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Wer sieht uns an? Und was wird dadurch aus uns? Einer, der es wissen muss, ist der bekannte Modeschöpfer KL, eine Ikone der Unnahbarkeit, der seit Jahrzehnten nicht zu altern scheint und immer gleich aussieht. Ein namenloser Erzähler fährt nach Paris, um mit KL über Schein und Sein, über den Tod und das Leben als Bild gewordene Instanz zu sprechen. Doch KL ist einer der eigensinnigsten und launischsten Gesprächs- partner deutscher Sprache. Das Gespräch ist mit zahlreichen Reglementierungen und Auflagen verbunden. Und entwickelt sich schließlich in eine unerwartete Richtung. ›KL – Gespräch über die Unsterblichkeit‹ ist die Fiktion eines Interviews mit einem Menschen, der in der Wirklichkeit die Fiktion seiner selbst zu sein scheint. Ein originelles literarisches Spiel, das überraschende Erkenntnisse bereithält: über den Bilderwahn unserer Zeit, den täglichen Kampf um Sichtbarkeit und die Angst vor dem Verschwinden.
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Seitenzahl: 259
JOHN VON DÜFFEL
KL
GESPRÄCHÜBERDIE UNSTERBLICHKEIT
eBook 2015
©2015 DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
ISBN eBook: 978-3-8321-8847-4
Ähnlichkeiten mit lebenden Ikonen sind nicht zufällig, sondern beabsichtigt. Trotzdem ist der gesamte Inhalt dieses Buches, insbesondere die Äußerungen der handelnden Personen, rein fiktiv. Das Interview und die Gespräche haben nie stattgefunden.
ZU BESUCH BEI KL
Sein Fahrer holt mich vom Gare de l'Est ab, wie besprochen. Womöglich ist es auch der Assistent, mit dem ich telefoniert hatte, doch als solcher gibt er sich nicht zu erkennen. (Er wirkt jünger als der Mann am Telefon, aber auch nicht mehr ganz jung.) Ich hatte erwartet, dass er mit einem Schild in der Bahnhofshalle stehen würde. Stattdessen taucht er diskret neben mir auf, spricht mich mit Namen an und bittet mich ihm zu folgen. Als er mir meinen Rucksack abnehmen will, winke ich ab, ich trage mein Zeug lieber selbst. Er stoppt kurz, schaut mich an, prüfend, sogar etwas pikiert. Dann geht er voran und ich hinterher mit dem Gefühl, ihn gekränkt zu haben. Auf der fast halbstündigen Fahrt durch die verschiedenen Bezirke sagt er kein Wort, auch nicht, dass KL mich erwartet.
Als wir im Atelier ankommen, ist niemand da. Der weitläufige, loftartige Raum sieht aus, als hätte der Meister in diesem Moment alles stehen und liegen lassen. Skizzen, Notizen und ganze Nester von Zeichenutensilien verteilen sich über die Arbeitsfläche. Ich wahre gebührenden Abstand zu den Entwürfen. Falls ich stören sollte, will ich wenigstens nicht respektlos erscheinen. Unauffällig halte ich nach einer Uhr Ausschau, um mich zu vergewissern, dass ich nicht zu früh bin. Doch mein Zug war pünktlich, und der Fahrer hatte bestimmt seine Anweisungen. Vielleicht geht es nur darum, dass KL nicht auf mich wartet, sondern ich auf ihn.
Der junge, nicht mehr ganz junge Mann hat sich neben der Tür postiert, die Arme vor der Brust verschränkt. Auf einmal wirkt er wie ein Leibwächter. Unklar ist nur, wen oder was er bewacht. Als ich mich fragend umsehe, deutet er mit dem Kopf – eigentlich nur mit dem Kinn – auf eine Sitzgruppe in einem entlegenen Winkel des Raumes: ein Diwan, ein paar Louis-quinze-Stühle mit historischer Polsterung. Zögernd setze ich mich. Im selben Moment wird der Fahrer (oder Leibwächter) durch einen älteren Herrn im schwarzen Anzug abgelöst, der geradewegs auf mich zukommt und sich nach meinen Wünschen erkundigt, ein Hausangestellter oder Butler offenbar. Zunächst bestelle ich nichts, dann doch ein Wasser, für den Fall, dass es länger dauert. Auf einem kleinen Tischchen mit geschwungenen Beinen – Nussbaum; antik, wie ich vermute – liegen mehrere Zeitschriften. Ich komme mir vor wie in einem Wartezimmer. Dann erst bemerke ich auf dem Titelblatt im Halbprofil. Das darunterliegende Magazin wirbt in großen roten Lettern mit einem Exklusivinterview und einem kleineren Schnappschuss des Meisters, weiß gerahmt. Es folgt ein Branchenblatt, das ebenfalls groß mit seinem Porträt aufmacht und die neueste Ausgabe von . Ich lege die Zeitschriften wieder zurück auf den Stapel. Die Einschüchterungsstrategie hat funktioniert.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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