Solche Sachen hört sie als Engel dauernd. Sie versucht dann zu erklären, dass hier ein Missverständnis vorliegt: Dies ist nicht Aufgabe der Engel, sondern der Menschen.

*

Einmal war sie im Krankenhaus. Leise betrat sie eines der Zimmer. In der Mitte stand ein einzelnes Bett. Ein Mann lag darin. Er sah sehr krank aus. Seine Frau saß auf der Bettkante und sah sie hoffnungsvoll an. »Es gibt doch Wunder, oder?«

Sie fühlte sich unwohl. »Ja«, sagte sie zögernd.

Und dann leiser: »Aber manchmal sehen sie nicht aus wie Wunder …«

*

Ihren Namen nennt sie nicht. Ihr Gesicht vergisst man wieder. Ihr Schritt ist lautlos. Manchmal wollen die Leute mit ihr handeln. Wenn es schlimm wird, schreien sie und schimpfen. Aber sie kann nichts ändern. Sie kann nur da sein. Das aber kann sie gut.

*