Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Zwei Punkte scheinen Pädagoginnen und Pädagogen, seit es Schule gibt, immer wieder sehr zu beschäftigen: die so oft fehlende Freude, der fehlende Spaß ihrer Schützlinge am Unterricht bzw. die mangelnde Lust auf Unterricht und das Ausbleiben eines zeitnahen, spezifischen Feedbacks für ihre Leistungen. Im Gegensatz zu einem Handwerker, der nach Fertigstellung seiner Arbeit Form und Funktion seines Werkstücks sofort kontrollieren kann, können Jahre oder gar Jahrzehnte ins Land ziehen, bis des Lehrers „Werkstück richtig funktioniert“. Nur äußerst selten lassen sich Politiker zu einem Pauschallob für die Lehrerzunft hinreißen. Für ein ausgeglichenes Seelenleben muss eine Lehrperson lernen, sich nachvollziehbares Feedback anderweitig zu beschaffen. Warum also nicht Befriedigung daraus ziehen, wenn es gelingt, die SchülerInnen mit etwa Neuem, Überraschendem, Spannendem zu ködern, etwa mit Geschichten und Erzählungen oder mit kleinen Computerspielen an PC, Tablet oder Handy? Warum nicht Zufriedenheit erlangen im Wissen, dass Methodik und Vorgehensweise den modernen Erkenntnissen der neurologischen Forschungen folgen oder Hatties Barometer von dem, was in der Schule am besten funktioniert, berücksichtigen? Wie kompatibel sind kleine Computerrätselspiele und Geschichten mit den Erkenntnissen der modernen Hirn- und Lernforschung, wie mit den Ergebnissen der Hattie-Studie („Visible Learning“)? In Anlehnung an die klassische Literatur könnte eine Gewissensfrage an den Lehrenden lauten: „Nun sag, wie hältst du´s mit den Computerspielen?“ Darf man im Unterricht, soll man vielleicht sogar? Steht ein zu erwartender Kompetenzerwerb in vernünftiger Relation zu Zeitaufwand und Kosten? Computerspiele polarisieren heftig, besonders bei einem geplanten Einsatz im Unterricht. Das Spektrum der Einschätzung reicht von totaler Ablehnung („Geht gar nicht!“) über ein „Kann-man-ja-mal-Versuchen“ bis hin zu einer Befürwortung. Fest steht, Computerspiele gehören bei Jugendlichen zu den weitaus beliebtesten medialen Unterhaltungsmöglichkeiten und haben einen hohen Spaßfaktor. Fest steht aber auch, dass heutzutage vorschnell auf das Internet und auf Computerspiele verwiesen wird, wenn es darum geht, den moralischen Verfall unserer Gesellschaft und insbesondere von Jugendlichen plausibel zu machen. Geschichten und Erzählungen sowie kleine, von Lehrern selbst kreierte Computerspiele sollen in dieser Arbeit auf die Waage eines Lernerfolges gelegt werden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 196
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
1 Einleitung
2 Wie wir lernen und wie narrative Elemente und Computerspiele in dieses System passen
3 Die Tauglichkeit von erzählerischen Elementen und kleinen Computerspielen für den Unterricht unter besonderer Berücksichtigung der Hattie – Studie
4 Was für den Einsatz von narrativen Elementen (Geschichten, Erzählungen) im Unterricht spricht
5 Was für eLearning, eEducation, neue Medien und digitale Kompetenz im Unterricht spricht
6 Was für den Einsatz von Computern und Computerspielen im Unterricht spricht
7 Kleine Computerspiele
7.1 Theoretische Überlegungen über kleine Quiz- und Ratespiele am PC
7.2 Kleine Computer- Ratespiele in der Praxis
8 Narrative Elemente für den Unterricht in Theorie und Praxis
8.1 Eine unendliche Erfolgsgeschichte?
8.2 Zeitzeugen- und Expertenberichte
8.2.1 Zeitzeugen- und Expertenberichte in der wissenschaftlichen Literatur
8.2.2 Zeitzeugen- und Expertenberichte – praktische Beispiele
8.3 Mnemotechnische Hilfen, Merksprüche und Eselsbrücken
8.3.1 Merksprüche, Eselsbrücken und andere mnemotechnische Hilfsmittel beim Lernen
8.3.2 Mnemotechnische Hilfen – Parktische Beispiele
8.4 Comics im Unterricht
8.4.1 Comics in der wissenschaftlichen Literatur
8.4.2 Comics in der Praxis
8.5 Storytelling (Story Telling
)
8.5.1 Story Telling – eine Lehrerrunde
8.5.2 Storytelling nach Dorn (2004
)
8.6 Narrative Geografie nach Tilman Rhode-Jüchtern
8.7 Anchored Instruction
8.7.1 Anchored Instruction – Erläuterung
8.7.2 Praktisches Beispiel für Anchored Instruction
8.8 Goal-Based Scenarios (GBS) nach Schank
8.8.1 GBS – Erläuterung
8.8.2 Goal-Based Scenarios in praktischen Beispielen
9 Zusammenfassung
10 Anhang
Lukas ist ein 17-jähriger Schüler eines Oberstufengymnasiums.
Nächste Woche ist in seiner Klasse eine Mathe-Schularbeit angesagt. Lukas freut sich riesig auf diesen „Event“. Da möchte er allen zeigen, was er drauf hat, möchte beweisen, dass er zu den Besten gehört. Um optimal vorbereitet zu sein, haben Lukas und seine Kollegen für die nächsten Abende noch vier Trainingseinheiten eingeplant. Heute Abend wird der Lehrer eine taktische Besprechung abhalten und dabei die individuellen Stärken und Schwächen jedes Einzelnen ansprechen. Für morgen ist dann individuelles Üben mit gegenseitiger Unterstützung nach dem Übungsplan des Lehrers angesagt. Lukas hat sich vorgenommen, jeweils nur ein leichtes Abendessen zu sich zu nehmen, denn er weiß ja: „Ein voller Magen studiert nicht gerne.“ Ein Freund von Lukas hat vorgeschlagen, zur besseren Vorbereitung am Wochenende auf den obligaten Discobesuch und auf Alkohol zu verzichten. Um sich ganz auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren, soll auch die Spielkonsole unbeachtet in der Ecke liegen bleiben. Lukas ist Feuer und Flamme für diese Vorschläge, er ist überzeugt, dass sich dieser „asketische“ Lebenswandel positiv auf sein Leistungsvermögen auswirken wird. Die letzten beiden Trainingsabende werden sie Beispiele üben und nochmals üben. Der Lehrer wird sie aufmuntern und versuchen, ihr Selbstvertrauen zu stärken. Lukas ist nicht übermäßig nervös, er vertraut auf seine Stärke und seine Vorbereitung, ein wenig angespannt vielleicht, aber das gehört dazu.
Alles nur ein Traum oder ein Märchen, möchte der geeichte Lehrer einwenden. Keineswegs! Es wurde nur der „Event“ ausgetauscht. Statt der Mathe-Schularbeit steht das Fußballderby gegen den Nachbarverein auf dem Spielplan. Sonst bleibt alles wie beschrieben. Wohlgemerkt, es handelt sich um unterklassigen Fußball, in aller Regel ohne Aussicht auf Karriere auch nur eines Spielers. Die Sportler nehmen, ohne viel zu murren, Kraft- und Konditionstraining in Kauf, weil sie wissen, dass sie diese Fertigkeiten und Fähigkeiten im Spiel gebrauchen werden.
Sie sind beinahe zu jedem Opfer bereit (Ernährungstipps, Lebenswandel …), weil es ein tolles Gefühl ist, Teil einer Sportmannschaft zu sein, gemeinsam mit Gleichgesinnten Fußball zu spielen, weil es ein Glücksgefühl bedeutet, für das eigene Team ein Tor zu erzielen.
Die Frage darf sich eine Lehrperson stellen: Warum gelingt es uns nicht annährend bzw. viel zu selten, solche Glücksgefühle, solche Lust und Freude in der Schule auszulösen?
Vielleicht tragen ja erzählerische Elemente und kleinere Rate- und Quizspiele am Computer ein Scherflein dazu bei, dass Spaß und Freude in den Klassenräumen einziehen.
Der Gedanke an die oft fehlende Freude an Schule bzw. die mangelnde Lust auf Schule hat den Autor dieser Arbeit zeit seines Lehrerlebens begleitet, genauso wie die Frage nach dem Warum.
Eine zweite Quelle der Nachdenklichkeit über den Lehrberuf und seine Tücken ergibt sich aus der Tatsache, dass den PädagogInnen während ihres Arbeitslebens ein zeitnahes, spezifisches Feedback für ihre Leistungen meist versagt bleibt.
Der Schreiner, der Schuster oder der Werkzeugmacher wird nach Fertigstellung seiner Arbeit – sofern er nicht sofort vom Kunden Lob oder Kritik erfährt – leicht feststellen können, dass sein Werkstück sauber gearbeitet ist und einwandfrei funktioniert. Bis des Lehrers „Werkstück“ richtig funktioniert, können Jahre oder gar Jahrzehnte ins Land ziehen.
Ein sofortiges Kundenfeedback ist im schulischen Kontext erfahrungsgemäß kaum zu bekommen. Nur äußerst selten lassen sich Politiker zu einem Pauschallob für die Unterrichtenden herab, nur hin und wieder wird in Festreden auf die immense Bedeutung ihrer Arbeit hingewiesen.
Für ein ausgeglichenes Seelenleben muss die Lehrperson lernen, sich ein zeitnahes, spezifisches und nachvollziehbares Feedback anderweitig zu beschaffen. Freilich bemerkt eine Lehrperson, wenn die Augen der SchülerInnen hellwach sind, wenn sich deren Aufmerksamkeit auf das Gebotene fokussiert, wenn ihre Zwischenfragen echtem Interesse geschuldet sind. Selbstverständlich registriert man ihren Stolz, wenn sie ihre Arbeiten präsentieren, wenn ihre Kreativität von KollegInnen bewundert wird. Freilich hören PädagogInnen aus Schülersprüchen („Cool“) ein dickes Lob heraus.
Wie der Handwerker seine vollendete Arbeit selbst nach Form und Funktion beurteilt, könnte oder besser gesagt sollte jede Lehrperson ihre Zufriedenheit daraus zu ziehen vermögen, dass ihre methodische Vorgangsweise den neuen Erkenntnissen der Lernbzw. Hirnforschung entspricht und sich John Hatties Vorstellungen von gutem Unterricht in ihrer Art zu lehren widerspiegelt. Viele LehrerInnen versuchen sich erfreulicherweise ständig zu entwickeln, sich fortzubilden, sich immer wieder zu kontrollieren, um zu sehen, ob sie sich verbessern. Und Hattie (2013, S. XXXVII) liefert uns dazu „… ein Barometer…, das uns zeigt, was am besten funktioniert.“
Die Frage, die diese Arbeit begleiten soll, lautet:
Welche erzählerischen Elemente und welche kleinen Computerspiele können ihre Tauglichkeit für einen guten Unterricht (in Theorie und Praxis) belegen unter besonderer Berücksichtigung von eEducation und der aktuellen Erkenntnisse von Hirnforschung (Lernforschung) und der Hattie-Studie?
Die narrativen Elemente und die Computerspiele sollen dabei als zwei von vielen Methoden und Strategien, die Unterricht abwechslungsreich, spannend und vor allem ertragreich gestalten können, etabliert werden.
Diese Arbeit möchte anregen, mit den einfachen Mitteln des Web 2.0 aktiv zu werden und vielleicht den einen oder anderen neuen Weg zu versuchen.
Die Geschichten in dieser Arbeit sind – wie Kruse (2001, S. 42) es sieht - Abfolgen „…von Handlungen und Begebenheiten in der Zeit, wobei ein Beginn und ein Ende durch einen wie auch immer gearteten Handlungsbogen miteinander verbunden sind.“
Und diese Geschichten könnten in unterschiedlichen Medien erzählt werden (z.B. Text, Film, Theater, Comics, Computerspiel …), meint Kruse weiter.
Und wenn dann unsere Geschichten Zuhörer fänden, würden sie zu Erzählungen, wie Reimann und Vohle (2005) feststellen.
Das schematische Grundgerüst für die diversen Formen narrativer Elemente wird von Linseder (2013) übernommen und sieht als Unterscheidungskriterium die didaktische Motivation. So lassen sich zwei Gruppen von Erzählungen formieren: Eine erste, in der das Transportieren und Behalten von Fakten das Ziel ist, und eine zweite, in der die Geschichten Ausgangspunkt für weitere Schüleraktivitäten sind.
Unter dem Begriff Story Telling (Storytelling) werden im Übrigen verschiedene Ansätze subsumiert (dazu später).
Freilich können auch die Elemente der ersten Gruppe von den SchülerInnen weiterverarbeitet werden, die Intention der Methode ist aber zunächst der Faktentransfer.
Bei den kleinen Computerspielen sollen nicht professionell programmierte Spiele unser Thema sein, sondern von Lehrenden ohne große Programmierkenntnisse erstellte kleine Quiz- und Ratespiele, die in erster Linie das Faktenlernen (z.B. Vokabellernen) freudvoller, abwechslungsreicher und humorvoller machen und dank ihres Wettkampfcharakters auch häufiges Wiederholen ohne quälende Langeweile ermöglichen sollen, sowie um Rollen- bzw. Simulationsspiele, bei denen es um das Anwenden und Festigen von Gelerntem geht. Im Fokus stehen also vornehmlich Lerninhalte, bei denen wir üblicherweise Kniffe wie Mnemotechniken, Eselsbrücken usw. einsetzen.
„Erziehung und Unterricht können als eine Art Landschaftspflege des Gehirns betrachtet werden, und Erzieher und Lehrer sind im gewissen Sinne wie Gärtner. Natürlich können Gärtner ohne richtige Erde und ordentliche Wurzeln keine Rosen züchten, aber ein guter Gärtner kann Wunder mit dem vollbringen, was vorhanden ist.“
So sehen Blakemore und Frith (2005, S. 24) Erziehungsarbeit.
Die Zusammenarbeit zwischen PädagogInnen und WissenschaftlerInnen der Hirnforschung wird immer intensiver. Zu wissen, wie das Gehirn lernt, muss jedem Erzieher ein wichtiges Anliegen sein: Die aktuellen Erkenntnisse der Hirnforschung geben den Lehrkräften die richtigen Werkzeuge in die Hand, lassen sie die besten Methoden anwenden und die richtigen Strategien für nachhaltigen Unterricht entwickeln.
Blakemore und Frith (2005, S. 14) beklagen aber, dass
„… es trotz dieses wachsenden Wissensfundus und trotz seiner Bedeutung für die Strategien von Erziehung und Unterricht so wenig Verbindungen zwischen der Hirnforschung und der Bildungspolitik und –praxis gab.“
Wie tröstlich ist es doch, dass die althergebrachten Vorstellungen vom unaufhaltsamen, stetigen Verfall unseres Gehirns ab dem 20.Lebensjahr von der aktuellen neurologischen Forschung widerlegt wurden.
Es ist ebenso tröstlich zu wissen - wie Blakemore und Frith feststellen -, dass sich zwar die meisten Zellen im Gehirn bereits vor der Geburt bilden würden, dass dies aber auch noch im Erwachsenenalter geschehe, und zwar besonders in Arealen, die für das Lernen und das Gedächtnis zuständig seien (z.B. im Hippokampus).
So werde lebenslanges Lernen durch die Plastizität unseres Gehirns möglich, wenn auch vielleicht unter anderen Voraussetzungen und Bedingungen als in jungen Jahren.
Beim Lernen von etwas Neuem, lassen uns Blakemore und Frith wissen, verändere sich unser Gehirn, und das sei diese angesprochene Plastizität. Von Zeit zu Zeit (vornehmlich im Kindesalter, aber auch noch in der Pubertät) finde eine Feinanpassungstatt, die zwar mit einem Verlust an Flexibilität einhergehe, aber Effizienz und Sicherheit verspreche. Ebenfalls finde, so Blakemore und Frith weiter, eine Reorganisation von der Art statt, dass Synapsenverbindungen gebildet und rückgebildet würden bzw. eine allmähliche Myelinisierung der Nervenzellen vonstattengehe. Myelin ist ein fetthaltiges Gewebe, das isolierend wirkt und die Geschwindigkeit erhöht.
Ähnlich der Arbeit eines Gärtners hört also die Arbeit der LehrerInnen niemals auf.
Ziemlich unaufgeregt reagieren Blakemore und Frith (2005, S. 57 - 58) auf die Früherziehungsdebatte: Sie vertreten dabei die Meinung, dass eine „…ausschließliche Konzentration auf gezielte Förderungsmaßnahmen in den ersten Lebensjahren von Kindern“ nicht notwendig sei. Lernangebote sollten in allen Altersstufen zu Verfügung stehen. Zwar gebe es im Kindesalter sensible Lernphasen, z.B. für das Laufen, das Sprechen und das Sehvermögen, zwar gebe „… es eine begrenzte Zeit für die effizienteste Form des Grammatiklernens …“ (Blakemore und Frith, 2005, S.72), aber eine normal anregungsreiche Umgebung genüge allemal.
Blakemore und Frith weisen in diesem Zusammenhang auf die Vitamindebatte: Klar – ein Zuwenig schade, ein Minimum dürfe nicht unterschritten werden, eine ausgewogene Ernährung aber garantiere die optimale Versorgung mit Vitaminen, während eine zu hohe Dosierung auch die Gefahr von negativen Auswirkungen berge. Und das könne auch für eine Überreizung des Gehirns nicht ausgeschlossen werden.
Blakemore und Frith berichten weiter von mehreren aktuellen Erkenntnissen, die die Gehirnentwicklung nach der Pubertät (in der Adoleszenz) in neuem Licht zeigen würden und für PädagogInnen (unter anderem der Sekundarstufe II) von ungeheurer Relevanz seien.
„…selektive Aufmerksamkeit, Entscheidungskompetenz und die Kompetenz zur Unterdrückung von Reaktionen sowie die Fähigkeit, mehrere Aufgaben auf einmal auszuführen, sind Fähigkeiten, die sich in der Adoleszenz verbessern können.“ (Blakemore und Frith,2005, S.120)
Problemlösungskompetenz, Planungsverhalten, gleichzeitige Ausführung von mehreren Aufgaben, selektive Aufmerksamkeit würden mehr und mehr an den Tag gelegt. Die Verbesserung solcher Exekutivfunktionen gehe mit einer „Ausjätung“ von überflüssigen Synapsenverbindungen und einer zunehmenden Myelinisierung einher. Es macht also wenig Sinn, 10-jährige SchülerInnen mit der Planung eines komplexen Projektes zu beauftragen, wenn sich die entsprechenden Voraussetzungen und Fähigkeiten erst nach der Pubertät zu entwickeln beginnen.
Die Jahre nach der Pubertät böten laut Blakemore und Frith (2005, S. 174) überaus wichtige Lernchancen, die
„…die Stärkung der inneren Kontrolle, das Lernen im eigenen Tempo, die kritische Evaluierung des vermittelten Wissens und die metakognitiven Kompetenzen umfassen.“
Blakemore und Frith (2005, S. 175) plädieren dafür, dass jetzt auch „Fähigkeiten wie Schlittschuhlaufen, Klavierspielen, Lesen, Rechnen, Computerprogrammierung und so weiter…“ im Gehirn aufgenommen würden und Raum bekommen müssten.
Spitzer (2003) stellt fest, dass Gehirne (und ganz besonders junge) richtige Lernmaschinen, Informationsaufsauger, wahre Motivationskünstler und Regelgeneratoren seien.
Um Effizienz und Schnelligkeit bemüht, antizipieren Gehirne permanent den erhaltenen Input. Sie würden vorausberechnen und würden ziemlich gelangweilt reagieren, wenn die Realität mit der Vorausberechnung übereinstimme, meint Spitzer weiter. Er berichtet von Beobachtungen an Babys, die sich gelangweilt abwenden würden, sobald ihnen bereits bekannte Satzstrukturen vorgespielt würden, sich aber höchst aufmerksam zeigen, wenn neue Sätze zu hören wären.
Und so bleibe es ein Leben lang: Es müsse etwas neu, bedeutsam und interessant sein, dann mache sich das Gehirn an die Speicherung, wie Spitzer festhält.
Diese Erkenntnisse bringen LehrerInnen in die Pflicht, hin und wieder neue Methoden, interessante Inhalte anzubieten. Auf diese Herausforderung antwortet eine versierte Lehrperson mit einem möglichst breiten Methodenmix und der einen oder anderen Überraschung (z.B. eine Geschichte, eine Podiumsdiskussion…).
Je tiefer ein Inhalt verarbeitet werde – so Spitzer weiter - je mehr wir darüber nachdenken würden, je öfter wir die Sache hin- und herwenden würden, desto besser bleibe sie uns im Gedächtnis. Die Inhalte würden dabei von verschiedenen Arealen des Gehirns zugleich verarbeitet. Die Nervenzellen würden – so Spitzer weiter – über Inputs der Sinnesorgane aktiviert, und zwar in den Arealen für visuelle, auditorische oder sensitive Reize. Die Neuronen, die auf ähnliche Inputs reagieren würden, befänden sich in lokaler Nähe und würden eine plastische Karte bilden. Jene Bereiche, die mehr aktiviert würden, also mehr Reize erhielten, würden vergrößert, der Mensch lerne.
Wenn die Inputs eine bestimmte Stärke der Aktivierung überträfen, würden die Nervenzellen Synapsen mit den Nachbarzellen bilden. Langfristige Verbindungen bedeuteten das Behalten des Gelernten.
Solche Veränderungen des Gehirns nenne man eben Neuroplastizität (Plastizität des Gehirns), lässt uns Spitzer wissen.
Intensives Trainieren und Üben führe zu einem beschleunigten Transfer ins Langzeitgedächtnis. Dabei spiele der Schlaf eine besondere Rolle. „Wir lernen im Schlaf“ – so könnte eine Schlagzeile lauten, aber (leider) nicht mit einem unter das Kopfkissen gelegten Buch bzw. einer Kassette, CD, DVD.
Nach Rasch u. a. (2007) erfolge vorwiegend im Tiefschlaf eine Konsolidierung von Gedächtnisinhalten der Art, dass das tagsüber Gelernte in die Großhirnrinde übertragen werde. Nach Spitzer (2003, S. 123) gehe es dabei „…um das Kopieren, Komprimieren, Umkodieren, Sortieren, Assoziieren und Gruppieren von Daten.“
Blakemore und Frith (2005, S. 243) erzählen von Untersuchungen von Pierre Masquet, der berichtet, dass bei seinen Versuchspersonen während des Nachtschlafs (REM-Phase) dieselben Gehirnareale aktiv gewesen seien, die während einer Aufgabenlösung am Tag beansprucht worden seien. Das am Tag Erlernte werde offenbar gefestigt, so dass sich die Leistungen der Probanden bei diesen Aufgaben am nächsten Tag verbessert hätten.
Diese Erkenntnisse legen uns Lernhygiene ans Herz. Wie an anderer Stelle noch berichtet wird, könnten beispielsweise allzu exzessive Sitzungen an der Spielkonsole nach dem Lernen diese nächtliche Datensicherung erheblich hemmen oder stören.
Vor 40 – 50 Jahren waren die Neurowissenschaftler noch der Meinung, dass sich unser Gehirn in der Kindheit entwickle und es später praktisch keine plastischen Veränderungen mehr gebe. Blakemore und Frith nennen uns die Erfolgsformel führender Neuropsychologen: „Use it or lose it.“
Wer sein Gehirn benutzt, lässt es wachsen, wer nicht, lässt es wieder verkümmern.
Zunächst scheint es ja ein Systemfehler zu sein, dass nicht alles Gelernte dauerhaft ist. Wenn man aber berücksichtigt, wie oft man seine Meinung ändern muss oder darf, wie oft es neue Erkenntnisse und Erfahrungen gibt, erkennt man, dass im Sinne einer optimalen Anpassungsfähigkeit nicht alles Lernen dauerhaft sein soll, wie es Blakemore und Frith (2005, S. 191) trefflich formulieren.
Was uns unmittelbar evident erscheint, dass nämlich Emotionen (Gefühle, Stimmungen, Ängste, Stress …) unsere Lernleistung und unser Gedächtnis beeinflussen, werde – so Blakemore und Frith – zunehmend durch objektive Forschungsergebnisse belegt. Dabei zeichne sich wenig überraschend ab, dass emotionale Ereignisse besser im Gedächtnis haften bleiben würden als neutrale. Das Erinnern an aufwühlende Situationen bilde im Gehirn ein ähnliches Aktivierungsniveau wie die Realität aus.
Für Lehrpersonen scheine das Wissen um die Furchtkonditionierung von immenser Bedeutung zu sein. Schon eine einmalige negative Erfahrung könne diese auslösen. Im Falle von „Gefahr“ werde die aktuelle Tätigkeit unterbrochen, um mit sämtlichen Ressourcen eben dieser „Gefahr“ zu begegnen. Angst, Stress und Furcht würden oft Unterbrechungsfunktionen in Gang setzen, die anstehenden Aufgaben würden unterbrochen, die Lernfähigkeit und die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
Blakemore und Frith halten dazu fest, dass Furcht auslösende Stimuli besonders „effektiv“ wirken würden.
Emotionen würden aber nicht nur als Widersacher des Verstandes eingeschätzt, sie könnten es aber sein. Spitzer (2003, S.165 – 166) und seine Mitarbeiter hatten in einem Versuch das spätere Erinnerungsvermögen an neutrale Wörter nach einer positiven, negativen oder neutralen Gefühlssituation getestet.
Dabei gelang der Nachweis,
„… dass der emotionale Kontext, in dem die Einspeicherung der Wörter geschieht, einen modulierenden Einfluss auf die spätere Erinnerungsleistung hat. So wurden diejenigen Wörter am besten erinnert, die in einem positiven emotionalen Kontext eingespeichert wurden.“
Spitzers (S. 160) Empfehlung lautet:
„Ganz allgemein lässt sich Folgendes festhalten: Was den Menschen umtreibt, sind nicht Fakten und Daten, sondern Gefühle, Geschichten und vor allem andere Menschen.“
Eines Lehrers Resümee daraus: Tragen wir Sorge für einen möglichst angst- , furchtund stressfreien Unterricht. Lassen wir im schulischen Kontext Gefühle und Geschichten zu, womit sich der Kreis zu unserer narrativen Thematik schließt.
Wenn in Beruf und Schule von mangelnder Leistung die Rede ist, wird in einer Analyse sehr oft die fehlende Motivation als Ursache ausgeforscht. Aber wie schaffen wir es, ArbeiterInnen bzw. SchülerInnen zu motivieren? Was treibt uns an?
Spitzer meint, es seien Neuigkeit, Belohnung und Dopamin.
Um effektiv und schnell zu arbeiten, sei unser Gehirn laut Spitzer permanent damit beschäftigt, das Geschehen um uns vorauszusagen, zu antizipieren. Wenn nun das reale Geschehen der Vorausberechnung entspreche, werde es als „bedeutungslos“ eingestuft. Wenn es aber davon abweiche, interessant und neu sei, erhalte das Gehirn das Signal zu lernen.
Das Gehirn produziere – so berichten Blakemore und Frith – mehrere chemische Substanzen (Neurotransmitter), unter anderem das Dopamin. Eine wichtige Funktion des Dopamins ist die Belohnung. Bei einer Begegnung mit Neuem werde eben dieses Dopamin freigesetzt, werde also ein Stimulus mit einer Belohnung gekoppelt. Nach solchen Reizen giere unser Gehirn.
Belohnung resultiere auch aus der Umgebung der SchülerInnen. So berichten Blakemore und Frith von einem Experiment, in welchem das Belohnungssystem von Versuchspersonen aktiv wurde, wenn ein freundliches, attraktives Gesicht (auch als Bild) die Versuchspersonen anschaue.
Dieser Erkenntnis kann bei einem Quiz- oder Ratespiel durch den Einbau eines entsprechenden Bildes im Feedback auf die Antworten Rechnung getragen werden.
Abb. 1: Feedback bei Quiz und Ratespielen
Motivation ist allemal intrinsisch. Wir sollten vielleicht in Beruf und Schule mehr darüber nachdenken, nicht zu demotivieren.
„Lob muss zeitnah, spezifisch und für den Schüler klar nachvollziehbar sein“, meint Spitzer (2003, S. 193).
Er rät den Lehrpersonen, die Begeisterung für ihr Fach spürbar zu machen, interessante Geschichten zu erzählen, gelegentlich zu loben und öfters einen netten Blick für die SchülerInnen übrig zu haben.
Nun findet ja Lernen unter ganz verschiedenen Voraussetzungen, Bedingungen und Anforderungen statt, was wahrscheinlich unterschiedliche Strategien erforderlich macht.
So könnte die Herausforderung im Auswendiglernen bestehen, einer Lernweise, bei der man Wörter bzw. andere Inhalte so lange wiederholt, bis man sie sich eingeprägt hat. Die Bedeutung der Wörter bleibt zunächst nebensächlich (z. B. Vokabeln lernen, topografische Inhalte, Hauptstädte lernen…).
Blakemore und Frith merken dazu an. dass sich das Auswendiglernen mit zunehmendem Alter verändere, meist schwerer falle. Die Rolle des Auswendiglernens in Erziehung und Unterricht bleibt umstritten: Manch ein Pädagoge mag das Lernen ohne Berücksichtigung der Bedeutung ablehnen, manch anderer mit dem Hinweis auf jahrhundertelange Tradition befürworten.
Hier kommen Mnemotechniken, Eselsbrücken, Merksprüche ins Spiel, wenn nicht sinnstiftendes Lernen möglich ist. Wiederholungen in neuer Form, Assoziationen und Neuordnung, all das kann in kleinen Ratespielen lustvoll zu einer besseren Merkleistung beitragen.
Gedächtnishilfen beruhen ja laut Stangl (2006) in erster Linie darauf, dass Ordnung geschaffen werde, die Inhalte also nochmals anders zusammengestellt und verarbeitet würden.
Größeren Erfolg versprächen nach Stangl (2011a) Assoziationen zwischen Bild und Wort – die Visualisierung. Auch Blakemore und Frith sprechen von einer anderen Lernqualität, wenn der Lernende versuche, Begriffe vor seinem geistigen Auge zu sehen.
Blakemore und Frith bescheinigen der Visualisierung eine lange Tradition, hätten sich doch schon die Redner der Antike dieses Hilfsmittels bedient, um sich lange und komplexe Reden zu merken. Die meisten Autoren der Lernforschung (Blakemore und Frith, Spitzer, Stangl) empfehlen den Gebrauch von schrillen, bizarren, bunten, ausgefallenen Bildern, die leichter zu behalten seien.
Gedächtniskünstler, wie man sie in diversen Fernsehshows bewundern kann, seien laut Blakemore und Frith weder intelligenter noch würden sie andere Gehirnstrukturen aufweisen. Sie seien einfach trainiert auf das Spielchen mit dem Abrufen von Informationen. Meist würden die Bilder in Geschichten verpackt und blieben so leichter abrufbar.
Bei der Visualisierung würden im Gehirn ähnliche Verarbeitungsprozesse ablaufen wie bei der tatsächlichen Wahrnehmung, erklären uns Blakemore und Frith. Als besonders günstig habe sich erwiesen - führen Blakemore und Frith weiter aus -, wenn der Input über verschiedene Wahrnehmungsmodalitäten erfolge und etwa Gesehenes mit Gehörtem verbunden werde. Dazu könnten aus dem narrativen Angebot besonders das „Goal-Based Scenario“ bzw. die „Anchored Instruction“ punkten, weil dem Lernenden Visuelles und Auditives angeboten wird.
Warum nicht einmal eine Anleihe beim Spitzensport machen, wo man mit Lernmethoden (sprich Trainingsmethoden) viel Erfahrung sammeln konnte? Aus der Trainingslehre (Weineck, J. 1988) wissen wir heute, dass wir ab einer bestimmten Leistungshöhe immer wieder veränderte Trainingsreize setzen müssen, um eine Leistungssteigerung zu erreichen. Könnte das in Analogie nicht auch für einen breiten Methodenmix beim Lernen sprechen?
Blakemore und Frith verweisen in der Folge darauf, dass visuelle Vorstellungen körperliche Auswirkungen haben können, indem sie z. B. Herzfrequenz, Atmung, Blutdruck beeinflussen. Diesen Effekt nutzen sportliche Übungsleiter seit längerem im mentalen Training. Dabei solle ein Bewegungsablauf durch intensives Vorstellen erlernt oder verbessert werden, erklärt uns Weineck (1988). Durch das intensive Vorstellen komme es zu einer Aktivierung des Gehirns und zu kleineren Kontraktionen in den entsprechenden Muskeln.
Insgesamt aber würden sich „die Menschen dramatisch in ihrem Visualisierungsvermögen“ unterscheiden, berichten Blakemore und Frith (2005, S. 224).
Eine andere Art zu lernen ist die Nachahmung. Diese altbewährte Lernstrategie ist für Blakemore und Frith (2005, S. 225) „… ein wichtiger Kunstgriff für das Lernen …“ von Säuglingen und „… bindet darüber hinaus die eigene Identität an die der Menschen um einen herum.“ Wenn wir aber vom Lernen im höheren Alter sprechen, meinen wir im Gegensatz zum Nachahmen im Kindesalter eine selektive und willkürliche Aktion.
Es betreffe bei Erziehung und Unterricht auch weniger Bewegungen und Fertigkeiten als vielmehr „…Einstellungen, Mentalitäten und Gefühle …“, wie es Blakemore und Frith (2005, S. 229) formulieren.
Ein junger Mensch müsse dabei zuerst einmal eine gute Balance zwischen Nachahmung und Kreativität finden. Kinder wie Erwachsene würden Rollen imitieren, zunächst vor allem die Anführer ihrer Peer-Group, öfters aber auch ihre LehrerInnen.
Spitzer und Hattie (2013) verweisen auf Elementares für Schule und Lernen, nämlich auf den Faktor Lehrperson. „Wichtig ist, dass Lehrer und Schüler sich respektieren und schätzen. Wenn er seine Schüler mag und sie ihn, wird der Unterricht vorangehen“, ist Spitzer (2003, S. 412) überzeugt. In all den besprochenen Geschichten und Rätseln sind Werte verpackt, werden Einstellungen und Gefühle vermittelt.
Auf einen echten Mehrwert unseres Gehirns beim Lernen, der den Unterricht beeinflussen sollte, weisen Blakemore und Frith und auch Spitzer ausdrücklich hin: Unsere Gehirne sind nämlich hervorragend in der Lage, bei ausreichender Übungszeit und mannigfaltigen Übungsbeispielen das Regelhafte in den Aufgaben und Problemstellungen herauszufiltern und abzuspeichern. Es macht daher für PädagogInnen mehr Sinn, viele Übungsbeispiele anzubieten, als die Regeln und Gesetze an den Anfang einer Lerneinheit zu stellen.
Fast alle Autoren, die sich mit Schule, Erziehung, Lernen und Neurodidaktik beschäftigen, streuen ab und an Tipps für ein erfolgreiches Lernen ein, Tipps, die man unter dem Begriff Lernhygiene subsumieren könnte.