Klassenführung durch Beziehung - Petra Siwek-Marcon - E-Book

Klassenführung durch Beziehung E-Book

Petra Siwek-Marcon

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Beschreibung

Konstruktive Klassenführung ist vielen Lehrpersonen ein besonderes Anliegen und gleichzeitig eine zentrale Gelingensbedingung für Lernen und Unterricht. Das Buch bietet hierfür konkrete Lösungen an, indem aktuelle wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Klassenführung verständlich aufbereitet und in eine praktische Handreichung zu einem beziehungsorientierten Ansatz von Klassenführung "übersetzt" werden. Das Ergebnis zeigt auf, wie der vielgesuchte Brückenschlag zwischen Ansprüchen an Disziplin im Unterricht und förderliche Lernumgebungen einerseits und an tragfähige Beziehungen in Schule und Unterricht andererseits gelingen kann

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Brennpunkt Schule

Herausgegeben von

Fred Berger

Wilfried Schubarth

Sebastian Wachs

Alexander Wettstein

Die Autorin

Dr. Petra Siwek-Marcon ist Lehrende der Bildungswissenschaft und wissenschaftliche Geschäftsführerin der School of Education an der Paris Lodron Universität in Salzburg sowie klinische und Gesundheitspsychologin.

Petra Siwek-Marcon

Klassenführung durch Beziehung

Grundlagen und Handlungsstrategien

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-041250-7

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-041251-4

epub:   ISBN 978-3-17-041252-1

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

1    Beziehungsorientierte Klassenführung: eine Einführung

2    Klassenführung auf der Sekundarstufe – Was uns verschiedene Sichtweisen lehren können

2.1    Definition(en) von Klassenführung

2.2    Klassenführung als ein Kompetenzbereich von Lehrpersonen

2.3    Klassenführung als präventives vs. reaktives Lehrer*innenhandeln

2.4    Klassenführung im Spannungsfeld zwischen Struktur (»Disziplin«) und Unterstützung (»Beziehung«)

2.4.1    Wahrnehmungen von Disziplin und ihrer Rolle bei der Klassenführung

2.4.2    Wahrnehmungen der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden und ihrer Rolle in der Klassenführung

2.4.3    Resultierende Grundorientierungen gegenüber Klassenführung: zwischen Kontrolle und Beziehung

2.5    »Das Beste aus drei Welten«: Ein integrativer Zugang zur Klassenführung

3    Klassenführung durch Beziehung – so gelingt’s

3.1    Die Disziplin und ich

3.2    In Beziehung treten: gute Grundlagen für Zusammenarbeit schaffen

3.2.1    Möglichkeiten aktiver Beziehungsförderung – mit einzelnen Schüler*innen und im Klassenverband

3.3    Problemen im Entstehen begegnen: Präventive Strategien auf Unterrichtsebene

3.3.1    Arbeit mit Regeln und Erwartungen

Exkurs: Konsequenzen und Strafen – sinnvoll oder nicht?

3.3.2    Herstellung und Erhaltung von Unterrichtsfluss, Klarheit und Struktur

3.3.3    Schüler*innen aktivieren und einbinden

3.3.4    Präsenz zeigen

3.4    Auf Konflikte richtig reagieren: Reaktive Strategien und Interventionen auf Unterrichts- und Beziehungsebene in Akutsituationen

3.4.1    Akute Konflikte unterbrechen und beziehungsfördernd de-eskalieren – Lehrperson vs. Schüler*innen (im Unterricht)

3.4.2    Akute Konflikte unterbrechen und beziehungsfördernd de-eskalieren – Schüler*innen untereinander (außerhalb des Unterrichts)

3.4.3    Konflikte verstehen und richtig einordnen

3.5    Größere Probleme gemeinsam bewältigen

3.5.1    Grundpfeiler erfolgreicher Beratung und Gesprächsführung

3.5.2    Die richtige Gesprächsumgebung

3.5.3    Wichtige Vorbereitungsschritte für Beratende

3.5.4    Struktur und Aufbau beziehungsorientierter Beratungsgespräche

3.5.5    Exkurs: Grundregeln bei schweren Problematiken (Gewalt, Missbrauch, selbstverletzendes Verhalten, …)

3.5.6    … und die Anderen? Einbeziehen von Mitschüler*innen und Thematisierung belastender Themen im Unterricht

3.6    Auf sich selbst achten: Selbstfürsorge und Abgrenzung

3.6.1    Eigene Grenzen wahrnehmen und akzeptieren

3.6.2    Psychohygiene und Selbstfürsorge auf emotionaler, kognitiver und Verhaltensebene

3.6.3    Unterstützungsnetzwerke kennen und nutzen

4    Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

1

Beziehungsorientierte Klassenführung: eine Einführung

Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass sich Verhalten von Schüler*innen und Lehrpersonen gegenseitig bedingen: Pas und Kolleg*innen (2015) zeigten anhand von Beobachtungen in 1262 US-amerikanischen Klassen, dass Schüler*innen, die positives Verhalten im Unterricht zeigten, von ihren Lehrpersonen deutlich mehr positive Reaktionen und Unterstützung erfuhren als Schüler*innen, die provozierendes Verhalten an den Tag legten. Die gegenseitige Beeinflussung von Lehrer*innen und Schüler*innenverhalten und entsprechende Effekte auf die produktive Nutzung der Lernzeit, den Klassenführungsstil der Lehrpersonen und die Beziehungsqualität in den Klassenzimmern konnte in ähnlicher Form auch länderübergreifend gezeigt werden (vgl. z. B. Lewis, Romi, Katz & Qui, 2008; Montuoro & Lewis, 2015). Auf die weitreichenden Effekte dieses Zusammenhangs, etwa auf Lernmotivation der Schüler*innen, Einstellungen gegenüber Lernen und Schulleistungen oder Lehrer*innengesundheit, wird in Kapitel 2 (Kap. 2) noch weiter eingegangen.

Die bislang zitierten Ergebnisse lassen aber bereits zwei wesentliche Schlüsse zu:

1.  Klassenführung und Beziehungsqualität im Unterricht hängen untrennbar miteinander zusammen; und

2.  Schüler*innen und Lehrpersonen sind für das Gelingen (oder Misslingen) beider Aspekte gleichermaßen verantwortlich.

Nichtsdestotrotz zeigt sich bei Betrachtung insbesondere der deutschsprachigen Literatur, dass diese Erkenntnisse noch nicht ausreichend in theoretischen und praktischen Konzeptionen moderner Klassenführung Eingang gefunden haben. Diese Lücke möchte dieser Band schließen, indem einerseits neueste internationale Forschungserkenntnisse zur Erweiterung des Verständnisses von Klassenführung in Richtung einer echten Beziehungsorientierung genutzt werden, andererseits auch aufgezeigt wird, was eine gelingende Beziehung zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen auf der Sekundarstufe denn nun genau ausmacht, wie diese aufgebaut und erhalten werden und für die Gestaltung von Lernumgebungen produktiv genutzt werden kann.

Dazu beleuchtet der Band im ersten Teil (Kap. 2) internationale Erkenntnisse rund um Classroom Management mit Fokus auf die Sekundarstufe, wo Alter und Entwicklungsstand der Lernenden besondere Ansprüche an die Klassenführung – und die Zusammenarbeit mit den Schüler*innen für deren Gelingen – stellen. Im zweiten Teil (Kap. 3) werden die Implikationen aus diesen Erkenntnissen für das konkrete Handeln in- und außerhalb des Unterrichts lösungsorientiert und praxisnah aufbereitet und für Lehrpersonen und allen in Schule und Unterricht tätigen Professionist*innen, die ihren Umgang mit Schüler*innen und hier insbesondere ihre Klassenführung reflektieren und verbessern wollen, zugänglich gemacht. Neben Ausführungen zum Aufbau und Erhalt tragfähiger Beziehungen in Schule und Unterricht werden konkrete präventive sowie konstruktive reaktive Strategien zur Bearbeitung von Problemen in- und außerhalb des Unterrichts vorgestellt und deren Wirkweise und Bedeutung werden erläutert. Darüber hinaus wird besonderes Augenmerk auf Elemente und Gelingensbedingungen beratender Gespräche als zentrales Element beziehungsfördernder Interventionen gelegt. Der Band schließt mit Hinweisen zum konstruktiven eigenen Umgang mit belastenden Situationen, Grundlagen gelungener Abgrenzung und der Bedeutung und Funktion schulischer Unterstützungsnetzwerke mit dem Ziel, die eigenen und fremden Ressourcen, die zur konstruktiven Gestaltung von Lernumgebungen notwendig sind, optimal nutzen und erhalten zu können.

2

Klassenführung auf der Sekundarstufe – Was uns verschiedene Sichtweisen lehren können

2.1       Definition(en) von Klassenführung

«Nearly everything a teacher does, aside from communicating the content of the academic curriculum, is part of classroom management.«

Mit obiger Aussage drücken Schwab & Elias (2015, S. 94f.) in dem Referenzwerk »Handbook of Classroom Management« (Emmer & Sabornie, 2015) auf einen Blick die Breite und Komplexität jener Prozesse aus, die in der modernen Forschung unter dem Begriff »Klassenführung« zusammengefasst werden.

Auf den ersten Blick mag diese Aussage ein Gefühl der Überforderung auslösen – impliziert sie doch, in dieser gesamten Breite »Meister*in« sein zu müssen, wenn man seine Schüler*innen zu produktivem Arbeiten in möglichst störungsfreien und gleichzeitig lern-, autonomie- und sozialförderlichen Klassenzimmern anleiten möchte. Gleichzeitig birgt sie aber auch unheimlich viel Potenzial – nämlich dahingehend, dass viele Wege zum Ziel führen können, an vielen Schrauben gedreht werden kann und gelungene Klassenführung etwas ist, das nicht vorrangig durch punktuelle Aktionen, sondern vielmehr durch einen »Gesamteindruck« von Lehrpersonen und Schüler*innen von deren Lernumfeld bestimmt ist.

In diesem Sinne ist der erste Teil dieses Buches verschiedenen Zugängen und Ansätzen rund um Klassenführung (auch: Klassenmanagement, Classroom Management)2 gewidmet. Dabei wird nicht nur die Vielgestaltigkeit des Begriffs, sondern auch jene der Forschungstraditionen sichtbar werden, die sich mit ihm über die letzten 50 Jahre beschäftigt haben. Wie so oft im pädagogisch-psychologischen Bereich gibt es – eben aufgrund dieser Vielfalt der Zugänge – keine einheitliche und einzige Definition von Klassenmanagement, wohl aber – wenn man so will – Kompromisse, die seinen Kern für einen Großteil der wissenschaftlichen und praktischen Landschaft gut zu treffen scheinen.

Ein Beispiel hierfür ist die breit anerkannte Definition von Evertson & Weinstein (2006) von Classroom Management als die Summe aller koordinativen und steuernden Impulse der Lehrperson, die eine für sozio-emotionales sowie kognitives Lernen günstige Lernumgebung schaffen und aufrecht erhalten(im englischen Original: »teachers’ general leading and coordinating efforts in order to create a learning environment in the classroom which enhances social-emotional as well as academic learning«, Evertson & Weinstein, 2006, S. 4). Gleichzeitig maximiert gute Klassenführung die den Schüler*innen zur Verfügung stehende Lernzeit (engl. »time on task«; Helmke, 2015; Kunter, Baumert & Blum, 2011).

Darüber hinausgehend unterscheiden sich die Definitionen guter Klassenführung, die Komponenten, aus denen sie sich zusammensetzt, und auch ihre Messformen je nach dem dahinter liegenden theoretischen Modell (Fries & Cochran-Smith, 2006).

Diese unterschiedlichen Auffassungen – entstanden aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen und Haltungen gegenüber Grundelementen wie Disziplin, Verantwortlichkeiten und Rollen von Lehrenden und Lernenden oder Beziehungsgestaltung in Unterricht und Schule – haben zur Folge, dass sich interessierte Pädagog*innen mit einer oft verwirrenden, teilweise widersprüchlich erscheinenden Fülle an Empfehlungen konfrontiert sehen, die sich mit den eigenen Grundüberzeugungen und Praxiserfahrungen nur bedingt decken und entsprechend häufig als praxisfern abgelehnt werden.

Die folgenden Seiten verfolgen daher das Ziel, einige wesentliche Zugänge zu Classroom Management sowie deren dahinter liegende pädagogische Haltungen, Ziele und sich daraus ergebende Konsequenzen für den Unterricht vorzustellen. Dies soll einerseits ermöglichen, das im Anschluss vorgestellte Konzept der Klassenführung durch Beziehung als einen Ansatz, der sowohl dem Anspruch nach Strukturgebung als auch jenem nach unterstützender Beziehung gerecht wird, nachvollziehbar abzuleiten. Andererseits soll interessierten Leser*innen dadurch eine Möglichkeit gegeben werden, die eigenen Überzeugungen mit bestehenden Ansätzen abzugleichen und deren Stärken und Entwicklungsbereiche auf Basis der eigenen Erfahrungen zu reflektieren und einzuordnen. Die Ausführungen fokussieren dabei auf Erkenntnisse zum Sekundarstufenbereich, dem primären Interessensfeld der Leser*innen dieser Reihe. Viele Strategien, die in der Ratgeberliteratur zu Klassenführung und Beziehungsgestaltung angeboten werden, haben ihren Ursprung im Grundschulbereich, der traditionell in diesen Themenbereichen wesentlich breiter erforscht ist (Good & Brophy, 2003; Pianta, 2006). Während die dort erprobten und bewährten Strategien, etwa zum Einsatz von Regeln und Ritualen im Unterricht, auch für höhere Schulstufen wertvolle Impulse geben können, verlangen Alter und Entwicklungsstand der Schüler*innen über den Verlauf der Sekundarstufe Anpassungen, die ihren Bedürfnissen nach Autonomie, Selbst- und Mitbestimmung sowie ihren entsprechend weiter entwickelten Fähigkeiten in Bereichen wie Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und Selbstständigkeit gerecht werden. Während in Kapitel 3 auf solche entwicklungspsychologischen Besonderheiten von Jugendlichen im Sekundarstufenalter eingegangen wird, umreißt dieses Kapitel daher den aktuellen Forschungsstand mit explizitem Fokus auf alle Altersstufen jenseits der Grundschule.

2.2       Klassenführung als ein Kompetenzbereich von Lehrpersonen

Eine insbesondere im deutschen Forschungs- und Sprachraum sehr gängige Auffassung von Klassenführung ist jene als eine Steuerungsleistung der Lehrkraft und damit als einen Teil der pädagogisch-psychologischen Kompetenzen von Lehrpersonen (beispielhaft als solche modelliert z. B. in den namhaften Schulwirksamkeitsstudien der letzten Jahre, wie TEDS-M von Blömeke & König, 2010a oder COACTIV von Kunter, Baumert & Blum, 2011). Ebenso ist Klassenführung ein unbestrittener Bestandteil namhafter Modelle von Unterrichtsqualität, etwa jenen von Brühwiler, Hollenstein, Affolter, Biedermann & Oser (2017) oder Andreas Helmke (2015).

In Modellen von Lehrer*innenkompetenz fällt jedoch auf, dass Klassenführung entweder auf einige wenige Elemente verkürzt wird (z. B. Störungsausmaß und Zeitverschwendung im Unterricht bei COACTIV oder störungspräventive Unterrichtsführung und -Planung sowie effektive Zeitnutzung bei TEDS-M) oder nicht genau geklärt ist, was diese Steuerungsleistung tatsächlich umfasst. Die englischsprachige Forschung verfolgt hingegen oftmals breitere Ansätze. So werden dort etwa auch die Beziehungsqualität zwischen Lehrenden und Lernenden (Wubbels et al., 2015) oder pädagogisch-didaktische Grundeinstellungen der Lehrperson (Woolfolk Hoy & Weinstein, 2006) miteingeschlossen und die Eigenverantwortung von Schüler*innen für eine produktive Lernumgebung verstärkt betont (vgl. etwa Pianta, 2006; Bear, 2015). Warum fehlen diese Elemente in den deutschsprachigen Modellen?

Wie Helmke (2015) ausführt, wurde der Begriff der Klassenführung – innerhalb wie außerhalb des Klassenraums – insbesondere im deutschen Sprachraum bis in die 1990er Jahre hinein weitestgehend gemieden, wohl aus Gründen historisch negativ behafteter Verknüpfungen von Begriffen wie Führung, Disziplin u. ä. Eine Folge davon war, dass Theorien, Methoden und Techniken der Klassenführung auch in Aus- und Weiterbildungen für Pädagog*innen kaum Beachtung fanden (van Tartwijk & Hammerness, 2011) und Versuche, Klassenführung zu systematisieren und zu modellieren, abgesehen von wenigen Ausnahmen (bspw. Mayr, Eder & Fartacek, 1991; Rheinberg & Hoss, 1979; im Überblick auch Helmke, 2015 und Piwowar, 2014) im deutschen Sprachraum relativ neu sind (Helmke, 2015; Kunter et al., 2011; Ophardt & Thiel, 2013). Zudem verfolgt die Forschung zu Lehrer*innenkompetenzen und Unterrichtsqualität aktuell im deutschsprachigen Raum einen stark quantitativ-meßorientierten3 Ansatz, der eine Abbildung vieler Einzelkomponenten einer Teildimension wie Klassenführung (vgl. auch Kunter & Voss, 2011) allein aus meßpraktischen und ökonomischen Gründen nicht erlauben würde. Die Folge aus beidem ist allerdings, dass diese Ansätze zu effektiver Klassenführung im Vergleich zum internationalen Forschungsstand relativ kurz greifen und empirisch erwiesenermaßen zentrale Aspekte, wie die Beziehungsqualität zwischen Lehrenden und Lernenden (Cornelius-White, 2007; Montuoro & Lewis, 2015; Pianta, 2006; Piwowar, 2014; Woolfolk Hoy & Weinstein, 2006; Wubbels et al., 2015) unberücksichtigt bleiben. Dementsprechend wird bei näherem Interesse an der beschriebenen Auslegung von Klassenführung in Modellen von Lehrer*innenkompetenz, den dortigen weiteren Teilbereichen pädagogisch-psychologischer Kompetenzen und deren Messung auf die oben angegebenen Primärquellen verwiesen.

2.3       Klassenführung als präventives vs. reaktives Lehrer*innenhandeln

Eine weitere häufig in der Literatur angetroffene Einteilung von Klassenmanagement, insbesondere wenn es um spezifische Techniken und Verhaltensweisen bei Klassenführung geht, ist jene in präventive vs. reaktive Strategien, die von Lehrpersonen eingesetzt werden, um mit Unterrichtsstörungen umzugehen. Präventive Strategien sind dabei all jene, die Störungen der aktiven Lernzeit von Vornherein zu vermeiden suchen, während reaktive Strategien sich auf den Umgang mit bereits aufgetretenen Störungen des Unterrichts konzentrieren (Woolfolk Hoy & Weinstein, 2006; Emmer & Sabornie, 2015a; Kounin, 2006).

Diese Unterscheidung geht wesentlich auf Jacob Kounins (2006) Originalforschung zu Strategien erfolgreicher Klassenführung aus den 1970er Jahren zurück, die auch moderne Forschung und theoretische Modelle zu Classroom Management nach wie vor prägend beeinflusst (Emmer & Sabornie, 2015a; Evertson & Weinstein, 2006; Piwowar, 2013; Woolfolk Hoy & Weinstein, 2006). Aufbauend auf Kounins Erkenntnissen zu Verhaltensweisen von Lehrpersonen, deren Unterricht einen hohen Anteil echter Lernzeit und wenig Störungen aufwies, stimmt die Wissenschaft auch heute darin überein, dass sich gute Klassenführung besonders durch präventives und proaktives Lehrer*innenhandeln auszeichnet (Bear, 2015; Emmer & Sabornie, 2015a; de Jong, van Tartwijk, Wubbels, Veldman, & Verloop, 2013; Mitchell & Bradshaw, 2013; van Tartwijk & Hammerness, 2011; Woolfolk Hoy & Weinstein, 2006). Demgegenüber wird reaktives