Komponisten in Bayern. Dokumente musikalischen Schaffens -  - E-Book

Komponisten in Bayern. Dokumente musikalischen Schaffens E-Book

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Beschreibung

Komponist, Improvisator am Klavier, Musikwissenschaftler, Buchautor, Hochschullehrer und vieles mehr: Peter Michael Hamel ist einer der facettenreichsten deutschen Musiker seiner Zeit. Als 68er revoltierte er gegen die Selbstzufriedenheit der Adenauerjahre, als musikalisches Enfant terrible gegen die Grenzen zwischen U- und E-Musik und gegen die Dogmen der Neuen Musik. Er suchte nach neuen Horizonten, ging bei indischen Musikern in die Lehre und war ein Wegbereiter von populären Entwicklungen wie der »Weltmusik« oder der »New Age«-Bewegung. Genauso vielseitig wie der Komponist ist auch seine Musik: Sein Werk umfasst Improvisation, Kammermusik in verschiedensten Besetzungen, Vokalmusik von Kabarettsongs bis hin zur tiefgründig gestalteten Missa, Symphonien, Solokonzerte und Musiktheater. Peter Michael Hamel findet aus der Haltung des Improvisierens seine Inspiration. Dementsprechend ist seine Musik emo¬tional packend, ohne dass ihr profundes Handwerk und eine architektonisch durchdachte Konstruktion abgesprochen werden könnten. So sehr Peter Michael Hamel in die Welt hinausstrebt, er fühlt sich doch in Bayern, in seiner Geburtsstadt München und im Chiemgau, wo er lebt, und vor allem in der Libe¬ralitas bavariae verwurzelt. Sein Münchner Hochschullehrer Günter Bialas und sein Mentor Carl Orff ermutigten ihn einst, seinen Weg in aller Freiheit und Offenheit zu gehen. Diese pädagogische Grundhaltung nahm er mit nach Ham¬burg, wo es ihm als Hochschullehrer ein Anliegen war, seinen Studenten Weltoffenheit und die Fähigkeit zu vermitteln, Grenzen zu überwinden, sei es zwi¬schen den einzelnen Musiksparten, sei es zwischen den Kulturen unserer Welt. Die einzelnen Beiträge dieses Bandes beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven zentrale Aspekte zu Hamels Leben und Schaffen und machen neugierig, seine Musik aufzuführen und zu hören.

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Kuratorium:
Oswald Beaujean, Bayerischer Rundfunk Linde Dietl, Tonkünstlerverband Bayern e. V. Richard Heller, Tonkünstlerverband Bayern e. V. Theresa Henkel, Herausgeberin Dr. Dirk Hewig, Deutscher Tonkünstlerverband e. V. Herbert Hillig, Ministerialrat, beratendes Mitglied als Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst Arno Leicht, Hochschule für Musik Nürnberg Axel Linstädt, ehemals Bayerischer Rundfunk Dr. Franzpeter Messmer, Herausgeber, Vorsitzender Dr. Robert Münster, Herausgeber der Musica Bavarica Dr. Reiner Nägele, Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek Dr. Helga-Maria Palm-Beulich, Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Hartmut Schick, Universität München und Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte Dr. Bernhold Schmid, Bayerische Akademie der Wissenschaften Prof. Dr. Stephan Schmitt, Hochschule für Musik und Theater München Dr. Wolf-Dieter Seiffert, Verleger Alexander Strathern, Verleger Prof. Dr. Alexander L. Suder, Ehrenvorsitzender
Vorstand des Tonkünstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV: Vorsitzender: Dr. Franzpeter Messmer, München 1. Stellvertretender Vorsitzender: Steffen Zeller, Würzburg 2. Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Michaela Pühn, München Ehrenvorsitzende: Prof. Dr. Alexander L. Suder, Dr. Dirk Hewig, München Schatzmeister: Dr. Wolfram Göbel, München Schriftführer: Matthias Edler von Pollak
Mit Unterstützung von: Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst GEMA-Stiftung
August 2015 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH © 2015 Buch&media GmbH © 2015 der Einzelbeiträge bei den Autorinnen Herstellung: Kay Fretwurst, Freienbrink Titelfoto: Helmut Bieler (Foto: Achim Bieler, 2015) Printed in Germany . ISBN 978-3-86906-765-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zum zum 58. Band

Thomas Emmerig Biografie von Helmut Bieler: Für mich ist Musik ein Bedürfnis, mich auszudrücken, indem ich komponiere, improvisiere oder spiele

Hans Schmidt-MannheimGespräch mit Helmut Bieler im Dezember 2014

Bildteil

Desiree MayerGestohlenes Leben – Eine Kammeroper von Helmut Bieler

Helmut Scheller Die Geistliche Musik von Helmut Bieler

Wolfram Graf Von Rondel zu Rondello - Ein Blick auf Helmut Bielers Orchesterwerke

Marie Tremblay-Schmalhofer Helmut Bieler – Die kammermusikalischen Werke mit Gesang

Wilfried Krüger Helmut Bielers Kammermusik für das KlangKonzepte Ensemble Nürnberg

Helmut W. Erdmann Kompositionen für Flöte Solo und für Flöte, Schlagzeug und Klavier

Uta Walther Die Klaviermusik von Helmut Bieler

Werkverzeichnis von Helmut Bieler

Literaturverzeichnis

Diskografie

Über die Autoren

Personenregister

Zu diesem Band gehört eine CD, die Werke von Helmut Bieler enthält. Sie bietet damit zum Teil eine akustische Ergänzung zum analytischen Teil des Buchs. Die CD ist zu bestellen zum Preis von 15,00 Euro zuzüglich Versandspesen beim Tonkünstlerverband Bayern e. V. im DTKV, Sandstraße 31 / 0, 80335 München, E-Mail: [email protected].

Vorwort

zum 58. Band

Helmut Bieler zählt zweifelsohne zu den experimentierfreudigsten Komponisten des 20. und angehenden 21. Jahrhunderts. Zugleich ist er einer der Sensibelsten unter den Modernen und er orientiert sich nicht an vorgegebenen Reihensystemen, sondern entwickelte seine eigene Tonsprache und -ordnung. Im Kopf beginnen seine Kompositionen, die er dann auf ein Notenpapier abschreibt und die schließlich einem prüfenden Blick an der Klaviatur unterzogen werden. Stets authentisch und berührend komponieren, ist sein Ziel. Bielers Musik, so Wolfram Graf in seiner Laudatio zur Verleihung des Friedrich-Baur- Preises im Jahr 2008, ist ein Geschenk an alle. Ein sehr bedeutendes Geschenk hat Bieler mit seinem Werk Musicienne du silence nach einem Text von Stéphane Mallarmé geschaffen, das gleichsam als eine Hommage an ihn selbst verstanden werden kann.

Sein Œuvre umfasst im Jahr 2015 mehr als 100 Werke, darunter zwei Bühnenwerke und vier großbesetzte Werke für Chor, Solisten und Orchester. Ein Großteil der Kompositionen greift auf ein oder zwei Tasteninstrumente zurück, worin Bielers Profession als Pianist und Kammermusiker deutlich wird.

Er kann auf eine umfassende Konzerttätigkeit blicken, die sich zum einen in der Gründung des Ensembles Musica Viva Bayreuth widerspiegelt, sich zum anderen in seiner steten Vermittlung des klassischen wie zeitgenössischen Repertoires zeigt. Diese Vermittlung war ihm stets wichtig und er konnte in seiner langjährigen Funktion als Professor für Musikdidaktik an der Universität Bayreuth und Leiter des Universitätschors sein Wissen an die Nachwuchsgeneration weitergeben.

Theresa Henkel Franzpeter Messmer

Herausgeber

Thomas Emmerig

Biografie von Helmut Bieler:

Für mich ist Musik ein Bedürfnis, mich auszudrücken, indem ich komponiere, improvisiere oder spiele

Wenn Helmut Bieler komponiert, bietet sich ein traditioneller Anblick. Er greift zu Bleistift, Radiergummi und Notenpapier. Kaum vorstellbar, dass jemand, der sich selbst in gewisser Weise als Romantiker bezeichnet, am Computer komponieren würde.1 Der Komponist, der mit Konzerten und Komposition eigentlich immer zu tun hatte, wie er mir 1992 geschrieben hatte, hielt noch 1980 Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Böhm aus dem Jahre 1961 für erwähnenswert. Am allermeisten ist Helmut Bieler aber doch Musiker. Wie man so schön sagt: mit Leib und Seele – und natürlich auch mit Geist. Und hier, d.h. in seinen Werken, findet sich, wenn man ein Ohr dafür hat, die ganze Persönlichkeit wieder.2

Helmut Bieler wurde am 7. Juni 1940 in Gersfeld / Rhön geboren. Sein Vater Karl Bieler, der Volksschullehrer war, stammte aus Frankenberg bei Marburg; seine Mutter Margarete Bieler war in der gleichen Gegend aufgewachsen. Bereits mit sechs Jahren spielte Helmut sehr gerne Klavier, improvisierte auch viel und bekam bald Unterricht bei Leopold Zawichowski. Mit zwölf Jahren begann er zu komponieren. Sein fünf Jahre älterer Bruder Karl-Heinz riet ihm: Schreib das doch mal auf, was du alles so komponierst! Inzwischen war die Familie nach Bayreuth umgezogen. Ab Januar 1954 erhielt Helmut Bieler dort bei Robert Spilling Klavier- und Kompositionsunterricht. 1955 hatte er einen ersten öffentlichen Auftritt. Ein weiterer folgte am 21. November 1959 in einem Konzert mit romantischen Frauenchören, über das die Presse berichtete:

Solist des Abends war Helmut Bieler, Klavier. Als Schüler der Bayreuther Oberrealschule trat er vor vier Jahren in einem Hausmusikabend der Anstalt mit Kinderszenen von Robert Schumann erstmals an die Oeffentlichkeit (sic!). Aus der damals schon zu erkennenden Begabung hat sich bis heute bei dem erst Siebzehnjährigen (sic!) eine erstaunliche Reife entwickelt. Die Fis-Moll-Sonatine von Maurice Ravel [...] gaben (sic!) Bieler Gelegenheit, sein Gestaltungsvermögen unter Beweis zu stellen. In Felix Mendelssohn- Bartholdys Variationen serieuses (sic!) op. 54 erfüllte Bieler über die Deutung hinaus auch alle pianistischen Ansprüche. 3

Etwa 1960 stellte Spilling fest: Jetzt bist du besser als ich, jetzt spielst du meine Konzerte! Von da an korrepetierte Bieler in Bayreuth beim Philharmonischen Chor und gelegentlich einzelne Sänger des Festspielhauses. In den folgenden Jahren konzertierte er u. a. mit Musikern aus dem Bayreuther Festspielorchester wie den Geigern Jan Krejčí, Isabella Petrosjan, Therese Ritthaler und Ursula Sütterlin, dem Hornisten Gerd Seifert und dem Cellisten Robert Reitberger, aber auch mit den Bayreuther Sängern Nora Meschulam, Edward Louis Smart und Susanne Vill. Die blinde Sängerin Gretl Genk begleitete er auf einer Tournee. Das Repertoire dieser Konzerte war durchgängig traditionell mit einem deutlichen Schwerpunkt in der Romantik.

Nach dem Abitur am Bayreuther Graf-Münster-Gymnasium (der früheren Oberrealschule) im Jahre 1961 studierte er bis 1966 an der Staatlichen Hochschule für Musik in München Schulmusik bei Anton Walter, Theorie und Komposition bei Franz Xaver Lehner, wo Nicolaus A. Huber sein Kurskollege war, Klavier bei Friedrich Wührer und Aldo Schoen sowie Chorleitung bei Fritz Schieri. Hier gab es immer die Auseinandersetzung zwischen Neuer Musik auf der einen Seite und traditionellen Gewohnheiten auf der anderen Seite. Franz Xaver Lehner übte offensichtlich einen prägenden Einfluss auf Bieler aus mit der Forderung, Rechenschaft über jeden einzelnen Ton abzulegen. Seine Frage war: Wollen Sie das g e n a u s o , wie Sie es geschrieben haben – oder haben Sie es einfach n u r s o geschrieben? Wollen Sie es g e n a u s o ? Was wollen Sie genau?4

In den Jahren 1965 und 1966 legte Bieler künstlerische und pädagogische Staatsexamina ab. In einem Hochschulkonzert im Juni 1965 mit Werken von Studierenden der Kompositionsklassen gelangte sein Quintett für Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello und Klavier (1964) zur Uraufführung. Martin Gregor-Dellin widmete dem Opus eine eingehende Kritik in der Fränkischen Presse:

Helmut Bielers Quintett unterscheidet sich von seinen früheren Kompositionen deutlich durch eine eigene Tonsprache und könnte als sein »Opus 1« gelten. Ein zunächst spröd erscheinendes, aber entwicklungsfähiges thematisches Material wird von den fünf Instrumenten kurzperiodisch in einer Einleitung und einem daran anschließenden lebhaften Satz entwickelt, rhythmisch abgestuft und zu einem transparenten Gewebe ausgebreitet. Man könnte diesen Satz »unmetrisch« nennen, ähnlich einem Gedicht in freien Rhythmen. Erschließt sich die Gliederung dieses Satzes auch nicht sofort, so wird doch spürbar oder besser hörbar, daß Bieler über starke, tragende melodische Einfälle verfügt, die es ihm, ähnlich wie Henze, erlauben, auf krasse Effekte zu verzichten. […] Seine Musik bezieht ihre Spannung aus den Berührungspunkten des thematischen Materials, die sich aus dem polyphonen Ablauf von selbst ergeben. Dazwischen spart er alles Willkürliche aus, so daß selbst eine scheinbar »dissonante« Stimmführung dem Ohr relativ leicht eingeht. […] Helmut Bieler ist vielleicht nicht der Künstlertyp, dem ein schneller und spektakulärer Erfolg beschieden ist, aber wenn er sich selbst treu bleibt, könnte er bei seiner Akribie und dem Ernst, mit dem er sich der Musik hingibt, um so sicherer sein gestecktes Ziel erreichen.5

Im Rückblick und mit dem Wissen um den Weg, den der Komponist gegangen ist, möchte man diesen Bericht geradezu als hellsichtig einschätzen.

Nach dem Studium kehrte Bieler nach Bayreuth zurück, wo er bis heute lebt. In den Jahren 1966–1979 war er dort als Musikerzieher am Musischen Markgräfin- Wilhelmine-Gymnasium tätig, wo er neben dem Klassenunterricht den Chor leitete und Klavierunterricht gab; in allen Bereichen mit Betonung der Neuen Musik zur Erweiterung des Verständnisses.

In den Jahren 1967–1969 veranstaltete die Stadt Nürnberg die Reihe Konzerte junger Künstler, in der Bieler als Pianist immer im Duo mit verschiedenen Geigern wie Alexander Asteriades und Ursula Sütterlin konzertierte. Etwa 1968 lernte Bieler den Komponisten Dieter Salbert in Nürnberg kennen und bekam durch ihn Kontakt zu der Gruppierung Junge Akademie Nürnberg.

Am 19. November 1969 begleitete Bieler den Sänger Edward Louis Smart in einer Konzertstunde des Richard-Wagner-Verbands Bayreuth. Walter Bronnenmeyer schrieb anschließend:

Helmut Bieler, der in letzter Zeit vielbeschäftigte Bayreuther Pianist und Musikpädagoge, war nicht nur exzellenter Begleiter, er machte auch mit zwei Solowerken erneut auf sein immenses Können aufmerksam: Die B-Dur-Partita von Johann Sebastian Bach hörte man in aller wünschenswerten Klarheit, gestalterisch souverän und voll musikalischen Elans. Und ein Werk wie Beethovens schwierige Sonate As-Dur, op. 110, weiß Bieler technisch und geistig gültig zu gestalten.6

Anfang der 1970er Jahre beschäftigte sich der Komponist Bieler, der alle Entwicklungen Neuer Musik beobachtete, ohne eine Entscheidung für die eine oder andere Richtung zu treffen, mit der Erkundung neuer Klänge, was den Reiz der Neuen Musik ausmachte. Irgendwie, sagte er, bleibt Verschiedenes in einem hängen, und man verarbeitet es mit den Vorstellungen, die man selbst von sich aus hat – und die die eigene Klangwelt bereichern, beeinflussen. Er unternahm Versuche mit zwölftöniger und serieller Kompositionsweise, bis er erkannte, dass er kein Geschick im Umgang mit Reihensystemen hatte. So gelangte er schließlich zur Entwicklung einer eigenen Ordnung der Töne und fand damit eine Möglichkeit, sich auszudrücken. In dieser Zeit besuchte er einige Male die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, wo er 1972 in einem Kurs von Helmut Lachenmann seine Komposition Esothén für Flügel innen (1971 / 72) vorstellen konnte, sowie die Donaueschinger Musiktage, bei denen er nur Zuhörer war, aber dadurch so spannende Aufführungen wie etwa Karlheinz Stockhausens Stimmung erlebte.

Etwa 1971 holte Klaus Hashagen, der Leiter der Musikabteilung von Studio Nürnberg des Bayerischen Rundfunks, ihn für Aufnahmen in der Nürnberger Sebaldus-Kirche. Im Sommer 1971 wirkte Bieler bei einem Kammermusikabend mit drei Werken von Brahms mit. Die Presse berichtete:

Bei so viel Anspruchsvollem und dazu bei lähmenden Treibhaustemperaturen verdient Helmut Bielers Schwerarbeit am Flügel ein Extrakompliment. Für ihn war es ein abendfüllendes Klavierprogramm. Bei einer so charmanten Partnerin wie Isabella Petrosjan hätte es nach Knigge wohl die Schicklichkeit geboten, der Dame den Vortritt zu lassen, doch Bieler hielt sich in diesem Fall richtig – an Brahms, der eine Sonate für Klavier und Violine bewußt in dieser Reihenfolge geschrieben und zudem Bülow gewidmet hat. Er rückte – wie auch bei den anderen Werken – kaum von der Domäne des Klaviers ab, beleuchtete die kontrapunktischen oder polyphonen Funktionen und schuf wechselvolle Spannungen in einem echt konzertierenden Zusammenspiel.7

Anlässlich eines Konzerts des Bayreuther Madrigalchors im November 1971 schrieb der Rezensent:

Der Instrumentalsolist des Abends war Helmut Bieler. Auf einem ebenso klangvollen wie klangvariablen Ranftl-Konzert-Cembalo spielte er mit ausgefeilter Ornamentik und Figuration Musik von Andrea Gabrieli und Pachelbel. Mit dem Vortrag von vier Stücken aus Bartóks »Mikrokosmos« erwies er sich vollends als impulsiver und technisch versierter Musikant.8

1972 schloss Bieler sich dem Eckigen Kreis an. Unter diesem Namen hatten sich Komponisten, Bildende Künstler und Autoren zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Michael Fahres, dem der Eckige Kreis seine Entstehung verdankte, hatte Bieler bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik kennen gelernt und zur Mitarbeit gewonnen. Bieler und ich hatten als Komponisten wesentlichen Anteil an den Konzerten, die im Zentrum der Aktivitäten standen. Bieler war in diesen Konzerten außerdem teilweise auch als Pianist tätig. Am 26. Januar 1973 war er erstmals in einem Konzert dieses Kreises in Regensburg mit seiner Komposition Esothén für Flügel innen (1971 / 72) vertreten. Weitere Aufführungen folgten mit dem Werk Dialog für zwei Cembali (1971) am 21. Mai 1973 in Regensburg und am 4. Juni 1973 in Bamberg. Am 8. Juni folgte ebenfalls in Bamberg die Uraufführung von Treffpunkte für Cembalo und Schlaginstrumente (1973).9 Die Jahre von 1972 bis 1981 haben uns bei verschiedensten Anlässen zusammengebracht, bei öffentlichen Konzerten ebenso wie bei privaten Begegnungen. Gespräche führten zu vielerlei persönlichen und musikalischen Anregungen. Mit Beginn des Jahres 1981 ging diese Phase zu Ende.

Etwa zu Beginn des Jahres 1975 wurde Bieler am Ende eines Gesprächs gefragt: Glauben Sie, schon etwas geschaffen zu haben, was man als gültig für unsere Zeit ansprechen kann? Er antwortete damals: Wenn ich »..« sagte, klänge das überheblich. Wenn ich »nein« sagte, würde ich meine eigene Arbeit negieren. Jedenfalls ist das, was ich mache, für mich und meine persönliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung.10

1975 lernte Bieler beim Jugendfestspieltreffen in Bayreuth durch Dieter Salbert den Flötisten und Komponisten Helmut W. Erdmann kennen. Daraus entstand eine bis heute andauernde Zusammenarbeit im Ensemble für neue Musik Lüneburg mit den jährlich wiederkehrenden Veranstaltungsreihen der Internationalen Studienwoche im Frühjahr und des Festivals Neue Musik in Lüneburg im Herbst, wo Bieler als Zuhörer, Pianist und Komponist teilnahm, sowie später im Ensemble Musica Viva Bayreuth. Erdmanns intensive Beschäftigung mit Elektronik und ihrem Einsatz als Live-Elektronik brachte auch Bieler zur Auseinandersetzung mit deren Möglichkeiten, die er aber in eigenen Kompositionen in einem Zeitraum von zehn Jahren immer nur sporadisch und gezielt unter dem Aspekt der Klangerweiterung einsetzte.

In den Jahren 1975–1985 spielte Bieler zahlreiche Rundfunkaufnahmen für den Bayerischen Rundfunk, den Mitteldeutschen Rundfunk, den Norddeutschen Rundfunk, den Westdeutschen Rundfunk und Radio Bremen und für den Bayerischen Rundfunk, insbesondere als Pianist für Neue Musik.11 Sie dokumentieren sein ebenso zartes und sensibles wie kraftvoll zupackendes Spiel mit durchaus virtuosem Impetus. Wolfram Graf sagte etwa 30 Jahre später über diesen Teil von Bielers Tätigkeit:

Auch in diesem Bereich schauen viele Komponistenfreunde mit Dankbarkeit auf ihn, denn sein enormer Einsatz für das Schaffen seiner Kollegen im Konzert, im Rundfunk, bei Platten- und CD-Aufnahmen, im Befürworten und Einbringen seines gewichtigen Wortes, um Möglichkeiten für Aufführungen zu schaffen, das wäre allein einen weiteren Preis wert.12

In dieser Zeit nahm Bieler auch zahlreiche Verpflichtungen als Dozent bei Tagungen, Kursen, Workshops und zu Vorträgen wahr.

Der Komponist Bieler schrieb 1977 im Auftrag der Bad Hersfelder Festspielkonzerte mit der Musik zu der Dichtung Der Ackermann aus Böhmen des Johannes von Tepl (um 1400) ein frühes Hauptwerk. Nach der Uraufführung berichtete Bernd Müllmann:

Bieler ist ein fantasievoller, sensibel das Wort aushorchender Musiker, der nicht die Dichtung komponiert, das Wort illustriert […], sondern die geistigen Bezüge der Dichtung, die zeitlos, gar aktuell sind, heraushebt und unterstreicht. […] Er vermeidet recht erfolgreich die Untermalung, sondern die Szenen des Streitgesprächs werden aufgerissen – Auflehnung, Zorn, Fluch, Lebensangst des Menschen und seine totale Unterwerfung. […] Die Musik überfordert den Hörer nicht, sie ist kritisch, wenn sie die vermeintliche Festigkeit des Glaubens (heute) in Frage stellt. Die ausbrechende Tonalität der Orgel zum Amen »beglückt« nicht. Spontaner Beifall.13

Das Werk wurde nicht nur in vielen Städten Deutschlands erfolgreich aufgeführt, Klaus Hashagen sorgte vielmehr beim Bayerischen Rundfunk dafür, dass das Werk zehn Jahre lang jeweils in der letzten Stunde des Jahres im Programm Bayern 2 ausgestrahlt wurde.

Im Sommer 1979 gab Susanne Vill, begleitet von Helmut Bieler, in Bayreuth einen Liederabend. Auf dem Programm standen Werke von Pfitzner, Ravel, Debussy, Berg, Strauss und Wolf. Die Presse lobte nicht nur die Sängerin für das beglückende Konzert:

Es gab aber noch ein zweites Ereignis in diesem Konzert, nämlich Helmut Bieler als Begleiter. Als Komponist ein konsequenter Vertreter der experimentierfreudigen Avantgarde, mag er bei manchem im Verdacht stehen, die Bindungen zur herkömmlichen Musik völlig gekappt zu haben. Das Gegenteil ist der Fall: So vollgriffig, wie er die Pfitznerschen und Bergschen Klaviersätze aufrauschen ließ, so inspiriert, wie er Ravels und Debussys Musik zum Leuchten brachte, so brandheiß »tristanisch«, wie er Hugo Wolfs Mignon- Lieder in orchestral empfundene Dimensionen umsetzte, war seine Mitwirkung alles andere als die Pflichtausübung eines Abgewanderten. Es war glutvolles Engagement eines Künstlers, der sich zu dem, was er tut, bekennt. So mancher arrivierte Konzertbegleiter könnte von diesem exzellenten Bayreuther Musiker etwas lernen! 14 14

Seit 1979 lehrte Bieler Musikdidaktik und Musiktheorie an der Universität Bayreuth. Hier übernahm er die Leitung des Universitätschors und gründete ein Universitäts-Improvisationsensemble; mit beiden Klangkörpern führte er Studenten an Neue Musik heran. Diese pädagogische Aufgabe war ihm als solche wichtig, nicht als Missionar, sondern zur Erweiterung des Verständnisses, wie er sagte.

1980 gründete er das Ensemble Musica Viva Bayreuth, dessen Leiter und Pianist er noch heute ist, mit Susanne Vill (Sopran), Helmut W. Erdmann (Flöte) und Bernd Kremling (Schlagzeug). Im gleichen Jahr erhielt er den Kulturförderpreis der Stadt Nürnberg. Zu diesem Anlass war in der Presse zu lesen:

Helmut Bieler gehört zu jenen Komponisten, die nicht als Senkrechtstarter spektakulär aufgestiegen sind oder mit einem bestimmten Werk den plötzlichen Durchbruch schafften. Er hat sich seit seinen ersten Kompositionsversuchen [.] konstant und konsequent weiterentwickelt, bis sich der Personalstil fixiert hatte. [.] Er ist einer der Sensibelsten unter den Modernen; der Titel einer seiner Kompositionen charakterisiert seine Tonsprache: »Musicienne du silence« nach einem Text von Mallarme.15

In den 1980er Jahren wurde der Weg zu einer eigenen Ordnung der Töne deutlicher und konkreter. Wichtig war für Bieler eine deutliche innere Klangvorstellung. Er hatte für sich die Spannung entdeckt, die im Klang selbst liegt und in der Folge der Klänge, wie er sagte; Klangspannung bezeichnete er als wichtigstes Kriterium. Er entwickelte eine Fähigkeit zum innerlichen Voraushören von Tönen, Klängen, Intervallen und Klangkomplexen, die er dann aufschrieb – die Nachkontrolle erfolgte am Klavier. Wie kam er dazu? Die Erarbeitung eines persönlichen Verfahrens entstand für mich aus der Analyse der Dinge, die ich vorher spontan geschrieben hatte.

In den Jahren 1984 / 85 schuf der Komponist mit seiner Pastoralmesse Miserere Domine für Alt, Bariton, Sprecher, Chor, Instrumente und zwei Orgeln ein weiteres Hauptwerk. Es konfrontiert den liturgischen Text mit einem Gegentext von Uwe Hoppe.