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Gibt es in der "Geschichte der Schrift" eine verborgene Logik? Oder ist die Entwicklung der fast 300 Schriften der Menschheit mehr oder weniger reiner Zufall? Beruht die Entstehung des Alphabets im alten Griechenland auf einem "Wechselfall der Geschichte"? Das meint zumindest Harald HAARMANN im Standardwerk "Universalgeschichte der Schrift". Dem stellt VOCKEL die Position entgegen, dass sich im zufälligen Geschehen Notwendigkeiten aufdecken lassen. Der Anker der Argumentation ist dabei die These DE SAUSSUREs, dass jedes Wort wie ein Geldstück zwei Seiten hat: Bild/Bedeutung und Laut/Aussprache. Das Rebus-Prinzip dreht dieses Geldstück vom Bild zum Laut. Doch es gibt auch eine "Anti-Rebus"-Drehung zurück, das Erstarren einer Schrift, der Laut entfernt sich. Welcher Trend sich durchsetzt, hängt dabei von der Reformfreude oder dem Konservatismus in der Schriftpolitik eines Landes ab, der Geographie, dem Schreibwerkzeug und dem Material des Schreibens. Der Sieg des Alphabets war notwendig, wird jedoch geteilt bleiben. Die lautärmste Sprache der Welt, Chinesisch, muss weiterhin mit den chinesischen Zeichen geschrieben wwerden, um die hohe Anzahl von Homophonen aufzulösen. Zum Schluß folgt ein Vorschlag zur Schaffung einer globalen Alphabetschrift, die die Idee des IPA-Alphabets ausbaut. Im Anhang wird aufgezeigt, dass Taijiquan mit der Kalligrafie "seelenverwandt" ist. So lernt man Taijiquan!
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Seitenzahl: 93
Veröffentlichungsjahr: 2024
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1. Ein erster Überblick über die Schriften der Welt
2. Zu den westlichen Schriften
3. Die Bedeutung der Landkarte
4. Am Anfang ist das Bild
5. Zur arabischen Schrift
6. Zu den chinesischen und japanischen Schriften
7. Schlußfolgerungen für die Zukunft
Bildergalerie
Anhang: Tàijíquán, endlich mal richtig erklärt!
8. Kalligrafie und Taijiquan – eine Seelenverwandtschaft
9. Zur Geschichte Tàijíquáns
10. Die Tàijíquán-Figuren im Detail
Abb. 1: Die Geschichte der Schrift im Westen/Westasien/Arabien/ Nordafrika, also rund ums Mittelmeer
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Abb. 2: Die chinesischen Zeichen vom Ursprung, vor rund 5000 Jahren bis 1956 in VR China
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Abb. 3: Das Rebus-Prinzip in Nanjing 2014
Abb. 4: Ableitung der japanischen Hiragana-Zeichen
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Abb. 5: Ein Straßenladen verkauft Kalligrafien
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Abb. 6: Aufruf der „Tai Ping Tian Guo“ von 1854
Abb. 7: Grundriß des Hauses GAO
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Abb. 8: Master GAOs Arbeitszimmer
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Abb. 9: Mein Stundenplan
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Abb. 10: Taijiquan in der Fußgängerzone
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Abb. 11: Kung Fu (Wushu) Kampfsport im Shaolin-Tempel
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Abb. 12: Taijiquan auf Seidentüchern im Grab des Königs Ma
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Abb. 13: Spiele die Laute
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Abb. 14: Der weiße Kranich breitet die Flügel aus
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Abb. 15: Der goldene Hahn, rechts
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Abb. 16: Die Weberin, links
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Die kleinste Geschichte der Schrift ist das Diagramm in Abb. 1 »Die Geschichte der Schrift im Westen/Westasien/ Arabien/Nordafrika, also rund ums Mittelmeer«. Am Kopf des Diagramms wären noch die ägyptischen Hieroglyphen zu erwähnen, die jedoch eine Bilderschrift sind. Deshalb passen sie nicht in dieses Diagramm, das die drei Buchstaben »ABC« im Laufe der Schriftgeschichte zeigt.
Die altägytischen Hieroglyphen sind der Startpunkt der Schrift im Westen, rund um das Mittelmeer. Der Mensch beginnt seine schriftliche Kommunikation mit Bildern, kleinen Zeichnungen zu den Themen, über die er berichten möchte. Nach längerem Gebrauch ausgewählter Bilder und Zeichnungen kommt es zum Abspecken der Bilder, zu ihrer möglichst knappen Formalisierung, wobei die Verständlichkeit erhalten bleiben soll.
Wird die Kommunikation dann von Amts wegen durchgeführt, weil die Nummer Eins des Staates, z.B. der Pharao, sich verewigen oder rühmend der Nachwelt präsentieren lassen möchte, dann liegt die Schrift in der Hand der Schreibstube der Spitze des Staates. Insofern ist Schrift ein Herrschaftsinstrument. »Wer schreibt, der bleibt.« ist so ein Bürospruch. Die Schreiber im alten Ägypten waren hoch angesehene Personen.
Doch unser Diagramm beginnt mit der Folgestufe nach den Hieroglyphen, mit einer alt(süd)kanaanäischen Schrift aus dem 16. bis 15. Jahrhundert v.u.Z. Was war geschehen? Die Hieroglyphen hatten schon eine innere Entwicklung erlebt. Sie waren vom Umfang her deutlich reduziert worden, zum Teil stellten sie mit der hieratischen Schrift, einer Schnellschrift-Variante der Hieroglyphen, nur noch Silben oder Kurzworte dar. Unterschwellig hatte schon länger die Phonetisierung der Schrift eingesetzt. Der Laut bemächtigte sich des Zeichens. Eine maximal schnelle Variante ist dann die demotische Schrift. Doch noch immer ist es keine Buchstabenschrift, maximal eine Silbenschrift.
Vermutlich haben Wanderarbeiter aus Ägypten eine Kurzvariante nach Palästina mitgenommen, sie dann an die Phönizier weitergegeben. So lauten die aktuellen Mainstream-Vermutungen über den Gang der Geschichte. Ein richtiges Alphabet haben wir also immer noch nicht, obwohl schon mehr als 2000 Jahre vergangen sind.
Erstmalig kommt es dazu im alten Griechenland. Von dort geht die Entwicklung weiter nach Italien, dann entstehen das Lateinische oder im Norden das kyrillische Alphabet. Ferner gibt es Wanderungen, die hier nicht abgebildet sind und zu einigen Schriftarten im Kaukasus führen.
Dem Diagramm ist auch zu entnehmen, dass schon zuvor in Richtung Äthiopien abgezweigt wurde, vom Phönizischen über die LINGUA FRANCA des Orients vor dem Altgriechischen, dem Aramäischen 5./4. Jh. v. u.Z., von dort zum heutigen Hebräisch, über Nabatäisch zum heutigen Arabisch. Das war die kleinste Geschichte der Schrift rund um das Mittelmeer, im Westen, der harte Kern, das ›big picture‹.
Um vollständig zu sein, fehlen zwei Ergänzungen. Die südasiatischen, vor allem indischen und indochinesischen Schriften resultieren wohl aus der aramäischen Schrift, die zur Brahmi-Schrift und ihren Nachfolgern in Indien, Sri Lanka und anderen Ländern Asiens führt. Da jedoch beispielsweise senkrechte und waagerechte Striche das Material, trockene Blätter von Pflanzen, zerkratzten, mussten diese aramäischen Schriftvarianten vornehmlich runde Formen annehmen. Damit soll es hier sein Bewenden haben. Weiteres zu den südasiatischen Schriften gibt es in den Speziallehrbüchern.
Was ist mit Korea? Eine aktuelle Hypothese geht dahin, dass letztlich der König SEJONG (15. Mai 1397 – 8. April 1450) 1443/44 die koreanische Schrift gemäß einem alphabetischen Vorbild erfand, sie dann offiziell im Oktober 1446 landesweit einführte. Wie begründete der König seine Erfindung, die Erfindung des Hanguel?
»Die gesprochene Sprache unseres Landes ist anders als die von China und passt auch nicht zu den chinesischen Schriftzeichen.« (WIKIPEDIA »SEJONG«, Zugriff am 21.2.2023. (2006): König Sejong der Große, Yonghwa Verlag.)
Geschickterweise hat SEJONG dabei die koreanischen Buchstaben zu Silbenbündel gepackt und dann in chinesisch aussehenden Quadraten angeordnet. Für manche nicht landeskundigen Europäer sehen sie richtig chinesisch aus. Ihr Inhalt ist jedoch ›aramäischen‹ Ursprungs! Den Zeichen lässt sich dies jedoch nicht mehr ansehen, es folgt nur aus der Geschichte der Schrift.
Dem Leser empfehle ich generell entlang der Lektüre immer wieder sein Handy zu zücken und einzelne Themen durch die entsprechenden WIKIPEDIA-Aufsätze zu vertiefen. Sollte dies nicht genügen, muss zur Spezialliteratur gegriffen werden, jedoch bitte nicht zur »Universalgeschichte« (HAARMANN, Harald (1991): Universalgeschichte der Schrift, Frankfurt/Main, New York: Campus. 2. durchges. Aufl.).
Bleibt noch ein weiterer Hinweis auf die chinesische Schrift (s. Abb. 2) sowie die dann folgenden Schriftvarianten im ostasiatischen Kulturraum. Die chinesische Schrift beginnt wie die Hieroglyphen mit Bildern. Deshalb habe ich in meiner Darstellung der Geschichte der chinesischen Schrift den Begriff der chinesischen Hieroglyphen geprägt, um die Analogie zu den altägyptischen Hieroglyphen zu betonen.
Denn der Begriff ›chinesische Zeichen‹ ist kontextlos. Die bisherigen Autoren sprechen und schreiben fast ausnahmslos kein Chinesisch, verlassen sich auf Sekundärliteratur aus Japan oder den USA, kommen mit den Diskussionen in der Primärliteratur nur halbgar klar und haben von den Zeichen im Kern nichts verstanden (VOCKEL, Joachim (2021): Mit Chinas Kunst Chinesisch lernen. Köln: PapyRossa.) Das ist auch bei HAARMANNs »Universalgeschichte« leider der Fall.
In chinesischer Eigenentwicklung ist bislang fast 5000 Jahre lang abgespeckt und formalisiert worden. Allerdings fand kein Umschlag zu einem Alphabet statt. Es wurde zwar mit der Phonetisierung begonnen, indem viele Zeichen ab der vierten Methode der Zeichenbildung aus einem Signifikum plus einem Phonetikum bestehen. Doch im Laufe der Zeit ändert sich der Laut, die Bedeutung bleibt jedoch erhalten … damit ist die »heimliche« Phonetisierung ausgelöscht. Nur bei 26% der häufigsten chinesischen Zeichen stimmt heute noch der Laut. All das steht nicht in HAARMANNs Universalgeschichte.
Die chinesische Schrift jedoch wurde in rund 2000 Jahren überraschend wenig verändert. Seit +348 u.Z., Wang Xizhis »Eight Famous Inscriptions«, ist sie im Wesentlichen unverändert bis 1956, als die VR China die Kurzzeichen einführte, während Taiwan und Hongkong weiterhin bis heute bei den Langzeichen blieben. Diese Schrift ist unverändert über rund 5000 Jahre eine Bilderschrift. Das ist die Sensation in der Menschheitsgeschichte! (Siehe unten im Kapitel zu den chinesischen Schriften).
Unwillkürlich denken wir an die bahnbrechende These von DE SAUSSURE: Jedes Wort ist wie ein Geldstück. Es hat zwei Seiten: Bild/Bedeutung/Sinn/Lesen und Laut/Aussprache/Sound/Hören. Das ist die Grundregel, die grundlegende Erkenntnis, mit der wie mit einem Werkzeug, wie mit Hammer, Meißel oder Schere, immer wieder bei der Analyse der Geschichte der Schrift gearbeitet werden muss. Das ist das zentrale Analyse-Instrument.
Die Menschen beginnen mit dem Bild, verstehen es oft nicht, danach geht es mit dem Laut weiter. Doch sie wollen das alte Bild ein Stück weit behalten, es bleibt in ihrem Gedächtnis vorhanden. Aber das fast vergessene Bild ergibt keinen Sinn mehr. Wie soll der Laut dann behalten werden? Es gibt ein ständiges Drehen in der Geschichte der Schrift, vom Bild zum Laut (s. Abb. 3:Das Rebus-Prinzip), vom Laut zum Bild. Zwischendurch werden Bildelemente vergessen, Laute verschoben. Das ist der Weg der Logik, die sich ganz nach HEGEL in der realen Geschichte entfaltet.
An dieser Stelle beginnt dann endgültig die Enttäuschung mit Harald HAARMANNs »Universalgeschichte«. Die Hoffnung auf eine globale Analyse der Schriftgeschichte, sie wird weitgehend enttäuscht. Die Argumentation in der »Universalgeschichte« erfolgt nicht strikt entlang den linguistischen Erkenntnissen, sondern versinkt ein Stück weit in der Beschreibung der jeweiligen Schrift. Vieles ist richtig, manches wieder falsch, schief oder unvollständig. Im Grunde genommen kann sich der Leser nicht wirklich auf die Darstellung verlassen.
Auch weitere Argumente aus der Linguistik erhalten nur fallweise oder in nicht systematischer Form Platz in der »Universalgeschichte«. Die versprochene Darstellung der Übergänge funktioniert jedoch nicht ohne diese Gedanken-Tools. Warum wurde wie, wann und wo welche Schriftvariante übernommen? Hat sich diese Variante aus einer fremden Sprache mit der eigenen vertragen? Kam es zu Fehlern oder relevanten Anpassungen bei diesem Kulturimport? Der Kulturexport Schrift der Phönizier wurde von den alten Griechen anders importiert als er angeboten wurde. Cultural clash.
Genau diese Momente der realen Geschichte der Schrift kommen in der »Universalgeschichte« deutlich zu kurz, gehen in der Vielzahl der Argumente, der ausgewerteten unterschiedlichen Quellen unter. ЛУЧШЕ МЕНЬШЕ ЧЕМ ЛУЧШЕ. Ich hoffe, ich habe das von meinen Russisch-Lehrgängen in Bochum von vor fast 40 Jahren richtig behalten, als es noch keine Computer mit allen Schriften der Menschheit gab: LIEBER WENIGER, ABER BESSER. Oder wie es im Deutschen heißt: Lieber den Spatz einer »Kleinen Geschichte der Schrift« in der Hand, mit Logik und Belegen, als eine weiße Taube auf dem Dach der Wissenschaften namens »Universalgeschichte«, die in der Vielzahl der Informationen den roten Faden der Geschichte nicht findet.
Bei den Schrift-Übernahmen spielen die Materialien, auf denen geschrieben wird, oft eine formgebende Rolle: Getrockneter Lehm, Stein, Papyrus, Papier. Die Schreibwerkzeuge, Tuschestift mit Lederspitze oder Haarbüschel, Reetgrasstift, Steinspitze, Kugelschreiber, Druckmaschine usw. formen mit. Unter welchen Bedingungen hat wer wo warum geschrieben? Offiziell in der Schreibstube des Kaisers oder Pharaos, inoffiziell die feinen japanischen Damen, die eigentlich vom Lernen der Schrift ausgeschlossen waren usw.
Die Analyse erfordert also eine ganzheitliche konkrete Betrachtung einer jeden Schreibsituation, wenn die Geschichte verstanden werden soll. Mit einer begrenzten, jedoch überlegten Auswahl von Argumenten kann die Geschichte der Schrift erklärt werden. Doch diese Argumente müssen vollständig und mit System eingesetzt werden, nicht hier und da verstreut.
Die »Universalgeschichte« ist der Versuch das Thema SCHRIFT vollständig, weltweit und von Anfang an bis heute zu präsentieren. Akademischer Fleiß und Präzision in der Darstellung glänzen. Doch es kommt zu einer weitgehenden Enttäuschung, da die Ferne von der konkreten Sprachrealität sowie die Ferne von der Linguistik deutlich hervortreten. Hierdurch werden mehrere Darstellungen unzutreffend. Das Kapitel »Die Schrifttradition Chinas« sollte besser nicht gelesen werden. Auch ich werde weiter unten nur ein wenig zitieren und diskutieren. Das wird dann genügen um den Nachweis zu erbringen, sich besser nicht mit jedem Detail dieses Fehlwurfs aufzuhalten.
In der »Universalgeschichte« tritt die bekannte Schwäche der akademischen Methode