Klage Südafrikas gegen den Staat Israel - Abraham Melzer - E-Book

Klage Südafrikas gegen den Staat Israel E-Book

Abraham Melzer

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Beschreibung

Das besetzte palästinensische Territorium ist von besonderer Bedeutung für die Zukunft der Menschenrechte in der Welt. Die Menschenrechte in Palästina sind über sechzig Jahre auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen gewesen und besonders in den letzten 40 Jahren seit der Besetzung von Ost-Jerusalem, der Westbank und des Gazastreifens im Jahr 1967. Über Jahre hinweg konkurrierte die Besatzung von Palästina und die Apartheid in Süd-Afrika um die Aufmerksamkeit der Internationalen Gemeinschaft. 1994 endete die Apartheid und Palästina verblieb als einziges Entwicklungsland in der Welt unter der Unterdrückung durch ein dem Westen verbundenes Regime. Hierin liegt seine Bedeutung für die Zukunft der Menschenrechte. Es gibt andere Regime, vor allem in der Dritten Welt, die die Menschenrechte unterdrücken, aber es gibt keinen anderen Fall eines mit dem Westen verbundenen Regimes, welches die Menschenrechte eines Entwicklungsvolkes unterdrückt und dieses schon so lange. Mit diesen Sätzen schloss John Dugard seinen Bericht über die besetzten palästinensischen Territorien, den er im Januar 2007 dem Menschenrechtsrat der UNO erstattet hatte. Es war sein letzter Bericht über die verzweifelte Situation der palästinensischen Bevölkerung. John Dugard, südafrikanischer Juraprofessor, war 2001 von dem Menschenrechtsrat zum besonderen Berichterstatter über die Situation der Menschenrechte in Palästina ernannt worden. Und nun saß John Dugard am 11. Januar 2024 vor der Richterbank des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag und vertrat mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Klage der Südafrikanischen Republik gegen Israel mit dem Vorwurf des Völkermordes im Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen. Weitere Informationen unter: https://nahost-bücher.de

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Inhaltsverzeichnis

Klage Südafrikas gegen den Staat Israel

Vorwort Prof. Norman Paech

Richter am Internationalen Gerichtshof

Liste der Teilnehmer

Teil 1: Klageschrift der Republik Südafrika an den Internationalen Gerichtshof zur Einleitung eines Verfahrens gegen den Staat Israel

I.Einführung

II.Zuständigkeit des Gerichtshofs

III.Die Fakten

A.Einführung

B

.

Hintergrund

1. Der Gaza-Streifen („Gaza“)

2. Das Westjordanland (einschließlich Ostjerusalem)

3. Die Anschläge in Israel vom 7. Oktober 2023

C. Völkermorde am palästinensischen Volk

1. Tötung von Palästinensern in Gaza

2. Schwere körperliche und seelische Schäden

3. Massenhafte Vertreibung von Palästinensern

4. Verweigerung des Zugangs zu Nahrungsmitteln

5. Verweigerungs des Zugangs zu Unterkünften

6. Verweigerung angemessener medizinischer Hilfe

7. Zerstörung palästinensischen Lebens

8. Verlängerung von Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten

D. Äußerungen von Völkermordabsichten gegen das palästinensische Volk durch israelische Staatsbeamte und andere

E. Anerkennung der völkermörderischen Absichten Israels gegen die Palästinenser

IV. Die Anspruchsgrundlagen

V. Das Klagebegehren

VI.Antrag auf einstweilige Maßnahmen

A. Zwingende Umstände machen die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlich

B. Zur Prima-facie-Zuständigkeit des Gerichtshofs

C. Die beantragte Rechtsverteidigung, ihre Glaubhaftmachung und der Zusammenhang zwischen den Vorschriften und den beantragten Maßnahmen

D. Die Gefahr irreparabler Schäden und die Dringlichkeit einer Intervention

E.Beantragte vorläufige Maßnahmen

VII.Rechtlicher Vorbehalt

VIII.Ernennung eines Vertreters

Teil 2: Anhörung Südafrikas 11. Januar 2024

Einführung

Eröffnung, Vorstellung und Vereidigung der Ad-Hoc-Richter

Erörterung der wesentlichen Verfahrensschritte Verlesung der vorläufigen Maßnahmen gemäß Antrag Südafrika Vorträge der Vertreter Südafrikas

Herr Vusimuzi Madonsela

Herr Ronald Lamola

Frau Dr. Adila Hassim

Genozidale Handlungen

Überblick

Die genozidalen Handlungen

Artikel II (a): Tötung von Palästinensern in Gaza

Artikel II (b): Verursachung von schwerem seelischem und körperlichem Schaden an Palästinensern in Gaza

Artikel II (c): Bewusste Auferlegung von Lebensbedingungen gegenüber der Gruppe, die darauf ausgerichtet sind, die physische Zerstörung insgesamt oder zum Teil herbeizuführen

Artikel II (d): Reproduktive Gewalt. Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Palästinenser gerichtet sind

Das Verhaltensmuster lässt Vorsatz erkennen

Fazit

Herr Tembeka Ngcukaitobi

Genozidaler Vorsatz

Vorsatz aus Verhalten

Vorsatz durch genozidale Reden von politischen Amtsträgern und Militärvertretern

Vorsatz in genozidaler Rede von Soldaten

Absicht der öffentlichen Aufstachelung zum Völkermord

Wissen um die Zerstörung

Schlussfolgerung

Herr John Dugard

Gerichtliche Zuständigkeit

Herr Max du Plessis

Art und Weise der Rechte, die Schutz erfordern, und der Zusammenhang zwischen diesen Rechten und den geforderten Maßnahmen

Einleitung

Zu schützende Rechte: Grundlegende Rechte

Zu schützende Rechte: Südafrika / erga omnes

Vergleiche mit anderen Fällen

Einhaltung von Artikel 41 - Rechte der Palästinenser und Südafrikas - Konventionsrechte

Frau Blinne Ní Ghrálaigh

Gefahr weiterer Völkermorde, Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens und Dringlichkeit

Einleitung und Entschuldigung

Übersicht

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs

Kriterium der Dringlichkeit

Kriterium Irreparabler Schaden: ernsthafte Risiken für Menschenleben und andere Grundrechte

Provisorische Maßnahmen und Völkermord

Vorläufige Maßnahmen in Situationen bewaffneter Konflikte

Vorläufige Maßnahmen und Risikominderung

Einstweilige Maßnahmen und Gaza

Grundlegende Prinzipien der Moral

Schlussfolgerung

Herr Vaughan Lowe

Die beantragten einstweiligen Maßnahmen

Einleitung

Die Anforderungen des Gerichtshofes an die Anordnung einstweiliger Maßnahmen

Der Ansatz des Gerichtshofs bei einstweiligen Maßnahmen: Schutz des Einzelnen

Der Ansatz des Gerichtshofs bei einstweiligen Maßnahmen: Schutz der Integrität der Verfahren des Gerichtshofs

Der begrenzte Umfang des Antrags Südafrikas auf einstweilige Maßnahmen

Die von Südafrika beantragten besonderen vorläufigen Maßnahmen

Die Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung kann Völkermord weder rechtfertigen noch dessen Durchführung begründen

Einseitige Zusagen reichen nicht aus

Herr Vusimuzi Madonsela

Endgültige Anträge

Teil 3: Anhörung Israels 12. Januar 2024

Herr Tal Becker

Eröffnungserklärung des Mitbeauftragten

Herr Malcolm Shaw

Prima-Face-Zuständigkeit und Wahrung der Rechte der Parteien

Der Kontext

2. Prima facie Zuständigkeit

(

i) Zum Vorliegen eines Rechtsstreits nach der Konvention

(

II) Ein prima facie Fall

(

III) Absicht

3.Zu den Rechten, deren Schutz begehrt wird

(

I) Der Kläger

(

II) Der Beklagte

4.Ergebnis

Frau Galit Raguan

Fakten vor Ort

Herr Omri Sender

Fehlen der Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens und der Dringlichkeit

Herr Christopher Staker

Die von Südafrika beantragten einstweiligen Maßnahmen sind ungerechtfertigt und schädlich

Einführung

Die erste und zweite beantragte einstweilige Maßnahme

Die dritte beantragte vorläufige Maßnahme

Die vierte beantragte vorläufige Maßnahme

Die fünfte beantragte vorläufige Maßnahme

Zur Sechsten beantragte vorläufige Maßnahme

Zur Siebten beantragte vorläufige Maßnahme

Zur Achten beantragte vorläufige Maßnahme

Zur Neunten beantragte vorläufige Maßnahme

Fazit

Herr Gilad Noam

Teil 4: Inoffizielle Zusammenfassung der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Januar 2024

Zusammenfassung der Entscheidung (Summary)

Antrag auf Anordnung von vorläufigen Maßnahmen

Einleitung (ABS. 13-14)

I.Prima Facie-Zuständigkeit (ABS. 15-32)

1.Vorbemerkungen (Abs. 15-18)

Bestehen eines Streits über die Auslegung, Anwendung oder Erfüllung der Völkermordkonvention (Abs. 19-30)

Schlussfolgerung hinsichtlich der prima facie Zuständigkeit (Abs. 31-32)

III.Klagebefugnis Südafrikas (ABS. 33-34)

IV.Die rechte, deren Schutz beantragt wird, und der Zusammenhang zwischen diesen Rechten und den beantragten Maßnahmen (Abs. 35-59)

V.Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens und Dringlichkeit (Abs. 60-74)

VI.Schlussfolgerung und zu ergreifende Maßnahmen (Abs. 75- 84)

Entscheidungsformel (Absatz 86)

Erklärung von Richterin Xue

Abweichende Meinung der Richterin Sebutinde

Erklärung des Richters Bhandari

Erklärung von Richter Nolte

Gesonderte Stellungnahme des Ad-hoc-Richters Barak

Antrag auf Anordnung vorläufiger Maßnahmen

Inhaltsverzeichnis

Beschlussfassung des Gerichts

Einführung

Prima-Facie-Zuständigkeit

1.Vorläufige Beobachtungen

2.Vorliegen einer Streitigkeit betreffend die Interpretation, die Anwendung oder Befolgung der Völkermordkonvention

3. Schlussfolgerung bezüglich der prima facie Zuständigkeit

III. Klagebefugnis Südafrikas

IV. Die Rechte, deren Schutz beantragt wird, und der Zusammenhang zwischen diesen Rechten und den beantragten Maßnahmen

V. Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens und Dringlichkeit

VI. Schlussfolgerung und zu ergreifende Maßnahmen

Operative Klausel

Teil 5: Erklärungen und abweichende Voten der ICJ-Richter

Erklärung der Richterin Xue

Abweichende Meinung von Richterin Sebutinde

I. Einleitung: Kontext

A. Begrenzter Anwendungsbereich des Beschlusses über einstweilige Maßnahmen

B. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs ist auf die Völkermordkonvention beschränkt und erstreckt sich nicht auf schwere Verstöße des humanitären Völkerrechts

C. Die Kontroverse zwischen Israel und Palästina ist historisch gesehen eine politische Kontroverse

II.Politischer Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts

III.Die Ereignisse vom 7. Oktober 2023

IV.Einige der Voraussetzungen für die Anordnung vorläufiger Maßnahmen sind nicht erfüllt

A. Es gibt keine Anzeichen für eine völkermörderische Absicht von Seiten Israels

B. Es besteht kein Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Rechten und den von Südafrika beantragten einstweiligen Maßnahmen

1. Erste und zweite Maßnahme

2. Dritte Maßnahme

3. Vierte und fünfte Maßnahme

4. Sechste Maßnahme

5. Siebte Maßnahme

6. Achte und neunte Maßnahme

V. Die vom Gerichtshof angegebenen einstweiligen Maßnahmen sind nicht gerechtfertigt

VI. Schlussfolgerung

Erklärung von Richter Bhandari

Erklärung von Richter Nolte

Persönliche Stellungnahme des Ad-hoc-Richters Barak

I.Genocid - eine autobiographische Bemerkung

II.Israels Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und zum humanitären Völkerrecht

III.Zur Prima-facie-Zuständigkeit des Gerichtshofs

IV.Der bewaffnete Konflikt in Gaza

V. Geeigneter Rechtsrahmen für die Analyse der Lage in Gaza

VI.Fehlender Vorsatz

VII.Die vom Gerichtshof genannten Maßnahmen

HumanRightsWatch Erklärung

Endnoten

Vorwort Prof. Norman Paech

Verfahrenseinleitende Klageschrift

Anhörung Südafrikas 11. Januar 2023

Anhörung Israels 12. Januar 2024

Erklärungen und abweichende Voten der ICJ-Richter

Endnoten der HRW-Erklärung

Vorwort

„Das besetzte palästinensische Territorium ist von besonderer Bedeutung für die Zukunft der Menschenrechte in der Welt. Die Menschenrechte in Palästina sind über sechzig Jahre auf der Tagesordnung der Vereinten Nationen gewesen und besonders in den letzten 40 Jahren seit der Besetzung von Ost-Jerusalem, der Westbank und des Gazastreifens im Jahr 1967. Über Jahre hinweg konkurrierte die Besatzung von Palästina und die Apartheid in Süd-Afrika um die Aufmerksamkeit der Internationalen Gemeinschaft. 1994 endete die Apartheid und Palästina verblieb als einziges Entwicklungsland in der Welt unter der Unterdrückung durch ein dem Westen verbundenes Regime. Hierin liegt seine Bedeutung für die Zukunft der Menschenrechte. Es gibt andere Regime, vor allem in der Dritten Welt, die die Menschenrechte unterdrücken, aber es gibt keinen anderen Fall eines mit dem Westen verbundenen Regimes, welches die Menschenrechte eines Entwicklungsvolkes unterdrückt und dieses schon so lange.“1

Mit diesen Sätzen schloss John Dugard seinen Bericht über die besetzten palästinensischen Territorien, den er im Januar 2007 dem Menschenrechtsrat der UNO erstattet hatte. Es war sein letzter Bericht über die verzweifelte Situation der palästinensischen Bevölkerung. John Dugard, südafrikanischer Juraprofessor, war 2001 von dem Menschenrechtsrat zum besonderen Berichterstatter über die Situation der Menschenrechte in Palästina ernannt worden. Dies sollte sein letzter Bericht sein, denn er wurde von Israel und den USA heftig wegen seiner Einseitigkeit kritisiert und 2009 auf Druck Israels durch den US-amerikanischen Kollegen Richard A. Falk abgelöst. Er bekannte in jenem Jahr, „ich bin Südafrikaner, der in der Apartheid gelebt hat. Ich zögere nicht zu sagen, dass Israels Verbrechen unendlich viel schlimmer sind als die Verbrechen, die Südafrika mit seinem Apartheid-Regime begangen hat.“2

Und nun saß John Dugard am 11. Januar 2024 vor der Richterbank des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag und vertrat mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Klage der Südafrikanischen Republik gegen Israel mit dem Vorwurf des Völkermordes im Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen. Wie vorauszusehen war, hatte sich die Situation der Menschenrechte in allen besetzten Gebieten, und Gaza gehörte trotz des Abzugs der Siedler und der Armee 2005 dazu, nicht verbessert. Im Gegenteil reagierte die israelische Armee auf den nicht nachlassenden Widerstand der palästinensischen Bevölkerung mit regelmäßigen Über fällen – 2008/2009 mit über 2000 Toten, 2012, 2014 mit wiederum über 2000 Toten, 2021 und schließlich am 7. Oktober 2023. Auch diese Explosion des Widerstandes war vorauszusehen, da sich an den unerträglichen Lebensbedingungen in Gaza nichts verändert hatte, und es für die Menschen keine Perspektive gab. Es sollten keine Zweifel daran bestehen, dass auch für den israelischen Mossad diese Eruption der Gewalt nicht überraschend kam. Was offensichtlich alle verblüffte, war aber die Fähigkeit, aus diesem Gefängnis mit seinem tief in den Erdboden verankerten Gefängniszaun auszubrechen, und das Ausmaß der Gewalt. Die Rache wiederum, von der israelischen Regierung Verteidigung genannt, hatte apokalyptische Ausmaße. Nicht nur die erschreckend große Zahl an Toten, Verletzten und Vertriebenen, sondern auch die flächendeckende Zerstörung aller materiellen Lebensgrundlagen in diesem schmalen Landstreifen war bisher ohne Beispiel.

Israel vor Gericht

Noch Anfang des neuen Jahres 2024 verkündete der ehemalige Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes Amos Yadlin, „Wir kämpfen jetzt an sieben Fronten„, das habe es seit der Staatsgründung nicht gegeben. Der Gazastreifen, das Westjordanland, Libanon, der Jemen, Irak, Syrien und Iran seien die Schauplätze mit unterschiedlicher Intensität. Den intensivsten Schauplatz allerdings vergaß er, die Klage der Republik Südafrika wegen Völkermordes durch den Krieg in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Er konnte sich wohl noch nicht vorstellen, welche vernichtende Wirkung diese Anklage mit den schockierenden Fakten für das internationale Ansehen Israel haben würde. Vielleicht erinnerte er sich auch daran, dass knappe 20 Jahre zuvor Israel schon einmal im IGH verhandelt wurde. Am 8. Dezember 2003 hatte die UN-Generalversammlung ein Gutachten des IGH über die Rechtmäßigkeit des Baus einer Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten angefordert. Ein halbes Jahr später am 9. Juli 2004 lieferte der Gerichtshof sein Gutachten ab, in dem er mit vierzehn gegen eine Stimme – sie kam vom US-Richter Bürgenthal - entschied: ,,Der Bau der Mauer, die von Israel, der Besatzungsmacht, in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich in und um Jerusalem herum, gebaut wird, widerspricht internationalem Recht.“

Zugleich verpflichtete der IGH Israel, die Mauer auf palästinensischem Territorium zurückzubauen und die betroffenen Bewohner zu entschädigen. Es handelte sich nur um ein Gutachten und war nicht verbindlich, aber es war die klare Ansage eines massiven Verstoßes gegen das Völkerrecht3. Doch die israelische Regierung kümmerte sich nicht darum und kein Staat in der UNO unternahm etwas, um Israel zur Einhaltung des Völkerrechts und zum Rückzug von palästinensischem Territorium zu bewegen.

Doch dieser Prozess jetzt ist anders. In ihm geht es um den Vorwurf des schwersten Verbrechens Völkermord, welches erst spät in die Strafkataloge aufgenommen wurde. Obwohl schon 1948 in dem „Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes„ vom 9. Dezember, der sog. Völkermordkonvention, als strafbarer Tatbestand definiert, wurde der Völkermord international erst in dem Römischen Statut des IGH vom 17. Juli 1998 kodifiziert. Der Begriff des „Genozids„ wurde von dem polnischen Juristen Raphael Lemkin 1944 in seinem Buch „Die Herrschaft der Achsenmächte im besetzten Europa„ geprägt. Lemkin, Berater des US-amerikanischen Chefanklägers Robert Jackson in den Nürnberger Prozessen, arbeitete lebenslang daran, den Genozid zu einem Straftatbestand zu machen, was ihm aber beim Internationalen Militärtribunal in Nürnberg nicht gelang. Die Alliierten wollten den nationalsozialistischen Völkermord an Juden, Sinti und Roma nicht in die formelle Anklage mit einbeziehen. Lemkin wurde aber 1946 von den Vereinten Nationen in die Dreier-Kommission berufen, die mit dem Entwurf einer Völkermord-Konvention beauftragt wurde. Philippe Sands hat ihm in seinem Buch „Rückkehr nach Lemberg„ eine lesenswerte Erinnerung geschaffen.

Im November 2023 hatte Südafrika bereits gemeinsam mit Bangladesch, Bolivien, Djibuti und den Komoren einen Antrag bei der Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) für eine Untersuchung eingereicht, ob Israel in Gaza Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehe. Kürzlich hat sich dem auch Chile angeschlossen und seinen Untersuchungsantrag auf alle besetzten Gebiete erweitert. Es hat zudem einen Haftbe fehl gegen Netanjahu, den Verteidigungsminister Joaw Gallant und den Stabschef der israelischen Armee Herzi Halewi wegen Völkermords beantragt. Bereits im Jahr 2021 hatte die UN-Generalversammlung die Anklagebehörde des IStGH beauftragt, den Überfall Israels auf Gaza im Jahr 2014, die Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebiete und die gezielten Tötungen während des Erinnerungsmarsches 2018 in Gaza an der Grenze zu Israel auf Kriegsverbrechen zu untersuchen. Und schließlich hatte die UN-Generalversammlung am 9. Januar 2023 den IGH beauftragt, die Legalität der israelischen Besatzung zu untersuchen. Doch ist bis jetzt nichts Berichtenswertes geschehen.

Israel war also schon vor der Klage Südafrikas ins Fadenkreuz der internationalen Justiz geraten, ohne dass es sich bislang allzu große Sorgen machen musste. Die USA und die deutsche Staatsräson schirmten sie vor juristischem Ungemach sicher ab. Südafrika konnte mit einer direkten Klage gegen Israel nicht den Weg zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) nehmen, da Israel das Römische Statut nicht unterzeichnet hat. Es hatte aber die Völkermordkonvention unterzeichnet. Südafrika klagt nun vor dem IGH wegen Verletzung der Völkermordkonvention, was eine Klausel der Konvention ermöglicht, nach der alle Streitfälle zwischen Unterzeichnerstaaten über die „Auslegung, Anwendung oder Durchführung„ der Konvention dem IGH vorgelegt werden können. Am 29. Dezember 2023 stellte die Regierung ihre Klageschrift dem Gericht und allen Beteiligten zu, in der sie auf 84 Seiten ein Pandämonium schwerer Verbrechen und Grausamkeiten Israels unter neun Punkten zusammengestellt hat. Die Ausmaße überschreiten alles, was einem in der hiesigen Berichterstattung bisher zugemutet wurde.

Die Klage: Stopp den Krieg

Da es Südafrika jedoch vorerst nicht darum ging, einen Völkermord gerichtlich feststellen zu lassen, sondern den Krieg sofort zu stoppen, stellte es einen Eilantrag mit zahlreichen Unterpunkten, die alle auf ein sofortiges Ende aller Militäraktionen zielen: „In diesem Fall sind vorläufige Maßnahmen erforderlich, um die Rechte des palästinensischen Volkes gemäß der Völkermordkonvention, die weiterhin ungestraft verletzt werden, vor weiterem, schwerem und nicht wiedergutzumachendem Schaden zu schützen„.

Die südafrikanische Delegation war mit zahlreichen Juristinnen und Juristen vor Ort, unter denen wohl John Dugard der Prominenteste ist. Er sieht die Ursachen des Massakers am 7. Oktober und den anschließenden noch furchtbareren Krieg in Gaza weit in der Geschichte des Konfliktes entstanden. Darauf wies auch gleich zu Anfang der Verhandlung der Botschafter in den Niederlande Vuzimu zi Madonsela in seinem Vortrag hin: „Zu Beginn erkennt Südafrika an, dass die völkermörderischen Handlungen und Unterlassungen des Staates Israel‚ unweigerlich Teil eines Kontinuums‘ von illegalen Handlungen sind, die seit 1948 gegen das palästinensische Volk verübt wurden. Der Antrag stellt Israels völkermörderische Handlungen und Unterlassungen in den breiteren Kontext von Israels 75-jähriger Apartheid, 56-jähriger Besatzung und 16-jähriger Belagerung des Gazastreifens – einer Belagerung, die selbst vom Direktor des UNRWA in Gaza als ‚ein stiller Mörder von Menschen‘ bezeichnet wurde.„ Darüber waren wir schon seit Jahrzehnten durch die Berichte der Uno-Sonderberichterstatter von John Dugard über Richard Falk und Virgina Tilley bis Michael Link und Francesca Albanese, in denen sie die Verbrechen Israels im Palästinakonflikt genau dokumentiert haben, genauestens informiert. Was dann aber von den Juristinnen und Juristen in Ergänzung der Klageschrift noch vorgetragen wurde, besticht nicht nur durch die Präzision der Fakten und des Vortrags, sondern macht durch das Ausmaß der Zerstörung und das unvorstellbare Elend, welches hinter den Zahlen und Daten sich kaum verbirgt, sprachlos. Was unserer Vorstellungskraft durch die umfassende Berichterstattung über den Überfall am 7. Oktober an Grausamkeiten zugemutet wurde, wurde durch die Schilderungen in den Plädoyers vor dem Gerichtshof noch weit übertroffen.

So begann die irische Rechtsanwältin Binne Ní Ghrálaigh ihren Vortrag mit einem Zitat des Untergeneralsekretärs für humanitäre Angelegenheiten, Martin Griffith, eine Woche vor Beginn der Verhandlung in Den Haag: „Gaza ist zu einem Ort des Todes und der Verzweiflung geworden. Familien schlafen im Freien, während die Temperaturen sinken. Gebiete, in die die Zivilbevölkerung zu ihrer Sicherheit umgesiedelt werden sollte, werden bombardiert. Medizinische Einrichtungen werden unerbittlich angegriffen. Die wenigen Krankenhäuser, die teilweise noch funktionsfähig sind, sind mit Traumafällen überlastet, haben kaum noch Vorräte und werden von verzweifelten Menschen überschwemmt, die Sicherheit suchen. Eine Katastrophe im Bereich der öffentlichen Gesundheit bahnt sich an. Infektionskrankheiten breiten sich in den überfüllten Unterkünften aus, da die Kanalisation überläuft. Etwa 180 palästinensische Frauen bringen in diesem Chaos täglich ein Kind zur Welt. Die Menschen sind mit der größten Ernährungsunsicherheit konfrontiert, die je verzeichnet wurde. Eine Hungersnot steht vor der Tür. Vor allem für Kinder waren die letzten 12 Wochen traumatisch: Kein Essen. Kein Wasser. Keine Schule. Nichts als die schrecklichen Geräusche des Krieges, tagein, tagaus. Der Gazastreifen ist einfach unbewohnbar geworden. Die Menschen dort sind täglich mit der Bedrohung ihrer Existenz konfrontiert - während die Welt zusieht.“

Mit einer gnadenlosen Statistik fuhr sie zum Beleg dieser Einschätzung fort: „Auf der Grundlage der aktuellen Zahlen werden jeden Tag durchschnittlich 247 Palästinenser getötet oder sind in Gefahr, getötet zu werden, viele von ihnen werden buchstäblich in Stücke gerissen. Darunter sind 48 Mütter pro Tag – zwei pro Stunde – und über 117 Kinder pro Tag, was UNICEF dazu veranlasst, Israels Vorgehen als „Krieg gegen Kinder„ zu bezeichnen. Bei den derzeitigen Raten, die nicht nachzulassen scheinen, werden jeden Tag mehr als drei Mediziner, zwei Lehrer, mehr als ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen und mehr als ein Journalist getötet - viele von ihnen bei der Arbeit oder bei offenbar gezielten Angriffen auf die Häuser ihrer Familien oder die Orte, an denen sie sich aufhalten. Die Gefahr einer Hungersnot wird jeden Tag größer. Jeden Tag werden durchschnittlich 629 Menschen verwundet, einige sogar mehrfach, während sie von Ort zu Ort ziehen und verzweifelt nach Zuflucht suchen. Jeden Tag werden über 10 palästinensischen Kindern ein oder beide Beine amputiert, viele davon ohne Betäubung. Jeden Tag werden nach derzeitigem Stand durchschnittlich 3.900 palästinensische Häuser beschädigt oder zerstört. Es werden mehr Massengräber ausgehoben. Weitere Friedhöfe werden mit Bulldozern und Bomben zerstört und Leichen gewaltsame exhumiert…Jeden Tag werden Krankenwagen, Krankenhäuser und Sanitäter angegriffen und getötet.“

Die Frage, ob das Völkermord ist, spielte dabei zunächst keine Rolle. Sie wird erst nach der vorläufigen Entscheidung des Gerichtshofes am 26. Januar zu beantworten sein. Jetzt plädierte die Anwältin für einen sofortigen Stopp der Waffengewalt, anders könne die sich schon abzeichnende Hungerkatastrophe, sich ausbreitende Seuchen und der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung nicht aufgehalten werden: „Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, in denen ein humanitärer Waffenstillstand gefordert wird, wurden ignoriert. Die Situation könnte nicht dringlicher sein. Allein seit Einleitung dieses Verfahrens am 29. Dezember wurden in Gaza schätzungsweise 1.703 Palästinenser getötet und über 3.252 verletzt.“

Wann die Dringlichkeit der Maßnahmen gegeben ist, ergibt sich aus der Rechtsprechung des IGH, der Dringlichkeit annimmt, wenn die Handlungen, die einen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen können, „jederzeit“ eintreten können, bevor der Gerichtshof eine endgültige Entscheidung in der Sache trifft. Das ist in Gaza zweifellos der Fall. So hat der Gerichtshof in verschiedenen Rechtsfällen, z.B. Georgien gegen Russland, Armenien gegen Aserbeidschan aber auch Katar gegen Vereinigte Arabische Republiken die Dringlichkeit einstweiliger Maßnahmen anerkannt, wenn z.B. hunderttausende von Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden oder die Bevölkerung seit langem einer gefährdeten Situation ausgesetzt ist. Zudem hat der Gerichtshof in drei Fällen, in denen einstweilige Maßnahmen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Völkermordkonvention beantragt wurden – 1993 Bosnien gegen Serbien, 2020 Gambia gegen Myanmar und 2022 Ukraine gegen Russische Föderation – die Anträge für gerechtfertigt gehalten.

Israels Antwort

Israel, welches am zweiten Verhandlungstag seine Verteidigung vortragen konnte, hatte diesen hervorragend dokumentierten Fakten nichts Substantielles entgegenzusetzen – sie sind nicht zu bestreiten. In der Regel hat Israel an solchen Verfahren vor den internationalen Gerichten nicht teilgenommen. Nun aber war die Regierung alarmiert und musste alles unternehmen, damit das Gericht eine einstweilige Verfügung zur Aussetzung der israelischen Militäraktionen in Gaza ablehnt. Schon am 4. Januar 2024 sandte sie ein Telegramm an ihre Botschaften, in dem es hieß: „Eine Entscheidung des Gerichts könnte erhebliche potentielle Auswirkungen haben, die nicht nur die juristische Welt betreffen, sondern auch praktische bilaterale, multilaterale, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Folgen haben.“ Sie wies die Botschaften an, Politiker und Diplomaten auf höchster Ebene zu kontaktieren: „Wir bitten um eine sofortige und unmissverständliche öffentliche Erklärung mit folgendem Inhalt: Öffentlich und klar zu erklären, dass IHR LAND die ungeheuerlichsten, absurden und unbegründeten Anschuldigungen gegen Israel zurückweist,… dass Israel daran arbeitet, die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen zu erhöhen und den Schaden für die Zivilbevölkerung zu minimieren, während es nach dem schrecklichen Angriff vom 7. Oktober durch eine völkermordende Terrororganisation in Selbstverteidigung handelt.“4 Soweit ersichtlich ist sie nur in den USA und der BRD auf positive Resonanz gestoßen, Netanjahu hatte sich sogleich bedankt.

Die israelische Seite ließ es im Prozess an Invektiven gegen die südafrikanische Vertretung als „juristischer Arm einer Terrororganisation“ nicht fehlen. Ihre Strategie baute auf drei schon seit den ersten Tagen des Krieges bekannten Thesen auf: Israel habe ein Recht auf Verteidigung gegen eine Terrororganisation. Nicht Israel wolle einen Völkermord, sondern die Hamas habe ihren Angriff vom 7. Oktober 2023 mit genozidaler Absicht geführt. Da sie nach wie vor die Beseitigung Israels anstrebe, sei die Vernichtung der Hamas notwendig für die Sicherheit Israels. . „Mit seinem Einsatz in Gaza will Israel nicht ein Volk vernichten“, so Tal Becker, der Vertreter der israelischen Verteidigung, „sondern ein Volk schützen, sein Volk, und zwar in Übereinstimmung mit dem Gesetz.“

Die systematischen Angriffe der israelischen Armee auf zivile Infrastruktur wie die Krankenhäuser in Gaza seien gerechtfertigt, da Hamas-Kämpfer sie als Stützpunkte nutzten und die Einrichtungen daher legitime militärische Ziele darstellten. Wenn die israelische Armee dabei in einzelnen Fällen die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzte, werde das ein Fall für die „unabhängige und schlagkräftige Staatsanwaltschaft des Landes sein“, so der britische Jurist Malcolm Shaw. Die Klage Südafrikas sei absurd, unbegründet und verleumderisch („Blutverleumdung“ in Anspielung auf die antisemitische Fälschung der rituellen Opferung christlicher Kinder).

Da es zunächst nur um eine schnelle Entscheidung für vorläufige Maßnahmen zur „sofortigen Einstellung aller militärischer Operationen im und gegen den Gazastreifen“ ging, hatte sich der Gerichtshof nur mit der aktuellen Situation im Gazastreifen und der Prognose für die unmittelbare Zukunft zu beschäftigen, d.h. der Plausibilität eines Völkermordes bei Fortdauer des Krieges. Ministerpräsident Netanjahu ließ währenddessen völlig unbeeindruckt keinen Zweifel daran, dass er den Krieg bis zur endgültigen Vernichtung der Hamas führen werde. Die Führung der Hamas wiederum signalisierte, dass sie den Gazastreifen nicht freiwillig verlassen, sondern bis zum Sieg kämpfen werde. Also konnte sich der Gerichtshof nicht um eine Entscheidung herumdrücken. Er musste seine Entscheidung bis spätestens 6. Februar finden, da dann einige Richter ausschieden und durch neue ersetzt wurden. Unter ihnen die US-amerikanische Vorsitzende des Gerichtshofs Joan E. Donoghue und der russische Richter Kirill Gevorgian als stellvertretender Vorsitzender.

Doch so eindeutig die von dem südafrikanischen Juristenteam vorgetragenen Fakten des Elends, des Hungers und des Massensterbens ohne Aussicht auf ein Ende des Krieges auch für eine positive Antwort auf die Klage sprechen, war die Entscheidung durchaus nicht sicher. Denn sie ist politisch, moralisch und nicht juristisch. Alle Richter und Richterinnen werden von ihren Ländern sorgfältig geprüft und ausgewählt, bevor sie in die Bewerbung um einen Sitz im Gericht geschickt werden, was für Deutschland gerade schief gegangen ist. Drei Mitgliedern aus den NATO-Staaten USA, Frankreich und Deutschland, die gesichert für Israel und gegen den Antrag stimmen würden, standen mit der VR China, Russland, Indien und Brasilien Länder gegenüber, die eher für den Antrag ihres Mitgliedes im BRICS stimmen könnten. Australien, Japan, Marokko, Uganda und Jamaika fühlen sich den NATO-Staaten verbunden. Allein die Richter aus den übrigen Staaten, Somalia, Slowakei und Libanon könnten eher für Palästina votieren. Doch schließlich lösten sich die Spekulationen in einem großen Kompromiss auf: Dem Antrag auf Waffenstillstand wurde nicht entsprochen, Israels Kriegsführung aber derart umfangreiche Auflagen gemacht, dass deren Erfüllung nur möglich erscheint, wenn die Waffen schweigen.

Die Entscheidung

Genau zwei Wochen haben die 17 Richterinnen und Richter des Internationalen Gerichtshofes über die Klage Südafrikas gegen Israel beraten, dann haben sie am 26. Januar 2024 entschieden: Sie haben der israelischen Regierung und Armee die Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention von 1948 zur Vermeidung eines Völkermordes vorgehalten, die Israel bereits mit seinem Beitritt zur Konvention im selben Jahr verbindlich anerkannt hat – mehr nicht. Das Ende der Kriegshandlungen, die Südafrika gefordert hatte, haben sie nicht verfügt. Noch am 15. Januar hatte auch Generalsekretär Antonio Guterrez einen sofortigen Waffenstillstand gefordert. Dem wollte sich das Gericht offensichtlich nicht anschließen. Es gibt auch kein Minderheitsvotum, welches einen Waffenstillstand fordert. Das kommt nicht unerwartet, ist aber enttäuschend für die Menschen in Gaza.

Der Vorwurf des Völkermordes, den Südafrika zur Anklage gemacht hatte, stand nicht zur Beratung an. Das wird erst in den folgenden Jahren das Gremium beschäftigen und kann lange dauern. Es erkannte aber an, dass „zumindest einige der von Israel im Gazastreifen begangenen Handlungen und Unterlassungen unter die Bestimmungen der Völkermordkonvention zu fallen scheinen,“ also ein Völkermord bei Fortdauer der Kampfhandlungen plausibel sei. Daher, so das Gericht, muss Israel alle Maßnahmen ergreifen, um einen Völkermord in Gaza zu verhindern und sicherstellen, dass sein Militär keine völkermörderischen Handlungen begeht. Es muss die Aufstachelung und Anstiftung zum Völkermord verhindern und bestrafen und die Vernichtung von Beweismaterial unterbinden. Außerdem muss es die katastrophalen Lebensbedingungen im Gazastreifen beseitigen und humanitäre Hilfe zulassen. Innerhalb eines Monats muss Israel einen Bericht über alle Maßnahmen vorlegen, die zur Umsetzung dieser Anordnung ergriffen wurden. Südafrika hat die Möglichkeit, auf diesen Bericht zu reagieren.

Diese Entscheidung wird überwiegend als Sieg Südafrikas und des Völkerrechts begrüßt, als „Weckruf für Israel“ oder „Ohrfeige für Netanjahu“, auch als „eine wichtige Erinnerung daran, dass kein Staat über dem Gesetz steht“, wie es der palästinensische Außenminister Riad Maliki formulierte. Doch bleibt zu fragen, was die Menschen in Gaza davon haben. Für sie hat Israel spätestens seit 1967 immer über dem Gesetz gestanden und nie auf Weckrufe oder Netanjahu auf Ohrfeigen reagiert. Israel brauchte nicht zu reagieren, weil die USA und auch Deutschland allen Regierungen in Jerusalem den Rücken freihielten. Netanjahu hat nie daran Zweifel aufkommen lassen, dass er sein Ziel, die Hamas zu vernichten, bis ans Ende verfolgen werde. Den Preis, den die Menschen in Gaza bisher haben zahlen müssen, war dem Gericht bekannt. Es hat die detaillierten Fakten des Grauens, welche Südafrika in seiner Klage vorgelegt hat, nicht in Zweifel gezogen.

Alle Hoffnungen, die sich mit dieser Entscheidung auf eine Einsicht Israels richten und den Einstieg in einen Pfad zum Frieden am Horizont sehen, sind ebenso zweifelhaft wie unrealistisch, wie die vergangenen Hoffnungen nach den zahlreichen Friedenskonferenzen nach Oslo 1993. Schon zwei Tage nach der Entscheidung meldete Gaza wieder 200 Tote. Netanjahu braucht nur auf die Reaktion Russlands auf die Entscheidung des IGH vom 17. März 2022 zu verweisen, als das Gericht den sofortigen Stopp der russischen Invasion in die Ukraine verfügte. Russland hat sich nicht darum gekümmert, warum sollte Israel jetzt dem IGH folgen?

Ist den Richterinnen und Richtern diese nach nur drei Wochen Verhandlung getroffene klare Entscheidung im März 2022 ganz aus dem Gedächtnis verschwunden? In diesem seit Jahrzehnten schwelenden Krieg in Palästina ist keine der beteiligten Regierungen ohne Doppelmoral ausgekommen. Und jetzt muss sich auch der IGH diesen Vorwurf gefallen lassen – die Situation am 17. März 2022 war nicht entfernt so dramatisch, katastrophal und verzweifelt wie am 26. Januar 2024. Die UNO-Sonderberichterstatterin für Palästina Francesca Albanese, die bereits einen äußerst kritischen Bericht über die Situation der Menschenrechte in den von Israel besetzten Gebieten geschrieben hatte, war die einzige Stimme bisher, der diese Doppelmoral aufgefallen ist.

Man könnte nun argumentieren, welchen Nutzen hätte eine verbindliche Entscheidung für einen sofortigen Waffenstillstand gehabt, wenn feststeht, dass Israel sie doch nicht befolgen würde? Sie wäre dennoch äußerst wichtig gewesen. In diesem Fall könnte Bundeskanzler Scholz z.B. sich nicht mehr auf seine feste Überzeugung stützen, dass Israel die Regeln des humanitären Völkerrechts befolgen werde, Deutschland also weiterhin Waffen in den Krieg liefern könne. Gegen eine auch für Drittstaaten verbindliche Entscheidung zu handeln, muss ernsthaft überlegt werden – die BRD sind nicht die USA, die sich ohnehin wenig um das Völkerrecht kümmern.

Dem Urteil sind insgesamt fünf Erklärungen aus dem Richterkollegium zu ihrem Abstimmungsverhalten abgegeben worden:

Richterin Julia Sebutinde aus Uganda hat in einer längeren abweichenden Erklärung ihre Ablehnung der Entscheidung damit begründet, dass es sich um einen politischen Konflikt zwischen Südafrika und Israel handele, der nicht vor den IGH gehöre.

Der israelische Richter ad hoc Aharon Barak, der ebenso wie der südafrikanische Richter zusätzlich zu dem 15-köpfigen Richtergremium adoptiert wurde, da die Streitparteien auf der Richterbank repräsentiert sein müssen, stimmte der Entscheidung in zwei Punkten zu: der Auflage, jede Anstachelung zum Völkermord zu verbieten und für die verstärkte Lieferung humanitärer Hilfe zu sorgen. Alle anderen Maßnahmen lehnte er ab. Hier folgte er dem Vorbringen der Vertretung Israels im Prozess.

Richterin Xue Hanqin aus der VR China begründete ihre Zustimmung zu der Entscheidung damit, dass sie sich der Klage Äthiopiens und Liberias gegen Südafrika im Jahr 1960 wegen dessen Mandats über Südwestafrika erinnere, die damals vom Gericht wegen fehlender Klagebefugnis abgewiesen wurde. Inzwischen habe sich aber das Völkerrecht so entscheidend weiterentwickelt, dass die Aktivlegitimation auf der Basis der Völkermordkonvention bejaht werden müsse.

Richter Dalveer Bhandari aus Indien begründete seine Zustimmung damit, dass es sich nur um provisorische Maßnahmen handele, die keine definitive Feststellung eines Völkermordes erforderten, sondern nur dessen Plausibilität. Die aber sei gegeben.

Von dieser Plausibilität ist jedoch der deutsche Richter Georg Nolte nicht vollkommen überzeugt. Er stimme dennoch der Entscheidung für vorläufige Maßnahmen zu, da es sich in der Tat um eine existentielle Gefährdung der Palästinenser im Gazastreifen handele.

Nach dieser Entscheidung des IGH, die den Krieg weiterlaufen lässt, werden weder die Bundesregierung noch die US-Administration sich gezwungen sehen, ihre Waffenlieferungen zur „unverbrüchlichen Unterstützung für das Existenzrecht Israels“ aufzugeben. Sie werden sich im Gegenteil legitimiert sehen, da kein Waffenstillstand verfügt worden ist. Es bleibt die Anrufung des UN-Sicherheitsrats, wenn Israel seinen Bericht nach einem Monat abgegeben haben wird, aber sich faktisch nicht viel verändert hat. Unmittelbar nach dem Urteil verkündete Israel bereits, dass es den Schwerpunkt seiner Kämpfe weiter in den Süden nach Rafah an der ägyptischen Grenze ausweiten werde, wo über 1,3 Mio. Menschen Zuflucht vor den Angriffen der israelischen Armee gesucht haben. Kein Wort dazu, welche Maßnahmen Regierung und Militär nun unternehmen wollen, um den Auflagen des IGH gerecht zu werden. Im UN-Sicherheitsrat werden die USA jedoch aller Voraussicht nach alle Entscheidungen gegen Israel – z.B. für einen Waffenstillstand, weil die Auflagen des IGH nur bei Schweigen der Waffen erfüllt werden können – mit ihrem Veto abblocken. Eine weitere Entscheidung in der UN-Generalversammlung, die wahrscheinlich mit großer Mehrheit für einen Waffenstillstand votieren wird, ist jedoch unverbindlich – und der Krieg geht immer noch weiter.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, heißt ein Satz. Dies aber war kein Tag, der den Menschen in Gaza Hoffnung machen konnte. Die Todeszahlen steigen auch nach der Entscheidung des IGH unvermindert, die mangelnde Versorgung der überlebenden Bevölkerung hat sich zu einer Hungersnot mit steigenden Krankenzahlen bei vollkommen unzureichender Versorgung ausgeweitet. Netanjahu wiederholt unbeeindruckt sein Ziel, die Hamas zu vernichten und lässt den Süden des Gazastreifens Tag ein Tag aus bombardieren, den er zuvor den Bewohnern von Gaza-City als Flucht- und Rückzugsgebiet aufgezwungen hat, um die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Und die Schutzmächte Israels, USA und BRD, begnügen sich mit Mahnungen zur Mäßigung und Beachtung des humanitären Völkerrechts, deren Nutzlosigkeit sie nun seit über 100 Tagen sehen konnten. Die Richterinnen und Richter aber müssen sich fragen lassen, warum sie dem Antrag Südafrikas auf einen Waffenstillstand nicht gefolgt sind, wenn sie zugleich Auflagen der israelischen Kriegsführung vorgeschrieben haben, die realistischer Weise nicht erfüllt werden können, wenn die Waffen nicht schweigen.

Ausblick: Wie weiter?

Trotz dieses skeptischen Ausblicks, sollten einige Entwicklungen, die diese Klage und das Verfahren vor dem IGH deutlich gemacht haben, nicht unterschätzt werden. Die Dokumente, die Südafrika hier vorgelegt hat, stellen den Gaza-Krieg in einen weiteren historischen Zusammenhang und machen damit deutlich, „dass Israel die Palästinenser für viele Jahre wie Tiere in Käfigen behandelt hat“, wie John Mearsheimer schreibt.5 Das, was nach dem 7. Oktober geschah, sei nur die extremere Version dessen, was sie all die Jahre davor getan hätten. Vieles dieser grausamen Behandlung war spätestens seit dem Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 bekannt. Was diese Anklage aber so brisant und wichtig macht ist, dass sie „alle Fakten auf einen Platz zusammenbringt und damit eine allumfassende und sorgfältig belegte Beschreibung des Völkermordes durch Israel liefert“.

Die Anklage präsentiert der internationalen Öffentlichkeit jedoch nicht nur das absolute politische und moralische Desaster eines Staates, der seine ganze Legitimation selbst aus einem Völkermord, dem Holocaust, schöpft. Sie dokumentiert auch den Absturz all der politischen und moralischen Wertansprüche der Freunde Israels – insbesondere der USA und BRD -, das Scheitern einer bedingungslosen Unterstützung bis in den moralischen Untergang. Der Schaden für das Ansehen in der nichteuropäischen Welt ist jetzt schon spürbar. Was Mearsheimer für die USA feststellt: „Bidens Name – und Amerikas Name – werden für immer mit dem verbunden sein, was wahrscheinlich einer der Lehrbuchfälle eines versuchten Völkermords wird“, das kann man auch auf die Bundesregierung und Deutschland übertragen. Sie kann sich von der Verantwortung für diese Katastrophe sowohl für die palästinensische wie auch die israelische Gesellschaft nicht freisprechen.

In den USA hatte das Center for Constitutional Rights (CCR) schon am 13. November 2023 im Namen der palästinensischen Menschenrechtsorganisationen „Defense for Children International-Palestine“ (DCI-P) und Al Haq Klage gegen US-Präsident Joe Biden vor dem US District Court of Northern Carolina wegen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention und das völkergewohnheitsrechtliche Verbot des Völkermords erhoben. Tage später verlangten die Kläger in einer Eilentscheidung Biden, Blinken und Austin zu verbieten, Israel weiterhin Geld und Waffen zu liefern sowie militärisch und diplomatisch seinen Völkermord zu unterstützen. Bei einem Hearing am 26. Januar 2024 mit weiteren Zeugenaussagen war die Strategie des US-Justizministeriums bemerkenswert, dessen Vertreter den Vorwurf des Völkermordes durch Israel ebenso wenig bestritten wie den Vorwurf an die US-Regierung, dass ihre Unterstützung den Völkermord gefördert habe. Sie beschränkten sich darauf, die Klagebefugnis zu bestreiten, da es sich hier um eine „politische Frage“ handele. Mit dieser formalen Begründung hatte schon die Richterin Sebutinde ihre Unterschrift unter die Entscheidung des IGH verweigert. Doch am 31. Januar wies Richter White mit eben dieser Begründung einer nichtjustitiablen „politischen Frage“ die Klage ab. Wie schwer er sich mit dieser Entscheidung getan hat, machte er mit der Bemerkung deutlich, dass dies einer der „seltenen“ Fälle sei, wo „das bevorzugte Ergebnis für das Gericht unerreichbar“ war. „Die andauernde militärische Besatzung in Gaza zielt darauf ab, ein ganzes Volk auszulöschen und fällt deshalb höchstwahrscheinlich unter das internationale Verbot des Völkermordes…das Gericht bittet daher die Angeklagten flehentlich, die Folgen ihrer unermüdlichen Unterstützung der militärischen Besatzung gegen die Palästinenser in Gaza zu studieren.“6 Die „political question“ Doktrin schützt in der Tat die Regierung weitgehend vor Eingriffen der Justiz in ihr Arkanum. Beide Prozesse, in Den Haag wie in Northern Carolina, zeigen jedoch, wie umstritten und unbefriedigend die Grenzen der auferlegten Zurückhaltung sind.

Anders in den Niederlanden, wo jüngst ein Gericht der Regierung die Lieferung von Ersatzteilen für den israelischen F-35-Kampfjets untersagte. Drei internationale NGO, unter ihnen auch Oxfam Novib, hatten gegen die Lieferung mit dem Hinweis auf den aktuellen Krieg im Gazastreifen und die rücksichtslose Kriegsführung der israelischen Armee mit unverhältnismäßig vielen Opfern geklagt. Das Gericht folgte dem Antrag und stellte fest,„ dass eindeutig die Gefahr besteht, dass die israelischen F-35-Kampfjets für schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht eingesetzt werden könnten. Israel trägt den Folgen seiner Angriffe für die Zivilbevölkerung nicht ausreichend Rechnung. Die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen haben zu einer unverhältnismäßig hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt, darunter Tausende von Kindern. Die Niederlande sind Vertragspartei mehrerer internationaler Regelungen, die besagen, dass die Niederlande verpflichtet sind, die Ausfuhr von Rüstungsgütern zu verhindern, wenn ein eindeutiges Risiko schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht besteht. Dies bedeutet, dass die Ausfuhr von F-35-Teilen aus den Niederlanden nach Israel gestoppt werden muss.“7 Die Entscheidung des IGH kurz zuvor am selben Ort wird bestimmt für diese Entscheidung hilfreich gewesen sein.

Der Prozess in Den Haag könnte schließlich eine notwendige politische Entwicklung fördern. Er hat jetzt noch viel deutlicher gemacht, dass, wie auch immer das Urteil über den Vorwurf des Völkermords aussehen wird, der Frieden zwischen den Völkern nur durch die Beendigung der Besatzung, den Rückzug der israelischen Armee und der Siedler, die nicht in einem palästinensischen Staat leben wollen, und die Anerkennung eines palästinensischen Staates in klar definierten und gesicherten Grenzen erreicht werden kann. Wenn der IGH mit seiner Entscheidung und dem weiteren Verfahren diesem Ziel den Weg gebahnt hat, gebührt der Dank der Regierung Südafrikas, die mit ihrer Klage den Internationalen Gerichtshof eingeschaltet hat.

Hamburg, 13. Februar 2024

Norman Paech

Richter am Internationalen Gerichtshof

Der IGH, auch als Weltgerichtshof bekannt, ist das höchste Rechtsorgan der Vereinten Nationen. Das Gericht, das aus 15 Richtern besteht, wird den Fall Südafrikas beurteilen - die Frage, ob Israels Militäroperation im Gazastreifen einen Akt des Völkermords im Sinne der UN-Konvention darstellt.

Die Richter werden für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt. Vier neue Richter werden ihr Amt am 6. Februar 2024 antreten.

Südafrika wird durch den ehemaligen stellvertretenden Obersten Richter Dikgang Moseneke vertreten, während Israel durch den ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Aharon Barak repräsentiert wird.

Quelle: IGH

Die Regierung von Südafrika wird repräsentiert von:

HE Mr Vusimuzi Madonsela. Botschafter der Republik Südafrika in den Niederlanden,

Als Agent: Mr Cornelius Scholz, Legal Counsellor der Republik Südafrika in den Niederlanden,

Als Co-Agent: HE Mr Ronald Lamola, Justizministerin und Correctional Services der Republik Südafrika,

Ms Nokukhanya Jele, Special Adviser des Präsidenten von Südafrika,

Ms Phindile Baleni, Generaldirektorin des Präsidenten der Republik Südafrika,

Mr Zane Dangor, Generaldirektor des Ministeriums für Internationale Beziehungen und Kooperation der Republik Südafrika

Mr Doctor Mashabane, Generaldirektor des Justizministeriums und Constitutional Development

Als Nationale Autorität:

Mr John Dugard, SC, Anwalt des Obersten Gerichts von Südafrika, Emeritus Professor, Leiden Universität, Emeritus Professor, Witwaterstrand Universität, früheres Mitglied der internationalen Rechts Kommission, Mitglied des Instituts de droit international, Mr. Vaugham Lowe, KC, Barrister, Emeritus Chichele Professor für Internationales öffentliches Recht der Universität Oxford, Mitglied des Instituts de droit international, Essex Court Chambers, Mitglied des Bar of England und Wales, Mr Max du Plessis, SC, Advocate of the Hight Court of South Afrika, Ubunye Chambers, member of the Society of Advocates of KwaZulu-Natal; Barrister, Doughty Street Chambers, member of the Bar of England and Wales, Professor Adjunct, Nelson Mandela University and University of Cape Town. Mr Tembeka Ngeukaitobi, SC, Advocate of the Hight Court of South Afrika, Duma Nokwe Group, Foundation Chambers, member of the Johannesburg Society of Advocates and the Pan African Bar Association of South Africa. Ms Adila Hassim, SC, Advocate of the Hight Court of South Africa, Thulamela Chambers, member of the Johannesburg Society of Advocates.

Ms Blinne Ni Ghrálaigh, KC, Barrister, Matrix Chambers, member of the Bar of Ireland, Northern Ireland, and England and Wales.

Als Berater und Anwälte

Ms Sarah Pudifin-Jones, Advocate of the Hight Court of South Africa, UbunyeChambers, member of the Society of Advocates of KwaZulu-Natal.

Ms Lerato Zikalata, Advocate of the Hight Court of South Africa, Group 621 Chambers, member of the Johannesburg Society of Advocates.

Mr Tshidiso Ramogale, Advocate of the Hight Court of South Africa Group 621 Chambers, member of the Johannesburg Society of Advocates and the

Pan African Bar Association of South Africa.

Als Berater:

Mr Andre Stemmet, Acting Chief State Law Adviser (International Law), Department of International Relations and Cooperation of the Republik of South Afrika.

Ms Romi Brammer, State Law Adviser (International Law), Department of International Relations and Cooperation of the Republik of South Afrika.

Mr Moses Mokoena, State Law Adviser (International Law), Department of International Relations and Cooperation of the Republik of South Afrika.

Als stellvertretende Rechtsberaterinnen:

Ms Rebecca Brown,

Ms Susan Power,

Ms Helena Van Roosbrock,

Als Berater:

HE Mr Ammar Hijszi, Assistant Foreign Minister for Multilateral Affairs of the State of Palestine,

HE Mr Omar Awadallah, Assistant Foreign Minister for the United Nations and its Spezialized Agencies of the State of Palestine.

Mr Raji Sourani, Director, Palestine Centre for Human Rights,

Mr Issam Younis, Director, Al-Mezan,

Mr Shawan Jabreen, General Director, Al-Haq,

Ms Varsha Gandikota-Nellluta, Co-General Coordinator, Progeressiv International,

Ms Hada Wilhaidi Mison,

Ms Shehada Andalib,

Mitglieder der Delegation:

Ms Mamosala Moutlane,

Ms Letje Dugard-Barbasd,

as Assistants to the Delegation

Mr G. Hicks,

Mr V.C.Ravhura,

Mr O. Nchabeneng,

Mr. M. Haffejee,

as Security Officers.

Die Regierung des Staates Israel wird repräsentiert von:

Mr. Gilad Noam, Deputy Attorney, General for International Law, Ministry of Justice of the Staate of Israel,

Mr Tal Becker, Legal Adviser. Ministry of Foreign Affairs of the State of Israel,

Ms Tamar Kaplan Tourgeman, Principal Deputy Legal Adviser of the Ministry of Foreign Affairs of the State of Israel,

Als Co-Vertreter:

Ms Avigail Frisch Ben Avraham, Legal Adviser, Embassy of Israel in the Kingdom of the Netherland,

Als stellvertretender Beauftragter:

HE Mr Modi Moshe Ephraim, Ambassador of the State of Israel Ministry in the Kingdom of the Netherlands

Mr Yaron Wax, Deputy Head of Mission, Embassy of Israel in the Kingdom of the Netherlands

Als Nationale Autorität:

Mr Malcolm Shaw, KC, Emeritus Sir Robert Jennings Profgessor of International Law, University of Leicester; associate member of the Institut de droit international, member of the Bar of England and Wales,

Mr Christopher Staker, 39 Essex Chambers, member of the Bar of England and Wales,

Mr Omri Sender, Attorney at Law, S. Horowitz & Co. Tel Aviv,

Ms Galit Raguan, Director of the International Justice Division, Office of the

Deputy Attorney General for International Law, Ministry of Justice of the State of Israel

Als Anwälte und Verteidiger:

MrEyal Benvenisti, Wheweil Professor of International Law, University of Chambridge, Fellow and former Director, Lauterpacht Centre for International Law, member of the Institut de droit international and of the Israel Academy of Sciences and Humanities,

Mr Daniel Geron, Senior Director of Global Justice Policy, National Security Council, Office of the Prime Minister of the State of Israel,

Mr Amit Heumann, Director of the International Law Department, Office of the Legal Adviser, Ministry of the Foreign Affairs of the Strate of Israel,

As Ratsmitglieder:

Ms Maya Freund, Legal Counsel, Office of the Deputy Attorney General for International Law, Ministry of Justice of the State of Israel,

Mr Nitai Ginio, Legal Council, Office of the Deputy Attorney General for the International Law, Ministry of Justice of the State of Israel,

Ms Danielle Flicker, Advisoer to the Attorney General, Ministry of Justice of the State of Israel,

Als stellvertretende Ratsmitglieder:

Mr Dvir Saar,

Ms Tal Eytan,

Mr Eran Shamir-Borer,

Mr Ben Wallhaus

Klageschrift der Republik Südafrika an den Internationalen Gerichtshof zur Einleitung eines Verfahrens gegen den Staat Israel – eingereicht am Fr, 29.12.2023, 12:00 Uhr

Die von der Regierung der Republik Südafrika ordnungsgemäß bevollmächtigten Unterzeichneten erklären gegenüber dem Kanzler des Internationalen Gerichtshofs folgendes:

Ich beehre mich, gemäß Artikel 36 Absatz und Artikel 40 der Satzung des Gerichtshofs sowie Artikel 38 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die vorliegende Klageschrift einzureichen, mit der ich im Namen der Republik Südafrika („Südafrika“) ein Verfahren gegen den Staat Israel („Israel“) einleite. Gemäß Artikel 4 der Satzung enthält die Klageschrift einen Antrag an den Gerichtshof, einstweilige Maßnahmen anzuordnen, um die hierin geltend gemachten Rechte vor einem drohenden und nicht wieder gutzumachenden Verlust zu schützen.

I. Einführung

1. Dieser Antrag bezieht sich auf Handlungen, die die israelische Regierung und das Militär des Staates Israel im Anschluss an die Angriffe auf Israel am 7.Oktober 2023 gegen das palästinensische Volk angedroht, beschlossen, geduldet und unternommen hat und weiterhin unternimmt. Das palästinensische Volk ist eine eigenständige nationale, rassische und ethnische Gruppe. Südafrika verurteilt unmissverständlich alle Verstöße gegen das Völkerrecht durch alle Parteien, einschließlich der direkten Angriffe auf israelische Zivilisten und andere Staatsangehörige sowie die Geiselnahmen durch die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen. Verstöße gegen die Konvention von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkerrechts („Völkermordkonvention“ oder „Konvention“) sind weder gesetzlich noch moralisch gerechtfertigt, selbst wenn ein schwerwiegender Angriff auf das Hoheitsgebiet eines Staates erfolgte und Gräueltaten begangen wurden. Die von Südafrika beanstandeten Handlungen und Unterlassungen Israels haben den Charakter des Völkermords, weil sie darauf abzielen, einen wesentlichen Teil der nationalen, rassischen und ethnischen Gruppe der Palästinenser, nämlich den Teil der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen („Palästinenser in Gaza“), zu vernichten. Die fraglichen Handlungen umfassen das Töten von Palästinensern im Gazastreifen, das Verursachen schwerer körperlicher und seelischer Schäden und das Auferlegen von Lebensbedingungen, die auf die physische Vernichtung der Palästinenser im Gazastreifen abzielen. Die Handlungen sind alle Israel zuzuschreiben, das es versäumt hat, Völkermord zu verhindern und unter offenkundiger Verletzung der Völkermordkonvention Völkermord begeht. Auch gegen seine anderen grundlegenden Verpflichtungen im Rahmen der Völkermordkonvention hat Israel verstoßen und Israel verstößt weiterhin dagegen, unter anderem dadurch, dass es die direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord durch hochrangige israelische Beamte und andere nicht verhindert oder bestraft.

2. Bei der Vorbereitung dieses Antrags hat Südafrika den Bestimmungen der Völkermordkonvention, ihrer Auslegung und ihrer Anwendung in den Jahren nach ihrem Inkrafttreten am 12. Januar 1951 sowie der Rechtsprechung dieses Gerichtshofs und anderer internationaler Gerichtshöfe, einschließlich des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda und des Internationalen Strafgerichtshofs, große Aufmerksamkeit geschenkt. Südafrika ist sich der Tatsache bewusst, dass Völkermord sich von anderen Verstößen gegen das Völkerrecht unterscheidet, die von der israelischen Regierung und dem israelischen Militär im Gazastreifen sanktioniert oder begangen wurden – einschließlich gezielter Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf zivile Objekte und Gebäude, die der Religion, der Bildung, der Kunst, der Wissenschaft, historischen Denkmälern, Krankenhäusern und Sammelstellen für Kranke und Verwundete gewidmet sind, Folter, das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung und andere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit –, auch wenn oft ein enger Zusammenhang zwischen all diesen Handlungen besteht. Südafrika ist sich auch bewusst, dass Völkermord unweigerlich Teil eines Kontinuums ist – wie Raphaël Lemkin, der den Begriff „Völkermord“ geprägt hat, selbst erkannt hat.2

Aus diesem Grund ist es wichtig, die völkermörderischen Handlungen in den breiteren Kontext des Verhaltens Israels gegenüber den Palästinensern während seiner 75-jährigen Apartheid, seiner 56-jährigen kriegerischen Besetzung palästinensischer Gebiete und seiner 16-jährigen Blockade des Gazastreifens zu stellen, einschließlich der damit verbundenen schwerwiegenden und andauernden Verletzungen des Völkerrechts, einschließlich schwerer Verstöße gegen die Vierte Genfer Konvention,3 und anderer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wenn jedoch in diesem Antrag auf Handlungen und Unterlassungen Israels Bezug genommen wird, die auf andere Verletzungen des Völkerrechts hinauslaufen können, so sind diese Handlungen und Unterlassungen nach Ansicht Südafrikas völkermörderischer Natur, da sie mit der erforderlichen spezifischen Absicht (do- lus specialis) begangen werden, die Palästinenser in Gaza als Teil der breiteren palästinensischen nationalen, rassischen und ethnischen Gruppe zu vernichten.

3. Südafrika ist sich der besonderen Verantwortung bewusst, die mit der Einleitung eines Verfahrens gegen Israel wegen Verstößen gegen die Völkermordkonvention verbunden ist. Südafrika ist sich jedoch auch seiner eigenen Verpflichtung – als Vertragsstaat der Völkermordkonvention – bewusst, Völkermord zu verhindern. Israels Handlungen und Unterlassungen in Bezug auf die Palästinenser verstoßen gegen die Völkermordkonvention. Dies ist auch die Ansicht zahlreicher anderer Vertragsstaaten der Konvention, einschließlich des Staates Palästina selbst, der die „Führer der Welt“ aufgefordert hat, „Verantwortung zu übernehmen ..., um den Völkermord an unserem Volk zu beenden“.4 Experten der Vereinten Nationen haben seit über 10 Wochen wiederholt „Alarm geschlagen“, dass „angesichts der Erklärungen der politischen Führer Israels und ihrer Verbündeten, begleitet von Militäraktionen im Gazastreifen und einer Eskalation der Verhaftungen und Tötungen im Westjordanland“ die „Gefahr eines Völkermords am palästinensischen Volk“ besteht.5 Auch die Experten der Ver einten Nationen haben ihre „tiefe Besorgnis“ über das „Versagen des internationalen Systems bei der Mobilisierung zur Verhinderung eines Völkermords“ an den Palästinensern zum Ausdruck gebracht und die „internationale Gemeinschaft“ aufgefordert, „alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Gefahr eines Völkermords am palästinensischen Volk unverzüglich zu beenden“.6 Der Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung („CERD“) hat im Rahmen seines „Frühwarn- und Dringlichkeitsverfahrens“ ebenfalls „alle Vertragsstaaten“ der Völkermordkonvention aufgefordert, ihrer „Verpflichtung zur Verhinderung von Völkermord“ „in vollem Umfang nachzukommen“. 7 Der vorliegende Antrag Südafrikas und sein Ersuchen um Erlass vorläufiger Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang und im Lichte dieser Aufforderungen zu prüfen. Er erfolgt vor dem Hintergrund des außenpolitischen Ziels Südafrikas, einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und dem Staat Palästina zu erreichen, in dem zwei Staaten innerhalb international anerkannter Grenzen nebeneinander bestehen, die auf den am 14. Juni 1967 vor Ausbruch des arabisch-israelischen Krieges von 1967 bestehenden Grenzen beruhen und im Einklang mit allen einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen und dem Völkerrecht stehen.

4. Die Tatsachen, auf die sich Südafrika in diesem Antrag beruft und die in diesem Verfahren weiter ausgeführt werden sollen, belegen, dass Israel – vor dem Hintergrund von Apartheid, Vertreibung, ethnischer Säuberung, Annexion, Besatzung, Diskriminierung und der anhaltenden Verweigerung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung – insbesondere seit dem 7. Oktober 2023 versäumt hat, Völkermord zu verhindern und die direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord zu verfolgen. Noch schwerwiegender ist, dass Israel Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen verübt hat, verübt und weiterhin zu verüben droht. Zu diesen Handlungen gehören die Tötung der Palästinenser, die Verursachung schwerer psychischer und körperlicher Schäden und die vorsätzliche Verhängung von Lebensbedingungen, die auf die physische Zerstörung der Gruppe abzielen. Wiederholte Äußerungen von Vertretern des israelischen Staates, auch auf höchster Ebene, durch den israelischen Präsidenten, den Premierminister und den Verteidigungsminister, bringen die Absicht des Völkermords zum Ausdruck. Diese Absicht ist auch aus der Art und der Durchführung der israelischen Militäroperation im Gazastreifen abzuleiten, u. a. in Anbetracht der Tatsache, dass Israel es versäumt hat, dem be- lagerten und blockierten palästinensischen Volk lebenswichtige Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente, Treibstoff, Unterkünfte und andere humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen oder zu gewährleisten, was es an den Rand einer Hungersnot gebracht hat. Dies geht auch aus der Art, dem Umfang und dem Ausmaß der israelischen Militärangriffe auf den Gazastreifen hervor, bei denen seit mehr als Wochen eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt bombardiert wird, wodurch 1,9 Millionen Menschen oder 85 % der Bevölkerung des Gazastreifens aus ihren Häusern evakuiert und in immer kleinere Gebiete ohne angemessene Unterkünfte getrieben werden, in denen sie weiterhin angegriffen, getötet und geschädigt werden. Israel hat inzwischen mehr als 21.000 namentlich genannte Palästinenser getötet, darunter mehr als 7.729 Kinder – mehr als 7.780 weitere werden vermisst und liegen vermutlich tot unter den Trümmern – und hat mehr als 55.243 weitere Palästinenser verletzt und ihnen schwere körperliche und geistige Schäden zugefügt. Darüber hinaus hat Israel weite Teile des Gazastreifens verwüstet, darunter ganze Stadtviertel, und mehr als 355.000 palästinensische Wohneinheiten beschädigt oder zerstört, dazu weite Teile landwirtschaftlicher Nutzflächen, Bäckereien, Schulen, Universitäten, Unternehmen, Gotteshäuser, Friedhöfe, kulturelle und archäologische Stätten, städtische und gerichtliche Gebäude sowie wichtige Infrastrukturen wie Wasser- und Abwasseranlagen und Stromnetze, während es gleichzeitig einen unerbittlichen Angriff auf das palästinensische medizinische und Gesundheitssystem unternahm. Israel hat den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt, seine Bevölkerung getötet, geschädigt und zerstört und Lebensbedingungen geschaffen, die auf die physische Zerstörung der Palästinenser als Gruppe abzielen, und tut dies auch weiterhin.

5. Südafrika, das sich des jus cogens-Charakters des Verbots von Völkermord und des erga omnes- und erga omnes partes-Charakters der von den Staaten im Rahmen der Völkermordkonvention eingegangenen Verpflichtungen bewusst ist, stellt den vorliegenden Antrag, um die Verantwortung Israels für Verstöße gegen die Völkermordkonvention festzustellen, das Land nach dem Völkerrecht für diese Verstöße in vollem Umfang zur Rechenschaft zu ziehen und – was am unmittelbarsten ist – diesen Gerichtshof anzurufen, um den dringenden und größtmöglichen Schutz für die Palästinenser in Gaza zu gewährleisten, die nach wie vor der ernsten und unmittelbaren Gefahr fortgesetzter und weiterer Akte des Völkermords ausgesetzt sind.

6. In Anbetracht der außerordentlichen Dringlichkeit der Situation ersucht Südafrika um eine beschleunigte Anhörung zu seinem Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen. Darüber hinaus ersucht Südafrika den Präsidenten des Gerichtshofs gemäß Artikel 74 Absatz 4 der Verfahrensordnung, die palästinensische Bevölkerung in Gaza zu schützen, indem er Israel auffordert, alle militärischen Angriffe, die einen Verstoß gegen die Völkermordkonvention darstellen oder zu einem solchen führen, unverzüglich einzustellen, bis eine solche Anhörung stattgefunden hat, damit eine etwaige Anordnung des Gerichtshofs über den Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen ihre Wirkung entfalten kann. Zu diesem Zweck sollte der Gerichtshof Israel anweisen, die Tötung und die schwere seelische und körperliche Schädigung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen einzustellen, die vorsätzliche Zufügung von Lebensbedingungen, die auf die physische Zerstörung dieser Gruppe abzielen, zu beenden, die direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord zu verhindern und zu bestrafen und die damit zusammenhängenden Maßnahmen und Praktiken, einschließlich der Beschränkung der Hilfe und der Erteilung von Evakuierungsanweisungen, rückgängig zu machen.

7. In Anbetracht der wichtigen Rolle des Gerichtshofs und der Wahrnehmung seiner schweren Verantwortung unter Umständen, in denen die völkermörderischen Handlungen, die Südafrika beklagt, erst vor kurzem stattgefunden haben und noch andauern – und nicht anderweitig Gegenstand einer gerichtlichen Feststellung oder detaillierten Tatsachenermittlung waren –, enthalten der Antrag Südafrikas und sein Ersuchen um vorläufige Maßnahmen eine detailliertere Darstellung des Sachverhalts, als dies sonst üblich wäre. Diese Darstellung stützt sich in erheblichem Maße auf Erklärungen und Berichte von Leitern und Gremien der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie auf Augenzeugenberichte aus dem Gazastreifen – auch von palästinensischen Journalisten vor Ort –, und zwar unter Umständen, unter denen Israel den Zugang internationaler Journalisten, Ermittler und Erkundungsteams zum Gazastreifen weiterhin beschränkt. Weder der Antrag noch das Ersuchen auf Er lass einstweiliger Maßnahmen hängen jedoch von einer Entscheidung des Gerichtshofs über jeden einzelnen Vorfall oder jede einzelne Beschwerde ab, auf die hier Bezug genommen wird. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor geht, „muss der Gerichtshof im Stadium der Anordnung vorläufiger Maßnahmen feststellen, ob zumindest einige der behaupteten Handlungen unter die Bestimmungen der Konvention fallen können“.8 Zumindest einige der von Südafrika behaupteten Handlungen können eindeutig unter diese Bestimmungen fallen.

II. Zuständigkeit des Gerichtshofs

8. Südafrika und Israel sind beide Mitglieder der Vereinten Nationen und daher an das Statut des Gerichtshofs gebunden, einschließlich Artikel 36 (), der vorsieht, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs „alle Angelegenheiten umfasst, die in geltenden Verträgen und Übereinkommen besonders vorgesehen sind“.

9. Südafrika und Israel sind ebenfalls Vertragsparteien der Völkermordkonvention. Israel unterzeichnete die Völkermordkonvention am 7. August 1949 und hinterlegte seine Ratifizierungsurkunde am 9. März 1950. Damit wurde es Vertragspartei, als die Völkermordkonvention am 2. Januar 1951 in Kraft trat. Südafrika hat seine Beitrittsurkunde am 10. Dezember 1998 hinterlegt. Gemäß Artikel XIII der Konvention wurde sie am neunzigsten Tag danach zwischen den Vertragsparteien anwendbar.

10. Artikel IX der Völkermordkonvention sieht vor:

„Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung, Anwendung oder Erfüllung dieses Übereinkommens, einschließlich solcher über die Verantwortlichkeit eines Staates für Völkermord oder für eine der anderen in Artikel III aufgezählten Handlungen, werden auf Antrag einer der Streitparteien dem Internationalen Gerichtshof unterbreitet.“

11. Weder Südafrika noch Israel haben einen Vorbehalt zu Artikel IX angemeldet.

12. Südafrika hat wiederholt und nachdrücklich seine Besorgnis und Verurteilung in Bezug auf Israels Handlungen und Unterlassungen zum Ausdruck gebracht, die die Grundlage dieses Antrags bilden. Südafrika und andere Vertragsstaaten der Völkermordkonvention haben insbesondere deutlich gemacht, dass die Handlungen Israels in Gaza einen Völkermord am palästinensischen Volk darstellen. So haben beispielsweise die Präsidenten von Algerien,9 Bolivien,10 Brasilien10, Kolumbien,11 Kuba,13 Iran,14 Türkei,15 und Venezuela16 das Vor gehen Israels als Völkermord bezeichnet, ebenso der palästinensische Präsident.17 Staatsbeamte und Vertreter von Bangladesch,18 Ägypten19, Honduras,20 Irak,21 Jordanien,22 Libyen,23 Malaysia,24, Namibia,25 Pakistan,26 Syrien27 und Tunesien,28 haben ebenfalls von einem Völkermord oder der Gefahr eines solchen in Gaza gesprochen; sowie Staatsoberhäupter und Staatsbeamte von nichtstaatlichen Vertrags parteien der Völkermordkonvention, darunter Katar29 und Mauretanien.30 In seiner Rede im Namen der „arabischen Gruppe“ auf der 9498. Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am 8. Dezember 2023, die der Abstimmung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über einen Waffenstillstand vorausging, erklärte der Vertreter Ägyptens, dass die „[zivilen] Todesopfer [in Gaza] die Lüge entlarven, dass der Krieg gegen eine bewaffnete Gruppe gerichtet ist. Vielmehr handelt es sich um eine kollektive Bestrafung und einen Völkermord am palästinensischen Volk [...] Unter Berufung auf „die weitgehende Zerstörung der zivilen Infrastruktur und die gezielte Tötung von Mitarbeitern der Vereinten Nationen“ erklärte er, dass „die gewaltsame Vertreibung von 85 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens, die unter katastrophalen Bedingungen leben, einen Versuch darstellt, das palästinensische Volk zu eliminieren.“31

13. In Anbetracht der Tatsache, dass das Verbot des Völkermords den Charakter einer zwingenden Norm hat und dass die Verpflichtungen aus der Konvention erga omnes und erga omnes partes geschuldet sind,32 wurde Israel in vollem Umfang über die schwerwiegenden Bedenken unterrichtet, die von der internationalen Gemeinschaft, von den Vertragsstaaten der Völkermordkonvention und insbesondere von Südafrika hinsichtlich des Versäumnisses Israels geäußert wurden, die Begehung von Völkermord einzustellen, zu verhindern und zu bestrafen. Die Besorgnis Südafrikas wurde unter anderem wie folgt zum Ausdruck gebracht:

– Am 30. Oktober 2023 gab das südafrikanische Ministerium für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit eine Erklärung ab, in der es die internationale Gemeinschaft aufforderte, Israel für Verstöße gegen das Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen. Die Erklärung warnte davor, dass „das Verbrechen des Völkermordes in Gaza leider sehr groß ist“ und erinnerte daran, dass „der brasilianische Präsident Lula da Silva die Angriffe auf Gaza als Völkermord bezeichnet hat“ und dass die südafrikanische Ministerin für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, Naledi Pandor, in ihrer Rede vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 24. Oktober 2023 „die internationale Gemeinschaft daran erinnert hat, nicht untätig zu bleiben, während sich ein weiterer Völkermord ereignet“.33

– Am 7. November warnte der südafrikanische Minister für internationale Beziehungen vor der südafrikanischen Nationalversammlung, dass „das Verbrechen des Völkermords in der gegenwärtigen Situation in Gaza leider eine große Rolle spielt“. Er erinnerte daran, dass „1994 auf dem afrikanischen Kontinent ein Völkermord stattfand, bei dem ein Großteil der Welt zusah, wie unschuldige Menschen massakriert wurden“, und betonte, dass Südafrika nicht tatenlos zusehen könne, wie sich dies wiederhole.34

– Am 10. November 2023 führte der Generaldirektor des südafrikanischen Ministeriums für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit („DIRCO“) eine förmliche diplomatische Demarche beim Botschafter des Staates Israel in Südafrika durch und teilte ihm mit, dass Südafrika zwar „die Angriffe der Hamas auf Zivilisten verurteilt“ habe, die „wegen Kriegsverbrechen untersucht werden sollten“, dass aber „die Reaktion Israels rechtswidrig war“ und dass Südafrika „möchte, dass der IStGH gegen die Führung Israels“ wegen Verbrechen einschließlich Völkermord ermittelt.35

– Am 13. November 2023 verurteilte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa bei einem Treffen in der Residenz des Präsidenten mit der Führung des südafrikanischen jüdischen Abgeordnetenrats, bei dem unter anderem die Wiedereröffnung der südafrikanischen Botschaft in Israel gefordert wurde, „den Völkermord, der dem palästinensischen Volk, einschließlich Frauen und Kindern, durch kollektive Bestrafung und die anhaltende Bombardierung des Gazastreifens angetan wird“.36

– Am 17. November 2023 kündigte der südafrikanische Präsident im Rahmen eines Staatsbesuchs in Katar an, dass Südafrika den Internationalen Strafgerichtshof mit der Situation im Staat Palästina befassen werde, und äußerte seine Abscheu darüber, „was derzeit in Gaza geschieht, das sich in ein Konzentrationslager verwandelt hat, in dem ein Völkermord stattfindet“.37

– Später, am 17. November 2023, hat