Klinische Sozialarbeit: Das Soziale behandeln. Entwicklung einer Fachsozialarbeit -  - E-Book

Klinische Sozialarbeit: Das Soziale behandeln. Entwicklung einer Fachsozialarbeit E-Book

0,0

Beschreibung

Klinische Sozialarbeit beansprucht als gesundheitsbezogene Fachsozialarbeit einen eigenständigen sozialen Beratungs- und Behandlungsansatz. Ihre besondere Expertise liegt auf der fallbezogenen Arbeit mit Klient:innen in komplexen bio-psycho-sozialen Belastungskonstellationen - dabei wird der soziale Kontext intensiv einbezogen. Helmut Pauls hat mit seiner wissenschaftlichen Arbeit und seinen Initiativen (z.B. Gründung des Instituts für psychosoziale Gesundheit IPSG, der Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit ZKS sowie Entwicklung des ersten weiterbildenden klinisch-sozialarbeiterischen Studienangebots in Deutschland) grundlegend zur Profilierung und Etablierung der Klinischen Sozialarbeit im deutschsprachigen Raum beigetragen. Dieser Herausgabeband würdigt sein Schaffen: Neben der Entwicklung der Klinischen Sozialarbeit in Deutschland werden sowohl der State of the Art zu aktuellen Themen und Aufgaben als auch zukünftige Herausforderungen beleuchtet. Bei den Autor:innen handelt es sich um wichtige Diskussionspartner:innen, langjährige Kolleg:innen und auch um ehemalige Studierende. Entlang ihrer besonderen Expertisen wird ein fundierter Einblick in die Klinische Sozialarbeit und die Vielfalt der relevanten Fragen, Zielgruppen, Arbeitsfelder und Zukunftsaufgaben möglich.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 284

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Einleitung

Entwicklung und Etablierung der Klinischen Sozialarbeit

Albert Mühlum

Klinische Sozialarbeit als gesundheitsbezogene Fachsozialarbeit – Wegmarken der Entwicklung

Dario Deloie und Ute Antonia Lammel

Therapie und Soziale Arbeit – ein besonderes Spannungsverhältnis?!

Ralph Viehhauser und Johannes Lohner

Der Blick in den Spiegel als professionelle Aufgabe – Selbstreflexion als Kernkompetenz der Klinischen Sozialarbeit

Gernot Hahn

Forensische Soziale Arbeit. Hard to reach – auf vielen Ebenen

Christine Kröger und Silke Birgitta Gahleitner

Klinische Sozialarbeit studieren? Klinische Sozialarbeit studieren!

Eine Verbleibstudie zum kooperativen berufsbegleitenden Masterstudiengang der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Hochschule Coburg

Aktuelle Fragen, Zugänge und Methoden der Klinischen Sozialarbeit

Silke Birgitta Gahleitner, Johanna Hefel und Elisabeth Steiner

Beziehungsgestaltung in der Klinischen Sozialarbeit

Peter Buttner

Multiperspektivität in Sozialer Diagnostik und Intervention

Marion Mayer

Beratung im sozialtherapeutischen Feld – zur Komplexität des Sozialen

Michael Reicherts

Arbeit mit Emotionen in der klinischen Fallarbeit – mit dem Modell „Emotionale Offenheit"

Grit Annemüller und Andreas Aue

Klinisches Case Management

Günther Wüsten

Resilienz fördern und soziale Ressourcen entwickeln

Zukünftige Herausforderungen und Entwicklungsfelder

Norbert Beck und Christopher Romanowski-Kirchner

Klinische Sozialarbeit in der psychosozialen Versorgung zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie

Michael Vogt

Klinische Sozialarbeit mit älteren Menschen: Herausforderungen und Aufgaben

Karlheinz Ortmann und Dieter Röh

Was ist aus dem „Projekt" Klinische Sozialarbeit geworden? Eine kritische Bilanz

Lisa Große, Karsten Giertz und Saskia Ehrhardt

European Centre for Clinical Social Work: eine europäische Idee für die Praxis Klinischer Sozialarbeit

Persönliches zum Schluss

Brigitte Geißler-Piltz

Supervision meets Soziale Arbeit: die Geschichte einer Beziehung

Peter Dentler

Noch eine Erinnerung mit Blick in die USA

Anhang

Zu den Autor:innen

Einleitung

10.20 Uhr an einem Dienstag im Jahr 2001. Ich [Gernot Hahn] stehe vor dem Glaskasten der Klinikpforte, der Pförtner telefoniert und winkt mich aufgeregt zu sich herein. Der Summer der Sicherheitstür geht, sie öffnet sich schwer, ich stehe in einem kleinen Kabuff: „Da ist ein Professor in der Leitung, der sucht Sie!". Ich übernehme, am Telefon Prof. Pauls aus Coburg. Wir hatten uns wenige Wochen zuvor kennengelernt, er hatte eine gut besuchte Tagung an der Hochschule veranstaltet. Wolf Rainer Wendt war einer der Hauptredner. Es ging um Fachsozialarbeit, Professionalisierung, den Behandlungsgedanken in der Sozialen Arbeit, Gesundheitsförderung. Pauls: „Ich suche Sie schon seit zwei Wochen, hatte ja keine Telefonnummer, die hatten wir vergessen auszutauschen. Wir müssen uns treffen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine Initiative, um die Klinische Sozialarbeit voranzubringen. Ich habe da ein paar Ideen, die ich gerne besprechen würde. Bei der Gelegenheit kann ich Ihnen auch gleich das Institut zeigen, das wir hier in Coburg gegründet haben – wenn Sie möchten".

Wir vereinbaren ein Treffen in der nächsten Woche. Das Treffen zieht sich über einen halben Tag, beginnt in einem nüchternen 1970er-Jahre-Büro an der Hochschule. Dort hat wenige Wochen später der erste Masterstudiengang Klinische Sozialarbeit gestartet. Mit einem Kaffee klingt das Treffen aus – in den Räumlichkeiten des von Pauls gegründeten Instituts, etwas außerhalb von Coburg. „Da behandeln wir Kinder mit psychosozialen Schwierigkeiten. Und wir bilden dort Sozialarbeiter aus. Beides zusammen." Die einstündige Heimfahrt unterbreche ich in Bamberg, sitze im Café und versuche ein Themenprotokoll des komplexen Treffens: Fachsozialarbeit, Praxis und Forschung, Standards, Publikationsplattformen, Zertifizierung, Hochschulverbund, Arbeit mit Randgruppen, Gesundheitsförderung, Lehrauftrag, eine zentrale Institution zur Förderung Klinischer Sozialarbeit. Die Schnittstelle – zu meiner Arbeit: forensische Klinik, zu meinen Erfahrungen in der Hochschullehre und meiner Forschungsarbeit, die Möglichkeit, Aktivitäten auf Landesebene in Bayern einen Facharbeitskreis für Klinische Sozialarbeit (LAKSS) zu initiieren, zu meinem damaligen Promotionsvorhaben – war groß und Helmut, wir gingen rasch aufs Du über, hatte mich angesteckt, mit seiner Begeisterung, seinen Ideen, den vielen Anknüpfungspunkten, den konkreten Vorhaben, den Projektskizzen und seiner Einladung: „Mach doch mit", so der Tenor.

Aus diesem ersten Treffen entwickelten sich vielfältige Projekte, gemeinsame Publikationen, ein gemeinsam gegründeter Verlag für Klinische Sozialarbeit, die Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit, der Entwurf für das European Centre for Clinical Social Work, Planungstreffen für den Masterstudiengang. Oft trafen wir uns in der Orangerie des Schlosses Seehof bei Bamberg. Die kleinen Kaffeetischchen reichten meist nicht aus, um Unterlagen, Laptops, den obligatorischen Orangensaft („Hier gibt es frisch gepressten!") aufzunehmen. Helmut, zum Zeitpunkt seiner Berufung jüngster Professor an einer Bayerischen Hochschule, wollte das Projekt Klinische Sozialarbeit entwickeln, Ziele formulieren und erreichen und hat das geschickt verknüpft, durch Vernetzung, Tagungen, informelle Treffen, persönliche Kontakte, aus denen sich Freundschaften entwickelten. Spannend waren neben all diesen Erfahrungen und Projekten die Übergänge: der eigene Verlag, die Gründung der „Zentralstelle Klinische Sozialarbeit", später eine lange Krankheitsphase, die Beschäftigung mit der eigenen biopsychosozialen Situation, seine Begleitung meiner privaten und beruflichen Entwicklung, und schließlich auch sein sehr klar strukturierter Übergang in den Ruhestand. Die Bedeutung, die Helmut für Disziplin und Profession Klinischer Sozialer Arbeit hatte und hat, überträgt sich auch auf persönliche Aspekte: Orientierung, Akzeptanz, Motivation, Reflexion, Differenzierung, stetige Entwicklung durch Auseinandersetzung.

Mehr als 20 Jahre später. Helmut Pauls hat mit seiner wissenschaftlichen Arbeit und seinem Engagement wesentlich zur Etablierung der Klinischen Sozialarbeit in Deutschland beigetragen. Der vorliegende Band würdigt sowohl seine richtungsweisenden praxisbezogenen Initiativen (z.B. die Gründung des bereits angesprochenen Instituts für psychosoziale Gesundheit, IPSG) als auch seine wissenschaftliche Fundierung der Klinischen Sozialarbeit (Gahleitner & Pauls, 2019; Lammel & Pauls, 2017; Pauls, 2013, 2018, 2020; Pauls & Hahn, 2015; Pauls & Mühlum, 2005; Pauls et al., 2013).

Das Herausgabewerk zeigt auf, wo das „Projekt' Klinische Sozialarbeit heute steht, was erreicht wurde, und vor allem, wie vielfältig die relevanten Fragen, Arbeitsfelder und Zielgruppen sind. Gleichzeitig wird sichtbar, wie viele Kolleg:innen Klinische Sozialarbeit mittlerweile auf ganz unterschiedlichen Gebieten mitgestalten und weitertragen, z.B. durch berufspolitisches Engagement, durch Forschung, durch spezifische Expertise für besondere Zielgruppen und die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Die Autor:innen nehmen in vielfältiger Form Bezug auf das Werk von Helmut Pauls: auf seine konzeptionellen Ideen, theoretischen Überlegungen und Praxisimpulse.

Der erste Teil dieses Bands versammelt Beiträge, die vor allem die Entwicklung der Klinischen Sozialarbeit in Deutschland nachzeichnen. Es geht um wichtige Wegmarken bei der Etablierung als gesundheitsbezogene Fachsozialarbeit, um grundlegende Fragen wie den sozialtherapeutischen Behandlungsanspruch und zentrale Kernkompetenzen wie die Selbstreflexionsfähigkeit von klinischen Fachkräften. Darüber hinaus wird der aktuelle Entwicklungsstand Forensischer Sozialer Arbeit als bedeutender klinischer Vertiefungsbereich skizziert. Den Abschluss bildet ein Beitrag zum Masterstudiengang Klinische Sozialarbeit, den Helmut Pauls an der Hochschule Coburg initiiert und später gemeinsam mit Brigitte Geißler-Piltz von der Alice Salomon Hochschule Berlin fortgeführt hat.

Im zweiten Part wird der State of the Art zu aktuellen Fragen und Themenfeldern umrissen. Ausgehend von der herausragenden Bedeutung der Beziehungsgestaltung werden zentrale Aufgaben und methodische Zugänge in den Blick genommen. Im Einzelnen werden Soziale Diagnostik, Psychosoziale Beratung, die Arbeit mit Emotionen, Klinisches Case Management und die besondere Rolle von sozialen Ressourcen thematisiert.

Der dritte und letzte Teil ist den Themen gewidmet, die in der Zukunft eine besondere Rolle spielen werden: Dazu gehören auf der Ebene von Zielgruppen Kinder und Jugendliche mit psychiatrischen Erkrankungen, aber auch alte und hochbetagte Menschen. Auf professionsbezogener Ebene wird kritisch bilanziert, was aus der Klinischen Sozialarbeit geworden ist und wie die Internationalisierung weiter vorangebracht und lebendig gehalten werden kann.

Einen persönlich inspirierten Abschluss bilden die Beiträge von Brigitte Geißler-Piltz und Peter Dentler – beide haben von Beginn an gemeinsam mit Helmut Pauls an klinischen Themen gearbeitet und die fachliche Entwicklung kritisch-konstruktiv vorangebracht.

Insgesamt vermittelt der Band einen fundierten Einblick in die Bedeutung der Klinischen Sozialen Arbeit als gesundheitsbezogener Fachsozialarbeit. Alle Autor:innen sind mit Helmut Pauls verbunden. Sie bilden quasi das fachliche soziale Netzwerk, von dem die Klinische Sozialarbeit wesentlich mitgetragen wird – es handelt sich um langjährige Kolleg:innen, verlässliche Weggefährt:innen, wichtige Diskussionspartner:innen und auch um ehemalige Studierende. Entlang ihrer besonderen Expertisen machen sie die Vielfalt der relevanten klinischen Themen in der Sozialen Arbeit sichtbar.

Wir wünschen uns, dass die Kreativität, die Innovationskraft und Begeisterung von Helmut Pauls durch dieses Buch zumindest ein wenig spürbar werden und dass sie die Leser:innen anstecken und zu weiteren Entwicklungen inspirieren mögen.

Wir als Herausgebende möchten Helmut Pauls nicht nur fachlich würdigen, sondern auch und vor allem persönlich „Danke' sagen. Für uns ist die besondere Bedeutung dieses Wissenschaftlers hervorzuheben, aber auch und vor allem das wertschätzende verlässliche Miteinander, die vielen kostbaren Begegnungen als Mentor und Freund!

Christine Kröger, Gernot Hahn und Silke Birgitta Gahleitner

Literatur

Gahleitner, S.B. & Pauls, H. (2019). Klinische Sozialarbeit. In Socialnet Lexikon. https://www.socialnet.de/lexikon/Klinische-Sozialarbeit

Lammel, U.A. & Pauls, H. (Hrsg.). (2017). Sozialtherapie. Sozialtherapeutische Interventionen als dritte Säule der Gesundheitsversorgung. Verlag modernes Lernen.

Pauls, H. (2013). Klinische Sozialarbeit. Grundlagen und Methoden psychosozialer Behandlung (Grundlagentexte Soziale Berufe; 3., unveränd. Aufl.). Beltz Juventa (letzte überarb. Aufl. erschienen 2011).

Pauls, H. (2018). Beratungskompetenzen in der Klinischen Sozialarbeit. Beratung Aktuell, 19(3), 4–21. https://www.active-books.de/kategorien/buch/532-beratung-aktuell-32018-junfermann-verlag/

Pauls, H. (2020). Das biopsychosoziale Modell im Kontext sozialer Mitbehandlung. In M. Bösel & S.B. Gahleitner (Hrsg.), Soziale Interventionen in der Psychotherapie. Interdisziplinär und interprofessionell denken und handeln (Curriculum Psychotherapie; S. 29–40). Kohlhammer.

Pauls, H. & Hahn, G. (2015). Sozialtherapie. In U.A. Lammel, J. Jungbauer & A. Trost (Hrsg.), Klinischtherapeutische Soziale Arbeit. Grundpositionen – Forschungsbefunde – Praxiskonzepte (S. 29–43). Verlag modernes Lernen.

Pauls, H. & Mühlum, A. (2005). Klinische Kompetenzen. Eine Ortsbestimmung der Sektion Klinische Sozialarbeit. Klinische Sozialarbeit, 1(1), 6–9. https://zks-verlag.de/wp-content/uploads/Zeitschrift-2005-1.pdf

Pauls, H., Stockmann, P. & Reicherts, M. (Hrsg.). (2013). Beratungskompetenzen in der psychosozialen Fallarbeit, Ein sozialtherapeutisches Profil. Lambertus.

Entwicklung und Etablierung der Klinischen Sozialarbeit

Klinische Sozialarbeit als gesundheitsbezogene Fachsozialarbeit – Wegmarken der Entwicklung

Albert Mühlum

Vorbemerkung

Klinische Sozialarbeit (KlinSA) ist zuerst und vor allem Sozialarbeit. Daran hat Helmut Pauls, Nestor dieses Handlungs- und Forschungsbereichs in Deutschland, immer festgehalten. Das ist angesichts inhärenter Kontroversen keineswegs selbstverständlich. Da die Entwicklung klinischer Fachlichkeit bis zur Fachsozialarbeit noch kaum systematisch im Kontext Sozialer Arbeit behandelt wurde, soll sie in diesem Bezugsrahmen kurz skizziert werden. Dabei wird auch die buchstäblich maßgebende Rolle Helmut Pauls in Praxis, Lehre und Forschung verdeutlicht.

Praxis. Vom Beruf zur Profession: Professionalisierung

Die Forderung nach Klinischer Sozialarbeit hängt unmittelbar mit der Geringschätzung der Methodenlehre an Fachhochschulen zusammen. Aber schon davor war die Vernachlässigung des Themas Gesundheit evident. Mit zunehmender Binnendifferenzierung wuchsen der Bedarf und auch die Chance zur Spezialisierung in sozialer Beratung und Behandlung.

Soziale Arbeit und Gesundheit – Binnendifferenzierung

Gesundheit war schon immer Thema beruflicher Fürsorge, aber meist implizit oder auf konkrete Berufsfelder wie Krankenhaus oder Gesundheitsamt bezogen. Mit der Professionalisierungsdebatte der 1980er- bis 1990er-Jahre und der WHO-Gesundheitsagenda wurde Gesundheitsförderung zu einem neuen Leitthema, auch im Zusammenhang von Armut, Benachteiligung und prekären Lebenslagen. Obwohl die Soziale Arbeit unvermeidlich mit Gesundheitsfragen befasst ist, fehlte es lange an einer vertieften Beschäftigung damit. Eine Weichenstellung waren im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Sozialarbeit (DGS, später DGSA) 1993 die Gründung des Arbeitskreises „AK' Sozialarbeit und Gesundheit' und dessen fachliche Ausstrahlung (Arbeitskreis, 2001). Zu seinen frühen Mitwirkenden zählte Helmut Pauls, dem auch die Initiative zur Gründung der „Sektion' Klinische Sozialarbeit" 2002 zu verdanken ist, die er bis heute entscheidend mitprägt (Pauls & Mühlum, 2005). Zentrales Anliegen war und ist die Qualifizierung der Sozialarbeitenden im Hinblick auf Gesundheitsprobleme bzw. Gesundheitsförderung unter besonders schwierigen Umständen.

Auf dem Weg vom Beruf zur Profession wurde fast durchgängig um die richtige Art und Tiefe der fachlichen Kompetenz gerungen. So gab es schon in den 1920er-Jahren Dutzende Sonderfürsorgebereiche. Bei der Binnendifferenzierung stellen – im Spannungsbogen von Generalisierung und Spezialisierung – schon funktionale Einsatzbereiche wie Jugendhilfe, Sozialhilfe und Straffälligenhilfe spezifische Anforderungen. Umso mehr gilt das für spezialisierte Teilbereiche im Gesundheitswesen, das sich seinerseits immer stärker ausdifferenziert. Die Soziale Arbeit bekräftigte in diesem Kontext ihren professionellen Anspruch: zunächst entlang der klassischen Professionskriterien wie akademische Ausbildung, Berufsethik, berufsständische Vertretung, Lizensierung und fachliche Autonomie, danach flexibler mit der Betonung von Professionalität, verstanden als Selbstreflexivität auf höherem Niveau (zur professionstheoretischen Einordnung: Mühlum & Gahleitner, 2008, 2011).

Mit diesem Anspruch wurden besondere Handlungsqualitäten reklamiert, zumal für den Umgang mit schwer erreichbaren Personen, traumatisierten Patient:innen und hochgradig desorganisierten Beziehungen. Ein solch klinisch-soziales Profil wurde von der DGSA angeregt (DGSA Symposion, 2000), vom AK Sozialarbeit und Gesundheit gefordert („Plädoyer für klinische Sozialarbeit", Deutsche Gesellschaft für Sozialarbeit [DGS], Arbeitskreis [AK] Sozialarbeit und Gesundheit, 2001) und von Helmut Pauls und der Sektion KlinSA ab 2003 sukzessive ausgearbeitet (Ortmann & Röh, 2008), im Bewusstsein, dass sozialberufliche Interventionen in schwierigen Beziehungs- und Behandlungskontexten zusätzliche Kompetenzen erfordern.

Auf dem Weg zur Fachsozialarbeit – Thesen

Da Spezialisierung unvermeidlich mit dem Ganzheitsanspruch kollidiert, löste die Forderung nach Klinischer Sozialarbeit zunächst eine Grundsatzdebatte aus. Differenzierung muss jedoch weder zur Entwertung der grundständigen Sozialarbeit noch zur Hierarchisierung des Berufs führen. Tatsächlich öffnete sie neue professionspolitische Optionen (Thesen: Mühlum & Gahleitner, 2008):

(1) „Mit dem sozialen Wandel und dem Wandel der Versorgungssysteme sind neue sozialberufliche Kompetenzen notwendig. So reicht z.B. die generalistische Grundqualifikation für viele Felder und Aufgaben nicht mehr aus' (S. 51).

(2) „Die Klinische Sozialarbeit … [wurde] … kontrovers diskutiert, der vermeintliche Sonderweg einer klinischen Spezialisierung ist jedoch international üblich, wegen der sozialstrukturellen Umbrüche zwingend und mit dem neuen Hochschulabschluss ‚Master of Arts' kompatibel' (S. 51). Nach eher zögerlichem Beginn setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Soziale Arbeit für unterschiedliche Formen und Grade gesundheitsdienlicher Tätigkeit eigene Konzepte und Strategien braucht, also klinische Expertise im Kontext sozialer Mitbehandlung (Pauls, 2020).

(3) „Von den neuen Profilen ist das klinische schon weit entwickelt, kann auf internationale Vorbilder zurückgreifen und gewinnt im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Anforderungen und individuellem Bewältigungsverhalten vulnerabler Personen und Gruppen an Bedeutung' (Mühlum & Gahleitner, 2008, S. 52). Da Unterschichtzugehörigkeit, Arbeitslosigkeit und fehlende soziale Unterstützung die wichtigsten Vulnerabilitätsfaktoren sind, hilft der klinisch-soziale Fokus, die fragile Balance zwischen politischer, sozialräumlicher und mikrosozialer Perspektive zu halten.

(4) „Klinische Sozialarbeit braucht verlässliche Standards für Beratung und Behandlung. Daher sind Zertifizierung und Lizensierung wichtige Schritte auf dem Weg zur Qualifikationsstufe Fachsozialarbeit' (S. 52). Diese soll – analog zu Fachärzt:innen – über eine besondere Expertise für die jeweilige Aufgabe verfügen und definierte Qualifikationsanforderungen erfüllen.

Lehre. Von der Fachschule zum Hochschulstudium: Akademisierung

Der Übergang vom Ehrenamt zur beruflichen Fürsorge bzw. Wohlfahrtspflege wurde wesentlich durch eine systematische Ausbildung erreicht: zunächst in freiwilligen Helfer:innenkursen, dann verpflichtend in sozialen Fachschulen bzw. Seminaren und höheren Fachschulen, die 1971 zu Fachhochschulen und im Zuge der Bolognareform zu Hochschulen für angewandte Wissenschaften wurden.

Klinisch-soziale Fachlichkeit

Die Akademisierung wurde anfangs durchaus kritisch gesehen, passte aber zu den steigenden Anforderungen in Beruf und Gesellschaft. Auf diesem Hintergrund konnte sich die klinische Variante Sozialer Arbeit auch gegen Widerstände entwickeln (Dörr, 2002). Nicht nur in ausgewiesenen Behandlungskontexten, sondern auch in der alltäglichen Lebenswelt können Klient:innen unter so schwerwiegenden Störungen, Belastungen und Krisen leiden, dass Einwirkungen notwendig sind, die wegen ihrer Intensität ‚klinisch' genannt werden können. Dazu bedarf es einer spezialisierten Ausbildung, die fachliche Kompetenzen verlässlich vermittelt. Zudem ist eine Gewährleistung nötig, die internationalen Standards entspricht: Zertifizierung der Kompetenzen und Lizensierung klinischer Praktiker:innen. Die psychosoziale Orientierung ist konstitutiv für jede professionelle Sozialarbeit, erhält aber im klinischen Kontext ein methodisches Kompetenzprofil, das für den Umgang mit leidenden, chronisch kranken und schwer zugänglichen Menschen befähigt (Geißler-Piltz et al., 2005/2010).

Tabelle 1: Chronologie der entscheidenden Dekade

1998

Themenheft „Klinische Sozialarbeit' (Blätter der Wohlfahrtspflege)

1999

Studienrichtung Klinische Sozialarbeit an der Fachhochschule Coburg

2000

DGS-Symposion KlinSA DVSK-Bundeskongress zum Thema

2001

Plädoyer „Klinische Sozialarbeit als Fachsozialarbeit' (DGS, AK für Sozialarbeit und Gesundheit, 2001) Gründung der Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit (ZKS)

2002

Sammelbände und Debatte in Fachzeitschriften und Verbänden (DBSH, DVSK) Beginn der Zertifizierung durch ZKS Erster Studiengang „Klinische Sozialarbeit", Coburg

2003

Gründung der Sektion KlinSA Fachtagungen und Intensivierung des Diskurses

2004

Lehrbuch Pauls Akkreditierung der vier ersten klinischen Masterstudiengänge

2005

Gründung der Fachzeitschrift „Klinische Sozialarbeit" Themenheft Klinische Sozialarbeit der Zeitschrift „Psychosozial" (Klein, 2005) Einschlägige Monografien und Reader

2006

Klinisch-soziale Forschungsprojekte Kooperative von Masterabsolvent:innen sowie Online-Publikationen

2007

Gründung des European Centre for Clinical Social Work (ECCSW) Themenheft Klinische Sozialarbeit in Europa (Klein, 2007)

2008

Start der Schriftenreihe „Klinische Sozialarbeit – Beiträge zur psychosozialen Praxis und Forschung"

2009

Forschungsprojekte und Tagungen (ECCSW, DGSA, Sektion KlinSA)

2010

Reakkreditierung klinischer Studiengänge

Quelle:eigene Darstellung, in Anlehnung an Mühlum und Gahleitner (2010, S. 108)

Das in der Ausbildung über viele Jahre marginalisierte Gesundheitsthema und die mangelhafte Gesundheitskompetenz der Absolvent:innen wurden in der Professionsdebatte virulent. Der schon erwähnte AK Soziale Arbeit und Gesundheit stieß daher mit seinem Plädoyer in der Fachöffentlichkeit auf breites Interesse: Um den spezifischen Anforderungen einer klient:innenbezogenen Direct Practice gerecht zu werden, war die Etablierung einer beratungskompetenten ‚klinischen' Sozialarbeit folgerichtig. Sie wurde von Helmut Pauls 1999 zunächst als Studienschwerpunkt im Diplomstudium der FH Coburg und nach der Bolognareform 2001 als erster Masterstudiengang in Klinischer Sozialarbeit realisiert (Kröger & Gahleitner, in diesem Band) – flankiert von der Sektion KlinSA und einem unterstützenden Votum des DGSA-Vorstands. Parallel dazu gründete Pauls 2001 die Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit (ZKS), die 2002 mit der Zertifizierung Klinischer Sozialarbeiter:innen begann. Pate stand dabei auch das internationale Modell von Clinical Social Work (CSW). Es war nicht direkt übertragbar, bot jedoch Erfahrungswerte und wissenschaftliche Erkenntnisse, an denen sich die hier etablierende Klinische Sozialarbeit orientieren konnte. Vor allem die professionellen Standards und berufsethischen Prinzipien der CSW sowie definierte Kompetenzlevels erwiesen sich als nützlich (Pauls, 2011/2013).

Fachsozialarbeit

Die Erfolgsgeschichte klinisch-sozialer Fachlichkeit spricht für sich (Geißler-Pilz et al., 2010; Röh, 2020). Auch wenn sie inhaltlich, methodisch und formal noch nicht an die Qualifikation etwa der Facharztausbildung heranreicht, sind doch Höherqualifizierungen bis zur Promotion möglich und rechtfertigen – in Verbindung mit supervidierter klinischer Praxis – den Anspruch einer Fachsozialarbeit, die auch mit dem Qualifikationsrahmen des Fachbereichstags kompatibel ist. Neben ihrer Bedeutung für die Praxis sind die positiven Auswirkungen auf berufliche Sozialisation, Lehre und Forschung hervorzuheben. Zentrale Elemente sind: Wissenschaftsbasierte Ausbildung, forschungsgestützte Erkenntnisgewinnung im klinischen Feld und biopsychosozial akzentuiertes Erklärungs- und Veränderungswissen – verbunden mit der notwendigen Methodenkompetenz für klinisch-soziale Interventionen. Hinzu kommen die Übernahme eines Teils der gesellschaftlichen Verantwortung für marginalisierte Menschen und prekäre Verhältnisse sowie die Notwendigkeit integrierter Versorgung, die nicht nur von der Interdependenz somatischer, psychischer und sozialer Faktoren spricht, sondern diese Erkenntnis auch fachlich nutzt – eine ebenso schwierige wie notwendige Aufgabe im medizindominierten Gesundheitswesen (Pundt, 2006).

Wegen der Komplexität der Probleme wie auch der Hilfesysteme sind multiprofessionelle Arrangements nötig, in denen Klinische Sozialarbeit handelt. Sie ist eingebettet in das Gesamtsystem Soziale Arbeit – mit dem erklärten Ziel, in biopsychosozialer Perspektive Störungen diagnostizieren und methodensicher bearbeiten zu können (auch Ortmann & Röh, in diesem Band). Rollendifferenzial, Intensität der personalen Einwirkung und (Be-)Handlungskompetenz begründen jene klinische Fachlichkeit, die in der Fachsozialarbeit kulminiert. Die gestufte Ausbildung bis zu Master und Promotion ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Fachsozialarbeit. Notwendig sind, wie in den klassischen Professionen, eigene Verfahren der Erkenntnisgewinnung, also Forschung, Theoriebildung, Wissenschaft.

Forschung. Vom Erfahrungswissen zur Theorie: Wissenschaftsentwicklung

Die Koordinaten sozialprofessioneller Arbeit werden bestimmt durch die dreistufige Ausbildung (Bachelor, Master, Doktor), das Maß an Spezialisierung und die je besondere Methodenkompetenz. Fachsozialarbeit stellt dabei die höchste Kompetenzstufe dar, die bisher wohl am ehesten von der Klinischen Sozialarbeit erreicht wird.

Sozialarbeitsforschung

Der Wissenskanon Sozialer Arbeit entwickelte sich vom Erfahrungswissen über systematisiertes Berufswissen zu Methodenkonzepten und Theorien, die die Ausbildung prägen. Da sie überwiegend von Bezugswissenschaften stammen, manchmal ohne direkten Bezug zum Handlungsfeld, wurde das Bemühen um eigene Erkenntnisgewinnung, (Handlungs-)Forschung und eine einschlägige Wissenschaft immer stärker auch im Bestreben, die Lehrenden aus der eigenen Fachdisziplin zu rekrutieren. Die Promotionsförderung der DGSA spielt dabei eine wichtige Rolle. Professionalisierungsdruck und Hochschulreform begünstigten die Entwicklung zur Sozialarbeitswissenschaft (Mühlum, 2004). Dazu trug das Ringen um eine klinisch-soziale Perspektive im Konzert der Sozial- und Gesundheitswissenschaften bei, komplementär zu einer sich immer mehr auf das Individuum konzentrierenden Psychotherapie und gestützt durch die wachsende Bedeutung der SAGE-Fächer in einer zunehmend verstörten Gesellschaft.

Ziel der angewandten Sozialarbeitsforschung ist letztlich die Optimierung von Hilfeprozessen und die Verbesserung des Bewältigungsverhaltens. Wie schon für Praxis und Lehre Klinischer Sozialarbeit gezeigt, lässt sich also auch ihre Theorieentwicklung in den Gesamthorizont Sozialer Arbeit einordnen. Bezeichnend ist etwa, dass soziale Diagnostik und soziale Therapie schon von den Pionier:innen methoden- und theoriebewusst entwickelt, dann aber lange vernachlässigt wurden. Sie werden nun endlich von der Sektion KlinSA als Schlüsselthemen begriffen und bearbeitet (Buttner, in diesem Band; Buttner et al., 2018, 2020; Ortmann & Röh, in diesem Band; Lammel & Pauls, 2017).

Erkenntnisgewinnung im klinisch-sozialen Feld

Auch das klinisch-soziale Handeln braucht die empirisch-theoretische Reflexion, um Indikationen, Verfahren und Wirkungen einordnen und begründen zu können. Zwar ist die biopsychosoziale Hilfepraxis überkomplex und schwer zu erfassen, dennoch gibt es eine Vielzahl qualitativer Forschungsarbeiten, die den wissenschaftlichen Anspruch stützen (Schaub, 2008; Gahleitner & Mühlum, 2010; Röh, 2020).

In klinisch-sozialer Perspektive tragen zur Wissenschaftsentwicklung bei: zahlreiche Forschungsarbeiten und einschlägige Dissertationen, Publikationen in Sammelbänden und Monografien, Debatten in Fachzeitschriften und Fachverbänden, Symposien. Hervorzuheben sind „Klinische Sozialarbeit – Zeitschrift für psychosoziale Praxis und Forschung" sowie Zertifizierung bzw. Lizensierung auf unterschiedlichen Kompetenzlevels, die den permanenten Erkenntnisfortschritt voraussetzen. Klinische Sozialarbeiter:innen sind auf dem Master-Level auch zur selbstständigen empirischen Forschung als „scientific practitioners" befähigt. Entscheidend aber ist die Scientific Community, die über den Wissenschaftsanspruch dieses Forschungsbereichs befindet.

Die Bedeutung dieser Entwicklung liegt vordergründig darin, auf gleicher Augenhöhe mit anderen Professionen zu handeln. Wichtiger jedoch ist die Expertise für klinischsoziale Interventionen: Damit zum Wohle Hilfebedürftiger auf hohem fachlichen Niveau diagnostiziert, beraten und behandelt werden kann und definierte (Be-)Handlungsstandards sichergestellt sind, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und professionell angewandt werden. Dabei mag die Grenze zur allgemeinen Sozialarbeit fließend sein, sollte sich aber mit weiteren Forschungsarbeiten und im Diskurs der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Lehrenden und Forschenden klären (Gahleitner & Pauls, 2019).

Fazit

Klinische Sozialarbeit bedeutet Expert:innenschaft für biopsychosoziale Beratung, Behandlung und Intervention bzw. Treatment. Die Entwicklung klinisch-sozialer Fachlichkeit bis zur Qualifikationsstufe Fachsozialarbeit ist dabei kein Sonderweg, sondern Element der Binnendifferenzierung und integraler Bestandteil der Sozialen Arbeit. Dass die Klinische Sozialarbeit trotz mancher Widerstände für eine fruchtbare Wechselbeziehung mit der „allgemeinen Sozialarbeit" sorgte und damit messbare Fortschritte in Praxis, Lehre und Forschung bewirkte, ist in hohem Maße Helmut Pauls und den Kolleg:innen der Sektion Klinische Sozialarbeit zu verdanken.

Literatur

Deutsche Gesellschaft für Sozialarbeit (DGS), Arbeitskreis Sozialarbeit und Gesundheit (2001). Plädoyer für klinische Sozialarbeit. Nachrichtendienst des Deutschen Vereins, 82(2), 22–25.

Buttner, P., Gahleitner, S.B., Hochuli Freund, U. & Röh, D. (Hrsg.). (2020). Handbuch Soziale Diagnostik. Perspektiven und Konzepte für die Soziale Arbeit (Hand- und Arbeitsbücher, Bd. 24). DV.

Buttner, P., Gahleitner, S.B., Hochuli Freund, U. & Röh, D. (Hrsg.). (2020). Handbuch Soziale Diagnostik. Bd. 2: Soziale Diagnostik in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit (Hand- und Arbeitsbücher, Bd. 26). DV.

Dörr, M. (Hrsg.). (2002). Klinische Sozialarbeit – eine notwendige Kontroverse (Grundlagen der sozialen Arbeit, Bd. 7). Schneider.

Gahleitner, S.B. & Mühlum, A. (2010). Klinische Sozialarbeit. In K. Bock & I. Miethe (Hrsg.), Handbuch Qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit (S. 490–499). Budrich.

Gahleitner, S.B. & Pauls, H. (2019). Klinische Sozialarbeit. In Socialnet Lexikon. Socialnet. https://www.socialnet.de/lexikon/Klinische-Sozialarbeit

Geißler-Piltz, B., Mühlum, A. & Pauls, H. (Hrsg.). (2010). Klinische Sozialarbeit (Soziale Arbeit im Gesundheitswesen. Bd. 7). Reinhardt (Erstaufl. erschienen 2005).

Klein, U. (Hrsg.). (2005). Klinische Sozialarbeit – die Kunst psychosozialen Helfens [Themenheft]. Psychosozial, 28(3 [Nr. 101]).

Klein, U. (Hrsg.). (2007). Klinische Sozialarbeit in Europa [Themenheft]. Klinische Sozialarbeit, 3(3).

Lammel, U.A. & Pauls, H. (Hrsg.). (2017). Sozialtherapie. Sozialtherapeutische Interventionen als dritte Säule der Gesundheitsversorgung. Verlag modernes Lernen.

Mühlum, A. (Hrsg.). (2004). Sozialarbeitswissenschaft – Wissenschaft der Sozialen Arbeit (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit, Bd. 9). Lambertus.

Mühlum, A. & Gahleitner, S.B. (2008). Klinische Sozialarbeit als Fachsozialarbeit – Professionstheoretische Annäherung und professionspolitische Folgerungen. In S.B. Gahleitner & G. Hahn (Hrsg.), Klinische Sozialarbeit. Zielgruppen und Arbeitsfelder (Beiträge zur psychosozialen Praxis und Forschung, Bd. 1; S. 44–59). Psychiatrie-Verlag.

Mühlum, A. & Gahleitner, S.B. (2010). Klinische Sozialarbeit – Fachsozialarbeit: Provokation oder Modernisierungsprojekt der Sozialen Arbeit? In S.B. Gahleitner, H. Effinger, B. Kraus, I. Miethe, S. Stövesand & J. Sagebiel (Hrsg.), Disziplin und Profession Sozialer Arbeit. Entwicklungen und Perspektiven (Theorie, Forschung und Praxis Sozialer Arbeit, Bd. 1; S. 95–113). Budrich.

Mühlum, A. & Gahleitner, S.B. (2011). Schwerpunktbildung oder Subspezialisierung? Teil I. In B. Kraus, H. Effinger, S.B. Gahleitner, I. Miethe & S. Stövesand (Hrsg.), Soziale Arbeit zwischen Generalisierung und Spezialisierung (Theorie, Forschung und Praxis Sozialer Arbeit, Bd. 4; S. 235–243). Budrich.

Ortmann, K. & Röh, D. (Hrsg.). (2008). Klinische Sozialarbeit. Konzepte – Praxis – Perspektiven. Lambertus.

Pauls, H. (2013). Klinische Sozialarbeit. Grundlagen und Methoden psychosozialer Behandlung (Grundlagentexte Soziale Berufe; 3., unv. Aufl.) Juventa (letzte überarb. Aufl. erschienen 2011; Erstaufl. erschienen 2004).

Pauls, H. (2020). Das biopsychosoziale Modell im Kontext sozialer Mitbehandlung. In M. Bösel & S.B. Gahleitner (Hrsg.), Soziale Interventionen in der Psychotherapie. Interdisziplinär und interprofessionell denken und handeln (Curriculum Psychotherapie; S. 29–40). Kohlhammer.

Pauls, H. & Mühlum, A. (2005). Klinische Kompetenzen. Eine Ortsbestimmung der Sektion Klinische Sozialarbeit. Klinische Sozialarbeit, 1(1), 6–9. https://zks-verlag.de/wp-content/uploads/Zeitschrift-2005-1.pdf

Pundt, J. (Hrsg.). (2006). Professionalisierung im Gesundheitswesen. Positionen – Potenziale – Perspektiven. Huber.

Röh, D. (2020). Klinische Sozialarbeit 2020 – wo stehen wir? Klinische Sozialarbeit, 16(3), 6–9. https://zksverlag.de/wp-content/uploads/2020-03KlinSa.pdf

Schaub, H.A. (2008). Klinische Sozialarbeit. Ausgewählte Theorien, Methoden und Arbeitsfelder in Praxis und Forschung. V & R Unipress.

Therapie und Soziale Arbeit – ein besonderes Spannungsverhältnis?!

Dario Deloie und Ute Antonia Lammel

Skizze einer sozialtherapeutischen Gruppenarbeit

Anna (23) und Mike (24) haben sich in der Jugendwohngruppe ineinander verliebt. Ihr Sohn Freddy ist sieben Monate alt. Seit seiner Geburt ist das Paar „clean". Sie wohnen in einer nicht ganz komfortablen, renovierungsbedürftigen Altbauwohnung im 3. Stock mit kleinem Balkon am Stadtgarten. Anna kommt aus belasteten familiären Verhältnissen. Die Mutter starb nach längerer Krebserkrankung, als sie 13 war, der Vater blieb allein mit drei Kindern (13, 11, 9) zurück. Geld war meist knapp. Papa fuhr nachts Taxi, um etwas Nebenverdienst zu haben. Anna kümmerte sich um die Kleinen. Doch mit 15, kurz vor der mittleren Reife, wollte Anna ausbrechen. Streit mit Papa, zu viel Verantwortung, neue Freund:innen, eine erste Liebe, gemeinsames Kiffen, Partys, nachts nicht nach Hause. Der Stress mit Papa eskaliert: Überforderung, Schläge, weg von zu Hause, drogenfreundliche Freundeskreise, Realschule gerade noch geschafft. Mike ist Einzelkind zweier „Karrieristen". Papa Ingenieur und Unternehmer, Mama erfolgreiche Vertriebsleiterin, Reihenhaus am Stadtrand. Geld war kein Problem, Haushälterin dreimal pro Woche. Mike war schon früh viel allein, nach der Schule „Chillen" mit Freund:innen in der Stadt. Üppiges Taschengeld für Cannabis und Alkohol. Heftiger Streit mit den Eltern mit körperlichen Auseinandersetzungen, wenn er berauscht nach Hause kam. Laute, gewaltige Schreie nach Aufmerksamkeit und Liebe? Mit 15 „Hilfe zur Erziehung", erst ambulant, dann stationär, Abi mit Ach und Krach geschafft.

Anna und Mike sind über eine Vertrauensbeziehung zur Sozialarbeiterin, die in langjähriger Einzelberatung aufgebaut wurde, Mitglieder einer Stabilisierungsgruppe der Jugend- und Drogenberatung. Die Gruppe besteht aus sieben jungen Menschen: zwei Frauen und fünf Männern im Alter von 23 bis 29. Seit der Geburt von Freddy finden die wöchentlichen Gruppentreffen in der Wohnung von Anna und Mike statt. Anders wäre die Gruppenteilnahme für die jungen Eltern, die keinerlei familiäre Unterstützung haben, nicht möglich. An sonnigen Spätsommerabenden trifft sich die Gruppe auf der Wiese im Park. Freddy krabbelt währenddessen herum oder schläft auf dem Schoss seiner Mama ein. Die Anwesenheit von Freddy ist für die ganze Gruppe ein Glück, was immer wieder in den Anfangs- und Endrunden zur Sprache kommt. Anna fühlt sich entlastet. Sie ist tagsüber viel allein. Mike hat eine Ausbildungsstelle gefunden und fühlt sich erleichtert, wenn er seinen Frust über die raue Realität im Baugewerbe mit den anderen besprechen kann. Er wird zum Durchhalten ermutigt und kann berufliche Perspektiven entwickeln.

Alltägliche Nöte, der Suchtdruck in Krisensituationen, Umgang mit Gefühlen, Zukunftsperspektiven, die eigenen Fähigkeiten, Defizite und Sehnsüchte werden in der Gruppe geteilt. Die jungen Menschen spenden einander Aufmerksamkeit, Zuspruch, Ermutigung und Rückendeckung. Zaghaft entsteht ein kleines neues Freundschaftsnetzwerk. Oskar, der noch keine Arbeit gefunden hat, begleitet Anna bei Spaziergängen mit Freddy im Park, und Nina passt auf Freddy auf, wenn Anna zu Ärzt:innen muss. Diese Aktivitäten stärken die Selbstwirksamkeit. Individuelle Rückschläge und Rückfälle erschüttern die ganze Gruppe und müssen von allen verarbeitet werden. Sie helfen aber auch bei der Stabilisierung des Abstinenzvorhabens. Es geht um den Aufbau von Frustrationstoleranz und Affektregulation (Reicherts, in diesem Band). Immer wieder tauchen die Schatten der Vergangenheit auf, die Erinnerungen an Grenzverletzungen und Missachtung. Gemeinsam werden auch die stärkenden biografischen Erfahrungen gesucht und wieder erinnert. Die persönlichen Überlebensstrategien erfahren Wertschätzung. Gemeinsam wird die Liebe zur Natur wiederentdeckt, werden kreative Fähigkeiten geweckt, die Schaffenskräfte in Aktionen umgesetzt. In einer kreativen Gruppenübung entdeckt Arthur (27), der seit seinem 15. Lebensjahr drogenabhängig ist und die längste User-Karriere hat, seine künstlerischen Talente wieder und beginnt auch außerhalb der Gruppe, in seiner ersten eigenen Wohnung, zu malen. Auch die abgebrochene Beziehung zu seinem Elternhaus kann in begleiteten Gesprächen mit der Mutter wieder aufgebaut werden. Georg (29) wird in der Gruppenarbeit von den anderen ermutigt, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Die Gruppenleitung begleitet seine ersten Schritte beim Aufbau. Georg wird später Soziale Arbeit studieren.

Notwendig ist ein ganzes Bündel an Hilfestellungen und Anregungen, um die Selbstheilungskräfte der hoch belasteten, verletzten und erschöpften Menschen – deren Vertrauen in die Welt nur schwach ausgebildet ist und die über unsichere Bindungsmuster verfügen – zu aktivieren. Notwendig ist die längerfristige prozessorientierte multimodale Unterstützung. Sozialtherapeutische Gruppenarbeit ist mühsam und erfordert von der Sozialarbeiterin Beziehungskonstanz und vielschichtige Interventionen. Sie ist bereit zur aufsuchenden Arbeit außerhalb der Beratungsstelle, setzt kreative Impulse und beruhigt die erhitzten Gemüter, wenn Krisen die Entwicklung der Einzelnen und der Gruppe erschüttern. Die Gruppenarbeit wird supervisorisch begleitet und durch konstante Weiterbildungen angeregt.

Klinische Sozialarbeit und Sozialtherapie sind tragende Säulen einer komplexen und langwierigen Karrierebegleitung. Eine Behandlung der „sozialen Bezogenheit" ist maßgeblich an Heilungsprozessen beteiligt. Beziehungskonstanz, Alltagsnähe, Ressourcenaktivierung, der Einbezug von Familiensystemen und die Förderung tragfähiger Netzwerke stellen vielschichtige Erfahrungsräume für die Nach- und Neusozialisation zur Verfügung (Lammel & Funk, 2020, S. 194–207). Klinische Soziale Arbeit widmet sich den komplexen ökobiopsychosozialen Dimensionen, sie bezieht die Lebensräume, die soziale Einbindung und den Alltag mit ein. Auch die biologisch-leibliche Verfasstheit muss in der Suchtbehandlung beachtet werden, da im Verlauf der Abhängigkeitsdynamik die Körper schwer in Mitleidenschaft gezogen sind. Der Aufbau alternativer Netzwerke fördert die Distanzierung zu den Drogenszenen und stabilisiert durch die Solidaritätserfahrung in der Gruppe den Abstinenzwunsch.

Soziale Arbeit und Therapie: eine Relation mit vielen Facetten

„Soziale Arbeit und Psychotherapie sind gesellschaftlich organisierte und professionell realisierte Hilfen zur Vermeidung, Linderung, Beseitigung oder Bewältigung menschlichen Leidens. Beide haben eine lange Tradition und eine mehr als hundertjährige Geschichte, in deren Verlauf beide Hilfeformen immer wieder Bezug aufeinander nahmen und auch heute noch nehmen." (Heekerens, 2016, S. 11)

Die Beziehung von Sozialer Arbeit und Therapie wird von weiten Teilen der Disziplin und Wissenschaft Sozialer Arbeit als schwierig definiert. Insbesondere von der universitären Sozialpädagogik wurde ein stark abgrenzender Diskurs (Abb. 1) gepflegt und Unterschiede zwischen den Hilfeformen markiert. Stellvertretend sei Thiersch (2020) für die sozialpädagogische Perspektive genannt. In seiner Lebenswelt- und Alltagsorientierung wendet er sich gegen die Individualisierung der Problemlagen und lehnt eine stark von der Medizin geprägte Sicht von Anamnese, Diagnose und Intervention (Therapie) ab. Bei der Betrachtung der Hauptaufgaben der zwei Hilfesysteme scheint diese dichotome Sicht verständlich. Strotzka (1975, S. 4) hebt in seiner Psychotherapiedefinition stark den heilenden Charakter der Psychotherapie mit den Zielen der Symptomminimierung und Strukturveränderung der Persönlichkeit hervor. Als ein Leitziel der Sozialen Arbeit kann, vereinfacht ausgedrückt, die gesellschaftliche Teilhabe des Menschen definiert werden (Deloie, 2017, S. 178).

Abbildung 1: Kontinuum: Relationen von Sozialer Arbeit und (Psycho-)Therapie (Quelle: eigene Darstellung, Copyright 2021 bei D. Deloie) (Nestmann, 2002)

Bei näherer Betrachtung ist der Sachverhalt nicht so eindeutig, und es ergeben sich die nachfolgenden Kritikpunkte.

Geschichtliche Aspekte für eine Soziale Therapie

„Sozialtherapie, Soziale Therapie oder Soziotherapie – unabhängig von der begrifflichen Gestalt – ist in der Sozialen Arbeit seit annähernd 100 Jahren verankert." (Pauls & Hahn, 2020, S. 47)

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts setzte zunächst in den Vereinigten Staaten von Amerika und, davon inspiriert, in Deutschland die Entwicklung der professionellen Sozialarbeit ein (Richmond, 1917, 1922; Salomon, 1926). Kritisch wurde zunehmend die staatliche Armenfürsorge in den Blick genommen, die mit Willkür, Selektionsprozessen und Unwissenschaftlichkeit soziale Notlagen behandelte. Wissen aus der Soziologie, Psychologie und Medizin prägte zunehmend die Sicht der frühen sozialarbeiterischen Protagonistinnen auf die Notlage ihrer Klient:innen und ihre Entwicklung der Case Work bzw. Einzelfallhilfe. Mit Selbstverständlichkeit wurde von Salomon (1926) als Pionierin der Sozialen Arbeit in Deutschland der Begriff der Sozialen Diagnostik und von Wronsky, Salomon und Kronfeld (Wronsky & Kronfeld, 1932; Wronsky & Salomon, 1926) jener der Sozialen Therapie genutzt. Pauls und Hahn (2020) heben hervor, dass die sozialtherapeutische Idee der frühen Sozialen Arbeit „den Zusammenhang zwischen individueller Befindlichkeit und dem Zustand der sozialen Verhältnisse" (S. 47) betont.

Während in den Vereinigten Staaten mit Entwicklung der Case-Work-Schulen bis zur Etablierung der Clinical Social Work immer eine enge Verbindung mit therapeutischen Verfahren und ebensolchem Denken bestand und besteht, zunächst im Sinne eines Social Therapy Approach, dann Richtung psychoanalytischer bzw. psychodynamischer Psychotherapie, gab es in Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg einen Bruch in der Entwicklung der Integration von therapeutischen Verfahren in die Soziale Arbeit (vertiefend Deloie, 2011; Hahn & Pauls, 2008; Pauls, 2011/2013). Wichtige Protagonist:innen1 mit engen Bezügen zur Sozialen Arbeit und Therapie sind Gaertner (1982b) und Schwendter (2000) mit ihren Arbeiten zur Sozialtherapie bzw. Sozialen Therapie. Gaertner (1982a) verband diese mit seiner Kritik an totalen Institutionen wie den psychiatrischen Kliniken oder Vollzugsanstalten mit ihren inhumanen Bedingungen für die „Insassen" und sah drei Aufgaben der Sozialtherapie:

„Sozialtherapie wendet sich primär dem Elend deklassierter, sozial vernachlässigter Bevölkerungsgruppen" (S. 8).

Sozialtherapeutische „Ansätze [gehen; Erg. v. Verf.] davon aus, daß sowohl die soziale Lebenswelt als auch psychische Faktoren zur Ausbildung der Konfliktlagen beitragen" (S. 8).

Therapeutische „Interventionen [setzen; Erg. v. Verf.] in doppelter Perspektive sowohl an den sozialen als auch an den psychischen Konflikten an" (S. 8).

Sozialtherapie nach Gaertner (1982a) ist, da sie sich gegen die totalen Institutionen wendet, immer auch eine politische Praxis, die nicht nur Gesellschaftskritik sein will, sondern Reformen hervorrufen möchte (S. 9).

Schwendter (2000) verfolgt in seiner Einführung in die Soziale Therapie einen äquivalenten Ansatz zu Gaertner (1982a, 1982b). Er definiert diese Hilfeform wie folgt: „Soziale Therapie steht für das Verstehen von Leiden in seinen Bezügen, in denen es entstanden ist, in denen es weiterbesteht und auf allen Ebenen vermindert werden soll. Ihr Denken und Handeln soll an materiellen, sozialen und psychischen Problemen und Konflikten sowie an Machtverhältnissen ansetzen, um eine sinnvolle Arbeit zu bestimmen" (Schwendter, 2000, S. 10–11).

In den 1970er- bis ca. Mitte der 1990er-Jahre setzte eine Therapeutisierung der Sozialen Arbeit ein. Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagog:innen absolvierten therapeutische Weiterbildungen, arbeiteten mit ihrer Klientel zunehmend mit psychotherapeutischen Verfahren und lösten sich zunehmend von ihrer Grundprofession (Abb. 1).