Kompetenzorientierte Spielsituationen (E-Book) -  - E-Book

Kompetenzorientierte Spielsituationen (E-Book) E-Book

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Kleine Kinder lernen am besten im Spiel. Worauf kommt es bei der Gestaltung von Spielsituationen im schulischen Kontext an? Sie sollen anforderungsreich sein, kompetent begleitet werden und das Lernen der Kinder entwicklungsgemäss unterstützen. Mithilfe eines didaktischen Modells und Praxisbeispielen aus der Schuleingangsstufe wird in diesem Band aufgezeigt, wie Lernen im Spiel im Unterricht gefördert wird.

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Luzia Bürgi, Lucia Amberg (Hrsg.)

Kompetenzorientierte Spielsituationen

Planen, gestalten, begleiten, dokumentieren

ISBN Print: 978-3-0355-2214-3

ISBN E-Book: 978-3-0355-2215-0

Coverillustration: Anne Albert c/o kombinatrotweiss.de

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Inhalt

Einleitung

TEIL 1: DIDAKTIK DES SPIELS

1 Spielförderung in der Schule

Luzia Bürgi & Lucia Amberg

1.1 Lehren und Lernen im Zyklus 1

1.2 Funktion und Verortung einer Spieldidaktik

1.2.1 Spieldidaktische Überlegungen basieren auf dem Bottom-up-Prinzip

1.3 Lernen und Entwicklung im Spiel

1.3.1 Mehrperspektivische Betrachtungsweise

1.3.2 Merkmale des Spiels

1.3.3 Inhaltlich offene und variable Deutungen

1.3.4 Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten

1.3.5 Selbst- und Fremdwahrnehmung

1.3.6 Metakognitive Strategien

1.3.7 Entwicklungsbesonderheiten junger Kinder

1.3.8 Spielformen und ihre entwicklungsrelevanten Funktionen

2 Spieldidaktik: Die Lehre vom Begleiten und Lernen im Spiel

Luzia Bürgi & Lucia Amberg

2.1 Ein didaktisches Modell für das Lernen im Spiel

2.2 Die Pole des didaktischen Dreiecks

2.2.1 Kinder

2.2.2 Sache

2.2.3 Lehrpersonen

2.3 Die Dimensionen des didaktischen Dreiecks

2.3.1 Qualität der Spielsituationsgestaltung

2.3.2 Qualität der Spieltätigkeit

2.3.3 Qualität der Spielbegleitung

2.4 Die «doppelte Performanz» einer Spielsituation

2.5 Spielpädagogische Handlungsfelder

3 Spielpädagogischer Förderkreis

Luzia Bürgi & Lucia Amberg

3.1 Beschreibung des spielpädagogischen Förderkreises

3.2 Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt

3.2.1 Aufmerksam beobachten

3.2.2 Interessen & Entwicklungsthemen erkennen

3.2.3 Umsetzungshilfen zu «Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt»

3.3 Inhaltliche Auslegeordnung

3.3.1 Die Sache durchdringen

3.3.2 Umsetzungshilfen zu «Die Sache durchdringen»

3.4 Auswahl und Arrangement

3.4.1 Die Spielsituation adaptiv und partizipativ gestalten

3.4.2 Umsetzungshilfen zu «Auswahl und Arrangement»

3.5 Lernoptionen

3.5.1 Mögliche Kompetenzen bestimmen

3.5.2 Entwicklungsaufgaben berücksichtigen

3.5.3 Umsetzungshilfen zu «Lernoptionen»

3.6 Begleitung

3.6.1 Sensitiv und responsiv interagieren

3.6.2 Methoden der Spielbegleitung einsetzen

3.6.3 Umsetzungshilfen zu «Begleitung»

3.7 Dokumentation und Reflexion von Gelerntem

3.7.1 Dokumentationsformen und ihre Funktionen

3.7.2 Umsetzungshilfen zu «Dokumentation und Reflexion von Gelerntem»

Quellen

TEIL 2: PRAXISBERICHTE AUS DER SCHULEINGANGSSTUFE

1 Einleitung zu den Praxisberichten

2 «Du wärsch jetz tot.» − Der Spielort Tierklinik bietet Raum für die Themen des Lebens

Nicole Müller

2.1 Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt

2.2 Inhaltliche Auslegeordnung

2.3 Gestaltung der Spielsituation

2.4 Lernoptionen

2.5 Begleitung

2.6 Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

Quellen

3 «Das sieht aus wie ein Sternenhimmel oder ein Käse.» Gestalterische Prozesse mit Licht und Schatten regen zum Spiel an

Ruth Amrein Schneider, Rahel Boos Yameogo und Ursula Gassmann

3.1 Begründung der Themenwahl

3.2 Inhaltliche Auslegeordnung

3.3 Lernoptionen

3.4 Auswahl und Arrangement

3.5 Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

Quellen

4 Spritzen und hantieren − Mit Materialien, Objekten und Werkzeugen spielerische Prozesse zum Element Wasser anregen

Verena Widmaier, Eva Pawlus und Sandra Büchel-Thalmaier

4.1 Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt

4.2 Inhaltliche Auslegeordnung

4.3 Gestaltung der Spielsituation

4.4 Lernoptionen

4.5 Spielbegleitung und Spielprozessdokumentation

4.6 Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

Quellen

5 «Wir bauen einen Markt!» Sprachliches und mathematisches Lernen in Spielsituationen anregen

Eva Biasio & Gabriela Schürch

5.1 Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt

5.2 Inhaltliche Auslegeordnung

5.3 Auswahl und Arrangement

5.4 Lernoptionen

5.5 Begleitung, Dokumentation und Reflexion

5.6 Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

Quellen

6 Musik und Spiel − Wie der Frühling im musikalischen Spiel zum Leben erwacht

Daniel Hildebrand & Manuela Röösli Scherer

6.1 Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt

6.2 Inhaltliche Auslegeordnung

6.3 Gestaltung musikalischer Aktivitäten

6.4 Lernoptionen

6.5 Begleitung

6.6 Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

Quellen

7 «100 Tage Quarantäne» – Verarbeitung lebensweltlicher Erfahrungen im Spiel

Gabriela Rüsch & Ruedi Federer

7.1 Orientierung am Kind und seiner Lebenswelt

7.2 Inhaltliche Auslegeordnung

7.3 Auswahl und Arrangement

7.4 Begleitung

7.5 Erkenntnisse und weiterführende Überlegungen

7.6 Dokumentation und Reflexion

Quellen

Verzeichnis Autorinnen und Autoren

Einleitung

Warum sollen Kinder nicht mehr spielerisch lernen können, wenn die obligatorische Schulzeit beginnt?

Das Lernen junger Kinder bewegt sich auch im Schulalter zwischen «Spielen» und «Arbeiten». Der Lebensweltbezug begünstigt alle Formen des Lernens, weil persönliche Bezüge zu eigenen Erfahrungen gemacht werden und das eigene Tun dadurch an Bedeutung gewinnt. Spielen steht per se in Zusammenhang mit Lebenswelterfahrungen, unter anderem macht genau diese Tatsache das Spiel so attraktiv. Spiel als eine weitgehend selbstgesteuerte Lernform hat seine eigenen Gesetze. Das Lernen erfolgt unbewusst und beiläufig und die Lehrperson kann deshalb auch keine expliziten Lernanforderungen stellen.

Wie aber erfolgt Lernen im Spiel? Dazu müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Diese zeigen sich beispielsweise in den exklusiven Merkmalen von Spiel (Burghardt 2011). Spiel in der Schule ist nicht Erholung oder Unterhaltung (obwohl es dies manchmal auch braucht), sondern steht primär im Dienst des Lernens. Insbesondere muss im Zyklus 1 für das Lernen im Spiel genügend Raum geschaffen werden.

Die Bezeichnung «kompetenzorientierte Spielsituationen» ist programmatisch. Sie will aufzeigen, wie trotz impliziter Lernanforderungen Spielsituationen kompetenzorientiert gestaltet und begleitet werden können. Im Kompetenzverständnis nach Weinert (2001) reicht eine Teilkompetenz oder Teilfertigkeit in einem Fachbereich nicht aus, um anforderungsreiche Aufgabenstellungen erfolgreich lösen zu können. Aus diesem Blickwinkel war das Spiel schon auf Kompetenzerwerb ausgerichtet, lange bevor die Kompetenzorientierung im Lehrplan21 verbindlich umgesetzt wurde. Das Spielen der Kinder, wie auch das vieler Tiere, dient seit jeher vor allem dem Lernen für das Leben. Die Performanz einer Spielsituation schafft in der Regel kindgerechte Handlungssituationen, die durch sich laufend neu bildende Herausforderungen regelrecht zum Lernen herausfordern, sofern sich das Kind darauf einzulassen vermag.

In diesem Buch wird der Begriff «Freispiel» nicht so verwendet, wie er vor allem in der Tradition der Kindergartendidaktik oft zur Anwendung kommt. Offene Unterrichtsarrangements wie freie Tätigkeit, Freiarbeit oder Freispiel begünstigen das Spielen in der Schule, weil sie Rahmenbedingungen erfüllen, die für das Spielen notwendig sind – wie Zeitgefässe, Räume, Material, eine förderorientierte Lernkultur. Grundlegend für das Lernen im Spiel ist, dass Spiel im ganzen Unterrichtskonzept genügend Raum erhält – und nicht nur ausschliesslich in speziell dafür ausgeschilderten Zeitgefässen.

Spielen zu können ist nicht nur eine Frage der Rahmenbedingungen, sondern auch eine Frage der Qualität. An diesem Punkt beginnen die didaktischen Überlegungen dieses Buches. Sie setzen an bei den Fragen nach dem spielpädagogischen Handlungsraum für das Lernen im Spiel. Die Qualitätsfrage stellt sich für die Lehrperson bei der Nutzung der spielpädagogischen Handlungsfelder, die sie in der Interaktion mit dem Kind situativ nutzen kann. Sie stellt sich aber auch bezogen auf das Spiel, indem geprüft werden muss, ob die Spielsituation so gestaltet ist, dass die Kinder überhaupt zum Spielen kommen.

Spiel wird im Kontext dieses Buches nicht als «Zusatz» oder «Erholung» verstanden, sondern als integraler Bestandteil des kompetenzorientierten Unterrichts.

Im Buch wird ein Modell des spielerischen Lernens und Lehrens − also eine Spieldidaktik − vorgestellt, die die Qualität der einzelnen Spielsituation im Blick hat. Neben der Möglichkeit, offene Unterrichtssequenzen mit einer Auswahl an selbstbestimmten Angeboten zu planen, kann basierend auf diesem Modell geprüft werden, wo eine Spielsituation andere Formen von Lernen ergänzen oder begünstigen kann, indem innerhalb eines kompe­tenzorientierten Lernprozessverlaufs (Luthiger et a. 2018) einzelne Aufgabentypen in Form einer Spielsituation angeboten werden. Ziel ist es, ausgehend von den Interessen und Erfahrungen der Kinder und ihren Entwicklungsaufgaben gemeinsam mit ihnen für sie bedeutsame Kompetenzen im Spiel zu erarbeiten. Damit steht Spiel nicht ausschliesslich am Anfang eines Lernprozesses, sondern ist in einem vollständigen Lernprozess in jeder Phase eine Möglichkeit zu lernen, insbesondere für das junge Kind.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Frage des Lernens im Spiel im Kontext der Schule erörtert und es wird mit einem spielpädagogischen Blick auf das didaktische Dreieck eine didaktische Grundlage geschaffen, die es möglich macht, sich mit dem Lernen im Spiel aus verschiedenen Perspektiven auseinanderzusetzen, sodass das Lernen im Spiel als selbstverständlicher Teil einer kompetenzorientierten Lernkultur der Volksschule verstanden werden kann. Das didaktische Modell soll dazu anregen, sich mit der Qualität der spielpädagogischen Arbeit, aber auch mit der Qualität des Spiels der Kinder und damit des Lernens systematisch auseinanderzusetzen. Dieser Teil schliesst mit der Beschreibung eines Förderkreises. Anhand von sechs Stationen wird beschrieben, wie Lehrpersonen Lernen im Spiel begleiten und dokumentieren können, um so nicht nur über das Erreichen von Kompetenzen nachzudenken, sondern im Sinne eines spiralförmigen Kompetenzaufbaus nächste Arbeitsschritte zu planen. Die Beschreibung der sechs Stationen des Förderkreises wird durch Praxishilfen ergänzt, die die Umsetzung im Unterricht unterstützen sollen.

Die Praxishilfen sind mit folgenden Icons gekennzeichnet:

Fragestellungen zur Planung (Grundlage für alles, auch für Sternstunden)

Erfahrungswissen und Tipps (zündende Ideen)

Theoretische Erklärungen oder Beschreibungen von Hilfsmitteln (für an weiteren Facetten Interessierte)

Der zweite Teil des Buches enthält Einblicke in sechs Praxisprojekte, die im Kindergarten, in der Basisstufe oder in der 1. und 2. Klasse in Schulen der Deutschschweiz umgesetzt wurden. Das Lernen im Spiel wurde für das kompetenzorientierte Lernen in verschiedenen Fächern fruchtbar gemacht. Die Planung der Projekte erfolgte entlang der im Förderkreis beschriebenen Stationen. Die Artikel zeigen, wie anforderungsreich und spannend Spielsituationen für Kinder sein können und wie herausfordernd im Gegenzug die spielpädagogische Arbeit der Lehrpersonen ist.

Die Realisierung dieses Buches wäre nicht möglich gewesen ohne die engagierte Mitarbeit vieler Personen. Ein herzliches Dankeschön geht an die Dozentinnen und Dozenten der beiden Pädagogischen Hochschulen Zug und Luzern, die mit viel Enthusiasmus die Projekte an den Schulen geplant, durchgeführt und ausgewertet haben. Ein besonderer Dank geht an alle involvierten Lehrpersonen und an die Kinder, die sich auf die Spielsituationen eingelassen, sie genutzt und kreativ weiterentwickelt haben – und manchmal auch deutlich zu spüren gegeben haben, wenn eine Tätigkeit definitiv keine spielerische mehr war (mit Aussagen wie «So, jetzt habe ich genug gearbeitet» oder «Das war streng, ich bin jetzt müde»).

Die Themen des Buches wurden wiederholt in der Arbeitsgruppe Kindergarten/Unterstufe der beiden Hochschulen Luzern und Zug diskutiert. Wir möchten an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen danken, die an diesen Treffen teilgenommen haben und mit ihrem Interesse, ihrem Wissen und ihrer Erfahrung die Entstehung des Buches kritisch-konstruktiv begleitet haben. Abschliessend geht ein besonderer Dank auch an unsere Partner und Kinder, die mit ihren oft direkten Fragen eine spielerische Leichtigkeit in die Arbeit gebracht haben, manchmal aber auch mit nicht nur gespieltem Ernst darauf hingewiesen haben, dass es noch andere wichtige Dinge gibt im Leben.

Luzia Bürgi, Zug und Lucia Amberg, Luzern, im November 2022

Teil 1

Didaktik des Spiels

1 Spielförderung in der Schule

Luzia Bürgi & Lucia Amberg

1.1 Lehren und Lernen im Zyklus 1

Kindergarten und Schule haben mit Blick auf das Lehr- und Lernverständnis unterschiedliche Vergangenheiten. Während die Schule sich aus der Tradition heraus stärker an der Sache orientiert und damit an der Frage, was das Kind zu lernen hat, orientiert sich der Vorschulbereich traditionsgemäss an der Frage, wie sich das Kind entwickelt und wie diese Entwicklung unterstützt werden kann. Dass sich diese verschiedenen Perspektiven in unterschiedlichen Organisationsformen öffentlicher Bildung niederschlug, hat eine gesellschaftspolitische und somit auch normative Dimension. Unabhängig davon ist die Tatsache, dass Kinder im Alter von vier bis acht Jahren in allen Bereichen enorme Lern- und Entwicklungsschritte machen (Ehm et al. 2017). Diese Lern- und Entwicklungsschritte erfolgen oft in spielerischen Situationen; dies zeigt nicht nur die Praxis, sondern auch die Forschung (Calliess 1975; Di Sario et al. 2020; Einsiedler 1999; Ėl'konin 2010; Flitner 2011; Gross 1899; Hauser 2021; Heckhausen 1964; Vygotsky 1967). In diesem Kapitel wird eine Didaktik des Spiels vorgestellt, welche versucht, das «Wie» (Entwicklungsperspektive) mit dem «Was» (Kompetenzperspektive) zu verbinden und die verschiedenen Dimensionen des Lernens im Spiel zu beleuchten, damit sich Lehrpersonen professionelle spielpädagogische Kompetenzen aufbauen können, um 4- bis 8-jährige Kinder, also Kinder im Zyklus 1, in ihrem Lernen und ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Junge Kinder lernen hauptsächlich implizit (unbewusst) und inzidentell (beiläufig, nicht zielgerichtet), was sich oft in spielerischen Tätigkeiten zeigt. Wenn nun spielpädagogisches Handeln einer didaktischen Struktur unterworfen wird, könnte in gewisser Weise von einem Widerspruch gesprochen werden. Obwohl der Verlauf eines Spiels nicht planbar ist, braucht es trotz allem eine sorgfältige Vorbereitung, die so gestaltet ist, dass sie bei der Spielbegleitung genügend Offenheit und Sensibilität gegenüber der kindlichen Tätigkeit gewährleistet. «Die Nichtplanbarkeit des kindlichen Spiels verlangt deshalb eine Didaktik, die vor allem die Voraussetzungen aufzeigt, unter denen kindliches Spiel zu erwarten und zu fördern ist» (Höltershinken 1993, 169). Auch Heimlich betont, dass eine Spieldidaktik ein Planungsmuster vorlegen muss, welches ein vorausschauendes Denken in Alternativen ermöglicht. Ausgehend von den Interessen und Bedingungen der Kinder gilt es, mögliche Spieltätigkeiten der Kinder gedanklich durchzuspielen, um mit der Spielsituationsgestaltung Voraussetzungen für «gelingenderes Spiel» zu schaffen (Heimlich 2015, 221).

Wie ist die Schuleingangsphase in der Schweiz geregelt?

Der Kindergarten war in der Schweiz ursprünglich eine vorschulische Einrichtung. Bestrebungen zur Harmonisierung der obligatorischen Schule in der Schweiz führten 2007 zu einer interkantonalen Vereinbarung («HarmoS-Konkordat»), in der Bestimmungen zur Einschulung, zur Dauer der Bildungsstufen und zur Zielharmonisierung festgelegt sind (Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 2011). Eine Mehrzahl der Kantone ist dem Konkordat beigetreten. Der Kindergarten gehört seither offiziell zur obligatorischen Schulzeit. Er wird in den meisten Kantonen einjährig oder zweijährig geführt bzw. besucht. Die Kinder sind in der Regel zwischen vier und sechs Jahre alt. Nebst dem Kindergarten bieten einige Kantone auch altersgemischte Eingangsstufen an (gemeinsamer Unterricht von 4- bis 7- bzw. 4- bis 8-jährige Kindern, siehe Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren 2019).

1.2 Funktion und Verortung einer Spieldidaktik

In diesen Ausführungen interessiert weniger das gesamte Lehr- und Lernsetting, in das das Spiel im schulischen Kontext eingebettet werden kann. Vielmehr geht es um die Frage der Qualität der einzelnen kompetenzfördernden Spielsituation und darum, wie diese geplant, begleitet und dokumentiert werden kann, ohne dabei das Spiel der Kinder pädagogisch-didaktisch zu übersteuern und damit allenfalls zu verhindern. Vielmehr soll es im Sinne von Doyle (1983) darum gehen, nicht nur die Oberflächenstruktur einer Spielsituationen zu betrachten, sondern auch deren Tiefenstruktur. Unter spielpädagogischem Denken und Handeln wird die Kompetenz verstanden, Oberflächen- und Tiefenstrukturen von Spielsituationen wahrzunehmen und entsprechend spielpädagogisch zu handeln. In Anlehnung an Heimlich (2015, 204 ff.) lassen sich zwei grundlegende spielpädagogische Handlungsmuster beschreiben. Sie zeigen das Spektrum an Einwirkung der Lehrperson, das von der blossen Unterstützung durch die Spielsituationsgestaltung bis hin zur spielerischen Einkleidung einer Lernaufgabe geht. Die Spielpädagogik im engeren Sinn hat das Ziel, spielerische Tätigkeiten zu planen und zu begleiten, die das Spiel als Ziel fokussieren. Die Spielpädagogik im weiteren Sinn befasst sich mit spielerischen Tätigkeiten, die dem Spiel als Mittel zum Zweck dienen. Dabei werden Lernaufgaben mit spielerischen Elementen ausgestattet, um das fachliche und überfachliche Lernen zu unterstützen. Mit der englischen Begrifflichkeit von «play» und «game» lassen sich die beiden Bereiche «Spiel als Ziel» (play) und «Spiel als Mittel» (game) akzentuieren.

Grundlegende spielpädagogische Handlungsmuster

(Darstellung Heimlich, 2015, 217 mit Ergänzungen der Autorinnen)

1.2.1 Spieldidaktische Überlegungen basieren auf dem Bottom-up-Prinzip

Johann Friedrich Herbart warf 1841 in seinen pädagogischen Vorlesungen anhand eines schlichten Modells wichtige Fragen auf, um über gelingenden Unterricht nachzudenken. Er nennt drei Pole, die zueinander in Beziehung stehen und die in gleicher Weise dafür verantwortlich sind, dass «der Unterricht in den rechten Gang komme» (Herbart 1982, S. 202). Es sind dies: die Lehrperson, die Lernenden und der Lerngegenstand. Dieses «didaktische Dreieck» ist bis heute Ausgangspunkt vielfältiger unterrichtstheoretischer Reflexionen.

Da es bei der Arbeit mit jungen Kindern essenziell ist, von den Interessen und den Erfahrungen der Kinder auszugehen, um Lernprozesse anzuregen, setzt Neuss (2014) das Kind an die Spitze des didaktischen Dreiecks – anstelle des Lerninhalts beziehungsweise der Lehrperson (wie z. B. bei Jank und Meyer 2011; Reusser et al. 2010). Neuss setzt damit das Primat der Kinderorientierung bei der Arbeit mit jungen Kindern um und spricht folgerichtig von einer «Bottom-up-Didaktik» (die sich am Kind orientiert) im Gegensatz zu einer «Top-Down-Didaktik» (die sich am Lerngegenstand oder an der Lehrperson orientiert). Die «Bottom-up-Didaktik» folgt Erkenntnissen, dass es im Bereich der frühen Bildung didaktische Konzepte braucht, die das formale mit dem nonformalen oder informellen Lernen zu verbinden vermag (Tomasello und Schröder 2020, 17), sowie Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie wie beispielsweise die Bedeutung des Vorwissens für das Lernen (Ehm et al. 2017; Hasselhorn und Gold 2017). Die verschiedenen Lebenswelten und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Erfahrungswelten sind also Grundlagen für die Unterrichtsplanung, wie auch Fragen der Kinder, im Vorfeld und im Verlaufe eines Lernprozesses, zentrale Bezugspunkte sind.

Bühler-Niederberger et al. (2014) sprechen ihrerseits von der Notwendigkeit einer «Upside-down»-Didaktik» und wollen damit zum Ausdruck bringen, dass die soziale und die kulturelle Umwelt des Kindes bei der Weltaneignung eine Einheit bilden, die bei der Gestaltung von Spiel- und Lernumgebungen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden darf. Die Schlussfolgerung für die Gestaltung eines lernförderlichen Unterrichts ist daher, dass Kinder lebensnahe und für sie bedeutsame Lerninhalte brauchen, an denen sie aktiv teilhaben können. Konkret bedeutet dies auch, dass selbst Themen und die damit verbundenen Lerngegenstände aus stufenspezifischen Lehrmitteln geprüft und wenn nötig situationsbezogen adaptiert werden müssen.

Auf welchem Bildungsverständnis basiert der Lehrplan 21?

Im Zusammenhang mit Harmonisierungsbestrebungen für die obligatorische Schule wurde für die Deutschschweiz ein gemeinsamer Lehrplan entwickelt (in der Folge: Lehrplan 21, siehe https://v-ef.lehrplan.ch). Die im Verlaufe der obligatorischen Schulzeit zu erreichenden fachlichen und überfachlichen Kompetenzen sind in drei Zyklen aufgeteilt. Im Zyklus 1 sind die Kinder in der Regel im Alter zwischen 4 bis 8 Jahren. Um den entwicklungs- und lernpsychologischen Besonderheiten des 4- bis 8-jährigen Kindes Rechnung zu tragen, wurde der Kompetenzaufbau im Zyklus 1 nicht ausschliesslich auf der Grundlage einer Fachorientierung verfasst, sondern es wurde auch die Entwicklungsorientierung in den Blick genommen (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz 2017a, 25). Ebenfalls wird in den Grundlagen zum Lehrplan 21 für den Zyklus 1 darauf hingewiesen, dass Kinder in diesem Alter Spielen und Lernen als Einheit erleben und dass dem Spiel im Unterricht somit eine wichtige Bedeutung zukommt (ebd., 24–25).

1.3 Lernen und Entwicklung im Spiel

In den folgenden Ausführungen wird auf ausgewählte theoretische Konzepte hingewiesen, die für das Verständnis von Lernen und Entwicklung im Spiel, wie es in der Spieldidaktik, die in diesem Buch beschrieben wird, grundlegend sind. Ausgangspunkt ist dabei in Anlehnung an Heimlich (2015) die Annahme, dass Lernen im Spiel keinem vorstrukturierten Lernprozess folgt, sondern vielmehr auf Wechselwirkungen beruht, die sich im Verständnis einer «ökologische Orientierung» zwischen Person, Spielobjekt, Raum, Zeit und Umwelt abspielen.

1.3.1 Mehrperspektivische Betrachtungsweise

Je nach Erkenntnisinteresse werden in theoretischen Konzepten unterschiedliche Aspekte mit Bezug auf das Spiel in den Blick genommen, wie zum Beispiel die Bedeutung des Spiels für die kognitive Entwicklung bei Piaget (Piaget 1969/2003) oder die Bedeutung des Spiels für die Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit des Menschen (z. B. Freud 1920/2010).

Die Spieltätigkeiten der Kinder sind so komplex und vielschichtig, dass davon auszugehen ist, dass bei einer Spieltätigkeit selten nur ein einzelner, beispielsweise kognitiver Aspekt zum Tragen kommt. Deshalb fordert Heimlich eine multidimensionale Sichtweise auf das Spiel (2015, 57ff.). Multidimensionale Ansätze setzen verschiedene Ebenen und Aspekte zueinander in Bezug. Als Beispiel dazu kann das Modell der expliziten Spielmerkmale nach Burghardt (2011) genannt werden. Es beschreibt nicht nur Erkennungsmerkmale von Spiel (wie das Spielgesicht, welches deutlich macht, dass es sich beim «So-tun-als-ob» um spielerische Aktivitäten handelt), sondern setzt diese auch zu Umweltbedingungen in Beziehung. So sind Spielbedingungen wie Spielraum und Spielzeit Marker für Spieltätigkeiten: die Tätigkeit in der 10-Uhr-Pause auf dem Pausenplatz ist Spiel, wie auch der Anpfiff eines Volleyballmatches symbolisiert, dass nun auf dem abgesteckten Feld bis zum Erreichen der notwendigen Punkte gespielt wird (Hauser 2021, 42).

1.3.2 Merkmale des Spiels

Obwohl Spiel ein alltägliches Phänomen ist, ist es schwierig zu beschreiben: «Spiel entzieht sich auf eine faszinierende Weise dem Versuch einer einfachen Beschreibung oder analytischen Eingrenzung: Innerhalb der Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Didaktik konkurrieren verschiedene Beschreibungen und Definitionsversuche. Es ist bisher nicht gelungen, einen Konsens über das Phänomen zu formulieren, das für viele Menschen alltäglich ist (Klager 2016, 21). In der jüngeren Definitionsgeschichte von Spiel zeichnet sich die Veränderung hin zu einer Beschreibung von Merkmalen heraus, die allesamt vorliegen müssen, damit eine Tätigkeit als Spiel interpretiert wird (exklusiver Spielbegriff, siehe Hauser 2021, 17–23). Die fünf Merkmale für Spiel nach Burghardt (2011) wurden von Hauser im Hinblick auf die Wichtigkeit ihrer Funktion für substanzielles und nachhaltiges Lernen im Spiel ausführlich beschrieben und belegt (Hauser 2021, 23–85). Nachfolgend werden sie kurz umrissen.

Unvollständige Funktionalität: Eine Handlung darf nicht absolut funktional sein (z. B. Familienecke ist nach dem Putzen nicht tatsächlich sauber), um als Spiel zu gelten, auch wenn ein späterer Nutzen (z. B. effizient und sauber putzen zu können) eintritt. Spieltätigkeiten zeigen oft Teilfunktionalität (mit echtem Besteck hantieren, jedoch das Essen zu mimen). Ziel ist der Spass an einer Tätigkeit und nicht ein damit verbundener funktioneller Nutzen.

So-tun-als-ob: Das Als-ob zeigt sich in unvollständigen, übertriebenen, oft auch ungeschickten Verhaltensweisen und in der Verfremdung von Dingen und Personen. Es beinhaltet Verhaltensmuster mit vielen auch unwirklichen Variationen. Beim Essen-Spielen wird beispielsweise kaum gekaut, die Spielabfolgen sind oft nicht logisch und vieles mehr. Ein-So-tun-als-ob wird an sogenannten Markern erkannt, beispielhaft sind das Spiel-Gesicht (zeigt, dass es nicht ernst gemeint ist) und übertriebene Bewegungen.

Positive Aktivierung: Spiel findet freiwillig statt, es entsteht oft auch spontan und genügt sich selbst. Im Zentrum steht die Lust am Tun und nicht das Erreichen eines Ziels. Die Spielenden sind in höchstem Masse fokussiert und gehen ganz in ihrer Beschäftigung auf (motivationspsychologisch als «Flow-Erleben» beschrieben, Csiksentmihalyi 1996). Die positive Aktivierung ergibt sich auch durch die Wahlfreiheit sowie die Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit des Spielverlaufs. Durch eine bejahende Haltung dem Spiel gegenüber unterstützen Erwachsene diese positive Aktivierung.

Wiederholung und Variation: Das Spiel zeichnet sich dadurch aus, dass Wiederholungen und Variationen möglich sind und auch erfolgen (z. B. das Puppenhaus oder der Bauernhof werden immer wieder neu eingerichtet). Es gibt keinen vorgefertigten Spielplan, was das Spiel besonders reizvoll macht.

Entspanntes Feld: Gespielt wird vor allem dort, wo die primären Bedürfnisse gedeckt sind. Exploration geht dem Spiel voran. Neugier führt das Kind zur Exploration, durch das Explorieren wird die unsicherheitserzeugende Fremdheit abgebaut. Ist etwas vertraut, entspannt sich das Feld und es kann gespielt werden.

Wie viel Zeit braucht lernförderliches Spiel?

Das Merkmal «Wiederholung und Variation» kann erst zum Tragen kommen, wenn genügend Spielzeit zur Verfügung steht. Im IEA Preprimary Project, einer internationalen Studie mit 800 Kindern aus 10 Ländern, die zwischen 1986 und 2006 durchgeführt wurde, zeigte sich, dass die Spieldauer in freien Sequenzen nie kürzer als 45–60 Minuten sein sollte, weil die Kinder Zeit brauchen, um ins Spiel zu kommen und auf hohem Niveau zu spielen. Sie brauchen die Zeit zum Nachdenken und Reagieren, um Rollen und Regeln auszuhandeln oder sich auf Spielinhalte zu einigen. Auch das Planen und Konstruieren von Bauwerken braucht Zeit oder das Wiedereinbinden dieser Produkte ins Rollenspiel (Christie und Wardle 1992; Montie et al. 2007).

1.3.3 Inhaltlich offene und variable Deutungen

Kinder setzen sich im Spiel selbstbestimmt mit der Umwelt und gleichzeitig mit sich selbst auseinander. Beim Spiel verändert das Kind nicht nur seine Umwelt, auch es selbst verändert sich durch sein eigenständiges Handeln in seiner Umwelt. Das Spiel nährt sich sozusagen von den sich immer wieder verändernden Situationen, dies auf Seiten des Kindes wie auch auf Seiten der Umwelt (Mogel 2008, 9–10). Dabei lernt das Kind, sich der Welt zu nähern und sich zugleich als eigenständige Person von ihr zu distanzieren. Die im Spiel beobachtbare Hin- und Herbewegung zwischen Spielwirklichkeit und Alltagswirklichkeit lässt für das Kind kreative Möglichkeiten offen. Im Spiel kann eine von allen geteilte Bedeutung einfach ausser Kraft gesetzt werden. So deuten Kinder eigenwillig und lustvoll soziale Wirklichkeiten um oder schreiben Gegenständen neue Eigenschaften zu (Heimlich 2015, 65 ff.). Spielsituationen enthalten somit subjektiv geprägte Deutungen. Ausgehend von einer inhaltlichen Offenheit können im Spielraum, mittels Spielmaterial, Spielpartnerinnen und Spielpartnern sowie Spielhandlungen eigene Welten erschaffen werden, die weltoffen, inhaltlich variabel und flüchtig sind, ohne dabei den Realitätsbezug zu verlieren: «Spielsituationen entstehen somit in einem Spannungsverhältnis zwischen der zur Welt hin unverbindlichen und der zur Welt hin offenen Sinngebung» (Heimlich, 2015, 69). Spielprozesse sollten daher nicht einfach auf vorgegebene Kompetenzen oder Ziele ausgerichtet werden und Spielergebnisse auch nicht entlang vorgegebener Normen bewertet werden. Hingegen sollten die eigenwilligen Deutungen des Kindes beachtet werden, weil sie Auskunft darüber geben, was das Kind bewegt und wie es die Welt versteht.

1.3.4 Individuelle Entwicklungsmöglichkeiten

Spiel schafft individuelle Entwicklungsmöglichkeiten. Insbesondere halten die laufend wechselnden Voraussetzungen die Dynamik und damit die Spannung im Spiel aufrecht und treiben es voran (Mogel 2008). Dies führt das Kind zu einer immer differenzierteren Wahrnehmung seiner selbst und seiner Umwelt. Der daraus folgende rasche «Wandel der Spielziele» (Mogel 2008, 11) beeinflusst die Dynamik des Spiels äusserst positiv: Das Spielen selbst macht neugierig, es schafft eine positive Anspannung und wird in der Motivationspsychologie auch als Flow bezeichnet (Csiksentmihalyi 1996). Durch die individuellen Erfahrungen bekommt das Spiel für das Kind einen «persönlichen Wert» (Mogel 2008, 11). Die hohe Zielfluktuation weist nicht nur auf die ausgeprägte kognitive und emotionale Flexibilität des kindlichen Denkens und Fühlens hin, sondern auch auf einen grossen Anteil an Selbstentfaltung, die das Spiel ermöglicht. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Kinder beim Spielen als über der Sache stehend erleben. Das Erleben der eigenen Kompetenz im Spiel führt dazu, dass das Kind dem Spiel einen hohen persönlichen Wert beimisst, was wiederum dazu führt, dass es stark motiviert ist, zu spielen (Deci und Ryan 1993). Baumert & Kunter (2006) weisen ausserdem darauf hin, dass die erwähnte Zielfluktuation nicht möglich wäre, wenn keine selbstregulativen Komponenten vorhanden wären. Wenn für junge Kinder das Zeigen selbstregulativer Kompetenzen im Alltag oft anspruchsvoll ist, fällt ihnen dies im Spiel sehr viel leichter, da sie die Umwelt durch ihr eigenes Tun beeinflussen und kontrollieren können und sich zugunsten des Spielflusses und des Flows, den sich laufend verändernden Spielzielen hingeben können. Jedoch können Momente der «Selbstentfaltung», die das Kind beispielsweise beim Funktionsspiel als positiv erlebt, auch jäh beendet werden, indem beispielsweise so übertrieben wird, dass etwas in die Brüche geht oder die Lehrperson Einhalt gebieten muss, weil es zu gefährlich wird. Das Kind erfährt so, dass Selbstentfaltung äussere Grenzen hat (Mogel 2008, 12).

Spiel schafft individuelle Entwicklungsmöglichkeiten (Mogel 2008, 12, mit Ergänzung)

1.3.5 Selbst- und Fremdwahrnehmung

Im Spiel lernen die Kinder nicht nur die Perspektive anderer zu übernehmen, sie entwickeln auch gemeinsame Perspektiven und sie lernen, die eigene Perspektive wieder davon abzugrenzen. Kinder sind prinzipiell interessiert an anderen Kindern als potenziellen Spielpartnern. Kron (2013) sieht in dieser kindlichen Unvoreingenommenheit «das grösste Potenzial integrativer Prozesse». Diese Unvoreingenommenheit macht es möglich, eine «Akzeptanz der Unterschiede» zu entwickeln. Beim Spielen lernt das Kind sich selbst kennen; indem es sich durch die Brille der Mitspielenden wahrnimmt, erfährt es, wie die Anderen es sehen. Das zeigt sich beispielsweise im Rollenspiel, wenn es darum geht, unterschiedliche Wünsche, Vorstellungen und Deutungen in ein gemeinsames Spielthema einzubinden. Viele Spielsituationen kommen erst zustande, wenn die Kinder bereit sind, ihre sozialen Interaktionen auch aus der Perspektive des Gegenübers zu betrachten. Auf diese Weise lernen sie zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung zu unterscheiden, was die Entwicklung der Theory of Mind unterstützt.

Wie und wann lernen junge Kinder andere verstehen?

Unter Theory of Mind wird die Fähigkeit verstanden, sich selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben. Kinder entwickeln im Alter zwischen drei und fünf Jahren ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen mentalen Zuständen und Handlungen, mit etwa vier Jahren verstehen sie, dass Personen aufgrund von Überzeugungen handeln, diese Überzeugungen jedoch auch falsch sein können. Ebenfalls in diese Zeit fällt die zunehmende begriffliche Differenzierung zwischen etwas, was Realität ist, und etwas, was nur den Anschein macht, dies zu sein (Beispiel: eine Kerze in Apfelform). In diesem Alter sind Kinder erstmals dazu fähig, bewusst zu täuschen und zu lügen. Dieses bewusste Täuschen kann beispielsweise in Spielsituationen gewinnbringend eingesetzt werden (Bischof-Köhler 2011; Ehm et al. 2017, 87 ff.; Lohaus und Vierhaus 2015, 121 f.).

1.3.6 Metakognitive Strategien

Der Begriff Metakognition ist ein Sammelbegriff für Phänomene, die das eigene Denken und Lernen und die Reflexion darüber betreffen. Metakognitive Strategien zielen auf das Wissen und die Kontrolle über das Planen, Überwachen und Regulieren des eigenen Wissens und Lernens (Ehm et al. 2017, 65 f.; Hasselhorn 1992). Junge Kinder haben bereits Vorstellungen von metakognitiven Strategien, aber sie können diese erst mit etwa 9 Jahren gezielt nutzen (Ehm et al. 2017). Gerade deswegen sind implizite Nutzungen im Kontext des Spiels wichtige Lernfelder. In der Folge werden metakognitive Aspekte beschrieben, die im Kontext des Lernens im Spiel auch implizit wichtig werden können.

Selbstregulation: Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, eigene Gedanken, Emotionen und Handlungen zielgerichtet zu steuern (Zimmermann 2000). In der entwicklungspsychologischen Literatur finden sich unter anderem auch Arbeiten über sogenannte Vorläufer der Selbstregulation als Teil der metakognitiven Fähigkeiten. Bruner (1985) versteht das Spiel junger Kinder selbst als Vorläufer der Metakognition, weil dabei viele der mit Metakognition verbundenen Erfahrungen bereits zum Zuge kommen.

Private Speech als Form der Selbstregulation: Das «laute Sprechen junger Kinder zu sich selbst» (engl. «private speech»), gilt als frühe Form der Selbstregulation. Wygotski (1979) stellte fest, dass Kinder vor allem dann zu sich selbst sprechen, wenn sie vor schwierigen Aufgaben stehen, die ein Nachdenken erfordern, und sie diese Selbstgespräche zur Selbstregulation des Denkens nutzen (Wygotski 1979, zit. in Gisbert 2004, 143). Im Alter von vier bis acht Jahren führen Kinder häufig Selbstgespräche zur Unterstützung des Denkens (Berk und Landau 1993; Bivens und Berk 1990).

Bedeutung mentaler Verben: Bereits Fünfjährige können über ihre Denkfähigkeiten wenn auch nur unbewusst reflektieren. Dies zeigt sich, indem sie Verben wie «wissen», «vergessen», «erinnern» oder «raten» nutzen. Entwicklungen sind beobachtbar, insofern Verben wie «lernen», «lehren», «erklären», «erinnern» von fast allen Fünfjährigen richtig genutzt werden, während nur die Hälfte der Sechsjährigen Verben wie «glauben», «verstehen» oder «voraussagen» richtig nutzen können (Schraw et al. 2006).

Distanzhalten als Kontrollkomponente: Grundsätzlich ist Spiel nicht als bewusst reflexive Tätigkeit zu verstehen. Beim Spiel gelingt es jedoch dem Kind, eine gewisse Distanz zur inhaltlichen Problemlösung zu halten, weil die Mittel-Zweck-Relation gelockert ist. Ohne Erwartungsdruck kann es freier ausprobieren und kombinieren (Bruner, 1985, 603 zit. in Gisbert 2004, 149–150).

Vertrautheit motiviert zum problemlösenden Denken: Eine experimentelle Studie (Sylva et al. 1976 zit. in Gisbert 2004, 150) zum problemlösenden Verhalten zeigt, dass das spielerische Vertrautwerden mit Materialien dem Kind Vorteile verschafft beim problemlösenden Handeln. Die Kinder zeigen sich weniger rasch frustriert als die Kontrollgruppe und verbeissen sich weniger in die Aufgabe, was vom flexiblen Denken abhält. Zudem zeigt sich, dass die Kinder, die durch das Spielen mit dem Material vertraut sind, mehr Hypothesen über die Problemsituation bilden und unbrauchbare Hypothesen schneller verwerfen als die Kontrollgruppe. Während die materialvertrauten Kinder das Feedback der Lehrperson als Ansporn zum Weitermachen verstanden, suchen jene der Kontrollgruppe soziale Anerkennung und Selbstbestätigung. Auch das zeigt, dass die Vertrautheit mit dem Material die Aufgabenorientierung verstärkt.

Metakommunikation und Metaspiel: Spiel schafft Lernsituationen, die metakognitive Defizite ausgleichen, weil Kinder im Spiel immer wieder auf eine Metaebene wechseln, um den weiteren Spielverlauf zu besprechen (wer welche Rolle übernimmt, wie das Spiel weitergeht, oft unter Verwendung des Markers «Ich wäre jetzt … die Mama») (Hauser 2021, 186 f.).

Gemäss Fried beansprucht das Metaspiel oft bis zu einem Fünftel der Spielzeit (Fried 2004). Das Anwenden von metakognitiven Strategien kann gefördert werden, indem das Nachdenken über Aktivitäten im Rahmen von lebensnahen handlungsorientierten Aufgaben explizit angeregt wird (Pramling Samuelsson 2007). Die Kinder lernen so über gemachte Erfahrungen nachzudenken und Spielerfahrungen zu reflektieren. Diese Reflexion kann beispielsweise mit den im Buch erwähnten Dokumentationsverfahren unterstützt werden.

1.3.7 Entwicklungsbesonderheiten junger Kinder

Selbstkonzept

Kinder zwischen vier und acht Jahren haben in der Regel ein sehr positives Bild von ihren Fähigkeiten, dies wird auch als «kindlicher Überoptimismus» bezeichnet (Hasselhorn 2005). Der kindliche Überoptimismus ist ein wichtiger Motivator, damit sich junge Kinder an Neues heranwagen. Er hängt damit zusammen, dass Kinder noch keinen Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen und den eigenen Kompetenzen erkennen. Erst im Alter von etwa acht Jahren werden die eigenen Kompetenzen realistischer eingeschätzt, was nicht nur mit einer zunehmend expliziten Fremdbeurteilung durch die Lehrpersonen zu tun hat, sondern auch mit dem zunehmenden Verständnis des Kindes für die Wechselwirkungen zwischen den eigenen Fähigkeiten, der eigenen Anstrengung und der erbrachten Leistung (Ehm et al. 2017, 71f.).

Magisches Denken

Das junge Kind verfügt über zwei Weltsichten, die simultan nebeneinander existieren können: die realistisch-naturalistische Weltsicht und animistisch-magische Weltsicht (Mähler 2005). Das magische Denken kann als Chance verstanden werden, sich mit der Vielgestaltigkeit der Welt auseinanderzusetzen und in anspruchsvollen, unklaren oder undurchschaubaren Situationen kreative Lösungen zu finden. Das Eintauchen in die Welt der Geschichten und Märchen, das sich insbesondere im Symbol-, Fantasie- und Rollenspiel zeigt, ist Ausdruck einer besonderen Kompetenz des jungen Kindes. Wenn Spiel fantastische oder «So-tun-als-ob»-Aspekte beinhaltet, können zudem in verschiedenen Kompetenzbereichen grössere Fortschritte erzielt werden (Weisberg und Hopkins 2020). In Fantasiegeschichten tritt Unerwartetes auf, es kommt wiederholt zu Erwartungszerstörungen und Überraschungen, was für das Lernen höchst bedeutsam ist, da es nicht nur die Flexibilität, sondern die Aufmerksamkeit und die Konzentration erhöht (Hauser 2021, 189 f.).

1.3.8 Spielformen und ihre entwicklungsrelevanten Funktionen

Die verschiedenen Konzepte über die Entwicklung des Spiels und der Spielformen sind im Wesentlichen vergleichbar. Alle Modelle zeigen, dass eine Spielform in einer bestimmten Entwicklungsphase des Kindes dominanter ist als andere. Zudem wird deutlich, dass den einzelnen Spielformen gewisse entwicklungsrelevante Funktionen zugeordnet werden können.

Viele Spielentwicklungsmodelle folgen einem Stufenmodell, das Spielformen beschreibt, die sich durch bestimmte Entwicklungsprinzipien kennzeichnen. Zudem kann jeder Spielform auch ein entwicklungsorientiertes Förderpotenzial zugeschrieben werden (Heimlich 2015, 32 ff.). Im Verständnis von Mogel (2008, 137 f. und 235 f.) entwickeln sich Spielformen nicht als eigenständige oder kumulierende Kategorien, sondern Emergenzen (Eigenschaften, die nicht aus den bestehenden interagierenden Elementen heraus vorhergesagt werden können, sondern in unvorhersehbarer Weise neu erscheinen) einer bestimmten Spielform gehen synergetisch in neuartige Spielformen über (Eis-Modell der Entwicklung von Spielformen). Das heisst, eine anspruchsvollere Spielform entwickelt sich aus den Synergien bestimmter strukturbildender Emergenzen, die sich aus psychischen Kräften (Triebe, Affekte, Emotionen, Motivation) und Funktionen (Wahrnehmung, Kognition, Sprache, Handlungen) zusammensetzen. Diese psychodynamischen Vorgänge erzeugen alle Spielformen im Entwicklungsverlauf des Kindes, angefangen beim Funktionsspiel bis hin zum Regelspiel. Spielformen können deshalb frei kombiniert auftreten, immer abhängig davon, wie sich das Kind auf das Spielenlernen einlässt.

Die Bezeichnung der einzelnen Spielformen variiert je nach verwendeter Bezugsliteratur etwas. Nach Mogel (2008, 137 ff.) sind es folgende Spielformen: Funktionsspiel, Experimentierspiel, frühes Symbolspiel, Konstruktionsspiel, ausdifferenziertes Symbol- und Rollenspiel, Regelspiel. Beispielsweise versucht ein Kind mit Funktionsspielen nicht nur seine Funktionslust zu befriedigen, sondern es zeigt Interesse am Verstehen von physikalischen Merkmalen. Diese Fähigkeit zur Merkmalsanalyse ermöglicht es dem Kind, in einem Holzklotz die wichtigsten Merkmale eines Autos zu erkennen. Es kann also verstehen, dass ein Gegenstand symbolisch für einen andern stehen kann. Anspruchsvollere Rollenspiele werden erst möglich, wenn Kinder beispielsweise über das Konstruktionsspiel gelernt haben, Dinge kombiniert zu manipulieren. Wenn sich also die Fähigkeit zu Symbolhandlungen als auch kombinatorische Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grad entwickelt haben, können sie für die Ausgestaltung von Rollen, Spielhandlungen und Spielabsichten oder für die Spielraumgestaltung genutzt werden.

Eis-Modell: Entwicklung der Spielformen (Mogel, 2008, 137)

2 Spieldidaktik: Die Lehre vom Begleiten und Lernen im Spiel

Luzia Bürgi & Lucia Amberg

Mithilfe des didaktischen Dreiecks soll nun versucht werden, die wesentlichen Komponenten von Spielprozessen und deren Wechselwirkungen darzustellen und sich über die Prozesse und Abhängigkeiten Gedanken zu machen. Weiter soll deutlich werden, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Lernen im Spiel nicht nur auf einer Oberflächenstruktur (Was tut wer mit wem, wie und womit?) bewegt, sondern auch die Tiefenstruktur (Vorwissen, Entwicklungsaufgaben, Emotionen, Lernprozesse usw.) von Bedeutung ist.

2.1 Ein didaktisches Modell für das Lernen im Spiel

Im hier vorgestellten didaktischen Modell stehen «Kinder», «Lehrpersonen» und «Sache» in einer Wechselbeziehung. Kompetentes Verhalten, also «Performanz» – sowohl der Kinder wie auch der Lehrpersonen – zeigt sich, wenn professionelles spielpädagogisches Handeln der Lehrperson das Lernen im Spiel der Kinder begünstigt. Für den Aufbau professionellen spielpädagogischen Handelns braucht es Kompetenz (Baumert und Kunter 2006) sowohl bezogen auf die drei Pole «Kinder», «Lehrperson» und «Sache» als auch hinsichtlich der verbindenden Dimensionen «Spielsituationsgestaltung», «Spielbegleitung» und «Spieltätigkeit». Die drei Dimensionen «Spielsituationsgestaltung», «Spielbegleitung» und «Spieltätigkeit» beeinflussen je nach Ausprägung das Spielgeschehen; ihre Qualität und Intensität wird vor allem bei der Nutzung der spielpädagogischen Handlungsfelder sichtbar. Einer Spielsituation eigen ist, dass sowohl Kinder als auch Lehrpersonen den Spielprozessverlauf steuernd und initiierend beeinflussen können. Die Unterstützung von interessengeleitetem Spiel stellt hohe Anforderungen an die Spielbegleitung. Mit Blick auf die dialogische Struktur, die der Performanz einer Spielsituation eigen ist, werden nicht nur die Kompetenzen der Kinder ein Stück weit sichtbar, sondern auch jene der Lehrperson. Das bedeutet: Spielpädagogische Professionalität umfasst sowohl die Wahrnehmung der Oberflächen- und der Tiefenstruktur des Spielgeschehens auf der Ebene der Kinder als auch auf der Ebene der Lehrperson. Dies kann als doppelte Performanz bezeichnet werden.

Didaktik des Spiels

In der Folge werden nun die einzelnen Pole und Dimensionen und deren Wechselwirkungen beschrieben. Auch wird die «doppelte» Performanz, die das Spielverhalten und das spielpädagogische Verhalten thematisiert, genauer erläutert.

2.2 Die Pole des didaktischen Dreiecks

2.2.1 Kinder

Selbstverständlich sind Kinder Dreh- und Angelpunkt der Arbeit von Lehrpersonen im Zyklus 1. So real sie uns gegenübertreten, so anspruchsvoll ist es, Kinder oder Kindheiten in einem übergeordneten Sinn zu fassen. Auf die Frage «Was ist ein Kind?» gibt es viele verschiedene Antworten, ebenfalls müssen wir annehmen, dass bei der Frage nach der Kindheit auch Menschen in ähnlichem Alter aus einer ähnlichen Region vollkommen unterschiedliche Antworten geben würden. Aus der Kindheitsforschung können im Zusammenhang mit dem didaktischen Modell des Spiels folgende Erkenntnisse hilfreich sein, um den Pol Kinder zu differenzieren.

Die historische Kindheitsforschung zeigt auf, dass Kinder nicht «wie Gras» sind, zu «allen Zeiten gleich» (von Hentig im Vorwort zur Geschichte der Kindheit von Ariès 1977). Von Hentig will damit deutlich machen, dass die Vorstellung von Kindheit als einer Zeit der Entwicklung und des Lernens – mit der Kindheit bis heute eng verknüpft ist – historisch-relativ ist.

Die Vorstellung und Umsetzung einer Familien- und Schulkindheit ist ein Kernelement moderner Gesellschaften. Durch die Kraft der Erziehung und der Bildung kann sich eine sich von der alten ständischen Gesellschaft unterscheidende neue Gesellschaft herausbilden. Das dem Kind zugeschriebene Potenzial als Grundlage einer besseren Gesellschaft verleiht der Erziehung grosse Bedeutung: Sie ist es, die die Gesellschaft verändern kann. Dieser bis heute nachwirkende Kindheitsentwurf setzte sich Ende des 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert durch, sozialgeschichtlich im Kontext der Konstituierung des Bürgertums, ideengeschichtlich im Kontext der Aufklärung und der Romantik (Schmid 2014).

Mit dieser Vorstellung wird bereits auf den relationalen Aspekt von Kindheit verwiesen. Die jüngere Kindheitssoziologie (siehe Übersicht in Bühler-Niederberger 2020) hat in diesem Zusammenhang unter dem Begriff der generationalen Ordnung eine Kategorisierung der Lebensalter vorgenommen und untersucht, welche Zuschreibungen zwischen den Mitgliedern der einen Kategorie (Kinder) und den Mitgliedern der anderen Kategorie (Erwachsene) erfolgen. Es kann sich dabei um Verpflichtungen, Berechtigungen, Wertigkeiten handeln. Diese Zuschreibungen beeinflussen ihrerseits die Vorstellungen von Kindheit, weil sie Ausdruck davon sind, welche Solidaritäten und welche Abhängigkeiten in einer Gesellschaft zwischen den Generationen gelten (Alanen 2005; Bühler-Niederberger 2020; James und Prout 1997).

Mit einem soziostrukturellen Zugang hingegen werden Lebenslagen und Lebensqualitäten von Kindern erhoben. Es wird untersucht, was es bedeutet, in einem bestimmten Land und in verschiedenen sozialen Gruppen, ein Kind zu sein und somit sozialstrukturell zum Segment «Kindheit» zu gehören – in Bezug auf verschiedene Kriterien (wie z. B. Wohlbefinden, Gesundheit, Finanzen) (Qvortrup 2007). Kindheit als gesellschaftliche Strukturkategorie zu sehen, diese Kategorie fassbar und dabei auch Benachteiligungen sichtbar zu machen, ist erst in den letzten dreissig Jahren selbstverständlich geworden. Vorher waren Kinder einfach mitgemeint und Kindheit hatte keine eigenständige Geltung, die es zu erfassen und empirisch abzubilden galt (Bühler-Niederberger 2020, 195 ff.).

Als drittes Konzept der neueren Kindheitssoziologie nennt Bühler-Niederberger das Konzept der Agency respektive das Konzept vom «Kind als kompetenter Akteur». In diesem Zugang wird die Vorstellung von Kindern als kompetenten Akteure in und für die Gesellschaft akzentuiert. Dieser Zugang geht von der Annahme aus, dass Kinder relevante gesellschaftliche Beiträge leisten und eine Agency (Advokation) für die Kinder aufgebaut werden soll, damit ihre Stimme gehört und ihre Kompetenz aufgezeigt werden kann (Bühler-Niederberger 2020, 196 ff.). Von einem historischen und kindheitssoziologischen Standpunkt betrachtet, eröffnen sich also unterschiedliche Perspektiven auf den Pol der Kinder.

Der Pol der Kinder kann unter weiteren Blickwinkeln differenziert werden. Mit der Frage «Wie erschliessen sich kleine Menschen die Welt?» eröffnet sich ein Spektrum an weitreichenden Folgefragen, die anthropologische, erkenntnistheoretische und bildungstheoretische Aspekte betreffen. Was macht den Menschen zum Menschen? Wie kann der Mensch wahrnehmen und zu Erkenntnissen kommen? Was muss er lernen? Zu welchem Ziel soll der Mensch gebildet werden?

In der Früh- (oder Elementarpädagogik) wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends ein reger und auch kontroverser Diskurs über die pädagogisch-didaktischen Handlungskonzepte in der Arbeit mit jungen Kindern geführt. Bis heute profitiert der Fachdiskurs von dieser Auseinandersetzung, da sie auch dazu geführt hat, die Grundlagen für die wissenschaftliche Entwicklung der Frühpädagogik zu legen (Bilgi 2021, 156 ff.). Im Kontext der nach wie vor gesellschafts- und bildungspolitisch aktuellen Debatte um die Wichtigkeit der frühen Förderung, die Frage der Ausbildung und Entlöhnung von Fachpersonal für den Frühbereich, die Frage nach der Qualität in der ausserfamilialen Betreuung und somit nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es relevant, mit fundierten Forschungsergebnissen argumentieren zu können.

Die Debatte betrifft auch die Kontroverse, ob in der Frühpädagogik der Selbstbildungsansatz oder der ko-konstruktive Ansatz leitendes Handlungskonzept sein soll. Das Bildungsverständnis im Lehrplan 21 zum Zyklus 1, das fach- und entwicklungsorientiert ist, widerspiegelt damit auch die unterschiedlichen Traditionen der frühen Bildung (mit der Betonung auf Selbstbildung) beziehungsweise der Schulbildung (mit der Betonung der ko-konstruktiven Bildung). Im Rahmen der in diesem Buch vorgestellten Didaktik des Spiels werden beide Zugänge aufgenommen. Lernen im Zyklus 1 ist zum einen Selbstbildung, insofern sich Kinder selbststeuernd mit ihrer Umwelt auseinandersetzen; es ist aber auch ko-konstruktiv, insofern sich Kinder in Interaktion mit kompetenten Erwachsenen Wissen aneignen (Vogt 2015).

Wie eignen sich Kinder die Welt an?

Der Ansatz der Selbstbildung betont die Eigenaktivität des Kindes in seinem Bildungsprozess. Für Erwachsene bedeutet dies, dass sie die Notwendigkeit anerkennen, die Vorstellungen, Konzepte und Deutungsmuster von Kindern zu beachten und als eigenständige Weltdeutung zu respektieren. Das Konzept der Autopoiese (Selbsthervorbringung) ist das Fundament dieser Vorstellung, die vielseitigen Formen der Wahrnehmung (sinnlich, gefühlsbezogen, bildlich, imaginär) münden in das Konzept der aisthetischen Erfahrung, die den Ausgangspunkt aller Lern- und Bildungsprozesse bildet (Liegle 2006, 35 ff.; Schäfer 2019, 2016).

Mit dem Ansatz der Ko-Konstruktion wird die gemeinsame Sinnkonstruktion zwischen Kind und erwachsener Person betont. Interaktion ist Ausgangspunkt für das Lernen. Diese von Lew Wygotski begründete soziokulturelle Theorie der kognitiven Entwicklung betont die Wichtigkeit der Begleitung von kindlichen Bildungsprozessen durch kompetentere Andere. Das Konzept der Zone der proximalen Entwicklung (Wygotski 1967) gibt dabei die Stossrichtung für die Begleitung an. Nicht dort, wo das Kind Aufgaben selbstständig lösen kann, ist Begleitung erforderlich, sondern bei Aufgaben, die nächste Entwicklungen möglich machen können (Escher und Messner 2022, 181 ff.). Im Zentrum der Anwendung dieses Ansatzes steht in der Frühpädagogik die soziale Interaktion zwischen Kindern und Erwachsenen mit dem Fokus auf symmetrische Austauschprozesse, die sich beim gemeinsamen Forschen, Entdecken, Artikulieren oder Aushandeln zeigen (Fthenakis 2009; Siraj-Blatchford und Moriarty 2004). In beiden Zugängen Selbstbildung und Ko-Konstruktion wird die persönliche Bedeutung geschaffener Spielwelten betont und damit die Konsequenz, die Perspektive des Kindes bei der Spielförderung besonders zu beachten, damit dem Eigenanteil der Kinder im Lernprozess bewusst Rechnung getragen wird.

2.2.2 Sache

Der nachfolgende Teil widmet sich der «Sache». Weshalb sind Sachrichtigkeit, Lebensweltbezug und Sinnhaftigkeit relevant bei der Planung von Spielsituationen? Und wer bestimmt, was Sache ist, respektive Thema oder Lerngegenstand werden soll?

Sachrichtigkeit

Auf der Suche nach dem passenden lebensnahen Thema für eine Spielsituation gilt es, Verschiedenes zu beachten. Beim Erfassen der Interessen oder Entwicklungsthemen der Kinder zeigt sich oberflächlich gesehen jeweils bald, welche Spielthemen oder Spieltätigkeiten die Kinder bevorzugen. Spieltätigkeiten wie «Lego spielen» oder «Verkaufsladen spielen» sind vordergründig einfach zu erkennen. Bei der Sachanalyse im didaktischen Sinn geht es jedoch um mehr. Das Spielthema schafft nur den Rahmen oder die Bühne, auf der das Lernen im Spiel möglich werden soll. Mit der Analyse einer Sache erfolgt eine weitere Differenzierung. Je besser die Lehrperson weiss, was an Faktenwissen, an Konzepten und an Wertefragen in einer Spielsituation steckt, umso mehr Möglichkeiten bieten sich bei der Frage, was es für die Gestaltung einer sachrichtigen, sinnstiftenden und vor allem auch herausfordernden Spielsituation braucht, damit sich Kinder auf das Spielthema einlassen. Zudem unterstützt gut analysiertes Sachwissen die Spielbegleitung in doppelter Hinsicht: zum einen wird rascher erkannt, bei welchen Teilaspekten einer Sache die Kinder im Spiel Interesse, Engagement und Ausdauer zeigen, zum andern schafft die vertiefte fachliche Auseinandersetzung ein Vertrauen in die Fördermöglichkeiten, die eine Spielsituation in sich birgt. Aus dieser Gewissheit heraus kann die Lehrperson die Kinder bei ihren individuellen Zugangsweisen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen unterstützen, ohne ihnen die Eigenerfahrung und die daraus erworbenen Einsichten mit voreiligen Erklärungen, Ratschlägen oder einfachem Vorzeigen vorwegzunehmen. Die Vorbereitung erfordert somit fachdidaktische und spielpädagogische Überlegungen, damit eine anregende Spielsituation gestaltet und diese lernförderlich begleitet werden kann. Beim Planen von Spielsituationen muss sich die Lehrperson stets ihres Wissensvorsprungs gewahr sein (Stern 2004).

Lebensweltbezug und Orientierung am Kind

Alltagserfahrungen von Kindern zum Ausgangspunkt des pädagogischen Handelns zu machen ist eine Maxime der Frühpädagogik (Schäfer 2016). Sie ist gepaart mit dem Wissen um die Wichtigkeit des Vorwissens für das Lernen als zentrales Postulat für die Gestaltung von Lernprozessen in der Schule (Hasselhorn und Gold 2017; Reusser et al. 2010). Der sorgfältige Blick auf die Alltagserfahrungen der Kinder hilft zu entscheiden, über welche Materialien, Spielmittel oder welches Spielzeug die Kinder Alltagsbezüge herstellen können und sich entweder aufgrund der Vertrautheit oder des Neuigkeitsgehalts herausfordern lassen.

Als Kriterium für die Auswahl der Lerninhalte nennt Klafki (1994) ihre Gegenwarts-, Zukunfts- und exemplarische Bedeutung (Grunder 2018, 5 f.). In Anbetracht einer unvorhersehbaren Zukunft, aber auch mit dem Anspruch der Orientierung am Kind kann für die Begründung der Sinnhaftigkeit des Spielinhalts die Bezugnahme auf den Ansatz der ästhetischen Bildung hilfreich sein (Schäfer, 2014, 69–82). Der Begriff Ästhetik bezieht sich im Rahmen pädagogischer Arbeit auf den altgriechischen Begriff Aisthesis und meint die sinnliche Erkenntnistätigkeit, welche die Voraussetzung für eine rationale Erkenntnistätigkeit schafft (Birri 2003 S. 52 ff.; Braun, 2002, S. 21 ff.; Schäfer, 2009, S. 81–99). «Indem in das Wahrgenommene eine Bedeutung, ein Sinn, ein Zusammenhang interpretiert und eine geistig-seelische Beziehung zum Wahrgenommenen hergestellt wird, erhält jede Wahrnehmungserfahrung einen rationalen und einen emotionalen Aspekt» (Braun 2002, S. 22). Junge Kinder lernen insbesondere im Spiel sinnliche Wahrnehmungen zu deuten und mit anderen Erfahrungen zu verbinden und zu vergleichen, um dann daraus Schlussfolgerungen für ihr Handeln im hier und jetzt zu ziehen. Die ästhetische Bildung fragt daher weniger, was das Kind für die Zukunft lernen soll, sondern fokussiert den Gegenwartsbezug. Im Bewusstsein um die Wichtigkeit von sinnlichem Erleben für das Lernen des Kindes sucht die Lehrperson – auch zusammen mit dem Kind – nach der Sinnhaftigkeit der Spielinhalte. Dabei gilt es, die «Sprachen der Kinder» anzuerkennen und zu deuten (Malaguzzi 2019).

Wie zeigt sich das Denken junger Kinder?