Konfessionslos glücklich - Hans-Martin Barth - E-Book

Konfessionslos glücklich E-Book

Hans-Martin Barth

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Beschreibung

Religionslosigkeit und Konfessionsvergessenheit ernst nehmen

Leise ist dieses Buch, doch radikal in seinen Fragen und herausfordernd in den Konsequenzen, die es zieht. Hans-Martin Barth fragt im ersten Teil seines Werkes nach der Religiosität des Menschen. In sorgfältiger Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstandes zeigt er: Menschen sind nicht „von vorneherein“ religiös! Wenn immer mehr Frauen und Männer Kirche, Konfession und Religion als für ihr Leben belanglos empfinden, dann verwirklichen sie nur eine der menschlichen Möglichkeiten, das Leben zu deuten. Es geht auch ohne Religion und - es geht gut!
Ist also das Christentum in Europa dem Untergang geweiht? Nein, meint Hans-Martin Barth. Aber wer verhindern will, dass das Christsein in Zukunft bestenfalls noch in einer sektenhaften Sonderwelt weiter existiert, der muss Wege finden, die Botschaft Jesu jenseits von Konfession und Religion neu zu sagen. Das verlangt radikalen Wandel: In der Theologie und der Sprache des Glaubens, im Verständnis der Kirche und in ihrer Struktur, in der Weise des kirchlichen Handelns in Liturgie und Präsenz in der Welt. Ein aufrüttelndes Werk – hellsichtig und berührend.

"Gottes Plan mit der Menschheit ist nicht auf die Geschichten der institutionellen Kirchen beschränkt. Gott sei Dank!"

  • Für eine neue Gestalt des Christseins jenseits der Konfessionen
  • Ein großes Buch - radikal und berührend

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Vorwort

Konfessions- und Religionslosigkeit sind mir von Hause aus nicht vertraut. Doch habe ich als Gymnasiast in Nürnberg interessiert an einzelnen Veranstaltungen des dortigen »Bundes für Geistesfreiheit« teilgenommen. Meine Habilitationsvorlesung über Feuerbach hätte mich dann fast die »venia legendi« gekostet. Während des Studiums an der Harvard Divinity School/Cambridge, Ma., in der Hoch-Phase der Gott-ist-tot-Theologie, kristallisierte sich das Thema meiner Habilitationsschrift heraus: »Atheismus und Orthodoxie«. In meiner interreligiös orientierten Dogmatik meinte ich, den »Areligiösen« wenigstens einen Epilog schuldig zu sein.

Inzwischen haben Konfessionslosigkeit, Areligiosität und Atheismus längst aufgehört, nur akademisch-theoretische Themen zu sein. Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung gehört keiner Religionsgemeinschaft an. Die kulturelle Situation in Mitteleuropa hat sich radikal gewandelt.

Der vorliegende Band richtet sich nicht direkt an Konfessionslose und Areligiöse, obwohl es mich freuen würde, wenn er auch in deren Kreisen wahrgenommen würde. Er wendet sich vielmehr an Menschen innerhalb der Kirchen, die nach der Zukunft des Christentums fragen. Er möchte darauf aufmerksam machen, dass die These von einem religiösen Apriori durchaus umstritten ist, dass die Religionsgeschichte weitergeht und dass in der Tat eine religionsgeschichtliche Bifurkation, eine Gabelung in eine religiöse und eine areligiöse Weiterentwicklung, denkbar wird. Was bedeutet das für die heute existierenden institutionalisierten Kirchen? Wie können sie in dieser teils religiös, teils areligiös bestimmten Situation ihre Botschaft vermitteln? Muss man sich erst religiös sensibilisieren, bevor man Christ/Christin werden kann? Worin und warum führen Glaube und Evangelium notwendig über Religiosität wie auch über Areligiosität hinaus? Es gilt, Wege zu einem religionstranszendenten Christsein zu erkunden und zu erproben.

Zu danken habe ich für einen kritischen Blick auf den Abschnitt zur Soziologie Prof. Dr. Dirk Kaesler/Wiesbaden, für die Durchsicht der psychologischen Passagen unserem Sohn Andreas Barth/Bad Neuenahr, sowie für manchen kritischen Einspruch und für kompetente Lektorierung meinem Studienfreund Dr. Bernhard Brons/ Nürnberg. Gerade angesichts des schwierigen Themas waren für mich unerlässlich, klärend und weiterführend viele Gespräche mit meiner Frau, die ihre Erfahrung mit Konfessionslosen in Seelsorge und Erwachsenenbildung einbrachte. Die sorgsame Betreuung der Drucklegung übernahm wieder Diedrich Steen, Programmleiter und Lektor beim Gütersloher Verlagshaus.

In dankbarer Erinnerung an viel Gutes, das ich durch die Begegnung mit der iatlienischen Waldenser-Kirche empfangen habe, widme ich dieses Buch dem langjährigen Freund und Kollegen an der Facoltà Valdese di Teologia in Rom, Prof. Dr. Sergio Rostagno.

Marburg, im März 2013

Hans-Martin Barth

Inhaltsverzeichnis

VorwortA - Areligiosität und Religionslosigkeit als Herausforderung von Theologie und Kirche
1 Worum es geht
1.1 Die Herausforderung1.2 Der Forschungsstand
2 Terminologische Probleme
2.1 Konfession/Konfessionslosigkeit/Konfessionsfreiheit2.2 Religion/Religionslosigkeit
2.2.1 »Religion«2.2.2 »Religiosität«2.2.3 Deskriptionsversuche von Areligiosität/Religionslosigkeit2.2.4 Die Unterscheidbarkeit von Religiosität und Areligiosität
2.3 Transzendieren als anthropologische Voraussetzung von Religiosität und Areligiosität?
2.3.1 Anthropologie des Transzendierens ohne religiöse Implikationen2.3.2 Die Herausforderung an die christliche Theologie
3 Die Situation
3.1 Unklare Gemengelage
3.1.1 Paradigma Deutschland3.1.2 Internationale Stimmen3.1.3 Konfessionsfreiheit
3.2 Soziologisch orientierte Wahrnehmungen
3.2.1 Analysen von »Konfessionslosigkeit«3.2.2 Analysen von Areligiosität und Religionslosigkeit
3.3 Konturen areligiöser Weltsicht
3.3.1 Soziologische Erhebungen3.3.2 Konfessionsfreie religionslose Selbstbekenntnisse3.3.3 Reflektierte areligiöse Selbstwahrnehmung
3.4 Ein säkulares Zeitalter
3.4.1 Ausgrenzender, selbstgenügsamer Humanismus3.4.2 Säkularisationsgeschichte3.4.3 Säkulares Zeitalter mit Zukunft?3.4.4 Unterbestimmung der Säkularität?
3.5 Anthropologische Problematik und theologische Folgeprobleme
3.5.1 Areligiosität als anthropologisches Problem3.5.2 Reformulierung der Bonhoeffer-Frage
4 Philosophisch-theologische Theorien über ein »religiöses Apriori«
4.1 Begründung und Verteidigung der Religiositäts-Hypothese
4.1.1 »Anima naturaliter religiosa« und »allgemeine Offenbarung«4.1.2 Religiosität der Innerlichkeit4.1.3 Religiosität als philosophisch-theologische Implikation des christlichen Glaubens
4.2 Die Bestreitung der Religiositäts-Hypothese
4.2.1 Der allmähliche Abschied von der Religiositäts-Hypothese4.2.2 Die Kritik der Anthropologie des Transzendierens4.2.3 Die Tragweite der philosophisch-theologischen Diskussion über ein religiöses Apriori
5 Empirische Untersuchungen zur Religiosität
5.1 Psychosomatische Konditionen
5.1.1 Placebo-Forschung5.1.2 Epilepsie-Forschung5.1.3 Schizophrenie5.1.4 Hirnforschung5.1.5 Kognitionsforschung: »Creditionen«?5.1.6 Zwillingsforschung5.1.7 Mentale Veränderungen
5.2 Evolution und Religionsgeschichte
5.2.1 Das Tier-Mensch-Übergangsfeld5.2.2 Paläontologische Funde5.2.3 Religiosität – ein Selektionsvorteil?5.2.4 Die Verbreitung von Religiosität/Areligiosität5.2.5 Vielgestaltige Entwicklungslinien
5.3 Religionspsychologie
5.3.1 Religiosität – eine psychische Depravation?5.3.2 Psychische Bedingtheit von Religiosität und Areligiosität5.3.3 Psychische Auswirkungen von »Glaube« und »Glaubenslosigkeit«5.3.4 Interdependenz von »Glaube« und »Glaubenslosigkeit«
5.4 Soziologische Beobachtungen
5.4.1 Religion – eine gesellschaftliche Verirrung?5.4.2 Die Gesellschaft und der einzelne religiöse/areligiöse Mensch5.4.3 Der einzelne religiöse/areligiöse Mensch und die Gesellschaft5.4.4 Areligiosität und Religiosität als existentielle Möglichkeiten des Individuums
5.5 Die Tragweite empirischer Untersuchungen zur Religiosität
5.5.1 Kein Nachweis für ein »religiöses Apriori«5.5.2 Die theologische Herausforderung
B - Religionstranszendenter Glaube als Antwort auf Religions- und Konfessionslosigkeit
1 Diskursfelder
1.1 Die neue Situation1.2 Die neuen Fragen
2 Konfessionsfrei religionslos Christ sein?
2.1 Christ sein – konfessionell oder konfessionsfrei?
2.1.1 Christ sein innerhalb einer institutionellen konfessionellen Gemeinschaft2.1.2 Christ sein innerhalb einer Bekenntnisgemeinschaft2.1.3 Konfessionsfreies Christentum
2.2 Christ sein – religiös oder religionslos?
2.2.1 Religionskritisch Christ sein2.2.2 Religionslos Christ sein?
3 Religionslosigkeit und nichtreligiöse Interpretation
3.1 Religion/Religionslosigkeit
3.1.1 Religionslose Welt3.1.2 Authentisches Christsein
3.2 Nichtreligiöse Interpretation
3.2.1 Missverständnisse und Fehlhaltungen3.2.2 Konkrete Hinweise3.2.3 Christologische Interpretation3.2.4 Theologie des Lebens
3.3 Arkandisziplin
3.3.1 Die Beziehung zwischen nichtreligiöser Interpretation und Arkandisziplin3.3.2 Die durch Arkandisziplin zu schützenden »Geheimnisse«3.3.3 Das altkirchliche Modell3.3.4 Das Problem der Kirchenzugehörigkeit
3.4 Auswertung
3.4.1 Von Gott zugemutete Situation3.4.2 Christ sein unabhängig von Religion und Religionslosigkeit3.4.3 Kirche in einer nichtreligiösen Welt
4 Die sprachliche Gestalt des Evangeliums
4.1 Das Evangelium im Gewand religiöser und nichtreligiöser Sprache
4.1.1 Die anthropologische Legitimität religiöser Sprache4.1.2 Die Eigenart religiöser Sprache4.1.3 Umgang mit religiöser Sprache
4.2 Die Befreiung des Evangeliums von der Verführbarkeit durch religiöse Sprache
4.2.1 Das Problem der Übersetzbarkeit religiöser Sprache4.2.2 Klärungsvorschläge4.2.3 Profanes Evangelium4.2.4 Möglichkeiten und Grenzen areligiöser Verkündigung4.2.5 Beispiel: Vaterunser
5 Das Bekenntnis der Kirche in verändertem Kontext
5.1 Die faktische Relativierung von Bekenntnissen5.2 Bekenntnis als innerkirchliche Selbstverständigung
5.2.1 Historische Bekenntnisse5.2.2 Bekenntnishermeneutik
5.3 Bekenntnisbefähigung
5.3.1 Authentisches Bekennen5.3.2 Gemeinsames Bekennen5.3.3 Bekennen mit nichtreligiösen Worten
5.4 Bekenntnis als attraktiver Anreiz für Konfessionslose und Areligiöse
5.4.1 Bekennen und verstehen5.4.2 Bekennen und provozieren
5.5 Entkonditionalisierung des Bekenntnisses
5.5.1 Identifikation mit dem Text5.5.2 Identifikation mit der Gemeinschaft
5.6 Ekklesiologische Konsequenzen
5.6.1 Das falsche Modell5.6.2 Kirche mit durchlässigen Grenzen
6 Sakramente inmitten eines konfessionsfreien und areligiösen Umfelds
6.1 Heilsnotwendigkeit der Sakramente?
6.1.1 Katholisches Kirchenrecht6.1.2 Reformatorische Differenzierungen
6.2 Zulassungsbedingungen beim Abendmahl?
6.2.1 Codex Iuris Canonici6.2.2 »Leitlinien« der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland6.2.3 Theologische Diskussion
6.3 Relevanz der Taufe für die Kirchenmitgliedschaft?
6.3.1 Begründungsmodelle für die Zugehörigkeit zur Kirche6.3.2 Ungetaufte Glaubende6.3.3 Getaufte Konfessionslose
6.4 Die Gabe der Sakramente
6.4.1 Gabe, nicht Bedingung6.4.2 Das Sakrament der Identität6.4.3 Das Sakrament der Sozialität
6.5 Differenzierte Mitgliedschaft in der Kirche?
6.5.1 Formale Mitgliedschaft6.5.2 Alternativen6.5.3 Mitgliedschaft und Gastfreundschaft
7 Konsequenzen für kirchliches Denken und Handeln
7.1 Beziehungsaufnahme
7.1.1 Institutionelle und persönliche Beziehungen7.1.2 Einfühlung7.1.3 Selbstkritik
7.2 Interoptionaler Dialog
7.2.1 Dialog-Ebenen7.2.2 Dialog-Regeln7.2.3 Grenzen und Chancen des Dialogs
7.3 Konkrete Aufgaben
7.3.1 Sprache und Bildung7.3.2 Liturgisches und sakramentales Handeln
7.4 Sich wandelndes Selbstverständnis von Kirche und Konfession
7.4.1 Mitgliedschaftsprobleme7.4.2 Ansprechende Konfessionalität7.4.3 Offene Katholizität7.4.4 Universales religionstranszendentes Zeugnis
8 Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christentum
8.1 Jenseits von Religiosität und Areligiosität8.2 Religionstranszendente Elemente der biblischen und kirchlichen Tradition8.3 Nachfolge Jesu als Inbegriff von Religionstranszendenz8.4 Glaube, der nichts als Glaube ist8.5 Die Transzendenz religionstranszendenten Glaubens
AnmerkungenNamenregisterCopyright

A

Areligiosität und Religionslosigkeit als Herausforderung von Theologie und Kirche

1 Worum es geht

1.1 Die Herausforderung

Die weltweite Christenheit bewegt sich auf höchst unterschiedlichen Wegen – konfessionell, spirituell, kulturell, gesellschaftspolitisch. In Asien und Afrika sind starke Trends in Richtung auf Fundamentalismus zu beobachten. In Lateinamerika scheinen charismatische Kräfte vorzuherrschen. In Nordamerika zeichnen sich Spaltungen, Verwerfungen und Neugründungen ab. In Europa dagegen schwindet kirchliche Bindung zusehends, wenn auch in unterschiedlichem Maße. In Polen hat eine kirchenkritische Haltung eben erst eingesetzt, während sie in Frankreich, ja sogar in Italien und Spanien seit langem gang und gäbe ist. Am stärksten aber ist sie, abgesehen von Tschechien, in Deutschland, und dort wieder in den von der Reformation bestimmten Gebieten ausgeprägt. Viele Tausende von Menschen verlassen Jahr für Jahr die zahlenmäßig nach und nach deutlich abnehmenden Großkirchen. Vergleichsweise wenige der ihrer Kirche entfremdeten Christinnen und Christen schließen sich Freikirchen oder nichtchristlichen Religionen an; der Großteil aber begibt sich in ein konfessionelles und religiöses Niemandsland. Millionen von Menschen im Bereich der ehemaligen DDR haben ohnehin nie zu einer Kirche gehört. Für einen erheblichen Teil der Bevölkerung sind »Konfession« und »Religion« keine Themen.

Ich möchte zu verstehen lernen, wieso etwas, das mir elementar wichtig ist, so viele Menschen völlig kalt lässt. Ich möchte ihnen nahe sein, wünschte mir, dass sie wenigstens gedanklich nachvollziehen können, was mich bewegt und warum ich Christ sein und bleiben will. Ich will sie nicht bekehren oder, wie der katholische Sprachgebrauch heißt, »evangelisieren«, obgleich ich mich freuen würde, wenn da ein Funke überspränge. Was hindert sie, einen gedanklichen Austausch mit Glaubenden zu suchen oder zu pflegen? Ist es »die Kirche«? Der Schriftsteller Martin Walser hält es für »eine eher unglückliche Entwicklung, dass Religion etwas geworden ist, was nicht mehr ohne Kirchliches gedacht wird.«1 Man könnte sogar ergänzen: »was nicht mehr ohne Konfessionelles gedacht wird.« Ich finde, er sieht etwas Richtiges. Ich will mich im Folgenden nicht an die Verteidigung von »Kirchlichem« und »Konfessionellem« machen. Es geht nicht in erster Linie um Kirche und Konfession, sondern, sehr abgekürzt gesagt, um Menschen und Gott. Ich vermute auch, die Probleme liegen tief. Ist es die Religion selbst und damit das religiöse Gewand, in dem sich das Christentum präsentiert, was sich als hinderlich erweist? Die Religionen haben sich mit ihren Schandtaten selbst und gegenseitig in Verruf gebracht. Aber auch dies scheint mir noch als zu vordergründig gesehen. Zwar ist viel von Rückkehr der Religion die Rede. Der Esoterik-Markt blüht. Doch parallel dazu ist unvergleichlich breiter eine Mentalität im Entstehen oder bereits in das allgemeine Bewusstsein eingedrungen, die für die religiöse Sprache mit den für sie charakteristischen Bildern und Symbolen – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr empfänglich ist. Hier dürften übergreifende Entwicklungen im Gang sein, für die kein einzelner Mensch verantwortlich ist und denen sich als Einzelner niemand ganz entziehen kann. Christlicher Glaube aber sieht solche Bewegungen, selbst wenn sie sich gegen die Kirche richten, als ein Geschehen, hinter dem letztlich Gottes Walten vermutet werden muss.

Christliche Kirche und Theologie waren in der Regel davon ausgegangen, dass der Mensch ein religiöses Wesen ist, wenn dieser Tatbestand dann auch theologisch höchst unterschiedlich gewertet wurde. Der Blick auf die derzeitigen Ergebnisse empirisch vorgehender Humanwissenschaften zeigt ein teilweise anderes Bild. Offenbar gehört es zwar zum Menschen, dass er nicht umhin kommt, auf die Tatsache seines Daseins und seiner Endlichkeit emotional und reflektierend zu reagieren, aber diese Reaktion muss nicht religiös ausfallen. Immer mehr Menschen entdecken, dass es »auch ohne Religion geht«. Mag sich diese Entwicklung kulturell erst in den letzten Jahrhunderten oder gar Jahrzehnten deutlicher gezeigt haben als vorher: Jedenfalls ist es für Millionen von Menschen eine reale und selbstverständliche Möglichkeit, ihr Leben ohne Religion zu bewältigen. Faktisch ist für sie damit zugleich der christliche Glaube belanglos und die Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession überflüssig geworden. Muss – in bestimmten Regionen der Welt – zusammen mit der Religion auch der christliche Glaube untergehen?

Areligiosität – und damit Konfessionslosigkeit – wird von zahllosen Menschen nicht als Defizit empfunden. Ich finde interessant, was Religionsgeschichte, Religionspsychologie und Religionssoziologie dazu zu sagen haben. Wenn sie zeigen können, dass Areligiosität neben Religion und Religiosität eine sozusagen gleichberechtigte Option darstellen, sollte sich das Christentum davor hüten, einseitig auf die religiöse Karte zu setzen. Es würde dann seinen Möglichkeiten und seinen Aufgaben nicht gerecht werden, wenn es sich nur an religiös sensible Menschen wendete und die »religiös Unmusikalischen« außer Acht ließe. Es müsste einen Lebensentwurf darstellen, der auch für areligiöse Menschen gedanklich nachvollziehbar und existenziell attraktiv wäre. Die Theologie könnte dabei auf bereits vorliegende Konzeptionen zurückgreifen, die den christlichen Glauben in ein neues Verhältnis zu seinen überlieferten Formen zu setzen versucht haben. Besonders Dietrich Bonhoeffer wäre hier zu nennen.

Die Konsequenzen für die Verkündigung, den Umgang mit Bräuchen, Riten und selbst den Sakramenten wären erheblich. Die Relation zwischen religiösen und areligiösen Elementen der christlichen Tradition müsste neu bestimmt und verantwortet werden. Ein erneuertes, vertieftes Selbstverständnis der Kirche würde sich abzeichnen. Kirche würde nicht Gefahr laufen, zu einer engstirnigen Sekte zu werden, sondern wäre Modell einer freien, offenen Assoziation, die mit anderen Gemeinschaften in Austausch steht und bei Bedarf hilfreich werden kann. Für die Ökumene brächte es Spannungen mit sich, weil eine derart neu sich formierende kirchliche Gemeinschaft sich nicht mehr am römischen Katholizismus oder der Orthodoxie ausrichten könnte, wie dies wenigstens Teile des Protestantismus im Zuge der Ökumenischen Bewegung in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr getan haben. Aber es wäre ein innovativer Versuch, dem Auftrag des Evangeliums von Jesus Christus stärker zu entsprechen als bisher und den Menschen, denen es zu größerer Freiheit und Lebensfreude verhelfen möchte, entgegen zu kommen. Es würde zugleich die Gemeinden aus ihrer Selbstbezogenheit herausführen. Die in ihnen Mitarbeitenden würde es von dem Druck befreien, sich ständig um neue Mitglieder für eine möglicherweise sterbende Organisation bemühen zu sollen. Es ginge darum, die Freude christlicher Existenz nicht einseitig in traditionellen religiösen Formen zu verankern, sondern sie von unnötigem und unverständlich gewordenem Ballast zu befreien. Es gälte, eine kirchliche Gemeinschaft zu leben, die ihre konfessionellen Grenzen annimmt und sie zugleich zu relativieren und zu überschreiten bereit ist. Damit entstünde eine Kirche, die sich solidarisch wüsste mit jenen anderen Menschen »guten Willens«, die aufgrund ihres Lebenswegs oder auch ungeklärter Umstände für Religion und ein in religiöse Formen verpacktes Christentum kein Verständnis haben.

Der hier vorgeschlagene Weg enthält vielerlei Stolpersteine. Zunächst bedarf es einer Klärung der Terminologie; denn wenige Begriffe sind hinsichtlich ihrer Definition so sehr umstritten wie »Religion« und »Religiosität«, womit zugleich das Problem einer sachgerechten Definition von »Areligiosität« und »Religionslosigkeit« gegeben ist. Das Verhältnis von Religions- und Konfessionslosigkeit wird zu bedenken sein. Sodann gilt es, ein Bild der Lage zu gewinnen, auf die sich die vorliegende Untersuchung beziehen soll. Es wird vornehmlich um die deutsche Situation gehen, die unübersichtlich genug ist. Möglicherweise lassen sich anhand von Texten und Verhaltensbeispielen Konturen des Selbstverständnisses areligiöser konfessionsloser Menschen skizzieren. Die bisher weitgehend akzeptierten, mit einem »religiösen Apriori« arbeitenden Theorien zu kennen, ist hilfreich als Hintergrund für das Verständnis der neueren, aus den empirisch orientierten Humanwissenschaften kommenden Fragestellungen. Diese wiederum sind in der Perspektive der jeweiligen Disziplinen darzustellen. Medizinische Anthropologie, Religionsgeschichte, Religionspsychologie und Religionssoziologie können ihre jeweils eigenen Erkenntnisse einbringen.

In einem zweiten Schritt ist zu fragen, wie die christliche Theologie auf die zutage getretenen Ergebnisse reagieren soll. Dietrich Bonhoeffer dürfte als Paradigma weiterhelfen; aber auch an Vorschläge aus der Zeit der Gott-ist-tot-Theologie ist zu erinnern. Kann man konfessioslos/religionslos Christ sein? Lässt sich im Sinn des christlichen Glaubens die Fixierung auf Konfession und Religion auflösen oder wenigstens reduzieren? Wie könnte nichtreligiöse christliche Verkündigung aussehen? Was bedeutet christliches Bekenntnis in dem veränderten Kontext? Mit welchen Argumenten kann die christliche Gemeinde ihre Praxis der Abendmahlszulassung öffnen und unter welchen Umständen kann sie auf die Taufe von Menschen, die zu ihr gehören wollen, verzichten? Inwiefern muss die Mitgliedschaftsfrage – gerade in einem Land, in dem es eine Kirchensteuer gibt – neu geregelt werden?

Werden diese Fragen nicht einfach konservativ beantwortet, so ergibt sich ein verändertes Selbstverständnis der Kirche: Kirche, gastfreundlich, lernbereit, wenig besorgt um ihren Fortbestand, Kirche im Bewusstsein dessen, dass Gottes Walten sich nicht nur auf sie selbst bezieht, sondern ebenso auf Andersgläubige, Ungläubige und militante Atheisten, auf in Gang befindliche und künftige kulturelle Entwicklungen der Menschheit.

1.2 Der Forschungsstand

Bei den Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der Evangelischen Kirche in Deutschland stand naturgemäß das Profil der Mitglieder der Kirche im Mittelpunkt.2 Doch bereits im Rahmen der Umfrage »Was die Menschen wirklich glauben« wurde eine »Glaubenstypologie« entworfen, die zwischen »Gottgläubigen«, »Transzendenzgläubigen«, »Unentschiedenen« und »Atheisten« unterscheidet.3 Sie nimmt »Menschen ohne Religionszugehörigkeit« in den Blick.4 Um das Thema Konfessionslosigkeit haben sich im Nachgang zur Wende 1989/90 vor allem Soziologen gekümmert. Hier sind besonders die Untersuchungen von Gert Pickel, Detlef Pollack und Monika Wohlrab-Sahr zu nennen.5 Hinzu kommen in dieser Phase Arbeiten, die nach der mit der neuen Situation gegebenen religionspädagogischen6 und missionarischen7 Herausforderung für die Kirchen fragen. Inzwischen findet das Thema Kirchenaustritt verstärkt Beachtung.8 Zugleich wird das Problem der Kirchenmitgliedschaft theologisch9 und juristisch10 neu zum Thema. Hier stellt sich vor allem die Frage nach der Bedeutung der Taufe.11 Vom Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeinde-Entwicklung der Universität Greifswald sind weitere Impulse zu erwarten. Auf katholischer Seite ist insbesondere das schon 2004 vom Päpstlichen Rat für Kultur erarbeitete Votum zur »Herausforderung religiöser Indifferenz« zu nennen. Es hat den Titel: »›Wo ist dein Gott?‹ Der christliche Glaube vor der Herausforderung religiöser Indifferenz«.12 Zur Vorbereitung der römischen Bischofssynode 2012 wurde eine weltweite Umfrage zum Problem einer neuen »Evangelisierung« durchgeführt.13 Die Kirche, heißt es dort, müsse sich »heute mit sozialen und kulturellen Veränderungen auseinandersetzen, welche die Wahrnehmung, die der Mensch von sich selbst und von der Welt hat, zutiefst verändern (…).« Besonders gedacht ist dabei an Säkularisierung, Entchristlichung und Probleme der Globalisierung.14

Wie steht es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Areligiosität/Religionslosigkeit? Während es zur Religiosität unter psychologischer, soziologischer und theologischer Perspektive eine Menge Literatur gibt, bleibt die Areligiosität in der Regel weitgehend unbeachtet. Religiosität ist im Zusammenhang der Hirnforschung zu einem spannenden Thema geworden; es wird zu prüfen sein, welche Auswirkungen dies für die Wahrnehmung von Areligiosität haben könnte. Ursprünglich gehörte sie als einer von vielen Diskussionspunkten zur Säkularisationsdebatte. Inzwischen ist der Säkularisationsbegriff obsolet geworden, da sich die Säkularisation, soziologisch gesehen, eher als ein Transformationsprozess von Religionen und Religiösem erwies. Seither hat Areligiosität auch dort kaum mehr ein Zuhause. Bei der Erstellung von Statistiken und entsprechenden Typologien wird von »Areligiösen«15, von »hedonistischen Alltagspragmatikern«16 oder einem »nicht-religiösen Typ«17 gesprochen, ohne dass deren weltanschauliches Profil näher geklärt wäre. Bei kirchensoziologisch motivierten Erhebungen gibt oft schlicht das Partizipations- bzw. Nichtpartizipationsverhalten an kirchlichen Vollzügen den Maßstab ab. Dies mag einen seiner Gründe darin haben, dass es angesichts der heutigen Religionsdebatte, die den Religionsbegriff so weit wie möglich fasst, nicht einfach ist, »Areligiosität« zu definieren. So gibt es im Grunde nur die Möglichkeit, von den Arbeiten zur Religiosität auszugehen und von hier aus die Problematik des »Areligiösen« ins Spiel zu bringen.18

Als Einführung in die Problematik ist in mancher Hinsicht die Dokumentation des Regensburger »Symposiums Religiosität« hilfreich. 19 Einschlägig sind auch wissenschaftliche Zeitschriften wie das Archiv für Religionspsychologie (ARPs) oder das Journal for the Scientific Study of Religion. Der Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen bringt immer wieder Hinweise auf Aktivitäten und Publikationen, die der deutschsprachigen Szene von Atheismus und Areligiosität zuzuordnen sind. Gelegentlich werden entsprechende Diskussionen im Internet geführt; so hat der Hirnforscher Michael Persinger den E-Mail-Verkehr mit seinem Kontrahenten Pehr Granqvist ins Internet gestellt.20 Im Internet kann man sich auch einem Religionstest unterziehen, um sich über die eigene Religiosität und Religionszugehörigkeit klar zu werden.21 In der Amerikanischen Psychologischen Gesellschaft (APA) gibt es eine eigene Abteilung für Religionspsychologie, die sich am Rande mit Areligiosität beschäftigt. Die John Templeton Foundation fördert entsprechende Projekte. Natürlich sind auch Einzelinitiativen von Belang wie die Untersuchungen zur Meditation des Hirnforschers am Max Planck-Institut in Frankfurt am Main, Wolf Singer, oder das Shambala Mountain Center in Colorado, an dem längerfristige Untersuchungen wissenschaftlich begleitet werden. Einen guten Überblick über die aktuelle Forschungslage (2005) gibt der Beitrag von K. Helmut Reich zum Grazer Symposium 2005.22 Insgesamt ist hier viel im Fluss. Das mediale Interesse dient der Forschung allerdings nicht; denn Wendungen wie »Wohnt Gott im Schläfenlappen?« oder »Steckt Gott in den Genen?«23 sind nicht gerade fruchtbare Fragestellungen. Relativ gut dokumentiert ist die »angelsächsische Mystikdebatte«, in der materialistisch-anthropozentrische und religiös-metaphysische Optionen aufeinander trafen.24 Für Deutschland sei auf das Institut für Religionsphilosophische Forschung in Frankfurt (IRF) und das Bender Insitute for Neuroimaging (B.I.O.N.) der Universität Gießen verwiesen. An der Universität Erfurt hat sich – vielleicht auch aufgrund von Erfahrungen in der unmittelbaren ostdeutschen Umwelt – der katholische Theologe und Philosoph Eberhard Tiefensee25 explizit mit dem Phänomen befasst.26 Im Übrigen ist natürlich die reichhaltige areligiös-atheistische Primärliteratur heranzuziehen. Es fällt auf, dass das Phänomen der Areligiosität relativ frühzeitig im Vatikan Beachtung fand.27 Auf evangelischer Seite gibt es allerlei Reaktionen auf den sog. »neuen Atheismus«, der aber die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung nur indirekt berührt. Die in vielen einschlägigen Veröffentlichungen spürbare Besorgtheit angesichts einer in Mitteleuropa um sich greifenden Konfessionslosigkeit ist nachvollziehbar. Sie dient aber nicht einem wirklichen Verstehen von Menschen, die sich einer christlichen Konfession nicht anschließen wollen oder können, ob sie sich nun als dem Christentum innerlich nahe, entfremdet oder als gänzlich religionslos begreifen. Von Interesse sind manche Stellungnahmen in den EKD-Texten, hilfreich oft die einschlägigen Artikel in dem bereits genannten Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen und die von Michael Herbst, Jörg Ohlemacher und Johannes Zimmermann herausgegebenen Beiträge zu Evangelisation und Gemeinde-Entwicklung.28

Sowohl die Klärung der anthropologischen Bedeutung von Religion /Religionslosigkeit und Religiosität/Areligiosität als auch die Frage, welche Konsequenzen die Kirchen und die in ihr Mitarbeitenden aus dem Befund zu ziehen haben, erweist sich in der Tat als eine interdisziplinäre und speziell ökumenisch-theologische Aufgabe.

2 Terminologische Probleme

Das erste hier zu bewältigende Problem besteht in der Klärung der zu verwendenden Terminologie. Vor dem Eintritt in Analyse und Auseinandersetzung bedarf es einer Verständigung darüber, was unter Konfession/Konfessionslosigkeit/Konfessionsfreiheit bzw. Religion /Religiosität/Areligiosität/Religionslosigkeit verstanden werden soll. Während sich Konfession und Konfessionslosigkeit/-freiheit sowohl soziologisch als auch theologisch relativ klar bestimmen lassen, ist das bei Religion/Religiosität bzw. Fehlanzeige in Sachen Religion /Areligiosität nicht der Fall.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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