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Die gesellschaftlichen Herausforderungen wie die Corona-Pandemie, die Klimakrise und die Bedrohung der Demokratie finden ihren Niederschlag auch in der Schule. Da sie eine wichtige Sozialisationsinstanz ist, muss sie konstruktiv auf diese ständigen Veränderungen reagieren. Und sie sollte durch ein demokratisches Miteinander aufzeigen, dass es gute Möglichkeiten gibt, damit umzugehen. In diesem Buch werden die Herausforderungen umfassend beschrieben, die Grundlagen für Gegenstrategien benannt und in einem Methodenteil Ansätze der realen Umsetzung aufgezeigt.
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Seitenzahl: 185
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Der Autor
Helmolt Rademacher, Dipl.Päd., ehem. Lehrer, Lehrerausbilder und Projektleiter beim Hessischen Kultusministerium zum Themenfeld »Gewaltprävention und Demokratielernen«, derzeit Co-Vorsitzender des hessischen Landesverbandes der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik.
Ich widme dieses Buch Wolfgang Edelstein (*1930 bis +2020), der mich mit seinen demokratiepädagogischen Ideen und seiner menschlichen Haltung sehr inspiriert hat
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1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-037635-9
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-037636-6
epub: ISBN 978-3-17-037637-3
Einleitung und Danksagung
1 Aktuelle gesellschaftliche Phänomene und Herausforderungen im Kontext von Schule
1.1 Corona und die Folgen
1.2 Verschwörungsideologien
1.3 Antisemitismus
1.4 Rassismus
Exkurs: Abgrenzung von Antisemitismus und Rassismus
1.5 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
1.6 Demokratiefeindlichkeit/Populismus
1.7 Politikverdrossenheit
1.8 Extremismus
1.8.1 Rechtsextremismus
1.8.2 Islamistischer Extremismus
1.8.3 Linksextremismus
1.9 Gewalt an Schulen/Mobbing
1.10 Gewalt im Internet/Cybermobbing
1.11 Sexualisierte Gewalt
1.12 Gewalt gegen Lehrkräfte
1.13 Störungen im Unterricht
1.14 Sucht und andere Formen der Gesundheitsschädigungen
1.15 Globalisierung
2 Grundsätzliche Strategien der Bewältigung
2.1 Menschenrechtsbasiertes Miteinander auf der Grundlage der Kinderrechte
2.2 Demokratiebildung/Demokratiepädagogik
Exkurs: Zum Verhältnis von Demokratiepädagogik und politischer Bildung und Prävention
2.3 Schulkultur und Haltung
2.4 Interkulturelles und transkulturelles Lernen
2.5 Konstruktive Konfliktbearbeitung und Mediation
2.6 Demokratische Schulentwicklung
2.6.1 Zur Bedeutung demokratischer Schulentwicklung
2.6.2 Was ist Schulentwicklung
2.6.3 Instrumente demokratischer Schulentwicklung
3 Handlungsoptionen in der Schule
3.1 Der Klassenrat
3.2 Dialogverfahren
3.3 Dilemma-Dialoge
3.4 Demokratietraining
3.5 SV-Arbeit und andere Formen der Schülerpartizipation
3.6 Diskursive Verfahren: Just Community, Deliberation, Jugend debattiert
3.7 Kooperatives Lernen
3.8 Peergroup-Education (PGE)
3.9 Schüler-Feedback und partizipative Formen der Leistungsbeurteilung
3.10 Lions-Quest-Programm »Erwachsen handeln«
3.11 Projektlernen
3.12 Soziales Lernen als Prävention
3.13 Lernen durch Engagement – Service Learning
3.14 Förderprogramme und Ausschreibungen
3.14.1 Das Förderprogramm Demokratisch Handeln
3.14.2 Der Deutsche Schulpreis
4 Unterstützungsangebote
4.1 Corona-Pandemie sowie Verschwörungsideologien
4.2 Antisemitismus
4.3 Antiziganismus
4.4 Beratungsstellen Rassismus in Schulen
4.5 Hass im Netz
4.6 Rechtsextremismus
4.7 Islamistischer Extremismus
4.8 Gewaltprävention/Mobbing-Intervention
4.9 Medienkompetenz und Umgang mit Cybermobbing
4.10. Sexuelle Gewalt
4.11. Globalisierung
4.12. Demokratiebildung in der Lehrkräftebildung
4.13 Bundesweite Strukturen Demokratielernen
4.14 Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe) und Makista
4.15. MOOC (Massive Open Online Course Demokratiebildung)
5 Methodenteil
5.1 Nicht-verletzende Ärgermitteilung
5.2 Aktives Zuhören
5.3 Glücksfrage oder von Bedürfnissen zum Grundgesetz
5.4 Verhältnismäßigkeitsbarometer zu Corona-Maßnahmen
5.5 Dilemma Dialog
6 Zusammenfassung und Fazit
7 Anhang
1 Thesenpapier zu Demokratiekompetenzen
Demokratiekompetenzen? …. aus der Perspektive von Unterricht und Schule – Ein Thesenpapier von Wolfgang Beutel und Markus Gloe
2 Magdeburger Manifest
Magdeburger Manifest
3 Fragebögen zum Feedback
Planungsraster zur Erhebung und Auswertung des Feedbacks
Literatur
Als ich vor einiger Zeit von Wilfried Schubarth, einem der Mitherausgeber der Reihe »Brennpunkt Schule« im Kohlhammer-Verlag, gefragt wurde, ob ich ein Buch zu Konfliktkultur in Schule schreiben könne, war noch nicht absehbar, wie einschneidend die Corona-Pandemie sich auf die Schule auswirken würde. Insofern greift dieses Buch diese wie auch etliche andere Phänomene auf, die ihren Niederschlag in der Schule finden. Stand in früheren Jahren das Thema Gewalt in Schulen auf der Tagesordnung, so beunruhigen heute Antisemitismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit nicht nur Lehrkräfte und Pädagoginnen und Pädagogen. Mobbing ist nach wie vor ein Problem, verschärfend wirken sich aber Cyber-Mobbing sowie Hass und Hetze im Netz aus. Die Globalisierung hinterlässt so auch ihre Spuren in der Schule bei gleichzeitig mangelnder Medienkompetenz und deren Vermittlung in der Schule.
Auch wenn sich negative Auswirkungen gesellschaftlicher Phänomene in der Schule zeigen, so gibt es doch eine große Chance, diesen entgegen zu wirken, denn Schule ist der Ort, an dem nahezu alle Kinder und Jugendliche erreicht werden können.
Die Corona-Pandemie hat Verschwörungsideologen, Leugner und sogenannte Querdenker auf den Plan gerufen, die die Wirklichkeit und deren Komplexität ausblenden und die Unsicherheiten, die nicht nur durch die Klimakrise in der Zukunft absehbar sind, populistisch ausnutzen und das demokratische Gemeinwesen in Frage stellen. Diesen Tendenzen muss sich die Schule entgegenstellen. »Schweigen ist nicht neutral« ist der Titel eines Dossiers des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Dieses markiert die Notwendigkeit, auf der Grundlage der Grund-, Kinder- und Menschenrechte überall dort die Stimme zu erheben, wo diese Rechte verletzt werden.
Alte Gewissheiten werden immer wieder in Frage gestellt, die Schule unterliegt einem ständigen Wandel. Das muss nicht als Hindernis, sondern kann auch als Chance gesehen werden. Dazu muss sich Schule diesen ständigen Veränderungen stellen, wie es in einem demokratischen Schulentwicklungsprozess gut gelingen kann. Denn es gilt, schon früh einen demokratischen Habitus (Wolfgang Edelstein) zu entwickeln, um Gesellschaft in diesem Sinne mitzugestalten. Eine Schule sollte dabei sinnliche Räume (Horst Rumpf) anbieten, denn so erst werden Kompetenzen lebendig und können gelebt werden.
Die meisten Schulen – insbesondere in der Mittel- und Oberstufe und deutlich weniger in den Grundschulen – folgen einem Muster von abfragbarem Lehrstoff durch Tests. Philosophisches Denken wird marginalisiert, wie es Edgar Morin (2012) konstatiert. Die Nachhaltigkeit von nur angehäuftem Wissen ist begrenzt. Insbesondere werden oft Fragen, die komplexeres Denken erfordern, nicht erörtert oder nur am Rande gestreift. Primär wird in Schule nicht in Projekten gelernt, die eine umfassende und komplexere Form des Verständnisses von gesellschaftlichen Phänomenen ermöglichen können. Dies zeigt sich beispielsweise beim Thema des Verständnisses der Klimakrise, die es erfordert, naturwissenschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche Phänomene gemeinsam zu denken. Auch die Verletzlichkeit der Gesellschaften, wie es sich in der Corona-Pandemie zeigt, erfordert es, in der Schule nicht nur ein Verständnis dafür zu entwickeln, sondern auch zu lernen, mit Ungewissheiten umzugehen. Denn diese werden unser Leben in Zukunft immer mehr bestimmen. In der Praxis der Schule zeigt sich, dass diese Form des Lernens nicht den notwendigen Raum erhält. Auch wurden Kinder und Jugendliche in der Corona-Zeit in der Regel in Hinblick auf das Lernen nicht befragt und daher ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt. Demokratielernen hat in diesem Zusammenhang einen zentralen Stellenwert. Es gibt Anstöße, um ein Bewusstsein für das Verständnis gesellschaftlicher Phänomene zu entwickeln.
Dieses Buch möchte Mut machen, bestehende Ansätze demokratischen Lernens in der Schule zu verstetigen oder sich auf den Weg zu machen, die eigene Institution so zu verändern, dass eine andere Lern- und Schulkultur möglich wird und dann bestehen bleibt. Gute didaktische und methodische Ansätze bestehen bereits und lassen sich in der Praxis u. a. bei den Gewinnern des Deutschen Schulpreises in unterschiedlichen Ausprägungen finden. Sie müssen nur in noch mehr Schulen Einzug halten.
In diesem Buch werden im 1. Kapitel (Kap. 1) die wesentlichen aktuellen Phänomene, die auf Schule wirken, erfasst, beschrieben und analysiert. Im 2. Kapitel (Kap. 2) werden dann wesentliche theoretische Grundlagen beschrieben, mit denen eine Reaktion auf diese Phänomene möglich ist.
Im Praxisteil werden im 3. Kapitel (Kap. 3) konkrete Ansätze und methodische Verfahren referiert, die zu einer gelungenen Schulkultur beitragen. Diese werden im 4. Kapitel (Kap. 4) ergänzt um konkrete Hinweise auf Literatur und Institutionen, die die Schule bei ihren vielfältigen Aufgaben unterstützen können. Schließlich erörtert das 5. Kapitel (Kap. 5) ausgewählte Methoden, die direkt im Unterricht eingesetzt werden können. Den Abschluss bilden eine Zusammenfassung und ein Fazit.
Die Arbeit an diesem Buch wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht von verschiedener Seite Unterstützung erfahren hätte. Insofern möchte ich mich sehr bei Marion Altenburg-van Dieken bedanken, die mit mir die Konzeption des Buchs erstellt und kritisch die Texte durchgesehen und Anregungen gegeben hat. Ferner bedanke ich mich herzlich bei Christa Kaletsch und Manuel Glittenberg für viele gute Anregungen im 1. Kapitel. Tipps zum Thema sexuelle Gewalt habe ich von Nikola Poitzmann erhalten. Stefan Rech gab mir wichtige Impulse zum Abschnitt Dialogverfahren im 3. Kapitel. Ganz besonders möchte ich mich beim Team »Zusammenleben neu gestalten« der DeGeDe Hessen (Kaletsch/Glittenberg/Rech) bedanken, die mir viele ihrer Ideen und methodischen Anregungen zur Verfügung gestellt haben, die sich insbesondere im 5. Kapitel finden. Die Herausgeber Fred Berger, Wilfried Schubarth, Sebastian Wachs und Alexander Wettstein haben das Manuskript sorgfältig gelesen und mir gute Anregungen gegeben, Julian Gutsche hat die grafischen Darstellungen und Tabellen gut aufbereitet. Gute Unterstützung erhielt ich auch von Klaus-Peter Burkarth und dem Lektorat des Kohlhammer-Verlags. Dafür bin ich allen dankbar. Mein Dank gilt auch meiner Frau Maria Ernst für die wohlwollende und kontinuierliche Begleitung in der Schreibphase.
Neu-Anspach, September 2021
Helmolt Rademacher
Wenn wir einen Blick zurück auf die letzten dreißig Jahre gesellschaftlicher Entwicklungen werfen – also auf einen Zeitraum seit dem Mauerfall –, dann wird die Rasanz der Veränderungen überdeutlich. Dazwischen liegen, um nur ein paar Ereignisse zu nennen, die Anschläge auf die Twin-Towers in New York 2001, der Irak-Krieg 2003, die Finanzkrise 2008/09, die Aufdeckung der Mordserie des NSU 2011, der Syrienkrieg seit 2011, das Erstarken und die Niederschlagung des Islamischen Staates 2019, die Aufnahme einer großen Anzahl von Geflüchteten 2015, der Aufstieg einer populistischen und in Teilen rechtsextremen Partei wie der AfD und die Corona-Pandemie seit 2020. Daneben spielen Entwicklungen wie die Digitalisierung und die Globalisierung eine zentrale Rolle. Insbesondere die Klimakatastrophe wirft ihre Schatten voraus. Ereignisse und Trends wirken sich mal mehr und mal weniger auf die Schule aus. Auch gibt es Phänomene von Gewalt und Macht, die schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bestehen und auch ihren Niederschlag in der Schule finden.
In diesem Kapitel wird ein Überblick über die unterschiedlichsten Phänomene, die auf Schule wirken, gegeben, bevor in weiteren Kapiteln auf Gegenstrategien und Handlungsalternativen in der Schule eingegangen wird.
Dieser Aspekt wird an den Anfang gestellt, weil die Corona-Pandemie für unsere jetzt lebenden Generationen etwas bisher nie Dagewesenes ist, einen zum Teil extremen Einschnitt in unser Leben darstellt und uns noch eine ganz Weile beschäftigen wird. Die Pandemie stellt die Schule vor enorme Herausforderungen. In der Schule hat der erste Lockdown im März/April 2020 zu großen Anstrengungen geführt, mittels virtueller Kanäle ein Minimum an Lernen aufrechtzuerhalten. Dabei wurden kreative Ideen entwickelt, und das virtuelle Lernen hat teilweise einen großen Schub erfahren. Es hat sich dabei aber auch gezeigt, dass sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche in sehr große Schwierigkeiten gekommen sind, weil sie in der Regel, zu Hause meist in beengten Wohnverhältnissen lebend und technisch nur schlecht ausgestattet, nicht die Unterstützung hatten, die sie gebraucht hätten. Die soziale Kluft ist durch die Pandemie noch größer geworden. Leider haben das in der Lockdown-Zeit nur ein Teil der Schulen in der Form aufgefangen, dass sie diesen Schülerinnen und Schüler wie denen von Eltern aus sogenannten systemrelevanten Berufen (Krankenschwestern, Ärztinnen, Zugführer) auch den Präsenzunterricht ermöglichten.
Gewalt hat unter diesen Umständen in einigen Familien zugenommen, und die psychischen Folgen für eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen sind noch nicht absehbar. Nicht nur die Schule als guter Lernort oder Schutzraum hat gefehlt, sondern der Verlust an sozialen Beziehungen war für etliche Kinder und Jugendliche schmerzlich. Zudem beschränkte sich das digitale Lernen meist nur auf die Fächer Deutsch, Mathe sowie Englisch und Prozesse sozialen Lernens fanden so gut wie nicht mehr statt. Auch das Thema Beteiligung wurde mehr oder weniger nicht beachtet.
»In einer bundesweiten Studie der Stiftungs-Universität Hildesheim und der Universität Frankfurt zu ›Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen‹ beklagen sich viele befragte Kinder und Jugendliche, dass es in dieser Zeit nur darum gegangen sei, Stoff zu lernen. Ihre Expertise und Lösungskompetenz sei nicht wahrgenommen und entsprechend abgerufen worden, und ihre Sorgen und Nöte wurden einfach nicht gesehen« (Kaletsch/Rademacher, 2020, 12).
Dies hatte zur Folge, dass die bei den Kindern und Jugendlichen aufgetretenen psychischen Belastungen und Traumata nicht gleich thematisiert wurden und zu einer entsprechenden Resilienzförderung führte.
Es wird deutlich, »dass die zur Verlangsamung der Pandemie getroffenen Maßnahmen eine Herausforderung für die Förderung eines demokratischen (Selbst-)Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen darstellen. Einzelne Lehrkräfte haben das erkannt und auch schon während des Lockdowns begonnen, in digitalen und analogen Settings Gelegenheitsräume zu entwickeln, die die Schüler*innen aktiv einbinden und ihnen ermöglichen, Selbstvertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit (wieder) zu erlangen beziehungsweise sich als handlungskompetent und fähig zu erleben« (ebd., 12). Leider sind diese Lehrkräfte in einer deutlichen Minderheit.
Auch wurde in und nach den Sommerferien 2020 meist die Gelegenheit verpasst, um aus der Corona-Pandemie zu lernen und neue Lernarrangements mit digitalen Elementen und mittels Peer-Education zu kreieren. Das führte und führt in der Regel dazu, dass versucht wurde, an die Situation vor Corona anzuknüpfen, und nicht bedacht wurde, dass die Infektionszahlen wieder ansteigen könnten. Zudem führten und führen die verschiedenen teils wöchentlich neuen Richtlinien der Kultusministerien zu Unsicherheiten und damit zu einer deutlichen Überlastung und Müdigkeit der Lehrkräfte. Anstatt im Lehrplan wie gewohnt fortzufahren, wäre es sinnvoll (gewesen), dass die Lehrerkollegien sich hätten »Auszeiträume« in gemeinsamen Konferenzen nehmen sollen, um grundsätzlich zu überlegen, wie das Lernen neu auszurichten sei.
»Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer plädiert für ein grundlegendes Umdenken. So sollten wir uns vom Glauben verabschieden, dass sich die Zukunft stets aus den Trends der Vergangenheit ableiten lasse, und das schon in der Schule üben: Statt Schülern jeweils die ›richtige‹ Antwort auf bekannte Probleme vorzugeben, müsse man ihnen stärker beibringen, ›mit unsicheren Situationen umzugehen und kreative Lösungen für offene Zukunftsfragen zu finden‹. Die Corona-Pandemie sieht der Risikoforscher geradezu als ›Lehrstück, um das Leben mit der Ungewissheit zu üben‹« (Zeit, 17.9.2020).
»Für die Gestaltung von Schule als ein Ort der Sozialisation und Kultur brauchen Lehrerinnen und Lehrer mehr Zeit, um sich der Schulentwicklung zu widmen. Inklusion, Vielfalt, Differenzierung, sprachliche und politische Bildung, Digitalisierung – all dies braucht die Aufmerksamkeit von Kolleginnen und Kollegen, die gemeinsam diskutieren, verhandeln, besprechen und ausprobieren müssen« – so die Erkenntnis einer Schulleiterin aus Frankfurt a. M. (Gölitzer, 2020). Ziel müsste es insofern sein, die Krise als Chance für neue Formen des Lernens im Sinne von Kompetenzerwerb im fachlichen und sozialen Sinne und nicht der Wissensanhäufung zu nehmen. Und es gilt nachdrücklich, sich um die Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familien zu kümmern und Strategien zu entwickeln, wie die Defizite, die in der Corona-Zeit entstanden sind, ausgeglichen werden können. Einhergehen sollte das mit der Verstärkung der Vermittlung sozialer Kompetenzen.
Es gibt gute Materialien, wie man als Lehrkraft mit der Corona-Pandemie umgehen kann. Auch wenn beim Erscheinen dieses Buches die Pandemie vermutlich abgeebbt sein wird, hat diese Erfahrung unser Leben nachhaltig beeinflusst. Auszuschließen ist außerdem nicht, dass es zukünftig ähnliche Krisensituationen geben wird, die wiederum die Schule herausfordern werden. Daher sind grundsätzliche Überlegungen hilfreich, wie sie das Projekt »Zusammenleben neu gestalten« der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe), Landesverband Hessen, angestellt hat (Kap. 4)
Corona hat Verschwörungsideologien mobilisiert, die sich u. a. im digitalen Netz und in den Querdenken-Demonstrationen manifestieren.
»Sie lassen sich von Erkenntnissen über die Wirklichkeit, die nicht in ihr Bild passen, nicht beirren, sondern nehmen die Wirklichkeit nur entlang ihrer eigenen Voraussetzungen, also sehr selektiv, wahr. Was nicht ins Bild passt, wird passend gemacht, ausgeblendet oder als ›Lüge‹ abqualifiziert« (Zusammenleben 2020, 37). Mit Falschbehauptungen und verkürzten Informationen wird die Pandemie geleugnet, und es finden sich Menschen unterschiedlicher politischer Richtungen zusammen. Die Schule wird von solchen Meinungen und Gedanken nicht verschont. Es gibt Eltern und andere Erwachsene, die die Pandemie leugnen und Konstrukte bedienen, dass hinter der Pandemie einzelne Menschen wie Bill Gates stünden, oder es gibt Zuschreibungen wie das »China-Virus« (vom ehemaligen US-Präsidenten Trump erfunden). Auch in einem Titelbild des Magazins Spiegel wurde diese verzerrte Zuschreibung aufgenommen, in dem ein gelb gekleideter Mensch mit Hygiene-Ausrüstung und dem Titel »Corona-Virus – Made in China« veröffentlicht wurde.
Die genannten Phänomene werden in der einen oder anderen Form auch in der Schule sichtbar. Sie gehen oft einher mit Hass und Hetze im digitalen Netz. Insofern ist insbesondere der Erwerb von Medienkompetenz erforderlich. Darauf zu reagieren betrifft nicht nur Lehrkräfte aus den Fächern Informatik und politische Bildung, sondern alle Lehrkräfte sind hier gefragt (vgl. auch Politische Bildung, Heft 4/17). Das Deutsche Kinderhilfswerk hat am 5.11.2020 darauf mit einem Aufruf »Instrumentalisierung von Kindern durch ›Querdenken 711‹ verhindern« reagiert, weil diese mit deutschlandweiten Aktionen gegen das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in Schulen agitieren wollte bzw. es tat.
Grundsätzlich ist es notwendig, sich in der Schule mit diesen Verschwörungsideologien auseinanderzusetzen, das Thema nicht zu übergehen, sondern diese Herausforderung zum Anlass zu nehmen, sich mit Themen wie der Bedeutung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Wahrheitsgehalt von Informationen im Netz, aber auch in anderen Medien kritisch zu beschäftigen.
Nicht erst seit dem antisemitischen Anschlag auf die jüdische Synagoge in Halle an Jom Kippur – dem höchsten jüdischen Feiertag – am 9. Oktober 2019 ist das Thema Antisemitismus in Deutschland sehr stark in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Auch in den Schulen ist das Thema sehr virulent und verdient große Aufmerksamkeit.
In den letzten Jahren nehmen in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden einen Anstieg des Antisemitismus wahr. »Gewalttaten gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland sind im Jahr 2018 um 70 % gestiegen« (Bernstein 2020, 11). Insofern ist Antisemitismus ein ernst zu nehmendes Problem und wirkt nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Schulen. Der Antisemitismusbeauftrage der Bundesregierung, Felix Klein, spricht davon, dass »die Gesellschaft … infiziert mit Antisemitismus« ist. (Klein, 2020). Dass Antisemitismus – teils gepaart mit Verschwörungsideologien – ein sehr herausforderndes Phänomen ist, wird in der Politik allgemein konstatiert. Es lässt sich auch an den Querdenken-Demonstrationen aufzeigen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richten, bei denen immer wieder antisemitische Verschwörungsideologien geäußert werden.
»Das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen oder Parteien wie Pegida bzw. die AfD und rechtspopulistischer Einstellungsmuster führt z. B. dazu, dass die erinnerungspolitischen Standards, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen Deutschlands und das Gedenken der Opfer der Shoah, öffentlich hinterfragt werden. …« (Bernstein 2020, 12).
Deshalb ist es notwendig, sich mit der Thematik in der Schule genauer zu beschäftigen und weitere Quellen heranzuziehen. Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) – dessen Arbeitsdefinition die Bundesregierung sich 2017 angeschlossen hat – definiert Antisemitismus folgendermaßen:
»Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen« (Website IHRA – Aufruf am 14.7.2021).
Weiter heißt es dort:
»Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden. Antisemitismus umfasst oft die Anschuldigung, die Juden betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass ›die Dinge nicht richtig laufen‹. Der Antisemitismus manifestiert sich in Wort, Schrift und Bild sowie in anderen Handlungsformen, er benutzt unheilvolle Stereotype und unterstellt negative Charakterzüge. Aktuelle Beispiele von Antisemitismus im öffentlichen Leben, in den Medien, Schulen, am Arbeitsplatz und in der religiösen Sphäre können unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts folgendes Verhalten einschließen, ohne darauf beschränkt zu sein:
⬥ Der Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Jüdinnen und Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre Rechtfertigung.
⬥ Falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden oder die Macht der Jüdinnen und Juden als Kollektiv – insbesondere aber nicht ausschließlich die Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder anderer gesellschaftlicher Institutionen durch die Jüdinnen und Juden.
⬥ Das Verantwortlichmachen der Jüdinnen und Juden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Jüdinnen und Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar von Nichtjüdinnen und Nichtjuden.
⬥ Das Bestreiten der Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z. B. der Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Jüdinnen und Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaust).
⬥ Der Vorwurf gegenüber den Jüdinnen und Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
⬥ Der Vorwurf gegenüber Jüdinnen und Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer.
⬥ Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z. B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
⬥ Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.
⬥ Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z. B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben.
⬥ Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.
⬥ Das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel.« (IHRA – Aufruf am 14.7.2021)
Der größte Anteil an Äußerungen manifestiert sich im Israel bezogenen Antisemitismus. Dieser zeichnet sich insbesondere durch »doppelte Standards in der Bewertung Israels oder israelischer Politik … (und von) Dämonisierungen zum Zwecke der Delegitimierung Israels« aus. »Diese als die 3-Ds bekannten Kriterien dienen dafür, eine Kritik an israelischer Politik von Antisemitismus zu unterscheiden. Wenn ein Kriterium erfüllt ist, handelt es sich um Antisemitismus« (Bernstein, 2020, 65).