Kleines Lexikon der Analytischen Psychologie - C. G. Jung - E-Book

Kleines Lexikon der Analytischen Psychologie E-Book

C. G. Jung

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Beschreibung

Wer seinem Chef einen "Machtkomplex" attestiert, weiß in der Regel nicht, dass die Idee der Komplexe von C. G. Jung stammt. Und auch wenn dessen Begriff "Archetyp" längst allgemeingebräuchlich geworden ist, haben die wenigsten eine klare Vorstellung davon, was eigentlich genau gemeint ist. Gerade in der Psychologie geben die Variationen der Begriffe, so Jung, "häufig zu den hartnäckigsten Missverständnissen Anlass". Wohl deshalb hatte er sich entschlossen, die zentralen Grundkonzepte seiner Psychologie selbst zu definieren. Dieses "Kleine Lexikon der Analytischen Psychologie" erklärt zentrale Begriffe wie Anima, Archetyp, Bewusstsein, Ich, Individuation, Selbst, Unbewusstes. Für alle, die einen kurzen und dabei höchst kompetenten Überblick über die wichtigsten Begriffe der Jung'schen Psychologie bekommen wollen.

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Impressum

Hinweise des Verlags

C. G. Jung

Kleines Lexikon der Analytischen Psychologie

Definitionen

Mit einem Vorwort von Verena Kast

EDITION C. G. JUNG

INHALT

Vorwort

Definitionen

Abstraktion

Affekt

Affektivität

Anima, Animus

Apperzeption

Archaismus

Archetypus

Assimilation

Bewusstsein

Bild

Denken

Differenzierung

Dissimilation

Einfühlung

Einstellung

Emotion

Empfindung

Enantiodromie

Extraversion

Fühlen

Funktion

Gedanke

Gefühl

Ich

Idee

Identifikation

Identität

Imagination

Individualität

Individuation

Individuum

Intellekt

Introjektion

Introversion

Intuition

Irrational

Kollektiv

Kompensation

Konkretismus

Konstruktiv

Libido

Machtkomplex

Minderwertige Funktion

Objektstufe

Orientierung

»Participation mystique«

Persona

Phantasie

Projektion

Psyche

Rational

Reduktiv

Seele

Seelenbild

Selbst

Subjektstufe

Symbol

Synthetisch

Transzendente Funktion

Trieb

Typus

Unbewusste

Wille

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Vorwort

Wenn man C. G. Jung liest, stellt man gelegentlich fest, dass er Begriffe verwendet, die nicht ganz geläufig sind, wie etwa Anima und Animus – Begriffe, die man natürlich kennt, allerdings manchmal ohne genau zu wissen, was er sich darunter vorgestellt hat. Dann mag es hilfreich sein, seine eigenen Definitionen zu studieren, die in diesem Kleinen Lexikon der Analytischen Psychologie veröffentlicht werden

Die Definitionen der »gebräuchlichsten psychologischen Begriffe« (GW 6, S. XI), die von Jung selbst verfasst und zusammengestellt worden sind, stammen aus verschiedenen Perioden seines Schaffens, also nicht einfach aus dem Jahr 1921, in dem sie in Psychologische Typen (GW 6) zum ersten Mal erschienen sind. So steht im Vorwort der Herausgeber zur 9. Auflage 1960, dass C. G. Jung für diese Auflage den Begriff des »Selbst« (1958) definiert hat, ein zentraler Begriff der Jung’schen Psychologie. In früheren Auflagen sei dieser Begriff noch unter »Ich« abgehandelt worden. Auch wird angemerkt, dass der ganze Text revidiert worden sei, zum Teil von Jung selber. Wir können also davon ausgehen, dass Jung mit seinen Definitionen, die er hier vorlegt, auch im hohen Alter – Jung ist 1961 gestorben – einverstanden war.

Jung selber musste sich wohl erst noch etwas davon überzeugen, dass es sinnvoll und hilfreich sein könnte, Definitionen seiner wichtigsten Begriffe anzuführen. Er tat es – und das ist in der Einleitung zu lesen –, weil in der Psychologie »die allergrößten Variationen der Begriffe« (§ 741) vorkommen. Das ist sicher richtig, daran hat Jung auch seinen gebührenden Anteil, und das hat sich in der Psychologie ganz allgemein, nicht nur in der Jung’schen, auch nicht geändert. Seine Auffassung, man müsse sehr sorgfältig mit Begriffen und Ideen umgehen, ist immer noch richtig und wichtig. Er selber geht bei diesen Definitionen selektiv vor: Am meisten beschäftigt ihn die Phantasie und das Symbol. Zu diesen beiden in sich zusammenhängenden Themen hat er in diesen Definitionen Wesentliches in einer großen Kohärenz ausgedrückt.

Es ist sicher hilfreich und interessant zu sehen, welche Begriffe für Jung offenbar zu wenig gut rezipiert wurden, welche er verdeutlichen wollte. Ich halte es für reizvoll, diese Definitionen zu vergleichen mit den Definitionen, die zeitgenössische analytische Psychologen und Psychoanalytikerinnen Jung’scher Richtung im Wörterbuch der Analytischen Psychologie (Patmos 2008) verfasst haben. Dort gibt es dann jeweils auch Hinweise auf weiterführende Literatur, sowohl im Werk von C. G. Jung als auch in der Sekundärliteratur.

Verena Kast

Definitionen

672 Ich habe reichlich die Erfahrung gemacht, dass man gerade in psychologischen Arbeiten gar nicht sorgfältig genug mit Begriffen und Ausdrücken verfahren kann, indem gerade im Gebiete der Psychologie, wie sonst nirgends, die allergrößten Variationen der Begriffe vorkommen, welche häufig zu den hartnäckigsten Missverständnissen Anlass geben.* Dieser Übelstand scheint nicht allein daher zu rühren, dass die Psychologie eine junge Wissenschaft ist, sondern auch daher, dass der Erfahrungsstoff, das Material der wissenschaftlichen Betrachtung, sozusagen nicht konkret unter die Augen des Lesers gelegt werden kann. Der psychologische Forscher sieht sich immer wieder gezwungen, die von ihm beobachtete Wirklichkeit durch weitläufige und sozusagen indirekte Beschreibung darzustellen. Nur soweit mit Zahl und Maß zugängliche Elementartatsachen mitgeteilt werden, kann auch von einer direkten Darstellung die Rede sein. Aber wie viel von der wirklichen Psychologie des Menschen wird als durch Maß und Zahl erfassbare Tatsache erlebt und beobachtet? Es gibt solche Tatbestände, und ich glaube gerade durch meine Assoziationsstudien1 nachgewiesen zu haben, dass noch recht komplizierte Tatbestände einer messenden Methode zugänglich sind. Aber wer tiefer in das Wesen der Psychologie eingedrungen ist und die höhere Anforderung an die Psychologie als Wissenschaft stellt, nämlich, dass sie nicht bloß eine durch die Grenzen der naturwissenschaftlichen Methodik beschränkte, kümmerliche Existenz fristen darf, der wird auch erkannt haben, dass es nie und nimmer einer experimentellen Methodik gelingen wird, dem Wesen der menschlichen Seele gerecht zu werden, ja auch nur ein annähernd getreues Bild der komplizierten seelischen Erscheinungen zu entwerfen.

673

Wenn wir aber das Gebiet der durch Maß und Zahl erfassbaren Tatbestände verlassen, so sind wir auf Begriffe angewiesen, welche uns Maß und Zahl ersetzen müssen. Die Bestimmtheit, die Maß und Zahl der beobachteten Tatsache verleihen, kann nur ersetzt werden durch die Bestimmtheit des Begriffes. Nun leiden aber, wie es jedem Forscher und Arbeiter auf diesem Gebiet nur zu gut bekannt ist, die derzeit geläufigen psychologischen Begriffe an so großer Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit, dass man sich gegenseitig kaum verständigen kann. Man nehme nur einmal den Begriff »Gefühl« und suche sich zu vergegenwärtigen, was alles unter diesem Begriff geht, um eine Vorstellung von der Variabilität und Vieldeutigkeit psychologischer Begriffe zu bekommen. Und doch ist irgendetwas Charakteristisches damit ausgedrückt, das zwar für Maß und Zahl unzugänglich und doch fassbar existierend ist. Man kann nicht einfach darauf verzichten, wie es Wundts physiologische Psychologie tut, und diese Tatbestände als wesentliche Grundphänomene leugnen und sie durch Elementarfacta ersetzen oder sie in solche auflösen. Damit geht ein hauptsächliches Stück Psychologie geradezu verloren.

674

Um diesem durch die Überschätzung der naturwissenschaftlichen Methodik erzeugten Übelstand zu entgehen, ist man genötigt, zu festen Begriffen seine Zuflucht zu nehmen. Um solche Begriffe zu erlangen, bedarf es allerdings der Arbeit vieler, gewissermaßen des consensus gentium. Da dies aber nicht ohne weiteres und namentlich nicht sofort möglich ist, so muss der einzelne Forscher wenigstens sich bemühen, seinen Begriffen einige Festigkeit und Bestimmtheit zu verleihen, was wohl am besten dadurch geschieht, dass er die Bedeutung der von ihm jeweilig verwendeten Begriffe erörtert, so dass jedermann in den Stand gesetzt ist zu sehen, was mit ihnen gemeint ist.

675

Diesem Bedürfnis entsprechend, möchte ich im Folgenden meine hauptsächlichsten psychologischen Begriffe in alphabetischer Reihenfolge erörtern. Zugleich möchte ich den Leser bitten, im Zweifelsfalle sich dieser Erklärungen erinnern zu wollen. Es ist selbstverständlich, dass ich mich mit diesen Erklärungen und Definitionen nur darüber ausweisen will, in welchem Sinne ich mich der Begriffe bediene, womit ich aber keineswegs sagen möchte, dass dieser Gebrauch unter allen Umständen der einzig mögliche oder unbedingt richtige wäre.

676

Abstraktion. Abstraktion ist, wie das Wort schon andeutet, ein Heraus- oder Wegziehen eines Inhaltes (einer Bedeutung, eines allgemeinen Merkmals usw.) aus einem Zusammenhang, der noch andere Elemente enthält, deren Kombination als Ganzes etwas Einmaliges oder Individuelles und darum etwas Unvergleichbares ist. Die Einmaligkeit, Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit hindern die Erkenntnis, weshalb dem Erkennenwollen die mit dem als wesentlich empfundenen Inhalt verbundenen übrigen Elemente als unzugehörig erscheinen müssen.

677

Die Abstraktion ist daher diejenige Geistestätigkeit, welche den als wesentlich empfundenen Inhalt oder Tatbestand aus seiner Verknüpfung mit den als unzugehörig empfundenen Elementen befreit, indem sie ihn davon unterscheidet, mit anderen Worten differenziert (siehe dort). Abstrakt im weiteren Sinne ist alles, was aus seiner Verknüpfung mit in Hinsicht auf seine Bedeutung als unzugehörig Empfundenem herausgezogen ist.

678

Die Abstraktion ist eine Tätigkeit, welche den psychologischen Funktionen überhaupt eignet. Es gibt ein abstrahierendes Denken, ein ebensolches Fühlen, Empfinden und Intuieren (siehe diese Begriffe). Das abstrahierende Denken hebt einen durch denkgemäße, logische Eigenschaften gekennzeichneten Inhalt aus dem Nichtzugehörigen heraus. Das abstrahierende Fühlen tut dasselbe mit einem gefühlsmäßig charakterisierten Inhalt, ebenso die Empfindung und die Intuition. Es gibt daher ebensowohl abstrakte Gedanken wie abstrakte Gefühle, welch Letztere von Sully als intellektuelle, ästhetische und moralische bezeichnet werden.2 Nahlowsky fügt das religiöse Gefühl noch dazu.3 Die abstrakten Gefühle in meiner Auffassung würden den »höheren« oder »ideellen« Gefühlen Nahlowskys entsprechen. Die abstrakten Gefühle setze ich auf gleiche Linie mit den abstrakten Gedanken. Die abstrakte Empfindung wäre als ästhetische Empfindung zu bezeichnen, im Gegensatz zur sinnlichen Empfindung (siehe Empfindung), die abstrakte Intuition als symbolische Intuition im Gegensatz zur phantastischen Intuition (siehe Phantasie und Intuition).

679

680

Abstrahierend nenne ich eine Einstellung (siehe dort), wenn sie einerseits introvertierend ist und anderseits zugleich einen als wesentlich empfundenen Teil des Objektes den im Subjekt bereitgestellten abstrakten Inhalten assimiliert. Je abstrakter ein Inhalt ist, desto unvorstellbarer ist er. Ich schließe mich Kants Auffassung an, nach welcher ein Begriff umso abstrakter ist, »je mehr Unterschiede der Dinge aus ihm weggelassen sind«4, in dem Sinne, dass die Abstraktion in ihrem höchsten Grade sich vom Objekt absolut entfernt und damit zur äußersten Unvorstellbarkeit gelangt, welches Abstraktum ich als Idee bezeichne (siehe dort). Umgekehrt ist ein Abstraktum, das noch Vorstellbarkeit oder Anschaulichkeit besitzt, ein konkreter Begriff (siehe Konkretismus).

681

Affekt. Unter Affekt ist ein Gefühlszustand zu verstehen, der einerseits durch merkbare Körperinnervation, anderseits durch eine eigentümliche Störung des Vorstellungsablaufes gekennzeichnet ist.5 Mit Affekt als synonym gebrauche ich Emotion. Ich unterscheide – im Gegensatz zu Bleuler (siehe Affektivität) – das Gefühl vom Affekt, obschon sein Übergang zum Affekt fließend ist, indem jedes Gefühl, wenn es eine gewisse Stärke erlangt, Körperinnervationen auslöst und damit zum Affekt wird. Aus praktischen Gründen aber wird man gut daran tun, Affekt von Gefühl zu unterscheiden, indem das Gefühl eine willkürlich disponible Funktion sein kann, während der Affekt dies in der Regel nicht zu sein pflegt. Ebenso zeichnet sich der Affekt vor dem Gefühl deutlich durch die merkbare Körperinnervation aus, während dem Gefühl diese Innervationen größtenteils fehlen oder von solch geringer Intensität sind, dass sie bloß mit sehr feinen Instrumenten nachzuweisen sind, zum Beispiel durch das psychogalvanische Phänomen.6 Der Affekt kumuliert sich durch die Empfindung der von ihm ausgelösten Körperinnervationen. Diese Wahrnehmung gab Anlass zur James-Lange’schen Affekttheorie, welche den Affekt überhaupt aus den Körperinnervationen ursächlich ableitet. Dieser extremen Auffassung gegenüber fasse ich den Affekt einerseits als einen psychischen Gefühlszustand, anderseits als einen physiologischen Innervationszustand auf, welche beide wechselseitig kumulierend aufeinanderwirken, das heißt zu dem verstärkten Gefühl gesellt sich eine Empfindungskomponente, durch welche der Affekt mehr den Empfindungen (siehe dort) angenähert und vom Gefühlszustand wesentlich unterschieden wird. Ich rechne ausgesprochene, das heißt durch heftige Körperinnervationen begleitete Affekte nicht dem Gebiete der Fühlfunktion, sondern dem Gebiete der Empfindungsfunktion zu (siehe Funktion).

682

Affektivität. Affektivität ist ein Begriff, den Eugen Bleuler geprägt hat. Affektivität bezeichnet und fasst zusammen »nicht nur die Affekte im eigentlichen Sinne, sondern auch die leichten Gefühle oder Gefühlstöne der Lust und Unlust«7. Bleuler unterscheidet von der Affektivität einerseits die Sinnesempfindungen und die sonstigen Körperempfindungen, anderseits die »Gefühle«, insofern sie innere Wahrnehmungsvorgänge (zum Beispiel Gefühl der Gewissheit, der Wahrscheinlichkeit) und insofern sie unklare Gedanken oder Erkenntnisse sind.8

682a

Anima, Animus, siehe Seele, siehe Seelenbild.

683

Apperzeption. Apperzeption ist ein psychischer Vorgang, durch den ein neuer Inhalt ähnlichen, schon vorhandenen Inhalten dermaßen angegliedert wird, dass man ihn als verstanden auffasst oder als klar bezeichnet.9 Man unterscheidet eine aktive und eine passive Apperzeption; die aktive ist ein Vorgang, bei welchem das Subjekt von sich aus, aus eigenen Motiven bewusst einen neuen Inhalt mit Aufmerksamkeit erfasst und an andere Inhalte, die in Bereitschaft stehen, assimiliert; die passive Apperzeption ist ein Vorgang, bei dem ein neuer Inhalt von außen (durch die Sinne) oder von innen (aus dem Unbewussten) sich dem Bewusstsein aufdrängt und sich die Aufmerksamkeit und Auffassung gewissermaßen erzwingt. In jenem Fall liegt der Akzent der Tätigkeit beim Ich, in diesem bei dem sich andrängenden neuen Inhalt.

684

Archaismus. Mit Archaismus bezeichne ich den altertümlichen Charakter psychischer Inhalte und Funktionen. Es handelt sich dabei nicht um archaistische, das heißt nachgeahmte Altertümlichkeiten, wie sie zum Beispiel spätrömische Bildwerke oder die »Gothik« des 19. Jahrhunderts aufweisen, sondern um Eigenschaften, die den Charakter des Reliktes haben. Als solche Eigenschaften sind alle diejenigen psychologischen Züge zu bezeichnen, welche im Wesentlichen mit den Eigenschaften der primitiven Mentalität übereinstimmen. Es ist klar, dass der Archaismus in erster Linie den Phantasien des Unbewussten anhaftet, das heißt den das Bewusstsein erreichenden Produkten der unbewussten Phantasietätigkeit. Die Qualität des Bildes ist dann archaisch, wenn es unverkennbare mythologische Parallelen hat.10 Archaisch sind die Analogieassoziationen der unbewussten Phantasie, ebenso ihr Symbolismus (siehe Symbol). Archaismus ist die Identitätsbeziehung zum Objekt (siehe Identität), die »participation mystique« (siehe dort). Archaismus ist der Konkretismus des Denkens und des Fühlens. Archaismus ist ferner der Zwang und die Unfähigkeit zur Selbstbeherrschung (das Hingerissensein). Archaismus ist das Verschmolzensein der psychologischen Funktionen (siehe Differenzierung) miteinander, zum Beispiel Denken und Fühlen, Fühlen und Empfinden, Fühlen und Intuition, auch das Verschmolzensein der Teile einer Funktion (audition coloriee), Ambitendenz und Ambivalenz (Bleuler), das heißt Verschmolzensein mit dem Gegenteil, zum Beispiel Gefühl und Gegengefühl.

684a

Archetypus11 siehe Bild.

685

Assimilation. Assimilation ist die Angleichung eines neuen Bewusstseinsinhaltes an das in Bereitschaft stehende subjektive Material,12 wobei besonders die Ähnlichkeit des neuen Inhaltes mit dem bereitstehenden subjektiven Material hervorgehoben wird, eventuell zuungunsten der selbständigen Qualität des neuen Inhaltes.13 Die Assimilation ist, im Grunde genommen, ein Apperzeptionsvorgang (siehe Apperzeption), der sich aber von der reinen Apperzeption durch das Element der Angleichung an das subjektive Material unterscheidet. In diesem Sinne sagt Wundt:

»Am augenfälligsten tritt diese Bildungsweise (nämlich die Assimilation) bei den Vorstellungen dann hervor, wenn die assimilierenden Elemente durch Reproduktion, die assimilierten durch einen unmittelbaren Sinneseindruck entstehen. Es werden dann die Elemente von Erinnerungsbildern gewissermaßen in das äußere Objekt hineinverlegt, so dass, namentlich wenn das Objekt und die reproduzierten Elemente erheblich voneinander abweichen, die vollzogene Sinneswahrnehmung als eine Illusion erscheint, die uns über die wirkliche Beschaffenheit der Dinge täuscht.«14

686

Ich gebrauche Assimilation in einem etwas erweiterten Sinne, nämlich als Angleichung des Objektes an das Subjekt überhaupt und setze ihr gegenüber die Dissimilation als Angleichung des Subjektes an das Objekt, und als Entfremdung des Subjektes von sich selber zugunsten des Objektes, sei es ein äußeres Objekt oder ein »psychologisches« Objekt, zum Beispiel eine Idee.

687

Bewusstsein. Unter Bewusstsein verstehe ich die Bezogenheit psychischer Inhalte auf das Ich (siehe Ich), soweit sie als solche vom Ich empfunden wird.15 Beziehungen zum Ich, soweit sie von diesem nicht als solche empfunden werden, sind unbewusst (siehe dort). Das Bewusstsein ist die Funktion oder Tätigkeit,16 welche die Beziehung psychischer Inhalte zum Ich unterhält. Bewusstsein ist nicht identisch mit Psyche, indem Psyche die Gesamtheit aller psychischen Inhalte darstellt, welche nicht notwendigerweise alle mit dem Ich direkt verbunden, das heißt dermaßen auf das Ich bezogen sind, dass ihnen die Qualität der Bewusstheit zukäme. Es gibt eine Vielheit von psychischen Komplexen, die nicht alle notwendigerweise mit dem Ich verbunden sind.17

688

Bild. Wenn ich in dieser Arbeit von Bild spreche, so meine ich damit nicht das psychische Abbild des äußeren Objektes, sondern vielmehr eine Anschauung, die dem poetischen Sprachgebrauch entstammt, nämlich das Phantasiebild, welches sich nur indirekt auf Wahrnehmung des äußeren Objektes bezieht. Dieses Bild beruht vielmehr auf unbewusster Phantasietätigkeit, als deren Produkt es dem Bewusstsein mehr oder weniger abrupt erscheint, etwa in der Art einer Vision oder Halluzination, ohne aber den pathologischen Charakter einer solchen, das heißt die Zugehörigkeit zu einem klinischen Krankheitsbild zu besitzen. Das Bild hat den psychologischen Charakter einer Phantasievorstellung und niemals den quasi Realcharakter der Halluzination, das heißt es steht nie anstelle der Wirklichkeit und wird von sinnlicher Wirklichkeit als »inneres« Bild stets unterschieden. In der Regel ermangelt es auch jeder Projektion in den Raum, obschon es in Ausnahmefällen auch gewissermaßen von außen erscheinen kann. Diese Erscheinungsweise ist als archaisch (siehe dort) zu bezeichnen, wenn sie nicht in erster Linie pathologisch ist, was aber den archaischen Charakter keineswegs aufhebt. Auf primitiver Stufe, das heißt in der Mentalität des Primitiven verlegt sich das innere Bild leicht als Vision oder Gehörshalluzination in den Raum, ohne pathologisch zu sein.

689

Wenn schon in der Regel dem Bild kein Wirklichkeitswert zukommt, so kann ihm doch unter Umständen eine umso größere Bedeutung für das seelische Erleben anhaften, das heißt ein großer psychologischer Wert, welcher eine »innere« Wirklichkeit darstellt, die gegebenenfalls die Bedeutung der »äußeren« Wirklichkeit überwiegt. In diesem Fall ist das Individuum nicht nach Anpassung an die Wirklichkeit, sondern nach Anpassung an die innere Forderung orientiert.

690

Das innere Bild ist eine komplexe Größe, die sich aus den verschiedensten Materialien von verschiedenster Herkunft zusammensetzt. Es ist aber kein Konglomerat, sondern ein in sich einheitliches Produkt, das seinen eigenen, selbständigen Sinn hat. Das Bild ist ein konzentrierter Ausdruck der psychischen Gesamtsituation,