Knäckegrab - Björn Berenz - E-Book
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Knäckegrab E-Book

Björn Berenz

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Beschreibung

Zwischen Moltebeeren, Mittsommernächten und Mördern – der nächste umwerfend komische Schwedenkrimi von Björn Berenz!

Buchhändlerin Ina hat die Großstadt Potsdam hinter sich gelassen und auf dem Tingsmålahof eine neue Heimat gefunden. Doch so idyllisch das Leben in Småland auch scheinen mag, sie kommt nicht so schnell zur Ruhe: Nach dem Fund eines aufsehenerregenden antiken Schwerts tummeln sich schon bald äußerst merkwürdige Gestalten auf dem Hof. Als Ina dann noch in einem uralten Grabhügel auf eine bemerkenswert frische Leiche stößt, beginnt sie prompt, wieder selbst zu ermitteln – sehr zum Missfallen von Polizist Lars. Aber was bleibt ihr anderes übrig, wenn der sonst so kluge Ermittler ausgerechnet den wichtigsten Hinweis ignoriert?

Ein neuer Fall für Buchhändlerin Ina und ihre Crew aus Hobbydetektiven in den allerbesten Jahren – Schwedisch-Vokabeln inklusive!

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Seitenzahl: 441

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Tessa003

Gut verbrachte Zeit

Auch der zweite Fall der Buchhändlerin Ina auf dem Aussteigerhof in Schweden ist wunderbar leicht zu lesen. Gleich auf den ersten Seiten war ich wieder drin, die Protagonisten wieder aus meiner Erinnerung heraufgeholt. Gerne möchte ich den nächsten Fall lesen.
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Buch

Buchhändlerin Ina hat die Großstadt Potsdam hinter sich gelassen und auf dem Tingsmålahof eine neue Heimat gefunden. Doch so idyllisch das Leben in Småland auch scheinen mag, sie kommt nicht so schnell zur Ruhe: Nach dem Fund eines aufsehenerregenden antiken Schwerts tummeln sich schon bald äußerst merkwürdige Gestalten auf dem Hof. Als Ina dann noch in einem uralten Grabhügel auf eine bemerkenswert frische Leiche stößt, beginnt sie prompt, wieder selbst zu ermitteln – sehr zum Missfallen von Polizist Lars. Aber was bleibt ihr anderes übrig, wenn der sonst so kluge Ermittler ausgerechnet den wichtigsten Hinweis ignoriert?

Autor

Björn Berenz ist Jahrgang 1977 und gebürtiger Koblenzer. Als Redakteur war er jahrelang in einem süddeutschen Verlag tätig. Schon in Zeiten seiner hauptberuflichen Verlagslaufbahn hat er mit dem Schreiben von Geschichten begonnen und seitdem viele Romane und Hörspiele in den unterschiedlichsten Genres veröffentlicht. Seine Wurzeln als Bäckerssohn, eine eigensinnige Mutter und eine Autopanne, die ihn bei einem ausgedehnten Schwedentrip auf einem von Senioren geführten Aussiedlerhof stranden ließ, brachten ihn schließlich auf die Idee zu seinem ersten Schwedenkrimi »Knäcketod«. Björn Berenz lebt als freier Autor mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in der Vulkaneifel.

Von Björn Berenz bereits erschienen

Knäcketod

Björn Berenz

Knäckegrab

Kriminalroman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung: U1berlin/Patrizia Di Stefano

Umschlagmotiv: © Patrizia Di Stefano unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (mspoint; Ilya Bolotov; MMShopArt; ABC vector; MchlSkhrv)

BSt · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-29910-1V002

www.blanvalet.de

Prolog

»Ich hoffe bloß, dass sich kein Bär hineinverirrt hat.« Mit einem leisen Ächzen hockte Joppe sich hin und zog instinktiv den Kopf ein, während er versuchte, im vor ihm liegenden Dunkeln irgendetwas auszumachen. Er hatte ein Lachen in der Stimme, doch das täuschte nicht über seine Sorge hinweg. Immerhin befanden sie sich tief in einem dichten Wald.

»Unsinn!« Hinter ihm erklang tatsächlich ein Lachen. »Allerhöchstens ein Waschbär.«

Diese Information machte die Lage keineswegs besser. Seit einer unangenehmen Begegnung mit einer Horde aggressiver Waschbären in Guatemala stand er mit den Tieren auf Kriegsfuß. Dennoch zwang er sich durch die Öffnung.

Die Taschenlampe warf ihren konzentrierten Lichtkegel auf die alten Steine, die das Innere der Grabkammer formten. Er war historisch bewandert, hatte sein halbes Leben lang nach solchen Orten gesucht, und nun stand er vor einer Entdeckung, die alles in den Schatten stellen könnte, was er bisher gefunden hatte. Sein Heiliger Gral, seine Bundeslade. Sein Kristallschädel.

Seine alterstrüben Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnten, seine Nase war da weitaus schneller und trug ihm die Gerüche von Verwesung und Altertum heran. Er kannte sie gut. Es war nicht die erste Grabkammer, die er betrat.

Der Lichtstrahl wanderte wieder zu den steinernen Wänden, wo aufgemalte Wappen, Kreuze und Runen sichtbar wurden. Mittelalterliche Waffen lagen auf dem Boden, lehnten an den Wänden. Darunter ein rostiger Langbogen und ein intakter Kriegshammer. Ein Erkennen durchzuckte ihn.

»Dann ist es also wahr! Es ist genau so, wie es die Legende besagt …«

Bedächtig trat er in die Kammer, nahm jede Einzelheit konzentriert auf, bis er vor dem massiven steinernen Sarg stand, der wie ein Altar in der Mitte thronte. Das Gesicht seiner Begleitung war nur schemenhaft im schwachen Licht der Taschenlampe zu erkennen. Mit einem stillen Nicken verständigten sie sich, legten die Hände auf die schwere Platte und begannen, sie mit gesammelten Kräften zu bewegen. Ein durchdringendes Geräusch ertönte, als sie die Grabplatte mühsam anschoben. Endlich gab die Platte nach und kippte zur Seite, fiel mit einem dumpfen Schlag auf den Boden.

Aufgewirbelter Staub trübte kurz die Sicht, doch als sie sich klärte, erstarrten sie für einen Moment. Dort, in seiner letzten Ruhestätte, lag ein menschliches Skelett. Umgeben von verfallenen Teilen einer Ritterrüstung, blickte der Schädel sie aus leeren Augenhöhlen an.

Einen Herzschlag lang waren beide von der Entdeckung überwältigt, jede Bewegung und jeder Laut schien aus der Welt verbannt. Es war, als hätte die Zeit angehalten, um diesem Augenblick seinen gebührenden Respekt zu zollen.

Das Wappen auf dem Schild war kaum zu erkennen, dennoch machte Joppe ein großes X darauf aus.

»Das Signum«, raunte er, »… er ist es.«

Nun raste sein Herz vor Erregung und gleichzeitig spürte er ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Ein Rätsel, das er sein ganzes Leben lang zu lösen versucht hatte, offenbarte sich ihm endlich.

Er erntete ein stoisches Nicken seines Gegenübers. »Wie ich es gesagt habe.«

»Es ist also wahr!« Seine vor Aufregung zitternden Hände tauchten in das offene Grab, berührten das Wappen des Schildes. Erst vorsichtig, dann energischer suchend.

Mit einem festen Ruck hob er den Schild aus dem Grab, warf ihn achtlos hinter sich.

»Das Schwert!«, fuhr er auf. »Er trägt es nicht bei sich.« Sein Lichtstrahl glitt erneut in den Sarg, tastete die Rüstung ab, den leeren Raum neben dem Skelett. »Das Grab eines Ritters ohne ein Schwert.« Nur langsam drang die Bedeutung dieser Entdeckung zu ihm durch.

Doch er sah noch etwas anderes: eine hauchzarte längliche Silhouette … Das musste der Abdruck des Schwertes sein! Er beugte sich tiefer hinunter und ließ die Finger über die Umrisse gleiten, die sich wie ein Schatten in den fahlen Stoff eingeprägt hatten.

Konnte es wirklich sein? Hatten die drei recht behalten?

Aufgewühlt ließ er den Lichtstrahl erneut den Sarg abtasten.

Das fehlende Schwert könnte der Beweis sein. Noch einmal ließ er die gesamte Umgebung auf sich wirken, vertiefte sich in die Runen an den Wänden. Dann drehte er sich ruckartig um, stammelte ehrfürchtig: »D-d-das hier ist tatsächlich der Fundort.«

»Hätte ich dich sonst hierhergeführt?«

Noch einmal wandte er sich dem Sarg zu, der Silhouette im Stoff, versuchte, sich vorzustellen, wie das Schwert einst hier gelegen hatte, bevor …

Er trat von dem Grab zurück und fixierte die Steinwand mit den eingeritzten Insignien. Eine Schweißperle löste sich von seiner Stirn und fiel ihm brennend ins Auge. Es war mörderisch heiß. Er war froh, draußen seine Jacke abgelegt zu haben. Außerdem empfand er ein tiefes Gefühl des Misstrauens gegenüber diesem Menschen, der ihn hierhergeführt hatte. Ein Umstand, der ihn innerlich noch mehr zum Schwitzen brachte.

»Das Geld«, sagte er. »Es ist jede Krone wert. Danke, dass du mir diesen Ort gezeigt hast.« Er lächelte.

»Natürlich. Wie viel Bedeutung kann einem historischen Objekt denn schon ohne seinen Ursprungsort beigemessen werden?«

Er nickte zustimmend. Das war der Grund, warum er lieber mit Profis zusammenarbeitete. Er hob die Arme. »So viel Geld trage ich natürlich nicht bei mir«, sagte er. »Aber ich werde es holen gehen. Du kannst mich gerne begleiten, wenn du mir nicht traust.«

»Dir trauen?«, kam es fragend zurück. Doch dann: »Keine Sorge, du läufst mir nicht weg.«

Er lachte zunächst, hielt dann aber inne. Etwas an dieser Bemerkung irritierte ihn. Möglicherweise lag es an der Gleichgültigkeit, mit der die Worte vorgebracht wurden. Aber da war noch etwas anderes. Die letzten Silben verschwanden in einem angestrengten, fast erstickten Keuchen.

Er wollte sich gerade zu seiner Begleitung umdrehen, als er einen schneidend scharfen Schlag am Hinterkopf verspürte. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, und im Bruchteil einer Sekunde realisierte er, dass etwas schiefgegangen war. Ein Sog von Gedanken und Gefühlen wirbelte durch seinen Geist, bevor er zu Boden sank.

Ein letzter Gedanke blitzte in seinem Verstand auf, formierte sich hinter seiner Stirn. Es war eine Falle. Und ich bin hineingetappt …

Und dann verschluckte ihn die Dunkelheit, als hätte er nie existiert.

Schwedisch für Anfänger – Teil 1 

»Man kan inte både äta kakan och ha kakan kvar.«

Wörtlich: Man kann nicht sowohl den Kuchen essen als auch den Kuchen übrig haben.

Deutsch: Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen.

1 Ein weiterer Tag im neuen Leben

Ein paar Tage früher …

Ina hatte die schwedische Morgensonne noch nie so hell leuchtend gesehen. Sie stand in der Bücherecke ihres kleinen Souvenirladens auf dem Tingsmålahof und genoss den Anblick der Sonnenstrahlen, die das Innere des Ladens in ein warmes, einladendes Licht tauchten. Gerade war sie dabei, die neuesten Bücher einzuräumen, die sie für die Sommergäste bestellt hatte. Unter ihnen befanden sich auch englische und deutsche Werke, die für die internationalen Gäste des Hofes gedacht waren. Unterstützt wurde sie dabei von Agneta, der Hofbesitzerin, die ihr half, die Regale zu füllen.

Liebevoll strich Ina mit den Fingerspitzen über die Einbände der gerade erst ausgepackten Ware. Jeder einzelne Titel war sorgfältig ausgewählt. Sie vertraute voll und ganz auf ihre Erfahrung. Ein halbes Leben hatte sie ihre eigene Buchhandlung in Deutschland geführt und wusste genau, wie man ein gutes Buch unter der Vielzahl an Veröffentlichungen herauspickte. Das Weizenkorn unter der Spreu. Und so hatte sie neben den etablierten großen Namen der Szene auch einige Krimis von schwedischen Autoren bestellt, die selbst hierzulande noch nicht allzu bekannt waren. Bislang hatten ihre Kunden in Deutschland ihre Empfehlungen stets zu schätzen gewusst. Warum sollte es hier auf dem Tingsmålahof anders sein, zumal sie die Sprache bis in die Feinheiten beherrschte? In den wenigen Wochen ihrer Anwesenheit hatte sie jedenfalls schon eine kleine Stammkundschaft aufgebaut.

Während sie die Reihe der bereits einsortierten Bücher betrachtete, verspürte sie ein inniges Gefühl der Zufriedenheit. Sie war wieder in ihrem Element, umgeben von Geschichten – wie ein kleines Stück Heimat, das sie mit nach Schweden gebracht hatte. Zugegebenermaßen litt das übliche Sortiment des Souvenirlädchens erheblich unter dieser Umstrukturierung, da nun ein Großteil der Verkaufsfläche von Bücherregalen eingenommen wurde, nachdem die Produktpalette der namensgebenden Souvenirs auf ein Minimum reduziert worden war. Mit gezielter Hand hatte sie die platzfressenden Mitbringsel nach und nach verbannt, um jeden verfügbaren Raum mit Büchern zu füllen.

Noch immer war es für sie kaum vorstellbar, dass sie erst vor wenigen Wochen nach Schweden gekommen war und nun sogar ihren eigenen Laden führte. Sie fühlte sich bereits wie zu Hause. Als wäre es nie anders gewesen. Selbst diesem kleinen Geschäft hatte Ina in der kurzen Zeit ihren Stempel aufgedrückt. Mehr denn je war sie entschlossen, genau hier einen Neuanfang zu wagen. Obwohl sie den schmerzlichen Verlust ihrer großen Liebe Viggo verkraften musste, hatte sie inmitten der unberührten Natur und den warmherzigen Menschen dieses Hofes ihr Glück gefunden. Mit Agneta, die ihr in der Kürze der Zeit eine wertvolle Freundin geworden war. Mit deren Schwiegermutter Ebba, die Ina sofort ins Herz geschlossen hatte. Und ganz besonders mit dem eigenbrötlerischen Svante, mit dem sie viel verband und noch einiges mehr, was sie selbst gar nicht so recht einzuschätzen vermochte. All dies waren gute Gründe für einen perfekten Neustart. Einzig ihre Tochter fehlte zu ihrem Glück. Ein ums andere Mal hatte sie versucht, Paula zu erreichen. Mittlerweile konnte sie die Nachrichten, die sie ihr aufs Band gesprochen hatte, gar nicht mehr zählen. Wobei sie natürlich wusste, dass es kein Band war wie früher, sondern eine Mailbox, deren Inhalt vermutlich im Nirgendwo versandete. So oder so hatte sie von ihrer Tochter bislang kein Lebenszeichen erhalten. Dass Paula nichts passiert war, schloss Ina daraus, dass weder die deutschen Behörden noch ihr Ex-Mann versucht hatten, mit ihr Kontakt aufzunehmen, um ihr von einem tragischen Unfall oder anderen Schauerlichkeiten zu berichten.

»Woran denkst du?«, fragte Agneta.

Ina war gerade dabei, einen englischen Krimi mit einem besonders hübschen Buchschnitt ins Regal zu stellen. Sie zuckte so arg zusammen, dass er ihr beinahe aus der Hand gepurzelt wäre. Ihr Blick wanderte zu dem Fenster, durch das die Morgensonne hereinschien. »Ich muss etwas gegen das Licht in meinem Schlafzimmer tun«, gab sie zusammenhanglos von sich. Sie stützte die Hände auf die Hüften. »Die Nächte sind so kurz und für mich noch immer ungewöhnlich hell hier.«

Agneta lachte leise. »Genieße es! Die Winter in Schweden sind lang und dunkel.«

»Trotzdem würde ich gerne mal wieder durchschlafen.«

Ihre Freundin nickte verständnisvoll. »Hast du an Plissees gedacht? Oder Rollos? Die könnten helfen.«

Ina hielt kurz inne. Tatsächlich hatte sie schon darüber nachgedacht, wusste jedoch nicht im Geringsten, wie sie die Dinger befestigen sollte. Sie hatte sogar Svante um Hilfe gebeten, doch bisher war er noch nicht dazu gekommen, weil er so viele andere Dinge um die Ohren hatte. Sie fragte sich, welche. Gerade wollte sie zu einer Antwort ansetzen, als sich eine dunkle Stimme in den Laden verirrte.

»Agneta? Ina? Seid ihr da?«

»Janis?«, rief Agneta freudig. »Komm doch rein.«

»Das geht nicht!« Nun erkannte auch Ina die Stimme von Ebbas Enkelsohn. »Aber ihr müsst unbedingt rauskommen. Ich will euch etwas zeigen!«

Die beiden Frauen sahen sich mit hochgezogenen Brauen an, bevor sie sich in Bewegung setzten. Ina las Skepsis im Blick ihrer Freundin, denn Janis war stets für Überraschungen gut.

Und tatsächlich: Draußen vor dem Souvenirladen stand der junge Mann mit strahlendem Gesicht und hielt ein geflochtenes Seil in der Hand, das wiederum zum langen Hals eines Tieres direkt neben ihm führte. Ina konnte kaum glauben, was sie da sah. Das Tier war etwa so groß wie ein kleines Pony, jedoch mit wolligem Fell. Große runde Augen blickten sie neugierig an und es trug einen Ausdruck tiefer Gelassenheit auf seinem putzigen Gesicht.

»Ein Lama«, hörte sie Agneta neben sich raunen.

Inas Blick wanderte über das Tier. Das Fell war von einem cremefarbenen Ton, mit dunkleren Flecken um die Augen und am buschigen Schwanz. Es hatte lange, gebogene Ohren, die aufmerksam zuckten, und eine knopfähnliche Nase, mit der es neugierig herumschnupperte. An der Leine, die Janis fest in der Hand hielt, baumelte ein kleines Glöckchen, das bei jeder Bewegung leise klingelte.

»Kein Lama«, erwiderte Janis in belehrendem Tonfall. Dabei schüttelte er so heftig den Kopf, dass seine langen Haare wild umherflogen. »Es ist ein Alpaka. Ich habe es aus einem Wanderzirkus gerettet und jetzt gehört es mir.« Breit grinsend schaute er sie nacheinander an. Ina lächelte automatisch zurück. Einfach, weil das Tier so unendlich niedlich aussah.

»Und jetzt?«, fragte Agneta mit gerunzelter Stirn. »Was hast du damit vor?«

»Was wohl?« Janis runzelte zurück. »Es behalten. Ich bringe es in den Streichelzoo, zu den Ziegen und den Eseln.«

Das Alpaka blinzelte sie an und schnaubte leise, als ob es seine Zustimmung gäbe. Sein Kopf senkte sich in Richtung des Seeufers.

»Kommt ihr mit runter, zu Ashley?«, erkundigte sich Janis. »Sie wird bestimmt aus allen Wolken fallen, wenn sie das Alpaka sieht.«

Agneta seufzte ergeben. »Ganz bestimmt wird sie das.«

Ina konnte nicht anders, als mit einem fröhlichen Lächeln den Moment zu genießen. Da standen sie in der Morgensonne auf der Veranda ihres Lädchens und betrachteten ein bildhübsches Alpaka, das Janis von irgendwo hergezaubert hatte. Es war ein seltsamer, aber auf eine bestimmte Weise perfekter Augenblick – ein weiterer Tag in ihrem neuen Leben in Schweden.

»Also, kommt ihr mit?« Janis setzte sich mit dem Tier in Bewegung und drehte sich noch einmal zu ihnen um, doch Agneta schüttelte den Kopf. »Wir können leider nicht«, sagte sie. »Wir haben noch eine Verabredung.«

Ina nickte zustimmend, doch in ihr keimte ein Gefühl der Enttäuschung auf. Zu gerne hätte sie das Alpaka in den Streichelzoo begleitet. Doch der Termin duldete keinen Aufschub.

»Oh, ihr seid verabredet?« Janis wirkte überrascht. »Mit wem und wann?«

Ina hob den Arm und schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Genau jetzt.«

Wie auf ein Signal hin erblickte sie in der Ferne eine rötlich schimmernde Staubwolke, die sich auf den Hof zubewegte, während ein schnittiger Streifenwagen sie hinter sich herzuziehen schien. Wenn Ina etwas in ihrer neuen Heimat zu schätzen gelernt hatte, dann war es die Pünktlichkeit der schwedischen Kultur, von der sich selbst die Deutschen noch etwas abgucken konnten.

»Der Snut schon wieder?«, fragte Janis, der ihrem Blick gefolgt war.

»Ganz genau«, erwiderte Agneta ein wenig gereizt, weil ihr wohl sein Ton nicht gefiel. »Der Polizist, der uns allen aus der Patsche geholfen hat.«

Janis hob beschwichtigend die Hände. »Nichts für ungut. Ich finde ihn ja auch schwer in Ordnung«, sagte er. »Für einen Snu…, ich meine, für einen Polizisten.« Er grinste entschuldigend. »Immerhin hat er mir das Leben gerettet.« Sein Grinsen erstarb jäh. »Und mich dann ins Gefängnis gesteckt.«

»Bilde dir darauf bloß nichts ein.« Agneta, die ihre gute Laune wiedergefunden hatte, knuffte ihn übermütig in die Seite. »Das hat er mit mir auch schon gemacht.«

»Außerdem haben wir keine Verabredung mit Lars«, stellte Ina klar, »sondern mit dessen Vater.«

Janis zuckte nur mit den Schultern und zog das Alpaka sanft hinter sich her. Auf halbem Weg zum Streichelzoo rief er in Richtung des Campers am Ufer: »Schau mal, Ashley, was ich dir mitgebracht habe.«

Ina und Agneta beobachteten das ungewöhnliche Gespann noch einen Moment, während der Polizeiwagen sich ihnen näherte. Kaum zum Stillstand gekommen, öffnete sich auch schon die Beifahrertür, als hätte der Wagen es eilig, seinen Insassen loszuwerden. Umständlich schälte sich Ove aus dem Sitz, schnappte sich eine längliche Tasche vom Rücksitz und winkte beim Aussteigen den beiden Frauen zu. Mit dem Zufallen der Tür wandte er sich noch mal zu seinem Sohn um, der hinter dem Steuer klemmte.

»Danke fürs Mitnehmen«, sagte er durch das heruntergelassene Fenster. Dann klopfte er mit der flachen Hand auf das Dach des Volvos. Das internationale Erkennungszeichen für: Jetzt fahr schon!

»Viel Spaß beim Angeln«, meinte Lars, der offenbar nicht im Traum daran dachte, sich von seinem Vater sagen zu lassen, wann er loszufahren hatte. »Und pass schön auf dich auf, das Ufer ist rutschig. Wir wollen doch nicht, dass du in den Bach fällst.«

Ove streckte ihm den mittleren seiner fünf Finger entgegen, was Lars zu einem herzhaften Lachen veranlasste. Gemächlich lehnte er sich aus dem Fenster und grüßte seinerseits die Frauen.

»Hej, Ina, Agneta!«, rief er gut gelaunt, den Blick aber auf das hinter Janis hertrottende Alpaka gerichtet. »Ich sehe, ihr habt einen neuen Freund gefunden.«

Im Kofferraum des Kombis bellte der Schäferhund, offensichtlich unzufrieden darüber, dass er nicht wie gewohnt auf dem Beifahrersitz mitfahren durfte.

Lars nahm Ina in Augenschein. »Ich drehe mit dem Hund eine ausgelassene Runde im Wald und bin dann pünktlich zum Hundetraining wieder da.« Er hob mahnend eine Braue. »Ich hoffe, Zeus hat nicht schon wieder alles vergessen?«

Ina erwiderte diese Spitze mit einem zuckersüßen Lächeln. »Wir haben fleißig geübt, wirst schon sehen.«

Zeus, ihr einziges lebendiges Mitbringsel aus Deutschland, war ein Terrier-Mischlingshund. So klein er auch war, hatte er ein riesiges Herz. Doch irgendetwas schien mit seinen Ohren nicht zu stimmen. Ungeachtet ihrer Bemühungen ignorierte er selbst die einfachsten Anweisungen, als ob er von chronischer Schwerhörigkeit geplagt würde. Zudem war er ein ausgesprochener Langschläfer und lag noch immer im Bett.

Mit einem zufriedenen Grinsen bugsierte Lars sich wieder hinter das Steuer und fuhr in Richtung der Parkplätze am Café. Ove wartete noch einen Moment, sah dem Wagen hinterher und wandte sich dann den beiden Frauen zu. Er rieb sich die Hände.

»Also, die Damen, wo ist es? Ich kann es kaum erwarten!«

2 Ein Stück schwedische Geschichte

Ina saß neben Agneta am Küchentisch und betrachtete Ove, der vor ihnen stand und äußerst ungeduldig wirkte. Ihre Freundin war derweil damit beschäftigt, mit dem Laptop eine Verbindung ins Internet aufzubauen.

»Hat Lars dir also wirklich die Sache mit dem Angeln abgekauft?«, fragte Ina.

Ove tätschelte die längliche Tasche, die er auf dem Küchentisch abgelegt hatte.

»Natürlich hat er das. Es ist ein hieb- und stichfestes Alibi, denn dadrinnen bewahre ich tatsächlich meine Lieblingsangeln auf.« Mit einem festen Zug öffnete er den langen Reißverschluss und enthüllte mehrere Angelruten, die sich im Innern der Tasche befanden. Was er dann aber herauszog, waren keine Angeln. Es war ein wuchtiges Schwert, das er mit beiden Händen umfasste und präsentierend hin und her schwang.

Auch Agneta sah interessiert vom Laptop auf.

Ove schaute die beiden erwartungsfroh an. »Also, was sagt ihr?«

Ina suchte Agnetas Blick, die sich kaum von dem Schwert losreißen konnte.

»Diese Replik wurde anhand von Überlieferungen und historischen Aufzeichnungen angefertigt«, erklärte Ove ihnen. »Ich bin unendlich gespannt darauf, inwiefern es optisch eurem Fund ähnelt.«

Ina nickte nach einer Weile konzentrierten Schweigens. Sie dachte daran, wie sie das Schwert in der Ruine der abgebrannten Scheune hier auf dem Hof entdeckt hatten. Es war gut verborgen gewesen und nur durch einen glücklichen Zufall von ihnen gefunden worden – in einem von Viggos vielen Verstecken, die sich seit seinem Tod an den unmöglichsten Stellen auftaten.

Sie riss sich aus ihren Gedanken, stand auf und kehrte wenig später mit einem länglichen Koffer in der Hand zurück. Auch den legte sie auf den Tisch, klappte die Scharniere auf. Ove, der sein Schwert mittlerweile wieder aus der Hand gelegt hatte, gesellte sich neben sie und sog scharf die Luft ein, als sie den Koffer öffnete. Seine Hände bewegten sich wie von selbst nach vorne, doch er zögerte.

»Darf ich?«

Ina lächelte. »Nur zu.«

Seine Finger strichen über das Metall, fuhren die Gravuren entlang. Behutsam nahm er das Schwert in die Hand und betrachtete es eingehend. Er ließ das Fensterlicht auf die Klinge fallen, schien das Spiel der Schatten auf dem alten Stahl zu beobachten, als verriete es ihm ein Geheimnis.

Oves Finger glitten über den Griff, befühlten das raue Leder, das trotz des Alters noch immer fest und stark war. Er runzelte die Stirn, als er den Rand der Klinge in Augenschein nahm. Ina wusste, warum, denn auch ihr war bereits die kleine Gravur darauf aufgefallen, die sich unterhalb des Griffes verbarg.

Er beugte sich vor, die Augenbrauen konzentriert zusammengezogen. »Das ist interessant«, brummelte er mehr zu sich selbst als zu den Frauen. Er wies auf die Gravur hin, eine Reihe alter Runen, fast unkenntlich gemacht durch die Zeit. »Das könnte dem Kunsthistoriker bestimmt etwas über die Herkunft verraten.« Er senkte das Schwert, betrachtete es noch einen Moment und wandte sich dann direkt an Ina.

»Ich glaube«, sagte er mit einem Hauch von Aufregung in der Stimme, »dass ihr da etwas sehr Wertvolles gefunden habt.« Er legte das Schwert auf den Tisch, direkt neben jenes, das er aus seiner Angeltasche gezogen hatte. »Jedoch unterscheidet es sich in einigen Punkten erheblich von meiner Nachbildung, die ich von einem befreundeten Museumsdirektor ausgeliehen habe. Aber im Großen und Ganzen sind die Hauptmerkmale identisch.«

Selbst für Inas ungeschultes Auge waren die Ähnlichkeiten offensichtlich: Die passende Form und Größe, die gleichen Gravuren auf der Klinge, sogar das abgenutzte Leder am Griff schienen das Original perfekt nachzuahmen. Aber Ove betrachtete die beiden Schwerter mit einem kritischen Auge, sein Blick glitt von einem zum anderen, verglich jedes Detail.

»Du glaubst also, dass es echt ist?«, fragte Ina vorsichtig. »Könnte es wirklich das Reichsschwert des ersten gekrönten schwedischen Königs sein?« Selbst in ihren Ohren klangen die Worte seltsam fremdartig, weil es einfach zu unwirklich schien.

Ove schwieg. Nach einer Weile hoben sich seine Schultern. »Auf diesem Gebiet bin ich wahrlich kein Fachmann.« Er deutete noch einmal auf das mitgebrachte Schwert. »Wie ihr seht, ähnelt die Nachbildung, die anhand von Überlieferungen angefertigt wurde, eurem Fund in hohem Maße. Aber das mag nichts heißen. Es könnte sich genauso gut um eine ältere Replik handeln. Allerdings … wenn das Schwert echt ist, dann habt ihr eine unglaubliche Entdeckung gemacht.«

»Nicht wir«, widersprach Agneta. »Es war Viggo. Wir haben nur sein Versteck gefunden.«

Dass Viggo etwas Großem auf der Spur gewesen war, daran gab es mittlerweile keinen Zweifel mehr. Alles hatte mit einer Postkarte angefangen, die Agneta ihr kurz nach ihrer Hofankunft präsentiert hatte. Darauf war eine mittelalterliche Szene abgebildet, die Erik Knutsson im Jahre 1208 bei seiner Inthronisierung durch Erzbischof Valerius zeigte. Auf diesem Motiv nahm er ein Schwert in Empfang. Ein kirchliches Insignium als Symbol seiner Macht, das Reichsschwert. Und damit wäre es der definitive Beweis der ersten bekannten Krönung eines schwedischen Königs durch die Kirche. Bloß dass das Schwert nie aufgetaucht war.

In alten Aufzeichnungen schien Viggo Hinweise gefunden zu haben, dass sich ebendieser König auf der Flucht vor dem Sverkergeschlecht in den Wäldern dieser malerischen Region aufgehalten haben könnte. Der Überlieferung nach war Eriks treuester Ritter bei seiner Flucht in den Tiefen des angrenzenden Waldes gestorben und auch dort begraben worden. Das Reichsschwert sollte ihm als Grabbeilage gedient haben.

Dass dies mehr als nur ein Mythos war, glaubten mittlerweile auch hochkarätige Geschichtsforscher. Und all das war Viggo zuzuschreiben, der einige Zeit vor seinem Tod während eines Vortrags an der Universität Uppsala seine Theorie präsentiert hatte, dass der erste gekrönte König von Schweden in dieser Region Zuflucht gesucht haben könnte. Diese These hatte die wissenschaftliche Neugierde eines Professors geweckt, und nun waren sie hier: eine Gruppe von drei Archäologen, die seit einigen Tagen den Hof belagerten und die Wälder durchkämmten. Der Grund für dieses plötzlich aufkeimende Interesse war eine jüngst gefundene uralte Aufzeichnung in einer Bibliothek, die Viggos Theorie bekräftigte.

Ina hätte es sich von Herzen gewünscht, dass Viggo diese Bestätigung noch zu Lebzeiten hätte erfahren können.

Ove streckte das Kreuz durch und wurde mit einem lauten Knacksen belohnt. Er sah Ina und Agneta abwechselnd an. »Das Reichsschwert war mehr als nur eine Waffe. Es war ein Symbol für die Macht und Autorität des Königs, ein Zeichen seines göttlichen Rechts zu herrschen. Wenn es sich bei eurem Schwert wirklich um diese Reliquie handeln sollte, dann ist es von unermesslichem historischem Wert.«

In den letzten Wochen hatte Ina viel über Ove erfahren und ihn als neuen Freund gewonnen. Er war ein charismatischer und überaus charmanter älterer Herr. Obendrein hatte er vor Jahren Standardwerke zur Kunstgeschichte veröffentlicht – sogar mit einigem Erfolg, wie sie im Internet recherchiert hatte. Er selbst war viel zu bescheiden, als dass er es an die große Glocke gehängt hätte. Doch Ove war ein echter Fachmann auf kunsthistorischem Gebiet und somit die logische erste Wahl, als es für Ina und Agneta darum gegangen war, einen Experten hinzuzuziehen. Wenngleich mittelalterliche Schwerter nicht sein Fachgebiet darstellten, war er doch die einzige vertrauensvolle Person, an die sie sich wenden konnten, die ihnen bei der Einordnung dieses Fundes weiterhelfen konnte. Zumindest hatten sie das gehofft. Aber auch ihm war die Sache zu heikel, als dass er eine verbindliche Expertise darüber abgegeben hätte. So wuchs der Kreis der Eingeweihten um einen weiteren Kunsthistoriker, der auch über entsprechenden Sachverstand im Bereich der Waffenkunde verfügte.

Ina warf einen langen Blick auf das Schwert. Wenn es wirklich echt sein sollte … Sie drehte den Kopf zur Seite, schaute durch das Fenster, als befürchtete sie, einen der Archäologen zu erblicken. Schlimm genug, dass sie diesen Fund vor Lars geheim halten mussten. Aber selbst Ove stimmte mit ihnen darin überein, dass sie erst einmal die Echtheit des Schwertes bestätigt haben wollten, bevor sie weitere Schritte einleiteten. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Denn noch immer hing für Ina die schreckliche Möglichkeit im Raum, dass Viggos Tod mit dem kostbaren Schwert im Zusammenhang stehen könnte. Schließlich hatte sie im Laufe ihres Lebens genügend Krimis gelesen, um dies in Betracht zu ziehen.

»So, die Verbindung steht.« Agneta schaute über den Computerbildschirm. Ina und Ove zogen zwei Stühle heran und platzierten sich so, dass sie den Bildschirm im Blick hatten, auf dem just in diesem Moment ein freundliches älteres Gesicht erschien, umgeben von Bücherregalen und altertümlichen Waffen, die an der rückwärtigen Wand befestigt waren.

Der Mann auf dem Computerbildschirm begrüßte sie mit einem warmen Lächeln.

»Arnulf, mein Bester«, sagte Ove. »Schön, dass du es einrichten konntest.« Kurz huschte sein Kopf zu beiden Seiten. »Das sind Ina und Agneta. Sie haben das Objekt gefunden.« Wobei er beim Wort »Objekt« theatralisch Anführungszeichen in die Luft malte. »Ich nehme an, du hast die Fotos erhalten?«

Ina betrachtete den Mann auf dem Bildschirm aufmerksam. Er verkörperte den klassischen Typ eines älteren Gelehrten, wie sie sich ihn nicht besser hätte vorstellen können. Sein schütteres Haar war zurückgekämmt und verlieh ihm einen würdevollen, wenn auch etwas zerstreuten Look, weil es an den Seiten zu lang war und unschön vom Kopf abstand. Im Gegensatz dazu war der graue Bart, der das Gesicht umrahmte, sorgfältig gestutzt. Der Bildausschnitt zeigte ihn in einem altmodischen Pullunder über einem weißen Hemd mit dunkler Fliege, die ein wenig schief saß.

Seine Stimme war fest und klar, als er sich den beiden Frauen mit knappen Worten als Arnulf Svensson, Kunsthistoriker und ehemaliger Professor an der Universität von Stockholm vorstellte, der nun im neunhundert Kilometer entfernten Strömsund lebte. Dann kam er direkt zur Sache. Sogar auf dem Bildschirm vermittelte er mit seiner Präsenz eine aufgeregte Dringlichkeit. Er beugte sich nach vorn, und Ina kam es so vor, als nähme seine Stimme einen verschwörerischen Unterton an. »Ich habe mir die Fotos, die ihr mir geschickt habt, eingehend angeschaut, und ich muss sagen, es ist ein bemerkenswertes Stück.« Er presste kurz die Lippen zusammen, wobei ein leises Schmatzgeräusch zu hören war. »Aber das ist dann auch alles, was ich an qualifizierter Auskunft anhand der Bilder von mir geben kann.« Er rückte näher heran, sodass sein Kopf den ganzen Bildschirm ausfüllte. »Würdet ihr es mir vielleicht zeigen?«

Ove nahm das Schwert vom Tisch und hielt es in verschiedenen Positionen in die Bildschirmkamera, damit Svensson einen besseren Eindruck erhielt.

»Absolut fantastisch«, drang es blechern aus den Lautsprechern des Computers. »Alle Anzeichen scheinen vorhanden zu sein.« Er hatte die Augen so fest zusammengekniffen, dass sich die Brauen beinahe in der Mitte berührten. »Ich muss es mir jedoch mit eigenen Augen anschauen und die Materialbeschaffenheit untersuchen, um die Echtheit hundertprozentig verifizieren zu können.«

»Nur zu«, meinte Agneta. »Du bist herzlich auf unseren Hof eingeladen.«

Ein verlorenes Grinsen zeichnete sich im Gesicht des Kunsthistorikers ab. »Ich werde so schnell wie möglich vorbeikommen.« Er seufzte. »Bloß wohne ich ein ganzes Stück von Småland entfernt und habe zuvor noch ein paar Dinge zu erledigen, die ich nicht aufschieben kann.«

»Wir laufen nicht weg«, versprach Ina.

»Eine Sache noch.« Nun war es tatsächlich ein verschwörerischer Tonfall, den der Mann an den Tag legte. »Ich möchte euch dringend dazu auffordern, das Schwert gut zu verstecken.« Mit ernster Miene näherte er sich noch einmal der Kamera. »Wenn es tatsächlich echt sein sollte, ist dieses Schwert unfassbar wertvoll. Jedoch …« Seine Züge verfinsterten sich noch mehr. »Es dürfte einige Leute geben, die es gerne in ihren Besitz bringen würden.«

»Wenn es wirklich das Schwert ist, von dem wir glauben, dass es das ist«, sagte Ove, »dann gehört es zurück ins Königshaus.«

»Natürlich tut es das«, stimmte Svensson sofort zu. »Solange wir aber nicht wissen, wo dieses Schwert gefunden wurde, sehe ich noch keine Notwendigkeit einer offiziellen Meldung.«

Über den Bildschirm hinweg nahm er Ove in den Fokus, der zögernd nickte.

»Gut, einen Schritt nach dem anderen. Lass uns erst herausfinden, ob es wirklich echt ist.«

»Eben!«

Ina spürte, wie sich ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete. Unweigerlich dachte sie an Viggo und ihre Vermutung, dass der Fund dieses Schwertes zu seinem Tod geführt haben könnte. Nichts anderes schien Svensson mit seiner Warnung auszudrücken.

»Glaubst du, dass jemand dafür töten würde?«, fragte sie vorsichtig.

Svensson blinzelte sie an, neigte den Kopf ein wenig, dann lachte er leise. »Nun, ich würde es.«

Ina schluckte angestrengt.

»Wann kannst du bei uns sein?«, fragte Agneta. »Je eher wir Gewissheit haben, desto besser.« Sie schüttelte sich. »Mir ist wirklich nicht wohl bei dem Gedanken, möglicherweise etwas so Kostbares auf dem Hof zu haben.«

Svensson nickte verständnisvoll. »Ich werde mich schnellstmöglich auf den Weg machen. Vielleicht kann ich schon morgen da sein.«

Ina verstand Agnetas Bedenken nur zu gut. Wenn dieses Schwert wirklich echt war, hatten sie ein Stück schwedische Geschichte gefunden, und somit war es ihre Aufgabe, es zu schützen, bis es in die rechtmäßigen Hände zurückkehrte. Sie fühlte sich Viggo gegenüber verpflichtet. Und obwohl sie es nicht ausdrücklich besprochen hatten, war sie sicher, dass Agneta diese Ansicht teilte.

»Erzählt noch niemandem davon«, beschwor Svensson sie. »Je weniger davon wissen, desto besser.«

Agneta und Ina versprachen es. Als das Gespräch beendet war, saßen sie noch eine Weile schweigend um den schwarzen Bildschirm, ein jeder in seine Gedanken vertieft. Ove war der Erste, der sich erhob.

»Gut«, sagte er, »dann werde ich mich jetzt mal zum See aufmachen. Ich kann wohl schlecht mit leeren Händen von meinem Sohn wieder eingesammelt werden.«

Schwedisch für Anfänger – Teil 2 

»Glida fram på en räkmacka.«

Wörtlich: Auf einem Toast mit Garnelen gleiten.

Bedeutet: Ohne Anstrengungen Erfolg haben.

3 Die Psyche des Hundes

Der sanfte Wind wehte Ina das Haar aus dem Gesicht, als sie und Lars den Waldweg entlangliefen, der den Hof mit dem angrenzenden Café verband. Zeus, ihr kleiner Mischlingshund, tobte freudig voraus. Eine Freude, die er weder mit dem perfekt trainierten, hinterhertrottenden Schäferhund Angus teilte noch mit Lars, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihm Manieren beizubringen.

»Zeus! Komm her!« Er streckte die Hand aus, in der er ein Leckerli hielt. Der kleine Hund kam tatsächlich zurück, schnupperte kurz daran und stürmte wieder davon, seinen eigenen Interessen nachgehend.

Ina wunderte das nicht. Was Naschereien anging, war ihr Hund wählerisch und fraß längst nicht alles.

Lars rief ihn noch einmal, doch diesmal drehte Zeus sich nicht mal mehr um.

»Du musst mehr mit ihm üben. Er reagiert überhaupt nicht auf Befehle.«

Ina hob abwehrend die Arme. »Ich habe es versucht, wirklich, aber er ist eben ein Sturkopf.«

Gut, sie übte vielleicht nicht ganz so ausgiebig mit ihm, wie sie es sollte. Schließlich war er kein Zirkusäffchen. Dennoch war sie ein kleines bisschen neidisch auf den gut erzogenen Polizeihund, der aufs Wort hörte und seinem Besitzer nicht auf der Nase herumtanzte.

»Aus!«, befahl Lars, als Zeus an einem Stock knabberte. Doch der Hund ignorierte ihn und kaute munter weiter. Dafür erntete Ina einen bösen Seitenblick. »Hast du wirklich mit ihm geübt?«

Sie zuckte mit den Schultern und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Natürlich habe ich das!«

Lars seufzte ein weiteres Mal, wie nur er es konnte. »Wenn du willst, dass sein Verhalten sich verbessert, musst du wirklich dranbleiben. Das Training muss konsequent sein.«

»Selbstverständlich.«

»Versuch es!«

Ina ging weiter, hielt aber inne, weil Lars nichts mehr sagte. Sie sah ihn verdattert an. »Jetzt?«

Er riss die Augen auf. »Natürlich jetzt! Wozu machen wir denn das Training?!«

Allmählich klang er gefährlich genervt. Also tat sie ihm den Gefallen und kümmerte sich um ihren Hund.

»Zeus! Hier!« Sie wies mit einer entschlossenen Geste auf den Boden vor ihren Füßen. Exakt so, wie Lars es ihr gezeigt hatte. Zeus hob tatsächlich das Köpfchen, blickte in ihre Richtung, reckte sogar die Schnauze in die Höhe … und kehrte dann zu seinem Stock zurück. Ina schüttelte den Kopf. »Es ist, als würde es ihn überhaupt nicht jucken.«

»Du musst seine Aufmerksamkeit erregen, bevor du einen Befehl gibst. Und dann musst du ihn belohnen, wenn er dir gehorcht«, erklärte Lars und rief mit gestrenger Stimme: »Zeus, Sitz!«

Doch Zeus hatte offensichtlich mehr Interesse an einem Eichhörnchen, das direkt vor seiner Schnauze über einen Ast hüpfte. Ina war das Verhalten ihres Hundes äußerst unangenehm. Sie musste dringend mehr mit ihm üben.

Gleich morgen würde sie beginnen. Davon abgesehen traf sie sich nicht deshalb regelmäßig mit Lars, um ihrem Hund Manieren beizubringen. Oh, nein, für sie waren diese Begegnungen die perfekte Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen seiner Ermittlungsarbeit zu erhaschen. Denn auch wenn sie nicht darüber sprachen, so waren sie beide mittlerweile ein fast schon eingefleischtes Ermittlerduo. Wie Holmes und Watson. Wie Miss Marple und Mr. Stringer. Wie Bernhard und Bianca. Bloß dass Lars um einiges jünger war als Mr. Stringer und nicht so behaart wie Bernhard. Und dass er nichts von ihrer detektivischen Zusammenarbeit wusste. Er glaubte wirklich, es ginge hier um reines Hundetraining. Entsprechend ermittlerisch lenkte sie das Gespräch auf den Hauptgrund, der ihr so sehr unter den Nägeln brannte.

»Was ist nun mit Viggo?«, fragte sie ihn geradeheraus. »Hast du etwas in Erfahrung gebracht?«

Lars hielt in der Bewegung inne und sah sie leicht genervt an. »Es ist dir wirklich ernst damit.«

Ina nickte beharrlich. »Todernst.«

Und weil es ihr so ernst war, hatte sie mit Engelszungen auf ihn eingeredet, damit er sich noch einmal Viggos Akte vornahm.

Lars rieb sich angestrengt die Stirn, während er das von sich gab, was Ina längst wusste: Viggo war vor einem halben Jahr bei einem gemeinsamen Tauchgang mit Svante im Hofsee ums Leben gekommen. Svante hatte ihn an die Wasseroberfläche bringen müssen. Daraufhin hatte der eintreffende Arzt nur noch Viggos Tod feststellen können. Die anschließende Untersuchung hatte ergeben, dass er einem Herzinfarkt erlegen war.

Lars schloss seine Erzählung mit einem Seufzen. »Auch wenn du es nicht wahrhaben möchtest, Ina: Es gab absolut keine Anzeichen von Fremdeinwirkung.«

»Wurde denn eine Autopsie durchgeführt?« Sie sah ihn mit einer gehobenen Braue an, was Lars zum Lachen brachte.

»Nicht jeder Todesfall landet automatisch auf dem Obduktionstisch«, sagte er amüsiert. »Was glaubst du denn?« In der nächsten Sekunde wurde er wieder ernst. »Der damals vor Ort gewesene Arzt hatte einen Tauchunfall ausschließen können. Zudem litt Viggo wohl schon eine ganze Weile unter Herzbeschwerden. Ich habe die Krankenakte von ihm angefordert.«

Ina wurde hellhörig. Diese Information war neu für sie. Rückblickend erkannte sie, dass ihre Treffen mit Viggo die Intensität einer frischen Verliebtheit gehabt hatten, voller Aufregung und Neugier. Sie hatten nie über körperliche Beschwerden oder das Älterwerden gesprochen und sich stattdessen in der Euphorie des Wiedersehens verloren. Tief in ihrem Innern hatte sie immer gehofft, eine dauerhafte Beziehung mit ihm aufzubauen, zumal sie nicht einmal gewusst hatte, dass er bereits verheiratet war. Als sie schließlich ihre Zelte abgebrochen hatte und statt auf Viggo auf seine Witwe getroffen war, hatte sich dieser Traum unwiderruflich zerschlagen. Aber auch Agneta hatte ihr gegenüber nie ein Wort darüber verloren, dass Viggo Herzprobleme gehabt hatte. Oder doch? Sie dachte angestrengt nach.

»Es gab schlichtweg keine Veranlassung für eine Autopsie.« Lars warf einen weiteren Blick auf Zeus, der nun damit beschäftigt war, eine Pfütze zu erkunden. »Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass Viggo nicht mehr der Jüngste war. Das Risiko für einen Herzinfarkt steigt mit dem Alter.«

Ihre Augen verengten sich leicht, während sie nachdachte. »Aber Viggo war immer so fit. Das sagte selbst Agneta …«

»Das mag sein. Aber es ändert nichts an den Fakten. Ich habe wirklich jede Zeile in der Akte zweimal gelesen, und es gibt absolut nichts, was auf ein Verbrechen hinweist.« Er holte tief Luft. »Manchmal ist es schwer, den Tod zu akzeptieren, aber das ist die Realität.« In einer mitfühlenden Geste legte er eine Hand auf ihre Schulter. »Ich verstehe, dass du Antworten suchst. Aber manchmal gibt es einfach keine. Hin und wieder passieren Dinge, die wir nicht ändern können.«

Sie sah ihn einen Moment lang ernüchtert an und nickte dann langsam. Natürlich wusste sie, dass er auf eine gewisse Weise recht hatte, aber das machte es nicht einfacher. Zumal eine kleine bohrende Stimme in ihrem Kopf einfach keine Ruhe geben wollte.

Zerknirscht schaute sie zu Zeus, der mit schlammigen Pfoten auf sie zugerast kam. Hechelnd und mit wedelndem Schwanz sprang er auf Lars zu, der einen schrillen Schrei ausstieß. »Meine Diensthose!«, entfuhr es ihm.

Ina hielt den Hund im letzten Moment zurück. »Danke, Lars. Ich weiß, dass du dein Bestes gegeben hast«, sagte sie dann.

»Ach, das war doch nichts.« Wieder dieses Seufzen. »Ich wünschte, alles wäre so einfach zu klären.«

Sie sah ihm in die Augen und erkannte sofort, dass ihm etwas auf dem Herzen lag. Allerdings schien er nicht so recht mit der Sprache rausrücken zu wollen. Also half sie ihm auf die Sprünge.

»Was ist los, was bedrückt dich? Hast du Ärger im Job?«

Lars zuckte mit den Schultern und warf einen resignierten Blick auf ihren Hund, der sich eifrig mit einer Schlammpfote hinter den langen Ohren kratzte. »Beruflich läuft alles wunderbar«, sagte er nach einer Weile, »aber privat …«

»Die Frauen?«, mutmaßte Ina, was Lars ein weiteres Mal zum Lachen brachte.

»Welche Frauen?«, spöttelte er. »Als hätte ich mit dem Hund, dem Job und diesem Vater noch Zeit für eine Frau.«

Ina nickte leicht. Da lief also der Hase lang.

»Ich weiß, du magst ihn, aber dieser Mann raubt mir den letzten Nerv.« Er rieb sich über die Bartstoppeln – so laut, dass Ina das kratzende Geräusch vernahm.

»Was ist denn passiert?«

»Kleinigkeiten«, erwiderte Lars. »Es sind immer nur Kleinigkeiten, aber die zermürben mich.« Er warf ein Leckerli in Angus’ Richtung. Doch Zeus war schneller in der Luft und schnappte es dem großen Hund vor der Nase weg. Ina war überrascht und belustigt zugleich. Eben hatte er das Leckerli verweigert, doch bevor es der andere Hund bekam, nahm er es dann doch. Was das wohl über die Psyche ihres Hundes aussagte?

»Vorgestern hatten wir einen Streit über die Fernbedienung«, sprach Lars weiter, ohne Zeus’ Fehlverhalten zu korrigieren. Ina hatte Ove gern, aber sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass das Zusammenleben der beiden eine Herausforderung darstellte. Nicht nur aufgrund des Altersunterschieds, sondern weil sie in ihren Rollen als Vater und Sohn feststeckten und überdies mit ihren unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Interessen zurechtkommen mussten.

»Ove besteht darauf, dass wir jeden Abend um zwanzig Uhr Nachrichten schauen. Nicht eine Minute früher, nicht eine Minute später. Aber ich wollte mir den Anpfiff des Fußballspiels auf dem anderen Kanal ansehen. Also habe ich vorgeschlagen, dass wir uns die Nachrichten später in der Mediathek angucken. Oder eben die Zehn-Uhr-Ausgabe. Aber das war für Paps undenkbar.« Ein tiefes Seufzen. »Er sagte, es wäre nicht dasselbe, die Nachrichten aufgezeichnet zu sehen.« Nun sog Lars scharf die Luft ein, vermutlich, um genügend Sauerstoff für weiteres Geseufze zu sammeln. »Dabei bin ich mir sicher, dass er selbst das Spiel sehen wollte, aber weißt du was? Er hat das aus Prinzip verweigert!« Und dann zeigte Lars ihr, dass er nicht nur gut im Seufzen war, sondern auch wie ein Walross schnaufen konnte. »Wir haben fast eine Stunde lang darüber gestritten, bis natürlich nicht nur die Nachrichten vorbei waren, sondern auch die erste Halbzeit des Spiels.«

Ina hörte ihm geduldig zu. Ihr lag eine Bemerkung auf der Zunge, aber sie verbiss sie sich. Ihre Lebenserfahrung hatte sie gelehrt, dass man nicht zu voreilig mit Ratschlägen um die Ecke kommen sollte.

»Vielleicht war es ein Fehler«, sagte Lars leise. »Womöglich wäre es besser gewesen, mir eine eigene Wohnung zu suchen.«

»Vielleicht wäre das eine gute Idee«, erwiderte Ina vorsichtig.

Lars warf einen Blick auf die Uhr. »Tja, unsere Stunde ist um. Dann werde ich jetzt mal meinen Vater vom See einsammeln und mich mit ihm auf den Heimweg machen.« Er räusperte sich. »Ich kann bloß hoffen, dass er was gefangen hat, sonst müssen wir noch im Supermarkt vorbei.« Voller Missmut verzog er das Gesicht. »Du hast keine Vorstellung davon, wie anstrengend das Einkaufen mit ihm ist.«

Sie waren kaum ein paar Meter weit gegangen, als sie auf eine Gruppe von drei jungen Männern in zweckmäßiger Allwetterkleidung trafen. Sie hatten große Rucksäcke geschultert und trugen Klappspaten bei sich.

»Hej, Ina!«, rief einer von ihnen und Ina winkte zurück.

Lars sah ihnen nach, als sie ihren Weg fortsetzten, dann wandte er sich an Ina: »Was waren das denn für Typen?«

»Oh, die drei sind Archäologen«, antwortete sie lässig. »Sie suchen hier im Wald nach Spuren aus der Ritterzeit.«

Lars hob eine Augenbraue. »Wirklich? Die gibt es hier? Haben sie denn schon was gefunden?«

Ein beiläufiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Nicht dass ich wüsste. Sie sind noch auf der Suche. Aber das ist doch aufregend, nicht wahr? Wer weiß, was in diesen Wäldern alles verborgen liegt …«

Lars nickte, er wirkte fasziniert von dieser Vorstellung. Ina war indes froh, nicht zu viel verraten zu haben. Schließlich wollte sie das gefundene Ritterschwert vor ihm geheim halten, zumindest vorerst. Sie schaute noch einmal den Archäologen nach. Wenn sie im Wald waren, waren sie weit weg von dem Schwert. Das konnte ihr nur recht sein.

4 Ein Veterinärmediziner im Ruhestand

Umgeben von den anderen Hofbewohnern, saß Ina neben Svante und Ashley im Hofcafé, das in den Abendstunden einen ganz besonderen Charme verströmte. Die Tagesgäste hatten den Hof längst verlassen, doch der Duft von frisch gebackenem Kuchen und Kaffee hing noch in der Luft, vermischte sich nun aber mit dem süßlich-herben Aroma vom selbst gebrannten Moltebeerschnaps, den Ebba großzügig aus einer besonders großen Glasflasche einschenkte.

Ina schaute über die Köpfe hinweg durch die Fenster, die einen malerischen Ausblick auf die umliegenden Felder und Wälder boten. Die Landschaft präsentierte sich in verschiedenen Schattierungen von Blau und Grau, während die Dämmerung langsam hereinbrach. Obwohl die Nächte längst nicht mehr so hell waren wie bei ihrer Ankunft, störte der frühe Sonnenaufgang Inas wohlverdienten Schlaf. Aber daran wollte sie jetzt keinen Gedanken verschwenden. Einmal mehr fiel ihr auf, dass sie viel zu selten in diesem Café war. Dabei war es ein urgemütlicher Raum, der solch eine Wärme ausstrahlte, als wollte er seine Gäste umarmen. Es herrschte eine familiäre Atmosphäre, und jeder, der das Café betrat, fühlte sich sofort willkommen.

An diesem Abend waren die Tische zu einer langen Tafel zusammengestellt und gesäumt von Servierplatten, auf denen Knäckebrot und eine Vielzahl von Aufstrichen appetitlich arrangiert waren. Überall verteilt standen mit Moltebeerschnaps gefüllte Gläser, die im Licht der brennenden Kerzen funkelten. Es wurde gelacht und diskutiert, es wurden Vorschläge gemacht und abgewogen. Im Grunde war es ein typischer Abend auf dem Hof, an dem die Gemeinschaft zusammenkam und gemeinsam Entscheidungen traf. Obwohl Ina taufrisch dabei war, genoss sie diese Momente. Sie liebte das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die unerschütterliche Herzlichkeit, die diese Abende ausstrahlten. Und während sie an ihrem Glas nippte, konnte sie nicht anders, als sich auf ihre Zukunft auf diesem Hof zu freuen.

Als die gemütliche Atmosphäre des Cafés sich mit den ersten Runden vom Moltebeerschnaps weiter erwärmte, lenkte Agneta das Gespräch auf das Hauptthema des Abends: Die Bewerber für die leer stehenden Häuser von Knut und Astrid mussten ausgewählt werden. Von Agneta hatte Ina erfahren, dass Viggo und sie stets genauso vorgegangen waren. Alle Bewohner entschieden einvernehmlich, wer auf den Hof ziehen durfte, sobald etwas frei wurde. Dieses Vorgehen hatte über die Jahre hinweg erstaunlich gut funktioniert – wenn nicht gerade ein kaltblütiger Mord passierte. Oder auch zwei …

»Es ist wichtig, dass wir diese Entscheidung gemeinsam treffen,« sagte Agneta, die am Kopf des Tisches saß. »Wir sind eine Einheit und wir sollten gemeinsam entscheiden.«

Alle nickten zustimmend und prosteten sich zu. Ina erhob zwar ihr Glas, trank aber nicht daraus. Sie entschied sich, jede zweite Runde auszusetzen.

»Lasst uns mit den ersten beiden Bewerbern auf der Liste beginnen,« sagte Agneta über das Geproste hinweg. Ina lehnte sich zurück und beobachtete, wie ihre Freundin ein paar zusammengetackerte Blätter aus der vor ihr liegenden Mappe zog, sie vor sich hinlegte und glatt strich. Sie ging sie der Reihe nach durch. Der erste Bewerber war ein junger Mann namens Johan, der vor Kurzem sein Studium der Agrarwissenschaften abgeschlossen hatte. »Er hat gute Qualifikationen,« bemerkte Agneta, »aber ich bin nicht sicher, ob er bereit ist für das Leben auf dem Hof. Er hat noch nie in einer Gemeinschaft wie unserer gelebt.«

»Und er ist jung«, befand Ebba. »Viel zu jung für uns.«

»Ich bin auch jung!«, stellte Janis klar.

»Du zählst nicht«, warf Agneta ein. »Du bist Familie.«

Janis grinste ein wenig verschämt und alle anderen prosteten Ebbas Enkelsohn wohlwollend zu. Nun auch Ina, in deren Mund sich sogleich die Schärfe des Schnapses ausbreitete und damit unheilvolle Erinnerungen an das Mittsommerfest hervorrief. Sie zwang sich dazu, nicht zu erschaudern. Herrje, werde ich mich je an dieses Zeug gewöhnen?

Svante grinste sie diebisch von der Seite her an, tat aber gut daran, keinen dummen Spruch zu bringen.

Agneta nahm den zweiten Blätterstapel zur Hand. »Dann wäre da noch ein Ehepaar in den Sechzigern, das eine Auszeit vom Stadtleben sucht.« Sie zögerte. »Aber ich befürchte, sie haben eine romantisierte Vorstellung vom Landleben. Sie haben keine Erfahrung mit der Arbeit auf einem Bauernhof.«

»Wenn sie an die Enge der Großstadt gewöhnt sind, könnte das Leben in unserer Gemeinde einen kleinen Schock für sie darstellen«, ertönte Svantes dunkle Stimme dicht neben Ina. »Machen wir uns nichts vor, wir hängen schon ziemlich eng aufeinander. Da bleiben wenig Freiräume.«

Janis klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Sagt ausgerechnet der Mann, der in der abgelegensten Hütte wohnt.«

»Ich mag eben meine Ruhe.« Wie zum Trotz verschränkte Svante die Arme vor der Brust.

Ashley stimmte Agneta zu. »Ich denke, sie würden den Hof als Urlaubsort sehen, nicht als einen Platz, an dem sich jeder einbringen muss. Das könnte ein Problem werden.«

Nils, der Hofbäcker, lenkte mit einem Räuspern die Aufmerksamkeit auf sich. »Wir brauchen Leute, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken.«

Ina griff nach der Liste der Bewerber und sah sie durch. Es gab eine Reihe von Interessenten, aber einer stach in ihren Augen besonders hervor.

»Was ist mit diesem Veterinärmediziner im Ruhestand?« Sie zeigte auf das Blatt, auf dem ganz oben sein Name stand: Gustav Lindqvist. »Er könnte eine gute Ergänzung für den Hof sein. Denkt nur an den Streichelzoo und welche Kosten der Tierarzt allmonatlich verschlingt.«

Agneta zwinkerte ihr mit einem Schmunzeln zu. »Zu ihm wollte ich gerade kommen.« Ina reichte ihr die Bewerbung, Agneta wartete aber, bis Ebba damit fertig war, allen eine weitere Runde Moltebeerschnaps einzuschenken. Nach einem allgemeinen »Skål« später fuhr sie fort: »Gustav Lindqvist ist alleinstehend und ein pensionierter Veterinärmediziner. Er hat mehr als dreißig Jahre lang eine Tierklinik in Malmö geleitet. Seit er in Rente gegangen ist, vermisst er die Arbeit mit Tieren und sucht nach einem Ort, an dem er seine Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen kann.« Sie sah von dem Blatt auf und schaute in die Runde. »Er hat keinen landwirtschaftlichen Hintergrund und hier steht auch nichts von handwerklichen Begabungen.«

»Aber er ist Tierarzt«, sagte Nils.

Die Bewohner des Hofes sahen sich an und nickten zustimmend und sogar Svante brummte.

»Ein erfahrener Tierarzt könnte dem Hof sehr zugutekommen«, befand Ashley. Dann warf sie Janis über den Tisch hinweg einen äußerst missmutigen Blick zu. »Ganz besonders, wo es nun darum geht, ein Alpaka zu integrieren.«

Janis zog schuldbewusst den Kopf ein. »Was kann ich denn dafür, wenn sich Elvis nicht mit den Ziegen versteht?«

»Immerhin hast du dieses Tier angeschleppt!«, stellte Svante klar.

»Wir können Elvis nicht mehr weggeben.« Über den Flaschenhals hinweg warf Ebba einen Blick auf die Gesichter der Anwesenden. Hinter den dicken Brillengläsern wirkten ihre Augen doppelt so groß. »Habt ihr nicht gesehen, wie die Kinder auf dieses Tier abfahren? Und wenn Kinder das Tier lieben, werden die Eltern großzügig mit ihren Spenden für den Hof sein.«

Ina registrierte mit Schrecken, dass sie die Schnapsflasche erneut aufgedreht hatte, sich erhob und schon wieder reihum ging.

Zustimmendes Raunen wurde laut. In Aussicht gestellte Spenden für den Hof waren immer ein guter Grund zum Anstoßen.

»Skål!«, rief Ina denn auch und exte ihr Glas – diesmal, ohne das Gesicht zu verziehen, weil sie wieder Svantes Blick von der Seite spürte.

Dieser nahm jetzt Agneta die Bewerbung aus der Hand und inspizierte sie mit gerunzelter Stirn.

»Und dass der Mann obendrein gar nicht mal schlecht aussieht, beeinflusst eure Entscheidung natürlich in keiner Weise.«

Ina folgte seinem Blick und musterte mit zusammengekniffenen Augen das Bild, auf dem ein Mann in den besten Jahren abgebildet war. Er hatte markante Züge, leuchtend helle Augen und war wirklich gut aussehend. Zumindest auf dem Foto. Aber seit es all diese Fotofilter gab, hatte das nichts mehr zu heißen.

»Völlig egal, wie er aussieht«, entschied Nils. »Ein Tierarzt könnte eine echte Bereicherung für uns sein.«

Allgemeines Kopfnicken und zustimmendes Murmeln rund um den Tisch bekundeten, dass alle sich einig waren.

Schmunzelnd machte Agneta eine Notiz neben dem Namen des Tierarztes. »Gut, dann lassen wir ihn zu einem Gespräch kommen. Anschließend können wir weiter diskutieren.«

Ina lehnte sich zurück und sah sich in der Runde um. Ihr gefiel es, wie sie Entscheidungen trafen und aufeinander achteten. Und dann fragte sie sich, wie Viggo entschieden hätte, wenn er noch am Leben wäre. Hätte er Gustav seine Stimme gegeben? Viggo!

Vielleicht lag es am Schnaps, der sie gefühlsduselig werden ließ. Sie spürte, wie die Vergangenheit sie einholte. Gleich einem tiefschwarzen Schatten, der sich nicht abschütteln ließ. Die Morde … das Schwert. All diese dunklen Bilder, die sich selbst an diesem idyllischen Abend im Kreise ihrer neuen Freunde in ihre Gedanken schlichen. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob sie die Vergangenheit niemals loslassen würde. Und dieses verfluchte Schwert! Würde es erneut Unruhe in ihr Leben bringen?

»Also der Tierarzt«, sagte Ebba. »Dann ist das hiermit beschlossen. Von mir aus kann er gleich einziehen.« Sie rückte die Brille zurecht, stand auf und schenkte die Gläser wieder voll. »Darauf sollten wir anstoßen.«

5 In der Vergangenheit leben

Ina stand vor der Blockhütte, aus deren Sprossenfenstern schummriges Licht in den Wald strömte. Sie zögerte einen Moment, atmete die frische Abendluft ein und klopfte dann fest gegen die massive Holztür. Eine Weile hörte sie nur das Zirpen der Grillen und das leise Plätschern des nahe gelegenen Bachs. Dafür roch sie den aromatischen Duft des Abendessens, das im Innern der Hütte auf sie wartete.