Konflikte lösen. Schwierige Situationen im Kita-Alltag meistern. - Hergen Sasse - E-Book

Konflikte lösen. Schwierige Situationen im Kita-Alltag meistern. E-Book

Hergen Sasse

0,0

Beschreibung

Pädagogische Fachkräfte sind in ihrer täglichen Arbeit häufig mit Konflikten konfrontiert: mit Kindern, Eltern und Kolleg:innen. Das kostet Energie – und dabei ist der Kita-Alltag schon herausfordernd genug. Wie können wir Konflikte konstruktiv lösen und so zu "Wachstumsmomenten" werden lassen? Hergen Sasse bietet in diesem Buch Grundlagenwissen sowie bewährte und praxiserprobte Methoden, um Kompetenzen der Konfliktbegleitung und Konfliktkommunikation zu erweitern.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 151

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hergen Sasse

Konflikte

lösen

Schwierige ­Situationen im ­Kita-Alltag meistern

Downloads unter www.herder.de/extras

© Verlag Herder GmbH Freiburg im Breisgau 2023 Alle Rechte vorbehalten www.herder.de

Umschlaggestaltung, Layout, Satz & Gestaltung: wunderlichundweigand, Schwäbisch Hall

Covermotiv: AlisaRut – Shutterstock;© wunderlichundweigand

Illustrationen im Innenteil: AlisaRut, Helenshi, VOLYK IEVGENII, Yana_P, mentalmind – Shutterstock © wunderlichundweigand

Herstellung: Graspo CZ, Zlín Printed in the Czech Republic

ISBN (Print) 978-3-451-39600-7 ISBN (PDF) 978-3-451-82900-0 ISBN (EPUB) 978-3-451-82901-7

Danke

An dieser Stelle möchte ich Kathrin Hohmann danken, die mich bestärkt hat, ­dieses Buch zu schreiben. Danke, Ralf Bongartz, für deine Erfahrungen und ­lebendigen Denkanstöße zum Umgang mit Konflikten und Krisen. Danke, Verena Ohn, für die gemeinsamen gedanklichen Ausflüge in die Gewaltfreie Kommunikation. Dank auch an Laura Nachreiner, Maik Baum, Rebekka Lindenberg, Tiana Hauf, Dirk ­Fiebelkorn, Dunja Golatta, Corinna Scherwath, Laura Henriette Grimm, Sarah Bauer, Anke Tapken-Gutjahr, Hannelore Gens, das Team vom SAM-Concept und die vielen Kolleg:innen der GPS Wilhelmshaven, dass ich von und mit euch lernen darf. Ein besonderer Dank geht an Gerd Peinemann-Zurheiden und Bithja Friedek.

Und zu guter Letzt möchte ich dir, liebe Leserin, lieber Leser, danken, dass du dich mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzt, und für deine Bemühungen um ein friedlicheres Miteinander.

Inhalt

Danke

Einleitung

1. ­Konflikte sind ­keine ­Ausnahme – wozu sind sie gut?

1.1 Was ist genau unter einem Konflikt zu verstehen?

1.2 Welche Ursachen können Konflikte haben?

1.3 Wie entwickelt sich ein Konflikt?

1.4 Innere und äußere Konflikte – wo ist der Unterschied?

2. Gelassen im Konflikt – geht das ­überhaupt?

2.1 Einblicke in die Funktion unseres Gehirns bei Stress

2.2 Umgang mit stressigen Situationen

2.3 Ruhe ­bewahren: Techniken zur ­Selbstregulation

2.4 Umgang mit inneren Konflikten

3. Gelingende ­Kommunikation – Basis der ­Konfliktlösung

3.1 Die fünf Prinzipien gelingender Kommunikation

3.2 Ich sehe was, das du nicht sagst

3.3 Kongruenz beruhigt

3.4 Das hätte ich besser nicht gesagt …

4. Gewaltfreie ­Kommunikation – in vier ­Schritten zur Konfliktlösung

4.1 Was ist Gewaltfreie ­Kommunikation?

4.2 Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation

4.3 Der Gefühls- und Bedürfniskompass

5. Miteinander ­statt ­gegeneinander – ­Aggressionen ­achtsam begegnen

5.1 Was sind Aggressionen eigentlich und wie entstehen sie?

5.2 Mit Aggressionen umgehen

5.3 Strategien zur Prävention ­destruktiver Verhaltensweisen

5.4 Deeskalation von Konflikten

6. Das starke Wir – Zentrale Methoden zur Teamstärkung

6.1 Die vier Bedürfniswächter:innen

6.2 Leitwerte gestalten

6.3 Bedürfnisblumen für den pädagogischen Alltag

6.4 Rituale, die stärken

6.5 Teambesprechungen – Niemand geht verloren!

6.6 Fallbesprechungen mit ­Erfolgsgarantie

6.7 Konflikte spielerisch reflektieren

6.8 Erste Hilfe für die Seele: Was nach Übergriffen unbedingt zu tun ist

Literatur

Anhang

Einleitung

Konflikte begegnen uns im Kita-Alltag auf unterschiedlichen Ebenen – ­sowohl in der pädagogischen Arbeit mit den Kindern als auch im Kontakt mit Eltern und Kolleg:innen. Aggressionen und Konflikte können auf uns bedrohlich wirken, unser inneres Alarmsystem reagiert und bereitet unseren Körper auf den Kampf- oder Flucht-Modus vor (siehe Kapitel 2.1) . Blutdruck und Herzschlag steigen, und wir spüren deutlich körperliche Stressreak­tionen. Doch wie können wir mit diesen angespannten Situationen konstruktiv umgehen, wenn Flucht und Kampf keine wirkungsvollen Optionen ­darstellen?

Und was ist eigentlich mit den Konflikten, die wie ein Schwelbrand über lange Zeit einfach nur glimmen? Auf den ersten Blick nicht dramatisch, doch breitet sich ein Schwelbrand langsam und kontinuierlich aus und ent­wickelt gesundheitsschädliche Gase. Der Konflikt wird gemieden und bleibt unaus­gesprochen. Das kostet uns täglich Energie und stellt eine dauerhafte psychische Belastung dar. Dabei ist der Kita-Alltag schon herausfordernd genug, sodass wir uns diese Langzeitkonflikte nicht erlauben können.

Wenn wir dann doch den Mut aufgebracht haben und Konflikte klären wollen, bleibt der Appell „sachlich zu bleiben“ meist ungehört und zeigt vor allem in aufgeheizten und emotional getriebenen Auseinandersetzungen keine Wirkung. Hinzu kommt die Sorge, dass eine sowieso schon angeheizte Stimmung zur Eskalation führen könnte. Diese Sorge ist nicht unbegründet, aber in aller Regel dürfen wir uns entspannen, wenn wir über entsprechende Kompetenzen in der Konfliktbegleitung und Konfliktkommunikation verfügen, wozu dieses Buch beitragen wird.

Landläufige Meinungen, es müsse einfach einmal laut knallen, damit aus dem Scherbenhaufen etwas Neues entstehen kann, sind nicht hilfreich. Dieser Auffassung liegt zugrunde, dass etwas zu Bruch gehen muss, bevor etwas Neues entstehen kann. Zu Bruch geht in vielen Fällen jedoch die Beziehung, auf die es in der Konfliktbewältigung entscheidend ankommt.

Zudem führt diese Überzeugung unter Umständen zu der selbsterfüllenden Prophezeiung: Konflikte müssen schmerzhaft sein. Dabei beinhalten Konflikte viel Schönes (siehe Kapitel 1). Wir haben die Möglichkeit, uns neu kennenzulernen und unser Zusammenleben neu zu gestalten. Wir können Dinge erfahren, die bisher verborgen blieben.

Konflikte sind vor allem eins: Wachstumsmomente.

Jede gelungene Konfliktbewältigung ist ein erfolgreicher Moment, der uns stärkt, uns zusammenbringt und unsere Kompetenzen erweitert. Diese Erfolgsmomente erleben Kinder meiner Erfahrung nach ähnlich stärkend wie pädagogische Fachkräfte und Eltern.

Um Konflikte im Alltag konstruktiv und wirksam zu gestalten, dürfen wir uns von unserem Problemdenken verabschieden und dem Möglichkeitsdenken zuwenden. Dieses Buch bietet eine Vielzahl an konkreten Handlungsmöglichkeiten, die in angespannten Situationen helfen, Konflikte mit Kindern, Eltern oder Kolleg:innen emotional abzukühlen und konstruktiv zu klären. Es geht darum, das Trennende in unseren Gedanken und Worten aufzulösen und eine verbindende Sprache zu wählen. Nach dem Ansatz: „Nichts verändert sich, bis du dich veränderst, und auf einmal verändert sich alles.“ Ich möchte darauf hinweisen, dass es hier nicht um die Illusion ewiger Harmonie, sondern im Kern um mehr Wertschätzung sowie Respekt, Klarheit und Offenheit geht.

Ich habe mich in der Ansprache bewusst für ein respektvolles, wertschätzendes und kollegiales Du entschieden, um die Distanz zwischen Autor und Leser:in zu überbrücken. In meinen Trainings erlebe ich durch die gewählte Anrede mehr Verbundenheit und einen leichteren Zugang zu den ­Gefühlen und Bedürfnissen der Teilnehmenden. Ich wünsche mir, dass durch die gewählte Anrede eine Verbundenheit entstehen kann, welche die Aus­einandersetzung mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen beim Lesen vereinfacht.

1. ­Konflikte sind ­keine ­Ausnahme – wozu sind sie gut?

Ein Leben ohne Konflikte, das wäre schön. Kennst du diesen Gedanken? Doch heißt es auch, dass ein ­starkes Gewitter die Luft reinigt. Auf alle Fälle: Konflikte bieten immer die Chance, dass sich das gegenwärtige Miteinander neu gestaltet. Dieser Aspekt von Konflikten ist wirklich schön, weil der Prozess sehr kreativ sein kann. Weniger schön ist es, wenn im Konflikt verletzende Handlungen auftreten, die Auseinandersetzung persönlich oder gar handgreiflich wird. Um gewaltvolle Handlungen so gut es geht zu verhindern, dürfen wir uns unserer besonderen Macht und Verantwortung in jedem Konflikt bewusst werden. Die Art und Weise, wie wir denken, beeinflusst unsere Sprache und letztlich unser Verhalten in Konflikten, was wiederum dazu führt, dass wir neue Konflikterfahrungen sammeln, an denen im Idealfall alle Beteiligten wachsen ­werden.

1.1 Was ist genau unter einem Konflikt zu verstehen?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Hin und wieder werden Konflikte als Wachstumsmöglichkeiten und mitunter als etwas Positives beschrieben. Andere wiederum empfinden Konflikte als unangenehm und schwer. Wie wir einen Konflikt erleben, ist sehr unterschiedlich und hängt nicht zuletzt von unseren Konflikterfahrungen/unserer Konfliktkultur ab.

Der Begriff Konflikt leitet sich von dem lateinischen Wort „­conflictus“ ab und bedeutet so viel wie Zusammenstoß. „Ein Konflikt ist gegeben, wenn Unterschiede im ­Denken, Fühlen und/oder Wollen zu einem Verhalten führen, das der andere als inakzeptable Beeinträchtigung erlebt und das der eine nicht oder nicht hinreichend zu ändern ­bereit ist, wenn er von dieser Beeinträchtigung erfährt“ (Schulz von Thun et al., S. 126).

1.2 Welche Ursachen können Konflikte haben?

Vorweg: Es sind nicht unsere Bedürfnisse, die im Konflikt mit den Bedürfnissen anderer stehen. Es sind die Strategien, die wir zur Erfüllung unserer Bedürfnisse wählen, die im Konflikt mit den Bedürfnissen anderer stehen können. Ein Beispiel: Ich möchte mein Bedürfnis nach Bewegung und Austausch durch ein Telefonat bei gleichzeitiger Bewegung erfüllen. Doch befinde ich mich gerade in einer Bücherei, in der viele Menschen sitzen, die sich ihr Bedürfnis nach Ruhe und Konzentration erfüllen möchten. Meine gewählte Strategie – im Raum auf- und abgehen und dabei telefonieren – steht in diesem Moment im Konflikt mit den Bedürfnissen der anderen.

Es ist nicht das Ziel, die eigenen Bedürfnisse nun zu unterdrücken, ­damit die anderen Ruhe haben. Ziel in diesem Fall wäre es, eine Strategie zu finden, die sowohl Bewegung und Austausch für mich sowie Ruhe und Konzentration für die anderen ermöglicht.

Konfliktursache: Mangelnde Abstimmung

In der Gewaltfreien Kommunikation (siehe Kapitel 4) werden zwei Kernfragen beschrieben, durch die ein friedliches Zusammenleben möglich werden soll. Die erste Frage lautet: Was ist in uns lebendig? Die zweite Frage heißt: Was können wir tun, damit das Leben schöner wird? (vgl. Rosenberg 2006, S. 24).

Hier wird deutlich, dass ein Konflikt nicht in unserer Lebendigkeit, also in dem, was wir fühlen oder brauchen, liegt, sondern in der Art und Weise, wie wir uns verwirklichen. Trägt unser Verhalten dazu bei, dass unser aller Leben schöner wird? Wenn nicht oder wird sogar das Erleben eines anderen dadurch beeinträchtigt, dann entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Konflikt. Die Herausforderung dabei: Wissen wir voneinander nicht, was in uns lebendig ist, ist es kaum möglich, das Leben miteinander bewusst schöner zu gestalten. Nur durch Zufall wäre das Miteinander dann schön oder konfliktreich. Es braucht also stetige Aufmerksamkeit und Abstimmung im Miteinander, und dabei reichen oft schon kurze Blicke, damit wir Verhaltensweisen wählen können, die für uns und unser Gegenüber „schön“ sind.

Konfliktursache: Unsere Gedanken

Neben unseren Bedürfnissen beeinflussen auch unsere Gedanken unser Fühlen. Oft sind es die Geschichten, die wir uns erzählen, die zu einem Konflikt führen können. „Die Prophezeiung eines Ereignisses führt zum Ereignis der Prophezeiung“ (Watzlawick 1994, S. 18).

„So genügt beispielsweise die Annahme – ob sie faktisch begründet oder grundlos ist, spielt keine Rolle –, dass die anderen über einen tuscheln und sich heimlich lustig machen. Angesichts dieser Tatsache legt es der gesunde Menschenverstand nahe, den Mitmenschen nicht zu trauen und, da das ganze natürlich unter einem löchrigen Schleier der Verheimlichung geschieht, genau aufzupassen und auch die kleinsten Indizien in Betracht zu ziehen. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis man die anderen beim Tuscheln und heimlichen Lachen, beim verschwörerischen Augenzwinkern und gegenseitigen Zunicken ertappen kann. Die Prophezeiung hat sich erfüllt“ (ebd., S. 17).

Konfliktursache: Unklare Kommunikation

Das Gesagte ist nicht immer identisch mit dem Gemeinten. Oft werden heikle Dinge als unterschwellige Botschaften gesendet. Außerdem ist das, was beim Empfänger ankommt, nicht zwangsläufig identisch mit dem, was der Sender gemeint hat (vgl. Schulz von Thun, et al. 2021, S. 116ff.).

Folgende Fragen können helfen, die eigene Kommunikation eindeutiger zu gestalten:

Worum geht es mir sachlich? Worum geht es mir persönlich? Mit meinem Gesprächspartner? Was möchte ich erreichen? (vgl. ebd., S. 119)

Und was ist zu tun, wenn mein Gegenüber unklar kommuniziert? Benenne deine Irritation. Frage nach. Teile deinen Eindruck mit. Teile deine Beobachtung mit – auch ein Augenrollen ist Kommunikation und sollte benannt werden. Nach dem Motto: Offenheit schafft Offenheit. Auf diese Weise ist es möglich, die Eindeutigkeit zu erhöhen und zielführender zu kommunizieren. Unser Bauchgefühl ist meistens sehr gut darin, inkongruente Botschaften zu erkennen.

Konfliktursache: Beziehung

„Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 2017, S. 64). Eine gute Beziehung vereinfacht die Kommunikation auf inhaltlicher Ebene. Unerfüllte Bedürfnisse können dann leichter angesprochen werden Aus dem pädagogischen Alltag wissen wir um die Bedeutung der Beziehungsarbeit. Eine gute Beziehung ermöglicht Leichtigkeit im Miteinander und vereinfacht die Klärung auf inhaltlicher Ebene. Wir sind bereit, Dinge füreinander zu tun. Besteht jedoch ein Konflikt auf der Beziehungsebene, so sind inhaltliche Differenzen ebenfalls nicht mehr einfach zu klären. Ein inhaltlicher Konflikt kann auf der anderen Seite zu einem Beziehungskonflikt führen, wenn wir den Inhalt über alles setzen.

Eine der wichtigsten Beziehungsbotschaften lautet: „Ich sehe dich und ich höre dich.“ Damit ist gemeint, dass die Beweggründe und Bedürfnisse des Gegenübers erkannt und auch benannt werden. Dadurch erfüllt sich wie beiläufig eines der stärksten zwischenmenschlichen Bedürfnisse – das Bedürfnis, gesehen und gehört zu werden. Aus diesem Grund empfehle ich den Leitsatz: Beziehung vor Inhalt.

Konfliktursache: Mangelnde Transparenz

Wenn ich benenne, was mich antreibt, etwas zu tun, dann schaffe ich Klarheit und Transparenz. Wir alle fragen uns immer mal wieder: „Warum tut er/sie das?“ Die Gedanken erschaffen dann Hypothesen, die so bunt und vielfältig sind, dass sie mit den eigentlichen Beweggründen oft wenig zu tun haben. Möchte ich Einfluss und Klarheit herstellen, dann ist es hilfreich, die eigenen Beweggründe transparent zu benennen. Tun wir das nicht, so werden die anderen Gründe für unser Verhalten (er)finden.

1.3 Wie entwickelt sich ein Konflikt?

Die Art und Weise, wie eine Unstimmigkeit oder Differenz angesprochen wird, ist für den Konfliktverlauf entscheidend: „Der Ton macht die Musik!“ Im klassischen Beziehungskonflikt geht das Gegenüber in den Widerstand und zeigt keine Bereitschaft, das eigene Verhalten zu verändern. „Aus Prinzip“ heißt es an dieser Stelle gerne. Hier geht es nicht primär um die Sache, sondern um die Art und Weise, wie wir miteinander in Kontakt sind. Es geht um fehlenden Respekt und Wertschätzung, ausbleibende Anerkennung oder fehlende Rücksichtnahme. Die Bedürfnisse in einem Beziehungskonflikt können vielfältig sein (siehe hierzu Kapitel 4.3).

Eine weitere Konfliktdynamik entsteht, wenn beeinträchtigendes Verhalten durch eine andere Person schmerzlich hingenommen wird, ohne den Versuch, die Differenzen zu klären. Diese Situation entwickelt sich zu einem inneren Konflikt (siehe Kapitel 1.4 und 2.4). Diese inneren Konflikte entstehen unter anderem durch unser Denken, unsere Glaubenssätze und sind geprägt durch eigene Konflikterfahrungen und den Umgang mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen. Sie beeinflussen unsere Kommunikation nach außen unwillkürlich. Unser Denken und unsere Überzeugungen spiegeln sich in unserem Handeln wider.

Unterschwellige Botschaften, die sich ihren Weg nach draußen suchen, beeinflussen unsere Kommunikation. Soziale Spiegelgesten im Miteinander nehmen im Konfliktverlauf ab oder bleiben aus, der Kontakt wird kälter, und hinter den Aussagen des Gegenübers werden negative Absichten vermutet. In der zwischenmenschlichen Kommunikation führt all das zu Irritationen und Verletzungen. Die Begegnungen miteinander werden zunehmend schwieriger und angespannter. Eine zunächst auf inhaltlicher Ebene bestehende Differenz oder Unstimmigkeit wird in diesem Stadium auf der Beziehungsebene ausgetragen. Auf einmal wird alles infrage gestellt, und das Misstrauen wächst.

Diese Konfliktdynamik macht deutlich: Was wir in jedem Fall vermeiden sollten, ist die Vermeidung selbst. Sie gilt als eine der schlechtesten Optionen, weil die Vermeidung nach außen einem Kampf nach innen gleicht. Zudem zieht dieser innere Kampf viel Energie. Nichts scheint mehr sicher. Und dieser Zustand macht auf Dauer krank.

1.4 Innere und äußere Konflikte – wo ist der Unterschied?

Der innere Konflikt entsteht, wenn wir eine Situation oder ein Verhalten im Außen als einschränkend erleben und die Konfrontation/Klärung mit der verursachenden Person vermeiden. Stattdessen machen wir diesen Umstand mit uns selbst aus: Wir fressen etwas sprichwörtlich in uns hinein. Auf dieser Stufe finden wir keinen wirkungsvollen Umgang mit der Situation im Außen. Diese Form der Vermeidung führt zu einer Selbstbeeinträchtigung – dem „inneren Konflikt“. Wie du mit inneren Konflikten umgehen kannst, erfährst du im folgenden Kapitel.

Ein Konflikt bzw. ein äußerer Konflikt besteht noch nicht, wenn ein Verhalten als inakzeptable Beeinträchtigung erlebt wird, sondern erst in dem Moment, wenn unser Gegenüber mit dieser Tatsache konfrontiert wird und nicht oder nicht ausreichend bereit ist, das eigene Verhalten zu verändern. Die Art und Weise, wie wir unser Gegenüber mit einer Tatsache konfrontieren, hat entscheidenden Einfluss darauf, ob der andere bereit ist, das eigene Verhalten zu verändern.

2. Gelassen im Konflikt – geht das ­überhaupt?

Stress überträgt sich. Ruhe ebenso. Vielleicht kennst du die Aussage: Wer schreit, hat schon verloren. Schreien ist in den meisten Fällen ein Signal ­eigener Überforderung und Ohnmacht. In einem Konflikt ­brauchen wir jedoch das Gegenteil: einen klaren und kühlen Kopf, um uns aus der verfahrenen Situation befreien zu können. Zur inneren Ruhe zu finden ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, um bedacht und beruhigend agieren zu können.

2.1 Einblicke in die Funktion unseres Gehirns bei Stress

Das emotionale Gehirn und das Stammhirn, die älteste Region unseres Gehirns, lassen sich vereinfacht mit einem Reh vergleichen. Sobald das Reh Gefahr wittert, spitzt es die Ohren, wird schreckhaft und tritt impulsartig die Flucht an. Oder, wenn es ein Rehbock ist, senkt er das Geweih zum Kampf mit seinen Artgenossen. Hier gibt es noch eine Steigerung: die (Lebens-)Gefahr. Das Reh springt in der Nacht auf die Straße, erblickt die Autoscheinwerfer und bleibt regungslos stehen; die sogenannte Erstarrung oder Immobilität tritt ein.

In unserem Gehirn reagieren die beiden Mandelkerne (Amygdale) auf Bedrohung ähnlich wie das beschriebene Reh – nämlich sofort. Die Amygdale sind unsere Alarm­anlage, mit Sitz im emotionalen Gehirn, und nehmen grundsätzlich keine ausgiebige Analyse der Situation auf kognitiver Ebene vor. Vielmehr reagiert die Amygdala sehr schnell auf bestimmte Umgebungsmerkmale, akustische Reize oder auch gestische und mimische Informationen. ­Porges (2021) nennt diesen Prozess „Neurozeption“ (ebd., S. 104f.). Entscheidet die ­Amygdala, eine Gefahr erkannt zu haben, wird unser Körper umgehend in Alarmbereitschaft versetzt. Die körpereigenen Kampf- oder Flucht-Hormone werden aktiviert und unser „denkendes Gehirn“ dabei übergangen. So ist sichergestellt, dass wir schnellstmöglich reagieren, ohne wertvolle Zeit zu verlieren.

Der Fluchtmodus in Gesprächssituationen kann sich unter anderem durch Vermeidung, Verleug­nung, Rechtfertigungen und bewusstes Lügen aus­drücken. Zumeist treten auch körperlich sichtbare Stressreaktionen (Schwitzen, Herz­rasen, ausweichende Blicke, Errötung etc.) auf.

Der Kampfmodus innerhalb eines Gesprächs zeigt sich unter anderem durch Vorwürfe, Anschuldigungen und Beleidigungen. Die körperlichen Reaktionen sind dem Fluchtmodus ähnlich. Oft lässt sich auch der sogenannte „starre Blick“ ­beobachten, der Wut zum Ausdruck bringt.

Die Erstarrung tritt ein, wenn die Situation so bedrohlich ist, dass Kampf und Flucht keine Möglichkeit darstellen. ­Dieser Zustand wird durch die älteste Gehirnregion, Stammhirn oder auch Reptiliengehirn genannt, ausgelöst. Die ­Erstar­rung sorgt dafür, dass der gesamte Körper wie gelähmt ist. Diese ­Regungslosigkeit hat früher dafür gesorgt, dass wir für Fressfeinde nicht so gut zu erkennen waren.

Hat die Amygdala also eine Bedrohung oder Gefahr gewittert, so läuft automatisch unser Notfallprogramm ab. Erst im Nachhinein kann unser denkendes Gehirn sich die Zeit nehmen, um die Situation zu reflektieren und zu verarbeiten. Wir erzählen von dem Ereignis und entwickeln Erklärungen für das Erlebte. Dieser Verarbeitungsprozess nach Stresssituation oder Extremereignissen ist erforderlich, um zukünftig in ähnlichen Situationen nicht automatisch in das Notfallprogramm – kognitiv betrachtet, in eine Ohnmacht oder Überforderung – zu verfallen, sondern neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln (vgl. Hantke & Görges 2019, S. 30f.). Deshalb ist auch das Verhalten nach Übergriffen (siehe Kapitel 6.8) in seiner Wichtigkeit nicht hoch genug einzuschätzen.

Reflexion

Folgende Fragen können helfen, die eigene Reaktion auf eine konfliktträchtige Situation besser zu verstehen: