Kirstins Blues - Gabriele Kluge - E-Book

Kirstins Blues E-Book

Gabriele Kluge

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Beschreibung

Eine Liebe ohne Ende. Vom Schicksal vorherbestimmt. Hans, der ein erfolgreicher Rockmusiker ist und Kirstin, die eine angesagte Boutique besitzt suchen unabhängig voneinander genau danach. Sie suchen sich und als sie sich endlich gegenüberstehen, wissen sie, dass ihre Suche ein Ende hat. Sie haben sich gefunden. Ihre Liebe inspiriert Hans zu dem Song "Kirstins Blues". Dieser Titel wird ein Riesenhit. Der Erfolg hat aber seinen Preis. Hans verfällt dem Alkohol und nur Kirstin schafft es mit ihrer Liebe zu ihm, ihn davor zu bewahren, sich selbst und alles, was er liebt zu zerstören. Die beiden gehen gemeinsam durch Höhen und Tiefen. Hans ist gesundheitlich schwer angeschlagen und entschließt sich schweren Herzens, seine langjährige Band "Paradox" zu verlassen, um eine Solokarriere zu starten, die ihm mehr Entscheidung über die Intensität seiner Auftritte ermöglicht. Das Abschiedskonzert wird ein Riesenevent, getragen von vielen nationalen, aber auch internationalen Stars der Rock- und Bluesszene. Anlässlich ihrer Rosenhochzeit, nach 10 Jahren Ehe, schreibt Hans seiner Frau eine besondere Blues-Rock Hymne. Er nennt sie "Die Liebe meines Lebens". Diesmal beschließen beide, diesen Titel als ihren persönlichen Schatz nicht zu veröffentlichen. Erst am Ende seiner großartigen Karriere, das wieder durch ein riesiges Abschiedskonzert gekrönt werden soll, geben sie diesen Titel als Dankeschön an die treuen Fans frei. Der Erfolg ist noch gewaltiger als "Kirstins Blues", der aber immer als Inbegriff des Beginns ihrer außergewöhnlichen Liebe stehen wird. "Die Liebe meines Lebens" wird zum Welthit, in viele Sprachen übersetzt und verhilft Hans zur Erfüllung seines großen Lebenstraum. Einmal in der Royal Albert Hall in London zu spielen.

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Seitenzahl: 345

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Gabriele Kluge

Kirstins Blues

Ein Leben ist nicht genug

Gabriele Kluge

Kirstins Blues

Ein Leben ist nicht genug

Roman

Impressum

Texte: © 2023 Copyright by Gabriele Kluge

Umschlag: ©2023 Copyright by Gabriele Kluge

Verantwortlich für den Inhalt: Gabriele Kluge

[email protected]

Druck: epubli – ein Servic der neopubli GmbH

Berlin

Gabriele Kluge wurde 1949 in Magdeburg geboren. Nach ihrem Schulabschluss erlernte sie den Beruf einer Stenotypistin. Bereits 1969 allerdings hängte sie diesen an den Nagel und wurde Sängerin. Hier war sie über 25 Jahre erfolgreich tätig. Erst mit 74 Jahren schrieb sie mit dem Titel „Kirstins Blues“ ihren ersten Roman

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Hans

Kirstin

Bitte, lass es Liebe sein

Kirstins Blues I

Zwischenspiel

Das Wiedersehen

Kirstins Blues II

Weihnachten zu zweit

Eine Entscheidung

Elmo

Alltag

Das Konzert

Ein Traum

Elmos Idee

Die Hochzeit

Frau Berthold, welch wundervoller Name

England

Superlative

Wieder zuhause

Das Album geht durch die Decke

Alkohol

Herz kaputt

Das Abschiedskonzert

Rosenhochzeit

Lücken

Ein letzter Traum

Epilog

Prolog

Dies ist die Geschichte einer Liebe, die unendlich ist, eine Liebe, die Raum und Zeit überwindet, für die ein Leben nicht genug ist.

Also, sein wir mal ehrlich, kann es so eine Liebe überhaupt geben? Ich vermute ihr seid mit mir einer Meinung, die da nur lauten kann, nein. So eine Liebe gibt es nur im Märchen und vielleicht in unseren Träumen.

Und wenn doch?

Es ist auch die Geschichte zweier Menschen, die es so ebenfalls nicht gibt. Und doch kann jeder oder jede von uns sich in ihnen wiedererkennen. Sei es auch nur deshalb, weil wir ihre Träume und Sehnsüchte teilen, weil wir alle irgendwie nach solchen großen, ehrlichen, für immer bleibenden Gefühlen suchen. Wir laufen ihnen nach, wir wollen sie erzwingen, aber das funktioniert so nicht. Meist finden wir uns enttäuscht und ernüchtert auf dem harten Boden der Realität wieder, bestätigt in unserer Meinung, dass es Liebe gar nicht gibt, dass sie nur eine Illusion sein kann. Mit meinen beiden Helden, Kirstin und Hans, will ich uns allen Mut machen, will unsere vielleicht wunden Herzen heilen, will unseren Glauben an Liebe, an die wahre Liebe, stärken und unsere Fantasie beflügeln. Lass dich ein auf diese Geschichte, träume deinen Traum und gib die Hoffnung nicht auf. Irgendwo wartet er, dein Prinz oder deine Prinzessin. Sie warten und suchen dich genauso verzweifelt. Glaub daran.

Kapitel 1

Hans

Hans ist ein junger Mann, mal gerade 33 Jahre und dennoch schon ein erfolgreicher Musiker, weit über die Grenzen seiner Heimatstadt Magdeburg hinaus bekannt. Er liebte es, wenn er auf der Bühne stand, der Saal im Dunklen lag, nur schwach beleuchtet von den Notausgangsschildern über den Türen. Sehr oft tanzten noch die Lichter der vielen Handys und machten das Ganze magisch.

Er spielt Gitarre, und zwar exzellent, so war jedenfalls die einhellige Meinung der Fans und der Kritiker. Diese Konstellation war selten und sagte viel über sein Können aus. Seine Soli spiegelten sein Innerstes wider. Er war, wenn er auf der Bühne stand, glücklich, lebte seinen Traum.

Anders war es, wenn die Show vorüber war. Dann versank er in eine Melancholie, die ihn aber eher mürrisch erscheinen ließ als traurig. Keiner wusste, wie sehr er sich nach Liebe sehnte. Nach wirklicher Liebe und nicht nach dem, was viele dafür hielten. Nein, das war keine Liebe.

Wie das offenbar für Männer so typisch zu sein scheint, sprach auch er nicht darüber. Er hatte das Privileg, auf der Bühne alles ausdrücken zu können, ohne etwas von sich selbst preis zu geben. Das machte den Zauber seiner Musik aus. Jeder Mensch, seien es die Fans im Saal oder diejenigen, die sein erstes Album zuhause hatten, konnten sich selbst in dieser Musik erkennen. Die Männer konnten ihre heimlichen Sehnsüchte zugeben, wenn auch nicht offen und die Frauen und Mädchen liebten gerade das an seiner Musik, dass sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnten.

Mit seiner Band „Paradox“ schwamm er auf einer richtigen Erfolgswelle. Das erste gemeinsame Album war sehr gut angenommen worden. Es war Blues in rockigem Gewand. Die Texte waren vorwiegend auf Deutsch, was sich als Vorteil herausstellte. Seine Fans, vorwiegend junge Mädchen und Frauen liebten es, wenn sie sich in diesen gefühlvollen Texten wiederfanden oder wünschten sich, dass ihr Mann oder Freund auch so viel Gefühl und Sensibilität besitzen würde, wie dieser Mann dort oben auf der Bühne.

Alles, was er sang, war ehrlich. Er konnte melancholisch und weich rüberkommen, aber auch rockig und rau. Wenn man einen Vergleich wagte, lag er zwischen Eric Clapton, Chris Rhea und Joe Bonamassa. Keine schlechte Mischung.

Was ihn aber vor allem bei den Mädchen und Frauen neben seiner Musik so außerordentlich beliebt machte, war sein unverschämt gutes Aussehen. Er war groß, hatte eine sportlich schlanke Figur, eine selbstbewusste Körperhaltung und der gepflegte Vollbart unterstrich seine männlichen Gesichtszüge. Die leicht schiefe, schmale Nase störte den Eindruck nicht, im Gegenteil, es unterstrich ihn noch. Sein Mund war sinnlich für einen Mann und nicht wenige Frauen träumten davon, von diesen Lippen geküsst zu werden.

Während der Show stellten diejenigen sich selbst zur Schau, die es geschafft hatten, vorne so dicht wie möglich am Bühnenrand zu stehen. Die Musiker nahmen das sehr wohl zur Kenntnis und es wurde auch schonmal darüber spekuliert, für wen sie sich heute entscheiden sollten. Jeder bekam, wenn er es wollte, eine Partnerin für eine Nacht. Danach hieß es dann aber wieder Adieu.

Hans unterschied sich da auch nicht wesentlich von den anderen. Wenn er wollte, konnte er jede haben. Ihm war es aber egal. Keine von denen, die sich da so unverblümt anboten, würde seinem Herzen jemals auch nur nahekommen. Es waren für ihn nur gesichtslose, unwichtige Gespielinnen, die keine Rolle spielten in seinem Leben. Er konnte auch gut auf sie verzichten. Er wusste nicht warum, aber bisher gab es keine Frau, die ihn auch nur kurz aus dem Konzept gebracht hatte. Für keine hatte er mehr als ein bedauerndes Lächeln beim Abschied. Die Tränen, die auch hin und wieder flossen, machten ihn zwar manchmal traurig, weil er sich dafür hasste, wie er diese Frau behandelt hatte, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Wenn er wieder allein war, war er einsamer als je zuvor.

Sehr oft fragte er dann, wo die Frau denn nun eigentlich steckte, auf die er offensichtlich zu warten schien. Wann würde er sie finden? Die Traurigkeit legte sich dann oft wie ein dunkler Schleier über ihn. So auch heute. Statt mit seinen Bandkollegen mitzuziehen, fuhr er lieber zurück nach Magdeburg und ging zu Bett. Es dauerte lange, bevor er endlich den Schlaf fand, der ihn wenigstens vorübergehend von seinem tiefsitzenden Schmerz befreite.

Am nächsten Tag, es war bereits nach 13:00 Uhr, wachte er nach einer unruhigen Nacht auf. Wieder und wieder träumte er diesen einen Traum, der ihn dann nach dem Aufwachen traurig und ruhelos in den Tag entließ. Nach und nach verblasste er und alles, was blieb, war ein Gefühl, als wäre er unvollständig. Er war einfach nicht komplett, etwas fehlte.

Heute hatte er zum ersten Mal die Gewissheit, dass er etwas in sein Bewusstsein hinüberretten konnte. Einen Satzfetzen. Wie war das nochmal? Irgendeine Stimme, eine Frauenstimme, sagte: „Vielleicht im nächsten Leben.“ Was sollte das bedeuten? Warum konnte er sich bloß nicht mehr erinnern? Aber das haben Träume nun mal so an sich. Sie verblassen und lösen sich auf wie Nebel in der Morgensonne.

Hans wollte noch nicht erwachen, noch nicht ganz. Noch hatte er genügend Zeit. Er beschloss, sich noch einmal umzudrehen und vielleicht doch noch ein bisschen zu schlafen. Die gestrige Nacht war doch heftiger, als er gewollt hatte. Seine Freunde aus der Band waren vergangene Nacht wieder ausgeflogen. Ausgeflogen mit schönen (oder weniger schönen) Vögeln der Nacht. Hans hatte daran in dieser Nacht so gar kein Interesse gehabt.

Da er aber doch keinen Schlaf mehr finden konnte, drehte er sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter den Kopf und versuchte sich in seiner Fantasie die Frau vorzustellen, die die Richtige sein könnte. Muss sie schön sein? Er beantwortete die Frage selbst mit Nein. Schöne Mädchen und Frauen hatte er schon so viele gesehen und dennoch war die Gesuchte nie dabei. Muss sie klug sein? Ja, das schon eher, entschied er. Sportlich? Nein, nicht unbedingt, weil er selber ein ausgesprochener Bewegungsmuffel war. Ja, wie denn nun? Er gab es auf. Er hatte absolut keine Vorstellung. Er wusste aber, dass er sie erkennen würde, wenn er sie sah. Dann schob er noch ein vorsichtiges „hoffentlich“ hinterher.

Schließlich stand er auf, duschte und machte sich für diesen Tag bereit. Schnell noch eine Schnitte und einen Kaffee im Stehen und dann los. Er nahm seinen alten, geliebten Parka vom Haken, weil es draußen trüb, diesig und nass war. Nach einer kurzen Überlegung, ob er wirklich bei so einem Sauwetter raus wollte, hatte er entschieden, dass er nicht aus Zucker war und das Wagnis deshalb eingehen wollte. Er würde heute mal wieder in die City gehen. Mal sehen, was die zu bieten hatte. Ihm fiel ein, dass er ohnehin ein Buch auf seiner Wunschliste hatte. Wenn er nicht gerade komponierte oder Texte schrieb, war lesen seine große Leidenschaft.

Rebecca Gablé hatte einen neuen Roman herausgebracht, den wollte er sich besorgen.

Kirstin

Der große Ankleidespiegel im Schlafzimmer zeigte eine junge Frau. Sie war mittlerweile 30 Jahre alt. Mal war sie ein schöner Schwan, aber meistens fühlte sie sich wie eine kleine graue Maus. Wobei klein nicht ganz stimmte, denn mit ihren 1,76 war sie schon eher groß zu nennen. Auch graue Maus mochte vielleicht auf der Straße zutreffen, wenn sie völlig privat durch die Straßen ging. Ansonsten war sie eine Frau, die modisch immer auf dem neuesten Stand war. Sie war sozusagen dazu verpflichtet, denn schließlich besaß sie ein kleine, sehr angesagte Boutique in der Magdeburger Innenstadt. Die Bewegungen ihres schlanken Körpers waren biegsam und geschmeidig. Ihr Prinz, nennen wir ihn ruhig mal so, würde sie nach ihrer Überzeugung aber auch in Sack und Asche erkennen. So war es doch im Märchen, oder?

Auch sie wusste ganz genau, dass es ihn gab. Und sie hatte Geduld. Sie wollte keine Frösche mehr küssen. Ihr Herz würde ihr sagen, wenn der Richtige vor ihr stand. Hoffentlich. Das hoffte sie wirklich, denn was wäre, wenn sie sich beide doch nicht bemerkten? Unvorstellbar.

Sie wohnte in einem kleinen, nicht sehr bemerkenswerten Haus am Stadtrand von Magdeburg, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Ein eher bescheidenes Häuschen, aber es bedeutete ihr viel, denn in ihm hatte sie ihre ganze Kindheit verbracht. Viele Erinnerungen an ihre Eltern und an Großeltern verband sie damit. Sie hatte alles, was sie brauchte und Platz für den Mann, auf den sie wartete, war auch genug. Hinter dem Haus lag ein Garten, der im Gegensatz zum Haus groß war und durch verschiedene Bäume und Büsche eher wie ein Park aussah. Er hatte etwas Magisches. Es war nicht schwer für Kirstin, ihren Traumprinzen hier zu sehen, wenn sie abends hier saß und sich ihren Träumen hingab. Diesen Teil ihres Zuhauses nannte die romantisch und fantasiebegabte junge Frau ihren „Märchenwald“. Hier war alles so, wie sie es sich vorstellte. Sie sah ihren Traumprinzen dort und wäre am liebsten für immer mit ihm in diesem Märchenwald geblieben. Wenn sie wollte, sah sie Feen und Kobolde. Manchmal bildete sie sich sogar ein, dass sie in einem anderen Leben hier gelebt hatte und sehr glücklich war. Dann sah sie hinter den Bäumen und Büschen kleine Lichter glitzern, als würde ihr jemand Zeichen geben. Wie gesagt, sie war sehr romantisch und hatte viel Fantasie.

Oft saß sie nach der Arbeit dort draußen auf einer Bank und sah zu, wie sich die Schatten veränderten, wenn die Sonne unterging und ein Stern nach dem anderen am Himmel seine Arbeit für die Nacht aufnahm. Sie leuchteten still vor sich hin oder flimmerten leicht, als würden sie sich unterhalten.

Besonders mochte sie es, wenn der Mond über den Bäumen aufging. Erst blinzelte er durch die Äste, als würde er sich vergewissern wollen, dass sie auch da war. Dann kam er hervor und zeigte sich ihr. Sie mochten den Mond, er war ruhig und strahlte eine Würde und eine Geduld aus, die sie ehrfürchtig werden ließ. Weil der Mond so weise und verständig erschien, hatte sie sich angewöhnt, ihm von ihrem Tag zu erzählen, in Gedanken natürlich. Sie war sicher, er konnte ihre Gedanken hören. Wenn sie Kummer oder Sorgen hatte, wenn sie glaubte, die Sehnsucht nicht mehr ertragen zu können, der Mond hörte zu und es erging ihr hinterher besser. Sie brauchte schließlich auch jemanden, dem sie alle ihre Träume und Sehnsüchte erzählen konnte. Freundinnen hatte sie nicht. Dafür war noch nie Zeit. Außerdem, echte Freundschaft ist ebenso selten, wie die große Liebe. Also war es der Mond, der die Stelle eines Freundes einnahm.

Sie mochte den Mond sowieso schon immer lieber als die Sonne. Der Mond verzauberte eine Landschaft in eine Märchenwelt, ließ alles silbern und verwunschen erscheinen. Die Welt kam zur Ruhe. Nur wenn Neumond war, wie jetzt gerade, fühlte sie sich allein. Sie war sich natürlich bewusst, dass sie dieses Geheimnis für sich behalten musste, sonst würden die Leute noch denken, dass sie verrückt war. Und außerdem, das Leben erwartete von ihr, dass es ernst genommen wurde. Sie war ja auch eine moderne Frau von heute. Sie stand in ihrer Boutique mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen und führte ihr Geschäft sehr professionell.

Bitte, lass es Liebe sein

Unausgeschlafen und auch ein bisschen schlecht gelaunt ging Kirstin in diesen neuen Tag, der sich zeigte, wie es für November zu erwarten war. Es war grau, nieselte leicht vor sich hin, die Blätter lagen nass und lustlos auf den Wegen und die Menschen passten sich dieser Stimmung an. Ihr sollte es recht sein, es passte auch zu ihrer Stimmung.

Viele Kundinnen würden sich heute sicher auch nicht in ihren Laden verirren. Das Wetter war für einen Einkaufsbummel nicht geeignet. War ihr auch recht. Sie hatte noch andere Aufgaben, die sie schon zu lange vor sich herschob. Das Lager müsste mal wieder aufgeräumt werden. Da sie auch Onlinebestellungen annahm, musste das Angebot mal wieder aktualisiert werden usw. Ihre auf Teilzeitbasis angestellte Verkäuferin kam erst am Nachmittag. Mal sehen, was sie bis dahin schaffen konnte.

Der Vormittag verging dann doch schneller und betriebsamer als sie geglaubt hatte und von dem, was sie sich vorgenommen hatte, konnte sie kaum was erledigen. Dann kam auch schon ihre Kollegin und sie zog sich in ihr kleines Büro zurück und kümmerte sich um das Onlineangebot. Als sie merkte, dass ihr Nacken schmerzte und sie müde war, entschloss sie sich ausnahmsweise, dass sie jetzt raus an die frische Luft gehen wollte. Das miese Wetter war zwar nicht schön, aber es störte sie auch nicht wesentlich. Mit ihrer Kollegin verabredete sie, dass sie nach Geschäftsschluss nochmal zurückkommen würde, um den Rest der fälligen Monatsabrechnung fertigzustellen

Sie würde jetzt nur noch einen kurzen Abstecher zu ihrem Lieblingsbuchladen machen, der praktisch auf dem Weg lag und sich das neueste Buch von Rebecca Gablé kaufen und etwas essen. Sie hatte schon lange auf die Neuerscheinung gewartet. Sie liebte die Geschichten aus dem alten England. Die Familie derer von Waringham waren ihr fast vertrauter als ihre eigene Familie, die wenigen, die sie noch hatte. Dann nochmal zurück in den Laden, bevor sie schließlich auf dem schnellsten Wege nachhause fahren würde, um sich mit einer großen Tasse Tee in ihrer Lieblingsecke auf der Couch in die Welt der Familie von Warinham zu vertiefen.

Schicksal

Vor dem Buchladen standen ein paar Leute und als Kirstin näher kam sah sie, dass der Laden geschlossen war. Auf einem Schild stand, dass sie bitte ein wenig Geduld haben sollten. „Prima“, dachte sie, „aber ok, wenn ich schonmal hier bin.“ Also stellte sie sich am Ende der kleinen Schlange an.

Das Handy in ihrer Jackentasche summte und sie nahm es heraus, um zu sehen, wer da was von ihr wollte.

„Aha, wieder so eine wichtige Meldung, die kein Mensch brauchte“ dachte sie ärgerlich. Sie löschte sie gleich und wollte sich noch ein bisschen mit diesem Wunderwerk der modernen Technik beschäftigen, um die Zeit totzuschlagen, als sie genau fühlte, dass sie beobachtet wurde. Kirstin spürte es, obwohl sie bisher immer der Meinung war, dass sowas Blödsinn war. Kein Mensch kann einen Blick spüren, aber andererseits, wer spricht schon mit dem Mond? Außerdem ließ dieses Gefühl nicht nach.

Jemand beobachtete sie. Sie war sich sicher. So unauffällig wie möglich drehte sie sich um und sah genau hinter sich einen Mann stehen, der aber in eine andere Richtung sah. Ihr erster Gedanke war „Wow“. Er war ca. einen Kopf größer als sie, schlank, wirkte sehr sportlich und irgendwas an seiner Körperhaltung faszinierte sie. Er sah sie nicht an, aber jetzt war auch das Gefühl, beobachtet zu werden, weg. Nun war sie es, die ihn musterte. Aschblondes, kurzes, nur im Nacken etwas längeres Haar, Vollbart, eine Nase, die nicht perfekt war, aber ihm ein interessantes Aussehen gab.

Sie fühlte genau, wie es in ihr leise „Klick“ machte. Fast hätte sie gelacht.

Sie dachte nur: „So fühlt sich das also an, wenn es klick macht.“

Ihr Herz reagierte auf dieses Klicken mit Beschleunigung, ja es fing regelrecht an zu rasen. Sie wollte sich aber selbst nicht erlauben, an ein Wunder zu glauben. Sie könnte eine erneute Enttäuschung nicht verkraften. Wenn sie wenigstens seine Stimme hören könnte, aber sie konnte ihn ja wohl schlecht ansprechen. Wie denn auch? Vielleicht übers Wetter philosophieren? Unmöglich. Eines stand allerdings fest, etwas passierte hier mit ihr und es war nicht unangenehm.

Hans stand da und konnte nicht glauben, was er beim Anblick dieser jungen, aber nicht sehr auffälligen Frau empfand. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er hatte so ein Gefühl im Bauch, das sich anfühlte, als würden tausende Schmetterlinge wild umherfliegen. Es kribbelte bis in die Haarspitzen. Er hatte sich umgedreht, um sich abzulenken, aber dieses seltsame Gefühl nahm nicht ab.

„Kann ja wohl nicht wahr sein“ dachte er. „Ausgerechnet an so einem schiet Novembertag, bei gefühlten –10°C sollte ich die Frau treffen, die ich so lange schon vergebens gesucht habe? Ist ja lächerlich.“

Er sah irgendwo in die Ferne, sah die Menschen missmutig durch den leichten Regen laufen und musste dennoch lächeln. Das Gefühl in ihm nahm nicht ab und machten ihn irgendwie… glücklich. Ja, er fühlte Glück.

In diesem Augenblick öffnete der Laden seine Tür und die kleine Menschentraube bewegte sich in Richtung Buchhandlung. Nur die junge Frau vor ihm blieb stehen und da er damit nicht gerechnet hatte, rempelte er sie leicht an. Sie erschrak und drehte sich zu ihm um. „Diese Augen“ dachte er und murmelte schnell eine Entschuldigung. Die junge Frau stammelte ebenfalls irgendwas und beide lächelten sich etwas verlegen an.

Sie gingen nun auch in die Buchhandlung und Hans fragte sie einfach: „sind sie öfter hier?“ nur, um etwas zu sagen.

„Naja, wie man´s nimmt. Ich lese jetzt auch häufiger mal ein E-Book, aber der neue Gablé muss Hardcover sein, damit er zu den anderen Büchern in meiner Sammlung passt.“

Kirstin war nun auch von der Stimme überwältigt. Sie war kräftig, aber nicht laut. Der leichte Küstenslang fiel ihr auf. Umwerfend. Mein Gott, was passiert hier?

„Ach, ist ja ein Ding. Genau deswegen bin ich auch hier. Ich lese alles von ihr, wenn ich Zeit finde. Haben sie auch die Bücher über unseren Dom und über Adelheid, die zweite Frau von Kaiser Otto dem Großen gelesen? Na klar haben sie.“

„Ja, habe ich natürlich.“ Beide schwiegen, denn beide waren noch immer ein bisschen befangen.

Sie hatten so viele unterschiedliche Gefühle, die sie nicht einordnen konnten. Angst, Hoffnung, Vorsicht. Also schwiegen sie lieber. Nun kamen sie an das Regal mit den Neuerscheinungen und fanden beide sofort, was sie suchten. Sie blätterten ein bisschen drin herum, obwohl es außer Frage stand, dass sie diese Bücher kaufen würden.

Kirstin hätte sich noch stundenlang mit diesem Mann unterhalten können, aber nun würden sie bezahlen und wieder getrennte Wege gehen. Dieser Gedanke gab ihr einen Stich ins Herz. Sie wollte das nicht, aber was konnte sie tun. Kirstin war nicht der Typ Frau, der schonmal selbst eine Einladung an einen Mann aussprach. Vielleicht hätte sie es gekonnt, wenn ihre so heftigen Gefühle für ihn sie nicht überrumpelt hätten. Einen fremden Menschen sozusagen, der ihr nichts bedeutete. Aber in diesem Fall… Nein, das ging gar nicht.

„Was mache ich nur, ich kann jetzt nicht einfach Tschüss sagen und nachhause fahren.“ Sie suchte krampfhaft in ihren Gedanken nach einem Ausweg.

Wie konnte das sein, dass ein ihr wildfremder Mann sie so unvermittelt in seinen Bann schlägt. Sie kannten sich doch gar nicht. Aber dann kam ihr der Gedanke, dass das genau das war, was man unter Liebe auf den ersten Blick verstand. Dennoch, alles in ihr kämpfte gegeneinander. Sie wollte und konnte doch nicht daran glauben, dass dies der magische Moment war, den sie beide auf keinen Fall verpassen durften.

Sie folgte seinen Worten nur unkonzentriert. Zu sehr war sie mit ihren eigenen Gedanken und der Angst beschäftigt, dass sie diesen Mann verlieren könnte, noch bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hatte. Sie war so sehr abgeschweift, dass sie nicht bemerkte, dass der junge Mann etwas gefragt hatte. Sie hörte gerade noch, wie er sagte:

„naja, es war ja auch nur so eine Idee. Vielleicht ein anderes Mal.“

„Mein Gott, was habe ich denn hier gerade verpasst?“ dachte sie erschrocken.

Seine Augen hielten die ihren fest und vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, aber sie hatte den Eindruck, dass ein kleines Bedauern in seinem Blick lag.

„Nein, nein, bitte, ich war nur einen Augenblick unaufmerksam. Was haben sie gerade gesagt?“

„Ach so, kein Problem, ich habe sie gefragt, ob wir vielleicht noch eine Tasse Kaffee zusammen trinken wollen. Hier gibt es doch bestimmt ein nettes Café in der Nähe, oder? Und ein bisschen Wärme könnte ich auch vertragen. Ist doch ganz schön nass.“

„Ja gerne. Mir ist auch ein wenig kalt geworden. Und ein Café gibt es auch. Also ja, trinken wir eine Tasse Kaffee zusammen“ sagte Kirstin mit einer nur leicht verhüllten Euphorie

Nachdem sie beide ihr Buch bezahlt hatten, verließen sie die Buchhandlung und Hans war sehr erleichtert, dass die junge Frau seine Einladung doch noch angenommen hatte. Entgegen seiner Vernunft, die sagte, dass er die Finger davonlassen sollte, sagte sein Herz ihm, dass er auf keinen Fall zulassen sollte, dass diese Frau wieder aus seinem Leben verschwindet.

Auf dem Weg zum Café sagte Hans: „Entschuldigung, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich heiße Hans, Hans Berthold.“

Er reichte ihr die Hand, als hätten sie sich gerade eben erst getroffen. Kirstin nahm seine Hand und sagte:

„freut mich, ich heiße Kirstin Rauer.“

Hans war nun sogar so mutig, dass er Kirstin das „du“ anbot. In Kirstin tobte ebenfalls ein Kampf zwischen Herz und Verstand, aber sie entschied sich, auf ihr Herz zu hören und das sagte eindeutig, dass sie hier nichts falsch machen sollte. Dies sei der Moment, auf den es ankommt. Also sagte sie:

„Ja, gern. Zwei Gablé-Fans unter sich, müssen das sogar.“

Sie lachte und kam sich bei dieser Antwort blöd vor. Was soll Hans denn von ihr denken?

Aber auch Hans musste lachen und sagte dann: „Ja ok, daran habe ich noch gar nicht gedacht.“

Sie kamen beim Café an und hatten Glück, das Café war gut besucht, aber ein Pärchen verließ es gerade. Sie saßen am Fenster und es kam ihnen vor, als seien sie allein. Hans konnte den Blick nicht von Kirstin lassen und ermahnte sich ständig, dass er es nicht übertreiben solle. Was soll sie von ihm denken. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass es Kirstin ähnlich gehen könnte. Das würde ja bedeuten, dass sie sich beide vielleicht doch zu Recht getroffen haben, dass es Schicksal war, dass es endlich so weit war. Sein Suchen und Hoffen hätten ein Ende.

„Nein“ sagte der Verstand, „warum sollte es nach so langer Zeit ausgerechnet heute passieren?“

Sein Herz antwortete „Und warum nicht heute?“

Sie bekamen ihren Kaffee und unterhielten sich über alles Mögliches.

„Was machst du beruflich?“ wollte Hans wissen und erfuhr, dass sie die Boutique hier ganz in der Nähe besaß. Ganz in der Nähe bedeutete ein paar hundert Meter, denn die City von Magdeburg war überschaubar. Als Kirstin zurückfragte antwortete Hans ein bisschen ausweichend, dass er in der Unterhaltungsbranche tätig sei. Er war einerseits ein wenig erstaunt, dass Kirstin offensichtlich noch nichts von ihm gehört hatte, andererseits aber auch froh darüber, denn wie sollte er sich jemals sicher sein, dass ihr eventuelles Interesse ihm und nicht dem Rockmusiker galt? Also umschrieb er alles etwas und verschwieg die Hauptsache.

Kirstin wäre auch nicht im Entferntesten darauf gekommen, dass sie einem Star gegenübersaß. Sie hatte zwar ein breit gefächertes Musikinteresse, aber von „Hans Berthold und Paradox“ hatte sie noch nie was gehört.

Die Zeit verging wie im Fluge. Kirstin machte den ersten Schritt und meinte, dass sie jetzt leider aufbrechen müsse, weil sie noch etwas im Geschäft zu erledigen hatte. Insgeheim verfluchte sie sich dafür, dass sie die Aufgabe bis auf den letzten Drücker verschoben hatte. Hans zuckte ein wenig zusammen, weil er vermutete, dass dies nur eine Ausrede sei und Kirstin nun genug hatte.

Er dachte: „Na bitte, dann ist es also mal wieder so wie immer.“

Laut sagte er: „Schade, ich könnte noch stundenlang hier mit dir sitzen. Vielleicht können wir das mal irgendwann wiederholen?“

„Um ehrlich zu sein, mir geht es genauso. Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut mit jemanden unterhalten.“

„Wie wäre es damit. Ich bin jetzt für eine Woche unterwegs, aber dann melde ich mich bei dir und wir werden weitersehen. Wollen wir das so machen?“ schlug Hans vor.

„Ja, klingt gut. Soll ich dir meine Nummer aufschreiben?“

„Nee, gib sie mir, ich speichere sie gleich ein. Einen Zettel kann man verlieren.“

Gesagt – getan. Dann rief Hans Kirstin gleich noch an, damit sie auch seine Nummer speichern konnte. Sie blickten beide zufrieden auf ihre Handys. Dann bezahlte Hans, gegen den Protest von Kirstin, die Rechnung. Kirstin sah zur aufgegangenen Mondsichel auf und lächelte den Mond an.

„Ist das nicht ein schöner Anblick?“ fragte Hans.

„Was meinst du?“

„Der Mond, ist er nicht schön? Ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe. Leider ist das jetzt nicht allzu häufig der Fall.“ antwortete Hans.

Kirstin blickte ihn verblüfft an. Sie empfand es als erneute Bestätigung dafür, dass dieser Mann der Gesuchte war. Ihre Zweifel wurden immer kleiner.

Sie antwortete mit einem wissenden Lächeln: „Ja der Mond ist mir sehr lieb und ich kenne ihn gut, denn er besucht mich oft in meinem kleinen Märchenwald.“

„Ach ja? Wo ist denn dieser Märchenwald? Werde ich ihn vielleicht auch einmal kennenlernen?“

Dabei sah er ihr in die Augen, die jetzt groß und ernst waren. Es fehlten zwar noch die Geigen im Hintergrund, aber Kirstin dachte, dass nur ein Film von Visconti so schön sentimental sein konnte.

Sie gestand sich zum ersten Mal ein, dass sie verliebt war, verliebt, wie sie es noch nie erlebt hatte, ja nicht mal gewusst hatte, dass es solche Gefühle gibt. Auch Hans riss die Mauern ein, die ihn von der Wahrheit trennen wollten, der Wahrheit, die da hieß „Ich liebe diese Frau, ich bin verliebt.“ Sein Herz lag in seiner Hand und er war bereit es ihr zu schenken, wenn sie es denn haben wollte.

Er hörte durch den Aufruhr in seinem Innersten nur noch, dass sie sagte: „Der Märchenwald ist mein Garten und wenn du willst, zeige ich ihn dir gern, aber leider nicht heute. Ich muss leider wirklich los.“

Vor dem Café trennten sie sich und beide wussten unabhängig voneinander nicht, ob sie glücklich oder doch ein wenig traurig waren. Insgeheim war ihnen klar, dass diese Begegnung ihre Leben für immer ändern konnte.

Kirstins Blues I

Hans fuhr in seine kleine Wohnung und fühlte sich irgendwie leicht. War das Liebe? Er hatte noch nie so empfunden. Sicher war er schon das eine oder andere Mal verliebt, aber es ging alles immer wieder auf die gleiche Art und Weise zu Ende. Entweder verlor er das Interesse an den Frauen oder die Frauen an ihm. Sein Kummer darüber hielt sich auch jedes Mal in Grenzen. Aber so intensiv hatte er noch nie empfunden.

Es stimmte, er war die ganze nächste Woche zu einer kurzen Tournee unterwegs und es sollte schon morgen losgehen, aber heute dachte er noch nicht daran. Er sah Kirstin vor sich, hörte ihr Lachen und fragte sich, wo sie so lange gesteckt hatte.

„Wo warst du?“ fragte er in die Stille seines Zimmers und er erinnerte sich daran, wie oft er gefragt hatte „wo bist du?“ Dabei lebten sie in der gleichen nicht besonders großen Stadt..

Er fühlte, wie sich seine Gedanken zu drehen begannen. So war es immer, wenn er eine Idee für einen Song oder den Text dafür hatte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm seine Gitarre und zupfte unbewusst die Saiten oder strich gedankenverloren darüber. Dann nahm er einen Stift zwischen die Zähne und ließ seiner Kreativität freien Lauf. Es vergingen Stunden. Er schrieb, spielte, strich durch, verwarf und begann von vorn. Viele Male. Mitten in der Nacht hatte er ein erstes Ergebnis. Eine Vorstellung eines Titels.

Er hatte die vorläufige Fassung eines Textes, der allein genommen nicht viel hergab, aber er hatte auch eine Melodie und ein Arrangement im Kopf. Zusammen fühlte es sich gut an. Jetzt war er sehr müde, sein Nacken tat ihm weh, die Augen brannten und er beschloss, für heute Schluss zu machen. Morgen würde er im Tourbus weitermachen. Wenn seine Jungs von der Band sahen, dass er arbeitete, störten sie ihn nicht. Er hatte Zeit, aber wenn er Kirstin hoffentlich nächste Woche wiedersehen würde, wollte er einen fertigen Song haben. Wenigstens auf dem Papier.

Zwischenspiel

In eine dicke Jacke gehüllt, einen frisch gebrühten Tee und einem Kissen unter dem Arm, begab sich Kirstin in den Garten. Es war schon spät, denn ihre Abrechnung hatte leider länger gedauert, weil sie sich nicht richtig konzentrieren konnte. Es war auch nicht besonders warm oder gemütlich in ihrem Garten, aber sie hatte das dringende Bedürfnis, sich ihrem weit entfernten Freund anzuvertrauen. Sie brauchte jetzt unbedingt jemanden, der ihr zuhörte.

Die Mondsichel stand schon weit im Westen am Himmel, als hätte sich der Mond geweigert, unterzugehen, bevor Kirstin da war. Sie setzte sich auf ihre Bank und überlegte, wo sie anfangen sollte. Sie hatte so viel zu erzählen. Aber sie stellte letztlich nur eine Frage, obwohl sie wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde.

„Ist er das?“ Mehr wollte sie eigentlich gar nicht wissen.

In dieser einen Frage war alles enthalten. Dann herrschte Stille. Kein Laut war zu hören. Aber was war das? Kirstin sah sich verwirrt in ihrer Umgebung um, ohne jemanden zu entdecken. Dabei war sie sich ganz sicher, dass sie eine Stimme gehört hatte, die sagte:

„Ja Mädchen, das ist er. Ihr seid ideal füreinander.“

Und wieder hörte sie die Stimme und war sich diesmal sicher, diese Stimme war in ihrem Kopf. Die Stimme erklang wieder und fuhr fort:

„Ihr seid von Beginn der Zeit an füreinander bestimmt. In sehr vielen Leben seid ihr euch schon begegnet. Sehr oft habt ihr euch nicht erkannt, aber auch sehr oft habt ihr gefunden, wonach ihr gesucht habt, denn die Sehnsucht nacheinander ist Teil eurer Bestimmung. Leider habt ihr euch auch genauso oft verloren, weil es Umstände gab, die ihr nicht beeinflussen konntet und die gegen eure Liebe sprachen. Manchmal wart ihr selbst es, die die Liebe verspielt habt. Unbedachtheit, Oberflächlichkeit, Arroganz und Stolz waren die Gründe. Aber glaub mir, es gibt nichts und niemanden, der euch trennen kann, wenn ihr aufrichtig zueinander haltet. Das kann nur der Tod und selbst der erringt nur einen vorübergehenden Sieg.“

Kirstin saß da, auf ihrer Bank, in ihrem Garten, eingehüllt in eine dicke Jacke und hielt ihre Tasse fest, in der der Tee schon lange nicht mehr dampfte und lauschte dieser imaginären Stimme. Sie vergaß fast zu atmen. Wenn sie jetzt jemand kneifen würde, war sie sich sicher, dass sie aufwachen würde. Was sie soeben erlebt hatte, konnte ja einfach nicht wirklich sein. Andererseits wusste sie, was sie gehört hatte. Und gab es nicht mehr zwischen Himmel und Erde, als man sich vorstellen konnte?

Dann fiel ihr erst richtig auf, was sie da gerade gehört hatte. Ihre Liebe so alt wie die Zeit? Viele Leben, in denen sich Hans und sie schon geliebt haben? Das würde erklären, warum sie so eine unerklärliche, aber bestimmte Sehnsucht nach etwas oder jemanden hatte, ohne zu wissen, wer oder was es war. Und auch, weshalb sie bei ihrer ersten Begegnung das Gefühl hatte, als würde mit diesem „Klick“ etwas einrasten, an seinen Platz finden. Hans war ihr so vertraut, als hätten sie sich nicht kennengelernt, sondern nach ewiger Zeit endlich wiedergefunden. Oh Mann, wie soll das jetzt weitergehen? Was wäre, wenn Hans sich nicht wieder meldet? Ist das möglich? Wenn sie dem glaubte, was sie eben gehört hatte, dann müsste es ihm genauso gehen wie ihr. Dann hat auch er sie gesucht und nun gefunden. Ihr Herz jubelte und schlug gleichzeitig unruhig, fast ängstlich. Sie hatte so große Angst, dass ihr Glauben wieder eine Enttäuschung nach sich zieht. Diese hier würde weit über das Maß zurückliegender Enttäuschungen gehen. Sie wäre unerträglich. Dennoch musste sie daran glauben, dass Hans der Richtige war. Er muss es einfach sein.

Kirstins Blues II

Hans arbeitete in den folgenden Tagen wie besessen an seinem Song. Sowie das jeweilige Konzert beendet war, fuhr er ins Hotel und schrieb. Das fiel ihm nicht schwer, denn er hatte so viel Liebe für Kirstin in seinem Herzen, dass es schier überzulaufen drohte. Im Gegenteil, die Beschäftigung mit diesem Song vermittelte ihm das Gefühl, dass er Kirstin ganz nahe war. Er dachte schon ein paar Mal daran, früher als nach Ablauf der Woche bei ihr anzurufen, verwarf es dann aber immer wieder.

Mittlerweile war sein Blues für Kirstin schon so weit gediehen, dass er sich überlegte, wie er es arrangieren wollte. Der Text war sehr minimalistisch gehalten, er sollte auch nicht vordergründig gesungen werden, sondern gesprochen, aus dem Nichts schwebend über allem liegen. Er sollte seinen Träume, seine Sehnsucht zum Ausdruck bringen. Er war sich sicher, dass er immer genau auf diese Frau gewartet hatte und nun hatte er sie gefunden. Er hatte nie an die Liebe für ewig geglaubt, seine Erfahrungen bisher sprachen ja auch nicht gerade dafür, aber nun…?

Das Wiedersehen

Der letzte Tag der Tournee war vorüber. Das erste Mal, dass er froh darüber war. Bisher waren seine Musik und die Bühne alles, was er brauchte, wenn man mal von seinem größten Wunsch, den nach Liebe, absah. Nun war er froh, dass er runter konnte von der Bühne. Oh Mädchen, was hast du nur mit mir gemacht? Er trieb die anderen an, damit sie so schnell wie möglich Richtung Magdeburg abfahren konnten. Einige murrten, aber alle beeilten sich. Irgendwie ahnten sie, dass da etwas vor sich ging, wussten aber nicht was. Es war auch seltsam, dass Hans sie nicht in seine Arbeit an dem neuen Song einbezog. Sonst machten sie fast alles gemeinsam. Und nun diese Eile?

Da die Heimreise ein paar Stunden dauern würde, schliefen die meisten, nur Hans war hellwach. Er wusste, dass er Kirstin nicht vor morgen Nachmittag anrufen konnte, da sie vermutlich in ihrer Boutique beschäftigt war, aber er hatte das Gefühl, ihr in Magdeburg näher zu sein. Verrückt, er wusste das, aber er konnte es nicht ändern. Es hatte ihn erwischt. Endlich.

Hans sah auf die Uhr und stellte fest, dass er nach nur sehr wenigen Stunden Schlaf, völlig wach war. Es war noch verhältnismäßig früh, gerade erst 12:00 Uhr durch. Sie waren aber auch erst heute gegen Morgen in Magdeburg angekommen. Da liegenbleiben nicht möglich war, stand er auf, machte sich fertig und ging in die Stadt, um zu frühstücken. Er hatte ausgesprochen guten Appetit. Wie sollte er den Tag nur rumkriegen, bis er Kirstin endlich anrufen konnte. Aber irgendwie schaffte er es und erleichtert stellte er fest, dass es endlich 17:00 Uhr war. Jetzt würde er sein Schweigen brechen. Er nahm das Handy vom Tisch und drückte bei „Favoriten“ auf Kirstins Nummer. Der Ruf ging raus und fast umgehend war Kirstin dran. Seine Nervosität fiel von ihm ab. Sie hatte auf ihn gewartet.

„Kirstins Boutique, was kann ich für sie tun?“

„Hallo Kirstin“

„Hallo Hans“

„Ja, da bin ich wieder. Ich sitze in unserem Café“ sagte er in der Hoffnung, sein Eindruck, dass sie auch auf seinen Anruf gewartet hatte, habe ihn nicht getäuscht.

„Oh, schön, ich freue mich, aber leider kann ich noch nicht weg. Ausgerechnet heute hat meine Angestellte frei. Ich muss noch bis 20:00 Uhr hierbleiben. Tut mir wirklich leid, das kannst du mir glauben.“

„Macht nichts, ich habe so lange auf dich gewartet, da kommt es auf die paar Stunden auch nicht mehr an. Soll ich dich dann nachher abholen?“

„Ja, das wäre schön.“

Es entstand eine kleine Pause und in die sagte Kirstin leise:

„ich habe dich vermisst.“

„Das freut mich, dann ging es mir nicht allein so. Ich habe dich auch sehr vermisst. Was ist denn bloß mit uns passiert?“

„Ich weiß es auch nicht, aber ich bin froh darüber.“

Dann hörte er eine kleine Glocke im Hintergrund und Kirstin sagte: „Entschuldige, Kundschaft. Bis bald, ich freue mich.“

„Ich mich auch, bis bald.“

Beide legten auf und Hans bestellte bei der Kellnerin noch einen Kaffee. Unwillkürlich musste er lächeln. Alles war gut. Kirstin hatte auf ihn gewartet und sie empfand offenbar ebenso wie er.

Die Kellnerin, die ihn jetzt nach seinen Wünschen fragte, war neu. Sie sah ihn an und überlegte kurz. Dann fiel es ihr ein und sie fragte ihn ganz aufgeregt:

„Sind sie nicht Hans Berthold, der Musiker?“

Das hat mir gerade noch gefehlt dachte Hans. Ihm wäre es viel lieber gewesen, wenn er nicht erkannt worden wäre, weil er dann auch mit Kirstin weiterhin hier inkognito sitzen konnte. Aber wenn es denn so sein soll, soll es eben so sein. Er drehte sich zu ihr um, lächelte sie an und antwortete:

„Ja, stimmt. Und du bist?“

„Äh, ich bin Sibille. Ist ja ein Ding. Wie kommen sie denn hier her?“

„Hallo Sibille. Ja, ich wohne hier in Magdeburg.“

„Is ja ein Ding“ wiederholte Sibille.

„Haben sie auch ein Autogramm für mich und meine Freundin? Die flippt aus, wenn ich ihr erzähle, dass ich Hans Berthold bedient habe.“

Hans holte aus seiner Brusttasche zwei Autogrammkarten, unterschrieb die eine für Sibille und nach dem er gefragt hatte, schrieb er noch eine für Sabine.

Dann sah er Sibille an und fragte ein wenig verschwörerisch: „Sag mal Sibille, kannst du ein Geheimnis bewahren?“

Sibille antwortete ganz aufgeregt: „Ja, klar. Was ist denn so geheim?“

„Also das ist so, ich treffe nachher eine Freundin, die weiß nicht wer ich bin und ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn sie es zu gegebener Zeit von mir erfährt. Tust du mir den Gefallen und behältst unser Geheimnis für dich?“

„Ja, gibt es denn sowas, die weiß nicht, wer sie sind? Aber irgendwann darf ich es allen erzählen, dass sie hier waren und an meinem Tisch gesessen haben, ja?“

Sie plapperte ohne Punkt und Komma.

„Klar. Darf ich dir einen Kaffee oder etwas anderes spendieren? Für dein Schweigen sozusagen.“

„Oh, naja, ich hätte gern einen Cappuccino.“

„Ist gebongt. Und danke nochmal.“

Sibille schwirrte ab und Hans hatte den Eindruck, dass sie beschwingter lief als bisher. Na, ist doch prima, wieder einen Menschen glücklich gemacht, dachte er und musste lächeln. Dann nahm er die Zeitschrift, die er sich vorher noch gekauft hatte und tat, als würde er sich darin vertiefen.

In Wirklichkeit dachte er an Kirstin. Es war mittlerweile 18:45 Uhr. Die Zeit wollte aber auch mal wieder nicht vergehen. Er stellte sie sich in ihrer Boutique vor, wie sie eine Kundin beriet oder wie sie in den Regalen für Ordnung sorgte oder was man sonst so macht, wenn keine Kunden da sind. Ob sie auch an mich denkt? Mann, stöhnte er innerlich, ich bin aber ganz schön nervös.

Nun dachte er an seinen Song. Der war fertig. Leider konnte er ihn noch nicht aufnehmen. Er hatte noch kein eigenes Studio. Das stand aber ganz oben auf seiner Wunschliste. Bisher hatte er ein Studio von einem Magdeburger Musiker gemietet.

Den könnte ich doch eigentlich gleich mal fragen, wann ich da mal wieder rein kann.“ Er suchte die Telefonnummer und versuchte sein Glück.

Es klingelte nicht lange und dann hörte er die vertraute Stimme von Schmatzer, dem Musikerkollegen. Nebenbei bemerkt, der war ebenfalls ein exzellenter Gitarrist. Ein Wunder, dass der noch nicht auf den großen Bühnen des Landes stand.

„Schmitz, hallo.“

Beinahe hätte Hans sich entschuldigt, weil er dachte, er hätte die falsche Nummer gewählt, aber dann fiel ihm ein, dass Schmatzer ja nur sein Spitzname war, in Wirklichkeit hieß er Schmitz.

„Ey, Hallo Schmatzer, Hans Berthold hier. Ich brauche mal wieder dein Studio. Wann würde es dir passen? Zeitnah, wenn es geht. Es brennt ein bisschen.“

Schmatzer freute sich, dass Hans anrief und sah dann in seinem Kalender. Nach einem kleinen Weilchen sagte er:

„Jaaaa, ich kann dir den 12. bis 17. dieses Monats anbieten. Eher geht es leider nicht.“

„Der 12., ist das ein Mittwoch? Ich glaube ja. Ok, schreib mich bitte ein. Vorsichthalber bis zum 17., ich weiß nicht genau, wie lange ich brauchen werde. Die Konditionen sind die gleichen?“