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Welche Erwartungen haben Eltern an die Schule ihres Kindes und wie gelingt der bestmögliche Übergang? Welche Wünsche und Vorstellungen hat das Kind und wie wird es optimal gefördert? Kompass Schulwechsel schafft Klarheit und gibt Antworten.Sabine Ogrin und Anne Roth helfen, sich im "Schul-Dschungel" zurechtzufinden. Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse geben sie Antworten auf zentrale Fragen des Übergangs. Sie klären gesetzliche Rahmenbedingungen und geben Hinweise zur Zuverlässigkeit von Grundschulempfehlungen.Anhand gezielter Fragen können Eltern sich mit eigenen Erwartungen, Wünschen und Voraussetzungen sowie denen ihres Kindes auseinandersetzen und diese mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in Einklang bringen. Unverzichtbar für alle Eltern von Viertklässlern.
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Seitenzahl: 184
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Anne Roth / Sabine Ogrin
Kompass Schulwechsel
Den Übergang gestalten
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99792-6
Umschlagabbildung: © Sunny studio – fotolia
Mit sechs Illustrationen von Dina Rautenberg, www.dinaeht.de
© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Zielsetzung des Buches
1. Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule
Frühe Leistungsdifferenzierung – Sinn oder Unsinn?
Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten?
Baden-Württemberg
Bayern
Berlin
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
Mecklenburg-Vorpommern
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Übersicht über die Bildungsgänge und Schularten
Wie durchlässig ist das deutsche Bildungssystem?
2. Die Übergangsempfehlung
Wie hilfreich ist die Übergangsempfehlung?
Welche Voraussetzungen braucht das Kind?
Leistung und Noten
Konzentrationsfähigkeit
Motivation
Selbstkonzept
Situative Unterschiede erkunden
Wie berät die Grundschule beim Übergang?
Wie zuverlässig ist die Grundschulempfehlung?
Und was, wenn ich mich dagegen entscheide?
3. Entscheidungskriterien
Was möchte mein Kind?
Mit Kindern sprechen
Welche Schulform ist die richtige?
Vor- und Nachteile von Gesamtschulen
Welches Profil hat die weiterführende Schule?
Was tun bei besonderen Bedarfen?
Was ist noch wichtig?
Wie ist unser persönlicher Eindruck?
Passen Kind und Schule zusammen?
4. Den Übergang gestalten
Wie kann ich mein Kind beim Übergang unterstützen?
Zu erwartende Veränderungen
Worauf Eltern achten können
Was sich für die Eltern ändert
Freundschaften im Übergang – was verändert sich?
Wichtigkeit von Freundschaften
Freundschaften schließen und aufrechterhalten
Entwicklung von Freundschaften im Laufe der Schulzeit
5. Veränderungen in der weiterführenden Schule
Wie nehmen Kinder die Veränderungen wahr?
Wie entwickeln sich Leistungen und Noten?
Wie entwickelt sich das Lernverhalten?
6. Lernen und Stress
Kann mein Kind das Lernen lernen?
Vor dem Lernen
Während des Lernens
Nach dem Lernen
Was tun bei Stress und Prüfungsangst?
Emotionen beim Lernen
Gründe für negative Emotionen
Strategien zum Umgang mit Emotionen
Literatur
Fragenkatalog
Dank
Zielsetzung des Buches
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Sie als Eltern, deren Kinder sich vor dem Übertritt von der Grundschule auf eine weiterführende Schule befinden. Die Entscheidung, auf welche Schule ein Kind nach der vierten (oder sechsten) Klasse geht, war in den vergangenen Jahrzehnten vorwiegend Sache der Grundschullehrkräfte. Die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen zeigen jedoch einen klaren Trend zur Stärkung des Elternwahlrechts. Damit steigt allerdings auch Ihre Verantwortung, die für Ihr Kind bestmögliche Entscheidung zu treffen.
Diese Entscheidung ist für Sie als Eltern sicher alles andere als trivial. Trotz verstärkter Bemühungen um Bildungsgerechtigkeit und eine hohe Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem verschärft sich der Eindruck, dass die Entscheidung hinsichtlich der weiterführenden Schule maßgeblichen Einfluss auf die Bildungs- und Berufslaufbahn der Kinder hat. Soll mein Kind es auf dem Gymnasium versuchen oder tun wir ihm mit der Gesamt- oder Realschule etwas Gutes? Wie wird es meinem Kind auf der Hauptschule gehen?
Auch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Bandbreite an Schulformen und ebenso an dahinterliegenden pädagogischen Konzepten erhöht. Soll es das klassische humanistische Gymnasium sein oder lieber ein naturwissenschaftliches? Soll es die Hauptschule im Ort oder die weiter entfernte Gemeinschaftsschule werden? Sie und Ihre Kinder haben dadurch zwar die Wahl, aber eben auch die Qual.
Die Herausforderungen sind jedoch mit der Entscheidung für eine bestimmte Schulform und eine spezifische Schule noch nicht gemeistert. Wie wird das Kind wohl den Übergang meistern? Wird es mit den neuen Anforderungen zurechtkommen? Wird es die Noten halten können? Wird es seine FreundInnen behalten oder neue finden?
Die Liste Ihrer Fragen ist berechtigterweise lang. Ziel dieses Buches ist, auf diese Fragen einzugehen. Deshalb möchten wir Ihnen in den ersten drei Kapiteln eine Hilfestellung bei der Entscheidung hinsichtlich des Bildungsgangs, der Schulform, aber auch der Schule selbst geben. Hier finden Sie eine erste Orientierung über den rechtlichen Rahmen des Übertritts in den einzelnen Bundesländern. Anschließend stellen wir Ihnen einige Kriterien vor, die Sie bei Ihrem Kind, aber auch bei der aufnehmenden Schule berücksichtigen sollten. Damit möchten wir Ihnen die Informationssammlung und die anschließende Entscheidung für eine Schule erleichtern.
Die letzten drei Kapitel beschäftigen sich mit der Zeit nach dem Übertritt. Sie erfahren dort, mit welchen Veränderungen Sie rechnen sollten und wie Sie Ihr Kind unterstützen können, diese gut zu meistern.
Was dieses Buch so besonders macht, ist zum einen die empirische Fundierung der zusammengetragenen Erkenntnisse zum Schulübertritt. Sie werden also an vielen Stellen von Studien lesen, die sich mit dem Schulübertritt und dessen Chancen und Gefahren beschäftigen. Manche dieser Erkenntnisse sind eher allgemeinerer Natur, aus anderen können Sie vielleicht konkrete Konsequenzen und Handlungsoptionen für sich und Ihr Kind ableiten. In jedem Fall war es unser Ziel, die zum Teil theoretischen Befunde für Sie so aufzubereiten, dass Sie diese für Ihre Entscheidung und Ihr Handeln nutzbar machen können. Nicht zuletzt deshalb haben wir die Studienergebnisse anhand von Beispielen und Interviewausschnitten mit Eltern und Lehrkräften veranschaulicht. Zum anderen finden Sie am Ende der Kapitel jeweils Checklisten, in denen die wichtigsten Punkte des Kapitels für Ihre Informationssuche und Entscheidungsfindung noch einmal zusammengetragen sind. Einen kompakten Überblick über die gesammelten Fragen finden Sie auch im Anhang des Buches.
Wir werden Ihnen keine individuelle Prognose über die Schulkarriere Ihres Kindes liefern können. Dafür ist jedes einzelne Kind zu besonders und speziell. Die Studien, die wir anbieten, können Ihnen aber als Richtwert dienen. Auch werden Ihre Fragen am Ende der Lektüre dieses Buches vermutlich nicht vollständig beantwortet sein. Dann stehen Ihnen die Lehrkräfte Ihres Kindes als ExpertInnen für die Gestaltung des individuellen Übertritts sicherlich gern zur Seite.
Beim Verfassen dieses Buches haben wir uns darum bemüht, geschlechtsneutrale Bezeichnungen (z. B. Lehrkräfte statt Lehrer) zu verwenden. Da dies nicht an jeder Stelle möglich war, haben wir uns dazu entschlossen, dass Binnen-I (z. B. SchülerInnen) zu verwenden, um Männer und Frauen, Mädchen und Jungen gleichermaßen einzuschließen.
1. Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule
Das schulische Leben von Kindern muss immer vor dem Hintergrund bildungspolitischer Gegebenheiten betrachtet werden. Daher ist es für Sie als Eltern erst einmal wichtig, sich mit den rechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beschäftigen. Bevor wir jedoch ganz konkret auf die verschiedenen Übergangsverfahren in den einzelnen Bundesländern eingehen, möchten wir mit Ihnen einen kurzen Ausflug in die Debatte über den Sinn und Unsinn früher Leistungsdifferenzierung – also der Aufteilung der Kinder in verschiedene Leistungsgruppen nach der Grundschule – machen. Im Gegensatz zum deutschen Verfahren erfolgt die Differenzierung in vielen anderen Ländern nämlich erst nach dem sechsten (z. B. Belgien) oder sogar erst nach dem zehnten Schuljahr (z. B. Kanada).
Anschließend erläutern wir Ihnen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bundesrepublik Deutschland näher. Obwohl dem Bund die Aufsicht über das gesamte Schulwesen obliegt und die Bundesländer auch Grundsätze über den Aufbau und die Abschlüsse des Schulsystems teilen, wird die konkrete Ausgestaltung in der föderalistisch organisierten Bundesrepublik Deutschland von den 16 Bundesländern geregelt, denen die so genannte Kulturhoheit obliegt (Art. 30 GG). Die Kultusministerien der Bundesländer entscheiden demnach auch über das Prozedere hinsichtlich des Übergangs auf die weiterführende Schule, welcher als wichtige Weggabelung des deutschen Bildungssystems angesehen wird.
Wenn Sie sich als Eltern Gedanken über die Zukunft Ihres Kindes machen, spielen meist auch die beruflichen Perspektiven des Nachwuchses eine Rolle. Diese Gedanken werden besonders brisant, wenn es Entscheidungen zu treffen gilt, die den weiteren schulischen und beruflichen Werdegang des Kindes betreffen. Meistens denken wir in solchen Situationen in den Kategorien »richtig« oder »falsch«, seltener denken wir darüber nach, wie nachhaltig die eigene Entscheidung ist und ob es eventuell auch noch die Möglichkeit einer »Umentscheidung« gibt. Ob eine Entscheidung veränderbar ist, hängt natürlich immer von den gegebenen Rahmenbedingungen ab. Bei der Frage nach dem Bildungsgang und der Schulform gilt dies in besonderem Maße. Wir möchten Ihnen daher auch einige Befunde darlegen, die trotz der unbestreitbaren Wichtigkeit, von Anfang an die »passendste« Schule zu erwischen, auf eine gewisse Durchlässigkeit im deutschen Bildungssystem hinweisen.
Frühe Leistungsdifferenzierung – Sinn oder Unsinn?
Geschichte und Ziel. Die heute in Deutschland stattfindende Differenzierung der Schülerschaft nach der vierten Klassenstufe reicht geschichtlich gesehen noch vor die verbindliche Einführung der vierjährigen Grundschule zur Zeit der Weimarer Republik zurück (Beck, 2005). Das Ziel dieser Gliederung war und ist die Zusammenfassung von Schülergruppen in Abhängigkeit von deren Leistung. Die Entscheidungsträger nahmen an, dass der Unterricht besser an die jeweilige Leistungsgruppe angepasst werden kann, je homogener diese ist. Diese Annahme und ihre Umsetzung sind keine typisch deutschen Phänomene, denn auch in den USA und anderen europäischen Ländern wird durch ein Kurswahlsystem (das so genannte tracking) eine Leistungshomogenisierung erwirkt, selbst wenn diese gesetzlich gar nicht erwünscht ist. In Schweden wurde diese Idee allerdings bereits Anfang der 60er-Jahre verworfen: Dort wurden 1962 unterschiedliche Schulformen abgeschafft und eine gemeinsame Schule bis zur zehnten Klasse (nach einjähriger Vor- und neunjähriger Grundschule) eingerichtet.
Mangelnde Wirksamkeit. Von den beschriebenen Vorteilen der Leistungsdifferenzierung kann nach der heutigen Befundlage nicht mehr ausgegangen werden. So fanden Forscher nach Durchsicht zahlreicher Studien heraus, dass allein durch die Homogenisierung der Leistungen keine optimale Förderung erfolgt (Hattie, 2002). Jüngere europäische Studien stützen diesen Befund für Frankreich und Großbritannien. Auch für den deutschen Raum zeigte die Hamburger Schulleistungsstudie KESS (Kompetenzen und Einstellungen von SchülerInnen, Grölich, Scharenberg u. a., 2009), dass sich die Leistungsheterogenität innerhalb von Lerngruppen nicht auf den Lernerfolg auswirkte, weder positiv noch negativ. Eine mögliche Ursache für die mangelnde Wirksamkeit der Trennung kann z. B. darin begründet liegen, dass der Unterricht der Lehrkräfte gar nicht so auf die Zielgruppe angepasst wird, wie es vielleicht möglich wäre.
Weiterhin wird in der aktuellen Diskussion der Zeitpunkt der Leistungsdifferenzierung in Frage gestellt. Dieser folgt in Deutschland politischen und nicht pädagogischen Erwägungen. Denn aus entwicklungspsychologischer Perspektive lassen sich nach Beenden der vierten Klasse keine sicheren Schullaufbahnprognosen abgeben, weil zu diesem Zeitpunkt die Intelligenzentwicklung der Kinder noch nicht abgeschlossen ist (Böhnel, 1993).
Gesellschaftliche Nachteile. Darüber hinaus ergibt sich durch die noch immer enge Verbindung von Sozialschichtzugehörigkeit und Schulleistung ein zentraler Nachteil dieser frühen Entscheidung für Ihre Kinder. So besuchen Kinder aus höheren sozialen Schichten eher die Gymnasien, während in den Hauptschulen oftmals Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten lernen. Diese SchülerInnen bringen ohnehin von Haus aus unterschiedliche persönliche, intellektuelle, kulturelle, soziale und ökonomische Ressourcen mit. Eine Leistungsdifferenzierung führt dazu, dass sie aufgrund der Lernbedingungen und Unterrichtskonzepte der verschiedenen Schulformen nun auch noch unterschiedliche Entwicklungschancen erhalten. Diese Unterschiede werden sichtbar in Fachleistungen, Motivation, sozialen Kompetenzen und somit den Chancen zum Erwerb hilfreicher sozialer Netzwerke. Diese soziale Trennung (Baumert, Trautwein u. a., 2003) wirkt sich nachteilig auf die Kinder aus: solche aus eher schlechter gestellten Gruppen verlieren die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe, die privilegierten Kinder verlieren den Bezug und das Verständnis für benachteiligte gesellschaftliche Schichten. Das Ergebnis sind Vorurteile beider Gruppen und mangelnde soziale Fähigkeiten, die ohne persönlichen Kontakt zwischen den Kindern nur unzureichend im Unterricht vermittelt werden können.
Elternentscheidung von sozialer Herkunft geprägt. Obwohl insgesamt der Anteil der GymnasialschülerInnen pro Schuljahrgang wächst und immer weniger SchülerInnen die Hauptschule besuchen, zeigen internationale Schulleistungsstudien, dass in Deutschland der Schulerfolg vergleichsweise eng an die soziale Herkunft gekoppelt ist. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Frage diskutiert, ob Eltern oder Lehrkräfte über den weiterführenden Bildungsgang entscheiden sollten. Im Vergleich zeigt sich, dass die sozialen Ungerechtigkeiten in Bundesländern, in denen die Eltern über die weiterführende Schule entscheiden, größer sind als in Bundesländern, in denen die Schulen diese Entscheidung treffen. In diesem Zusammenhang verglichen Forscher die Länder Bayern und Hessen. Wenn Sie in Bayern leben, erfolgt der Übergang Ihres Kindes in die weiterführende Schule aktuell in Abhängigkeit vom Notendurchschnitt, in Hessen hingegen entscheiden Sie selbst welchen Bildungsgang und welche Schulform Ihr Kind besuchen soll – hier gilt das Elternwahlrecht. Die Ergebnisse zeigten, dass in Bayern die Bildungsnähe der Eltern gerade dann, wenn die Kinder Schulnoten im mittleren Bereich aufweisen, eine sehr große Rolle spielt. In diesem mittleren Notenbereich (2,33) ist die Wahrscheinlichkeit, auf das Gymnasium überzutreten, für Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern um 50 % höher als für Kinder aus bildungsfernen Familien. In Hessen wirkt sich die Bildungsnähe über ein breiteres Notenspektrum (1,66 bis 3,66) aus. Hier scheint die Bildungsnähe der Eltern also einen entsprechend größeren Einfluss zu haben (Zielonka, Beier u. a., 2014). Die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg allein aufgrund von Schulnoten zu treffen, scheint dementsprechend in einem gewissen Maße zur Bildungsgerechtigkeit beizutragen.
Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten?
Besonders wichtig für Ihre individuelle Entscheidung sind natürlich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Ihrem Bundesland. Gesetzlich geregelt ist dabei nicht nur die Frage, ob die Grundschulempfehlung oder der Elternwille entscheidet, sondern auch, welche Schulformen in Ihrem Bundesland überhaupt zur Verfügung stehen, wann der Übergang in die weiterführende Schule erfolgt und wie das Übergangsprozedere geregelt ist. Da eine ausführliche Darstellung der bundeslandspezifischen Gegebenheiten den Rahmen und die Zielsetzung dieses Ratgebers sprengen würde, haben wir Ihnen die wichtigsten Fakten kurz zusammengestellt.
Wie Sie bemerken werden, können am Übergangsgeschehen mehrere Akteure als Entscheidungsträger und Berater beteiligt sein: Zum einen natürlich Sie als Eltern, zum anderen die Klassenlehrkraft Ihres Kindes. In einigen Fällen wird auch eine Empfehlung der so genannten Klassenkonferenz ausgesprochen. Diese setzt sich in der Regel aus allen in der Klasse unterrichtenden Lehrkräften zusammen und berät sich mehrmals im Schuljahr. Die Zeugniskonferenz ist eine besondere Form der Klassenkonferenz, in der zeitnah vor der Zeugnisvergabe alle Belange besprochen werden, die das Zeugnis Ihres Kindes betreffen.
Bedenken Sie bitte, dass sich die dargestellten gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern können und dies auch regelmäßig der Fall ist. Sollten Sie sich unsicher sein, können Sie jederzeit Einblick in die Kriterien des Sekretariats der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der BRD nehmen. Dort werden die aktuellen Bedingungen für den Wechsel des Bildungsganges sowie das damit verbundene Vorgehen beschrieben. Bei den nachfolgenden Ausführungen orientieren wir uns an der Informationsschrift des Sekretariats der Kultusministerkonferenz mit Stand vom 19.02.2015.
Baden-Württemberg
Das Verfahren. Die Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg wird mit den Halbjahresinformationen der vierten Klasse ausgegeben und basiert auf den Leistungen der SchülerInnen sowie kontinuierlichen Beobachtungen der Lehrkräfte und Beratungen mit den Erziehungsberechtigten bezüglich der Lern- und Leistungsentwicklung. Für eine Gymnasialempfehlung sollte Ihr Kind in den Fächern Mathematik und Deutsch einen mindestens guten bis befriedigenden Notendurchschnitt (2,5) und für die Realschule einen mindestens befriedigenden Notendurchschnitt (3,0) vorweisen.
In Baden-Württemberg ist die Entscheidung der Eltern hinsichtlich der weiterführenden Schule rechtsverbindlich. Sie als Eltern haben also die freie Wahl. Um Ihnen diese Entscheidung zu erleichtern, werden Sie von der Grundschule beraten.
Zum einen werden Sie von Beginn der Grundschule an zu verbindlichen Beratungsgesprächen eingeladen, im Rahmen derer Sie über die schulische Entwicklung Ihres Kindes informiert werden. Darüber hinaus gibt es jährliche Angebote zur Lern- und Entwicklungsberatung und eine Informationsveranstaltung zu den Angeboten der weiterführenden Schulen. Vor der Erstellung der Grundschulempfehlung findet darüber hinaus noch ein gemeinsames Gespräch zwischen Grundschule und Eltern statt.
Außerdem gut zu wissen. Zwischen den Grundschulen und den weiterführenden Schulen sind in Baden-Württemberg Kooperationsaktivitäten vorgesehen, die einen gelingenden Übergang unterstützen sollen. Diese können auch in gegenseitigen Hospitationen der Lehrkräfte bestehen. Darüber hinaus haben Sie als Eltern die Möglichkeit, ein »besonderes Beratungsverfahren« nach der Grundschulempfehlung wahrzunehmen. Diese Beratung wird von einer Beratungslehrkraft durchgeführt und soll Ihnen eine erweiterte Entscheidungsgrundlage ermöglichen.
Bayern
Das Verfahren. Die SchülerInnen der vierten Jahrgangsstufe erhalten Anfang Mai ein Übertrittszeugnis mit einer Eignungsfeststellung für die Realschule oder das Gymnasium (beim Übergang zur Mittelschule erfolgt kein gesondertes Übertrittsverfahren). Die Eignung für den weiteren Bildungsweg ergibt sich aus dem Notendurchschnitt in den Fächern Mathematik, Deutsch sowie Heimat- und Sachkundeunterricht. Für eine Gymnasialempfehlung benötigt Ihr Kind einen Notendurchschnitt von 2,33 im Übertrittszeugnis und für die Realschule einen Notendurchschnitt von 2,66. Diese Eignungsfeststellung ist verbindlich, da in Bayern kein Elternwahlrecht vorgesehen ist.
Außerdem gut zu wissen. In der dritten und vierten Klasse erfolgt eine erweiterte Elternberatung, die auch eine Informationsveranstaltung zur Gliederung des bayerischen Schulsystems sowie zu den Übertrittsverfahren und seinen Regelungen einschließt. Auf Ihren Wunsch hin können außerdem Beratungslehrkräfte, Schulpsychologen und Lehrkräfte aufnehmender Schulen zu einer Beratung hinzugezogen werden. Sollten Sie der Eignungsfeststellung der Grundschule nicht zustimmen, so haben Sie die Möglichkeit, Ihr Kind zu einem dreitägigen Probeunterricht anzumelden, in dem eine mündliche und schriftliche Leistungsfeststellung in den Fächern Deutsch und Mathematik erfolgt. Diese Möglichkeit steht Ihnen als Eltern immer offen. Wird der Probeunterricht erfolgreich absolviert, kann die Eignungsfeststellung korrigiert werden. Dies ist der Fall, wenn in einem Prüfungsfach mindestens die Note 3 und in einem anderen Prüfungsfach mindestens die Note 4 erreicht wird.
Berlin
Das Verfahren. In Berlin besuchen die Kinder die Grundschule sechs Jahre lang. Die Grundschulempfehlung (in Berlin Förderprognose genannt) wird zum Ende des ersten Schulhalbjahres der sechsten Klasse erstellt. Grundlage für die Empfehlung sind neben den Noten aller Fächer (doppelte Gewichtung der »Kernfächer« Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften), weitere Kriterien, die für den Lernerfolg relevant sind. Sie als Erziehungsberechtigte werden vor der Erstellung der Empfehlung informiert und beraten und haben darüber hinaus die Möglichkeit, auch eigene Wünsche und Erwartungen einzubringen. Die Entscheidung über die weiterführende Schule liegt dann letztendlich ganz bei Ihnen. Sollte Ihr Kind jedoch bei einem Notendurchschnitt von 3,0 oder schlechter ein Gymnasium besuchen wollen, sind Sie dazu verpflichtet, an einem weiteren Beratungsgespräch teilzunehmen.
Außerdem gut zu wissen. SchülerInnen, die am Gymnasium aufgenommen werden, durchlaufen eine einjährige Probezeit. Diese ist bestanden, wenn die Versetzungskriterien am Ende der siebten Klasse erfüllt werden.
Brandenburg
Das Verfahren. In Brandenburg besuchen die Kinder die Grundschule sechs Jahre lang. Nach der Grundschulzeit wird vor der Ausgabe der Halbjahreszeugnisse ein Gutachten durch die Grundschullehrkraft vorbereitet. Anschließend beschließt die Klassenkonferenz auf der Grundlage des spezifischen kindlichen Entwicklungs- und Leistungsstandes die Empfehlung zum Besuch eines weiterführenden Bildungsganges. Eine Gymnasialempfehlung wird erteilt, wenn die Leistungen und Fähigkeiten Ihres Kindes zu mehr als 50 % mit »gut ausgeprägt« bewertet werden. Für eine Realschulempfehlung sollten die Leistungen und Fähigkeiten zu mehr als 50 % mit »ausgeprägt« bewertet werden. Zum Erwerb des erweiterten Hauptschulabschlusses sollten die Fähigkeiten und Leistungen zu mehr als 50 % mit »in Ansätzen ausgeprägt« bewertet werden.
Vor der Beschlussfassung erfolgt eine individuelle Elternberatung, in der Sie auch Wünsche hinsichtlich einer Abänderung des Gutachtens geltend machen können. Innerhalb der Klassenkonferenz wird dann beschlossen, ob Ihr Wunsch berücksichtigt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so haben Sie die Möglichkeit, dem Gutachten eine schriftliche Gegendarstellung beizufügen.
Außerdem gut zu wissen. Für die Aufnahme am Gymnasium benötigt Ihr Kind die eben beschriebene Empfehlung. Wenn die Noten Ihres Kindes in den Fächern Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache insgesamt den Wert 7 nicht überschreiten, ist die Aufnahme an einem Gymnasium ebenfalls möglich. Erfüllt Ihr Kind diese Kriterien nicht, hat es die Möglichkeit, an einem zweitägigen Probeunterricht an ausgewählten Schulen teilzunehmen. Nach einer erfolgreichen Teilnahme am Probeunterricht nehmen die SchülerInnen am Auswahlverfahren des gewünschten Gymnasiums teil.
Bremen
Das Verfahren. Eine formale Grundschulempfehlung wird in Bremen nicht ausgesprochen. Allein das Halbjahreszeugnis der vierten Klasse enthält den Vermerk, ob die Leistungen in Mathematik und Deutsch über dem Regelstandard liegen. Vor den Halbjahreszeugnissen werden Sie als Eltern in einem Gespräch über die Leistungseinschätzung Ihres Kindes informiert. Anschließend können Sie allein die Entscheidung hinsichtlich der weiterführenden Schule treffen.
Hamburg
Das Verfahren. In Hamburg gibt die Zeugniskonferenz nach dem Ende des ersten Halbjahres der vierten Klasse ihre Einschätzung zur weiteren Schullaufbahn ab. Grundlage dieser Grundschulempfehlung sind die bisherige Lern- und Leistungsentwicklung und die überfachlichen Fähigkeiten Ihres Kindes. In Hamburg werden die Eltern einmal im Schulhalbjahr über die Leistungsentwicklung und Lernfortschritte ihrer Kinder im Rahmen von Lernentwicklungsgesprächen informiert. Die Entscheidung, welche Schulform Ihr Kind nach der Grundschule besuchen soll, können Sie als Eltern nach eingehender Beratung durch die Klassenlehrkraft selbst treffen.
Hessen
Das Verfahren. Zum Ende des ersten Schulhalbjahres der vierten Klasse werden die Eltern durch die Grundschule zu einem Beratungsgespräch eingeladen. In diesem Beratungsgespräch wird die Grundschulempfehlung ausgesprochen. Kriterium für eine Empfehlung ist die eher vage Voraussetzung, dass Lernentwicklung und Leistungsstand Ihres Kindes eine erfolgreiche Teilnahme am gewählten Bildungsgang erwarten lassen. Zudem erfolgt im ersten Halbjahr eine allgemeine Information über weiterführende Schulen. Auf der Grundlage dieser Informationen und Beratungen können Sie als Eltern die Entscheidung über den weiterführenden Bildungsgang treffen. Spricht sich die Klassenkonferenz gegen Ihren Wunsch aus, wird Ihnen das unverzüglich schriftlich mitgeteilt und es wird eine erneute Beratung angeboten. Halten Sie Ihren Wunsch aufrecht, wird die aufnehmende Schule darüber informiert und wird Sie noch einmal zu einer eingehenden Beratung einladen.
Außerdem gut zu wissen. Stellt sich in der fünften oder sechsten Klasse heraus, dass eine erfolgreiche Mitarbeit in der gewählten Schulform nicht zu erwarten ist und dass eine Klassenwiederholung das Kind erheblich beeinträchtigen würde, kann die Klassenkonferenz eine Querversetzung auf eine andere Schulform aussprechen.
Mecklenburg-Vorpommern
Das Verfahren. In Mecklenburg-Vorpommern bilden die Klassen fünf und sechs der regionalen Schulen sowie der integrierten und kooperativen Gesamtschulen die schulartunabhängige Orientierungsstufe. Zum Ende des ersten Halbjahres der sechsten Klasse erfolgt eine schriftliche Schullaufbahnempfehlung. Sie als Eltern werden durch die Schule beraten und können danach ganz unabhängig die Entscheidung hinsichtlich der weiteren Schullaufbahn treffen.
Außerdem gut zu wissen. Möchten Sie Ihr Kind entgegen der Schullaufbahnempfehlung auf ein Gymnasium schicken, durchläuft das Kind zu Beginn der siebten Klasse einen halbjährigen Probeunterricht. Dieser gilt als bestanden, wenn die Versetzungskriterien erfüllt sind.
Niedersachsen
Das Verfahren. In Niedersachsen finden zum Ende der dritten oder zum Anfang der vierten Klasse Informationsveranstaltungen über die Lerninhalte der weiterführenden Schulen, das Verfahren der Empfehlung und die verschiedenen Schulabschlüsse statt. Dort werden Sie umfassend informiert. Zum Ende des ersten Halbjahres der vierten Jahrgangsstufe spricht die Zeugniskonferenz eine vorläufige Grundschulempfehlung aus und lädt Sie als Eltern zu einem Beratungsgespräch ein. Das Ergebnis der Zeugniskonferenz wird Ihnen darüber hinaus schriftlich mitgeteilt. Auf der Zeugniskonferenz des zweiten Halbjahres (sechs Wochen vor Schuljahresende) wird dann eine Schullaufbahnempfehlung beschlossen. Die vier Kriterien Leistungsstand, Lernentwicklung, Arbeits- und Sozialverhalten sowie Erkenntnisse aus dem Gespräch mit Ihnen werden gleichermaßen in die Entscheidung mit einbezogen. Die Noten Ihres Kindes dienen lediglich als Orientierung. Die Empfehlung wird Ihnen gemeinsam mit dem Zeugnis schriftlich zugestellt, so dass Sie auf dieser Grundlage eine Entscheidung treffen können. Sie haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich noch einmal beraten zu lassen.
Nordrhein-Westfalen
Das Verfahren. In Nordrhein-Westfalen spricht die Klassenkonferenz mit dem Halbjahreszeugnis der vierten Klasse eine Empfehlung aus. Grundlage für diese Empfehlung sind der Leistungsstand sowie die Lernentwicklung des Kindes. Für die Realschule und das Gymnasium kann grundsätzlich auch eine eingeschränkte Empfehlung ausgesprochen werden. Die Schulformempfehlung ist als Hilfestellung der Grundschule gedacht und dementsprechend nicht bindend. Sie als Eltern können die Entscheidung hinsichtlich der weiterführenden Schule eigenständig treffen.
Rheinland-Pfalz
Das Verfahren.