Klar Schiff zur Höllenfahrt - David Donachie - E-Book
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Klar Schiff zur Höllenfahrt E-Book

David Donachie

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Beschreibung

Auf hoher See wartet der Tod … Der Seefahrerroman »Freibeuter Harry Ludlow: Klar Schiff zur Höllenfahrt« von David Donachie jetzt als eBook bei dotbooks. Die britische Küste Ende des 18. Jahrhunderts: Harry Ludlows Heimat ist die See – doch als ein Skandal den aufstrebenden Admiral zwingt, bei der Royal Navy abzudanken, bleibt ihm keine andere Wahl, als noch einmal ganz neu anzufangen. Von nun an segelt er im Auftrag der Krone unter der Flagge eines Freibeuters … bis eine tödliche Intrige droht, seinen Ruf endgültig zu ruinieren: Als Harry und sein jüngerer Bruder James, der ihn auf See begleitet, nach einem Schiffbruch an Deck von Harrys alter Nemesis Kapitän Carter Zuflucht finden und dort auf eine Leiche stoßen, wird ausgerechnet der unbedarfte Künstler des Mordes angeklagt! Harry ahnt, dass Carter seine eigenen dunklen Machenschaften zu vertuschen versucht – und schwört, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Aber wird es ihm gelingen, rechtzeitig die Unschuld seines Bruders zu beweisen? »Eine gekonnte Mischung aus nautischem Abenteuerroman und Krimi!« Times Literary Review Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der nautische Kriminalroman »Freibeuter Harry Ludlow: Klar Schiff zur Höllenfahrt« von David Donachie wird die Fans von C.S. Forester und Patrick O‘Brian begeistern; das Hörbuch ist bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Die britische Küste Ende des 18. Jahrhunderts: Harry Ludlows Heimat ist die See – doch als ein Skandal den aufstrebenden Admiral zwingt, bei der Royal Navy abzudanken, bleibt ihm keine andere Wahl, als noch einmal ganz neu anzufangen. Von nun an segelt er im Auftrag der Krone unter der Flagge eines Freibeuters … bis eine tödliche Intrige droht, seinen Ruf endgültig zu ruinieren: Als Harry und sein jüngerer Bruder James, der ihn auf See begleitet, nach einem Schiffbruch an Deck von Harrys alter Nemesis Kapitän Carter Zuflucht finden und dort auf eine Leiche stoßen, wird ausgerechnet der unbedarfte Künstler des Mordes angeklagt! Harry ahnt, dass Carter seine eigenen dunklen Machenschaften zu vertuschen versucht – und schwört, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Aber wird es ihm gelingen, rechtzeitig die Unschuld seines Bruders zu beweisen?

Über den Autor:

David Donachie, 1944 in Edinburgh geboren, ist ein schottischer Autor, der auch unter den Pseudonymen Tom Connery und Jack Ludlow Bekanntkeit erlangte. Sein Werk umfasst zahlreiche Veröffentlichungen; besonders beliebt sind seine historischen Seefahrerromane.

David Donachie veröffentlichte bei dotbooks bereits seine Serie historischer Abenteuerromane um den Freibeuter Harry Ludlow mit den Bänden »Klar Schiff zur Höllenfahrt«, »Im Windschatten des Schreckens«, »Kurs ins Ungewisse«, »Die zweite Chance«, »Im Kielwasser: Verrat« und »Abstieg zu den Fischen«.

Der Autor im Internet: www.facebook.com/daviddonachieauthor/

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eBook-Neuausgabe Juli 2023

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1993 unter dem Originaltitel »The Devil’s Own Luck« bei Macmillan, London

Copyright © der englischen Originalausgabe 1993 by David Donachie

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1998 Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz unter Verwendung von Shutterstock/Abstractor, Vector Tradition, paseven und AdobeStock/vvalentine

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ys)

ISBN 978-3-98690-684-9

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David Donachie

Klar Schiff zur Höllenfahrt

Roman – Freibeuter Harry Ludlow 1

Aus dem Englischen von Uwe D. Minge

dotbooks

Für Vince und Tommy

Kapitel 1

Harry Ludlow hätte sofort Fersengeld geben sollen, als er die Bramsegel der Fregatte über dem Horizont ausgemacht hatte. Er hätte weiter seinem höchstpersönlichen Geschäft nachgehen sollen: französische Handelsschiffe zu entern und mit den eroberten Prisen profitable Geschäfte zu machen. Kriegsschiffe waren Sache der Navy.

Jetzt, da ihr Rumpf über der Kimm zu erkennen war, wurde sie sofort als die Vérité, eine Fregatte mit 28 Kanonen, identifiziert. Sofort deshalb, weil die Hälfte der Seeleute an Bord der Medusa ehemalige Männer der Royal Navy waren, das galt natürlich auch für Harry. Allerdings konnte man nicht sicher sein, ob die Franzosen das Schiff nicht im Delirium der Revolution umbenannt hatten. Es bedeutete allerdings keine große Überraschung, in diesen Gewässern auf die Vérité zu treffen. Wenn man die letzten Aktivitäten der Medusa in Betracht zog, dann war es eher verwunderlich, daß man nicht früher zusammengetroffen war. Vor zwei Monaten war der Krieg erklärt worden. Harry, der schnell reagiert hatte, war vor der Flotte ausgelaufen und hatte seitdem zwischen den Ansteuerungen von Brest, La Rochelle und der Girondemündung gekreuzt. Er hatte einige vollbeladene Franzosen erobert und befand sich damit schon auf der Habenseite des Geschäfts.

Vielleicht war das der Grund, warum er sich entschlossen hatte, die Vérité an der Nase herumzuführen. Er konnte sie unter fast allen Umständen aussegeln, denn die Medusa war ein schneller Schoner mit eleganten Linien. Vielleicht auch war ihm der Franzose bei wirklich schwerer See überlegen. Aber wenn man das als Ausnahme betrachtete, hatte die Vérité nur eine Chance, ihn zu entern oder zu zerstören, wenn sie ihn völlig überraschend überrumpelte. Jetzt spielte er mit ihr jedenfalls Katz und Maus, indem er absichtlich seine seglerischen Fähigkeiten nicht voll ausspielte und sie so hinter sich herlockte. Mit großer Wahrscheinlichkeit war das kein zufälliges Zusammentreffen. Die Reeder in den Küstenstädten von Bordeaux bis Brest hatten sicherlich lautstark über den Verlust ihrer Schiffe und der wertvollen Ladung lamentiert. Viele Stimmen mochten sich erhoben und darauf bestanden haben, daß man etwas Wirkungsvolles gegen diese Pest da draußen unternahm.

Das richtige Verhalten nach dem Lehrbuch für Freibeuter sah für einen derartigen Fall vor, daß man möglichst schnell möglichst viel Wasser zwischen sich und die potentielle Gefahr brachte. Harry hatte sich ganz ohne Not dazu entschlossen, genau das Gegenteil zu tun. Das machte ihn jetzt zu einem Objekt vieler neugieriger Blicke, zumal er es nicht für nötig gehalten hatte, seine Beweggründe zu erklären.

Sein Bruder James war der erste gewesen, der seine Zweifel ausgesprochen hatte. Er nutzte sein Privileg als Familienmitglied und Teilhaber der Medusa, um die Entscheidung des Kommandanten in Frage zu stellen.

»Vielleicht ist es ein kleines Spielchen?«

»Wir sind nicht hier, um Spielchen zu machen, Harry«, entgegnete James und legte sein Skizzenheft zur Seite.

Harry lächelte nur, das war nicht gerade die übliche Reaktion eines Kapitäns, dessen Befehle kritisiert wurden.

»Ich bin auch nicht ganz sicher, ob es tatsächlich nur ein Spielchen ist.« Die Bemerkung seines Bruders hatte ihn ziemlich unvorbereitet getroffen. Sie zwang ihn, logische Argumente für sein Verhalten zu finden, das bisher nur instinktiv gewesen war.

»Also, was ist es dann?« In der Frage lag kein Vorwurf. James war kein Seemann, und das akzeptierte er auch bereitwillig. Er würde seinem älterem Bruder in allen Fragen der Nautik bedingungslos vertrauen. Aber er war auch kein Narr, und er war neugierig.

»Ich denke, daß sie ausgelaufen ist, um nach uns zu suchen.«

»Ein Grund mehr, sie zu meiden. Wenn sie in Kanonenschußweite kommt, wird sie uns aus dem Wasser pusten. Das weiß sogar ich.«

»Sie kommt nicht auf Schußweite heran.«

»Aber sie holt jetzt doch auf.«

Harry warf seinem Bruder einen amüsierten Blick zu, der besagte, daß selbst so eine Landratte wie James eigentlich sehen müßte, daß die Medusa keineswegs ihr Bestes gab. So, wie sie geriggt war, konnte sie sehr hoch an den Wind gehen. Würde sie bei dem beständigen Westnordwestwind Kurs Nord anliegen, dann würde sie der Vérité eine lange Nase drehen. James hatte gesehen, daß die Crew die Brassen am Großmast geschrickt hatte, um die Segel etwas aufzufieren, so daß sie nicht optimal ziehen konnten. Aus der Ferne würde man das nicht ausmachen können, sondern annehmen, daß die Medusa wirklich mit aller Macht versuchte, zu entkommen. Er hatte auch eilig eine Skizze angefertigt, als die Männer eine Art Seeanker aus vier zusammengezurrten Fässern über Bord warfen, der gerade über genügend Ballast verfügte, um ihn unter der Wasseroberfläche zu halten. Dadurch wurde die Fahrt des Schiffes weiter verlangsamt. James, der seine Unkenntnis in seemännischen Dingen als Entschuldigung benutzen konnte, war prädestiniert, seinem Bruder eine Erklärung zu entlocken. Er war der Einzige, der es wagte, Fragen zu stellen, aber es war klar, wenn Harry die vielen Blicke richtig deutete, daß James nicht der Einzige war, der Bedenken hatte.

»Ich gestehe, daß ich eine unwissende Landratte bin, Harry. Aber ich rieche ein Risiko genauso gut wie jeder andere Mann. Schließlich bist du es, der ständig davon tönt, daß man auf See kein Risiko eingehen darf, weil sie keinen Fehler vergibt. Deshalb ist dein Verhalten jetzt, gelinde gesagt, etwas seltsam.«

Allgemeines Kopfnicken begleitete die Bemerkung. Die Mannschaft hatte besonders nach den letzten Erfolgen sehr großes Vertrauen zu ihrem Kommandanten. Sie schätzten ihn als echten Seemann, der auf dem Achterdeck eines Linienschiffs mit 100 Kanonen gleichermaßen zu Hause war wie auf einer Nußschale von der Größe der Medusa. Er war ein Mann, der schon zur See gefahren war, bevor er reich geworden war, der Schiffe jeden Typs in jedem nur denkbaren Wetter kommandiert hatte. Ein Mann, der das schreckliche Massaker einer großen Seeschlacht überlebt hatte, denn Harry hatte als junger Leutnant an der Schlacht bei den Saintesiteilgenommen. Ihr Kommandant hatte mehr Zeit auf dem Wasser verbracht als auf dem Land. Er war ein Mensch, der sorgsam mit seinem Schiff und seiner Besatzung umging, und trotz des Wissens, daß auf See nichts sicher ist, fühlten die Männer sich unter seinem Kommando sicher. Ein paar aufmunternde Worte würden genügen, und alles würde gut sein. Es gab nur ein Problem. Er wußte nicht, was er ihnen sagen sollte. War sein Verhalten ein Überbleibsel aus Marine-Tagen, ein tiefverwurzelter Wunsch, den Gegner zu stellen und zu schlagen? Oder war es dieser Zug von Sprunghaftigkeit in seiner Natur, der ihm schon in der Vergangenheit so viel Ärger eingebracht hatte, Ärger, der ihn hierhin verschlagen hatte, an Bord der Medusa und nicht auf das Achterdeck eines Kriegsschiffs?

James hatte eine Antwort verdient. Aber wie sollte er etwas erklären, das seine Ursache in vielen Jahren Erfahrung hatte? Harry war buchstäblich auf dem Wasser zu Hause. Er kannte die Elemente, alle seine Sinne waren darauf ausgerichtet, die ständigen Veränderungen des Wetters und der See zu erspüren. Er wußte durch bloße Beobachtung der Vérité eine Menge Dinge, für deren Erklärung er eine Ewigkeit brauchen würde. Er wußte auch, daß der Plan, der sich in seinem Kopf herausbildete, eine gute Erfolgsaussicht hatte. Er hatte gesehen, wie die Fregatte geführt wurde. Doch wie sollte er das alles in einer einfachen Antwort kondensieren?

»Wenn Sie nur ausgelaufen ist, um sich unser anzunehmen, müssen wir einen Weg finden, um ihr den Schneid abzukaufen.«

»Dafür sollte doch die Tatsache ausreichen, daß sie uns nicht stellen kann?«

»Nicht ganz, James. Wir müssen den französischen Handel schwer geschädigt haben. Unser Name und unsere Aktivitäten, denke ich, haben sie gezwungen, ein Kriegsschiff hinauszuschicken, um uns entweder zu versenken oder zu vertreiben. Ich meine, wir sollten das als Kompliment auffassen.«

»Das erklärt noch immer nicht, warum wir nicht jede Anstrengung unternehmen, um ihr aus dem Weg zu gehen.«

James sah Harry mit einem Blick an, der deutlich machte, daß er nicht gewillt war, sich abwimmeln zu lassen.

»Ich sehe mich nicht genötigt, meine Handlungen zu erklären, selbst dir nicht, Bruder.«

Harry sagte das ruhig lächelnd. Obwohl er nicht immer ein freundlicher Geselle war, fühlte er sich doch bemüßigt, James mit Respekt zu behandeln. Wie stark unterschied sich sein Bruder inzwischen von der hageren Gestalt, die am Beginn dieser Reise an Bord gekommen war.

»Du bist doch sonst immer schnell mit einer Erklärung bei der Hand, ganz gleich, was wir tun, warum diesmal nicht?«

James nahm wieder seinen Skizzenblock und begann mit schnellen Strichen Harry zu zeichnen, eine Handlung, die nur einen Sinn hatte: Sie erlaubte ihm zu schweigen.

Harrys Grinsen wurde noch breiter.

»Offensichtlich habe ich dir noch nicht eindringlich erklärt, daß an Bord eines Schiffes das Wort des Kapitäns Gesetz ist.«

»Wie steht es mit einem Wort unter Brüdern?«

»Solche Unterschiede gibt es nicht auf See.« Harry deutete auf die Vérité. »Aber da ich dich nun mal an Bord genommen habe, um aus dir einen Seemann zu machen, ist es vielleicht nicht schädlich, wenn ich deine Ausbildung fortsetze.«

»Du vergeudest deine Zeit, Bruder. Ich bin nur imstande, mit anderen eine Leine durchzuholen. Würde Vater noch leben, würde er mich enterben. «

Die Vorstellung, daß James, der sogar jetzt noch mit einer eleganten Lederjacke gekleidet war, an einem Tampen zog, war absurd. Harry würde es tun. Die Brüder waren von gleicher Erscheinung, wenn man den Körperumfang außer acht ließ. Beide waren attraktive Männer mit blondem Haar, aber Harry war breiter und sein Gesicht vom Wetter gegerbt. Seine Kleidung, gleichgültig, wie teuer sie war, machte aus ihm kaum einen Gentleman. James dagegen war bleich, schlank und elegant, seine Bewegungen waren graziös. Seine natürliche Umgebung war der Salon in einem großen Haus – nicht das Achterdeck eines Schiffs. Er benahm sich, wie es einem reisenden Künstler angestanden hätte, wie jemand, dessen Bilder in den Salons hingen, wo sich die Reichen und Mächtigen trafen, kurz, wie ein Mann, der für die Mitgliedschaft in der Royal Academy vorgeschlagen war.

Als Harry noch ein Junge war, war ihr Vater ein altgedienter Vollkapitän in der Marine gewesen. Der Familie ging es gut, aber sie war nicht reich. Er hatte dafür gesorgt, daß sein ältester Sohn so früh wie möglich in den Büchern seines Schiffes geführt wurde, was diesen zwang, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Als schließlich James geboren wurde, wurde der Vater Admiral. Durch das richtige Spiel von Beziehungen war es ihm gelungen, für drei Jahre das Oberkommando in Westindien zu bekommen, danach konnte er sich mit einem ansehnlichen Vermögen zur Ruhe setzen. Admiral Ludlow machte dann genau das Richtige: Er kaufte einen Landsitz einschließlich einiger Sitze im Parlament und verbrachte seinen Lebensabend als gestrandeter Gutsherr. Sein jüngerer Sohn war folgerichtig vom Leben auf dem Meer ferngehalten worden. Für ihn hatte es Hauslehrer, Schulen und die Universität gegeben. Eine goldene Jugend, hatte mal jemand gesagt. Hatte der Skandal, in den er vor kurzem verwickelt gewesen war, das alles zerstört?

»Wenn du genau hinschaust, James«, fuhr Harry fort, sein Glas war dabei auf die Fregatte gerichtet, »wirst du erkennen, daß es dem Mann, der den Franzosen befehligt, an seemännischer Erfahrung mangelt. Seine Besatzung ist auch nicht besser. Außerdem scheint er etwas überstürzt in See gegangen zu sein.«

»Wie das?« James legte seinen Block zur Seite und hob sein Teleskop, um das Schiff zu betrachten.

»Erstens ist die Fregatte nicht richtig getrimmt. Die Vorräte in den Laderäumen sind schlecht gestaut. Sie scheint auf dem Kopf zu liegen. Die Art, wie er die Segel gesetzt hat, macht es nur schlimmer. Es ist ein weit verbreiteter Fehler anzunehmen, daß man desto mehr Fahrt durch das Wasser macht, je mehr Segel man gesetzt hat.«

James hatte einen nichtssagenden Ausdruck auf dem Gesicht. Er wußte, daß Harry, der zehn Jahre älter als er war, von ihm jetzt eine intelligente Bemerkung erwartete, eine, die demonstrieren würde, daß Harrys ausführliche Erklärungen während der letzten Wochen Früchte getragen hatten. Aber um alles in der Welt konnte er keine Beobachtung vorweisen, die seinen älteren Bruder befriedigt hätte.

»Sieh doch, wie tief sie ihren Klüverbaum in die See steckt. Er preßt sie zu stark«, erklärte Harry geduldig, »das bedeutet, daß man ihren Bug noch weiter nach unten drückt, damit erhöht sich aber der Formwiderstand des Bugs, was eine erhebliche Geschwindigkeitseinbuße zur Folge hat.«

»Vielleicht spielt er mit uns?«

»Na, das wäre ein sehr interessantes Spiel!« Harrys Augen leuchteten bei dieser Vorstellung auf.

»Das bringt mich wieder zur Ausgangsfrage zurück. Du mußt mir immer noch den Zweck dieses Spiels erklären.«

»Den Zweck?« fragte Harry mit gespieltem Erstaunen. »Nun, ich denke, daß man sie entern oder zerstören sollte.«

»Dann solltest du besser um höhere Hilfe bitten.« James deutete auf ihre Kanonen an Deck; sie reichten nicht aus, um eine Fregatte zu erobern oder zu zerstören.

»Du kennst mich, Bruder. Ich bin kein großer Anhänger des Betens, denn ich fühle mich sicherer, wenn ich das Risiko genau kalkulieren kann.«

»Eine saubere Kalkulation im geheimen?«

Harry lachte laut auf.

»James, du bist unverbesserlich. Vater hatte recht, dich auf die Universität zu schicken. Aus dir wäre nie ein brauchbarer Offizier des Königs geworden.«

»Du meinst, daß ich tatsächlich in der Lage bin, eine Familientradition fortzusetzen? Das wäre zur Abwechslung mal etwas Neues.« Diesmal lachten sie beide. Nur wenige Menschen durften Witze über Harrys Ausscheiden aus dem aktiven Dienst machen. James gehörte dazu.

Die beiden waren eher Freunde als Brüder. Vielleicht lag es am Altersunterschied, daß zwischen ihnen keine wechselseitige Eifersucht aufkam. Harry, der die meiste Zeit auf See verbracht hatte, war für James immer ein Held gewesen. Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte ihn nichts mehr erfreut als die Heimkehr seines älteren Bruders. Harry liebte James – vielleicht war das eine Folge der langen Trennungen – und zeigte offen seine Zuneigung. Als James älter wurde, wurde die Ehrfurcht und Heldenverehrung natürlich von einer gewissen Überheblichkeit verdrängt, bis sie beide ein Alter erreicht hatten, in dem sich beide trotz des Altersunterschieds von zehn Jahren als Ebenbürtige akzeptieren konnten.

Gleiche mit unterschiedlichen Begabungen. Harry hatte sein Leben auf See verbracht, zuerst bei der Navy und nach seinem Abschied aus dem Dienst auf schnellen Seglern im Westindienhandel. James konnte aufgrund seiner guten Schulbildung mit Griechisch- und Lateinkenntnissen aufwarten und kluge philosophische Abhandlungen vom Stapel lassen. Aber seine größte Liebe waren die Künste. Er hatte bei Reynolds studiert, wo er sich Grundkenntnisse im Zeichnen angeeignet und anschließend ein Talent für die Malerei entwickelt hatte.

Harry fühlte sich in einem Salon so deplatziert wie sein Bruder auf einem Achterdeck. Sogar ihre Schwester, die ihre beiden Brüder bewunderte, errötete schamhaft unter Harrys groben Taktlosigkeiten. Aber da sie auf dem Lande zu Hause waren, machte Harry einen gelegentlichen Faux pas mit seinem draufgängerischen Verhalten wieder gut. Er ritt bei jeder Hetzjagd riskanter als jeder ihrer Nachbarn, spielte erfolgreich, wenn auch unorthodox Cricket und beteiligte sich immer an den eher auf Körpereinsatz zielenden Wettkämpfen des lokalen Viehmarkts.

Beide hatten sträflich die Pflichten vernachlässigt, die ihnen als Erben eines großen Landbesitzes, des Reichtums und Einflusses nach dem Tod ihres Vaters zugefallen waren. Sie überließen das ihrem Schwager, dem Mann ihrer Schwester Ann, Arthur. Lord Drumdryan hatte einen Titel, aber keinen roten Heller. Ihr Schwager hatte es begeistert auf sich genommen, dafür zu sorgen, daß weder der Reichtum noch ihr Einfluß während ihrer Abwesenheit geschmälert wurde. Er suchte zwei Herren aus, die die Sitze im Parlament einnahmen, die von Harry kontrolliert wurden, und berichtete regelmäßig über die politischen Machtkämpfe. Arthur wurde dafür mit einem luxuriösen Leben belohnt, das er sich sonst nie hätte leisten können. Das war einer der wenigen Streitpunkte zwischen Harry und James. Der leutselige Harry mochte Arthur, während James in ihm dagegen einen steifen Pedanten sah, den er nicht ausstehen konnte.

Harry mußte daran denken, als ihm der Tratsch der Stadt zu Ohren kam, daß James nur deshalb mit ihm zur See fuhr, weil es ihm als das kleinere Übel erschien. Daß er London verlassen mußte, war klar. Der Gedanke daran, seinem Schwager unter solchen Umständen gegenüberzutreten, war für James unerträglich. Und in dieser Hinsicht war auch Arthur nicht schuldlos. Für einen Mann, der stolz auf seine formvollendeten Manieren war, zeigte er einen beachtlichen Mangel an Verständnis, wenn es um James Verfehlungen ging.

Landleben oder Seeluft – jedenfalls schien das Meer einen positiven Einfluß auf James zu haben. Noch vor ein paar Wochen hatte er exzessiv getrunken, um seine Sorgen zu ersäufen. Jetzt war er wieder der klardenkende umgängliche Mann, den Harry kannte. Details wurden nie erwähnt. James hätte sicher die richtigen Worte gefunden, um seine Schwierigkeiten zu beschreiben, aber seinem Bruder mangelte es an der Wortgewaltigkeit, um sie zurechtzurücken. Und in Anbetracht seiner eigenen recht gemischten Vergangenheit, machte Harry nicht den Fehler, mit James ins Gericht zu gehen. Arthur hätte sich nicht beherrschen können, was nur zu einem weiteren Streit geführt hätte und zu einem weiteren Vorwurf von James, daß ihr Schwager sich zuviel herausnahm.

Aber wo wäre Harry ohne ihn. Jedenfalls nicht hier in der Biskaya. Es war Arthur gewesen, der die Admiralität bedrängt und dafür gesorgt hatte, daß Harry einen Kaperbrief bekam, der es ihm erlaubte, als Freibeuter zu segeln, und der außerdem die Freistellungsbescheinigungen vom Marinedienst für die Mannschaft der Medusa besorgt hatte, was in einer Zeit, in der die Nation an einem chronischen Mangel an ausgebildeten Seeleuten litt, gewiß schwierig gewesen war.

»Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du vorhast. Langsam kommt mir der Verdacht, daß du es selbst nicht weißt.«

Das war richtig gewesen, als James das erste Mal gefragt hatte, aber jetzt hatte Harry, der üblicherweise während des Sprechens auch dachte, seine Gedanken geordnet und schob den nagenden Zweifel zur Seite, daß er zu impulsiv handeln könnte.

»Wenn sie ausgelaufen sind, um sich um uns zu kümmern, werden sie damit nicht aufhören, wenn wir ihnen jetzt entwischen. Tatsächlich werden sie dadurch mehr über uns lernen, als mir lieb ist. Wenn wir weiter in diesen Gewässern kreuzen, werden wir früher oder später wieder auf sie treffen. Zuerst werden sie versuchen, uns festzunageln, indem sie bei Tagesanbruch in Luv von uns stehen und nahe genug herankommen, um uns ein paar Breitseiten überzubraten, bevor wir außer Reichweite sind.«

»Und wenn ihnen das nicht gelingt?«

»Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Aber falls es uns gelingt, ihnen zu entwischen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie uns mit ein paar Kollegen auf den Fersen sitzen.«

»Können die Franzosen wirklich drei Fregatten aufbieten, nur um uns zu jagen?«

»Es müssen keine Fregatten sein, James. Sogar ein paar kleinere Schiffe als die Medusa würden ausreichen, wenn sie unsere Flucht so lange behindern können, bis ihr großer Kumpan heran ist und uns fertigmacht. Jetzt wollen sie nur wissen, wie schnell wir sind und wie sich die Medusa manövrieren läßt.«

»Können sie das wirklich aus dieser Entfernung abschätzen?«

»Natürlich! Man kann eine Menge aus den Beobachtungen ableiten, wenn man zusieht, wie ein Schiff gesegelt wird. Über die Mannschaft und den Kapitän.«

»Das erklärt ihre Handlungsweise, Harry, aber nicht die unsrige.«

»Nun, wir drehen den Spieß um. Ich ziehe sie hinter mir her und bringe sie genau in die Situation, von der ich annehme, daß sie sie uns gegenüber anwenden wollen. Bei diesem Wind haben wir die besten Chancen. Irgendwo hinter dem Horizont liegen die Fregatten der Blockadeflotte von Brest. Wir müssen nur eine davon für die Vérité interessieren.«

»Aber würden sie nicht kehrtmachen und fliehen, wenn sie ein britisches Kriegsschiff erspähen?«

»Das nehme ich an. Aber dann ist es unsere Aufgabe, sie aufzuhalten und uns in einen Kampf einzulassen. Eine hübsche Umkehrung ihrer Pläne, findest du nicht auch?«

»Harry! Du bist verrückt!«

»Wirklich, James?« Wieder dieser nagende Zweifel, daß sein Bruder recht haben könnte. »Wenn ich mit diesem Burschen kämpfen muß, dann lieber in Gemeinschaft als allein. Und ich hoffe, daß ich uns lange genug aus den Kinken halten kann, damit es genau dazu kommt.«

»Wieviel Zeit hast du in dieser sorgsamen Berechnung der Chancen dafür einkalkuliert?«

»Bis zum Einbruch der Dunkelheit. Sollten wir bis dahin auf keines unserer Kriegsschiffe gestoßen sein, slippen wir den Treibanker und verdrücken uns in der Dunkelheit. Auf diese Weise erfahren sie nichts von unseren Segelspezialitäten.«

James zog eine goldene Hunter-Taschenuhr aus seiner Westentasche.

»Wir haben danach noch zehn Stunden«, bemerkte Harry.

»Der ganze Plan ist sehr raffiniert ausgetüftelt.« James zwinkerte leicht mit den Augen.

»Ich glaube schon«, meinte Harry leichthin.

»Insbesondere, wenn man bedenkt, daß du dir das gerade eben erst ausgedacht hast.«

Harry versuchte ernst und unbeteiligt auszusehen, aber er konnte ein Lächeln nicht lange unterdrücken.

»Ich brauche von Zeit zu Zeit etwas Freude im Leben, Bruderherz, außerdem bin ich, wie du schon mehrfach festgestellt hast, mit dem Teufel im Bunde.«

Sie segelten durch den Morgen, langsam gewann die Vérité Raum gegen die Medusa. Harry hielt sich an Bord seines Schiffes strikt an die Routine der Marine. Wie bei der Navy hatte er die Männer in zwei Wachen und Messegemeinschaften eingeteilt. Die vollbemannte Medusa war wie ein Kriegsschiff übervölkert. Sie war schnell und mit zwölf 9-Pfündern bewaffnet. Ihre Aufgabe war es, Handelsschiffe zu kapern, nicht sie zu zerstören. Dafür benötigte sie Entermannschaften und Prisencrews nach dem erfolgreichen Gefecht. Daß auch die Geschütze schnell und präzise bedient werden konnten, war ein bemerkenswerter Vorteil, auf den Harry hartnäckig bestanden hatte. Die meisten der anderen Freibeuterkapitäne vermieden die Ausgaben für Pulver und Kugeln, die nötig waren, um vorab ihre Mannschaften für Gefechte in diesem Seegebiet effizient auszubilden. Harry, der vielleicht weitsichtiger als die anderen war, wußte, wenn er nur lange genug auf See blieb, dann würde er zwangsläufig in ein Gefecht mit einem Kriegsschiff verwickelt werden. Eine gute Artillerie konnte dann den Unterschied zwischen Entkommen und Gefangenschaft bedeuten.

Der Ausguck im Topp meldete gegen zwei Uhr ein Segel, gerade als die Wachen wechselten. Alle blieben an Deck, als das Segel als britisches 74er Linienschiff identifiziert wurde.

»Eine Fregatte wäre mir lieber gewesen«, knurrte Harry und hob das Glas an sein Auge. »Aber bei diesem Burschen macht es vielleicht keinen großen Unterschied.« Er deutete auf den Franzosen,

»Lassen Sie es mich sofort wissen, wenn Sie sein Unterscheidungssignal entziffern können«, rief er dem Ausguck zu. Harry griff in ein Schränkchen und zog ein offizielles Signalbuch der Marine heraus.

»Als Teil deiner seemännischen Ausbildung, James, hast du die Ehre, das Setzen der Signale zu überwachen.«

»Aye, aye, Kapitän«, erwiderte James, tippte grüßend an seine Stirn und bemühte sich, eine rauhe Zwischendeckstimme nachzuahmen. »Würden Sie so freundlich sein, mir mitzuteilen, welches Signal?«

»Ich denke, wir sollten mit ›Feind in Sicht‹ beginnen. Man sollte daraus herleiten können, was uns verfolgt. Dann unseren Namen, Buchstabe für Buchstabe, und schließlich das Signal für einen Freibeuter. Das sollte dem Feind sagen, wer wir sind.«

»Kann er nicht auch auf die Idee kommen, daß er gelinkt werden soll?« gab James zu bedenken und blätterte bereits eifrig im Signalbuch, um die benötigten Flaggen herauszusuchen.

»Er wird kommen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Sobald er die Vérité sichtet, wird er sie jagen. Sogar zu mehreren bedeuten wir für einen 74er keine ernste Gefahr.«

»Wie kannst du dir in allem so sicher sein?«

Wieder blickte ihn Harry mit mildem Erstaunen an.

»Ich meine, wie kannst du unterstellen, daß der Bursche deine Intention erkennt? Kannst du sicher sein, daß er den Gegner anzugreifen versuchen wird?«

»Er wird sein Kommando nicht lange behalten, sollte er das versäumen! Sie haben Admiral Byng für ein solches Verhalten erschossen.« ii

»Nun gut, aber wie kannst du dann so sicher sein, daß er tut, was du von ihm erwartest?«

»Er muß nicht tun, was ich erwarte, er muß nur das Richtige tun.« Das hatte Harry so emphatisch gesagt, daß jede weitere Frage überflüssig erschien. Trotzdem war sich James wie jeder andere auch der Lücke bewußt, die zwischen der Pflicht eines Offiziers und seinen Taten klaffte.

»Wir wollen nur hoffen, daß das Schiff keines der ›vierzig Diebe‹ ist, denn sollte das der Fall sein, können wir das ganze Unternehmen gleich abblasen.«

Harry spielte damit auf eine Klasse von 74ern an, die in einer Ära gebaut worden waren, als die Korruption blühte, und deshalb waren diese Schiffe weithin bekannt für die schlechte Qualität ihrer Verarbeitung. Es waren langsame Bretterbadewannen, die man aus grünem Holz gebaut hatte und die bei jedem Seegang leckten wie die Siebe. Es war eine der schwersten Belastungen für die Navy, daß gerade diese Schiffe aufgrund ihrer großen Zahl das Rückgrat der Flotte bildeten. Daß sie auch »Witwenmacher« genannt wurden, zeugte von den enormen Verlusten bei stürmischem Wetter.

»Würde das alles komplizieren?«

»Es würde den Plan wahrscheinlich scheitern lassen. Ich kann den Franzosen nur eine gewisse Zeit aufhalten, ohne unser Schiff ernsthaft zu gefährden. Vermutlich werden wir einige Beschädigungen einstecken müssen. Und falls es ihm gelingt, uns eine volle Salve einzuschenken ...« Harry hob die Schultern, aber die Bedeutung war klar.

»Ich nehme an, daß dich niemand überreden kann, den Plan aufzugeben?« Harry blickte seinen Bruder scharf an. »Und es ist nicht die Angst, die mich das sagen läßt.«

»Ich hasse die Ungewißheit«, sagte Harry und blickte nach oben, »ich werde aufentern und mir selbst einen Blick gönnen.«

Sie wußten beide, daß er der Frage ausgewichen war.

Harry steckte das Teleskop hinter seinen Gürtel und ging zu den Wanten. Diese führten wie eine immer schmaler werdende Strickleiter von der Schiffsseite in den Masttopp. Harry kletterte die Großmastwanten hinauf, wechselte dann in die Großstengewanten. Er kletterte bis zum Eselshaupt, schwang ein Bein über die Marssegelrah und ließ seinen Körper im Takt der Schiffsbewegungen mitschwingen. Dann nickte er dem Ausguck zu und hob sein Fernglas.

Der 74er, für das unbewaffnete Auge nur ein Segel in der Kimm, war nicht zu übersehen. Sein Herz machte einen kleinen Sprung, als er die Magnanime erkannte. Er war auf ihr als junger Bursche gesegelt, während sein Vater ihr Kommandant war. Er wußte, daß sie trotz ihres Alters ein schnelles Schiff war. Sie war den Franzosen von Anson weggenommen worden. Viele Schiffe, die seitdem auf britischen Werften gebaut worden waren, wurden schon wieder abgebrochen, aber nicht so die Magnanime. Sie war aus gediegenem Holz, das in einer Halle gelagert worden war und nicht im Freien verrottete. Sie war der sichtbare Beweis dafür, daß die Franzosen im Konstruieren und in der Schiffbaukunst den Engländern überlegen waren und die besseren Schiffe bauten.

Falls ihr Boden gereinigt und ihre Planken noch immer intakt waren, konnte sie bei diesem Wind zwölf Knoten laufen. Das mochte ihre Position hier erklären, hier draußen am Ende des Gebiets, das vom Blockadegeschwader kontrolliert wurde, einen Platz, den normalerweise eine Fregatte einnahm. Harry betrachtete sie eine Zeitlang, stellte fest, wie sie segelte, und dachte an die Tage zurück, als er auf ihr als junger, mutwilliger Midshipman gedient hatte. Kapitän Ludlow hatte seinen ältesten Sohn viele Male über eine Kanone legen lassen, wo dieser stoisch die Bestrafung für seine vielen Eskapaden über sich ergehen ließ.

Harry richtete sein Glas wieder auf die Vérité. So wie sie geführt wurde, würde sie die Magnanime sogar gerefft einholen. Alles hing von dem Kommandanten des 74ers ab. Harry wußte allerdings nicht, wer dort jetzt den Befehl hatte. Doch mit dem Wissen, daß es sich um ein gutes schnelles Schiff handelte, konnte er die Umsetzung seines Plans in Angriff nehmen.

Er reichte dem Ausguck sein Glas und glitt an einem Backstag an Deck zurück, wo er scharf den Befehl zum Stand-by gab. Daraufhin wurde der Treibanker gekappt, die Segel wurden getrimmt und die Kanonen bemannt. James versuchte, während dieser Aktion nicht im Wege zu stehen. Dann war es plötzlich still an Deck, jeder befand sich an seinem Platz, bereit für den Moment, in dem die Vérité die Magnanime in Sicht bekam. 

Kapitel 2

Der Ruf »Segel in Sicht!« unterbrach die Bestrafung nicht, die an Deck der Magnanime stattfand. Nur einige aus der Mannschaft, die als Zuschauer achtern versammelt worden war, wendeten ihren Blick von der blutigen Szene. Die Gräting war hochgestellt worden, und der Bootsmann, der heftig schwitzte, beendete seine zwei Dutzend Hiebe mit der Katze. Der Delinquent war längst über den Punkt hinausgelangt, bis zu dem man noch Schmerzen fühlen konnte. Er hing schlaff in den Riemen, mit denen er an die Gräting gefesselt war und die tief in seine Handgelenke einschnitten. Blut floß in Strömen von seinem zerfleischten Rücken, sickerte am Bund in seine verschmutzten Leinenhosen. Er war der dritte der Mannschaft, der bei dieser Gelegenheit ausgepeitscht wurde, und das Deck von der Gräting zum Niedergang war überall mit zahlreichen dunklen roten Spritzern bedeckt. Die Persenning, die man zu Füßen des Mannes ausgelegt hatte, damit sie das Blut auffangen sollte, schwamm von der sich schnell schwarz verfärbenden Flüssigkeit, es vermischte sich mit dem Salzwasser, das man über die klaffenden Wunden der vorangegangenen »Sünder« geschüttet hatte.

Sobald die Bestrafung beendet war, würden andere Männer mit Schwabbern und Scheuersteinen das Deck scheuern. Falls es nicht wieder seinen vorhergehenden schneeweißen Zustand erreichte, standen neue Auspeitschungen an. Niemand würde das aussprechen, denn es genügte, daß ein übelwollender Offizier meinte, daß er etwas Aufrührerisches gehört hätte, um daraus einen Fall von Meuterei zu machen. Es konnte dazu führen, daß jemand an der Rahnock gehängt wurde. Daher schwiegen die Männer, deren tägliches Los aus knüppelharter Arbeit bei einer kargen Verpflegung aus steinhartem Salzfleisch und oftmals fauligem Wasser bestand. Dazu kam die ständige Gefahr zu erkranken, verletzt zu werden oder zu sterben. Sie vermieden es sogar, ihren Kommandanten anzusehen, damit er nicht den Haß in ihren Augen entdecken konnte.

Oliver Carter, der auf das Deck starrte, schaute nicht auf den mißhandelten Rücken, als der Ruf »Segel in Sicht« erklang, und da er sich nicht rührte, machte es auch kein anderer. Sie waren allerdings nicht völlig bewegungslos. Bentley, der Erste Leutnant, blickte wie hypnotisiert auf den schlaff an der Gräting hängenden Mann. Er schwankte deutlich wahrnehmbar, und das hatte nichts mit den Bewegungen des Schiffes zu tun.

Die anderen Offiziere standen in den unterschiedlichsten Haltungen herum, anscheinend von der Szene unberührt. Sie hatten derartiges während ihrer Dienstzeit schon oft gesehen, viel zu oft auf diesem Schiff, aber es wäre töricht gewesen, Betroffenheit zu zeigen. Die Seesoldaten standen in Reih und Glied auf der Poop mit ihren Musketen in der Hand und blickten starr über alle Köpfe hinweg in Richtung des Bugs. Nur ihr Offizier, Mr. Turnbull, schien so etwas wie Interesse für die Vorgänge direkt vor ihrer Nase zu zeigen. Der Prediger, Mr. Crevitt, stand mit der Bibel in der Hand daneben und murmelte ein Gebet. Auch er starrte auf den Rücken des Opfers, aber er schien das nur aus Pflicht zu tun, mit dem Gefühl, daß er keinen Trost würde spenden können, wenn er nicht selbst die Schmerzen mitangesehen hätte. Eine Pütz mit Salzwasser wurde über den Rücken des Mannes geschüttet, während der Bootsmann die blutverschmierte Katze wieder in den roten Sack aus Wollstoff stopfte.

Outhwaite, der Schiffsarzt, kam nach vorne geeilt, während der Delinquent losgeschnitten wurde. Er untersuchte ihn schnell und befahl den wartenden Seeleuten, ihren Messekameraden nach unten zu tragen. Dabei stand er da und blickte seinen Kapitän an, der aus einer Art Trance zu erwachen schien. Carter bemerkte plötzlich Outhwaites Blick, und das schien ihn in die Gegenwart zurückzuholen. Auch Bentley schien aus einem schlechten Traum zu erwachen.

»Bestrafung beendet, Sir«, meldete er. Dabei blickte er sich um, wie um sich zu vergewissern, daß das, was er sagte, auch der Wirklichkeit entsprach.

Carter stand neben Bentley mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der auf etwas wartet. Die anderen Offiziere wandten sich gleichmütig ab, sie wollten weder ihren Ersten Leutnant, noch den Zorn ihres unberechenbaren Kommandanten dadurch auf sich ziehen, daß sie bestätigten, daß sich der zweite Mann an Bord nicht richtig verhalten hatte. Bentley wurde durch den Ausguck gerettet, der endlich seine Meldung komplettierte.

»Ein Schoner gut klar auf der Luvseite.«

»Ich bitte um Erlaubnis, die Männer wegtreten zu lassen, Sir«, sagte Bentley.

»Weitermachen, Mr. Bentley«, erwiderte Carter kühl. Sogar in dem hochmütigen Ton, der normalerweise von Kommandanten gebraucht wurde, wenn sie Befehle erteilten, wurde Carters Abneigung gegenüber Bentley deutlich.

Die Befehle wurden erteilt. Die Männer verzogen sich langsam, ihre Gefühle über das, was sie gerade mit angesehen hatten, drückte sich deutlich in ihrer Haltung aus. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Kapitän normalerweise das Achterdeck verlassen, aber er blieb und wartete auf weitere Details über das andere Schiff.

»Das Schiff hat ein Flaggensignal gesetzt!« schrie der Ausguck.

»Treiben Sie die Leute an ihre Arbeit, Mr. Craddock«, schnappte Bentley zum Zweiten Leutnant gewandt, einem ältlichen rotgesichtigen Mann. Im Bewußtsein, daß ihn Carter beobachtete, richtete sich Bentley auf und schickte einen Midshipman mit einem Fernrohr nach oben. Der Midshipman gab die Nummern der Flaggen nach unten durch. Ein weiterer junger Gentleman blätterte im Signalbuch.

»Das Schiff signalisiert ›Feind in Sicht‹, Sir.«

Dem Ruf folgte Stille. Bentley schüttelte den Kopf, als ob er sich verhört hätte.

»Befehlen Sie, daß es sein Erkennungssignal setzen soll, Mr. Bentley«, befahl Carter ganz offensichtlich verärgert.

»Ein neues Signal wurde gesetzt«, rief die Stimme von hoch oben.

Ruf folgte auf Ruf, während der Midshipman auf dem Achterdeck die Nachricht entzifferte.

»Es ist die Medusa, Sir«, meldete der junge Mann schließlich, um dann nach einer Pause, in der die letzten Flaggen abgelesen wurden, hinzuzufügen: »Ein Freibeuter.«

»Freibeuter«, schnaubte Carter, sein Gesicht lief rot an. »Warum zum Teufel setzt ein Korsar Signale der Marine?«

»Nun, ich vermute, daß er uns etwas mitteilen will, Sir.« Bentley unternahm keinen Versuch, den Sarkasmus in seiner Stimme zu verstecken.

»Obwohl sie an Bentleys aufmüpfiges Verhalten gegenüber dem Kommandanten gewöhnt waren, registrierten die anderen Offiziere Empörung. Carter wurde puterrot.

»Er hat kein Recht, uns etwas auf diese Weise mitzuteilen, Mr. Bentley. Und das haben auch Sie nicht.«

»Aye, aye, Sir«, sagte Bentley schnell, aber auf seinen Lippen spielte die Spur eines Lächelns. Er trat zu seinem Kapitän heran und flüsterte leise in sein Ohr: »Wenn mich nicht alles täuscht, gehört die Medusa Harry Ludlow. «

Carter antwortete nicht, aber der Ärger in seinem Gesicht machte Erschrecken Platz.

»Ein zweites Segel in derselben Peilung«, schrie der Midshipman, den Bentley nach oben geschickt hatte.

»Er gibt mir Befehle, verdammt soll er sein!« zischte Carter.

»Die Medusa hat die französische Flagge gesetzt, Sir.« Dann fast ohne eine Pause: »Sie hat die Schoten losgeworfen, sie hat gehalst. Sie signalisiert, Sir. ›Freie Jagd!‹«

Bentley erwachte zum Leben und begann eine Reihe von Befehlen hinauszubrüllen, die alle Mann an Deck und einige Männer in die Takelage bringen würden, um mehr Segel zu setzen.

»Mr. Bentley«, kreischte Carter, »Kommando zurück!«

Alle verharrten, wo sie gerade standen. War das die lang erwartete Konfrontation? Niemand wußte, warum ein so hartgesottener Kommandant Bentley so viele Freiheiten durchgehen ließ. Sie warteten alle schon lange auf den Moment, da Carter ihn durch die Klüse trampeln würde.

»Kommando zurück, Sir?« fragte Bentley ruhig. Wieder war da dieses schwache Lächeln.

»Befolgen Sie die Befehle eines verdammten Kaperers, Mann?«

Carters gebrüllte Frage ignorierte die Anwesenheit aller anderen. Allerdings fragten die sich, was den Kommandanten dazu brachte, seine Befehle zu diskutieren und das öffentlich auf seinem eigenen Achterdeck.

»Ich versuche Vorteile aus den Neuigkeiten zu ziehen, die wir erhalten haben. Wenn die Medusa flüchtet, dann nur vor einem überlegenen Feind. Das impliziert, daß der Jäger ein Franzose ist. Vielleicht ein Kriegsschiff?«

Carters Gesicht erstarrte. Bentley redete mit ihm auf die frevelhafteste Weise und ließ völlig die Höflichkeit außer Acht, die erforderlich war, wenn man einen Vorgesetzten ansprach. Allerdings hatte er auch das Recht dazu, denn niemand würde wirklich verstehen, warum Carter zögerte.

»Bitte um die Erlaubnis, mehr Segel setzen zu dürfen«, bohrte Bentley.

»Weitermachen, Mr. Bentley.« Es war mehr ein Zischen als ein klar gesprochenes Wort. Carter wandte Bentley den Rücken zu. Er wollte nicht, daß jemand seinen Gesichtsausdruck sah.

Harry schrie rasch seine Befehle hinaus, als die Vérité nach dem Sichten der Magnanime mit killenden Segeln in den Wind schoß. Die Trosse, die den Seeanker gehalten hatte, war gekappt, und die Männer eilten an die Falle, um die Segel zu bergen. Der Rudergänger wirbelte das Rad herum, und die Medusa halste. Auf ein weiteres Kommando holten die Männer die Falle wieder und setzten diesmal die Segel stramm durch. Die Medusa war herum und hatte den Wind genau von achtern, schnell lief sie auf die Vérité zu, bevor der Franzose bei seinem Versuch zu wenden auch nur wieder Fahrt aufgenommen hatte.

Harry, neben dem James in Bereitschaft stand, ließ zusätzlich zu den anderen Flaggen das Signal für »Freie Jagd« setzen. Er wußte, daß er damit das Risiko einging, jemanden vor den Kopf zu stoßen, denn kein Marineoffizier würde erfreut sein, von einem Freibeuter irgendeinen Befehl zu bekommen. Aber er konnte sich keinen besseren Weg vorstellen, seine Intentionen klarzumachen, als mit Hilfe des Signalbuchs der Navy. Er ließ das Signal lange genug wehen, bis er sicher sein konnte, daß es abgelesen worden war, dann ließ er es niederholen und durch »Greife an« ersetzen.

Der 74er drehte heran. Harry sah die Segel einfallen und sich wieder füllen, während der Kommandant nach dem besten Kurs zum Wind suchte. Die Magnanime legte sich unter dem Druck der Segel über, ihre unteren Geschützpforten an Backbord lagen unter Wasser, als sie losstürmte, am Steven schäumten weiße Wasserkaskaden in die Höhe. Harry näherte sich der Vérité schnell. Seine Aufgabe war es, sie einzuholen und sich dann vor sie zu setzen, damit er die Medusa bei ihrem Fluchtversuch behindern konnte. Aber zuvor mußte er sie in den Schwanz kneifen, sie so kräftig kneifen, daß sie drehte, um ihn auszuschalten, während der Abstand zwischen ihr und der Magnanime noch groß genug war, um anschließend zu entkommen.

Die Geschütze waren an Steuerbord ausgerannt. Er konnte seine Backbordbatterie nicht ausrennen, die Krängung des Schiffes war zu groß, als daß das möglich gewesen wäre. Aber sie waren ausgerannt gewesen, geladen, wieder eingerannt worden und jetzt fest binnenbords gelascht. Sobald die Medusa Segel kürzte und das Deck sich aufrichtete, waren sie klar zum Feuern. Im Augenblick ähnelte es allerdings noch einem schiefen Dach.

Harry stand ruhig da und hatte seinen Arm um ein Backstag geschlungen, während er die Position der drei Schiffe zu einander beobachtete. Er holte schnell zur Vérité auf. Er hob das Fernglas und betrachtete das Achterdeck des Franzosen. Unter gar keinen Umständen durfte er zulassen, daß man ihn durch eine überraschende Drehung in ein Gefecht verwickelte, bevor er in der richtigen Position war. Wieder stellte er fest, daß der französische Kapitän das Schiff zu hart preßte, der Bug wurde in die See gedrückt, weil zu viele Toppsegel gesetzt waren. Es war jetzt, da der Wind mit aller Kraft vorwärts drückte, noch deutlicher zu erkennen. Dies und alles, was er vorhin gesehen hatte, als sie versucht hatte, schnell abzudrehen und zu entkommen, verstärkte sein früheres Gefühl, daß es nicht nur dem Kommandanten, sondern auch der Besatzung an Erfahrung mangelte.

Die ganze Szenerie schien zu erstarren. Die Männer standen bewegungslos auf ihren Posten, und für ein ungeübtes Auge schien das auch bei den Schiffen der Fall zu sein. Die Annäherung vollzog sich kaum merklich, und James, der trotz seiner Zweifel erregt war, verspürte, wie ihn die ersten Anzeichen von Ungeduld beschlichen. Seine Zeichenutensilien hatte er zur Seite gelegt.

»Wie lange wird es dauern, bis wir ihn eingeholt haben?« rief er seinem Bruder zu.

»So innerhalb einer Stunde«, erwiderte Harry so gelassen, als wäre das im nächsten Augenblick.

Sie stürmten weiter vorwärts, und nur die Position der Medusa schien sich zu verändern, während sie langsam den Abstand zwischen sich und dem 74er vergrößerte und dabei gleichzeitig näher an die Vérité heranschloß. Trotzdem holte das Linienschiff auf. Harry konnte jetzt die französischen Offiziere deutlich erkennen, die sich an der Heckreling drängten. Ihre Teleskope waren auf die Magnanime gerichtet. Sie würden zufrieden sein, denn sie waren sicher, daß sie ihn vernichten konnten, falls es sein mußte, und daß sie trotzdem noch entkommen könnten. Er würde alles tun, um ihnen eine Überraschung zu bereiten.

Harry ließ die Medusa in das Kielwasser des Franzosen steuern. An seinem Heck blitzte es auf, die Kugel eines Heckgeschützes flog über ihre Köpfe hinweg und klatschte harmlos hinter ihnen in die See. Sie würden weiter unter Beschuß liegen, weil die Franzosen hofften, eine Spiere oder sogar den Mast herunterzuschießen und so ihre Geschwindigkeit herabzusetzen.

»Gibt es keine Möglichkeit, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen, Harry?« erkundigte sich James, als eine zweite Kugel eine Wasserfontäne an der Steuerbordseite in die Höhe schießen ließ.

»Nicht im Augenblick. Wir könnten lediglich unser Steuerbordjagdgeschütz einsetzen, aber bei dieser Krängung dürfte das Verschwendung von Pulver und Kugeln sein. Doch wenn wir uns revanchieren, wird es überreichlich sein.«

Kugel auf Kugel jaulte durch die Luft; eine, die besser als die anderen gezielt gewesen war, pfiff glatt durch das Großsegel und hinterließ ein sauberes rundes Loch. Aber sie verfehlte die Rundhölzer, die ihr bevorzugtes Ziel gewesen waren, und bewirkte letztlich nichts. Harry befahl die Mannschaft auf die Gefechtsstationen, und die Männer eilten auf ihre verschiedenen Posten. Harry wußte nur zu gut, daß seine Kanonen hoffnungslos unterdimensioniert für einen Kampf selbst mit einer sehr kleinen Fregatte waren, und sein Angriff richtete sich gegen den ungeschützten Spiegel. Jede Kugel, die die Blenden durchschlagen konnte, die man als Schutz vor die Heckfenster der Fregatte genagelt hatte, würde über die gesamte Länge des Zwischendecks fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, tragende Bauteile zu zerstören, war minimal. Aber Fleisch und Blut konnten den Kugeln nicht widerstehen. Es war ohnehin Harrys Ziel, die Fregatte zu veranlassen aufzudrehen, um sich ihres Peinigers zu entledigen.

Er brüllte den Befehl, und die Medusa änderte ihren Kurs, als der Rudergänger das Rad herumwirbelte. Sie drehte herum, ihre Steuerbordbreitseite zielte auf das Heck der Vérité. Harry ließ keine Breitseite abfeuern, sondern hatte die Anweisung gegeben, daß jedes Geschütz feuern sollte, sobald es das Ziel aufgefaßt hatte. Eine Kanone nach der anderen entlud sich, schleuderte ihre Ladung in die schweren hölzernen Blenden. Er konnte deutlich das Klirren von Glas hören, als eine Kugel durch ein Loch flog, das eine andere verursacht hatte. Er rief wieder Befehle, und die Männer, die zum Segeltrimmen eingeteilt waren, zogen an ihren Tampen, um die Rahen herumzubrassen. Die Medusa nahm wieder Fahrt auf, und während die Geschütze erneut geladen wurden, machte sie sich wieder an die Verfolgung ihrer Beute.

Harry führte dieses Manöver dreimal durch, aber anstatt in den Spiegel der Vérité zu feuern, ließ er jetzt seine Geschütze mit maximaler Rohrerhöhung ausrennen und ließ beim Rollen in der Aufwärtsbewegung schießen. Er verfolgte damit zwei Ziele: Zum einen versuchte er eine Spiere zu treffen, zum anderen wollte er die nervös machen, die das Gefecht auf dem Achterdeck der Fregatte leiteten. Der tatsächliche Schaden, den er anrichtete, war minimal, aber der französische Kommandant konnte die Medusa nicht untätig gewähren lassen, denn sie konnte ihm durchaus früher oder später einen ernsthaften Schaden zufügen.

Nach seinem vierten Anlauf sah Harry, als sein Schiff wieder Fahrt im Kielwasser der Vérité aufnahm, daß die Mannschaft des Franzosen an die Schoten eilte. Sobald die Leinen losgeworfen waren, konnten die Rahen frei schwingen, und der Druck würde aus den Segeln gehen. Der Rudergänger konnte dann Ruder legen, das Schiff mit dem verbleibenden Schwung herumdrehen, bis die Breitseite auf die Medusa zeigte. Die Geschütze würden dann das kleine Schiff auffassen können und – falls richtig gezielt werden würde – schwerste Schäden anrichten.

Aber genau das war es gewesen, was Harry im Sinn gehabt hatte. Denn wenn sich die Vérité mit ihm beschäftigte, verlor sie zwangsläufig Geschwindigkeit. Er mußte dann die hervorragenden Segeleigenschaften der Medusa ausnutzen, um an dem Franzosen vorbeizukommen. Sobald er sich vor sie gesetzt hatte, würde die Aufgabe, ihre Flucht zu verzögern, wesentlich einfacher werden. Die Frage war, auf welche Weise die Vérité drehen würde. Würde sie halsen oder wenden?

Harrys Männer standen auf ihren Plätzen. Er beobachtete abwartend das Ruder, das an dem massiven Heckbalken befestigt war. Er hatte vor, dicht unter ihrem Heck hindurch zu laufen und ihr dabei eine volle Breitseite hineinzujagen. Er sah die Segel killen, als die Rahen lose kamen. Das Ruder begann, die Vérité nach Steuerbord zu drehen. Er ließ Ruder legen und die Rahen der Medusa so trimmen, daß sie nach Backbord laufen konnte. Es war ein gefährliches Manöver. Sollte der Franzose schnell genug drehen, dann würde er ihnen eine volle Breitseite einschenken, bevor sie sich aus dem Staub machen konnten. Harry verließ sich also völlig auf das mangelhafte seemännische Können des Gegners.

Die Seite der Vérité kam langsam in sein Gesichtsfeld und damit auch die Reihe ihrer dräuenden Geschütze. Er sah, wie die Bedienungsmannschaften die Kanonen so zu richten versuchten, daß sie so bald wie möglich auf die Medusa feuern konnten. Als die Vérité in den Wind drehte, versuchte sie, dies so zu nutzen, daß er sie aufstoppte. Harry benötigte denselben Wind zum Entkommen, und der war zu ihm freundlicher als zu den Franzosen, denn deren Segel wurden für ein eiliges Manöver einfach nicht schnell genug weggenommen. Harry stand jetzt selbst am Ruder, der Wind fiel perfekt von querab ein. Trotzdem blieb es eine knappe Sache. Die Bordwand der Vérité verschwand hinter einer Barriere aus Pulverqualm. Eine Kugel zerschmetterte die Hecklaterne, aber der Rest klatschte harmlos in das aufgewühlte Wasser hinter ihm.

»Das Vorbramsegel back!« brüllte Harry, als er hinter das Heck glitt. Die Medusa verlor etwas an Fahrt, und als sie vorbeirauschten, feuerten die Geschützbesatzungen, jetzt von einer ruhigen Plattform, auf Pistolenschußweite eine fürchterliche Breitseite in den Franzosen.

»An die Brassen!« rief Harry. »Holt weg!«

Das Vorbramsegel wurde wieder richtig getrimmt, und die Medusa schoß an dem Franzosen vorbei. Harry ließ sie etwas abfallen, um sein Schiff aus dem Feuerbereich der Kanonen des Gegners zu halten. Er sah, daß dort wieder Segel gesetzt wurden. Aber jetzt stand er vor dem Franzosen. Das letzte Manöver hatte die Vérité eine gute Meile gekostet. Die Magnanime kam Hand über Hand auf.

Jetzt kam der gefährlichste Teil des Spiels. Harry mußte seinen Opponenten bremsen, der jetzt die Luvstellung hatte. Bis dahin hatte Harry den Vorteil gehabt, in Luv zu stehen. Er ließ die Kanonen mit Schrapnells laden.

Seine Geschütze waren zu leicht, als daß er mit ihnen die Masten eines Kriegsschiffs ernsthaft beschädigen konnte, aber ein ständiger Schrapnellhagel würde es dazu zwingen, ebenso ständig den Kurs zu ändern, und damit würde die Geschwindigkeit gedrosselt. Solange es den Franzosen nicht gelang, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, konnte er manövrieren. Sobald es der Vérité aber gelang, ihn abzudecken, war er den Franzosen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, und das konnte selbst bei schlechten Schießleistungen nur zu einem Resultat führen.

Pfeilschnell stieß er heran, feuerte seine Geschütze auf das Backbordachterdeck ab, dann drehte er ab und nutzte seine Geschwindigkeit, um sich aus dem Gefahrenbereich fernzuhalten. Und sein Plan funktionierte. Die Vérité sah sich seinen Angriffen gegenüber, konnte ihre optimale Geschwindigkeit nicht beibehalten, denn sie mußte ständig Kurs ändern, um seinen Schlägen auszuweichen. Die Magnanime kam näher. Viermal stieß sie heran und bestrich das Achterdeck mit Schrapnells. Man konnte die Schmerzensschreie über das offene Wasser deutlich hören. Die Vérité erwiderte das Feuer mit so vielen Kanonen, wie sie zum Tragen bringen konnte. Aber es waren nur wenige, und die wurden auch schlecht bedient.

Der kritische Moment kam immer näher, also der Zeitpunkt, an dem sie sich quer vor den Bug der Vérité legen mußten. Dann würde die Vérité drehen, um sich ihrem größeren Gegner zu stellen, der unaufhaltsam heranstampfte. In diesem Moment war sie verloren, denn die Magnanime konnte die Vérité genauso aus dem Wasser pusten, wie diese es mit der Medusa machen konnte.

»Kettengeschosse!« rief Harry den Geschützführern zu. Er ging jetzt beim Angriff näher heran. Deshalb würde er jetzt auf ihre Segel zielen, dazu benutzte er zwei Halbkugeln, die mit einer Kette verbunden waren. Sie würden erheblichen Schaden in der Takelage des Gegners verursachen. Wenn man dort damit beschäftigt war, Leinen zu spleißen, würden weniger Männer zur Verfügung stehen, um die Kanonen auf beiden Schiffseiten zu bemannen. Harry wandte sich seinem Bruder zu, der an der Heckreling stand und wie besessen Skizzen anfertigte, so, als ob er sie später als Grundlage für Gemälde benutzen wollte.

»Der Höhepunkt des Gefechts nähert sich, James«, rief er ihm zu. »Du wirst sehen, daß die Magnanime bald Segel kürzen und nur noch die Marssegel stehen lassen wird. Sie wird auf unseren Feind zudrehen und versuchen, die Vérité zu beharken. Wenn der französische Kommandant weise ist, dann wird er eine Breitseite abfeuern, um der Ehre zu genügen, dann wird er die Flagge streichen. Ich fürchte, daß ich der Navy die Ehre überlassen muß, seinen Degen entgegenzunehmen, aber ich werde versuchen, mich rechtzeitig übersetzen zu lassen, um die Zeremonie zu erleben.«

James lächelte nur und winkte ihm zu, dann fuhr er mit seinen Zeichnungen fort.

Harry gab die Befehle, um die Medusa wieder zu drehen. Der französische Kapitän mochte unerfahren sein, aber er war kein Narr. Er wußte, was kommen würde, und die Manöver der Medusa hatten für ihn an Interesse verloren. Er hatte die Steuerbordbatterien besetzen lassen und begann zu drehen, um sich der Magnanime zu stellen, dabei ließ er Segel bergen, um die Feuergefahr zu reduzieren.

»Zielt hoch!« rief Harry. »Sie werden bald nur noch die Marssegel stehen haben!« Die Medusa lag praktisch gestoppt. Harry hatte seine Segel entsprechend der Vérité gekürzt, die ihm ihre Breitseite zeigte. Aber es war die Backbordseite mit der unbemannten Batterie. Er konnte die Marssegel der Magnanime durch das Rigg des Feindes sehen. Er gab das Kommando, und die Kanonen der Medusa brüllten auf. Er hörte das Winseln der Kettenkugeln, die auf den verwundbaren Gegner zuwirbelten. Er war bester Laune, sein Gesicht rötete sich, er wußte, daß der Erfolg sicher war.

Im selben Augenblick gefror seine Miene. Die Magnanime hätte heranschließen sollen, bereit aufzudrehen und dem Franzosen eine volle Breitseite einzuschenken. Statt dessen sah er, daß das große Schiff sein Vormarssegel back kommen ließ und die geringe Fahrt verlor, die es noch gehabt hatte. Es drehte bei. Außerhalb der gegnerischen Kanonen. Und überließ ihn damit der Gnade der Vérité. Einen kurzen Moment lang konnte sich niemand bewegen, mit Ausnahme seines Bruders, der noch immer wie besessen zeichnete und sich der Gefahr nicht bewußt war. Harry sah die Kanoniere auf die Backbordseite eilen. Ihre Geschütze waren bereits geladen und ausgerannt. Die seinen, die auf das Rigg zielten und mit Kettenkugeln geladen waren, waren nutzlos.

Er fand gerade noch Zeit, sich umzudrehen und seinem Bruder zuzurufen, sich hinzuwerfen. Dann explodierte die Bordwand der Vérité in einer Pulverwolke. Die Welt schien unterzugehen, Kanonen wurden aus ihren Bettungen gerissen, die Bordwand wurde zerschmettert, und die Splitter forderten ihren tödlichen Zoll. Er begann wieder Befehle zu schreien, um Fahrt in das Schiff zu bekommen, es aus diesem zerstörerischen Höllenfeuer zu retten. Dann hörte er ein knackendes Geräusch von brechendem Holz. Er blickte in die Höhe und sah den Großmast über dem Eselshaupt abknicken. Es gab knallende und pfeifende Geräusche, als das stehende Gut brach. Blöcke kamen von oben, und die Männer brachten sich in Sicherheit, als die lange Spiere an Deck polterte. Harry öffnete den Mund, um etwas zu rufen, aber da wurde er getroffen. Er stolperte, dann stürzte er auf das Deck. Blut strömte aus einer Kopfwunde. Er versuchte, sich zu erheben. Überrascht sah er, daß James noch immer aufrecht stand. Er hatte einen schockierten Ausdruck auf dem Gesicht. Dann war da nur noch Dunkelheit.

Kapitel 3

Der strahlendblaue Himmel schmerzte seine Augen, als er versuchte, sie zu öffnen. Er sah das Licht, realisierte den Schmerz in seinem Kopf und eine benebelnde Wolke schlechten Atems, als sich die Silhouette eines Schädels zwischen ihn und das Blau schob. Eine weiterer dunkler Schatten zeichnete sich gegen den Himmel ab.

»Er weilt wieder unter uns, Sir, lassen Sie ihn etwas Luft schnappen.«

Der andere Kopf zog sich zurück, und Harry hörte die Stimme seines Bruders.

»Wird er überleben?«

»Es ist zu früh, um das mit Sicherheit sagen zu können, Sir, viel zu früh, um das sagen zu können.«

Im Hintergrund vernahm Harry gebrüllte Kommandos. Männer bewegten sich um ihn herum, Blöcke quietschten, und Leinen spannten sich. Er schloß aus den Bewegungen des Decks, daß er sich noch immer an Bord eines Schiffes befand. Aber auf welchem Schiff? Er versuchte sich aufzurichten. Der scharfe Schmerz in seinem Kopf ließ ihn sich wieder zurücklegen.

»Langsam, Sir«, sagte der Mann, der sich über ihn beugte. Jeder Trost, den ihm diese Worte geben wollten, wurde durch die Wolke stinkenden Atems zunichte gemacht. Harry blieb liegen, die Erinnerung an das Gefecht mit der Vérité kam zurück und überflutete sein Hirn. Irgendetwas war fürchterlich schiefgelaufen, und er konnte sich nicht erinnern, was es gewesen war. Warum hatte die Magnanime im kritischen Moment beigedreht?

»Mr. Outhwaite. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Patienten unter Deck bringen würden. Wir werden gleich das Feuer eröffnen.«

Die Stimme durchschnitt Harrys Schmerzen. Zuerst weigerte er sich anzunehmen, daß er richtig gehört hatte. Aber die Antwort von Outhwaite räumte jeden Zweifel aus.

»Nur noch ein paar Sekunden, Kapitän Carter, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es bringt nichts Gutes, wenn man einen Mann wegen einer Minute sterben läßt.«

»Vergeuden Sie keine Minute«, stöhnte Harry.

»Sie erinnern sich, Ludlow.« Ein weiterer Schatten stand über ihm.

Wieder hob Harry den Kopf. Dieses Mal ignorierte er den Schmerz. Er versuchte sich vom Deck hochzustemmen. Hände griffen nach ihm, um ihm zu helfen. Schwankend stand er da. Er versuchte krampfhaft, auf den Füßen zu bleiben und den Mann, der vor ihm stand, klar zu erkennen.

»Harry?« James Stimme war voller Besorgnis.

»Es war eine perfekte Rechnung, James. Habe ich es dir nicht gesagt?«

»Sie müssen nach unten kommen, Sir«, drängte ihn Outhwaite.

»Ich hatte alles genau kalkuliert, James. Alles, mit Ausnahme der Tatsache, daß dieser Mann Kommandant der Magnanime sein würde.«

Harry versuchte, auf Carter zu deuten. Er aber war zu schwach, um seinen Arm zu heben.

Oliver Carter war nicht so groß, wie ihn Harry in Erinnerung hatte. Oder war es die Tatsache, daß er fett geworden war, die ihn so klein erschienen ließ? Aber das Gesicht, obwohl jetzt rund, trug denselben Ausdruck. Und das Lächeln, völlig ohne jede Wärme, war ihm sehr vertraut. Der Haß in den Augen sprach Bände.

»Ich bin froh, daß Sie wieder auf den Füßen und wohlauf sind, Ludlow. Sie kommen gerade zurecht, um zu sehen, wie ich ein gefährliches Schifffahrtshindernis beseitige.«

Harry blickte an Carter vorbei auf die Medusa, die in der ozeanischen Dünung rollte. Nahezu ihr gesamtes Rigg war über Bord gegangen. Die Masten waren zu Stümpfen geschrumpft, zersplittert an den Stellen, an denen sie abgebrochen waren. Boote, die längsseits an seinem Schiff gelegen hatten, pullten eilig fort. Er schüttelte die Arme ab, die ihn stützten, und stolperte an die Verschanzung.

»Klar zum Feuern, Mr. Bentley!«

Harry blickte auf sein Schiff. Die Schäden, die die Medusa erlitten hatte, waren schwer, aber der Rumpf war intakt. Mit seiner Crew und etwas Unterstützung von Carter, konnte man ein Notrigg stellen und nach Hause segeln. Er stürzte nach vorne gegen die Bordwand des Schiffes, krampfhaft bemüht, nicht wieder das Bewußtsein zu verlieren. Mit großer Anstrengung drehte er sein Gesicht Carter zu. Als er den Mund öffnete, um den Mann, den er haßte, um Hilfe zu bitten, blickte ihn Carter starr an und rief: »Feuer!«

Harry sagte etwas, aber seine Worte wurden vom Donner der Kanonen verschluckt. Er wirbelte herum, den Schaden zu begutachten, der angerichtet wurde.

Die Magnanime war eine schwimmende Batterie mit enormer Feuerkraft. Trotzdem hätte die Medusa ihren Breitseiten länger widerstehen müssen. Aber sein armes Schiff flog nach der ersten abgefeuerten Salve einfach in Stücke. Den letzten Gedanken, den Harry fassen konnte, bevor ihn tiefe Bewußtlosigkeit umfing, war, daß Carter das Deck des Schiffs mit Pulverfässern bestückt haben mußte. Die Medusa sank nicht. Sie löste sich einfach in Nichts auf.

Haß war kein Gefühl, bei dem sich Harry Ludlow wohl fühlte, weil er spürte, daß es ihn mehr leiden ließ als die Person, der es galt. Obwohl er wie jeder andere Mensch eine tiefe Abneigung hegen konnte, erlaubten es ihm seine umgängliche Natur und sein eingefleischter Optimismus, sie zu verheimlichen. Nur wenige Menschen konnten ihn, durch ihre bloße Existenz, aufregen.

Während er in seiner Koje lag, dachte er an das erste Zusammentreffen zurück. Harry meinte sich an eine gewisse Freundlichkeit zu erinnern. Carter war der Erste auf Admiral Hoods Flaggschiff, der Barfleur, gewesen, einem Dreidecker mit 100 Kanonen. Hood, der in Westindien das Oberkommando gehabt hatte, wurde im Rang übertroffen von Rodney, der eine vereinigte Schlachtflotte von 34 Linienschiffen kommandierte. Ein paar Monate später, im März 1782, würden diese beiden Gentlemen eine äußerst bedeutsame Schlacht schlagen. Rodney, der die französische Linie entgegen den verbindlichen Kampfanweisungen der Admiralität durchbrach, veränderte damit die gesamte Seekriegstaktik. Harry war Hoods Schiff im Januar dieses Jahres als Vierter Leutnant zugeteilt worden.

Es ist schwer zu beschreiben, welche Kluft zwischen einem Vierten Leutnant und dem Ersten klafft, besonders an Bord eines Flaggschiffs. Aber die eisige Zurückhaltung, die in solchen Situationen üblich war, fehlte vollkommen. Beim Zusammentreffen mit den anderen Mitgliedern der Messe, hatte man ihn nicht im Zweifel darüber gelassen, daß es schwierig war, mit Carter umzugehen. Für ihn sollte das absolut unzutreffend zu sein. Wenn Carter an Deck war, schien er ihm aus dem Weg zu gehen, damit er seine Fähigkeiten zeigen konnte. Der Erste ermunterte Harry sogar, seine Ansichten am Messetisch kundzutun. Junge Männer finden solche Aufmerksamkeit ihrer Vorgesetzten schmeichelhaft. Harry bildete da keine Ausnahme. Falls die anderen in der Messe bemerkt hatten, daß er bevorzugt wurde, dann zogen sie es vor, das zu ignorieren.