Kleine Geschichten - Octave Mirbeau - E-Book

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Octave Mirbeau

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Beschreibung

Octave Henri Marie Mirbeau war ein französischer Journalist, Kunstkritiker und Romanautor. Der seinerzeit bekannte und gefürchtete Romancier war der meistgespielte französische Bühnenautor im deutschsprachigen Raum. Dieser Band beinhaltet folgende Geschichten: Bauernmoral Giborys Beichte Ein Kind Vor dem Begräbnis. He, Vater Niklas! Meine Hütte Der alte Dugué Warum Pitaut traurig war. Der Gutsbesitzer. Der Herr Pfarrer Der billige Tod Zeitgemäße Pantomine Letzte Reise Der Interviewer Vor der Galavorstellung

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Kleine Geschichten

Octave Mirbeau

Inhalt:

Octave Mirbeau – Biografie und Bibliografie

Bauernmoral

Giborys Beichte

Ein Kind

Vor dem Begräbnis.

He, Vater Niklas!

Meine Hütte

Der alte Dugué

Warum Pitaut traurig war.

Der Gutsbesitzer.

Der Herr Pfarrer

Der billige Tod

Zeitgemäße Pantomine

Letzte Reise

Der Interviewer

Vor der Galavorstellung

Kleine Geschichten, O. Mirbeau

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849631826

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Octave Mirbeau – Biografie und Bibliografie

Franz. Romanschriftsteller und Kunstkritiker, geb. 16. Febr. 1848 in Trévières (Calvados), trat 1872 in die Redaktion des bonapartistischen Blattes »L'Ordre« ein, wurde 1875 Unterpräfekt von St.-Girons, gab seine Demission nach dem Siege der Republikaner 1877 und widmete sich fortan ausschließlich der Schriftstellerei. Als witziger und boshafter Chroniqueur machte er sich bald einen Namen. 1882 mußte er wegen einer gegen den Stand der Schauspieler gerichteten Plauderei, die zu einem Entrüstungsmeeting und zu einem Duell mit dem Sänger und nachmaligen Operndirektor Gailhard führte, den »Figaro« verlassen. Er gründete im nächsten Jahr ein eignes Wochenblatt: »Les Grimaces«, das in der Form Rocheforts »Lanterne« nachahmte, und worin er die Opportunisten heftig angriff, was zu einem Duell mit dem Deputierten Etienne Anlass gab. 1884 begab er sich auf weite Reisen, und 1885 erschien, wenig bemerkt, sein erster Roman: »Jean Marcellin«. Die »Lettres de la Chaumière« (1886, illustriert 1894), kleine Novellen aus dem ländlichen Leben seiner normannischen Heimat, die sich durch stimmungsvolle, meist melancholische Naturschilderungen auszeichneten, begründeten seinen Ru s. Ihnen folgten die Romane »Le Calvaire« (1886), »L'Abbé Jules« (1888), »La famille Carmettes« (1888), »Sébastien Roch« (1890), eine bittere Satire gegen die Jesuitenschulen, die chinesische Schauergeschichte »Le jardin des supplices« (1899), der gewagte und äußerst erfolgreiche Pariser Sittenroman. »Les Mémoires d'une femme de chambre« (1901; auch deutsch, Wien 1902) und »Les vingt-et-un jours d'un neurasthénique« (1902). Auf der Bühne debütierte M. erfolgreich mit »Les mauvais bergers« (1897) als geschickter Nachahmer von Hauptmanns »Webern«. Auf den geistreichen Einakter »Le portefeuille« (1902) folgte das bedeutende Charakterstück »Les affaires sont les affaires« (1903), einer der großen Erfolge der Comédie Française. Sechs kleinere Stücke vereinigte M. in dem Bande »Farces et moralités« (1904). Als Kunstkritiker machte er sich zum Vorkämpfer der Impressionisten. In den 1890er Jahren näherte er sich den Anarchisten, arbeitete an der »Révolte« und am »En dehors« mit, zog sich jedoch nach der Ermordung des Präsidenten Carnot (1894) von ihnen zurück; mit großer Energie kämpfte er seit 1895 für die Unschuld des Hauptmanns Dreyfus. M. heiratete 1887 die Schauspielerin Alice Regnault, Verfasserin des Romans »Mademoiselle Pomme« (1886), mit der er ein Landgut bei Poissy (Seine-et-Oise) bewohnt.

Bauernmoral

Der Friedensrichter hatte im Stadthause zu ebener Erde ein Zimmer inne, das direkt auf den Platz hinausging. Der kahle, viereckige Raum mit den weißgetünchten Wänden war in der Mitte durch eine Art Ballustrade geteilt, welche, je nachdem, den Klägern, bei großen Prozessen den Advocaten oder auch den Neugierigen als Sitzbank diente. Im Grunde des Zimmers, auf einem niedrigen, schlecht gefügten Bretterpodium, standen drei Tische vor drei kleinen Sesseln; der mittlere davon war für den Herrn Richter, der zur Rechten für den Herrn Schreiber, der zur Linken für den Herrn Amtsdiener bestimmt.

An der Wand dahinter machte ein Christusbild in lange verblaßtem Goldrahmen, von Fliegen ganz besudelt, ein recht klägliches Gesicht. Das war die ganze Szenerie.

Als ich eintrat, hielt man schon mitten in den "Amtshandlungen". Der Saal war voll von Bauern, die sich auf ihre eschenen Stecken mit schwarzen Lederriemen stützten, und von Bäuerinnen mit schweren Marktkörben, aus denen unter dem Deckel rothe Hahnenkämme, gelbe Schnäbel von Enten und die Ohren von Kaninchen hervorguckten. Das strömte einen starken Stallgeruch aus. Der Friedensrichter, ein kleiner, kahlköpfiger Mensch mit glattem, röthlichem Gesicht, in einem Rock von schmierigem Zeug, lauschte mit großer Andacht dem Vortrag einer alten Frau, die innerhalb des Schrankens stand. Sie begleitete jedes ihrer Worte mit ausdrucksvollen und wüthenden Gesten. Der Schreiber, ein haariger, aufgedunsener Mensch, ließ den Kopf über den gekreuzten Armen auf den Tisch sinken; er schien zu schlafen. Ihm gegenüber kritzelte der sehr magere, sehr bärtige und sehr beschmierte Diener irgend etwas auf einem Stoß fettiger Aktenpapiere.

Das alte Weib schwieg nun.

"Ist das Alles?" fragte der Friedensrichter.

"Wie meinen, Herr Richter?" gab die Gefragte zurück und streckte ihren Hals vor, der so runzelig war wie eine Hühnerkralle.

"Ich frage, ob Sie fertig sind mit dem Geschwätz von Ihrer Mauer?" antwortete der Mann des Gesetzes mit erhobener Stimme.

"Mein Gott ja, Herr Richter – das heißt, entschuldigen, die Geschichte ist so: Die fragliche Mauer, an welcher Jean-Baptiste Macé immer seine ...."

Sie wollte ihre Litanei von vorne hersagen, doch der Richter unterbrach sie.

"Genug, genug, es ist gut, Martine. Schreiber! Man soll den Mann vorladen!"

Der Schreiber hob langsam den Kopf und zog eine fürchterliche Grimasse.

"Schreiber," wiederholte der Richter, "vorladen! Notieren Sie ....."

Und er zählte an den Fingern: "Dienstag. Wir werden ihn für Dienstag vorladen .... Ha, am Dienstag. Der Nächste!"

Der Schreiber blinzelte mit den Augen, besah ein Blatt Papier, dann ließ er seinen Finger auf dem Papier von unten nach oben laufen, machte plötzlich halt und schrie:

"Gatelier contra Rousseau! Ist Gatelier hier und Rousseau auch?"

"Hier!" rief eine Stimme.

"Da bin ich!" rief eine andere Stimme.

Zwei Bauern erhoben sich, traten vor die Schranken und stellten sich linkisch dem Friedensrichter gegenüber, der die Arme über den Tisch streckte und die schwieligen Hände ineinanderlegte.

"Also los, Gatelier! Was giebts denn schon wieder, mein Sohn?"

Gatelier wiegte sich hin und her, wischte sich den Mund mit dem Handrücken, sah nach rechts, nach links, kratzte sich am Kopf, spie aus, dann verschränkte er die Arme und sagte endlich:

"Also die Sache ist die, Herr Richter: Ich gehe vom Markt in Saint-Michel nachhause mit der Gatelier, was meine Frau ist, und mit Rousseau; wir drei zusammen. Ich hatte zwei Kälber verkauft und ein Schwein, mit Respekt zu melden, und da hatten wir, weiß Gott, hübsch was getrunken. Wir gehen also bei sinkender Nacht heimwärts. Ich sang, Rousseau machte Dummheiten mit meiner Frau, und meine Frau sagte allemal zu ihm: Hör' doch auf, Rousseau! Herrgott, bist du dumm, bist du kindisch!"

Er wandte sich zu Rousseau um und fragte: "Ist das wahr, oder nicht?"

"Ja, das ist wahr" antwortete Rousseau.

"Auf dem halben Weg", fuhr Gatelier nach kurzem Schweigen fort, "da geht meine Frau auf einmal den Rasenabhang hinauf und steigt über die kleine Hecke, wo der breite Graben dahinter ist. Wo gehst du hin? sag ich. Ich geh' auf die Seite, sagt sie mir. Gut, sag' ich, und wir machen unsern Weg weiter, Rousseau und ich. Nach ein paar Schritten, da geht Rousseau auf einmal den Rasen hinauf und steigt über die kleine Hecke, wo der breite Graben dahinter ist. Wo gehst du hin? sag' ich. Ich geh' auf die Seite, sagt er mir. Gut, sag' ich, und mach' meinen Weg weiter."

Er drehte sich wieder zu Rousseau um und fragte: "Ist das wahr oder nicht?"

"Ja, das ist wahr," antwortete Rousseau.

"Also ich mach' meinen Weg weiter," fuhr Gatelier fort. "Ich geh' und geh' und geh'. Dann später dreh' ich mich um. Niemand ist auf der Straße zu sehen. Denk ich mir: das ist komisch! wo bleiben denn die? und gehe ein Stück zurück. Das dauert lang, sag' ich zu mir. Wir haben hübsch was getrunken, das ist schon wahr, aber es dauert doch zu lang. So komme ich dorthin, wo Rousseau den Rasen hinaufgegangen war und steige auch über die Hecke. Himmelherrgott! sag' ich, da ist ja Rousseau mit meiner Frau! Pardon, entschuldigen, Herr Richter, aber so wie ich spreche, so ist es."

Im Publicum wurde da und dort Gelächter laut, aber Gatelier gab darauf gar nicht acht, sondern setzte fort: "Rousseau war also dort mit meiner Frau, mit Respekt zu sagen, und er zappelte im Graben herum, nein, das war schon zu komisch anzuseh'n, wie er zappelte, der verfluchte Rousseau! Ah, der Lump! der Schmutzian! der Thunichtgut! He, Bursch, schrei' ich von oben herunter, he, Rousseau! ja hör' doch auf, du Vieh, hör' auf! Aber das war ganz umsonst. So oft ich ihm auch sagte, er soll aufhören, er zappelte immer noch stärker, der Kerl. Da steig' ich also in den Graben hinunter, packe Rousseau bei seiner Blouse und ziehe, was ich kann. Lass mich! sagt er mir. So lass' ihn doch .... sagt mir meine Frau. Ja, wenn du mich in Ruh' läßt, fängt er wieder an, so geb' ich dir einen halben Louis, hörst du, einen halben Louis!

Ich lass' jetzt seine Blouse los und sage: Einen halben Louis? Ist das wirklich wahr? – Wirklich wahr! – Du schwörst es? – Ich schwör' es! – Gib ihn gleich her! – Nein, erst nachher. – Also gut, nachher. Und ich gehe wieder auf die Landstraße zurück."

Zum drittenmal nahm Gatelier den Rousseau zum Zeugen.

"Ist das wahr oder nicht?"

"Ja, das ist wahr," antwortete Rousseau.

Im stolzen Bewußtsein seines Rechtes sprach Gatelier mit erhobener Stimme weiter:

"Sie verstehen mich, Herr Richter, Sie verstehen mich wohl! Es war versprochen und beschworen! Er kommt also nachher mit meinem Weib wieder auf die Landstraße, wo ich mich hingesetzt habe, um die Zwei zu erwarten. Na, und mein Geld? frage ich. – Morgen, morgen, sagt er, jetzt hab' ich nicht einmal einen Heuer bei mir. – Das war natürlich erlogen, es hätte aber auch wahr sein können. Ich red' also nichts, und wir gehen unseren Weg zusammen weiter, ich und meine Frau und Rousseau. Ich sang, Rousseau machte Dummheiten mit meiner Frau, und meine Frau sagte allemal: So hör' doch auf, Rousseau! Herrgott, bist du dumm, bist du kindisch! – Wie wir auseinandergehen, sag' ich noch zu Rousseau: Also, mein Lieber, du weist wohl, du hast geschworen! – Es ist beschworen! – Er drückt mir noch die Hand, tätschelt meine Frau und geht fort ... Also, Herr Richter, seitdem hat er mir meinen halben Louis niemals bezahlen wollen! Das Stärkste aber ist das: Vorgestern, wie ich mein gutes Geld von ihm verlange, da nennt er mich einen Hahnrei! Verdammter Hahnrei, sagt er mir, du red'st mir lang gut! Ja, das hat er zu mir gesagt."

Noch einmal drehte er sich zu Rousseau hin und fragte: "Ist das wahr oder nicht?"

Aber Rousseau machte ein komisches Gesicht, trat von einem Bein auf das andere und antwortete nicht.

Der Friedensrichter war ganz perplex geworden. Er rieb sich die Wange mit der Hand, sah den Schreiber an, dann den Amtsdiener, als wollte er sie um Rat fragen. Er hatte es da augenscheinlich mit einem recht schwierigen Fall zu tun.

"Hm, hm," machte er, und dann dachte er einige Minuten nach.

"Nun und du, Gatelier-Bäuerin, was sagst denn du dazu?" fragte er dann ein dickes Weib, das, mit dem Marktkorb zwischen den Füßen, auf der Bank saß und dem Vortrag des Gatten mit peinlichstem Ernst zugehört hatte.

"Ich, ich sag' gar nichts," antwortete Frau Gatelier und stand auf. "Aber was das Versprechen und den Eid anbelangt, Herr Richter, das ist gewiß und wahrhaftig wahr: Er hat den halben Louis versprochen, der Lügner, das hat er ..."

Der Richter wendete sich an Rousseau:

"Was willst du da tun, mein Lieber? Du hast es versprochen, nicht wahr? Du hast es geschworen?"

Rousseau drehte mit verlegener Miene seine Mütze zwischen den Händen.

"Wohl, wohl, ich hab's versprochen," sagte er. "Aber, lassen Sie sich sagen, Herr Richter, ein halber Louis – das ist zu viel, das kann ich nicht zahlen – das – das – war die Sache nicht werth. Alles was recht ist!"

"Na also, man muß die Geschichte gütlich in Ordnung dringen. Ein halber Louis – das ist vielleicht wirklich ein bißchen hoch, was? Schau, Gatelier, wenn du zum Beispiel mit einem Taler zufrieden wärst, was?"

"Nein, nein, nein! Ein Taler – absolut nicht! Den halben Louis! Er hat es doch beschworen!"

"Sei gescheit, mein Lieber. Ein Taler, das ist ein schönes Stück Geld! Und als Draufgabe zahlt Rousseau eine kleine Anfeuchtung, was? Einverstanden?"

Die zwei Bauern sahen einander an und kratzten sich hinter den Ohren.

"Paßt dir das, Rousseau?" fragte Gatelier.

"Wohl, wohl," antwortete Rousseau, "wir sind doch Freunde!"

"Na gut also! Einverstanden!"

Sie tauschten einen Händedruck.

"Der Nächste!" schrie der Richter, indes Gatelier, die Bäuerin und Rousseau im Bauerntrott, leicht vorgeneigt und mit baumelnden Armen, den Saal verließen.

Giborys Beichte

Das Pfarrhaus von Lonné-sur-Eau und das Häuschen des alten Gibory sind aneinander angebaut; dieses niedrig, geschwärzt und wackelig, jenes um einen Stock höher, mit schöner, gelbgestrichener Façade und weißen Fensterläden. Die beiden Gärten, durch eine schmale Dornenhecke voneinander getrennt, fallen zur Rille ab, einem kleinen, seichten Bach, dessen Wasser unter Schilf und Rohr leise dahinplätschert. Sie liegen wie zwei Zwillingsgärten da, ganz gleichartig von den Alleen durchschnitten, die eigentlich nur grasumwachsene Fußpfade sind. Ganz gleichartig ist auch die Anlage der symmetrischen Beete, um welche ein Rahmen von Erdbeer- und Stachelbeersträuchen und von zugeschnittenen Baumpyramiden läuft. Aber im Garten des Pfarrers erhebt sich gerade in der Mitte, unter einem Lorbeerbaum, eine Statue der heiligen Jungfrau aus koloriertem Gips, stellenweise von Moos überzogen und vom Regen verwaschen. Der alte Gibory seinerseits hat auch seine Statue, die er, "um den Pfarrer zu giften", seinen "heiligen Josef" nennt.

Das ist ein Strohwisch, mit einem schäbigen, zerknitterten, röthlich schimmernden Cylinderhut auf. Er baumelt an einer langen Stange, die Arme weit ausgespreizt, mit rothen Fetzen behagen, ein furchtbarer Schrecken für die Spatzen. Rechts und links liegen kleine Obstgärten und niedrige Wohnhäuser. Gegenüber dehnt sich das Tal, breit und grünend, mit seinen Reihen schlanker Pappeln und den dichten Gruppen von Erlen, wie ein Reich der Frische und des üppigen Graswuchses, durch welches man herdenweise die Rinder aus dem Gebirge hinziehen sieht.

An einem Nachmittag war der alte Gibory eben daran, junge Zwiebel in geharkte Erde umzusetzen, als der Pfarrer, der eben, mit dem Brevier in der Hand, aus seinem Hause getreten war, auf der andern Seite der Hecke auftauchte. Sofort warf sich der Alte auf alle Viere nieder, hielt den Rücken krumm und die Nase fast an die Erde gedrückt. Er blieb regungslos wie ein Hund, der auf eine Feldmaus lauert. Der Pfarrer ging, lateinische Worte murmelnd, an der Hecke auf und nieder, über welche nur sein wackelnder, bläulich angelaufener, von steifen weißen Haaren umstarrter Kopf hinausragte. Als der Priester mit seiner frommen Lektüre zu Ende war, blieb er stehen, legte sein schwarzgebundenes Büchlein auf den oberen Rand der Hecke und kreuzte die Hände über dem Bremer.

"He, Vater Gibory!" schrie er.

Der alte Gibory tat als hätte er nicht gehört. Er blieb unbeweglich, seine Augen glänzten boshaft, die Nasenflügel zuckten wie die eines Tieres, das vom Geruch der Beute berauscht wird. Er rührte sich nicht.

"Mein alter Gibory!" wiederholte der Priester mit etwas stärkerer Stimme. "He, Vater Gibory, hören Sie mich denn nicht?"

Langsam, mit den lautlosen Bewegungen eines lauernden Tieres, hob der Angerufene den Kopf und drehte ihn schief hinüber.

"Schschschst," machte er und schlug mit seiner großen, knolligen Hand in die Luft, als ob er eine lästige Fliege fortjagen wollte.

Und schnell nahm er die Stellung eines Hundes auf dem Anstand wieder ein, den Körper auf die beiden Arme wie auf zwei Pfoten hingestreckt.

Ein Moment des Stillschweigens trat ein. Man hätte glauben können, eine schwere, ernste, ja furchtbare Sache vollziehe sich nun. Indessen flog in der Hecke ein erschrecktes Rothkehlchen auf, zwei Elstern begannen in weiter Ferne zu schwätzen, ein Windstoß machte die Vogelscheuche auf ihrer Stange knirschen. Der Geistliche verlor schließlich die Geduld, als er sah, daß der alte Gibory hartnäckig unbeweglich blieb und rief von neuem:

"Vater Gibory, holla, Vater Gibory, was ist denn? Schon wieder der Maulwurf?"

Der Alte richtete sich empor, machte eine zornige Bewegung und schlug mit der Faust in den Boden.

"Ah, Sakrament; ah, Sakrament!" fluchte er. "Jetzt sind Sie schuld, daß er wieder davon ist, das Luder! Nichts läßt er in Ruh', alles durchwühlt er. Ich geh' meine Falle holen."

Er erhob sich und ging auf das Haus zu, den Körper in der Mitte abgebogen, mit den Händen in demselben klapperigen Takt schlenkernd, wie mit den Beinen. Der Pfarrer rief ihn mit einem spöttischen Lächeln zurück.

"Sagen Sie einmal, mein alter Freund Gibory, wie kommt's, daß ich Sie jedesmal, wenn ich in den Garten komme, auf der Maulwurfsjagd treffe?"

"Was weiß ich," antwortete der Alte in einem barschen Ton. "Vielleicht, daß Sie daran schuld sind. Weiß der Teufel! Ein Maulwurf und ein Pfarrer, ist das nicht im Grund genommen ein und dasselbe? Ich geh' meine Falle holen."

"Warten Sie doch ein wenig, Gibory! Geht's Ihnen sonst recht gut, ja?"

"Nicht zum allerbesten, Herr Pfarrer, nicht zum allerbesten. Die Beine sind so schwach und dann auch der Kopf; das dreht sich immer da drinnen. Verflucht noch einmal, das dreht sich wie in einer Mühle!"

"Also," fuhr der Pfarrer nach einer kurzen Pause wieder fort, "also das dreht sich da bei Ihnen immer? Oh, da müssen Sie sehr gut acht geben. Gerade jetzt, wo Ostern herankommt ..."

Auf dieses Wort hin riß der alte Gibory seinen Mund weit auf, einen Mund, grinsend und quergeschnitten, wie mit einem Messer, ein schwarzes Loch, aus dem ein einziger gelblicher Stumpf ragte.

"Wie meinen Sie," brummte er.

"Ich sage nur, daß wir bald Ostern haben werden," wiederholte der Geistliche.

"Nun, und? Was wollen Sie damit? Wenn Ostern kommt, so wird es da sein, nicht wahr?"

"Schon recht, machen Sie noch Späße, alter Fuchs. Sie wissen recht gut, wieviel es geschlagen hat! Wollen Sie denn wiederum Ostern vorbeigehen lassen, wie in den früheren Jahren, ohne zu beichten? Schau'n Sie doch!"

"Reden Sie davon nicht, bitte, reden Sie davon nicht! Ich geh' meine Falle holen!"

Da schlug der Geistliche einen autoritativen Ton an.

"Hören Sie mich an, Freund Gibory," sagte er sehr ernst. "Ihre Tochter ist bekümmert, tief bekümmert. Sie weint, sie verzweifelt. Und Sie machen sie so unglücklich mit Ihrer Gottlosigkeit."

"Melie?" gab der Mann heftig zurück. "Die geht das gar nichts an. Sie soll sich um ihre Sachen kümmern und Sie, Herr Pfarrer, desgleichen. Ich hab' den lieben Gott ganz gern, na ja, ich geh' auch jeden Sonntag zur Messe. Aber, was so die Beichte ist, und dann noch dies und jenes – das geht mir einmal nicht in den Kopf, weiß der ..."

"Sie sind alt, mein lieber Gibory, Sie haben schon ein paar Anfälle gehabt. Man kann nie wissen – heute rot, morgen tot."

Der Pfarrer verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf.

"Gesetzt, Sie hätten wieder so einen Anfall – heute abends – oder gleich auf der Stelle. Hm, was sagen Sie dazu?"

"Einen Anfall! Heut nacht? Ich? Oho! Geben Sie nur acht, daß Sie nicht vor mir sterben! Sie sind auch nicht mehr gar so jung und kräftig! Aber ich gehe meine Falle holen."

"Oha! Halt!"

Der arme Pfarrer wußte nichts mehr zu sagen.

Die Antworten des alten Gibory, verstärkt durch ein boshaftes Zwinkern der kleinen Augen, dieser unerschütterliche Eigensinn des hämischen Querkopfes brachte ihn aus der Fassung, verwirrte und ängstigte ihn, als ob er dem Teufel selber gegenübergestanden wäre. Er hätte dem Bauer am liebsten ein paar Schimpfworte an den Kopf geworfen. Doch aus Furcht, ihn noch mehr kopfscheu zu machen und wohl auch in der Hoffnung, diesen verstockten alten Sünder doch noch der Reue zuzuführen, hielt er an sich.

Die Vögel flatterten in der Sonne von einem Baum zum anderen; unten rauschte leise der Bach und machte die Schilfstengel erzittern. Eine rote Katze, die über ein Beet junger Lattiche gekrochen war, sprang plötzlich fort, durchquerte in zwei Sätzen den Garten und verschwand in einer Lücke im Gebüsch.

Der Pfarrer suchte in seiner Verlegenheit nach einem geschickten Mittel, die Konversation wieder anzuknüpfen. Er zog die Tabakdose aus der Tasche seines Habits, nahm eine Prise, klopfte sich leicht auf die Hand, schnupfte und nieste laut.

"Sehen Sie, mein lieber Gibory," sagte er dann plötzlich. "Sie sind ein braver Mann, und ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Ja wohl, einen sehr schönen Vorschlag."

Und er trommelte mit den Fingern auf seinem Gebetbuch, nach dem Rhythmus einer Psalmenmelodie.

Der alte Bauer spitzte die Ohren und sah den Pfarrer mit mißtrauischen Augen an. Dieser fuhr fort: