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Wilhelm Killmayer ist im Sommer dieses Jahres in Starnberg nur wenige Stunden vor seinem 90. Geburtstag verstorben. Was er als Komponist hinterlässt ist ein vielseitiges Œuvre, das beinahe alle gängigen Gattungen bedient, wobei nicht selten eine gewisse Bevorzugung der Stimme durchscheint. Die Betrachtungen seiner Werke sind schließlich umso spannender, da sie nicht nur diesen Facettenreichtum, sondern auch Killmayers selbstbewusstes und zugleich bescheidenes Selbstbild des Nicht-Systematikers abbilden. Die Beiträge der vorliegenden Monografie verstehen sich als Dokumentation wichtiger musikalischer wie biografischer Stationen Killmayers. Letztere werden hier aus verschiedenen Perspektiven mit einer Chronik, Auszeichnungen, Preisen und Stipendien (Schmitt), biografischen Notizen (Grill), einer Interview-Transkription sowie einem umfangreichen Bildteil dargestellt. Die Betrachtungen verschiedener Werkgruppen und Einzelwerke machen die ganz eigene Klangsprache seiner Musik greifbar. Neben den bedeutenden Liederzyklen (dt.: Mauser, fremdspr.: Sprau) und Bühnenwerken (Schmitt) werden auch bisher weniger beachtete Werke Killmayers in den Blick genommen, wie z. B. seine Missa brevis (Schachtner) und das Brahms-Bildnis (Esterl), sodass neue Impulse für die Beschäftigung mit seinem Werk und Einzelaspekte seiner Versprachlichung veranschaulicht werden. Auch auf dem Gebiet der Soloklaviermusik (Schmerda) sind zentrale Tendenzen von Killmayers wortloser Musik aufzeigbar.
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Seitenzahl: 216
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Komponisten in Bayern
Dokumente musikalischen Schaffens
im 20. und 21. Jahrhundert
begründet von
Alexander L. Suder
herausgegeben im Auftrag des Tonkünstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV von Theresa Henkel und Franzpeter Messmer
Band 62: Wilhelm Killmayer
B. Ehrhardt
K. Esterl
T. Grill
S. Mauser
J. X. Schachtner
S. Schmerda
S. Schmitt
W. Schreiber
K. Sprau
Wilhelm Killmayer
Kuratorium:
Oswald Beaujean, Bayerischer Rundfunk
Linde Dietl, Tonkünstlerverband Bayern e. V.
Richard Heller, Tonkünstlerverband Bayern e. V.
Theresa Henkel, Herausgeberin
Dr. Dirk Hewig, Deutscher Tonkünstlerverband e. V.
Herbert Hillig, Ministerialrat, beratendes Mitglied als Vertreter des Bayerischen Staats-ministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
Arno Leicht, Hochschule für Musik Nürnberg
Axel Linstädt, Deutscher Komponistenverband
Dr. Franzpeter Messmer, Herausgeber, Vorsitzender
Dr. Robert Münster, Herausgeber der Musica Bavarica
Dr. Reiner Nägele, Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek
Dr. Helga-Maria Palm-Beulich, Musikwissenschaftlerin
Prof. Dr. Hartmut Schick, Universität München und Gesellschaft für Bayerische Musik-geschichte
Dr. Bernhold Schmid, Bayerische Akademie der Wissenschaften
Prof. Dr. Stephan Schmitt, Hochschule für Musik und Theater München
Dr. Wolf-Dieter Seiffert, Verleger
Alexander Strathern, Verleger
Prof. Dr. Alexander L. Suder, Ehrenvorsitzender
Vorstand des Tonkünstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV:
1. Vorsitzender: Prof. Ulrich Nicolai, München
1. Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Barbara Metzger, Würzburg
2. Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Michaela Pühn, München
Ehrenvorsitzende: Prof. Dr. Alexander L. Suder, Dr. Dirk Hewig, Linde Dietl, Dr. Franzpeter Messmer, München
Schatzmeister: Philip Braunschweig, München
Schriftführer: Prof. Eckhart Hermann, München
Die Buchreihe »Komponisten in Bayern« wird vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, sowie der GEMA-Stiftung unterstützt und gefördert.
Dezember 2017
Allitera Verlag
Ein Verlag der Buch&media GmbH
© 2017 Buch&media GmbH
© 2017 der Einzelbeiträge bei den AutorInnen
Titelfoto: Wilhelm Killmayer (Foto: Isolde Ohlbaum, 2002)
Printed in Germany
ISBN print 978-3-96233-012-5
ISBN epub 978-3-96233-013-2
ISBN PDF 978-3-96233-014-9
Inhalt
Vorwort zum 62. Band
Stephan Schmitt
Chronik
Auszeichnungen, Preise und Stipendien
Tobias Grill
Musik ohne Umwege Biografie von Wilhelm Killmayer
Bettina Ehrhardt und Wolfgang Schreiber
»Freude bereiten. Glück bereiten. Schmerz bereiten. Das Gefühlsleben treffen.« Gespräch mit Wilhelm Killmayer
Bildteil
Stephan Schmitt
Werke für das Musiktheater
Johannes X. Schachtner
Wilhelm Killmayers Frühwerk Missa Brevis: Musica non profana
Konstantin Esterl
»Immer tiefer gerate ich in das Innere …« «Bemerkungen zur Kammermusik Wilhelm Killmayers
Siegfried Mauser
Phänotypen und Tonfälle Wilhelm Killmayers Beitrag zur Liedgeschichte der Moderne
Kilian Sprau
»… wichtig ist, dass die Musik den Text verstanden hat …« Wilhelm Killmayers fremdsprachige Klavierlieder
Susanne Schmerda
Irrlichter der Vergangenheit: Vom Umgang mit Vertrautem Wilhelm Killmayers solistisches Klavierwerk
Werkverzeichnis
Diskografie
Literaturverzeichnis (Auswahl)
Autoren
Personenregister
Vorwort zum 62. Band
Wilhelm Killmayer ist im Sommer dieses Jahres in Starnberg nur wenige Stunden vor seinem 90. Geburtstag verstorben. Was er als Komponist hinterlässt ist ein vielseitiges Œuvre, das beinahe alle gängigen Gattungen bedient, wobei nicht selten eine gewisse Bevorzugung der Stimme durchscheint. Die Betrachtungen seiner Werke sind schließlich umso spannender, da sie nicht nur diesen Facettenreichtum, sondern auch Killmayers selbstbewusstes und zugleich bescheidenes Selbstbild des Nicht-Systematikers abbilden. Denn wie Moritz Eggert über seinen früheren Lehrer einmal gesagt hat, gehe es Killmayer um die Innigkeit und Authentizität des Tons, die einerseits einzigartig ist, andererseits eindeutige Zuordnungen in vorhandene Schemata und Systeme unterbinden kann. Seine Absage an Begrenzungen in seiner Musik macht ihn im besten Sinne zu einem der unkonventionelleren Künstler des 20. Jahrhunderts, der keineswegs für die »Schublade«, sondern ganz im Gegenteil stets für Menschen komponiert hat.
Die Beiträge der vorliegenden Monografie verstehen sich als Dokumentation wichtiger musikalischer wie biografischer Stationen Killmayers. Letztere werden hier aus verschiedenen Perspektiven mit einer Chronik, Auszeichnungen, Preisen und Stipendien (Schmitt), biografischen Notizen (Grill), einer Interview-Transkription sowie einem umfangreichen Bildteil dargestellt. Die Betrachtungen verschiedener Werkgruppen und Einzelwerke machen die ganz eigene Klangsprache seiner Musik greifbar. Neben den bedeutenden Liederzyklen (dt.: Mauser, fremdspr.: Sprau) und Bühnenwerken (Schmitt) werden auch bisher weniger beachtete Werke Killmayers in den Blick genommen, wie z. B. seine Missa brevis (Schachtner) und das Brahms-Bildnis (Esterl), sodass neue Impulse für die Beschäftigung mit seinem Werk und Einzelaspekte seiner Versprachlichung veranschaulicht werden. Auch auf dem Gebiet der Soloklaviermusik (Schmerda) sind zentrale Tendenzen von Killmayers wortloser Musik aufzeigbar.
Unser Dank gilt allen Autoren für ihre Perspektiven auf Killmayers Werk, der Bayerischen Staatsbibliothek München für die unkomplizierte und zuvorkommende Unterstützung sowie für die Bereitstellung des Nachlasses, dem Allitera Verlag für die Herstellung des vorliegenden Bandes und nicht zuletzt Martina Killmayer, die den Autoren und Herausgebern stets mit Rat und Tat zur Seite stand.
Theresa Henkel
Stephan Schmitt
Chronik
1927
21. August in München geboren. Eltern: Friedrich Wilhelm Killmayer († 1932), Bezirksoberlehrer, und Luitpoldine Cäcilia Killmayer, geb. Magerl († 1973), Lehrerin
1927–1932
Mitterndorf bei Dachau
ab 1932
München
1933–1945
Klavierunterricht bei Gretel Grotz
1934–1937
Volksschule
1937–1947
Humanistisches Gymnasium (Maximiliansgymnasium), (nach Unterbrechung durch den Krieg) Abitur 1947
1945–1951
Studium am Münchener Musikseminar Hermann Wolfgang von Waltershausen, 1951 Staatliche Abschlussprüfung in den Hauptfächern Dirigieren und Kompositionslehre
1949–1952
Studium der Musikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Rudolf von Ficker, Walter Riezler) mit den Nebenfächern Germanistik und Italienisch
1951–1953
Privatunterricht bei Carl Orff
1953–1954
Meisterklasse Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik in München (Carl Orff)
1955–1958
Lehrer für Theorie und Kontrapunkt am Trapp’schen Konservatorium
1961
Eheschließung mit Wendula Mirschel (*1935)
1961–1964
Ballettdirigent an der Bayerischen Staatsoper
1967
Ehescheidung
1968
Übersiedlung nach Frankfurt am Main
ab 1972
Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
1973–1991
Professor für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik in München (Nachfolge Günter Bialas)
1975
Übersiedlung nach München
ab 1980
Mitglied der Berliner Akademie der Künste
1981–1988
Feldafing und München
1983
Geburt der Zwillinge Felix und Ferdinand
ab 1988
Wildenwart bei Frasdorf und München
1989
Eheschließung mit Johanna Martina Soll (*1957)
1990
Geburt der Tochter Susanna Caecilie
1992–2002
Leitung der Abteilung Musik der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
1993
Mitglied des Bayerischen Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst
2017
20. August in München gestorben
Auszeichnungen, Preise und Stipendien
1954
Preis der Fromm Music Foundation (Chicago) für die Missa brevis
1957
Kulturpreis der Stadt München
1958
Erstes Stipendium der Villa Massimo, Rom
1959
Förderpreis der Stadt Stuttgart
1965
Prix Italia für das Bühnenwerk Une leçon de français
1965 / 66
Zweites Stipendium der Villa Massimo, Rom
1970
Stipendium der Cité Internationale des Arts, Paris
1974
Rostrum of Composers (Paris) für die Sinfonia 1 (Fogli)
1982
Lous-Spohr-Musikpreis der Stadt Braunschweig
1983
Bundesverdienstkreuz
1990
Hindemith-Preis im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals
1993
Bayerischer Maximiliansorden
1994
Oberbayerischer Kulturpreis
2003
Musikpreis der Landeshauptstadt München
2010
Musikpreis der Christoph und Stephan Kaske Stiftung
Tobias Grill
Musik ohne Umwege Biografie von Wilhelm Killmayer
»Der Mensch muss gar nichts außer sterben. Auch der Komponist muss gar nichts. Es ist deshalb ein so schöner Beruf, weil man nichts muss. Viele Menschen legen sich gerne Fesseln an. Musik aber muss gar nichts, nur sie selbst sein und Zeugnis ablegen von dem, der sie macht.«1
Wilhelm Killmayer wurde am 21. August 1927 als Sohn des Lehrerehepaars Luitpoldine und Wilhelm Killmayer in München geboren. Die ersten Lebensjahre verbrachte er in Mitterndorf bei Dachau, wo bereits sein Vater bis zu dessen frühen Tod im Jahr 1932 als passionierter Organist und Kammermusiker tätig war. Die Umgebung seiner frühen Kindheit habe ihn nachhaltig geprägt, wie Killmayer später feststellte: »Die ländlichen Natureindrücke, auch Geräusche, die Musik in der Dorfkirche, Jodler, Schuhplattler haben wohl auf möglicherweise verschlungenen Wegen ihre Spuren hinterlassen.«2
Anders als beim Vater, der ebenfalls gerne eine Laufbahn als Musiker eingeschlagen hätte und den Lehrerberuf nur auf familiären Druck hin ergriff, wurden die musikalischen Neigungen des Sohnes stets explizit und vorbehaltlos gefördert. So bekam Killmayer bereits ab 1933 regelmäßig Klavierunterricht. Zu seinen musikalischen Aktivitäten der Kindheit gehörten auch Aufführungen von Mozart-Opern für Freunde und Bekannte der Mutter unter Zuhilfenahme des »Kocherls«, der Hausangestellten, sowie seiner Schwester, wobei er teils mehrere Sopranpartien sang und den Klavierpart übernahm.3 Die ersten tonschöpferischen Versuche datieren ebenfalls ins Kindesalter – davon zeugen, wie die Mutter zu berichten weiß, nicht zuletzt seine Schulbücher, die von ihm mit allerlei kleinen Kompositionen »verziert« wurden.4 Der Drang, sich intensiver mit der Materie Musik auseinanderzusetzen und diese Beschäftigung auf ein entsprechend solides Fundament zu stellen, wuchs und führte Killmayer an das Musikseminar von Hermann Wolfgang von Waltershausen (1882–1954). Dort nahm er noch vor dem Abitur ab 1945 ein Musikstudium auf, das er 1951 mit staatlicher Prüfung in den Hauptfächern Komposition und Dirigieren erfolgreich abschloss. Bei von Waltershausen habe er sehr viel gelernt und ihn stets als »ganz hervorragenden Pädagogen« geschätzt – nicht zuletzt deshalb, weil er »dem Schüler das Handwerkliche beibrachte, ohne ihn in eine Richtung zu pressen.«5 Gleichzeitig nahm Killmayer 1949 an der Münchner Universität bei Rudolf von Ficker (1886–1954) und Walter Riezler (1878–1965) ein bis 1952 andauerndes Musikwissenschaftsstudium mit den Nebenfächern Germanistik und Italienisch auf. Ein weiteres entscheidendes Fundament für Killmayers künstlerische Entfaltung lieferte die nachhaltig prägende Ausbildung bei Carl Orff (1895–1982), der ihn 1951–1953 zunächst privatim unterrichtete, bevor er ihn anschließend für ein weiteres Jahr als Schüler in seine Meisterklasse an der staatlichen Hochschule für Musik in München aufnahm. Der Einfluss Orffs, mit dem Killmayer zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb, wird dabei nicht nur musikalisch deutlich. Er äußert sich auch ganz wesentlich in Killmayers prinzipiellem Streben nach künstlerischer Autonomie, der daraus resultierenden, bewussten Abgrenzung vom ästhetischen Diktat vorherrschender Stile und Schulen sowie in der konsequenten Ablehnung dogmatisch absoluter Wertmaßstäbe. Wenn er das Wort »Schule« höre, klappe er die Ohren zu, so Killmayer, »[d]ie Meinungsmacher interessieren sich nur noch für stilistische Katalogisierungen […]. Die Musik selbst wird dabei gar nicht mehr wahrgenommen.«6 Werte seien, wie er an anderer Stelle ausführt,
»bedingte Übereinkünfte, bedingt von der Person zur Gesellschaft, von der Gesellschaft zur Welt und darüber hinaus noch zeitlich bedingt. Sie sind jederzeit kündbar und auswechselbar. Die immer höher sich entwickelnde Analytik versucht sich an der Beweisbarkeit von Wert-Absoluta, aber die Prämisse ist analytisch nicht fassbar, sie gleitet notwendig ins Unbeweisbare, und das ist gut so. So wird der Standpunkt in einer Weise relativiert, dass von Festigkeit nicht mehr die Rede sein kann. Dies bedeutet: wenig festen Grund und Boden unter den Füßen haben – mehr noch: es empfinden.«7
Das musikalische Œuvre Killmayers umfasst, neben Arbeiten aus dem Bereich der Angewandten Musik, wie Bühnen-, Film-, Fernseh-, Hörspiel- oder weiterer Gebrauchsmusik eine große Bandbreite verschiedenster kompositorischer Gattungen, die sich von Bühnenwerken, über Orchester- und Kammermusik, bis hin zur Vokalmusik erstreckt. Sein technisches und stilistisches Ausdrucksspektrum reicht dabei vom »Komödiantisch-Unterhaltenden, Kantabel-Lyrischen und Hochgespannt-Dramatischen bis zum Depressiv-Erstarrten«8. Die radikal individuelle, vielschichtige, mitunter auch sehr eigenwillige Tonsprache lässt sich dabei, obgleich er als »wichtig[e] Figur innerhalb der musikalischen Postmoderne-Debatte«9 gilt oder ihm bisweilen eine gewisse Vorreiterrolle in der Entwicklung zur »Neuen Einfachheit« zugesprochen wird,10 keiner bestimmten Stilrichtung zuordnen. Nicht zuletzt er selbst wehrte sich stets gegen jede Art von zwanghafter Kategorisierung und Einordnung seines Schaffens in fest umrissene Schubladen – mit seiner Musik wolle er vielmehr Grenzen überfliegen.11
Obgleich Killmayer bereits während des Studiums erste beachtenswerte Arbeiten, wie seine Lieder nach Texten von Heinrich Heine (1947) oder verschiedene Chorwerke, hervorbrachte, verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst vor allem als aktiver Musiker, Musikpädagoge und Dirigent. Er trat so unter anderem als Pianist bei Liederabenden in Erscheinung, leitete von 1948 bis 1952 als Kapellmeister die Opernaufführungen des Münchner Marionettentheaters und war als Dirigent für die Landesbühne Passau tätig. Von 1955 bis 1958 hatte er eine Stelle als Dozent für Musiktheorie und Kontrapunkt am Trapp’schen Konservatorium in München inne. Drei Jahre später konnte er von 1961 bis 1964 als Ballettdirigent an der Bayerischen Staatsoper wertvolle Erfahrungen für seine Aktivitäten als professioneller Orchesterleiter und Interpret sammeln. In dieser Zeit entstanden überdies zahlreiche Film- und Fernsehmusiken sowie eine Musik zum Festzug der 800-Jahrfeier der Stadt München 1958.
Diverse Auszeichnungen und Förderungen verhalfen Killmayer, der sich mit einer Aufführung seiner »Canzonen nach Texten von Petrarca« im Rahmen der Kammermusikreihe »Studio für Neue Musik« von Fritz Büchtger 1951 erstmals als Komponist einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren konnte, zu einem stetig wachsenden Renommee und bekräftigten ihn, diesen Weg, ungeachtet der Ablehnung durch die avantgardistischen Kreise, konsequent weiter zu verfolgen. Obwohl er sich durchaus mit zeitgenössischen Entwicklungen und kompositorischen Verfahren im Kontext der zwölftönigen und seriellen Atonalität auseinandersetzte, stellte er schon früh für sich fest, dass diese Art Musik zu schreiben seinem »Wesen« nicht entspreche.12 Diese Überzeugung wich zu keiner Zeit, wie auch eine wesentlich spätere Einschätzung seinerseits deutlich macht: »Wieso sollte ich einen bestimmten Ton nicht erst an einem von mir gewählten Zeitpunkt bringen, nur weil alle Töne in vorgegebener Reihenfolge nacheinander gebracht werden müssen? Ich will mir Töne vielmehr aufsparen.«13
Auf Anfrage der Fromm-Music-Foundation in Chicago empfahl Orff im Jahr 1954 zwei Werke seines Meisterschülers Killmayer – die Missa brevis (1953 / 54) und die Romanzen nach Texten von Federico García Lorca (1954) – für einen Kompositionswettbewerb, bei dem die Messe mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Beide Werke wurden am 25. April 1955 mit beachtenswertem Erfolg in Chicago uraufgeführt und aufgenommen. Daraufhin seien, wie Killmayer berichtet, seine Manuskripte auch in Deutschland immer seltener zurückgeschickt worden und es folgte sogar eine Einladung nach Donaueschingen, wo ihm am 15. Oktober desselben Jahres als vermeintlich »fünftes Rad am Wagen« mit der deutschen Erstaufführung seiner Lorca-Romanzen ein überraschend sensationelles Debüt gelang.14 Da Killmayers Kompositionen letztlich stets der Tonalität verbunden blieben, wurde seinen Arbeiten jedoch sowohl in Donaueschingen, als auch im Umfeld der Darmstädter Schule keine weitere Anerkennung zuteil. Seine Position als oft missachteter Außenseiter schätzte Killmayer retrospektiv, vor allem hinsichtlich dieser frühen Jahre, indes als nachhaltig motivierend und inspirierend ein: »Diese damals von mir kaum gewünschte Isolation ist mir vielleicht bekommen; ich mag die in dieser Zeit entstandenen Stücke heute noch gern; sie haben eine durch keine Ambition geschwächte Frische.«15
1958 und abermals 1965 / 66 wurde ihm mit einem Stipendium der Villa Massimo in Rom wiederholt eine der bedeutendsten und begehrtesten Auszeichnungen für junge Künstler zuteil. Er erhielt bereits zu dieser Zeit diverse weitere Preise, so etwa den Kulturpreis der Stadt München (1957), den Förderpreis der Stadt Stuttgart (1958) oder den Prix Italia (1965, für Une leçon de français). Trotz Killmayers beharrlicher und demonstrativer Unangepasstheit fanden seine Werke zunehmend Eingang in den zeitgenössischen Konzertbetrieb und wurden von renommierten Orchestern, Dirigenten und Interpreten, nicht selten auch unter Killmayers eigener Leitung, (ur)aufgeführt, aufgenommen oder auch als Fernsehaufzeichnung produziert.16 Dazu gehören etwa seine Canti amorosi (1953 / 54; Ursendung: 1955, Bayerischer Rundfunk), sein Konzertfür Klavier und Orchester in einem Satz (1955; UA: 21.4.1956, München), die Französischen Volkslieder für Sopran und sieben Instrumentalisten Le petit Savoyard (1956; UA: 22.10.1956, Stuttgart), seine Kammermusik für Jazzinstrumente (1957; UA: 27.2.1958, München, musica viva), sein Divertissement für Orchester (1957; UA Nr. 1–3, 5: 1.10.1957, Stuttgart; Nr. 4: 1.1.1958, München) oder etwa, unter seinem eigenen Dirigat uraufgeführt, die Opern La Buffonata (1959 / 60; konz. UA: 21.10.1960, Stuttgart; sz. UA: 30.4.1961, Heidelberg; Libretto: Tankred Dorst; Fernsehproduktion, Süddeutscher Rundfunk, 1961), La Tragedia di Orfeo (nach Angelo Poliziano, 1960 / 61; UA: 9.6.1961, München, Ballett-Festwoche) und Yolimba oder Die Grenzen der Magie (1962 / 63; UA: 15.3.1964, Hessisches Staatstheater Wiesbaden; Libretto: Tankred Dorst / Killmayer; Neufassung: 1970).
Trotz zunehmender Erfolge als Komponist und Interpret, geriet Killmayer in eine Krise und sah sich dazu veranlasst, seinen Wohnort und die alltägliche Umgebung zu wechseln, um sich neu zu orientieren.17 1968 begab er sich daraufhin nach Frankfurt am Main, wo er bis 1975 als freischaffender Komponist lebte. Killmayers Frühwerk, das eine deutliche Vorliebe für das Vokale erkennen lässt, weist unverkennbare Bezüge zum Schaffen seines Lehrers Orff, aber auch Igor Strawinskys, Kurt Weills, oder bisweilen sogar György Ligetis auf. Dagegen schlug er in seiner Frankfurter Zeit, mit vermehrter Hinwendung zum Instrumentalen, bisweilen völlig neue Pfade ein: von einer vielfach wesentlich durch ostinate und rhythmische Elemente dominierten, hin zu einer introvertierten, radikal reduktionistischen Tonsprache expressiver Stille. Er schrieb »tonkarge Stücke« als Reaktion auf die ihm bewusst werdende »Verschleiß-Euphorie« – »mir ging es damals schlecht«, wie er selbst feststellte.18 In dieser Zeit entstanden Werke, wie etwa seine ersten beiden Sinfonien Fogli (1968) und Ricordanze (1968 / 69) oder die Kammermusiken Nr. 1 The Woods so wilde (1970) und Nr. 2 Schumann in Endenich (1972), die »meßbaren Einfluss« auf einige Schüler seines Freundes Günter Bialas (1907–1995), so etwa Wilfried Hiller, Peter Kiesewetter, Heinz Winbeck, Ulrich Stranz, Peter Michael Hamel oder Paul Engel hatten.19
Bisweilen unter dem Pseudonym »Josef Gurgl«20 wandte sich Killmayer während der 1960er- und 1970er-Jahre – auch zur Sicherung seines Lebensunterhaltes – unter anderem erneut der Komposition von Fernseh-, Film- oder Theatermusik zu. Er schuf überdies eine Vielzahl von Hörspielmusiken für den Bayerischen Rundfunk, so etwa zu Medea nach Euripides (1960), zu Johann Wolfgang von Goethes Faust (1964), zu Friedrich Hebbels Agnes Bernauer (1967) oder Heinrich von Kleists Der zerbrochene Krug (1977).21 In dem klangimprovisatorischen Hörspiel Anstand und Gelenkigkeit (1974) experimentierte er dabei etwa auch mit dem Verfahren der Kunstkopfstereofonie, einer Tonaufnahmetechnik, die bei Wiedergabe über Kopfhörer ein besonders natürliches Raumklangerlebnis bieten sollte.22
Nachdem Killmayer 1970 von der Cité Internationale des Arts in Paris mit einem weiteren Auslandsstipendium ausgezeichnet wurde, folgte er 1973 – entgegen anfänglicher »Ängste und Bedenken«, wie er es Orff gegenüber, der ihn dazu ermunterte, berichtete – dem Ruf als Professor für Komposition und Nachfolger von Günter Bialas an die staatliche Hochschule für Musik in München, wo es ihm, wie es dem soeben zitierten Schreiben an Orff ebenfalls zu entnehmen ist, »wider alles Erwarten […] ganz ausgezeichnet« gefalle.23 Als Lehrer und Mentor hatte er dort bis 1991 ganz wesentlichen Einfluss auf die Prägung einer ganzen Reihe von Kompositionsschülern, wie Walther Prokop, Max Beckschäfer, Sandeep Bhagwati, Lutz Landwehr von Pragenau oder Moritz Eggert. 1975 verlegte Killmayer auch seinen Wohnsitz wieder nach München. Seit seiner Emeritierung fand er überdies in Wildenwart bei Prien am Chiemsee einen Rückzugsort.
Im Verlauf der 1970er- und 1980er-Jahre erfuhr Killmayers Stil, der in ästhetischer, aber auch kompositionstechnischer und formaler Hinsicht deutlich von romantischen Vorbildern inspiriert ist, ohne dabei jedoch zu historisieren oder sich dem steten Zitieren hinzugeben, eine emotionale Intensität bisweilen melodiös-kantablen Charakters. Die so erzeugte scheinbare Vertrautheit wird vielmehr immer wieder durch verstörende Momente, überraschende Ausbrüche und plötzliche Wendungen durchkreuzt. Das Neue, als »die wohl wichtigste und zugleich verhängnisvollste Kategorie musikalischen Bewertens in unserer Zeit«, werde in Killmayers Musik, Siegfried Mauser zufolge, »primär nicht durch Materialfremdheit oder Technikerweiterung realisiert, sondern durch die Fallhöhe zwischen Materialcharakter und dessen ungewöhnlicher Setzung.«24 Für Killmayer selbst hatte »[d]as Überraschende, Unvorhergesehene, Unpassende, die Katastrophe – die auch Humor sein kann« – ganz wesentliche Bedeutung, da dies die Fantasie reize.25 Zu seinen wichtigsten Werken dieser Zeit gehören etwa die dritte Sinfonie Menschen-Los (1972–73, revidiert 1988), die fünf Nocturnes für Klavier An John Field (1975), die Vier Poèmes symphoniques (1977–80) sowie die drei Zyklen seiner Hölderlin Lieder (1982–1992). Nicht zuletzt mit dem weiteren Zyklus der Heine-Lieder (1994 / 95) verlieh der auch selbst als wortgewandter Textdichter und Musikschriftsteller tätig gewesene Killmayer seiner Passion für Sprache, Dichtung und die Singstimme, der er sich stets mit Vorliebe widmete, später erneut besonderen Ausdruck.26 Bereits in seiner Kindheit setzte sich der zeitlebens außerordentlich belesene und im klassischen Sinn gebildete Tondichter mit Literatur und Poesie auseinander. Später veröffentlichte er Aufsätze wie »Spache als Musik« mit Analysen zur Klang- und Vokalstruktur in Gedichten.27 Besonders intensiv beschäftigte er sich damit dann seit etwa 1980 im Rahmen eines Hölderlin-Opernprojektes, das allerdings nie realisiert wurde – obgleich zumindest die Forschungsergebnisse dazu ebenfalls als Aufsatz erschienen.28
Killmayer, der nicht nur unter seinen Schülern hochgeschätzt wurde – aus diesem Kreis ging 1991 das von ihm mitinitiierte Festival für neue Musik junger Komponisten »A*Devantgarde« in München hervor –, zählt längst zu den wichtigsten und angesehensten zeitgenössischen Komponisten in Deutschland. Seine Werke haben sich als feste Größe in der Konzertlandschaft etabliert. Anlässlich der Uraufführung seiner Dithyramben für Orchester (2006) im Rahmen der musica viva am 12.1.2007 in München charakterisierte Wolfgang Schreiber den Komponisten folgendermaßen: »Kein Monteur der Klänge, nicht Mathematiker komplexer Partituren, ist Killmayer ein Musiker des Melodischen, im Alter noch gelöster, gelassener als früher – ein poetischer Flaneur im Reich der Töne«, seine Musik gehöre »zum Hellsten, Schwerelosesten, das die Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg hervorbringen konnte […]. Andere Komponisten geben kompliziert verschraubte Hörrätsel auf, Killmayer bleibt in den Tönen scheinbar bedürfnislos, einsilbig, eindeutig, poetisch.«29
Killmayer war, nach einer ersten Ehe mit Wendula Mirschel (1961–1967), seit 1989 mit Martina Soll verheiratet und ist Vater der Zwillinge Felix und Ferdinand (* 1983) sowie der Tochter Susanna Caecilie (* 1990). Er verstarb, nur einen Tag vor seinem 90. Geburtstag, am 20. August 2017 in Starnberg.
1 Burkhard Schäfer: Wilhelm Killmayer. »Musik muss ein Zeugnis ihres Schöpfers ablegen.« [Interview mit Wilhelm Killmayer], in: Piano News 4 (2010), S. 44–48, hier S. 47. Das Zitat ist eine Antwort Killmayers auf die Frage, ob sich ein Komponist dem Fortschritt anpassen müsse.
2Nicht Grenzen sprengen, sondern sie überfliegen. Ein Gespräch mit dem Komponisten Wilhelm Killmayer, in: GEMA-Nachrichten 156 (November 1997), S. 60f., hier S. 61.
3 Mitteilung Martina Killmayer, 7. Mai 2017.
4 Siehe Wilhelm Killmayer, in: bild und funk 33 (17.8.–23.8.1958), S. 10.
5Loritz war gegen Klavierspiel. Musica viva stellt einen jungen Münchner vor: Wilhelm Killmayer, in: Abendzeitung (München) 8 / 286 (2.12.1955), S. 5.
6»Grenzen überfliegt man«. Meret Forster im Gespräch mit Wilhelm Killmayer, in: Neue Zeitschrift für Musik 166 / 3 (Mai / Juni 2005), S. 20f., hier S. 20.
7 Wilhelm Killmayer: Der Komponist in unserer Gesellschaft, in: Verband Deutscher Musikerzieher u. konzertierender Künstler (Hrsg.): Allgemeines Deutsches Musikfest. München, 8. bis 16. Juli 1967. Bericht – Presse – Referate – »Komposition in unserer Zeit«, Regensburg 1967, S. 83–86, hier S. 83f.
8 Siegfried Mauser: Eintrag Wilhelm Killmayer, in: Munzinger Online/KDG – Komponisten der Gegenwart, http://www.munzinger.de.klfg.emedia1.bsb-muenchen.de/document/17000000289 (abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsaufbau/El. Medien am 1.2.2017).
9 Siegfried Mauser: Art. Killmayer, Wilhelm, in: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Auflage, Personenteil Bd. 10, Kassel u. a. 2003, Sp. 96–100, hier Sp. 99.
10 Vgl. Frank Hentschel: Wie neu war die »Neue Einfachheit«?, in: Acta Musicologica 78 / 1 (2006), S. 111–131, hier v. a. S. 116.
11 Siehe Nicht Grenzen sprengen, sondern sie überfliegen (1997), S. 61.
12 Siehe Loritz war gegen Klavierspiel (1955).
13»Mein Grundatem …« Michael B. Weiß im Gespräch mit Wilhelm Killmayer, in: Neue Zeitschrift für Musik 163 / 6 (November / Dezember 2002), S. 48f., hier S. 48.
14 Siehe Irmgard Schneeberger: In Filzpantoffeln auf Mozarts Spuren. Komponist Wilhelm Killmayrs [sic] Karriere begann im Kasperltheater, in: Abendzeitung (München) 14 / 311 (29.12.1961), S. 9.
15 Programmheft, Bayerischer Rundfunk, musica viva, 1. Studiokonzert, 19.2.1978, Funkhaus Studio 2; vgl. dazu auch »Mein Grundatem …« (2002), S. 48.
16 Ungeachtet der vermehrten Erfolge und des damit wachsenden Selbstbewusstseins waren die Expertisen seines Lehrers und Mentors Orff für Killmayer auch zu dieser Zeit wichtige Orientierungshilfen und Wegweiser: »Vielleicht lerne ich’s noch einmal aber vorläufig, glaube ich, komme ich ohne Ihre Ratschläge noch nicht recht aus!« Wilhelm Killmayer an Carl Orff, Brief v. 23.1.1961, Nachlass Carl Orff, AK (Carl Orff-Stiftung/Archiv: Orff-Zentrum München).
17 Vgl. S. Mauser: Killmayer, Wilhelm (2003), Sp. 97.
18 Siehe Programmheft musica viva (1978).
19 Siehe Programmheft musica viva (1978).
20 Siehe Werkverzeichnis – Werkkommentare, in: Siegfried Mauser (Hrsg.): Der Komponist Wilhelm Killmayer, Mainz 1992, S. 421–463, hier S. 461.
21 Die Hörspielmusik zu Medea, wie auch Killmayers Bühnenmusik zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell (1960) und seine Musik zu dem Animationsfilm nach Eugène Ionesco Die Nashörner (1963) entstanden im Münchner Siemens-Studio für elektronische Musik. Siehe Stefan Schenk: Das Siemens-Studio für elektronische Musik. Geschichte, Technik und kompositorische Avantgarde um 1960, Tutzing 2014, S. 58 und 210.
22 Vgl. ARD-Hörspieldatenbank, http://hoerspiele.dra.de/vollinfo.php?tipp=1&dukey=1439723 (abgerufen am 1.2.2017).
23 Siehe Wilhelm Killmayer an Carl Orff, Brief v. 22.12.1973, Nachlass Carl Orff, AK (Carl Orff-Stiftung/Archiv: Orff-Zentrum München).
24 Siegfried Mauser: Jenseits von Freiheit und Notwendigkeit. Zur Ästhetik von Wilhelm Killmayer, in: Ders. (Hrsg.): Der Komponist Wilhelm Killmayer, Mainz 1992, S. 11–15, hier S. 13.
25 Christoph Schlüren: Wege ins Unerwartete [Interview mit Wilhelm Killmayer], in: Applaus 8 (1997), S. 64f., hier S. 64.
26 Vgl. Dorothea Husslein: Weil ich atme. Komponist Killmayer über seine Kunst, in: Münchner Merkur 191 (20.8.2002), S. 5.
27 Wilhelm Killmayer: Sprache als Musik, in: Melos 39 (1972), S. 35–41.
28 Wilhelm Killmayer: Zur Lautstruktur bei Hölderlin, in: Hölderlin Jahrbuch 28 (1992 / 1993), S. 218–238.
29 Wolfgang Schreiber: Killmayers Kristalle. Vier Uraufführungen bei der musica viva in München, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 11, 15.1.2007, S. 13.
Bettina Ehrhardt und Wolfgang Schreiber1
»Freude bereiten. Glück bereiten. Schmerz bereiten. Das Gefühlsleben treffen.« Gespräch mit Wilhelm Killmayer
Wolfgang Schreiber (WS): Filme machen ist sehr kompliziert, aber jetzt haben wir ein Bild.
Wilhelm Killmayer (WK): Ja, komponieren ist auch kompliziert.
Bettina Ehrhardt (BE): Warum ist es kompliziert zu komponieren?
WK: Weil alles, was irgendwie interessant ist, kompliziert ist. Weil es verschiedene Beleuchtungsmöglichkeiten hat, ja?
BE: Ist Ihr Ideal das von immer noch größerer Einfachheit? Wie schwer ist die zu erreichen?
WK: Kann ich schwer sagen. Was ich brauche, das kommt da rein – und wenn ich es kompliziert brauche, dann mache ich es kompliziert. Und wenn ich es einfach brauche, dann mache ich es einfach. Aber unsinnige Kompliziertheit nur zur Darstellung der Kompliziertheit ist dumm, verstehen Sie? Das interessiert niemanden, also mich jedenfalls nicht.
WS: Vieles der Neuen Musik ist einfach wahnsinnig kompliziert.
WK: Ja, es soll das Komplizierte gezeigt werden, damit man sagen kann »das ist aber kompliziert«, das ist aber nicht der Sinn der Musik.
WS: Und der Sinn der Musik ist?
WK: Freude zu bereiten. Glück zu bereiten. Auch Schmerz zu bereiten. Das Gefühlsleben zu treffen.
WS: Das ja oft kompliziert genug ist, das Gefühlsleben.
WK: Ja sicher. Aber es haben doch viele Menschen ein solches und wissen es oft gar nicht. Da kann die Musik etwas bei ihnen treffen, was ihnen gar nicht so bewusst war. Und da freuen sie sich dann, dass die Musik sie verstanden hat.
WS: Eine einfache Melodie hat natürlich auch eine Harmonik …
WK: Ja … meistens.
WS: Oder auch beim Klavier – die linke Hand spielt Akkorde oder führt weiter.