Königreich und Gottesstaat - Detlef B. Fischer - E-Book

Königreich und Gottesstaat E-Book

Detlef B. Fischer

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Beschreibung

Die kurze Episode der Täuferherrschaft über Münster jährt sich bald zum 500en mal. Zeit für einen neuen Blick auf die Ereignisse de Jahre 1533 bis 1535. Im 21. Jahrhundert kann und sollte man die Vorgänge anders betrachten, einordnen und bewerten, als das in den vorigen Jahrhunderten geschehen ist. Über das bizarre Reich der Wiedertäufer gibt es eine umfangreiche Literatur, aber bislang ist diese Geschichte vor allem von deren Gegnern und Kritikern erzählt worden. Auch hier wurde die Historie, wie so oft, von den Siegern geschrieben. Ein Blick in die Quellen offenbart jedoch ein anderes Bild der Täuferbewegung. Augenzeugenberichte beschreiben die Vorgänge in der Stadt, die Belagerung, den Hunger und den trotzigen Widerstand gegen alle Feinde.

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Seitenzahl: 467

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Detlef B. Fischer

Königreich und Gottesstaat

Impressum

Copyright: Detlef B. Fischer

Jahr: 2023

ISBN Softcover: 978-3-347-91916-7

ISBN Hardcover: 978-3-347-91917-4

ISBN E-Book: 978-3-347-91918-1

Covergestaltung: D. B. Fischer

Verlagsportal: Tredition GmbH, An der Strusbeck 10, 22926 Ahrensburg

Gedruckt in Deutschland

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig

Königreich und Gottesstaat

Münster in den Händen der Täufer

Augenzeugenberichte, ausgewählt, bearbeitet und kommentiert von

Detlef B. Fischer

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Urheberrechte

Titelblatt

Vorrede

Elemente der Täuferlehre

Ausbreitung der Täuferbewegung

Quellentexte nebst Kommentaren

Die Wiedertäufer setzen sich in Münster fest

Beginn der Unruhen

Belagerung und Vertreibung der Gottlosen

Das neue Jerusalem

Die Vielweiberei

Der zweite Sturm auf Münster

Das Königreich des Johann von Leiden

Aussendung der Apostel

Das lange Warten auf Erlösung

Der Hunger übernimmt die Regie

Der Untergang

Schlussbetrachtung

Über die Autoren der Quellentexte

Königreich und Gottesstaat

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Urheberrechte

Titelblatt

Elemente der Täuferlehre

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Vorrede

Bald jährt sich die kurze Episode der Wiedertäufer in Münster zum 500en Mal. Zeit für einen neuen Blick auf die Ereignisse der Jahre 1533 bis 1535. Im 21. Jahrhundert kann und sollte man die Vorgänge anders betrachten, einordnen und bewerten als das in den vorigen Jahr-hunderten geschehen ist.

Über das bizarre Reich der Wiedertäufer gibt es eine umfangreiche Literatur, aber bislang ist die Geschichte der Wiedertäufer vor allem von deren Gegnern und Kritikern erzählt worden. Auch hier wurde die Geschichte, wie so oft, von den Siegern geschrieben. Die Täuferzeit wurde in der Regel als Schreckensherrschaft beschrieben, die um jeden Preis beendet werden musste und die Hauptakteure wurden als Scharlatane dargestellt, die von nichts anderem als Gier, Lust und Trug geleitet worden sind.

Schaut man sich jedoch die schriftlichen Quellen genau an, dann wird ein anderes Bild der Täuferbewegung offenbar, einer Bewegung, die unzeitgemäße Ideale vertrat und eine neue Ordnung aller Lebensverhältnisse anstrebte. Unter dem Druck stetiger Verfolgung und schließlich der Belagerung konnte sich ein genuin täuferisches Zusammenleben in der Stadt Münster nicht wirklich entfalten, aber Ansätze zu einer neuen Form religiöser und sozialer Praxis hat es durchaus gegeben. Heute noch existierende Täufergemeinschaften, wie die Hutterer, die Amish oder die Mennoniten zeichnen sich durch tiefe Gläubigkeit, Friedensliebe, wirtschaftliche Effizienz, aber auch durch eine Ablehnung allen Fortschritts aus. Im Münster eines Johann van Leiden hätte sich auch eine funktionierende Sozialordnung dieser Art etablieren können, wenn es den äußeren Druck nicht gegeben hätte.

Der überwiegende Teil der Literatur über die Täufer in Münster bewegt sich zwischen zwei Extremen: der Dämonisierung der Bewe-gung und, ja, auch das gab es, ihrer Idealisierung als Verkünderin des Fortschritts, wahrer christlicher Tugendhaftigkeit oder Vorläuferin des Sozialismus. Wie so oft, liegt die Wahrheit auch hier in der Mitte. Vor allem das Studium der alten Quellentexte zeigt uns, wenn man die antitäuferische Propaganda aus ihnen herausrechnet, ein recht präzises Bild der Verhältnisse und Begebenheiten in Münster. Ein Täuferreich in der Stadt Münster, das sich hätte konso-lidieren und behaupten können, wäre eine interessante Facette christlichen Glaubens im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gewesen. Leider aber war der Mangel an Toleranz und gegenseitigem Verständnis so groß, dass er keine hundert Jahre später in die Katastrophe des 30-jährigen Krieges führte.

Elemente der Täuferlehre

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts formierte sich in Süddeutschland und in der Schweiz eine neue religiöse Bewegung, die sich in mehreren Punkten vom lutherischen Protestantismus unterschied. Auf den Besuch von Gottesdiensten drangen die Täufer nicht und auf dog-matische Auslegungen der Schrift legten sie keinen großen Wert. Die Erbsünde, die Trinität und die lutherische Rechtfertigungslehre lehnten sie ab und im Abendmahl sahen sie lediglich eine Erinnerungsfeier und eine Erneuerung des Bundes mit Gott. Darüber hinaus lehnten die Täufer es ab, Waffen zu tragen und Eide zu leisten, aber die Ablehnung der Kindstaufe wurde zu ihrem Markenzeichen.

Man kann das Phänomen Wiedertäufer nicht verstehen, wenn man sich nicht mit den Hauptgedanken und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen vertraut macht, die dem täuferischen Denken zugrunde liegen. Es sind im Wesentlichen vier Elemente, die es bei der Beschäftigung mit den Täufern zu beachten gilt.

1. Die Erwachsenentaufe

Weil die Anhänger dieser christlichen Glaubenslehre sich gegen die Taufe von Kindern wandten und stattdessen nur die Taufe von Erwachsenen anerkannten, nannte man sie „Wiedertäufer“. Die Täufer argumentierten völlig zu Recht, dass sich die Kindstaufe aus der Bibel nicht ableiten lässt. Johannes der Täufer hat im Wesentlichen Erwachsene getauft und keine Kinder. Es macht aus heutiger, aufge-klärter Sicht durchaus Sinn, nur Menschen in eine religiöse Gemeinschaft aufzunehmen, die sich bewusst dafür entschieden haben. Bei der Kindstaufe entscheiden andere darüber, welcher Religion eine Person angehören soll, nicht aber die Person selbst.

Die Kindstaufe ist vor allem aus Gründen der Machtausweitung und -erhaltung eingeführt worden. Erwachsene können zum Angebot einer Taufe Ja oder Nein sagen, Säuglinge aber können das nicht. Daher blieb auch Luther bei der Kindstaufe, denn er wusste, dass der Protestan-tismus schnell ins numerische Hintertreffen gegenüber den Katholiken geraten würde, wenn er nur Menschen taufte, die einer Taufe zustimmen. Die Angst vor einem Machtverlust der Kirche ging so weit, dass in manchen Gegenden Deutschlands auf das Spenden und Empfangen der Erwachsenentaufe die Todesstrafe stand.

2. Endzeiterwartung

Die Hinwendung zur Erwach-senentaufe war jedoch nicht der einzige Unterschied zu den Lehren der Katholiken und denen der protes-tantischen Lehren. Die Prophezeiungen der Bibel nahmen die Täufer recht wörtlich und sie erwarteten eine baldige Wiederkehr des Herrn und den Anbruch eines tausendjährigen glückseligen Reiches. Der Tag des Jüngsten Gerichts und die Wiederkehr Christi standen in ihren Augen unmittelbar bevor.

Der Tuchweber Nikolaus Storch (1500-1536) aus Zwickau gilt als früher Apologet der Täuferbewegung und seine Vorstellungen vom baldigen Ende der Welt entsprechen denen der münsterschen Täufer. Nikolaus Storch rühmte sich göttlicher Offenbarungen und umgab sich mit 12 Aposteln und 72 Jüngern. Er weissagte bereits im Jahre 1521, dass Gottes Gericht bald über die Erde hereinbrechen werde. In fünf bis sieben Jahren komme das Ende der Welt, dann würden alle Pfaffen erschlagen werden und es werde kein Unfrommer oder Sünder übrig bleiben. Es werde dann ein Glaube und eine Taufe herrschen und ein tausendjähriges Reich Gottes werde auf Erden anbrechen.

Verbunden mit der Endzeiterwartung hatten die Täufer aus der Heiligen Schrift einen Missionsbefehl herausgelesen, der ihnen aufgab, die Menschheit noch vor dem Tag des Gerichts zum wahren Glauben zurückzuführen. Die missionarische Tätigkeit der Täufer zielte also nicht darauf ab, möglichst viele Mitglieder zu gewinnen, sondern möglichst viele Menschen vor den Höllenstrafen zu bewahren. Der dringliche Appell aufgeregter Täufer „Tut Buße! Tut Buße!“ oder „Bekehrt euch! Bekehrt euch!“, der immer wieder durch Münsters Straßen schallte, hat hier ihren Ursprung. Die Anhänger der etablierten christlichen Kirchen erschienen den Täufern als durch und durch verlogen und verdorben. Der dem Täufertum anhängende Theologe Hans Denck (1495-1527) schreibt: „Die ganze vermeinte Christenheit ist voll Ehebrecher, Geiziger und Säufer, … die ganze Welt liegt in Todsünden.“

3. Eine gottgerechte Welt

Da durch die starke Verfolgung der Täufer im deutschen Reich die Hoffnung auf eine Rettung der gesamten Menschheit immer mehr schwand, kam bei den Täufern die Idee auf, dass die Ausrottung der Gottlosen sowie die Errichtung einer Gemeinschaft wahrer Christen bereits vor dem Jüngsten Tag stattfinden müsse. Es müsse, so ihr Gedanke, eine irdische Herrschaft der Heiligen in einem theokratischen Zwischenreich, das bis zur Wiederkunft Christi bestehen sollte, gegründet werden. Nur Gemeinwesen, die aus wirklich frommen und gläubigen Christen bestehen, könnten am Tage des göttlichen Gerichts von Gottes Rache verschont bleiben.

Nachdem in Münster im Jahr 1534, nach langem Kräftemessen und vielem hin- und her schließlich die Voraussetzungen für eine Täuferherrschaft geschaffen waren, galt es nun die Vorstellung dieser theokratischen Gemeinde zu realisieren. Die Täufer orientierten sich dabei an den ersten christlichen Gemeinden, in denen es, zumindest in ihren Augen, kein Privateigentum, sondern die Gütergemeinschaft gege-ben hatte.

An die Stelle der Massenkirche, in der sich auch Mitläufer, Unent-schlossene, Haltlose und Ungläubige tummelten, sollte eine Gemeinde wahrer Christen treten, die sich durch Buße, Glauben und Taufe in zurechnungsfähigem Alter bewusst in die Nachfolge Christi begeben haben. Die Täufer wollten eine stoßkräftige Elitegemeinde schaffen, die auf ein gemeinsames Ziel, der Erlösung am jüngsten Tage, ausgerichtet war. Alle Gottlosen, Sünder und Zauderer sollten ausgeschlossen bleiben und, da sie uneinsichtig sind, ihrem traurigen Schicksal über-lassen werden.

Im späteren Verlauf der Täuferherrschaft in Münster wurde auch die Rolle des Staates neu überdacht. Das Königreich des Jan van Leiden wollte ein theokratisches Reich, ein „Gottesstaat“ sein, der sich aus göttlichem Willen herleitet und in dem religiöse und weltliche Macht identisch waren. Der Gemeinde oblag dabei die Verpflichtung, göttliche Befehle in gesellschaftliche Wirklichkeit zu übersetzen, wobei die gött-lichen Weisungen durch Propheten vermittelt wurden, von denen es in Münster mehrere gab.

4. Offenbarungen und Prophezeiungen

Neben der Bibel, die die Täufer als das „äußere Wort“ betrachteten, stellten sie Inspirationen und Offenbarungen einzelner Gläubiger als wegweisend dar. Daher hatten „Propheten“ einen großen Einfluss in den Täufergemeinden. Deren Offenbarungen, Gesichte und Visionen waren den Täufern das „innere Wort“, dass sie gleichberechtigt und oft auch als wichtiger ansahen als die biblischen Texte.

Dieser Aspekt der Täuferbewegung hat bei vielen Nachge-borenen das meiste Unverständnis und den meisten Spott verursacht, daher soll er hier einmal genauer untersucht werden. In vielen Religionen, auch den monotheistischen Religionen Islam und Judentum, haben sich mystische Seitenlinien entwickeln, etablieren und bis heute behaupten können. Im Islam sind das die Sufis und im Judentum die Chassiden. Ansätze zu einer christlichen Mystik hat es zwar auch gegeben, aber sie hat sich nie wirklich ausentwickeln und Wirkung entfalten können. Mystik zielt auf direkte Gottes-erfahrung ab, jenseits der Vermittlung von Priestern und auch jenseits des gedruckten Wortes. Schriften und Worte sind dem Mystiker nur der Finger, der auf den Mond zeigt, aber nicht der Mond selbst. In fernöstlichen Religionen wie dem Hinduismus, dem Taoismus und dem Buddhismus sind Praktiken religiöser Erfahrung wie Meditation oder Yoga fester Bestandteil des religiösen Lebens. In schöner Regelmäßigkeit tauchen im Feld dieser Kulturen weise Männer und Frauen auf, die von göttlichem Geist durch-drungen sind. Sie tragen Namen wie Yogini, Bhagavan, Rishi, Roshi oder Tulku und genießen in der Bevölkerung große Verehrung. Im Christentum haben Mystiker wie Meister Eckhart oder Jakob Böhme vor allem Missgunst, Neid und Verfolgung erfahren müssen. Sie haben zwar hochinteressante Schriften, aber keine religiöse Praxis beschrie-ben, mit Hilfe derer Menschen zu mystischen Erfahrungen gelangen können. Daher müssen heutige Christen, die sich für spirituelle Erfahrung interessieren, meditative Praktiken aus Asien importieren und „Yoga für Christen“ oder „Zen für Christen“ betreiben.

Die Täufer spürten diesen Mangel im christlichen Lehrgebäude und suchten nach einem Weg, ihn zu beheben. Thomas Münzer, der unter dem Einfluss des bereits oben erwähnten „Propheten“ Nikolaus Storch stand, schreibt: „Der Mensch empfängt Gottes Offenbarung nicht durch die Kirche, nicht durch Verkündigung des göttlichen Wortes, am wenigsten durch das tote Bibelwort, sondern allein durch den Geist Gottes, der unmittelbar zum Menschen redet.“ Das lebendige, unmittelbare Wort müsse man, so Münzer, im Abgrund der Seele hören, um mittels desselben zu weissagen. „In Zittern und Erbeben vor seinen Sünden und seinem Unglauben erhält der Mensch dann die rechten Gesichte und Träume, denn Gott lösche gern seinen Durst und unterhalte sich mündlich mit ihm wie mit Abraham und Jakob“. In diesen Sätzen sind Gedanken formuliert, die sich mit denen der einige Jahre später aufkeimenden Täuferbewegung berühren.

Die innere Erleuchtung des Menschen und die fortwährende Offenbarung Gottes in ihm bildet eine der Grundüberzeugungen der Täufer. Damit unterschied sich die Täuferbewegung nicht nur von der katholischen, sondern auch von der evangelischen Kirche, in der das Wort noch mehr in den Mittelpunkt rückte. Die Anhänger Luthers galten den Täufern ohnehin als die „neuen Papisten“, da auch sie noch Bilder und Altäre zuließen und Kinder tauften. Ihre Inspirationen für das „innere Wort“ fanden die Täufer im Alten Testament, das sie mehr verehrten als das Neue. Im Alten Testament tritt eine Reihe von Propheten auf, die in ihrem Inneren Gottes Stimme hörten. Gott sprach zu den Menschen, nicht zu allen, aber zu einigen Auserwählten wie Jesaja oder Jeremia. Den Propheten des Alten Testaments ging es aber nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, wie meist angenommen wird. Sie waren vielmehr Berufene, die ihren Zeitgenossen Gottes Botschaften ausrichten konnten. Mit einer Neubelebung des Prophetentums meinten die Täufer, den Schlüssel gefunden zu haben, Gott nahe zu sein, seinen Willen zu erfahren und ihm zu gehorchen. Das unmittelbare Hören von Gottes Stimme stand bei ihnen weit über der bloßen Schriftauslegung, die von nüchternen Gelehrten betrieben wurde. Schließlich, so argumentierten sie, hatte sich auch Jesus Christus gegen die Schriftgelehrten gewandt und sie im Matthäusevangelium als Blinde und Heuchler bezeichnet. Der bereits oben erwähnte täuferische Theologe Hans Denck hielt die Bibel für ein Werk von Menschen, das daher keine absolute Autorität beanspruchen kann. Ähnlich dachte er auch über Jesus Christus, der den Menschen vor allem ein Vorbild sein sollte. Er sagt zwar nicht, dass Jesus (nur) ein Menschensohn ist, aber von einer Leugnung seiner Gottheit ist er nicht weit entfernt. Die Heilige Schrift war für Denck wohl eine Leuchte in der Finsternis, aber, da von Menschen gemacht, kein vollkommenes Werk. Die Quelle allen Lichts fand er in der inneren Offenbarung Gottes im menschlichen Herzen und er sprach dem Menschen die Fähigkeit zu, sich zu seinem Urquell, zu Gott, den er in sich trägt, zu erheben. Der Mensch musste sich nur in sich kehren und der Stimme in seinem Inneren zuhören.

Das Problem mit dem „inneren Wort“ bei den Täufern war, dass die Welt und die Menschen nicht mehr so waren, wie in alttesta-mentarischen oder frühchristlichen Zeiten. Das beginnende 16. Jahrhundert war eine Zeit des Umbruchs und grundlegender Neuorien-tierung. Kolumbus hatte die Neue Welt entdeckt, Magellans Schiffe hatten die Erde umrundet, Kopernikus entdeckte, dass sich die Erde um die Sonne dreht, Bücher konnten in großer Auflage gedruckt werden und Reformatoren wie Luther, Zwingli und Calvin forderten die katholische Kirche heraus. In dieser Zeit des Aufbruchs zu neuen Ufern, dem Beginn der Neuzeit, wandten sich die Täufer den Gesichten von Männern zu, die einst in kargen Landschaften Hirtenstämme angeführt hatten und die oftmals weder lesen noch schreiben konnten. Die göttlichen Eingebungen dieser Männer aus vorchristlicher Zeit sind von elementarer Wucht und sie wirken bis heute glaubhaft und echt. Darin unterscheiden sie sich von den Visionen der Wiedertäufer, deren göttliche Eingebungen sprunghaft, ausgedacht und klug inszeniert daherkommen. Zum Auserwählten wird man nicht, weil man sich selbst zu einem solchen erklärt. Nur sehr naive Menschen, von denen es im wiedertäuferischen Münster sehr viele gab, durchschauten den seherischen Mummenschanz nicht und vertrauten auf die Eingebungen der selbsternannten Propheten.

Resümierend kann man sagen, dass die Täufer mit dem Insis-tieren auf das „innere Wort“ einen nachvollziehbaren und interessanten Ansatz verfolgten, dass ihnen aber die richtigen Mittel für das Erlangen spiritueller Erkenntnisse nicht zur Verfügung standen. Visionen, Erleuchtungserlebnisse, Gesichte und Eingebungen aus den Tiefen-schichten des Seelenlebens erlebt man nicht, weil man sie will. Sie müssen vielmehr mühsam erworben, ja, erkämpft und erfleht werden, wobei verschiedene Kulturen dazu sehr unterschiedliche Wege aufzeigen. Die Schamanen indigener Völker kannten und kennen Wege, mit den Geistern in Verbindung zu treten, ihre Hilfe zu bekommen oder ihren schädlichen Einfluss auf Menschen und Ereignisse abzumildern. Bei den Hindus und Buddhisten gibt es den Weg der Askese und der beständigen Meditation; die muslimischen Sufis bringen sich mit Hilfe von Kreistänzen in andere Bewusstseinssphären und in vielen Kulturen gelten psychogene Drogen als Tor zu tieferer Erkenntnis. Aber über andere Kulturen und deren Techniken der Gotteserkenntnis wussten die Wiedertäufer im Deutschland des 16. Jahrhunderts nichts und sie waren gezwungen, sich ihre Inspirationen allein aus der Bibel zu holen.

Ausbreitung der Täuferbewegung

Die Reformation beginnt am 31. 10. 1517 mit Luthers Anschlag der 95 Thesen an der Wittenberger Schlosskirche. Er trat damit eine Debatte um ein geläutertes, zeitgemäßes Christentum los, die großen Widerhall fand, sich rasch verbreitete und bald nicht mehr zu steuern war. Einigen Zeitgenossen ging die Reformation nicht schnell genug, anderen gingen Luthers Ideen zu weit oder nicht weit genug. Die Reformatoren des frühen 16. Jahrhunderts hatten kein einheitliches Konzept und sie konnten sich auch nicht auf eine gemeinsame Auslegung der biblischen Texte einigen. Inmitten dieser brodelnden reformatorischen Kräfte entstand auch die Täuferbewegung. Anders als bei der Ausbreitung der lutherischen Lehre, gibt es im Falle der Täufer nicht den einen Ort und den einen Tag, von dem alles ausging. Die Bewegung entstand an mehreren Orten und es lassen sich nur einige Schwerpunkte aus-machen. Die deutschsprachige Schweiz gehört auf jeden Fall dazu, aber auch Sachsen, Thüringen, der Schwarzwald, das Elsass und Mähren. Am ehesten ist Zürich der Ort, an dem die täuferische Lehre zuerst Gestalt gewann.

Die Lehren der Wiedertäufer fanden zunächst in der Schweiz und in Süddeutschland rasche Verbreitung, wurden aber von den dortigen katholischen und protestantischen Regierungen energisch bekämpft. Der Wanderprediger Melchior Hofmann (1495-1543) brachte die Gedankenwelt der Täufer nach Nordwestdeutschland und in die Niederlande, wo sich bald die ersten Täufergemeinden bildeten. Nachdem Melchior Hofmann im Jahre 1533 in Straßburg eingesperrt wurde, übernahm der Bäcker Jan Matthys aus Haarlem die Führung der Bewegung. Matthys war ein ganz anderer Charakter als der fried-liebende Hofmann. Er rief dazu auf, die „Gottlosen“ zu bekämpfen und empfahl seinen Anhängern, sich zu bewaffnen.

In der Stadt Münster hatte der Prediger Bernhard Rothmann seit 1530 die lutherische Lehre verbreitet. Gestützt auf die Gilden hatte er es dahin gebracht, dass am 10. August 1532 sämtliche Stadtkirchen evangelischen Prädikanten übergeben worden waren. Der erst am 1. Juni 1532 ins Amt gewählte münstersche Bischof Franz von Waldeck traf daraufhin Vorbereitungen, gewaltsam gegen die Stadt vorzugehen. Dem kamen aber städtische Truppen zuvor, die Weihnachten 1532 die in Telgte tagende Anhängerschaft des Bischofs (Domkapitel, Ritter-schaft und Erbmänner) überfielen und gefangen nahmen. Der Bischof selbst war zufällig am Tage zuvor nach Iburg geritten und nicht vor Ort. Der evangelische Landgraf Philipp von Hessen vermittelte zwischen der Stadt Münster und dem Bischof um die Freilassung der Inhaftierten und den Status der Stadt. Am 14. Februar 1533 wurde schließlich ein Vertrag geschlossen, in dem der Fürstbischof Münster als evangelische Stadt anerkannte. Nur der Dom und die Klöster sollten in katholischer Hand bleiben.

Damit hätte der Vorgang „Reformation in Münster“ eigentlich abgeschlossen sein können. In anderen deutschen Städten hat sich der Übergang von katholischer zu evangelischer Zugehörigkeit ganz ähnlich abgespielt, aber in Münster kam es anders und die weiteren Verän-derungen ereigneten sich sehr schnell. Die evangelische Kirche bekam gar nicht die Zeit, sich in Münster wirklich festzusetzen. Bernhard Rothmann, der eifrige Prediger aus dem münsterländischen Stadtlohn hatte sich bereits wieder von der lutherischen Lehre abgewandt und sich den Wassenberger Prädikanten angeschlossen. Die Wassenberger Prädikanten waren im Jahre 1532 nach Münster gekommen, nachdem sie aus der Stadt Wassenberg am Niederrhein wegen der Verbreitung täuferischer Ansichten vertrieben worden waren. Rothmann trat im Frühjahr 1533 als entschiedener Gegner der Kindertaufe auf und widerlegte bei einer Disputation im August 1533 die Argumente seiner Gegner sehr souverän. Im November des gleichen Jahres versuchten Katholiken und Protestanten gemeinsam wieder die Oberhand in Münster zu gewinnen. Rothmann wurde das Predigen verboten und die anderen täuferisch gesinnten Prädikanten wurden aus der Stadt gewiesen. Der Landgraf Philipp von Hessen schickte zwar einige evangelische Prediger nach Münster, aber Rothmann gab nicht auf und hatte große Teile der münsterschen Bevölkerung auf seiner Seite.

Auch war Rothmann mit seinen religiösen Ansichten nicht allein in der Stadt. Münster war schon seit längerem zu einem Zufluchtsort für viele geworden, die in ihrer eigenen Heimat ihren Glauben nicht leben konnten. Die meisten Zuwanderer kamen aus den Niederlanden und aus Friesland. Rothmann begann wieder zu predigen und radikalisierte sich in seinen Ansichten. Er stellte seinen Anhängern Neuerungen auf sozialem Gebiet in Aussicht, wandte sich gegen das Privateigentum und trat für eine Gütergemeinschaft ein. Vor allem die Aussicht auf diesen, wie auch immer ausgestalteten, christlichen Sozialismus ermutigte viele Bürger, vor allem die Armen, sich der Täuferbewegung anzuschließen.

Einer Ausweisung aus der Stadt im Dezember 1533 folgte Rothmann nicht. Stattdessen kehrten die ausgewiesenen Prädikanten nach Münster zurück. Der Stadtverwaltung und den lutherischen Predigern waren die Zügel bereits völlig aus der Hand geglitten. Zwei lutherische Prediger wurden von aufgebrachten Bürgern aus ihren Kirchen gejagt und von den Bürgermeistern wurde die Wieder-einsetzung Bernhard Rothmanns verlangt.

Am 5. Januar 1534 trafen zwei Abgesandte des Propheten Jan Matthys, Bartholomäus Bockebinder und Willem de Cuiper, in Münster ein. Sie überbrachten die Botschaft des Propheten, dass die Verheißung nahe sei und tauften die Prädikanten Rothmann, Roll, Klopriß, Vinne und Straelen. Am 7. Januar zogen die Abgesandten weiter. Die neue Lehre, dass die Gottlosen vernichtet werden sollten und die Gemeinde sich von der übrigen Welt absondern müsse, brachten am 13. Januar zwei andere Boten des Matthys: Johann von Leiden und Gert tom Kloster. Jan Matthys selbst, der große Prophet, kam erst nach den Februarunruhen nach Münster und übernahm die Führung der Gemeinde. Die Zahl der Wiedertäufer in Münster soll sich bei der Ankunft des Jan Matthys um etwa 1400 bewegt haben.

Die Wiedertäufer setzen sich in Münster fest

Die Rothmannisten, nämlich Klopriß, Roll, Straelen und der Moerser (Hermann Staprade), bemühten sich eifrig, durch Ermahnungen, Bitten, Überredung und Schelten, ihre Anhänger und die reichen Frauen zu betören und dahin zu bringen, dass sie entweder alles verkauften und den Erlös zum gemeinsamen Besten beitrugen oder es in die Häuser der Prediger brachten. Denn niemand, versicherten sie, könne des Bundes und der ewigen Seligkeit teilhaftig werden, der nicht der ganzen Welt entsage und den Schmuck des faulen Leibes von sich werfe oder zum Unterhalt bedürftiger Brüder oder der Prediger verwende. „Wehe, wehe“, sagten sie, „dem hochmütigen Münster! Wehe, wehe euch, die ihr zum Schmuck Gold, Silber, Steine und kostbare Kleider tragt! Verflucht seid ihr, weil ihr den Schmuck des Leibes höher schätzt als den der Seele! Zieht also den alten Menschen mit allen seinen Begierden aus und legt die neue Rüstung an!“ Durch diese mit Honig und Essig gemischten Predigten ließen sich nicht nur Leute niederen Standes, sondern auch Vornehmere rühren, denn auch die Frau des Ratsherren Christian Wördemann ließ sich am 11. Januar von Rothmann wiedertaufen. Als sie nach Hause kam, befestigte sie ihr Mann, der die Geschichte von der Magd erfahren hatte, so im neuen Glauben, dass sie kaum kriechen, geschweige denn gehen konnte. An demselben Tage wurden auch sieben Nonnen aus dem Aegidiikloster und einige aus Überwasser und sehr viele namhafte Bürger von Rothmann wiedergetauft. Einige Frauen brachten auch ihre Ringe, ihre Gürtel mit goldenen Knöpfen und Schnallen und anderen Schmuck in Rothmanns Haus, aber ihre Männer zwangen sie mit Schlägen und Drohungen, die Sachen zurückzufordern. Manche schlichen sich fort und gingen heimlich in die Häuser der anderen Prediger, um Wein zu trinken und sich unterrichten zu lassen, während sie ihren Männern weismachten, sie wären in häuslichen Angelegenheiten fort gewesen. Als es aber von einigen verraten wurde, empfingen sie die Männer bei der Heimkehr nicht nur mit Fäusten und Stöcken, sondern drohten auch den Predigern Schlimmes an, wenn sie sich nicht des Verkehrs mit ihren Weibern enthielten. (K. 471)

Von Beginn an waren die Frauen in Münster an der neuen Lehre sehr interessiert. Es waren nicht nur, wie man oben sieht, Nonnen und Bewohnerinnen von Damenstiften, die einer Änderung der bisherigen Verhält-nisse offen gegenüberstanden. Widerstand gegen Veränderungen und auch gegen eigenständiges Handeln der Frauen überhaupt, kam vor allem von den Ehemännern.

Die Nonnen von Überwasser

Wenn in diesem Abschnitt mal vom Bischof und dann wieder vom Fürsten die Rede ist, so muss man wissen, dass es hier um dieselbe Person handelt. Das Bistum Münster wurde bis 1801 von Fürstbischöfen regiert, Regenten also, die sowohl Bischöfe als auch Fürsten waren.

Ida von Merveldt aber, die Äbtissin des Klosters Überwasser, beklagte sich am 10. Dezember (1533) beim Bischofe, dass ihre Jungfrauen entgegen der weiblichen Sittsamkeit und gegen ihre Gelübde von leichtfertigen Menschen verführt würden, mit folgenden Worten: Sie habe zwar mit dem größten Teil ihrer Jungfrauen nach ihrer Regel gelebt und bisher keinerlei Neuerung weder der Religion noch der Zeremonien zugelassen, um dem früheren Schreiben des Fürsten zu gehorchen. Jetzt aber hätten wider alles Vermuten einige Nonnen ihre Regel und ihre Gelübde vergessen, ihre Kleidung geändert, das Kloster verlassen und die Predigten der aufrührerischen Prädikanten in der Stadt gehört. Sie hielten sich bei weltlichen Bürgersleuten auf und wollten sich nicht wieder zum Gehorsam zurückbringen lassen, wenn sie nicht ausgehen, Predigten hören und nach Belieben nach Hause kommen dürften. Da aber dies den Klostergelübden und dem Gehorsam gegenüber dem Bischof widerspreche, so könne sie nicht umhin, es mit lebhaftem Schmerze beim Fürsten anzuzeigen. Denn sie beklage sich nicht gern über ihre Nonnen, wenn sie es mit Ehren und ohne Pflicht-verletzung unterlassen und mit ihren Kräften alles leicht wieder in den früheren Stand zurückführen könne. Aber ohne eine Vollmacht des Bischofs habe sie weder die Kraft noch den Mut, diesem Übel abzuhelfen. Daher bitte sie untertänigst, dass er sie mit Rat und Hilfe unterstütze und ihr schriftlich eröffne, was mit den entlaufenen Nonnen und denen, die in Zukunft noch das Kloster verlassen wollten, geschehen solle, damit sie nicht etwas tue, womit sie bei dem Fürsten anstoße.

Hierauf antwortete der Fürst am 18. Januar (1534), sie solle die Nonnen, die widerspenstig das Joch ihrer Regel abgeschüttelt hätten, in die Reihen der anderen nicht wieder aufnehmen, damit nicht auch die übrigen, wenn sie sähen, dass jene unbestraft bleiben, angestiftet würden, eine ähnliche Auflehnung und Pflichtverletzung zu unter-nehmen oder sie noch größeren Aufruhr unter den Gehorsamen veranlassten. Die Äbtissin antwortete hierauf am 24. Januar, sie hätte weder durch Bitten und Flehen noch durch Tränen und Drohworte die Nonnen hindern können, aus dem Kloster zu laufen. Und da schon der größte Teil von ihnen das Kleid gewechselt habe, würde sie, wenn sie dem Rate des Fürsten folge und die Widerspenstigen völlig ausschließe und nicht wieder aufnähme, entweder neue Unruhe stiften, oder, wenn sie vielleicht in ihrer Keuschheit Schiffbruch litten, von ihren Verwandten nicht nur, sondern von jedem Beliebigen die schärfsten Vorwürfe sich gefallen lassen müssen. Das alles stelle sie der sorgfäl-tigen Erwägung des Fürsten anheim. Der Fürst erwiderte am 26. Januar, sie solle die Eltern und Verwandten der rebellischen Nonnen kommen lassen und ihnen die ganze Sache eröffnen. Wenn aber diese sie von ihrer Zügellosigkeit nicht wieder zu gesundem Verstande und zu ihren Ordensgelübden zurückbringen könnten, sollte sie sie wieder ihrer eigenen Obhut und ihrer Gewalt übergeben, damit sie sie mit nach Hause nähmen und der alte gute Ruf des Klosters nicht Schaden leide. (K. 472)

Die Ausweisung der Prediger wird von den Wiedertäufern vereitelt

Mitte Januar 1534 hatten der Rat und auch der Bischof noch Hand-lungsmöglichkeiten gegenüber der Täuferbewegung. Die Täufer waren zwar zahlreich, aber noch relativ unorganisiert. Wie aus den Aus-führungen Kerssenbrocks zu lesen ist, arbeiteten Rat und Bischof aber nicht zusammen, sondern eher gegeneinander. Das machte es den Täufern leicht, sich in der Stadt festzusetzen und zu behaupten.

Der Rat von Münster ließ seinem früheren Beschlusse gemäß am 15. Januar (1534) Klopriß, Straelen und Vinne durch die Stadtdiener aus der Stadt führen. Allein die zahlreiche Schar der Wiedertäufer, die sich aus dem Rat so viel machte wie der Rat aus dem Bischofe, führte sie durch ein anderes Tor im Triumph und zur ewigen Schmach des Rates in die Stadt zurück. Durch diesen Vorgang wurden die furchtbarsten Unruhen und damit der Untergang der Ordnung in der Stadt angekündigt. Denn nichts ist für sie gefährlicher als der Ungehorsam gegen die gesetz-mäßige Obrigkeit, wodurch der privaten Willkür, der Mutter allen Übels im Staate, Tür und Tor geöffnet wird. (K. 473)

Edikt des Bischofs

Als der Bischof davon erfuhr, schmerzte ihn das Schicksal der sinkenden Stadt, die er weder durch heilsame Ermahnungen, noch freundliche Schreiben, noch durch Arreste und andere Rechtsmittel von ihrem gottlosen Beginnen abbringen konnte. Damit er aber nichts, was zum Heile und zur Sicherheit seiner Untertanen dienen könnte, unterlassen zu haben schiene, wollte er durch ein öffentliches Edikt, das er am 23. Januar im ganzen Bistum bekanntmachen ließ, die Einwohner der Stadt von ihrem gottlosen Tun abschrecken und zur Vernunft bringen. Der Inhalt des Edikts ist folgender:

Wir, Franz von Gottes Gnaden, Bischof von Münster und Osnabrück, Administrator des Bistums Minden usw. tun kund und zu wissen, dass wir zuverlässig in Erfahrung gebracht haben, dass die verdammte, verbotene und aufrührerische Partei und Lehre der Wiedertäufer durch einige Betrüger und nicht ordnungsgemäß berufene Prediger, Bernhard Rothmann, Heinrich Roll, Johann Klopriß, Hermann Staprade, Dionysius Vinne, Gottfried Straelen und ihre Spieß-gesellen verbreitet worden ist und in unserer Stadt Münster mit vielen anderen gefährlichen und aufrührerischen Neuerungen angefangen und Wurzel gefasst hat. Wir haben das mit höchstem Schmerze erfahren, und würden wir dieses Übel straflos wüten lassen, so würden wir uns nicht nur die Missbilligung der Kaiserlichen Majestät und des ganzen Reiches zuziehen, sondern auch unser Bistum und unsere Untertanen in ewige Zwietracht und unersetzlichen Schaden, ja, ins Verderben stürzen. Damit also unsere Untertanen von jener aufrührerischen Lehre abgeschreckt und durch das liebevolle Band christlicher Eintracht zusammengehalten werden, so haben wir an Bürgermeister, Rat, Older- und Meisterleute unserer Stadt öfter und ernstlich geschrieben. Wir haben sie freundschaftlich gebeten, dass sie diese aufrührerische Lehre und verderbliche Verirrung aus der Stadt verbannen und auf keine Weise in ihren Mauern dulden möchten, wie das viele Schreiben bezeugen. Nichtsdestoweniger aber haben wir erfahren, dass diese verdammte Spaltung täglich weiter in der Stadt fortwuchert und sich ausbreitet. Um aber diesem Übel durch heilsame Mittel und Strafen, wie es dem Fürsten gebührt, entgegenzutreten, so wollen wir durch dieses Schreiben den oben genannten Predigern und all jenen Bürgern und Einwohnern unserer Stadt, die jene Prediger verteidigen, schützen, aufnehmen, öffentlich oder heimlich dulden und es verhindern, dass solche Prediger wegen ihrer Gottlosigkeit und Unbotmäßigkeit von der Obrigkeit ergriffen und gebührend bestraft werden. Sicherheit, Freiheit, öffentlicher Schutz und sicherer Verkehr soll ihnen aufgekündigt und genommen werden. Wir gebieten also jeden unserer Amtsleute, Befehlshaber, Richter, Diener und Untertanen, dass sie den genannten Ungehorsamen, Rebellen, Unruhestiftern und Aufrührern mit allen ihren Gütern, wo immer sie sein mögen und gefasst werden können, zu verhaften und sie dann als Gefangene der Behörde übergeben. Dann sollen sie nach kaiserlichem Edikt und Reichsabschieden mit den gesetzlichen Strafen belegt werden, und wir und unsere Untertanen sich nicht eine Rüge des Reiches zuziehen. Es ist unser ernstlicher Wille, dass unsere Beamten und Untertanen, wenn sie Strafe und Ungnade vermeiden wollen, dies treulich ausführen. Zum Zeichen unseres Willens haben wir unser Siegel beigedrückt. Gegeben 1534, am Freitage nach dem Feste der Märtyrer Fabian und Sebastian. (K. 474)

Heimliche Versammlungen der Wiedertäufer

Welchen Eindruck das Edikt des Fürsten auf die Einwohner der Stadt gemacht hat, zeigen die Vorgänge der nächsten Zeit zur Genüge. Denn am Tage der Bekehrung Pauli, am 25. Januar, hielt Rothmann in der Servatiikirche von acht bis zehn Uhr eine Predigt. Als er darin, entgegen seiner Erwartung, nicht bloß Wiedergetaufte und Leute seiner Anhängerschaft, sondern auch Evangelische und Katholische bemerkte, sagte er zum Schluss, man solle die Perlen nicht vor die Säue werfen, sondern nur den Auserwählten und in seinem Verzeichnis aufgeführten zukommen lassen. Und nach dieser Zeit predigte er nicht mehr öffent-lich, sondern nur noch privat in den Häusern einiger Bürger.

Da aber die Zahl der Wiedergetauften sich so vermehrte, dass sie ein Haus nicht mehr fassen konnte, so gab es bald in den einzelnen Pfarreien Häuser, in denen die Rothmannisten die Predigt hörten oder zu bestimmten Zeiten wiedergetauft wurden. Die waren nur den Wiedergetauften oder denen, die dem Türhüter durch ein gewisses Zeichen glaubhaft gemacht hatten, dass sie sich wiedertaufen lassen wollten, zugänglich. Denn sie hatten gewisse Zeichen, sowohl Worte wie Gebärden, an denen sie sich auch in großer Menschenmenge erkannten. Wurden sie verraten, so ersetzten sie sie durch andere. (K. 476)

Die Wiedertäufer rotten sich zusammen

In der Darstellung dieser Ereignisse ist Kerssenbrock ein Fehler unter-laufen. Der Begleiter Johann Bockelsons war Gert tom Kloster und nicht Jan Matthys. Matthys ist erst im Februar nach Münster gekommen.

Am 28. Januar gegen sieben Uhr abends liefen die Wiedertäufer, ich weiß nicht von welchem Geiste getrieben, nachdem sie alle Straßen mit Ketten geschlossen hatten, in der Stadt auf und nieder und stellten Nachtwachen auf. Die Unsrigen aber fürchteten das Schlimmste, wussten nicht, was sie vorhatten, und wagten ihre Häuser nicht zu verlassen, setzten sie aber so in Verteidigungszustand, dass ein Einbruch nicht leicht war. Denn wir mutmaßten mit guten Gründen, dass die Bewaffnung uns gelte. Aber der allmächtige Gott hat es von unseren Häuptern abgewendet. Jene (die Täufer) blieben bis zum folgenden Tage bei geschlossenen Toren unter Waffen.

Während dies vor sich ging, waren zwei Männer in fremder und unge-wöhnlicher Tracht in der Stadt, die etwa am 13. Januar nach Münster gekommen waren und für Enoch und Elias gehalten wurden, von denen der eine, Johann Bockelson aus Leiden später die Herrschaft der Stadt übernahm, der andere aber, Johann Matthys, im Anfange der Belagerung um Ostern herum vor dem Ludgeritor von den Feinden getötet wurde. Seine Frau heiratete Johann von Leiden.

Diese Leute, die besondere Heiligkeit heuchelten, berieten im Hause Knipperdollings mit Rothmann, Roll, Klopriß, Staprade, Vinne und Straelen über die gegenwärtige Lage und gaben den Bewaffneten Befehle. Sie waren aber unter sich uneins: einige wollten die Stadt von der Hefe der Gottlosen gereinigt haben, während andere behaupteten, der Tag der göttlichen Rache sei noch nicht gekommen. Sie meinten, man müsse also die Ausrottung der Ungläubigen bis auf den Tag des Herrn verschieben. Da sie aber alle fest glaubten, jene beiden seien Propheten und vom Himmel gesandt und ohne ihren Rat dürften sie nichts tun, so erwarteten sie deren Entscheidung. Jene aber antworteten nach vielen Seufzern und Überlegungen, es sei noch nicht die Zeit, die Tenne zu reinigen, man müsse erst noch mehr Leute für den Herrn gewinnen und die Gewonnenen in der himmlischen Lehre bestärken, aber nicht in den Tempeln der Gottlosen, die vom Bilderdienste stänken, sondern in den Häusern der Christen. Man solle sich also noch nicht die Hände mit dem Blut der Gottlosen besudeln, damit man sich nicht den Zorn des himmlischen Vaters zuziehe. Man solle den Tag des Herrn, der nahe bevorstehe, abwarten, denn er werde seine Tenne von aller Gottlosigkeit reinigen. Durch diese Worte, die ja nach ihrer Meinung von göttlichen Wesen ausgingen, wurden sie beruhigt. Deshalb gingen sie gegen vier Uhr am 29. Januar bewaffnet auseinander und nach Hause, und so legte sich diese Bewegung. (K. 477)

Übereinkunft vom 30. Januar

Der Rat erkannte hieraus, dass sein Beschluss, die Prediger zu vertreiben, die Wiedertäufer zu schlimmen Unruhen veranlasste, da jene, auf den Schutz ihrer Anhänger bauend, sich nicht vertreiben lassen wollten. Um also sich und die Bürger von der täglichen Furcht vor Mord und Totschlag, in der sie ständig schwebten, zu befreien, beriefen sie am 30. Januar die Older- und Meisterleute und berieten mit ihnen nicht mehr über die Vertreibung der Rothmannisten, sondern über die Erhaltung des Friedens in der Stadt um jeden Preis. Nachdem man lange hin und her beratschlagt hatte, beschloss man endlich, dass nach Beseitigung jedes beunruhigenden Verdachtes kein Bürger oder Einwohner von seinem Mitbürger etwas Widriges befürchten, keiner den anderen verletzen oder seiner Güter berauben solle. Stattdessen sollten sie freundlich und friedlich miteinander leben, keiner den anderen mit Schmähungen und bitteren Worten reizen oder seinen Glauben stören. Der Glaube sollte frei und für jeden nach seinem Gewissen wählbar sein, bis Gott die Einheit der Religion und des Glaubens durch seinen Heiligen Geist verleihen würde. Außerdem wurde beschlossen, dass die Übertreter dieses, des öffentlichen Friedens wegen erlassenen Ediktes mit den gesetzlichen Strafen belegt werden sollten. Als dieses Edikt von den Ratsdienern auf Befehl des Rates in der ganzen Stadt bekannt gemacht wurde, schwoll den Rothmannisten der Kamm, und sie lachten sich ins Fäustchen, dass sie nun, da der Rat sich fürchtete, ungestraft alles tun könnten. Waren sie bisher unbekannt gewesen und hatten sich hier und da in den Häusern verborgen gehalten, so kamen sie jetzt hervor, trugen den Kopf hoch und redeten sich fest ein, dass alles nach dem Willen des himmlischen Vaters geschehe. (K. 479)

Der Landtag in Wolbeck

Der Bischof berief unterdessen auf den 2. Februar zu einem Landtag nach Wolbeck, um mit den Ständen des Bistums über die religiöse Ange-legenheit und andere wichtige und das Wohl des Landes betreffende Dinge reiflich zu beraten. Die Münsterschen schickten den Bürger-meister Kaspar Judefeld, den aufrührerischen Syndikus Johannes Wyck, Heinrich Redeker, von dem man sagte, dass er bei der Telgter Expedition die Geldtasche Melchiors von Büren mit 500 Gulden geraubt habe, und einen gewissen Tile Bussenschute, einen sehr gewandten Schützen und fürchterlich langen Zyklopen, der es beim Schießen nicht nötig hatte, das eine Auge zu schließen, weil er nur eins besaß. Derselbe hatte auf Anstiften Knipperdollings den Ruf des ausgezeichneten Bürgermeisters und trefflichen Mannes Eberwin Droste anzutasten gewagt, wurde aber in öffentlicher Gerichtsverhandlung zum Widerruf gezwungen und hatte Abbitte leisten müssen, weshalb er bei den Gutgesinnten in üblem Rufe stand. Als der Fürst sah, dass diese Leute als Abgeordnete der Stadt Münster da seien, ließ er sie zur Verhandlung nicht zu, sondern wies sie als Unwürdige zurück. Durch seine Räte aber ließ er dem Bürgermeister, von dem er gehört hatte, dass er ein guter Mann sei, sagen, er habe auf diesem Landtage nicht über unwichtige, sondern sehr ernste und das Wohl des Landes und das Heil der Seele betreffende Dinge zu verhandeln beabsichtigt und daran wolle er so aufrührerische und berüchtigte Leute, wie er sie mitgebracht hätte, nicht teilnehmen lassen. So wurde auf diesem Landtag nichts verhan-delt. Der Bischof war nämlich über die Anwesenheit jener üblen Gesellen sehr ärgerlich und reiste gleich wieder ab, damit ihm von den benachbarten Münsterschen nichts Schlimmes geschähe. (K. 479)

Franz von Waldeck hielt sich nicht lange in Wolbeck auf. Ihm saß noch der Überfall der Münsterschen in Telgte an Weihnachten 1532 in den Knochen, wo er nur durch glückliche Fügung einer Gefangennahme ent-kommen war. Er sah aber auch ein, dass es mit der münsterschen Delegation nicht viel zu verhandeln gab.

Rothmann prophezeit den Einsturz des Klosters Überwasser

Jetzt hielt sich Rothmann, um seinem Namen (Rottmann) Ehre zu machen, nicht mehr davon zurück, Unruhe zu stiften. Denn er glaubte die Flamme, die einige Nonnen von Überwasser in ihrem Busen hegten, anfachen zu müssen, damit der eingepflanzte Eifer für sein Evangelium nicht erlösche. Er ging also mit einigen seiner Amtsbrüder am 6. Februar in das Kloster, hielt eine Predigt über das Lob der Ehe, brach die Zucht-häuser der Jungfernschaft, in die sie wider die Natur eingeschlossen werde, mit den wunderbaren Sturmböcken seiner Rede auf und schien die Jungfrauen zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts, der sie gar nicht so abhold waren, zu reizen. Dann redete er ihnen, um aus Törinnen völlige Närrinnen zu machen, vor, der Turm und der ganze Bau des Klosters mit allen Bewohnern werde in der Nacht des nächsten Tages um zwölf Uhr zusammenstürzen. Das sei nicht bloß von einigen Propheten in der Stadt, sondern auch ihm selbst vom himmlischen Vater geoffenbart. Über diese Prophezeiung wurden die Jungfrauen, deren Sinn in Begierde entbrannt war, mehr froh als bestürzt; denn nun glaubten sie, dass eine günstige Gelegenheit gekommen sei, das Joch abzuschütteln. Deshalb trugen sie in der Frühe des nächsten Tages fast alle Habseligkeiten fort, und da sie diese nirgends sicherer aufbewahren zu können glaubten als bei dem Gottesmann Rothmann, so brachten sie den größten Teil in sein Haus. Auch sich selbst vertrauten sie nicht mehr dem Kloster, sondern teils dem Hause Rothmanns, teils den Wohnungen anderer Bürger an. Die Äbtissin Ida von Merveldt, Ludgera von Linteloe und Sophie von Langen, die älter und verständiger waren als die anderen, merkten, dass das alles von Rothmann zu seinem eigenen Nutzen erfunden sei. Sie versuchten daher die abziehenden Nonnen mit vielen Bitten und Tränen zurückzuhalten, aber vergebens. Denn sie waren durch Rothmann so verblendet und verhext, dass sie ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht und die jungfräuliche Sittsamkeit sich über ihr Gelübde hinwegsetzten. Sie änderten das Habit (ihre Kloster-kleidung) rannten wie Rasende durch die Gassen und nahmen keine Mahnung an. Deshalb empfahlen sich diese drei (Ida von Merveldt, Ludgera von Linteloe und Sophie von Langen) dem Herrgott und waren entschlossen, den Ort und das Kleid ihres Gelübdes nicht aufzugeben, möge kommen, was da wolle. Als dieses Märchen (vom Klostereinsturz) unter der Menge bekannt wurde, wartete viel Volks die ganze Nacht, ohne sich Schlaf zu gönnen, auf jenen Einsturz. Als aber die in der Prophezeiung genannte Zeit da war, hörten sie nichts als die Stimme eines Nachtraben, der über die Stadt flog. Dass also dieser Orakelspruch falsch war, zeigt auch der heutige Tag. Damit aber Rothmann durch diese Weissagung nicht an seinem Ansehen Schiffbruch litte, so verteidigte er sich mit dem Beispiel des Jonas, der auf göttlichen Befehl den Niniviten den Untergang androhte, der dann auch nicht erfolgte; man dürfe darum doch den Propheten nicht für falsch halten, weil solche Prophezeiungen immer eine Bedingung einschlössen, nämlich wenn sie keine Buße täten. Den Nonnen habe der unvermeidliche Untergang gedroht; aber da sie ernstlich bereut hätten, habe Gott in seiner Güte das Übel angewendet. (K. 480)

Mit dieser leichtfertig verkündeten Prophezeiung hatte sich Rothmann und die ganze, nicht unwesentlich auf Visionen und Prophetien gegrün-dete Täuferbewegung, in große Schwierigkeiten gebracht. Er und seine Anhänger mussten die abenteuerlichsten geistigen Verrenkungen voll-führen, um aus der missglückten Prophezeiung wieder heraus zu kommen. Falsche Voraussagen hatte es auch zuvor schon in der Täufer-bewegung gegeben. Bereits zehn Jahre zuvor hatte der Täufer Hans Hut die Ankunft des Herrn und den Jüngsten Tag an Pfingsten 1528 angekündigt. Hut selbst erlebte den großen Tag nicht mehr, da er 1527 in einem Augsburger Gefängnis starb. Melchior Hoffmann setzte seine Erwartungen auf das Jahr 1533. Dann sollten, so prophezeite er, neue Apostel des Herrn den Pfingstgeist empfangen und in Straßburg das neue Jerusalem aufbauen. Für den Aufbau eines neuen Jerusalem war aber eine andere Stadt ausersehen: Münster in Westfalen.

Beginn der Bußrufe

Die mehrfach im Text erwähnten Korybanten stammen aus der griechischen Mythologie. Es handelt sich um orgiastische Ritualtänzer, die die Göttin Kybele begleiten.

Als aber Roll merkte, dass durch dieses falsche Orakel Rothmanns Autorität bei vielen ins Schwanken geriet, lief er nach Korybantenart von Schwärmerei ergriffen durch die Gassen und rief mit grässlichen Schreien und wahnsinnigem Gebrüll die Gottlosen und noch nicht mit dem Zeichen des Bundes Bezeichneten zur Buße auf. Denn der Tag des Herrn sei nahe, schrie er. Durch diese Finte und diesen neuen Auftritt machte er Rothmanns Prophezeiung vergessen und führte viele Leute, die der Wiedertäuferei fremder geworden waren, zu ihr zurück. Es ging aber die Rede, dass die Wiedergetauften in diese Art von Raserei durch Gift versetzt wurden. Dieses soll Rothmann, der die Künste seiner Eltern erlernt hatte, in einer hölzernen Flasche den von ihm Getauften beigemischt haben. Als aus dieser Flasche die Tochter des Schneiders Georg thom Berge getrunken hatte, wurde sie von ähnlicher Raserei ergriffen und predigte am 8. Februar um 2 Uhr nachtmittags im Hause des Bernhard Swerthen unter dem Gewölbe vor einer großen Volks-menge beiderlei Geschlechts mit wunderbarer Gewandtheit.

An demselben Tage durchliefen Knipperdolling und Johannes Bockelson, der Prophet aus Leiden, um 3. Uhr nachmittags fast alle Straßen der Stadt und forderten mit kläglicher und fürchterlicher Stimme zur Besserung des Lebens auf. Mit entblößten Häuptern und zum Himmel gerichteten Augen schrien sie nichts als: „Buße! Buße! Buße!“ Einige der Unsrigen aber dachten an jenes klägliche Jammer-geschrei und jene traurige Stimme, die den Untergang Jerusalems vorhergesagt hatten, und weissagten daher weinend auch den Untergang dieser Stadt. Und als einige die ungewohnte Raserei der Korybanten hie und da auf den Gassen verlachten, sagten diese: „Wehe, wehe, wehe euch, die ihr uns, die vom göttlichen Geiste getrieben sind, verlachet, die ihr der Stimme der heilsamen Buße kein Gehör schenkt, die ihr unseren Bund verachtet; tut Buße und bekehrt euch, damit ihr euch nicht die Strafe des himmlischen Vaters zuzieht!“

Als sie dann zum Markte zurückgekommen waren, umarmten und küssten sie sich vor den Augen des ganzen Volkes, das die Neugier aus allen Winkeln der Stadt zusammengeführt hatte. Als aber die Raserei nachließ und ihnen der gesunde Menschenverstand allmählich wiederkam, kam auf einmal der Schneider Georg thom Berge, dessen Tochter kurz zuvor gepredigt hatte, von neuer Raserei ergriffen, entblößten Hauptes und mit zum Himmel erhobenen Händen hinzu-gelaufen und schrie: „Seht nach oben, ihr Männer, liebe Brüder, seht hinauf und hebet den Kopf hoch! Ich sehe Gott in seiner Glorie in den Wolken leuchten und die Siegesfahne in der Rechten tragen. Wehe euch Gottlosen, die ihr hartnäckig im Bösen seid. Bekehrt euch, bekehrt euch! Ich sehe den himmlischen Vater mit vielen Tausend Engeln in der Höhe, wie er euch Schlimmes droht. Wehe, wehe euch Gottlosen. Tut Buße, tut Buße! Jener große und schreckliche Tag des Herrn ist da. Bekehrt euch, bekehrt euch! Die Strafe ewiger Verdammnis und endloser Pein wartet auf euch, die ihr glaubt, dass Christus aus Maria die menschliche Natur angenommen habe. Bekehrt euch, bekehrt euch! Gott will jetzt seine Tenne reinigen und die Spreu mit unauslöschlichem Feuer verbrennen. Tut Buße und wenn ihr der Strafe Gottes entgehen wollt, nehmt das Zeichen des Bundes.“

Mit welchen Gebärden er dies und vieles andere ausrief, lässt sich kaum beschreiben; denn bald sprang er auf den Steinen herum und erhob sich im Sprunge, als wollte er fliegen, und klatschte in die erhobenen Hände, bald hob er die Augen zum Himmel, bald schlug er sie nieder, bald war er traurig, bald fiel er in der Form eines Kreuzes zur Erde und wälzte sich im Kot. Kurz, bei jedem Worte änderte er seine Gebärden. Als aber wir, soviel wir nach Art junger Leute dabei waren, durch das unge-wohnte Geschrei in Erstaunen versetzt, eifrig den Himmel betrach-teten, sahen wir nichts von dem, was die Wiedertäufer gesehen hatten, sondern fanden, dass er so aussah wie sonst auch. Daher wurden die Korybanten von der zusammenströmenden Jugend auf dem Markte nach Herzenslust verspottet, weshalb sie sich mit Knipperdolling in sein Haus zurückzogen. Hier wurde Knipperdolling von einer neuen, aber gelinderen Art Raserei ergriffen, wandte sich in einem Winkel seines Hauses bei offener Tür gegen die Wand und tat, als wenn er mit dem himmlischen Vater spräche, während wir alles sahen und hörten, und redete vieles, was über den Verstand der Menge hinausging Er sprach ohne rechten Zusammenhang, vielmehr, wie es Wahnsinnige tun, in abgerissenen Sätzen, teils deutlich, teils leise murmelnd. Endlich zog er sich ermüdet mit schäumendem Munde in die inneren Räume seines Hauses zurück und machte diesem Schauspiel ein Ende.

Ein gewisser dicker und großer Mensch aus Schottland, den das Schicksal hierher verschlagen hatte, und der sich in seiner Armut in den Gassen den Unterhalt erbettelte, wurde nun angestiftet und von den Bösewichtern für Geld gemietet, um nachts durch die Gassen zu gehen und „Buße“ zu rufen. Da er blind war, zog er, um sich nicht mit dem Kot der Gassen zu beschmutzen, hohe Stiefel an. Dann lief er wie von der wiedertäuferischen Raserei erfüllt los, rief Buße und schrie, dass der Himmel ein wunderbares und schreckliches Aussehen zeige, und so lockte er viele zu dem nächtlichen Schauspiel heraus und wiederholte das öfter. Endlich, als er einmal zur Königstraße kam und mit lauter Stimme jammerte, gleich würde der Himmel einfallen, stürzte er selbst in einen großen Haufen weichen Dreck und schwieg sofort still. Nach dieser Zeit war er mit noch so großen Versprechungen nicht zu bewegen, dasselbe Spiel wieder aufzuführen.

Jakobus Ralenburg sprengte, von demselben Geiste getrieben, zu Pferde durch die Gassen, verkündigte den Einsturz des Himmels und schrie, dass er wunderbare Dinge sähe und viele Myriaden Engel erblicke. Dann lief ein Weib, von ähnlicher Raserei entflammt, durch alle Straßen der Stadt. Sie forderte alle mit solchem Geschrei zur Bekehrung auf, dass sie ganz heiser wurde und schließlich keinen Laut mehr herausbringen konnte. Damit sie aber der Eingebung ihres Geistes doch nachkäme, befestigte sie eine Schafsglocke hinten an ihren Gürtel, die durch den zitternden Lauf in Bewegung gesetzt, beständig tönte. So zog sie doch die Augen des Volkes auf sich und bewirkte durch Gebären und Zeichen, was ihr mit der Stimme versagt war. Außerdem schrie ein anderes Weib, die Timmermann‘sche, Buße und Bekehrung in allen Straßen; denn der König von Zion werde bald vom Himmel hernieder-steigen und Jerusalem erneuern.

Durch diese neue tolle Erfindung wurden viele Bürger erschreckt und zuerst zum Zweifel an ihrem bisherigen Bekenntnis gebracht und fingen an, im Glauben unsicher zu werden. An diese Leute machte sich Rothmann mit seiner einschmeichelnden Beredsamkeit heran und brachte die schon Wankenden leicht zu Fall und verführte sie zu seiner Lehre. So vermehrte er die Zahl der Seinen so sehr, dass sie schon nicht mehr heimlich, sondern öffentlich nach Durchbrechung der Zügel und Schranken aller Obrigkeit auf die Herrschaft in der Stadt losgingen. (K. 483)

Die oben beschriebenen Ereignisse zeugen von der aufgeheizten Stimmung in Münster, die von den Propheten noch weiter angeheizt wurde und teilweise zu absurden Szenen führte. Die Anhänger der Wiedertaufe waren durchdrungen von dem Glauben an ein baldiges Ende der Welt, der Wiederkehr Christi und dem Beginn einer neuen Zeit unter Gottes Herrschaft.

Beginn der Unruhen

Am 9. Februar um 8 Uhr vormittags besetzten mehr als fünfhundert Mann mit feindlichen Waffen gerüstet den Markt und das daran liegende Rathaus, in dem sich eine Menge Waffen aller Art befand, um uns entweder zu töten oder zu verjagen und sich dann allein der Stadt zu bemächtigen. Als uns aber diese blutdürstigen Pläne der Wieder-täufer verraten wurden, beriefen sofort einige Ratsherren durch die Stadtdiener alle nicht wiedergetauften Bürger, sowohl die evange-lischen wie die katholischen, auf den Überwasserkirchhof, an dem die Aa vorbeifließt. Nachdem nämlich die Wiedertäufer den Markt besetzt hatten, gab es für die Unsrigen in der Stadt keinen günstigeren Ort, sowohl um einen Angriff abzuweisen als auch sich zu schützen. Die Unsrigen strömten also plötzlich bewaffnet in solcher Menge zusammen, dass sie die Schar auf dem Markte sowohl an Zahl wie an Stärke der Bewaffneten leicht übertrafen. Doch ließen einige, die ihr Haus wegen der Nachbarschaft der Wiedertäufer nicht bewaffnet zu verlassen wagten, ihre Waffen durch die Mägde, die sie unter ihren langen Kleidern verbargen, auf den Kirchhof bringen. Von diesen Mägden wurden viele von Ausspähern verraten, abgefangen und mit unerträglichen Beschimpfungen zum Gefängnis und an den Schand-pfahl, der für nachtschwärmende Taugenichtse bestimmt war, abgeführt. Unter ihnen war Assola, die Magd des hochangesehenen und gelehrten Doktors der Medizin Johann Wesling, meines Hauswirtes, die von den Wiedertäufern auf den Markt geschleppt und mit vielen Beschimpfungen gequält wurde, bis sie durch Vermittlung einiger Leute, bei denen sie gedient hatte, als einzige und unter Verlust der Waffen dem Gefängnis entging.

Als aber die Wiedertäufer auf dem Markte durch ihre Kund-schafter erfuhren, dass sie denen in Überwasser nicht gewachsen seien, fürchteten sie einen unvorhergesehenen und unvermuteten Angriff und füllten deshalb zunächst die Michaeliskappelle, den Lambertiturm, das Rathaus und alle dem Markte benachbarten Häuser mit Geschützen. Den Markt selbst verbarrikadierten sie mit Schemeln und Bänken aus der Lambertikirche, sowie mit Gefäßen, Tischen, Steinen und Erde, die sie rasch von allen Seiten herbeischafften. Sie stellten in mäßigen Zwischenräumen dieser Barrikade so viele Geschütze auf, dass sie auch den Angriff eines bestgerüsteten Heeres nicht mehr zu fürchten brauchten. Auch übergaben sie die Schlüssel aller Tore der ver-schlossenen Stadt, nachdem sie die früheren Wächter entfernt hatten, ihrer Partei zur Bewachung, damit sich die Unsrigen nicht durch Einlass fremder Streitkräfte verstärken könnten.